Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05.01.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 seit März 2021.
Der 1968 geborene Kläger beantragte am 09.03.2021 die erstmalige Feststellung eines GdB aufgrund eines angeborenen adrenogenitalen Syndroms (eine erbliche Stoffwechselerkrankung, bei der die Bildung von Cortisol gestört ist, im Folgenden AG-Syndrom), einer Hüft-TEP links und rechts, einer Knie-TEP links, einer Hörschwäche nebst eines Tinnitus rechts sowie einer Minderung der Sehschärfe. Der Beklagte zog ärztliche Befundberichte, unter anderem die Reha-Entlassberichte des Zentrums für ambulante Rehabilitation (ZAR) C1 vom Januar 2019 und vom Februar 2021 bei. Gestützt auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom April 2021, der die Hüftgelenksendoprothese beidseits nebst Kniegelenkstotalendoprothese links mit einem GdB von 30 bewertete und aus dessen Sicht die übrigen Gesundheitsstörungen keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 rechtfertigen würden, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 05.05.2021 den GdB mit 30 seit 09.03.2021 fest.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte, gestützt auf eine weitere versorgungsärztliche Stellungnahme vom September 2021, in welcher dargelegt wurde, dass das AG-Syndrom mit Salzverlust behandelbar sei und nicht das Ausmaß einer Behinderung erreiche, mit Widerspruchsbescheid vom 20.01.2022 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 17.02.2022 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, mit der er eine Verurteilung des Beklagten, bei ihm einen GdB von 50 festzustellen, begehrt hat und welche er vor allem mit orthopädischen Beeinträchtigungen begründet hat.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen vernommen.
Der M1 hat im Juni 2022 ausgeführt, dass Stand 2016, als der Kläger ihn letztmalig aufgesucht habe, bei diesem ein Linksschenkelblock vorgelegen habe, welcher zu keiner Leistungseinschränkung geführt habe und der mit einem GdB von 10 zu bewerten gewesen sei.
Die G1 hat im Juni 2022 die Auskunft erteilt, dass beim Kläger ein AG-Syndrom mit Salzverlust vorliege, dessentwegen der Kläger auf eine Hydrocortison- und Fludrocortisonsubstitution angewiesen sei.
Die L1 hat im Juni 2022 mitgeteilt, dass die Gesundheitsstörungen auf ihrem Fachgebiet geringfügig bzw. der Visus altersentsprechend normal seien.
S1, hat im Juli 2022 über ein aktuell leichtgradiges Karpaltunnelsyndrom berichtet.
Der (fachgebunden) D1 hat im Juli 2022 ausgeführt, dass beim Kläger eine geringgradige Schwerhörigkeit bestehe. Der Kläger habe selbst angegeben, dass nach krankengymnastischer Behandlung der Halswirbelsäule kein nennenswertes Störgefühl aufgrund des Tinnitus mehr vorhanden sei.
Die K1 hat gleichfalls im Juli 2022 ausgeführt, dass die Schulterbeweglichkeit endgradig bei 10 Grad eingeschränkt sei.
Der Beklagte hat die versorgungsärztliche Stellungnahme des K2 vom November 2022 vorgelegt, wonach die eingeholten sachverständigen Zeugenaussagen keine abweichende Beurteilung rechtfertigen würden.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.01.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Die orthopädischen Beeinträchtigungen des Klägers seien mit einem GdB von 30 zu bewerten. Konkrete Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund des AG-Syndroms als Störung im Bereich des Funktionssystems Harnorgane seien nicht ersichtlich und es sei eine gute Einstellung der Gesundheitsstörungen unter medikamentöser Behandlung bescheinigt worden. Unter Heranziehung der Maßstäbe für andere Krankheiten mit der Gefahr von Stoffwechselentgleisungen, insbesondere Diabetes, sei die Bewertung mit einem Einzel-GdB von 20 angemessen. Die übrigen berichteten Erkrankungen würden keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 begründen. Unter Berücksichtigung der gegebenen Überschneidungen sei auch der Gesamt-GdB mit 30 festzustellen.
