L 2/1 R 204/23

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
1. Instanz
SG Osnabrück (NSB)
Aktenzeichen
S 1 R 62/21
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 2/1 R 204/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Haben die beteiligten Sozialleistungsträger in Kenntnis der Unzulänglichkeiten des im Einzelfall eingeleiteten Versorgungsverfahrens vor der Selbstbeschaffung aufpreispflichtiger Hörgeräte keine effektiv nutzbaren Möglichkeiten zur Erzielung der geschuldeten bestmöglichen Angleichung an das Hörvermögen Gesunder aufgezeigt, dann können sie dem Erstattungsbegehren nicht entgegenhalten, dass der sach- und rechtsunkundige Versicherte weitergehende Maßnahmen zur Abklärung eventuell in Betracht kommender kostengünstigerer Versorgungsmöglichkeiten hätte ergreifen können.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 19. Juli 2023 geändert.

Die Beigeladene wird verpflichtet, der Klägerin die von ihr getragenen Mehrkosten für die selbst beschafften Hörgeräte vom Typ „pro+3 CZ 9 miniRITE“ in Höhe von 4.480 € zu erstatten.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Beigeladene tragen die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die als Beraterin im Bereich der beruflichen Rehabilitation bei der Bundesagentur für Arbeit vollzeitig beruflich tätige 1959 geborene Klägerin begehrt eine Erstattung der von ihr getätigten Aufwendungen für die Hörgeräteversorgung.

Aufgrund der bei der Klägerin vorhandenen Innenohrschwerhörigkeit verordnete die HNO-Praxis Dr. H. in I. am 2. September 2020 eine beidseitige Versorgung mit Hörhilfen.

Die Klägerin ließ sich bei dem Hörgeräteakustikunternehmen „Auge und Ohr J.“ in I. beraten, dem sie die o.g. Verordnung vom 2. September 2020 wenige Tage nach deren Ausstellung vorlegte.

Am 20. August 2020 unterbreitete dieses Unternehmen ein Angebot über eine beidseitige Versorgung mit Hörgeräten vom Typ „pro+3 CZ 9 miniRITE“ mit Gesamtkosten von 6.000 €.

Nachfolgend unterzeichnete die Klägerin am 28. September 2020 eine sog. „Patientenerklärung zur Versorgung mit Mehrkosten“. Im vorgedruckten Text dieses Formulars sind u.a. folgende Angaben festgehalten:

„Ich bin über das moderne und qualitativ hochwertige Angebot einer aufzahlungsfreien Versorgung… informiert worden. Ich habe aufzahlungsfreie Hörsysteme ausprobiert, mit denen meine individuelle Hörminderung in alltagsrelevanten Hörsituationen getestet wurden und mit denen ich gut zurecht kam.“

Weiter kreuzte die Klägerin in diesem Formular an, dass sie die höherwertige Hörgeräteversorgung wegen „beruflicher Gebrauchsvorteile“ wünsche. In der diesbezüglich zur Erläuterung beigefügten Tätigkeitsbeschreibung vom gleichen Tage erläuterte die Klägerin insbesondere, dass sie am Arbeitsplatz viele Gespräche namentlich auch mit behinderten Menschen führen müsse, wobei die Verständigung häufig durch Störgeräusche beeinträchtigt werde.

Mit Schreiben vom 28. September 2020 (bei der Beigeladenen eingegangen am Folgetag) wandte sich die Klägerin an die beigeladene Krankenkasse unter Beifügung eines an den beklagten Rentenversicherungsträger gerichteten Antrages auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Kostenübernahme für hochwertige Hörgeräte. Bei der Beklagten ist dieser Antrag am 29. September 2020 eingegangen.

Die Klägerin erläuterte, dass sie aufgrund einer Innenohrschwerhörigkeit auf den Einsatz von Hörgeräten angewiesen sei. Durch „Kassengeräte“ habe der Ausgleich nicht erreicht werden können. Da sie beruflich als Beraterin im Bereich der beruflichen Rehabilitation arbeite, sei sie auf eine „bessere Ausstattung“ angewiesen. In dem Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wies sie insbesondere auf eine starke Hörschädigung vor dem Hintergrund einer Migräneerkrankung sowie psychischer Beeinträchtigungen hin.

