Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Strittig ist die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und Erstattungsbescheides des Beklagten vom 14. August 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. September 2019 bezüglich Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (jetzt Bürgergeld) - (SGB II) in der damaligen maßgeblichen Fassung.
Der 1989 geborene Kläger absolvierte im Jahr 2007 seinen Schulabschluss. Zwischen den Jahren 2008 und 2014 machte der Kläger - mit Unterbrechung - eine Ausbildung zum chemisch-technischen Assistenten. In dem streitgegenständlichen Zeitraum von Mai 2016 bis März 2019 lebte der Kläger bei seinen Eltern, ohne dabei Miete zu entrichten. In dieser Zeit bezog der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Beklagten.
Am 25. Mai 2016 (Bl. 23 VA) beantragte der Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. In der am 31. Mai 2016 unterzeichneten Anlage zur Feststellung der Vermögensverhältnisse (Eingang beim Beklagten 7. Juni 2016) gab der Kläger dabei an, neben seinem Girokonto mit einer Wertstellung von circa 20,00 € und einer Lebensversicherung der A1 mit einer Versicherungssumme in Höhe von 1.408,39 € (bei einer Kündigung zum 1. Juni 2016 - Bl. 35 Verwaltungsakte -VA-), über keine relevanten Vermögenswerte zu verfügen.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2016 (Bl. 42 VA - später mit Datum 15. Juni 2016 benannt) bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum 1. Mai 2016 bis 30. April 2017. Zu der Bewilligung ergingen am 21. November 2016 (Bl. 70 VA), am 26. November 2016 sowie am 1. März 2017 (Bl. 92 VA) Änderungsbescheide.
Am 07. Juni 2017 (Bl. 110 VA) stellte der Kläger einen Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger gab an, über ein Girokonto mit einer Wertstellung von circa 50,00 € und eine Lebensversicherung der A1 mit einer Versicherungssumme in Höhe von (aktuell) 1.938,24 € zu verfügen.
Der Beklagte bewilligte sodann mit Bescheid vom 6. Juli 2017 (Bl. 123 VA) Leistungen für den Zeitraum 1. Juli 2017 bis 30. Mai 2018. Die ursprüngliche Bewilligung änderte er mit Änderungsbescheiden vom 25. November 2017 und vom 16. August 2018 ab.
Am 16. Oktober 2018 (Bl. 27 VAe) beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Leistungen. Zu seinen Vermögensverhältnissen gab der Kläger an, weiterhin über ein Girokonto mit einer Wertstellung von inzwischen 200,00 € und eine Lebensversicherung der A1 mit einer Versicherungssumme in Höhe von (aktuell) 2.700,00 € zu verfügen (Bl. 35 ff. VAe).
Auf diesen Antrag bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 2. Januar 2019 (Bl. 72 VAe) Leistungen für den Bewilligungszeitraum 1. Oktober 2018 bis 30. September 2019.
Im Jahr 2018 erhielt der Beklagte, durch einen automatisierten Datenabgleich, Kenntnis von Kapitalerträgen, die 2016 durch eine Anlage bei der Bausparkasse S1 angefallen sind. Der Kläger wurde mit Schreiben vom 23. Juli 2018 (Bl. 3 VAe) und 9. Januar 2019 (Bl. 79 VAe) aufgefordert, den Bausparvertrag und eine Bescheinigung der Bausparkasse über die bisher gesparte Summe vorzulegen.
Der Kläger legte daraufhin einen Kontoauszug der Bausparkasse S1 vor, wonach am 31. Mai 2016 eine Auszahlung des gesamten Sparbetrages in Höhe von 14.745,13 € an den Kläger erfolgte. Nach den vorgelegten Kontoauszügen erfolgte ebenfalls am 31. Mai 2016 die Barabhebung eines Betrages in Höhe von 14.000 € vom Girokonto des Klägers (Bl. 172 VAe). Am 07. Juni 2016 hob der Kläger weitere 680,00 € von seinem Girokonto ab.
Durch Mitteilung vom 21. März 2019 (Bl. 97 VAe) begründete der Kläger die Abhebung über 14.000,00 € damit, dass er das Geld seinem Vater M.I. in bar übergeben hätte, da dieser seine Ausbildung finanziert habe.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2019 (Bl. 110 VAe) hörte der Beklagte den Kläger zu einer Aufhebung wegen Überzahlung an, mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 25. Mai 2019.