Gegen den dem Kläger am 10.01.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 08.02.2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt hat. Die orthopädischen Beschwerden seien mit einem GdB von 30 zu gering eingestuft; auch das AG-Syndrom sei zu niedrig bewertet. Er leide unter einem Karpaltunnelsyndrom links und einem Tinnitus. Ergänzend stützt sich der Kläger auf das Gutachten des T1.
Er beantragt sachdienlich ausgelegt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 05.01.2023 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 05.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2022 zu verurteilen, beim Kläger einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er stützt sich auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Gerichtsbescheid sowie auf das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des H1.
Der Senat hat von Amts wegen H1, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom Mai 2023, beruhend auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers, ein Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit jeweils einer nur sehr diskreten Funktionsbeeinträchtigung (Einzel-GdB 10), eine Bewegungseinschränkung beider Schultergelenke bei Omarthrose und degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette (Einzel-GdB 10), ein Karpaltunnelsyndrom links ohne klinische Symptomatik (kein Einzel-GdB von wenigstens 10), eine beidseitige Koxarthrose mit beidseitiger Versorgung mit Hüftendoprothesen mit guter Funktion (Einzel-GdB 20), eine Gonarthrose links mit Kniegelenkstotalendoprothese/
Oberflächenersatz mit guter Funktion (Einzel-GdB 20) sowie eine Gonarthrose rechts mit leichtem Reizzustand, ohne Bewegungseinschränkung und stabilem Kapselbandapparat (Einzel-GdB 20) festgestellt und den Gesamt-GdB auf orthopädischem Gebiet mit 30 bewertet.
Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat weiterhin T1, mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. T1 hat in seinem Gutachten vom Dezember 2023, gestützt auf eine ambulante Untersuchung des Klägers, bei diesem eine 4.-gradige Verschleißveränderung des rechten Kniegelenks ohne Bewegungseinschränkung, ohne Kraftminderung und ohne Instabilität, eine Verschleißveränderung beider Schultergelenke beidseits mit ca. um 1/3 eingeschränkter Beweglichkeit mit Bewegungsschmerz, mäßiger Kraftminderung, jedoch ohne Instabilität, ein chronisches Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom ohne Bewegungseinschränkung, ohne Muskelkraftminderung, ohne Instabilität, ein Karpaltunnelsyndrom links ohne relevante funktionelle Störungen, einen Zustand nach Einbringen von Kunstgelenken in beide Hüften und in das linke Kniegelenk mit funktionell guten Ergebnissen sowie Osteoporose ohne relevante Beschwerden festgestellt. Die Funktionsbeeinträchtigungen durch die Endoprothesen im Kniegelenk und in beiden Hüften seien mit einem Einzel-GdB von 30, die Osteoporose mit einem Einzel-GdB von 10, das Funktionssystem „Rumpf“ mit einem Einzel-GdB von 20, die Funktionsbeeinträchtigung der Schultergelenke mit einem Einzel-GdB von 20 und der Knorpelschaden am rechten Kniegelenk mit einem Einzel-GdB von 20 und der Gesamt-GdB auf orthopädischem Gebiet mit 50 zu bewerten.
Der Beklagte hat zu den beiden Gutachten die versorgungsärztliche Stellungnahme des H2 vom Februar 2024 vorgelegt, in welcher sich der Versorgungsarzt dem Gutachten des H1 angeschlossen und Einwände gegen die GdB-Bewertung im Gutachten des T1 erhoben hat.
Mit Schreiben vom 22.02.2024 hat der Kläger und mit Schreiben vom 13.03.2024 der Beklagte einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Prozessakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des beiderseitigen Einverständnisses der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber unbegründet.
