L 11 KR 3426/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 7 KR 1636/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3426/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.10.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung der Kosten einer zahnärztlichen Behandlung in Höhe von 1.667,58 € streitig.

Die 1979 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich krankenversichert. Der G1 stellte der Klägerin am 03.07.2018 einen privaten Heil- und Kostenplan (HKP) für eine Wurzelbehandlung des Zahnes 25 mit voraussichtlichen Gesamtkosten i.H.v. 700,67 € aus (Bl. 56 der Verwaltungsakten). Für die geplante Resektion der Wurzelspitze bei Zahn 25 stellte G1 unter dem 24.07.2018 einen weiteren privaten HKP mit voraussichtlichen Gesamtkosten in Höhe von 1.153,55 € aus (Bl. 52 der Verwaltungsakten). Dieser wurde der Klägerin mit Begleitschreiben vom 24.07.2018 von der Zahnarztpraxis übersandt, in dem darauf hingewiesen wurde, dass die gesetzliche Krankenkasse sich an dieser Behandlung nicht beteilige.

Am 06.07.2018 und 16.07.2018 erfolgte die Wurzelbehandlung des Zahnes 25, am 30.07.2018 die Resektion der Wurzelspitze des Zahnes 25, die Operation einer Zyste, das Auffüllen von parodontalen Knochendefekten sowie der Abschluss der Wurzelbehandlung, am 31.07.2018, 02.08.2018, 03.08.2018, 06.08.2018 und 10.08.2018 fanden Kontrolluntersuchungen statt. G1 stellte der Klägerin unter dem 14.09.2018 (Bl. 47 der Verwaltungsakten) für diese zahnärztlichen Behandlungen insgesamt 1.667,58 € in Rechnung. Die histopathologische Untersuchung der am 30.07.2018 durch G1 entnommenen Zyste ergab den Nachweis eines mesenchymalen Chondrosarkoms im oberen Kiefer links, das in der K1 am 18.09.2018 operiert wurde (Bl. 42 der Verwaltungsakten).

Am 27.07.2018 sprach die Klägerin bei der Beklagten mit den HKP für die Wurzelbehandlung und die Wurzelspitzenresektion vor. Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten ergab die telefonische Rücksprache bei dem Zahnarzt die Auskunft, dass der Zahn normalerweise extrahiert werde. Der Behandlungserfolg sei fraglich. Deshalb werde die Wurzelbehandlung und die Wurzelspitzenresektion privat berechnet. Daraufhin wurde die Klägerin durch die Beklagte über diesen Sachverhalt informiert. Die Klägerin kündigte an, sich nochmals mit ihrem in Verbindung zu setzen, ggf. eine Zweitmeinung einzuholen.

Mit E-Mail vom 16.09.2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten aus der Zahnarztrechnung vom 15.09.2018. Mit Bescheid vom 18.09.2018, der keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält (Bl. 44 der Verwaltungsakten), lehnte die Beklagte den Antrag ab. In den Behandlungsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungs-RL) sei geregelt, unter welchen Voraussetzungen eine Wurzelbehandlung übernommen werden könne. Diese Voraussetzungen lägen bei der Klägerin nicht vor.

Mit E-Mail vom 15.10.2018 wandte sich die Klägerin erneut an die Beklagte. Es gehe um die OP, die von G1 durchgeführt worden sei. Hätte er die Wurzelresektion nicht durchgeführt und das „Gewebe“ nicht eingeschickt, wüsste sie bis heute nicht, dass sie einen bösartigen Tumor habe. Aus dem weiteren Verlauf könne die Beklagte entnehmen, dass der Tumor selbst nach der Resektion durch G1 noch vorhanden gewesen sei und das Städtische Klinikum die große OP habe durchführen müssen. Sie könne sich nicht vorstellen, dass es in ihrem Fall keine Übernahmemöglichkeit der Arztrechnung gebe.