Bei ihrer beruflichen Tätigkeit komme es auf eine sehr genaue Kommunikation und Hörfähigkeit an. Es sei bereits in der Vergangenheit aufgrund ihrer Hörbehinderung zu Missverständnissen und eklatanten Hörproblemen gekommen. Daraus resultiere sogar die Gefahr falscher Entscheidungen (vgl. Bl. 59 VV der Beklagten).

Mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 leitete die Beigeladene den Antrag an die Beklagte weiter und teilte zugleich mit, dass sie die Kosten einer Hörhilfe in Höhe des Festbetrages von 1655 € (abzüglich 20 € Eigenanteil) für eine beidseitige Versorgung übernehme.

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2020 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nach Prüfung Ihres Antrages auf Kostenübernahme einer Hörgeräteversorgung sich dazu bereiterkläre, diese in Höhe von 1655,00 EUR abzüglich der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von 20,00 EUR zu übernehmen.

Bei der angegebenen Kostenhöhe handelt es sich um den nach Mitteilung der beigeladenen Krankenkasse aktuellen Vertragspreis für eine beidseitige Hörgeräteversorgung, welche im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs ausreichend und zweckmäßig ist.

Mit dieser Leistungsgewährung werde sichergestellt, dass ein Funktionsdefizit des (beidohrigen) Hörvermögens unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts bestmöglich ausgeglichen werde und dabei - soweit möglich - ein Sprachverstehen bei Umgebungsgeräuschen und in größeren Personengruppen zu erreichen sei.

Eine darüber hinausgehende Kostenerstattung für eine höherwertige Hörgeräteversorgung könne nicht gewährt werden, da die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht erfüllt seien. Die Höranforderungen in dem Beruf als Beraterin für berufliche Rehabilitation und Teilhabe beinhalteten keine spezifisch berufsbedingte Notwendigkeit für höherwertige Hörgeräte.

Persönliche oder telefonische Kommunikation im Zweier- oder Gruppengespräch - auch bei ungünstigen akustischen Bedingungen bzw. störenden Umgebungsgeräuschen am Arbeitsplatz - stelle eine Anforderung an das Hörvermögen dar, die bei nahezu jeder Berufsausübung besteht und daher keine spezifisch berufsbedingte Bedarfslage begründen kann.

Nachfolgend nahm die Klägerin am 24. November 2020 telefonisch Rücksprache bei der Beklagten (vgl. Bl. 95 VV) und erkundigte sich, ob sie die Hörgeräte bereits auf eigenes Risiko besorgen könne. Diese Frage wurde von Seiten der Beklagten bejaht.

Zur Begründung ihres am 12. November 2020 eingelegten Widerspruchs machte die Klägerin geltend, dass es sich nicht erschließe, aus welchem Grund unter Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Beschäftigung als Reha-Beraterin bei der Bundesagentur für Arbeit eine Standardversorgung das Funktionsdefizit des beidohrigen Hörvermögens bestmöglich ausgleichen könne. Im Rahmen ihrer Tätigkeit berate sie behinderte Menschen, die selbst unter hohen Sprach- und Hördefiziten leiden. Eine zielführende Kommunikation sei daher schon bei einem intakten Hörvermögen (auf ihrer Seite) in vielen Fällen äußerst schwierig. Gerade für ihre Tätigkeit sei aber für eine effektive Beratung eine einwandfreie Verständigung mit den ratsuchenden Menschen unabdingbar.

Während des Widerspruchsverfahrens erteilte die Klägerin dem Hörgeräteakustikunternehmen den Auftrag, sie mit den Hörgeräten vom Typ „pro+3 CZ 9 miniRITE“ zu versorgen. Hierfür berechnet das Unternehmen mit Rechnung vom 27. Januar 2021 (Bl. 57 GA) 4.500 € (Kosten für die beidseitige Versorgung in Höhe von 5918 € abzüglich Kassenanteile von 1438 €; die formal in Ansatz gebrachten Reparaturpauschalen in Höhe von jeweils 150 € wurden in der Rechnung als durch Kassenleistungen ausgeglichen ausgewiesen).