Streitgegenständlich ist der Gerichtsbescheid des SG vom 05.01.2023, mit welchem dieses die gegen den Bescheid vom 05.05.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2022 gerichtete Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Feststellung eines (höheren) GdB von mindestens 50 abgewiesen hat.
Die Berufung ist unbegründet, weil dem Kläger für den hier streitigen Zeitraum seit seiner erstmaligen Antragstellung kein GdB von wenigstens 50, mithin die Schwerbehinderteneigenschaft, zusteht. Vielmehr ist der Gesamt-GdB in den angefochtenen Entscheidungen des Beklagten mit 30 zutreffend bewertet.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines (höheren) GdB ist § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).
Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX liegt eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Aus dieser Definition folgt, dass für die Feststellung einer Behinderung sowie die Einschätzung ihres Schweregrades nicht das Vorliegen eines regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes entscheidend ist, sondern es vielmehr auf die Funktionsstörungen ankommt, die durch einen regelwidrigen Zustand verursacht werden. Nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden nach § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 6 SGB IX ist eine Feststellung nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.
Nach § 153 Abs. 2 SGB IX wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 241 Abs. 5 SGB IX, dass – soweit noch keine Verordnung nach § 153 Absatz 2 erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie das Gesetz vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem 1. Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem 2. Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem 3. Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.
Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Darüber hinaus sind vom Tatsachengericht die rechtlichen Vorgaben zu beachten. Rechtlicher Ausgangspunkt sind stets § 2 Abs. 1 in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 Satz 1 SGB IX; danach sind insbesondere die Auswirkungen nicht nur vorübergehender Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft maßgebend (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).
Nach diesen Maßstäben ist der Gesamt-GdB beim Kläger mit 30 zu bewerten.
1.
Führend sind beim Kläger die Funktionsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet.
a)
Beim Kläger liegt ein Hals- und Lendenwirbelsyndrom mit allenfalls geringer Bewegungseinschränkung und Muskelspannungsstörungen ohne Anhaltspunkte für Nervenwurzelreiz- oder Nervenwurzelausfallerscheinungen vor. Zu diesem Ergebnis gelangen übereinstimmend die beiden H1 und T1. Soweit letzterer zusätzlich noch Verschleißveränderungen der Brustwirbelsäule diagnostiziert hat, ergeben sich hieraus keine relevanten Funktionsbeeinträchtigungen. So hat sich der Bewegungsumfang der Brustwirbelsäule auch in der Untersuchung durch T1 in sämtlichen Ebenen uneingeschränkt gezeigt und hat sich ein Bewegungsschmerz nicht auslösen lassen; dies bei umfassend regelrechter Muskelfunktionsprüfung und ohne Hinweise auf eine Nervenwurzelreizerscheinung. T1 hat auch keine Beschwerdeproblematik festgestellt.
Es handelt sich nach den übereinstimmenden Einschätzungen der beiden Sachverständigen um jeweils nur sehr diskrete Funktionsbeeinträchtigungen mit leichten Muskelspannungsstörungen. Die Lendenwirbelsäule bereitet dem Kläger nach dessen Angaben temporär, aber nicht andauernd, Probleme. Auch die Halswirbelsäule ist nach dessen Angaben durch immer wieder auftretende Nackenschmerzen betroffen.
Gemäß den VG, Teil B, Nr. 18.9 sind Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität mit einem Einzel-GdB von 0, solche mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB von 10, solche mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) mit einem Einzel-GdB von 30, solche mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in 2 Wirbelsäulenabschnitten mit einem Einzel-GdB von 30 bis 40 und solche mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z. B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) mit einem Einzel-GdB von 50 bis 70 zu bewerten. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen – oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose – sowie Auswirkungen auf die inneren Organe (z.B. Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen (z.B. Postdiskotomiesyndrom) ein GdB über 30 in Betracht kommen.