Der Kläger legte auf Aufforderung des Beklagten eine Auflistung verschiedener Kosten vor, u.a. in den Jahren 2007-2009 angefallene Beförderungskosten, Schulgeld für die Jahre 2008 bis 2010, Kosten für einen Führerschein etc. (Bl. 154/156 VAe). Diese Kosten seien lediglich als Kredit übernommen worden.
Mit Bescheid vom 14. August 2019 (Bl. 193 VAe) hob der Beklagte die Gewährung von Leistungen für die Monate Mai 2016 bis März 2019 in Höhe von insgesamt 11.758,68 € auf und forderte den Kläger zur Erstattung auf. Begründet wurde dies mit der fehlenden Hilfebedürftigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum. Die Übergabe der Bausparsumme an den Vater sei nach Überzeugung der Beklagten nicht ausreichend nachgewiesen.
Zudem hob der Beklagte - ebenfalls mit Bescheid vom 14. August 2019 (Bl. 185 VAe) - die Leistungsbewilligung ab dem 1. April 2019 ganz auf (siehe Parallelverfahren L 2 SO 2270/23).
Den am 9. September 2019 gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2021 (Bl. 9 SG-eAkte S11 AS 2390/21) zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 21. Oktober 2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm (S 11 AS 2390/21) erhoben, mit dem Begehren den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 14. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides von 21. September 2021 aufzuheben.
In der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2023 wurde der Vater des Klägers M. I. als Zeuge vernommen (siehe im Einzelnen Protokoll vom 21. Juni 2023, Bl. 59 ff. SG-eAkte, worauf insoweit Bezug genommen wird).
Das SG Ulm hat die Klage mit Urteil vom 21. Juni 2023 abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 14. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides von 21. September 2021 formell und materiell rechtmäßig sei. Die Bescheide vom 15. Juni 2016 (richtig 14. Juni 2016) in Form der Änderungsbescheide vom 21. November 2016 und vom 26. November 2016, sowie vom 6. Juli 2017 in Form der Änderungsbescheide vom 25. November 2017 und vom 16. August 2018 sowie vom 2. Januar 2019 betreffend Leistungen bis März 2019 seien bereits bei Erlass rechtswidrig gewesen. Dies folge daraus, dass der Kläger im Zeitraum vom Mai 2016 bis März 2019 nicht vermögenslos und somit nicht hilfebedürftig gewesen sei. Der Kläger hätte nicht nachweisen können, dass er keine Verfügungsgewalt über das am 31. Mai 2016 ausgekehrte und in bar abgehobene, aus dem Bausparvertrag stammende, Geld in Höhe von 14.000,00 € gehabt hätte. Das Gericht sei nicht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger M. I. das Geld zur Tilgung eines Darlehens übergeben habe. Dies begründete das Gericht im Wesentlichen damit, dass die Angaben des Klägers und des M. I. in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2023 hinsichtlich des Abschluss eines Darlehensvertrages und der Rückzahlungsmodalitäten zu schwammig gewesen seien. So hätten sich sowohl der Kläger als auch M. I. nicht mehr an die Art und Weise der Einigung über den Darlehensvertrag und die Übergabe des Bargeldes erinnert. Auch bliebe es unklar, wer den Bausparvertrag gekündigt hätte. Es erscheine zudem wenig plausibel, dass nur 14.000,00 € der vom Kläger angeführten geschuldeten 18.000,00 € zurückbezahlt worden seien und M. I. sich von dem Bargeld Möbel und eine Renovierung finanziert habe. Grundsätzlich trage zwar der Beklagte hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide die Beweislast, im vorliegenden Fall handele es sich allerdings um einen Fall der Beweislastumkehr zulasten des Klägers, da nicht aufklärbare Vorgänge aus der Sphäre des Klägers vorlägen. Ein solcher Nachweis sei durch den Kläger nicht erbracht worden. Der Kläger hätte zudem nicht auf die Bewilligungen schutzwürdig vertrauen könne, da er diese durch grob fahrlässige unrichtige Angaben erlangt habe.
