L 2 SO 1978/24 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 SO 1636/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1978/24 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 25. Juni 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts (SG) Freiburg vom 25. Juni 2024 hat keinen Erfolg. Mit diesem Beschluss hat das SG den Antrag des Antragstellers vom 19. Juni 2024 auf Übernahme der Kosten für ein Einzelzimmer in der C1 Herberge, F1, vom 20. Juni 2024 bis 8. Juli 2024, im Hotel B1, F1; vom 9. Juli 2024 bis zum 31. Juli 2024 und ab dem 1. August 2024 die weiteren Kosten für ein Einzelzimmer in der C1 Herberge abgelehnt. Es fehle jedenfalls am Anordnungsgrund und damit an der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit. So seien die Kosten für ein Einzelzimmer oder ein Apartment in der C1 Herberge bzw. die voraussichtlichen Kosten für ein Einzelzimmer im B1 unangemessen teuer, da sie erheblich über der sich aus dem qualifizierten F1 Mietspiegel ergebenen Basismiete liegen würden. Der Antragsteller habe vor seinem Umzug nach F1 keine Zustimmung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme eingeholt. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Antragsgegnerin bei einer rechtzeitigen Antragstellung zur Berücksichtigung dieser Kosten verpflichtet gewesen wäre. Denn durch die Zurverfügungstellung eines abschließbaren Zweibettzimmers in einem Wohnheim könnte der Bedarf des Antragstellers an der Versorgung mit zumutbaren Wohnraum nach vorläufiger Wertung jedenfalls übergangsweise gedeckt werden.

Die am 26. Juni 2024 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingegangene Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 173 SGG insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], 2. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 14. März 2019 - 1 BvR 169/19 - juris Rn. 15; Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 6. September 2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - <beide juris> jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt Kommentar zum SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 42).


Aus dem Gegenwartsbezug der einstweiligen Anordnung folgt zunächst, dass dieser vorläufige Rechtsbehelf für bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung zurückliegende Zeiträume nur ausnahmsweise in Betracht kommt; es muss durch die Nichtleistung in der Vergangenheit eine aktuell fortwirkende Notlage entstanden sein, die den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. hierzu etwa LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13. Oktober 2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - juris). Im Übrigen besteht ein Anordnungsgrund, wenn der Betroffene bei Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache Gefahr laufen würde, seine Rechte nicht mehr realisieren zu können oder gegenwärtige schwere, unzumutbare, irreparable rechtliche oder wirtschaftliche Nachteile erlitte. Die individuelle Interessenlage des Betroffenen, unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter muss es unzumutbar erscheinen lassen, den Betroffenen zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Danach besteht ein Anordnungsgrund z.B. dann nicht, wenn der Antragsteller jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann (vgl. LSG, Beschluss vom 6. März 2017 - L 7 SO 420/17 ER-B - juris Rn. 8 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 - 1 BvR 1825/16 - juris Rn. 4) und sich den Ausführungen des Antragstellers keine gewichtigen Anhaltspunkte entnehmen lassen, dass die finanziellen Kapazitäten vollständig ausgeschöpft sind (BVerfG, Beschluss vom 12. September 2016 - 1 BvR 1630/16 - juris Rn. 12). Bei der Frage des Anordnungsgrundes können auch Mittel Berücksichtigung finden, die bei der materiellen Frage der Hilfebedürftigkeit außen vor bleiben müssen, weil es sich um Schonvermögen (§ 90 Abs. 2 SGB XII) oder nicht zu berücksichtigendes Einkommen (§ 82 SGB XII) handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2007 - 1 BvR 535/07 -; LSG, Beschluss vom 6. März 2017 - L 7 SO 420/17 ER-B - juris Rn. 9; Beschluss vom 14. März 2019 - L 7 AS 634/19 ER-B - juris Rn. 8). Wie bereits dargelegt, beurteilt sich in einem auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichteten Verfahren das Vorliegen eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Antrag entscheidet, im Beschwerdeverfahren mithin nach dem Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hinsichtlich des Antrages des Antragstellers - auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Beschwerdebegründung der Mutter und Vertreterin des Antragstellers samt den vorgelegten (unter anderem auch ärztlichen) Unterlagen - der Anordnungsgrund und damit die Eilbedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht.
Gemäß § 35a Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) haben Leistungsberechtigte vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft den dort zuständigen Träger der Sozialhilfe über die nach § 35 Abs. 3 Satz 1 und 2 SGB XII maßgeblichen Umstände in Kenntnis zu setzen. Sind die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die neue Unterkunft unangemessen hoch, sind diese nur in Höhe angemessener Aufwendungen als Bedarf anzuerkennen, es sei denn, der zuständige Träger der Sozialhilfe hat den darüberhinausgehenden Aufwendungen vorher zugestimmt (Satz 2). Eine Zustimmung soll gemäß § 35a Abs. 2 Satz 3 SGB XII erteilt werden, wenn der Umzug durch den Träger der Sozialhilfe veranlasst wird oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zustimmung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Innerhalb der Karenzzeit nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der Träger der Sozialhilfe die Anerkennung vorab zugesichert hat (Satz 4). Dementsprechend ist der Sozialhilfeträger bei unangemessen hohen Aufwendungen der neuen Unterkunft nur zur Übernahme dieser Unterkunftskosten verpflichtet, wenn er zuvor seine Zustimmung erteilt hat (Löcken in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. § 35a SGB XII [Stand 7. Juni 2024], Rn. 32). Auch bei einer noch laufenden Karenzzeit nach § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB XII entfällt dieser Schutz, wenn der Leistungsberechtigte vor dem Umzug nicht eine Zusicherung zur Übernahme der Kosten für die künftige Wohnung eingeholt hat (Löcken aaO Rn. 34).