Nach diesen Maßgaben ist die Wirbelsäulenerkrankung mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten, so zutreffend H1. Insbesondere liegen keine wenigstens mittelgradigen funktionellen Einschränkungen, beispielsweise in Gestalt von häufig rezidivierenden und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndromen oder Nervenwurzelreizerscheinungen vor. Soweit T1 demgegenüber einen Einzel-GdB von 20 annimmt, stützt er sich auf die Angaben des Klägers über nahezu tägliche Schmerzen an der Lendenwirbelsäule und an der Halswirbelsäule. Dies überzeugt nicht, insbesondere können darin keine „häufig rezidivierenden und über Tage andauernden Wirbelsäulensyndrome“ gesehen werden. Der Kläger selbst hat gegenüber dem Sachverständigen eingeräumt, bislang betreffend die Wirbelsäule noch keine Untersuchungen veranlasst oder gar Therapien aufgenommen zu haben. Gegenüber beiden Sachverständigen hat der Kläger angegeben, weiterhin vollschichtig im Gartenbaugroßhandel tätig zu sein und dort stehende und gehende Tätigkeiten auszuüben, wozu auch das regelmäßige Anheben von Lasten mit 25 kg gehöre. Die von T1 zur Begründung herangezogenen nahezu täglichen Schmerzereignisse konnten weder von ihm noch von H1 im Rahmen der Begutachtung beobachtet werden. Letzterer hat vielmehr berichtet, der Kläger habe während der Befragung ruhig und gerade auf dem Stuhl im Untersuchungszimmer gesessen. Diesem gegenüber hat der Kläger auch nur über regelmäßige Spannungskopfschmerzen vom Nacken her und dumpfe Schmerzen beim Aufrichten und Gehen im Lendenwirbelsäulenbereich nach längerem Sitzen berichtet. Das Vorliegen häufiger und/oder andauernder Wirbelsäulensyndrome ist damit nicht nachgewiesen, so zu Recht auch H2.
b)
Der Schwerpunkt der Funktionsbeeinträchtigungen liegt im Bereich der unteren Extremitäten:
aa)
Der Kläger ist weiterhin aufgrund einer beidseitigen Koxarthrose (Implantation links 2013, rechts 2015) beidseits mit Hüftendoprothesen mit jeweils guter Funktion versorgt, so H1 und T1. Beide Hüften sind gut beweglich. Es zeigen sich beidseits reizlose Narbenverhältnisse; es bestehen weder klinisch noch radiologisch Lockerungszeichen. Beschwerden werden nicht angegeben. Der Kläger hat sich vielmehr gegenüber beiden Sachverständigen mit dem Ergebnis sehr zufrieden gezeigt.
Gemäß den VG, Teil B, Nr. 18.12 beträgt der GdB bei beidseitiger Hüftendoprothese mindestens 20. Es werden Mindest-GdB angegeben, die für Endoprothesen bei bestmöglichem Behandlungsergebnis gelten. Bei eingeschränkter Versorgungsqualität sind höhere Werte angemessen. Die Versorgungsqualität kann insbesondere durch Beweglichkeits- und Belastungseinschränkung, Nervenschädigung, deutlicher Muskelminderung oder ausgeprägter Narbenbildung beeinträchtigt sein.
Angesichts der guten Beweglichkeit – der Kläger erreicht in allen Bewegungen der Hüftgelenke Normalwerte – sowie der stabilen und beschwerdefreien Situation ist, so zu Recht und übereinstimmend H1 und T1, von einem bestmöglichen Behandlungsergebnis auszugehen, so dass ein GdB von 20 angemessen ist.
bb)
Im linken Knie liegt beim Kläger eine Gonarthrose mit Kniegelenkstotalendoprothese (implantiert im Januar 2021) mit ebenfalls guter Funktion ohne relevante Einschränkungen im Alltag und Berufsleben vor, so übereinstimmend die beiden Sachverständigen. Hinweise auf Lockerungszeichen, eine Instabilität, eine Muskelkraftminderung oder auf ein verbliebenes entzündliches Geschehen haben die Sachverständigen nicht festgestellt. Dem Reha-Entlassbericht des ZAR C1 vom Februar 2021 ist zu entnehmen, dass die Bewegungsmaße des Klägers bei Entlassung bei 0/3/105 Grad lagen und damit kurze Zeit nach der Operation nur noch geringgradig eingeschränkt waren.
