S 10 AS 24/23

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Würzburg (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 10 AS 24/23
Datum
-
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 11 AS 428/23
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
B 4 AS 86/24 BH
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Für einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II kommt es bei einem Hochschulstudium im Regelfall nicht darauf an, dass neben der Immatrikulation die Ausbildung auch tatsächlich betrieben wird


S 10 AS 24/23

    
SOZIALGERICHT WÜRZBURG
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
in dem Rechtsstreit

 A., A-Straße, A-Stadt
- Kläger -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt B., B-Straße, B-Stadt

gegen
Jobcenter Kitzingen vertreten durch den Geschäftsführer, ConneKT 14/121, 97318 Kitzingen - - 
- Beklagter -
Angelegenheiten nach dem SGB II
Die 10. Kammer des Sozialgerichts Würzburg hat auf die mündliche Verhandlung in Würzburg
am 31. August 2023
durch den Richter am Sozialgericht Dr. Langer als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter B und C

für Recht erkannt:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.


T a t b e s t a n d :
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) an den sich zumindest formal in einer Hochschulausbildung befindlichen Kläger. 

Der am xx.xx.198x geborene, alleinstehende Kläger ist Vater einer am xx.xx.xxxx geborenen Tochter und lebt zusammen mit seinen Eltern, der Großmutter und zeitweise mit seiner Tochter im Haus seiner Eltern in A-Stadt. Der Kläger muss keine Kosten der Unterkunft und Heizung bezahlen, die Tochter lebt hauptsächlich bei ihrer Mutter, die die elterliche Sorge allein ausübt, der Kläger hat ein Umgangsrecht. 

Nachdem er im Jahr 200x die Fachhochschulreife erworben hatte, war der Kläger im Wintersemester 2004/2005 Student an der FH B-Stadt im Fach Maschinenbau, das Studium brach er danach ab. Zum Sommersemester 2005 nahm er in C-Stadt an der dortigen FH ein Studium der Kunststoff- und Elastomertechnik auf, welches er im März 2009 berufsqualifizierend mit dem Diplomtitel abschloss. Im Sommersemester 2009 begann er an der Universität D-Stadt ein Masterstudium in der Fachrichtung Maschinenbau, welches er 2011 ebenfalls berufsqualifizierend mit einem Mastertitel abschloss. Von September 2013 bis März 2015 war der Kläger in einem Promotionsstudiengang an der TH E-Stadt eingeschrieben. Zum Sommersemester 2017 nahm er schließlich ein Studium der Humanmedizin an der Universität C-Stadt auf. Ab dem Wintersemester 2019 bis einschließlich zum Sommersemester 2021 war er aus familiären Gründen (Betreuung bzw. Sorgerechtsstreit um seine 2xxx geborene Tochter) vom Studium beurlaubt. Weitere Beurlaubungen wurden von der Universität abgelehnt. Im aktuellen Sommersemester 2023 ist er weiterhin an der Universität im 9. Fachsemester für Humanmedizin eingeschrieben.

Das Studentenwerk C-Stadt lehnte die vom Kläger am 09.12.2019 (während des ersten Urlaubssemesters) beantragten Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) mit Vorabbescheid vom 20.01.2020 ab; der Grundanspruch sei erschöpft, die Voraussetzungen für die Förderung einer weiteren Ausbildung nicht erfüllt. 

Ab dem 01.10.2020 befristet bis 31.03.2021 war der Kläger beim Freistaat Bayern, vertreten durch die Uniklinik C-Stadt, als studentische Hilfskraft an der Kinder- und Poliklinik beschäftigt. Die regelmäßige Arbeitszeit betrug 22,5 Stunden im Monat. Die Arbeitszeit war an 17 Arbeitstagen einzubringen. In den Monaten Oktober bis Dezember 2020 bezog er hieraus monatlich 210,38 EUR (brutto wie netto). Die Tätigkeit als studentische Hilfskraft wurde später verlängert bis zum 31.12.2022 und im Verlauf des Jahres 2022 auf wöchentlich 19,09 Stunden aufgestockt. 

Am 17.09.2020 beantragte der Kläger beim Beklagten für sich Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. 

Mit Bescheid vom 20.10.2020 wurde der Antrag abgelehnt, weil der Kläger in einer Ausbildung sei und diese Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei und er daher über die Leistungen nach § 27 SGB II hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe. Die Entscheidung beruhe auf § 7 Abs. 5 und 6 SGB II. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II stelle auch keine besondere Härte nach § 27 Abs. 3 S. 2 SGB II dar. Eine besondere Härte liege vor, wenn die Ausbildung/das Studium im Einzelfall für die Eingliederung des Auszubildenden/Studierenden in das Erwerbsleben zwingend erforderlich sei. Dieser Sachverhalt liege nicht vor, weil der Kläger bereits ein Studium in der Fachrichtung Kunststoff- und Elastomertechnik an der FH C-Stadt abgeschlossen habe, das Studium der Humanmedizin sei für die Eingliederung ins Erwerbsleben nicht zwingend erforderlich. 

Der hiergegen gerichtete Widerspruch vom 02.11.2020 wurde vom Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2021 als unbegründet zurückgewiesen. 