Mit Schriftsatz vom 16.01.2019 schaltete sich der Bevollmächtigte der Klägerin ein. Die zahnärztliche Behandlung sei medizinisch angezeigt gewesen. Sie habe dem Erhalt der Zähne bzw. der Zahnreihe gedient. Die Behandlung sei insgesamt in Einklang mit den Behandlungs-RL erfolgt. Im Übrigen enthalte die streitgegenständliche zahnärztliche Rechnung nicht lediglich die Position der Wurzelbehandlung. Am 29.01.2019 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 18.09.2018 Widerspruch ein (Bl. 26 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein. Der MDK nahm durch die S1 unter dem 06.03.2019 (Bl. 13 der Verwaltungsakte) dahingehend Stellung, dass die Wurzelbehandlung an Zahn 25 zu Recht als Privatleistung erfolgt sei, alle abgerechneten Leistungspositionen Privatleistungen darstellten, die Behandlungs-RL des GBA korrekt ausgelegt worden seien. In der Regel sei die Entfernung des Zahnes angezeigt, wenn er nach den in der Behandlungs-RL beschriebenen Kriterien erhaltungsfähig sei. Ein nicht erhaltungswürdiger Zahn solle entfernt werden. Verdächtige bzw. pathologische Befunde würden regelhaft einer histopathologischen Untersuchung zugeführt. Dies sei unabhängig von der zunächst gewählten Therapiemethode (Zahnextraktion oder Wurzelspitzenresektion). Im Vorfeld der Wurzelkanalbehandlung bzw. Wurzelspitzenresektion habe die Klägerin das Einverständnis für die geplanten Behandlungsmaßnahmen nach den privaten Kostenvoranschlägen unter dem 24.07.2018 und 03.07.2018 erteilt. Die Klägerin sei nach Auswertung der vorliegenden Unterlagen über den Sachverhalt aufgeklärt worden.

Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2019 den Widerspruch als unbegründet zurück (Bl.1 der Verwaltungsakten). Nachdem der Bescheid vom 18.09.2018 keine Rechtsbehelfsbelehrung aufgewiesen habe, sei der Widerspruch fristgerecht erfolgt. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bestehe nicht. Die Vorschrift des § 13 Abs. 3 SGB V könne die Grenzen des Anspruchs auf Leistungen nicht erweitern, sondern setze einen Leistungsanspruch voraus. Ein solcher bestehe nicht. Der Anspruch auf zahnärztliche Leistungen werde durch die Behandlungs-RL des GBA konkretisiert. Nach B.VI.2 III Nr. 9 Behandlungs-RL sei eine Wurzelbehandlung angezeigt, wenn damit eine geschlossene Zahnreihe erhalten werden könne, eine einseitige Freiendsituation vermieden werde oder der Erhalt von funktionstüchtigem Zahnersatz möglich werde. Nach B.VI.2 III Nr. 10 Behandlungs-RL sei in der Regel die Entfernung eines Zahnes angezeigt, wenn er nach den in diesen Richtlinien beschriebenen Kriterien nicht erhaltungsfähig sei. Ein Zahn, der nicht erhaltungswürdig sei, solle entfernt werden. Eine andere Behandlung von nicht erhaltungswürdigen Zähnen sei nicht Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung. Sowohl der behandelnde Zahnarzt als auch der MDK seien übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, dass die gewünschte Wurzelbehandlung nicht den Bestimmungen der Richtlinie entsprochen habe und deshalb keine Vertragsleistung der gesetzlichen Krankenversicherung darstelle. Die Klägerin sei von ihrem behandelnden Zahnarzt darüber informiert worden. Trotzdem habe sie die Durchführung der Wurzelbehandlung als Privatleistung gewünscht.