Entsprechend den VG, Teil B, Nr. 18.12 beträgt der GdB für die einseitige Kniegelenks-Totalendoprothese seit Antragstellung bei hier nach Auffassung beider Sachverständigen vorliegendem bestmöglichen Behandlungsergebnis 20.
cc)
Im rechten Kniegelenk liegt nach den übereinstimmenden Feststellungen der beiden Sachverständigen eine Gonarthrose mit leichtem Reizzustand, ohne Bewegungseinschränkung und stabilem Kapselbandapparat vor. Die Beweglichkeit war mit 140 Grad in der Beugung frei und die Streckfähigkeit nicht beeinträchtigt. H1 hat eine Kapselschwellung und eine leichte intraartikuläre Ergussbildung sowie einen medial parapatellaren und medial femorotibialen Schmerz bei röntgenologisch erkennbarer Arthrose mit partiellem Verlust der Knorpeloberfläche festgestellt. T1 hat gleichfalls ausgeprägte Knorpelschäden im Kniegelenk innerseitig festgestellt; Anzeichen einer entzündlichen Reizerscheinung fand er dagegen nicht. Allerdings ist auch er, gestützt auf das Ergebnis der MRT-Untersuchung im Januar 2023 und auf die anamnestischen Angaben des Klägers über ein immer wieder geschwollenes rechtes Kniegelenk, von einer entzündlichen Reizerscheinung ausgegangen.
Eine wenigstens geringgradige Bewegungseinschränkung im Kniegelenk liegt nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 bei einer Streckung/Beugung bis 0-0-90 Grad vor; die Kniegelenksbeweglichkeit des Klägers liegt deutlich darüber. Die VG, Teil B, Nr. 18.14 sehen für ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke mit anhaltenden Reizerscheinungen einseitig und ohne Bewegungseinschränkung einen Bewertungsrahmen für den GdB von 10 bis 30 vor. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben haben beide Sachverständige trotz einer freien Beweglichkeit des rechten Kniegelenks aufgrund einer ausgeprägten medialen Arthrose und bei seitens H1 klinisch festgestellten und von T1 unterstellten Reizzuständen einen GdB von 20 befürwortet. Der Senat schließt sich dieser Einschätzung an.
dd)
Die Senk-Spreizfüße beidseits gehen nicht mit einer Funktionseinschränkung oder mit Beschwerden einher, weshalb, so zu Recht H1, hierfür kein Einzel-GdB anzusetzen ist.
ee)
Nach den VG, Teil A, Nr. 2 Buchst. e sollen für die Bestimmung des GdB im allgemeinen die Gesundheitsstörungen nach Funktionssystemen zusammengefasst werden. Im Rahmen des hiernach zu bildenden Funktionssystems „Beine“ unter Einschluss der Gesundheitsstörungen im Bereich der Hüften und Kniegelenke ist ein GdB von 30 sachgerecht, so H1. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei allen 3 Gesundheitsstörungen (beidseitige Hüftendoprothese, Kniegelenkstotalendoprothese links, ausgeprägte Knorpelschäden mit Reizerscheinungen im Knie rechts) für sich genommen definitionsgemäß um leichte Funktionsbeeinträchtigungen handelt (VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d ee) und die Beweglichkeit nicht relevant eingeschränkt ist. Ein höherer Einzel-GdB für das Funktionssystem ist daher nicht gerechtfertigt. Soweit T2 neben dem Funktionssystem „Beine“ (Einzel-GdB 20) einen weiteren Einzel-GdB von 30 für die 3 Endoprothesen annimmt, steht dies in offensichtlichem Widerspruch zur Systematik der VG und wird auch von seinen Feststellungen im Gutachten nicht getragen.