Gegen das dem Klägerbevollmächtigen am 25. Juli 2023 mit Empfangsbekenntnis zugestellte Urteil des SG vom 21. Juni 2023 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten am 7. August 2023 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Der Kläger begründet seine Berufung damit, dass er durch die Übergabe der 14.000,00 € an M. I. vermögenslos und hilfebedürftig gewesen sei. Das erstinstanzliche Gericht habe das Ergebnis der Beweisaufnahme hinsichtlich der Übergabe des Bargeldes an den M. I. nicht richtig gewürdigt. Dass die Angaben dazu teils lückenhaft und wenig detailreich gewesen seien, ließe sich auf die dazwischen vergangene sieben Jahre zurückführen. Daher könne auch keine Beweislastumkehr zu Lasten des Klägers angenommen werden, da dieser zum Zeitpunkt der Vermögensauskunft am 31. Mai 2016 das Geld bereits übergeben hatte und somit auch nicht mehr vermögend war. Somit ließe es sich auch nicht begründen, dem Kläger eine grob fahrlässige falsche Angabe in der Vermögensauskunft im Rahmen seines schutzwürdigen Vertrauens anzulasten. Zudem habe das Gericht nicht gewürdigt, dass die 14.000,00 € aus dem Bausparvertrag nicht für den gesamten Aufhebungszeitraum gereicht hätte.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 21. Juni 2023 sowie den Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 14. August 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. September 2019 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Ergänzend führt er aus, bereits das vom Kläger vorgetragene Bestehen einer Darlehensschuld bei seinem Vater, dass er mittels der am 31. Mai 2016 abgehobenen Summe in Höhe von 14.000 € aus der Auszahlung seines Bausparvertrages getilgt haben wolle, sei bereits nicht glaubhaft. So habe die seitens des Klägers zur Spezifizierung des vorgetragenen Darlehens im Widerspruchsverfahren überreichte Auflistung von Auslagen des Vaters vom Kläger selbst gestammt und nicht von seinem Vater. Schon diese Aufstellung sei nicht schlüssig. Soweit darin Schulgeld im Zeitraum von 2008 bis 2010 geltend gemacht werde, sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger jedenfalls nach den beim Beklagten hinterlegten Angaben von Juli 2008 bis August 2011 seine 2008 begonnene Ausbildung nicht fortgesetzt habe. Auch insgesamt sei nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund einzelne Positionen in Bezug auf die Ausbildung darlehensweise vom Vater übernommen worden sein sollen, wenn der Kläger andererseits weit über diesen Zeitraum hinaus kostenfrei bei seinen Eltern gewohnt habe und von diesen unterhalten worden sei. Hinzu komme, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem SG weder der Kläger noch sein Vater eine genaue Höhe des vorgetragenen Darlehens oder eine konkrete Abrede hinsichtlich der Rückzahlung dieses Darlehens hätten benennen können. Insgesamt fehlt es bereits an einem äußeren Anschein eines Darlehens, das letztlich zur Erklärung der Barabhebung der ausgezahlten Bausparsumme zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II vorgetragen worden sei.
Auch verwundere, dass in der mündlichen Verhandlung unklar geblieben sei, ob der Bausparvertrag vorzeitig gekündigt worden sei oder nicht. Obwohl es sich bei diesem Vermögenswert um die einzige Geldanlage des Klägers gehandelt habe, habe er vorgetragen, sich nicht erinnern zu können, ob er den Bausparvertrag vorzeitig gekündigt habe, warum es also zu der Auszahlung im Mai 2016 gekommen sei. Selbst wenn eine vorzeitige Kündigung nicht erfolgt sein sollte, deute die fehlende Angabe dieses Vermögens gegenüber dem SGB II-Leistungsträger, gepaart mit der Abhebung des Bausparvertrages zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Leistungen nach dem SGB II darauf hin, dass der Kläger diesem Vermögenswert von vornherein nicht gegenüber dem Grundsicherungsträger habe offenlegen wollen. Schließlich habe das LSG hier auch zutreffend im Hinblick auf die konkrete Fallgestaltung eine Beweislastumkehr im Rahmen der Rücknahme nach § 45 SGB X angenommen.
Die Beteiligten wurden mit Schreiben vom 30. Januar 2024 darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit bestehe, dass der Senat die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweise, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Den Beteiligten war Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs.1 und Abs. 3 SGG) eingelegte zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten, die für den Senat keinen Anlass zu einem anderen Verfahren gegeben hat, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Das Sozialgericht Ulm hat die statthafte Anfechtungsklage zu Recht abgewiesen. Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 14. August 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. September 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
II.