Hiergegen richtete sich die am 05.03.2021 zum SG Würzburg erhobene Klage (Az.: S 18 AS 75/21), mit welcher der Kläger sein Begehren nach Leistungen weiterverfolgte. 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15.10.2021 abgewiesen. In der Begründung seiner Entscheidung legte das Gericht dar, dass der Kläger nach § 7 Abs. 5 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Ein Ausschluss vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 6 SGB II greife für den Kläger nicht ein. Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB II kämen nicht in Betracht, eine besondere Härte würde nicht vorliegen. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils verwiesen. 

Das Urteil wurde nachfolgend mangels Berufungseinlegung rechtskräftig.

Am 27.09.2022 stellte der Kläger, der weiterhin als Student der Humanmedizin eingeschrieben ist, beim Beklagten erneut einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II.

Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 21.11.2022 abgelehnt. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, weil er in Ausbildung sei und diese Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig sei. Der Kläger sei nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Er sei seit 2017 Student der Humanmedizin und an der Universität C-Stadt eingeschrieben. Sein Medizinstudium sei im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderfähig. Ein Ausschluss vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 6 SGB II greife für ihn nicht ein. Bei ihm liege auch kein Fall einer besonderen Härte vor, nach dem eine Leistungsgewährung gem. § 27 SGB II möglich wäre. Ein Anspruch auf Leistungen nach § 27 Abs. 2 SGB II sei nicht ersichtlich. Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB II würden ebenso ausscheiden, denn ein Tatbestand der besonderen Härte läge nicht vor. 

Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers vom 29.11.2022 blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13.01.2023).

Mit seiner am 08.02.2023 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er lässt geltend machen, dass die Ablehnung u.a. damit begründet worden sei, dass das Studium des Klägers förderfähig nach dem BAföG sei. Der dortige Antrag sei jedoch seitens des Studentenwerks C-Stadt abgelehnt worden (Bescheid vom 20.01.2020). Nachdem der Kläger auch seine Tätigkeit als studentische Hilfskraft bei der Universität C-Stadt nicht mehr ausübe, da die Universität den Vertrag nicht verlängert habe, verfüge er derzeit weder über Einkommen noch Vermögen. Er habe weniger als 50,- EUR auf dem Konto und wohne mietfrei im elterlichen Anwesen zusammen mit seiner Großmutter. Dort werde er auch versorgt. Mit Hilfe der Bundesagentur für Arbeit, mit der er eine Eingliederungsvereinbarung getroffen habe, versuche der Kläger schon seit längerer Zeit, eine Arbeitsstelle zu bekommen. Trotz regelmäßiger und zahlreicher Bewerbungen hätte er bislang jedoch noch keine Zusage gehabt. Von irgendetwas müsse er jedoch leben. Nachdem ein Härtefall vorliegen würde, seien zumindest Leistungen gem. § 27 Abs. 3 SGB II zu erbringen.

Eine weitere Begründung der Klage erfolgte durch den mittlerweile zweiten Klägerbevollmächtigten mit Schreiben vom 24.04.2023, wonach der Kläger sein Studium nicht betreibe, weil er hierzu gesundheitlich nicht in der Lage sei.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 21.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2023 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

      die Klage abzuweisen.

Er äußerte sich unter dem 26.04.2023.

Am 05.05.2023 fand in der Angelegenheit ein Erörterungstermin statt, welchem der Kläger trotz ordnungsgemäßer Ladung und Anordnung des persönlichen Erscheinens unentschuldigt ferngeblieben ist. 

Ein vom Kläger bereits am 20.04.2023 eingeleitetes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes blieb erfolglos (Beschluss des angerufenen Gerichts vom 08.05.2023, Az.: S 10 AS 66/23 ER, sowie Beschwerdebeschluss des Bayer. LSG vom 11.07.2023, Az.: L 11 AS 224/23 B ER).

Der zweite Klägerbevollmächtigte vertiefte seine bisherigen Ausführungen mit Schriftsatz vom 24.05.2023. Dabei legte er auch eine Immatrikulationsbescheinigung des Klägers für das Sommersemester 2023, Stundenaufzeichnungen betreffend seine bisherige Tätigkeit als studentische Hilfskraft, eine Ärzteliste, Auszüge aus einem psychologischem Gutachten betreffend den Kläger vom 02.02.2023 sowie eine Bescheinigung über erbrachte Studien- und Prüfungsleistungen vom 09.05.2023 vor. Der letztgenannten Bescheinigung ist zu entnehmen, dass zuletzt im Sommersemester 2019 Studien- bzw. Prüfungsleistungen erbracht wurden.

Der erste Klägerbevollmächtigte reichte Anfang Juli 2023 noch eine eidesstattliche Versicherung des Klägers vom 22.05.2023 nach, in welcher der Kläger erklärte, dass er im laufenden Semester keine Lehrveranstaltungen besuche, sich für keine Prüfungen angemeldet habe und sich nicht auf Lehrveranstaltungen oder Prüfungen durch Studieren des Lehrstoffs vorbereite.

Der zweite Klägerbevollmächtigte unterrichtete das Gericht am 07.07.2023 außerdem über eine am 03.05.2023 erfolgte Antragstellung auf Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern.