c)
Im Bereich des Funktionssystems „Arme“ liegt beim Kläger eine Bewegungseinschränkung beider Schultergelenke bei Omarthrose und degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette vor, so H1. Er hat an beiden Schultergelenken, rechts stärker ausgeprägt als links, eine Bewegungseinschränkung sowohl in der Vorwärtshebung/Abspreizung wie auch in der Rotation festgestellt. Die Vorwärtshebung ist rechts bis 120 Grad, links bis 140 Grad möglich gewesen. Die Funktionsgriffe waren mit Ausweichbewegungen möglich. Auch beim Aus- und Wiederankleiden ließ sich mit Ausweichbewegungen keine Beeinträchtigung feststellen. Die Kraftentwicklung zeigte sich nicht reduziert.
Auch der GdB für Gesundheitsstörungen im Bereich der Schultergelenke richtet sich nicht so sehr nach den radiologisch festgestellten Beeinträchtigungen als vielmehr nach den hervorgerufenen Bewegungseinschränkungen. Nach den VG, Teil B, Nr. 18.13 rechtfertigt eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) mit einer Armhebung nur bis zu 120 Grad mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit einen GdB von 10 und eine mögliche Armhebung nur bis zu 90 Grad mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit einen GdB von 20. Angesichts der von H1 festgestellten Funktionswerte, die beidseits eine Beweglichkeit in der Armhebung von wenigstens 120 Grad gestattet haben, ist die Bewertung der Einschränkungen im Bereich beider Schultergelenke – bedingt durch eine Arthrose, wobei eine höhergradige Schädigung der Rotatorenmanschette klinisch nicht feststellbar war – durch den Sachverständigen mit einem GdB von 10 nicht zu beanstanden.
T1 hat demgegenüber einen deutlich abweichenden Befund erhoben. Er berichtet über eine auch passiv beidseits um ca. 1/3 eingeschränkte Beweglichkeit des Schultergürtels (armseitwärts: 100 Grad, armkörperwärts 20 Grad, jeweils beidseits). Komplexe Bewegungsabläufe, wie zum Beispiel der Schürzen- und Nackengriff, hätten nur mit großer Mühe und auch nur eingeschränkt demonstriert werden können und die Muskeln des Schultergürtels hätten sich in ihrer Funktion sämtlich mäßig abgeschwächt dargestellt. Allerdings nennt T1 keine Begründung für die ganz erhebliche Verschlechterung der Schultergelenksbeweglichkeit beidseits gegenüber den Feststellungen der K1 und des H1; diese erheblichen Divergenzen dürften mit H2 am ehesten auf schmerzbedingte Abweichungen im zeitlichen Verlauf zurückzuführen sein und die beidseitige Einschränkung auf 100 Grad dürfte keinen Dauerzustand widerspiegeln. Dessen ungeachtet dokumentiert auch T1 keine Armhebung von 90 Grad oder noch weniger, weshalb sein Befund auch unter Berücksichtigung eines paarigen Auftretens noch keinen Einzel-GdB von 20 rechtfertigt, so zutreffend H2.
H1 hat ferner ein Karpaltunnelsyndrom links ohne anhaltendes sensomotorisches Defizit und aktuell ohne klinische Symptomatik bei guter Kraftentfaltung, Grob- und Feinmotorik der linken Hand festgestellt, was sich mit der sachverständigen Zeugenaussage des S1 deckt, der ferner eine unauffällige Elektrophysiologie beschrieben hat. Auch T1 hat ein Karpaltunnelsyndrom ohne relevante funktionelle Störungen beschrieben. Ein GdB kann hierfür nicht festgestellt werden.