Dagegen hat die Klägerin am 08.05.2019 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie habe am 03.07.2018 in der Praxis des G1 wegen Zahnschmerzen am Backenzahn 25 vorgesprochen. G1 habe einen Abszess festgestellt, behandelt und die entsprechende Stelle geröntgt. Bezüglich der weiteren Vorgehensweise habe G1 ihr erläutert, dass er eine Wurzelkanalbehandlung durchführen würde. Diese Behandlung sei ihr im Vergleich zur bestehenden Alternative, der Ziehung des Zahnes, favorisiert und empfohlen worden. G1 habe sie darauf hingewiesen, dass aus seiner Sicht die Kostentragung seitens der gesetzlichen Krankenkasse nicht gesichert sei und er die Behandlung als private Behandlung durchführen werde. Erst mit Schreiben vom 18.09.2018 habe die Beklagte der Klägerin mitgeteilt, dass eine Kostenbeteiligung abgelehnt werde. Im Gesamtzusammenhang dürfe nicht unerwähnt bleiben, dass G1 im Rahmen der durchgeführten Wurzelbehandlung einen bösartigen Knochentumor entdeckt habe, der im weiteren Verlauf operativ entfernt worden sei. Die Voraussetzungen der Behandlungs-RL lägen vor. Die Behandlung des Zahnes 25 habe dazu gedient, diesen sowie die geschlossene Zahnreihe zu erhalten. Der betroffene Zahn sei erhaltungsbedürftig und auch erhaltungswürdig gewesen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Der behandelnde Zahnarzt habe der Klägerin zwar die Wurzelbehandlung empfohlen, aber gleichzeitig darauf hingewiesen, dass es sich dabei um eine Leistung handele, die über die ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Kassenleistung hinausgehe. Trotzdem habe die Klägerin die über die Vertragsleistung hinausgehende Behandlung gewünscht und sich verpflichtet, deren Kosten selbst zu tragen. Sie habe entsprechende Patientenerklärungen vom 03.07.2018 und 24.07.2018 unterzeichnet. Die Klägerin habe am 27.07.2018, also nach Beginn der Behandlung am 06.07.2018, persönlich bei der Beklagten wegen der Übernahme der Behandlungskosten nachgefragt. Nach Rücksprache mit der Zahnarztpraxis sei die Klägerin darüber informiert worden, dass es sich um keine Kassenleistung handele. Unbestritten sei, dass durch die durchgeführte Wurzelbehandlung ein bösartiger Knochentumor festgestellt worden sei. Wenn der Zahn im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung gezogen worden wäre, wäre im weiteren Verlauf der Tumor ebenfalls festgestellt worden. Außerdem gehe es vorliegend nicht um die Diagnostik betreffend den Knochentumor, sondern um die Kostenerstattung einer nicht vertragsgerechten zahnärztlichen Behandlung. Auch lägen die Voraussetzungen der Behandlungs-RL nicht vor. Schließlich habe die Klägerin den Beschaffungsweg nicht eingehalten. Der Antrag sei erst nach Beginn der Behandlung am 06.07.2018 bei der Beklagten eingegangen.

Das SG hat den behandelnden G1 schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. G1 hat mit Schreiben vom 13.11.2019 (Bl. 70 der SG-Akte) berichtet, dass die Klägerin am 03.07.2018 sich mit Schmerzen und einer massiven Schwellung in der Region des Zahnes 25 vorgestellt habe. Zahn 25 sei leblos und stark klopfempfindlich gewesen. Auf dem angefertigten Röntgenbild sei eine sehr große apikale Ostitis (Knochenentzündung) zu sehen gewesen. Außerdem sei die Wurzelspitze von Zahn 25 „anresorbiert“ gewesen. Als sofortige Schmerzbehandlung habe er den Abszess gespalten. Er habe die Klägerin über die Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt: Extraktion des Zahnes 25 als Kassenleistung oder der Versuch einer endodontischen Behandlung, wobei die Erfolgsprognose dieser Behandlung aufgrund der Ausgangssituation fraglich gewesen sei. Daher habe die Behandlung nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse abgerechnet werden dürfen und privat berechnet werden müssen. Die Versicherte habe sich für den Erhalt des Zahnes und für eine Wurzelbehandlung entschieden. Nach Beginn der Wurzelbehandlung sei der Zahn 25 am 20.07.2018 erneut untersucht worden. Zu diesem Zeitpunkt sei der Zahn immer noch nicht völlig beschwerdefrei gewesen. Zum Versuch des Zahnerhalts habe er der Klägerin eine Wurzelspitzenresektion zeitgleich mit der Wurzelfüllung vorgeschlagen. Da die Prognose nach wie vor nicht gut gewesen sei, sei auch die Wurzelspitzenresektion privat berechnet worden. Alternativ dazu hätte der Zahn entfernt werden können. Die Klägerin habe sich für den Versuch des Zahnerhalts entschieden und sei mit den privaten Kosten einverstanden gewesen. Zu Beginn der Wurzelbehandlung bei Zahn 25 seien die Voraussetzungen für eine Abrechnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse nicht gegeben gewesen. Die Behandlungs-RL B III Nr. 9.4 und Nr.  10 sei nicht gegeben gewesen. Zum Zeitpunkt der Besprechung der Weiterbehandlung von Zahn 25 am 20.07.2018 sei die Prognose auf einen Zahnerhalt weiterhin nicht vorhersehbar gewesen. Die Kosten für eine Wurzelspitzenresektion seien nicht über die gesetzliche Krankenkasse abrechenbar gewesen. Zudem sei B IV Nr. 3f der Behandlungs-RL zu beachten. Danach ergebe sich die Notwendigkeit zur Zahnextraktion aus Befund und Diagnose. Die Zahnextraktion könne angezeigt sein bei schlechter Prognose anderer Maßnahmen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.10.2022 abgewiesen. Das SG hat auf die Begründung des Widerspruchsbescheids verwiesen und ergänzend angemerkt, dass auch nach Ansicht des die Klägerin behandelnden die Voraussetzungen für eine Abrechnung mit der gesetzlichen Krankenkasse bei beiden Behandlungsmaßnahmen (Wurzelkanalbehandlung und Wurzelspitzenresektion) nicht vorgelegen hätten. Auch nach Auffassung des behandelnden Zahnarztes habe sich die Notwendigkeit der Zahnextraktion aus Befund und Diagnose ergeben.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 09.11.2022 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer am 06.12.2022 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der sie ihr Erstattungsbegehren weiterverfolgt und ihren Vortrag wiederholt hat. Nach Abschnitt B IV. 3 seien Wurzelspitzenresektionen indiziert und gölten als in der Regel angezeigt, wenn damit eine geschlossene Zahnreihe erhalten werden könne. Im Übrigen verkenne das SG die Auskunft des behandelnden. Dieser habe mit seiner Auskunft zum Ausdruck gebracht, dass er aus seiner - nichtjuristischen - Sicht eine eventuelle Abrechnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse als schwierig angesehen habe. Gleichwohl habe er empfohlen, zum Erhalt des Zahnes eine Wurzelbehandlung durchzuführen.