Rechtsgrundlage für den angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 14. August 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 21. September 2019 sind die §§ 40 Abs. 2 Satz 3 SGB II, 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), 45 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) (SGB X). Demnach darf ein rechtlich vorteilhafter begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Zukunft oder Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn der Verwaltungsakt bei Erlass rechtswidrig war und der Begünstigte nicht schutzwürdig auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat. Insbesondere kann sich der Begünstigte nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, solange der Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Wobei aufgrund der Spezialregelungen in den §§ 40 Abs. 2 Satz 3 SGB I, 330 Abs. 2 SGB III sowohl die Entscheidung nach § 45 SGB X gebunden ist („Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen … vor, ist dieser auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.“ - § 330 Abs. 2 SGB III).
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Zuständige Behörde war hier nach §§ 45 Abs. 5, 44 Abs. 3 SGB X in Verbindung mit §§ 36 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II das Jobcenter Landkreis G1. Der Kläger ist nach § 24 Abs. 1 SGB II angehört worden. Der streitgegenständliche Bescheid ist zudem innerhalb der Jahresfrist aus § 45 Abs. 3 S. 2 SGB X ergangen.
Der Rücknahme- und Erstattungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Bescheide vom 14. Juni 2016 in Form der Änderungsbescheide vom 21. November 2016 und vom 26. November 2016, sowie vom 6. Juli 2017 in Form der Änderungsbescheide vom 25. November 2017 und vom 16. August 2018 sowie vom 2. Januar 2019 betreffend Leistungen bis März 2019 waren bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig.
Der Kläger war bei Antragsstellung nicht hilfebedürftig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II, aufgrund dessen, dass er verwertbares Vermögen hatte, in Form der am 31. Mai 2016 aus dem gekündigten Bausparvertrag mit der Bausparkasse S1 ausgezahlten und vom Girokonto abgehobenen 14.000,00 €.
Leistungsberechtigter der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts ist nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, wer das 15. Lebensjahr vollendet, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat und erwerbsfähig und hilfebedürftig ist. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.
Zutreffend kommt das SG in seinem Urteil vom 21. Juni 2023 zu der Auffassung, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Antragsstellung über verwertbare Vermögensgegenstände nach § 12 Abs. 1 und 2 SGB II, in Form der ausbezahlten und abgehobenen 14.000,00 € aus dem Bausparvertrag, verfügte. Die Behauptung des Klägers, dass Bargeld dem Zeugen M. I. zur Tilgung eines Darlehens übergeben zu haben, überzeugt den Senat nicht. Die vom Kläger und dem Zeugen in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2023 nur oberflächlich getätigten Aussagen lassen den Schluss auf eine solche Tilgungsabrede nicht zu.
So kann weder der Kläger noch der Zeuge aussagen, zu welchem Zeitpunkt man die Abrede fasste, dass mit der Auszahlung des Bausparvertrags der angebliche Darlehensrückzahlungsanspruch aus § 488 Abs. Abs. 1 S. 2 BGB des Zeugen gegen den Kläger erfüllt werden sollte. Auch wurde darüber keine schriftliche Abrede gefasst. Es erscheint zudem unbillig, dass der Zeuge eine vorfällige Kündigung des Bausparvertrages duldete, sodass es nur zu einer Rückzahlung von 14.000,00 € der geschuldeten 18.000,00 € kam, obwohl eine angebliche Abrede bestand, dass mit der Bausparsumme der gesamte Darlehensrückzahlungsanspruch erfüllt werden sollte.
Bezüglich der Kündigung des Bausparvertrages sind sich der Kläger und der Zeuge unsicher, wer diese getätigt haben soll. Während der Zeuge davon ausgeht, dass der Kläger den Bausparvertrag gekündigt haben soll, glaubt der Kläger dies nicht selbst vorgenommen zu haben. Eine solche Unsicherheit erscheint im Hinblick auf die Bedeutung eines solchen Geschäfts wenig plausibel.
Der Kläger hat zudem erhebliche Erinnerungslücken bezüglich der Auszahlungsmodalitäten, so kann sich der Kläger nicht daran erinnern, ob er das ausbezahlte Geld in Höhe von 14.000,00 € an einem Automaten oder Schalter abhob. Auch in welcher Schein-Stückzahl das Bargeld ausbezahlt wurde und wie das Bargeld verpackt war, ist dem Kläger nicht in Erinnerung. Dass bei einer so hohen Menge an Bargeld, fast keine Erinnerung mehr an die Art und Weise der Auszahlung besteht, überzeugt den Senat nicht.