2.
Beim Kläger ist, wie sich dem Gutachten des T1 entnehmen lässt, 2013 das Krankheitsbild einer Osteoporose (verminderte Knochenqualität) festgestellt worden. Im Anschluss erfolgte über 4 Jahre eine entsprechende medikamentöse Therapie. Dadurch hat sich die Knochenqualität verbessert, was durch entsprechende Knochendichtemessungen nach wie vor regelmäßig kontrolliert wird. Eine letzte Kontrolle erfolgte im Oktober 2023 mit einem unauffälligen Befund. Der Kläger hat keine relevanten Beschwerden durch diese Erkrankung. Auch wird derzeit keine medikamentöse Therapie durchgeführt. T1 hat zusätzlich eine Röntgendiagnostik der Brustwirbelsäule zum Ausschluss osteoporotisch bedingter Wirbelkörperbrüche durchgeführt, im Rahmen derer sich keine osteoporotisch bedingten radiologischen Auffälligkeiten gezeigt haben und womit sich der Erfolg der in der Vergangenheit durchgeführten medikamentösen Therapie bestätigt hat.
Bei ausgeprägten osteopenischen Krankheiten (z.B. Osteoporose, Osteopenie bei hormonellen Störungen, gastrointestinalen Resorptionsstörungen, Nierenschäden) ist der GdB vor allem von der Funktionsbeeinträchtigung und den Schmerzen abhängig (VG, Teil B, Nr. 18.1). Eine ausschließlich messtechnisch nachgewiesene Minderung des Knochenmineralgehalts rechtfertigt noch nicht die Annahme eines GdB. Entgegen T1, der für die Osteoporose einen GdB von 10 in Ansatz bringt, ist bei fehlenden Funktionsbeeinträchtigungen und Schmerzen für die Osteoporose kein GdB zu vergeben.
3.
Bei der Bewertung des AG-Syndroms als Stoffwechselerkrankung ist zu beachten, dass die VG diesbezüglich keine ausdrücklichen Vorgaben enthalten. Die behandelnde G1 hat in ihrer sachverständigen Zeugenaussage mitgeteilt, bei dem beim Kläger vorliegenden AG-Syndrom mit Salzverlustsyndrom handele es sich um eine angeborene Erkrankung, aufgrund derer der Kläger auf eine Hydrocortison- und Fludrocortison-Substitution angewiesen sei und bei der es in besonderen Stresssituationen und bei hochfieberhafter Erkrankung zu lebensbedrohlichen Nebennierenkrisen kommen kann. Der Senat hält deshalb, wie bereits das SG, die Einschätzungen zur Vergabe eines Einzel-GdB in den VG, Teil B, Nr. 15.1 für die Zuckerkrankheit analog anwendbar, da es insoweit nicht auf die Vergleichbarkeit der Erkrankungen, sondern den dadurch ausgelösten Therapieaufwand ankommt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27.10.2022, L 11 SB 65/18, juris; ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 03.05.2006, L 9 SB 45/03, sowie LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.11.2016, L 6 SB 94/16, beide juris).