Die Klägerin beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.10.2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.04.2019 zu verurteilen, an die Klägerin 1.667,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf ihre getroffene Entscheidung sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erteilt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), hat keinen Erfolg.

1. Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig.

2. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 18.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2019 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Erstattung der Kosten für die zahnärztliche Behandlung durch G1 gemäß Rechnung vom 14.09.2018 i.H.v. 1.667,58 € abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und begehrt die Erstattung der ihr entstandenen Kosten.


3. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Der Bescheid vom 18.09.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der ihr entstandenen Aufwendungen für die zahnärztliche Behandlung durch G1 gemäß Rechnung vom 14.09.2018 i.H.v. 1.667,58 €.

a. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ergibt sich zunächst nicht aus § 13 Abs. 2 SGB V, da die Klägerin nicht das Kostenerstattungsverfahren gewählt hatte. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 SGB V können Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen. Hierüber haben sie ihre Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis zu setzen (§ 13 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Dabei ist eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen möglich (§ 13 Abs. 2 Satz 4 SGB V). Die Versicherten sind an ihre Wahl der Kostenerstattung mindestens ein Kalendervierteljahr gebunden (§ 13 Abs. 2 Satz 12 SGB V). Eine entsprechende Erklärung hat die Klägerin vorliegend nicht abgegeben.

b. Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind ebenfalls nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Erstattung von Kosten für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Fall 1) oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Fall 2) und dem Versicherten dadurch für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Ein Anspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V setzt in beiden Regelungsalternativen einen entsprechenden Primärleistungsanspruch voraus, also einen Sach- oder Dienstleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse, und geht in der Sache nicht weiter als ein solcher Anspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. z.B. Bundessozialgericht <BSG> 24.09.1996, 1 RK 33/95, BSGE 79, 125; BSG 07.11.2006, B 1 KR 24/06 R, BSGE 97, 190; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26).