Der Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz vom 07.08.2023 nochmals zum Verfahren.

Der zweite Klägerbevollmächtigte legte das Mandat mit Schriftsatz vom 23.08.2023 nieder.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. 


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg.

A. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 21.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2023 ist rechtmäßig. 

Der Beklagte hat den vom Kläger gestellten Leistungsantrag zu Recht abgelehnt, da sich der Kläger mit seinem Studium der Humanmedizin an der Universität C-Stadt in einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung befindet und im Übrigen auch kein Leistungsanspruch nach § 27 SGB II besteht. 

I. § 7 Abs. 5 SGB II bestimmt, dass Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Dies gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Abs. 2, § 62 Abs. 3, § 123 Nr. 2 sowie § 124 Nr. 2 SGB III bemisst.

1. Im vorliegenden Fall steht außer Frage, dass ein Studium der Humanmedizin als solches gem. § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BAföG nach förderungsfähig ist.

2. Einer der in § 7 Abs. 6 SGB II genannten Ausnahmefälle zum grundsätzlichen Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II liegt nicht vor. 

§ 7 Abs. 6 SGB II lautet wie folgt:

"(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1. die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,

2. deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz

a) erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder

b) beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder

3. die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben."

Insbesondere liegt hier der Ausnahmefall des § 7 Abs. 6 Nr. 2 lit. a SGB II nicht vor.

Der Bedarf des studentischen Klägers im ausbildungsförderungsrechtlichen Sinne bemisst sich zwar wegen des Umstands, dass er bei den Eltern wohnt, nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 BAföG.

Die weitere Voraussetzung, dass der Betroffene Leistungen nach dem BAföG erhält, ist jedoch nicht erfüllt. Der Kläger erhält vom zuständigen Amt für Ausbildungsförderung kein BAföG und dies beruht auch nicht nur auf einem zu hohen Einkommen oder Vermögen, sondern darauf, dass die Behörde in ihrem Bescheid vom 20.01.2020 die besonderen Voraussetzungen für die Förderung einer Zweitausbildung (§ 7 Abs. 2 BAföG) nicht als gegeben erachtete. 

3. Soweit vom zweiten Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 24.04.2023 erstmals vorgebracht wurde, dass der Kläger sein Studium bereits seit geraumer Zeit gar nicht mehr betreiben würde, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. 

Diese Argumentation stellt ab auf eine insoweit nicht überzeugende Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22.03.2012, Az.: B 4 AS 102/11 R, Rn. 16 f.), wonach für einen Ausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II bei einem Hochschulstudium erforderlich sein soll, dass neben der Immatrikulation die Ausbildung auch tatsächlich betrieben wird. 

a) Der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II liegt die Erwägung zugrunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Sie soll die nachrangige Grundsicherung davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen (BSG, Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., Rn. 13).

Gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 BAföG wird Ausbildungsförderung unter anderem für den
Besuch von Hochschulen geleistet. Nach Auffassung des BSG (Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., Rn. 20) besucht ein Auszubildender eine Ausbildungsstätte, solange er dieser organisationsrechtlich angehört und die Ausbildung an der Ausbildungsstätte tatsächlich betreibt. 

Bei einer Hochschulausbildung begründet der Auszubildende seine
organisationsrechtliche Zugehörigkeit zu der Universität durch die Immatrikulation, die
ihrerseits die Einschreibung in eine bestimmte Fachrichtung notwendig macht (vgl. BSG,
Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., Rn. 16).

Das Betreiben des Studiums setzt nach der Rechtsprechung des BSG nicht unbedingt die Anwesenheit in Lehrveranstaltungen voraus (vgl. Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., Rn. 20). Wird die Arbeitskraft des Auszubildenden durch die Ausbildung jedoch nicht im Sinne des § 2 Abs. 5 BAföG voll in Anspruch genommen und betreibt der Hochschulangehörige sein Studium nicht, so besucht er nach Meinung des BSG keine Ausbildungsstätte im Sinne des § 2 BAföG und absolviert auch keine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung gem. § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II (vgl. Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., Rn. 21).

b) Eine erste - faktische - Einschränkung der genannten BSG-Rechtsprechung zur Frage des tatsächlichen Betreibens nimmt das Bayer. LSG vor (Urteil vom 18.01.2023, Az.: L 11 AS 95/21, Rn. 23 m.w.N.). Danach ergibt sich bei der Rechtsanwendung aus der Tatsache der Einschreibung (Immatrikulation) eine Beweiserleichterung, die sich im Rahmen der Auslegung des § 7 Abs. 5 SGB II zu Gunsten des Leistungsträgers auswirkt, der für das Vorliegen der Voraussetzungen des Leistungsausschlusses, auf den er die Leistungsablehnung oder die Aufhebung einer zuvor erfolgten Bewilligung stützt, nach allgemeinen Grundsätzen beweispflichtig ist. Die Einschreibung führt im Grundsatz nicht nur zur organisationsrechtlichen Zugehörigkeit des Studenten zur Hochschule, sondern stellt regelmäßig auch ein - widerlegliches - Indiz für deren Besuch - bzw. das tatsächliche Betreiben als Teil der Definition des Besuches - dar.

c) Das erkennende Gericht geht hierüber hinaus und vermag der Rechtsprechung des BSG zur Notwendigkeit eines tatsächlichen Betreibens schon aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht zu folgen. 