Unter Berücksichtigung der dortigen Grundsätze ist ein Einzel-GdB für das AG-Syndrom nicht gerechtfertigt. Die medikamentöse Therapie des AG-Syndroms geht mit keinen relevanten Einschränkungen einher und vermag insbesondere keine Zustände, die einer Hypoglykämie vergleichbar wären, auszulösen. In den Berichten der G1 wird über eine gute Einstellung unter der verordneten medikamentösen Therapie berichtet. Die Elektrolyte lagen im Normbereich und eine Änderung der Therapie war nicht angezeigt. Soweit G1 auf die Möglichkeit von erheblichen Komplikationen bis hin zu lebensbedrohlichen Nebennierenkrisen bei ausgeprägten Stresssituationen und hochfieberhaften Erkrankungen hingewiesen hat, fehlt auch insoweit eine Vergleichbarkeit mit dem Risiko von Hypoglykämien, weil letztere direkte Folge der Therapie sind und im Übrigen sich der Gesundheitszustand des Klägers im Falle der aufgezeigten Komplikationen keinesfalls so rapide wie bei einer Hypoglykämie verschlechtern würde (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Die Möglichkeit des Auftretens solcher Komplikationen ist als eine allenfalls in der Zukunft zu befürchtende Gesundheitsstörung beim GdB nicht zu berücksichtigen (VG, Teil A, Nr. 2 Buchst. h). Dies belegt auch der Umstand, dass solche bedrohlichen Komplikationen beim Kläger bislang nicht berichtet worden sind; solche Komplikationen sind auch nicht während der vom Kläger in seiner Berufungsbegründung berichteten Covid-Infektion mit 3-tägigem, sehr hohem Fieber aufgetreten. Konkrete Funktionsstörungen, aufgrund derer eine GdB-Feststellung erfolgen könnte, resultieren daher aus dem AG-Syndrom nicht, so zu Recht der K2.
4.
Die vom Kläger angeführte Covid-Infektion im Juli 2022, die zu einem 6-wöchigen Geruchssinnverlust geführt habe, stellt keine Gesundheitsstörung dar, die mit einem GdB zu bewerten wäre. Eine Gesundheitsstörung, die im Rahmen der GdB-Bewertung Eingang finden kann, setzt einen regelwidrigen Körper- oder Gesundheitszustand für mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate voraus (§ 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 SGB IX); demgegenüber ist die Covid-Erkrankung wie auch die mit ihr einhergehende Beeinträchtigung des Geruchssinns nach klägerischen Angaben in einem deutlich kürzeren Zeitraum vollständig abgeheilt.
5.
Weshalb die beim Kläger vorliegenden Beeinträchtigungen im Funktionssystem „Herz-Kreislauf“, im Funktionssystem „Augen“ sowie im Funktionssystem „Ohren“ jeweils keinen Einzel-GdB von wenigstens 10 begründen können, hat das SG, gestützt auf die sachverständigen Zeugenaussagen der jeweiligen Fachärzte, schlüssig und nachvollziehbar dargestellt. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung ab und weist die Berufung insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 153 Abs. 2 SGG).
6.
Weitere Gesundheitsstörungen liegen beim Kläger nicht vor.
7.
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze zur Bildung des Gesamt-GdB wird der führende Einzel-GdB von 30 für die unteren Extremitäten durch die weiteren Einzel-GdB von 10 für die Wirbelsäulenerkrankung und für das Funktionssystem „Arme“ nicht weiter erhöht. Ein höherer Gesamt-GdB würde sich im Übrigen auch nicht bei Zugrundelegung der – wie dargelegt nicht im Einklang mit den Vorgaben der VG stehenden – Bewertungen des Sachverständigen des Vertrauens des Klägers, T1, ergeben. Denn im Hinblick auf die Wirbelsäulenerkrankung, die er (im Widerspruch zu dem von ihm erhobenen objektiven Befund) mit einem GdB von 20 bewertet wissen wollte, hat er selbst auf die deutlichen Überschneidungen zwischen den Funktionseinschränkungen im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule und denjenigen im Bereich des rechten Kniegelenks hingewiesen, was gegen eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung spricht. Bei einer Bewertung des Funktionssystems „Arme“ mit einem Einzel-GdB von bereits 20 entsprechend dem Vorschlag von T1 kann wiederum nicht begründet werden, weshalb dieser, wohl auch nach Einschätzung des T1, grenzwertig überhöhte Einzel-GdB sich erhöhend auf den Gesamt-GdB auswirken soll; dies entgegen den oben dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB, wonach bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 es vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.
Nach alledem war die Berufung des Klägers abzuweisen.
8.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG
9.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 SB 471/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 SB 418/23
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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