Beiden Varianten des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist zudem gemein, dass die Krankenkasse vor der Selbstbeschaffung mit dem Leistungsbegehren konfrontiert, mithin der sog. Beschaffungsweg eingehalten worden sein muss. Ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht nur, wenn zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht. Daran fehlt es bereits, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre. Daran fehlt es aber auch, wenn der Versicherte sich unabhängig davon, wie die Entscheidung der Krankenkasse ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn die Krankenkasse den Antrag ablehnen sollte (st. Rspr., z.B. BSG 08.09.2015, B 1 KR 14/14 R, juris, Rn. 9, m.w.N.; BSG 17.06.2008, B 1 KR 31/07 R, juris Rn. 14). Dies gilt auch in Fällen, in denen von vornherein feststeht, dass eine durch Gesetz oder Verordnung von der Versorgung ausgeschlossene Sachleistung verweigert werden würde, und sich der Versicherte dadurch gezwungen gesehen hat, die Leistung selbst zu beschaffen (vgl. BSG 17.06.2008, B 1 KR 31/07 R, juris Rn. 16; BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, juris Rn. 12; BSG 20.05.2003, B 1 KR 9/03 R, juris Rn. 19 m.w.N.). Nur bei einer Vorabprüfung können die Krankenkassen ihre - Gesundheitsgefahren und wirtschaftlichen Risiken vorbeugenden - Beratungsaufgaben erfüllen, die Versicherten vor dem Risiko der Beschaffung nicht zum Leistungskatalog gehörender Leistungen zu schützen, um gegebenenfalls aufzuzeigen, welche Leistungen anstelle der begehrten in Betracht kommen. Es ist nicht ausreichend, wenn der Versicherte sich - vor der rechtlichen Bindung oder vor der Inanspruchnahme - lediglich in irgendeiner Weise, z.B. telefonisch, bei der gesetzlichen Krankenkasse gemeldet und ihr die beabsichtigte Beschaffung mitgeteilt hat. Erforderlich ist vielmehr, dass sich der Versicherte vor der Beschaffung/rechtlichen Verpflichtung mit der Krankenkasse ins Benehmen setzt und deren Entscheidung abwartet (st. Rspr. des BSG 15.04.1997, 1 BK 31/96, juris; weitere Nachweise bei Helbig, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK 4. Aufl. 2022, § 13 SGB V Rn. 59 ff.). Denn die Krankenkasse muss die Möglichkeit der Ermittlung des Sachverhalts sowie der Prüfung der Sach- und Rechtslage erhalten und durch die für sie vorgesehene Entscheidungsform des Verwaltungsakts abschließen können.

Die Klägerin hat bereits den Beschaffungsweg nicht eingehalten. Sie hat wegen der hier streitigen zahnärztlichen Behandlungen (Wurzelbehandlung und Wurzelspitzenresektion) erstmals am 27.07.2018 bei der Beklagten vorgesprochen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin bereits gegenüber ihrem Zahnarzt die privatzahnärztlichen HKP für die Wurzelbehandlung sowie die Wurzelspitzenresektion akzeptiert und sich ausdrücklich für die privatzahnärztliche Behandlung entschieden. Sie hat sich unter dem 03.07.2018 und 24.07.2018 mit ihrer Unterschrift insbesondere verpflichtet, die Kosten dieser Behandlungen unter Zugrundelegung der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) selbst zu tragen. Die Wurzelbehandlung fand tatsächlich am 06.07.2018 und 16.07.2018 statt, mithin weit vor der Vorsprache am 27.07.2018. Die Entscheidung für die Wurzelspitzenresektion als privatzahnärztliche Leistung wurde von ihr am 24.07.2018 getroffen, als sie - nach Erläuterung der Therapieoptionen am 20.07.2018 - den privaten HKP sowie die Kostenverpflichtungserklärung unterschrieben hat, mithin ebenfalls vor dem erstmaligen Herantreten an die Beklagte.  


c. Auch scheitert der Erstattungsanspruch daran, dass die Klägerin gegen die Beklagte keinen Primärleistungsanspruch auf Wurzelbehandlung und Wurzelspitzenresektion am Zahn 25 hatte.

Gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V die zahnärztliche Behandlung. Gem. § 28 Abs. 2 Satz 1 SGB V umfasst die zahnärztliche Behandlung die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Gem. § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten, u.a. auch Richtlinien über die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz sowie kieferorthopädische Behandlung (§ 92 Abs. 1 Satz 2 SGB V), die die Leistungsansprüche der Versicherten näher ausgestalten und konkretisieren. Die Behandlungs-RL in der hier maßgeblichen Fassung vom 18.06.2006 (BAnz 2006, Nr. 111, S. 4466) sieht folgende Regelungen vor:
„B III. 9. Die Wurzelkanalbehandlung von Molaren ist in der Regel angezeigt, wenn
- damit eine geschlossene Zahnreihe erhalten werden kann,
- eine einseitige Freiendsituation vermieden wird,
- der Erhalt von funktionstüchtigem Zahnersatz möglich wird. …
B III.10. In der Regel ist die Entfernung eines Zahnes angezeigt, wenn er nach den in diesen Richtlinien beschriebenen Kriterien nicht erhaltungsfähig ist. Ein Zahn, der nach diesen Richtlinien nicht erhaltungswürdig ist, soll entfernt werden. Eine andere Behandlung von nicht erhaltungswürdigen Zähnen ist kein Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung.
IV. 3. 3. Die Notwendigkeit zur Zahnextraktion ergibt sich aus Befund und Diagnose.
Die Zahnextraktion kann angezeigt sein bei
a) umfangreicher kariöser Zerstörung eines Zahnes,
b) fortgeschrittener Parodontalerkrankung,
c) Erkrankungen der Pulpa und des apikalen Parodontiums, die einer endodontischen
und chirurgischen Therapie nicht zugänglich sind,
d) traumatischen Zahnfrakturen,
e) fehlstehenden, verlagerten oder impaktierten Zähnen sowie bei
kieferorthopädischer Indikation,
f) schlechter Prognose anderer Maßnahmen
g) oder wenn wichtige medizinische Gründe eine zwingende Rechtfertigung dafür liefern, eine bestehende oder potentielle orale Infektionsquelle zu beseitigen.
IV. 4. Eine Wurzelspitzenresektion ist insbesondere indiziert
a) wenn das Wurzelkanalsystem durch andere Verfahren nicht ausreichend zu
behandeln ist,
b) wenn ein periapikaler Krankheitsprozess besteht, der einer konservierenden
Therapie nicht zugänglich ist,
c) bei Wurzelfrakturen im apikalen Drittel oder aktiver Wurzelresorption.
Die Wurzelspitzenresektion von Molaren ist in der Regel angezeigt, wenn
- damit eine geschlossene Zahnreihe erhalten werden kann,
- eine einseitige Freiendsituation vermieden wird,
- der Erhalt von funktionstüchtigem Zahnersatz möglich wird.“


Es bestand vorliegend keine Indikation für eine Wurzelkanalbehandlung sowie eine Wurzelspitzenresektion des Zahnes 25 i.S.d. der Behandlungs-RL. Dies entnimmt der Senat den ausführlichen Angaben des behandelnden Zahnarztes in seiner sachverständigen Zeugenaussage sowie dem Gutachten des MDK. Der Zahn 25 war am 03.07.2018 nicht vital und stark klopfempfindlich. Auf dem angefertigten Röntgenbild zeigte sich eine sehr große Knochenentzündung, außerdem war die Wurzelspitze von Zahn 25 „anresorbiert“. G1 gelangte bei dieser Befundlage überzeugend zu der Einschätzung, dass eine Wurzelkanalbehandlung nicht erfolgversprechend war. Er bot der Klägerin nach Maßgabe von IV.3.3.f. Behandlungs-RL eine Extraktion des Zahnes 25 als Kassenleistung oder den Versuch einer endodontischen Behandlung mit fraglicher und unklarer Erfolgsprognose als privatärztliche Leistung an. S1 hat nach Auswertung der Befundunterlagen die Einschätzung des behandelnden G1 bestätigt, dass der Zahn 25 nicht erhaltungswürdig war und deshalb eine Wurzelbehandlung als Kassenleistung nicht in Betracht kam. Gleiches gilt für die Wurzelspitzenresektion. Die Wurzelkanalbehandlung war zunächst nicht erfolgreich. Am 20.07.2018 war der Zahn noch nicht beschwerdefrei, obwohl am 06.07.2018 und 16.07.2018 eine Wurzelbehandlung einschließlich medikamentöser Einlage durchgeführt worden war. Deshalb war eine weitere Behandlung erforderlich, entweder eine Ziehung des Zahnes 25 als Kassenleistung oder eine Wurzelspitzenresektion als Privatleistung. G1 sah für den Zahnerhalt nach wie vor keine positive Prognose, was S1 bestätigt hat. Damit lag von Anfang an nicht die erforderliche positive Prognose für die Durchführung einer Wurzelbehandlung nebst Wurzelspitzenresektion vor. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass G1 am 30.07.2018 im Rahmen der Wurzelspitzenresektion eine Zyste entnahm, deren Untersuchung den Nachweis eines Chondrosarkoms im oberen Kiefer links ergab, das gesondert operiert werden musste. Dieser Zufallsbefund vermittelt keine Indikation für eine Wurzelbehandlung nebst Wurzelspitzenresektion. Denn unabhängig von der zunächst gewählten Therapiemethode (Zahnextraktion oder Wurzelspitzenresektion) werden verdächtige bzw. pathologische Befunde regelhaft einer histopathologischen Untersuchung zugeführt. Die entsprechenden Kosten wurden der Klägerin auch nicht in Rechnung gestellt.   

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.


 

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Aus
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