Hinsichtlich der Übergabe des Geldes vom Kläger an den Zeugen besteht ebenso nur noch die schwache Erinnerung, dass dies in der gemeinsamen Wohnung erfolgt sei. Weder der Zeuge noch der Kläger können dabei sicher aussagen, an welchem Tag und auf welche Art und Weise das Geld übergeben wurde. Eine schriftliche Übergabequittung wurde nicht ausgestellt.
Übereinstimmend konnten sich der Kläger und der Zeuge in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juni 2023 somit nur noch daran erinnern, dass das Geld in bar in der Wohnung des Klägers und des Zeugen übergeben wurde. Dass die sonstigen Erinnerungslücken, wie in der Berufungsbegründung angeführt, auf den siebenjährigen Abstand zwischen der Übergabe des Geldes und der mündlichen Verhandlung zurückzuführen sind, ist wenig überzeugend. Vielmehr kann nach der objektiven Verkehrsauffassung davon ausgegangen werden, dass sich die Vertragsparteien an ein solches nicht unbedeutsames und nicht gewöhnliches Geschäft detailreicher erinnern. Soweit der Klägerbevollmächtigte ausführt, dass gerade eine solche detailarme Aussage eine glaubhafte Aussage erkennen lasse, wird dabei verkannt, dass gerade der quantitative Detailreichtum einer Aussage als ein Realkennzeichen hinsichtlich der Glaubhaftigkeit einer Aussage in der Aussageanalyse anerkannt ist (vgl. BGH Urteil vom 7. Februar 2018 - 2 StR 447/17 - juris Rn. 13, Tiemann/Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, § 261 Rn. 120).
Auch erscheint es ungewöhnlich, dass sich der Zeuge das Geld in bar übergeben lies. Nach eigenen Angaben setzte der Zeuge das Geld für die Renovierung der Wohnung und den Kauf neuer Möbel ein. Solche Geschäfte hätte der Zeuge auch tätigen können, wenn der Kläger dem Zeugen das Geld überwiesen hätte. Quittungen bezüglich der Renovierungsarbeiten oder der Möbel existieren dabei nicht.
Vielmehr erscheint es aufgrund der zeitlichen Abfolge wahrscheinlich, dass der Kläger am 25. Mai 2016 den Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stellte und daraufhin sich am 31. Mai 2016 die Bausparsumme auszahlen lies, um daran anschließend die Anlage des Antrags vom 25. Mai 2016 über die Feststellungen der Vermögensverhältnisse am 31. Mai 2016 auszufüllen.
Soweit der Kläger in der Berufungsbegründung meint es läge hier kein Fall der ihn treffenden Beweislastumkehr vor, ist dem entgegenzuhalten, dass das SG eine solche richtigerweise angenommen hat. Grundsätzlich trägt die objektive Beweislast für die Rechtswidrigkeit des zurückzunehmenden Verwaltungsaktes die handelnde Behörde (vgl. LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 15. Februar 2018 - L 3 AS 4874/16 - juris Rn. 54, BSG Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 30). Eine Beweislastumkehr lässt sich allerdings bei einer besonderen Nähe eines Beteiligten zum Beweis begründen (vgl. LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 15. Februar 2018 - L 3 AS 4874/16 - juris Rn. 54, BSG Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 30). Das ist anzunehmen, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungssphäre wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird (vgl. LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 15. Februar 2018 - L 3 AS 4874/16 - juris Rn. 54, BSG Urteil vom 15. Juni 2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 30). Hier liegt die Übergabe des Geldes zur Rückzahlung des vermeintlichen Darlehens des Klägers an den Zeugen ausschließlich in der Verantwortungssphäre des Klägers. Der Behörde ist ein Beweis dieser Tatsachen unmöglich, sodass nur der Kläger diese Tatsache beweisen kann. Somit ist der Kläger im streitgegenständlichen Verfahren beweisbelastet, hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen begünstigenden Entscheidung. Ein solcher Nachweis gelingt dem Kläger nicht.