(1) Bereits die Herleitung der Begründung des BSG für seine Entscheidung vom 22.03.2012 überzeugt nicht.

So betont das BSG (a.a.O., Rn. 13 a.E.), dass allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach die Rechtsfolge des § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II, also den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, nach sich zieht. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Ausbildungsförderleistung eingetreten sind, bleiben demgegenüber außer Betracht.

Für die Bestimmung, was als "dem Grunde nach" gilt, will das BSG dabei ausweislich Rn. 14 der genannten Entscheidung und unter Bezugnahme auf frühere Urteile vom 19.08.2010 (Az.: B 14 AS 24/09 R, Rn. 16) und 27.09.2011 (Az.: B 4 AS 145/10 R, Rn. 15) abschließend auf § 2 BAföG abstellen (mit Ausnahmen für § 2 Abs. 6 und §§ 3, 5 und 6 BAföG). Dies bedeutet aus hiesiger Sicht nichts anderes, als dass Aspekte, die in anderen Vorschriften des BAföG abgehandelt werden, konsequenterweise als "individuell" und damit unbeachtlich gelten sollen. 

Eine Begründung für den aufgestellten Grundsatz enthält das Urteil des 14. Senats vom 19.08.2010 in Rn. 15 f. nur in eher apodiktischer Form, indem unter Bezugnahme auf eine Literaturstelle zu § 2 BAföG sinngemäß dessen abschließende Maßgeblichkeit für das, was als abstrakt förderungsfähige Ausbildung i.S.d. BAföG und damit zugleich als dem Grunde nach förderungsfähig i.S.d. § 7 Abs. 5 SGB II anzusehen ist, einfach behauptet wird. Eine eigenständige Begründung wird vom 4. Senat weder in seinem Urteil vom 27.09.2011 noch in demjenigen vom 22.02.2012 angeboten.

Eine nähere Prüfung, ob der für § 7 Abs. 5 SGB II aufgestellte Grundsatz in dieser Form überhaupt belastbar ist, erfolgt nicht. Dies wäre aber durchaus sinnvoll gewesen (u.a. wegen des Themas "Teilzeitstudium", s.u.). Es darf nicht übersehen werden, dass § 2 BAföG neben den abstrakt förderfähigen inländischen Ausbildungsarten auch weitere Förderungsvoraussetzungen regelt, die einerseits zusätzliche Anforderungen an die Merkmale der abstrakt förderfähigen Ausbildung enthalten, und andererseits personenbezogene Anforderungen an die Förderung formuliert, die sonst in Abschnitt II (§§ 8 - 10 BAföG) geregelt sind (vgl. Preisner, in: jurisPK-BAföG, § 2 Rn. 9, Stand: 15.04.2023).

Das eigentlich Fatale des Urteils vom 22.03.2012 besteht nun darin, dass hier erstmals ausdrücklich auch das tatsächliche Betreiben der Ausbildung - ein irgendwie doch recht individuell anmutender Umstand - exklusiv unter § 2 BAföG gepackt und damit für "grundsätzlich" i.S.d. § 7 Abs. 5 SGB II erklärt wird. Was BAföG-intern unter Bezugnahme auf die auch vom BSG benannte Rechtsprechung des BVerwG (Urteile vom 30.03.1978, Az.: V C 20.76, und 26.10.1978, Az.: V C 41.77) noch seine Berechtigung haben mag, wirkt mit Blick auf § 7 Abs. 5 SGB II doch recht künstlich. 

Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass dem Umstand des tatsächlichen Betreibens insbesondere bei Hochschulausbildungen eine Doppelrelevanz zukommt, d.h. er ist nicht exklusiv nur von "grundsätzlicher" Bedeutung. So taucht der vom BSG thematisierte Besuch einer Ausbildungsstätte (und das vom BSG im Gefolge des BVerwG hierunter auch subsumierte Betreiben der Ausbildung) mitnichten nur in § 2 Abs. 1 BAföG auf. Ebenso spielt dies auch eine erhebliche Rolle in § 9 BAföG. Dort heißt es in Abs. 1 und 2: 

(1) Die Ausbildung wird gefördert, wenn die Leistungen des Auszubildenden erwarten lassen, dass er das angestrebte Ausbildungsziel erreicht.

(2) Dies wird in der Regel angenommen, solange der Auszubildende die Ausbildungsstätte besucht oder an dem Praktikum teilnimmt und bei dem Besuch einer Höheren Fachschule, Akademie oder Hochschule die den jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen entsprechenden Studienfortschritte erkennen lässt. Hierüber sind die nach § 48 erforderlichen Nachweise zu erbringen.