Mit dem SG und dem Antragsgegner sind auch zur Überzeugung des Senates die Kosten für ein Einzelzimmer bzw. Appartment in der C1 Herberge (ca. 2.630 € pro Monat) bzw. im B1 (ca. 2.700 € pro Monat) unangemessen teuer, da sie erheblich über der sich aus dem qualifizierten F1 Mietspiegel ergebenden Basismiete liegen. Der Antragsteller, der an einer genetisch bedingten Dystonie, einer Myopathie, einer Hyperekplexie und einer Atemstörung leidet und aufgrund seiner neurologischen Grunderkrankung extrem auf akustische, taktile und sonstige Reize reagiert (unter anderem GdB 100), fuhr am 13. Juni 2024 mit seiner Mutter aus B2 nach F1 und beantragte noch am selben Tag (per E-Mail) bei der Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten für die Anmietung eines Apartments in einem Hotel als Leistung der Eingliederungshilfe. Am 18. Juni 2024 beantragte er bei der Antragsgegnerin nunmehr die Übernahme der Kosten für ein Einzelzimmer in einem Hotel als Leistung der Grundsicherung nach dem SGB XII. Damit aber hat der Antragsteller vor seinem Umzug nach F1 keine Zustimmung der Antragsgegnerin zur Kostenübernahme eingeholt. Eine Wohnung in F1 stand dem Antragsteller nach seinem eigenen Vortrag zum damaligen Zeitpunkt frühestens ab 1. Januar 2025 zur Verfügung (in der Zwischenzeit nach Angaben des Antragstellers unter Umständen ab 1. Oktober 2024).
Letztlich kann aber mit dem SG dahingestellt bleiben, ob die Antragsgegnerin bei einer rechtzeitigen Antragstellung zur Berücksichtigung dieser Kosten verpflichtet gewesen wäre. Denn durch die Zurverfügungstellung eines abschließbaren Zweibettzimmers in einem Wohnheim am 21. Juni 2024 in der städtischen Unterkunft in der W1straße zur Abwehr der unmittelbaren Wohnungslosigkeit kann der Bedarf des Antragstellers an der Versorgung mit zumutbaren Wohnraum jedenfalls vorläufig und übergangsweise gedeckt werden. Dieses Angebot lehnte der Antragsteller als unzumutbar (wegen Lärm und mangelnde Hygiene) ab.
Auch der Senat verkennt hier nicht, dass nach den vorliegenden ärztlichen Attesten aufgrund der multiplen Erkrankungen des Antragstellers von der Unterbringung in einer Sammelunterkunft aufgrund erhöhter Infektionsgefahr abgeraten wird. Das Wohnheim verfügt jedoch über einen angeschlossenen Sozialdienst, abschließbare Zimmer und eine (durch die zuständige Abteilungsleitung geprüfte) frische und hygienische Ausstattung. Durch den Sozialdienst könnte sodann auch geprüft werden, ob gegebenenfalls eine stationäre Unterbringung notwendig ist. Es ist auch - worauf bereits das SG hingewiesen hat - nicht ersichtlich, ob den attestierenden Ärzten bekannt war, dass die Unterbringung des Antragstellers in einem abschließbaren Zweibettzimmer, das lediglich durch den Antragsteller und seine Mutter genutzt werden kann, erfolgen sollte. Im Übrigen dürfte der Gefahr von Infektionen durch die üblichen Schutzmaßnahmen wie Masken tragen, Hände waschen und die Nutzung von Desinfektionsmitteln ausreichend zu begegnen sein.
Auch der Einwand des Antragstellers, dass er ein ruhiges Umfeld mit der Möglichkeit benötige, sich bei den Anfällen 24 Stunden in einem dunklen Raum ohne Reize zurückziehen zu können, ist nicht geeignet, die Eilbedürftigkeit seines Antrages zu begründen. Zum einen lässt sich das von der Antragsgegnerin angebotene Zimmer verdunkeln und würde auch lediglich durch den Antragsteller selbst und seine Mutter genutzt werden. Darüber hinaus aber dürften etwaige Lärmbelästigungen durch Mitbewohner auf den Fluren oder in den angrenzenden Zimmern ebenso in einem Hotel oder auch in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus auftreten können, eine vollständige Freiheit von Lärm lässt sich in keiner dieser Unterkünfte erzielen.

Schließlich bleibt noch festzuhalten, dass vom ehemals zuständigen Träger (Kreis D1) eine Begutachtung hinsichtlich des tatsächlichen Pflege- und Unterkunftsbedarf des Antragstellers bislang nicht erfolgt ist. Ebenso wenig liegt ein deutsches Pflegegutachten vor. Ein seitens der Betreuungsbehörde sowie des Fachbereiches Eingliederungshilfe angekündigter Hausbesuch am 5. Juli 2024 scheiterte letztlich daran, dass weder der Antragsteller noch seine Vertreterin Zutritt zu der aktuell genutzten Unterkunft gewährten, sodass nach wie vor der tatsächliche Pflege- und Unterkunftsbedarf des Antragstellers nicht ermittelt und eine entsprechende dauerhafte und geeignete Unterbringung veranlasst werden kann.

Aus diesen Gründen ist die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


 

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