Der Kläger konnte auch nicht schutzwürdig auf den Bestand der ursprünglich begünstigenden Verwaltungsentscheidung vertrauen, da er diese mittels grob fahrlässiger unrichtiger Angaben im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erwirkte. Grob fahrlässig handelt derjenige, der nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Dies ist anhand der persönlichen Urteilsfähigkeit und der persönlichen Einsichtsfähigkeit des Handelnden zu beurteilen (vgl. BSG Urteil vom 20. September 1977 - 8/12 RKg 8/76 - juris Rn. 25). Der Kläger verfügte ursprünglich zum Zeitpunkt der Antragstellung am 25. Mai 2016 noch über ein Bausparkonto bei der Bausparkasse S1, das zum 31. Mai 2016 sodann aufgelöst wurde. Noch am 31. Mai 2016 hob der Kläger die 14.000,00 € aus dem Bausparvertrag von seinem Konto ab. Ebenfalls am 31. Mai 2016 füllte der Kläger die Erklärung zu seinen Vermögensverhältnissen aus. Da der Kläger auf jeden Fall zum Zeitpunkt der Antragstellung am 25. Mai 2016 - also auch für den Monat Mai, für den er damit bereits Leistungen beantragte - über diesen Bausparvertrag im Wert von über 14.000 € verfügte, waren die Angaben in der Erklärung über die persönlichen Vermögensverhältnisse schon insoweit unzutreffend. Da darüber hinaus - im Hinblick darauf, dass der Verbleib dieses Geldes bis heute ungeklärt ist - davon auszugehen ist, dass der Kläger auch zum Zeitpunkt der Unterschrift unter die Anlage über die persönlichen Vermögensverhältnisse am 31. Mai 2016 noch über die 14.000,00 € verfügte, hätte er diese, insbesondere auch im Hinblick auf die zeitliche Nähe zur Abhebung, angeben müssen. Der Kläger hätte auf die eindeutigen Fragen in den Antragsformularen zum Vermögen die auf seinen Namen laufenden Konten mitteilen müssen. Die Mitteilungspflicht ergibt sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Dies gilt selbst dann, wenn er zu der Zurechnung des Vermögens eine andere Meinung vertreten hat, denn er durfte seine persönliche Meinung nicht einfach an die Stelle der behördlichen Prüfung stellen. Durch die Nichtangabe dieser Tatsache hat der volljährige und einsichtsfähige Kläger damit die zu erwartende Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht.
Dies gilt in gleicher Weise auch hinsichtlich der Folgeanträge (7. Juni 2017 und 16. Oktober 2018), in denen der Kläger insoweit auch jeweils grob fahrlässig falsche Angaben zu seinem Vermögen gemacht hat, dessen Verbleib bis heute nicht geklärt ist.
Die Fristen des § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X wurden ebenfalls eingehalten. Zunächst hat der Beklagte innerhalb eines Jahres ab Kenntnis aller die Rücknahme rechtfertigender Tatsachen den Bescheid vom 14. August 2019 erlassen. Diese Jahresfrist beginnt regelmäßig (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 45 SGB X (Stand: 14. Januar 2021), Rn. 112) erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen, mithin hier nach Ablauf der im Schreiben vom 8. Mai 2019 gesetzten Frist bis zum 25. Mai 2019 und war daher bei Bescheiderlass noch nicht verstrichen.
Rechtsgrundlage für die von dem Beklagten festgesetzte Erstattungsforderung ist § 50 Abs. 1 SGB X. Danach sind zu Unrecht erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Soweit der Kläger der Auffassung ist die Höhe der Erstattung übersteige das einzusetzende Vermögen, ist dem zum einen schon entgegen zu halten, dass im Rahmen des Ermessens des § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X eine Berücksichtigung besonderer Härten durch den Verweis des § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II auf den § 330 Abs. 2 SGB III ausgeschlossen ist (vgl. BSG Urteil vom 25. April 2018 - B 14 AS 15/17 R - juris Rn. 24). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts vor, so „ist“ dieser danach auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (vgl. BSG Urteil vom 25. April 2018 - B 14 AS 15/17 R - juris Rn. 24).
Zum anderen sei noch darauf hingewiesen, dass der Kläger bei Antragstellung im Mai 2016 im Übrigen im Hinblick auf das vorhandene Vermögen in Höhe von 14.745, 00 € aus der Auflösung des Bausparvertrages und weiteren 1.408,00 € Rückkaufswert bezüglich der Lebensversicherung nach Abzug des maßgeblichen Freibetrages gem. § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in Höhe von 4.050,00 € (27 Jahre x 150,00 €) tatsächlich sogar bis zu 12.103,00 € hätte einsetzen müssen, der Rückforderungsbetrag in Höhe von 11.758,68 € tatsächlich aber noch unter dieser Grenze liegt.
Daraus folgt, dass die erbrachten Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zurückzuerstatten sind. Einen Ermessensspielraum bietet der § 50 Abs. 1 SGB X insoweit nicht.
Aus den vorgenannten Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 11 AS 2390/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 2269/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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