Konsequenterweise vertritt das LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 13.09.2018, Az.: L 19 AS 491/17, Rn. 50) daher die Auffassung, dass es für den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II a.F. lediglich auf die Förderungsfähigkeit der Ausbildung als solcher und nicht auf die Eignung des Auszubildenden (vgl. § 9 Abs. 1 und 2 BAföG) ankommt. Es sei ohne Belang, ob der Kläger im streitbefangenen Zeitraum das Studium derart betrieben habe, dass er mit einer gewissen Regelmäßigkeit Prüfungsleistungen abgelegt hat und inwiefern er durch das Studium tatsächlich in Anspruch genommen worden ist. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung, also in förderungsrechtlicher Sicht zu beachten seien, wie z.B. das Nichtbetreiben des Studiums, auch auf Grund gesundheitlicher Einschränkungen, blieben in grundsicherungsrechtlicher Sicht außer Betracht.

Das LSG Nordrhein-Westfalen verweist für seine Auffassung u.a. auf ein früheres Urteil des 4. Senats des BSG vom 01.07.2009 (Az.: B 4 AS 67/08 R). 

Und in der Tat ist die dortige Rn. 14 (a.E.) auch nach Auffassung des erkennenden Gerichts in genau diesem Sinne zu verstehen.

Umso mehr verwundert es, dass sich der 4. Senat in seinem Urteil vom 22.03.2012 zu keiner Auseinandersetzung mit seinem früheren Urteil vom 01.07.2009 gedrängt sah, obwohl hierzu offenkundig konkreter Anlass bestanden hätte. 

Dass etwas mit der These von der alleinigen/wesentlichen Maßgeblichkeit von § 2 BAföG für die grundsätzliche Förderfähigkeit im Rahmen von § 7 Abs. 5 SGB II nicht stimmen kann, belegt auch ein Blick auf das Thema "Teilzeitstudium". 

Für eine Teilzeitausbildung - und damit auch für ein Teilzeitstudium - wird wegen § 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 BAföG keine Ausbildungsförderung nach dem BAföG geleistet (vgl. Nolte, in: Ehmann/Karmanski/Kuhn-Zuber, Gesamtkommentar Sozialrechtsberatung, 3. Aufl. (2023), BAföG, § 2 Rn. 30 m.w.N.).

Das BSG müsste daher, wenn es denn konsequent der eigenen Rechtsprechung folgt, zu dem Ergebnis kommen, dass ein Teilzeitstudium nicht zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II führt. Die Literatur kommt jedenfalls zu diesem Ergebnis (vgl. Nolte, a.a.O., BAföG, § 1 Rn. 7). 

Insoweit wird vom LSG Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 29.09.2015 (Az.: L 31 AS 2074/15 B ER, Rn. 24) durchaus nachvollziehbar bemängelt, dass allein durch richterliche Rechtsfortbildung die gesamte Konzeption der Ausbildungsförderung so wie sie im BAföG zum Ausdruck kommt, ad absurdum geführt wird. Dem BAföG liegt ersichtlich die Konzeption zugrunde, dass die öffentliche Hand bei Bedürftigkeit der Studierenden nicht grenzenlos für die Durchführung des Studiums aufkommen sollte, sondern nur in mehr oder weniger engen zeitlichen und finanziellen Grenzen (siehe z.B. Altersgrenze, Förderungshöchstdauer, Rückzahlungspflicht). Ließe man Studierenden nun nach, das Studium durch Reduzierung auf Teilzeit abstrakt der Förderfähigkeit des BAföG zu entziehen und so weiter in den Genuss öffentlicher Förderung - nämlich von SGB II-Leistungen - ohne Rückzahlungspflicht zu gelangen, wären die Fördergrenzen des BAföG wirkungslos, die vom Grundsatz her zeitlich grenzenlose Förderung ohne Rückzahlungsverpflichtung, die ganz offensichtlich nicht dem Willen des Gesetzgebers entspricht, installiert.

Ob hiervon bei einem Teilzeitstudium aus zwingenden gesundheitlichen Gründen wiederum eine Ausnahme zu machen wäre (so wie etwa das LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.01.2023, Az.: L 9 AS 2924/22, Rn. 34, dies tun möchte), braucht das erkennende Gericht nicht abschließend zu klären, nachdem es sich bei dem Studium des Klägers eindeutig um ein von der Universität vorgesehenes Vollzeitstudium handelt (siehe hierzu auch die Immatrikulationsbescheinigung betreffend das Sommersemester 2023 auf Bl. 80 der Gerichtsakte). 

(2) Auch in der Rechtsprechung des BVerwG zum BAföG, welche nach Meinung des BSG (Urteil vom 22.03.2012, a.a.O., Rn. 14) doch maßgebend auch für die Auslegung des Begriffs der dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung im Rahmen von § 7 Abs. 5 SGB II sein soll, finden sich Anhaltspunkte, dass ein Nichtbetreiben unbeachtlich sein kann.

So weist das Sächs. OVG (Urteil vom 17.02.2014, Az.: 1 A 790/12, Rn. 21 f.) unter Bezugnahme auf ein Urteil des BVerwG vom 03.06.1988 (Az.: 5 C 59/85, Rn. 22) und das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung darauf hin, dass es deshalb in der Regel nicht von Bedeutung sei, ob ein Student tatsächlich an Lehrveranstaltungen teilnehme oder Lernerfolge erziele. 

In der genannten Entscheidung des BVerwG heißt es in Rn. 22 a.E. so schön: "Wer sich darauf berufen will, nicht studiert zu haben, kann dies grundsätzlich nur in den hochschulrechtlich hierfür zugelassenen Formen und zu den vorgesehenen Bedingungen, nämlich durch Beurlaubung."

Das sieht das erkennende Gericht auch so.

Und konsequenterweise sollte die retrospektive Feststellung des BVerwG auch prospektiv verstanden werden dürfen.

(3) Interessant ist auch die Rechtsprechung und Literatur zu § 22 Abs. 1 S. 1 SGB XII, was die sozialhilferechtliche Parallelvorschrift zu § 7 Abs. 5 S. 1 SGB II darstellt.

Hier wird vom LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 15.01.2010, Az.: L 23 AY 1/07, Orientierungssatz 2 bzw. Rn. 31) die praxisnahe Auffassung vertreten, dass die Anwendung des § 22 Abs. 1 SGB XII auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn lediglich eine "pro-forma-Immatrikulation" vorliegt. Denn ob § 22 SGB XII greift, ist allein nach den objektiven Verhältnissen (Immatrikulation) zu beurteilen. An der Grundvoraussetzung für eine Förderung nach dem BAföG, dem Besuch einer Ausbildungsstätte, fehlt es während des Bestehens der formalen Immatrikulation nur, wenn und solange der Auszubildende von der Ausbildungsstätte beurlaubt ist. 

Dieser Auffassung folgt auch Schlette (in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 22 Rn. 13, Stand: 5. EL 2023).

Überraschend ist die Kommentierung von Voelzke zu § 22 in jurisPK-SGB XII (Stand: 05.12.2022). 

In Rn. 29 (a.E.) scheint er sich zunächst vorbehaltlos der Meinung des LSG Berlin-Brandenburg anzuschließen. 

In Rn. 36 dagegen will er die bloße Immatrikulation für den Leistungsausschluss dagegen nicht mehr ausreichen lassen. Dies erscheint ihm auf einmal zweifelhaft, weil es auch in diesen Fällen an einem tatsächlichen Besuch der Ausbildungsstätte fehle. Die restriktive Handhabung dürfte wohl mit den zu befürchtenden Nachweisschwierigkeiten zusammenhängen. Dies rechtfertige es jedoch nicht, dem "Scheinstudenten" von vornherein nicht den Nachweis zu eröffnen, er betreibe das Studium nicht. 

Zur Erinnerung: Bei Voelzke handelt es sich um den seinerzeitigen Vorsitzenden des 4. Senats des BSG, welcher das weiter oben bereits erwähnte Urteil vom 22.03.2012 (Az.: B 4 AS 102/11 R) sicherlich wesentlich mitgeprägt hat. 

Anders als der 4. Senat des BSG ist das erkennende Gericht durchaus der Meinung, dass es absolut gerechtfertigt ist, im Interesse der Rechtsklarheit den jeweiligen Betroffenen an seinen hochschulrechtlichen Erklärungen (Immatrikulation und Rückmeldung) festzuhalten.

(4) Vielleicht gilt hinsichtlich des vom 4. Senat des BSG entschiedenen Falls auch einfach nur: "bad cases make bad law"?

In dem genannten Fall ging es um ein Urlaubssemester, welches aber letztlich nur dazu dienen sollte, sich auf eine spätere universitäre Abschlussprüfung länger vorbereiten zu können. Eine solche Gestaltung eines Urlaubssemesters dürfte an dem eigentlichen Sinn eines solchen zwar vorbeigehen; nach § 20 Abs. 3 SächsHSG in der damals geltenden Fassung (heute: § 21 Abs. 3 SächsHSG) sollte es beurlaubten Studenten gleichwohl ermöglicht werden, an der Hochschule, von der die Beurlaubung ausgesprochen wurde, Studien- und Prüfungsleistungen zu erbringen.

Nun gilt im Allgemeinen, dass während eines Urlaubssemesters eine BAföG-Förderfähigkeit entfällt, weil es dann an einem Besuch einer Ausbildungsstätte i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 BAföG fehlt (Nolte, a.a.O., BAföG, § 2 Rn. 21 und § 15 Rn. 3; Palsherm, in: jurisPK-SGB I, § 18 Rn. 14, Stand: 17.02.2020).

Dies legt wiederum ein Nichteingreifen von § 7 Abs. 5 SGB II und damit eine entsprechende Leistungsmöglichkeit von Arbeitslosengeld II bzw. Bürgergeld nahe. 

Das erkennende Gericht kann nachvollziehen, dass es das Anliegen des BSG gewesen sein dürfte, Nutzer von solcherlei "unechten" Urlaubssemestern nicht in den Genuss von SGB II-Grundsicherungsleistungen kommen zu lassen. Hierfür wäre es aber nicht erforderlich gewesen, weit über das Thema "Urlaubssemester" hinausgehende Grundsätze aufzustellen bzw. aufrechtzuerhalten, welche beim Thema "Teilzeitstudium" dann zu völlig sinnwidrigen Ergebnissen führen (s.o.).

(d) Der Kläger ist für die Zukunft darauf hinzuweisen, dass es ihm grundsätzlich jederzeit freisteht, seine Exmatrikulation zu beantragen, womit das Leistungshindernis des § 7 Abs. 5 SGB II ausgeräumt wäre. Wie sich aus Art. 94 Abs. 2 BayHIG i.V.m. § 19 Abs. 1 S. 1 der Immatrikulationssatzung der Universität  C-Stadt ergibt, wirkt die vom Studenten beantragte Exmatrikulation mit Wirkung ex nunc.

4. Ist nach den vorstehenden Ausführungen die Leistungsberechtigung des Klägers schon wegen des Umstands der Immatrikulation aktuell zu verneinen und kommt es auf ein Betreiben des Studiums nicht an (abgesehen von dem hier nicht streitgegenständlichen Sonderfall eines Urlaubsemesters), kann vom erkennenden Gericht offen gelassen werden, ob der Kläger aus medizinischer Sicht noch studierfähig ist oder nicht. 

II. Der Kläger hat keine ausreichenden Umstände mitgeteilt, die einen Leistungsanspruch zumindest nach § 27 SGB II begründen würden. 

Ein Mehrbedarf i.S.d. §§ 27 Abs. 2, 21 Abs. 3 SGB II (d.h. für Alleinerziehende) wurde im Leistungsantrag vom 12.10.2022 zwar durch Ankreuzen der entsprechenden Stelle im Antragsformular geltend gemacht.

Einen entsprechenden Anspruch hat der Kläger jedoch nicht:

Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist gem. § 21 Abs. 3 SGB II ein Mehrbedarf anzuerkennen

1. in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder

2. in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Abs. 2 maßgebenden Regelbedarfs.
Der Hilfebedürftige sorgt allein für Pflege und Erziehung des Kindes, wenn er allein die umfassende Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes hat und ein anderer dabei nicht in erheblichem Umfang gleichberechtigt mitwirkt (Köhler, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 21 Rn. 40 m.w.N., Stand: April 2020).
Alleinerziehung liegt auch vor, wenn die Pflege und Erziehung zwischen den getrennt lebenden Elternteilen im Wechsel aufgeteilt ist und sich das Kind abwechselnd bei dem jeweiligen Elternteil aufhält. Allerdings muss ein Elternteil dabei zumindest in hälftigem zeitlichem Umfang für die Pflege und Betreuung des Kindes zuständig sein, um Anspruch auf die Leistung wegen Mehrbedarf zu haben. Dabei müssen sich die Eltern in größeren, mindestens eine Woche umfassenden Intervallen abwechseln und die anfallenden Kosten in etwa hälftig teilen. Jedem Elternteil steht der Mehrbedarf dann zur Hälfte zu (Köhler, a.a.O., Rn. 43 m.w.N.).

Im Fall der Tochter des Klägers wird die elterliche Sorge allein von der Kindsmutter ausgeübt, der Kläger hat lediglich ein Umgangsrecht. Dieses erreicht nicht einen zeitlich hälftigen Umfang im Vergleich zum Aufenthalt bei der Kindsmutter.

Ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung steht dem Kläger daher nicht zu.

Auch ein Leistungsanspruch nach § 27 Abs. 3 SGB II besteht nicht.

Nach der genannten Vorschrift können Leistungen für Regelbedarfe, den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7, Bedarfe für Unterkunft und Heizung, Bedarfe für Bildung und Teilhabe und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Darlehen erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 eine besondere Härte bedeutet. Eine besondere Härte ist auch anzunehmen, wenn Auszubildenden, deren Bedarf sich nach §§ 12 oder 13 Abs. 1 Nr. 1 des BAföG bemisst, auf Grund von § 10 Abs. 3 des BAföG keine Leistungen zustehen, diese Ausbildung im Einzelfall für die Eingliederung der oder des Auszubildenden in das Erwerbsleben zwingend erforderlich ist und ohne die Erbringung von Leistungen zum Lebensunterhalt der Abbruch der Ausbildung droht; in diesem Fall sind Leistungen als Zuschuss zu erbringen.

Der Begriff der besonderen Härte gemäß § 27 Abs. 3 S. 1 SGB II ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG, auf die auch das BSG in den letzten Jahren zurückgegriffen hat, liegt ein besonderer Härtefall vor, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden ist und auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maß unbillig, erscheinen lassen. In der Regel sind Hilfebedürftige, die dem Leistungsausschluss unterfallen, gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen (Bayer. LSG, Beschluss vom 23.07.2014, Az.: L 16 AS 457/14 B ER, Rn. 26 m.w.N. zu § 27 Abs. 4 SGB II a.F.).

Die sozialgerichtliche Rechtsprechung zum SGB II (vgl. hierzu im Folgenden LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.08.2022, Az.: L 12 AS 898/22 B ER, Rn. 32 - 34) nimmt einen besonderen Härtefall insbesondere in den folgenden Fallgruppen an:

* Es ist wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf entstanden, der nicht (mehr) durch BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe (BAB), eigenes Einkommen, familiäre Unterstützung oder sonstige Finanzierungsquellen gedeckt werden kann, und es besteht deswegen begründeter Anlass zu der Annahme, dass die vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet werden kann und das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit droht. Hierbei muss die durch objektive Gründe belegbare Aussicht bestehen (z.B. durch Meldung zur Prüfung, wenn alle Prüfungsvoraussetzungen erfüllt sind), dass die Ausbildung mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in absehbarer Zeit abgeschlossen wird.

* Eine bereits weit fortgeschrittene, bisher kontinuierlich betriebene Ausbildung ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung, Krankheit oder der Geburt eines Kindes gefährdet, wobei die Behinderung oder Krankheit nur in Bezug auf die Verzögerung der Ausbildung angeführt werden können und hinzukommen muss, dass die Ausbildung in absehbarer Zeit zu Ende gebracht wird.

* Nur eine nach den Vorschriften des BAföG oder des SGB III förderungsfähige Ausbildung stellt objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt dar und der Berufsabschluss kann auch nicht auf andere Weise, insbesondere durch eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung erreicht werden.

Warum im Fall des Klägers keine besondere Härte i.S.d. § 27 Abs. 3 SGB II vorliegt, wurde bereits im Urteil der 18. Kammer des SG  Würzburg auf Seiten 7 - 9 eingehend dargelegt. 

Dort heißt es auszugsweise:

"Beim Kläger ist jedoch keine der vorgenannten Fallgruppen einschlägig. Zum einen ist die derzeitige Ausbildung des Studiums der Medizin nicht zwingend erforderlich, um eine berufliche Eingliederung zu erreichen, denn der Kläger hat bereits mehr als eine Ausbildung abgeschlossen. Zudem wohnt der Kläger kostenfrei bei seinen Eltern, außerdem stellt die bloße Unterschreitung des Lebensniveaus eines Beziehers von Leistungen nach dem SGB II für die oder den Auszubildenden noch keine besondere Härte dar. Außerdem ist nach Auffassung des Bundessozialgerichts, es Auszubildenden an Hochschulen grundsätzlich zumutbar, durch gelegentliche Nebentätigkeiten einen Verdienst zu erzielen, der ausreicht, den sozialhilferechtlichen Lebensunterhalt abzudecken. Außerdem steht die Ausbildung des Klägers nicht kurz vor dem Ende, im Gegenteil hat der Kläger nun schon zum wiederholten Male ein Urlaubssemester eingelegt. Er befindet sich mittlerweile bereits im 7. bzw. 8.Semester und hat sich noch nicht einmal zur Prüfung des Physikums angemeldet, ein Ende des Medizinstudiums ist nach eigenen Angaben nicht absehbar. 

Der Kläger hat auch in keinster Weise nachgewiesen, dass die aktuelle Ausbildung zwingend erforderlich für eine Eingliederung in das Berufsleben ist. Weder hat der Kläger einen Arbeitsplatz nach Ende der Ausbildung in Aussicht, für den er die aktuelle Ausbildung zwingend benötigt, noch ist nachgewiesen, dass der Kläger mit den bisherigen abgeschlossenen Ausbildungen nicht vermittelbar wäre. Die dem Gericht hierzu vorgelegten erfolglosen Bewerbungen um Stellen, sind gänzlich ungeeignet, nachzuweisen, dass der Kläger in seinem erlernten Beruf auf dem Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen könnte, weil die erfolgte Ausbildung nicht hinreichend wäre. Soweit u.a. eine Bewerbungsabsage der Universität  C-Stadt vom 28.06.2021 (Bl. 40 Gerichtsakte) vorgelegt worden ist, deren Stellen-Anforderungsprofil offenbar überhaupt nichts mit den vorhandenen Abschlüssen des Klägers zu tun hat, ist der Kammer unerfindlich, welchen Zweck solche Bewerbungen haben und was die Vorlage derselben bei Gericht nachweisen soll. 

Der Kläger hat der Kammer jedenfalls keine ausreichenden Nachweise erbracht, dass eine Eingliederung in den Arbeitsmarkt nur mit der angestrebten Zusatzausbildung möglich ist. Die spekulativen Annahmen des Klägers, nur mit dem abgeschlossenen Studium der Humanmedizin wäre eine Integration auf den Arbeitsmarkt für ihn möglich, entbehren jeder nachvollziehbaren Grundlage. 

Weitere Anhaltspunkte, aus denen sich das Vorliegen einer besonderen Härte ergeben könnte, hat die Kammer keine."

Diesen Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht an. Wesentliche Änderungen haben sich seitdem nicht ergeben.

In der Begründung der Klage finden sich keine neuen Aspekte, welche eine abweichende Sicht zu § 27 SGB II rechtfertigen könnten.

Soweit von Seiten des Klägers auf den Wegfall des Einkommens aus der Tätigkeit als studentische Hilfskraft hingewiesen wird, ändert dies nichts an der fehlenden Perspektive eines zeitnahen erfolgreichen Abschlusses der laufenden Ausbildung. Deren Ende prognostiziert der Kläger ausweislich der entsprechenden Angabe auf Seite 3 in dem beim Beklagten eingereichten Leistungsantragsformular vom 12.10.2022 erst für März 2028. 

B. Aus den genannten Gründen war die Klage abzuweisen.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.

 


 

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