Mit Bescheid vom 1. Februar 2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und legte insbesondere dar: Eine Hilfsmittelgewährung könnte nur in Betracht kommen, wenn eine auf besonders gute Hörfähigkeit angewiesene berufliche Tätigkeit ausgeübt werde oder wegen der besonderen berufsspezifischen Verhältnisse am Arbeitsplatz notwendig sei.

Die von der Klägerin geschilderten beruflichen Anforderungen in der Tätigkeit als Beraterin für berufliche Rehabilitation und Teilhabe unterschieden sich nicht von den im Berufsleben üblicherweise bestehenden Bedingungen. Kommunikation sowohl mündlicher als auch fernmündlicher Art mit Kunden und Mitarbeitern, auch unter Vorhandensein einer Geräuschkulisse, gehöre zu jedem Berufsbereich und könne daher die für eine Leistung des Rentenversicherungsträgers geforderte spezifische Notwendigkeit nicht begründen.

Sollte der Festbetrag der Krankenkasse diesen allgemeinen Anforderungen nicht genügen, erwachse aus diesem Umstand keine Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers. Die „Festbetragsregelungen“ beschränkten den Leistungsanspruch von Versicherten nicht, wenn damit der Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht erreicht werde.

Zur Begründung der am 23. Februar 2021 erhobenen Klage hat die Klägerin erneut hervorgehoben, dass sie beruflich auf ein bestmögliches Hörvermögen angewiesen sei, wohingegen im Privatleben „keine Schwierigkeiten“ aufgetreten seien (Bl. 21 GA).

Mit Teilanerkenntnis vom 23. November 2021 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 27. Oktober 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2021 auf, soweit mit diesen über den „Grundbedarf der Klägerin nach § 33 SGB V“ entschieden worden war (Bl. 60 GA).

Das Sozialgericht hat Auskünfte des Hörgeräteakustikunternehmens sowie eine schriftliche Zeugenaussage der Hörgeräteakustikerin K. von März 2023 (Bl. 116 ff. GA) eingeholte. Die Zeugin hat insbesondere dargelegt, dass die von der Klägerin im Zuge der Anpassung getesteten sog. Festbetragsgeräte nur eine „einfache Störgeräuschunterdrückung“ und keine „Umgebungsanalyse“ aufgewiesen hätten. Mit diesen Geräten sei das Hören in „geräuschvollen Situationen schwieriger“.

Mit Urteil vom 19. Juli 2023 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 27., Oktober 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2021 aufgehoben, „soweit ihn die Beklagte nicht bereits mit Teilanerkenntnis vom 23.11.2021 aufgehoben hat.“ Zugleich verpflichtete es die Beklagte zur Tragung der von der Klägerin verauslagten Mehrkosten in Höhe von 4.500 €. Zur Begründung hat es dargelegt, dass der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin sich aus § 18 Abs. 6 SGB IX ergebe. Die kostenaufwendige Hörgeräteversorgung sei aufgrund der beruflich Tätigkeit der Klägerin notwendig geworden. Die Klägerin habe keine Möglichkeiten gehabt, einen vergleichbaren guten Ausgleich ihrer Hörminderung, wie dieser mit den Hörgeräten vom Typ „pro+3 CZ 9 miniRITE“ bewirkt werde, mit kostengünstigeren Geräten zu erlangen.

Die Klägerin habe insbesondere auch im Rahmen der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung die besonderen beruflichen Anforderungen an ihr Hörvermögen nachvollziehbar erläutert. Im Rahmen der Beratung sprach- und/oder hörbeeinträchtigter Bürger komme es „weit mehr auf die akustische Verständlichkeit des Gesprächs“ als in anderen Gesprächssituationen.

Gegen das ihr am 21. August 2023 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 13. September 2023.

Die Beklagte macht geltend, dass die beigeladene Krankenkasse am 6.10.2020 über den Festbetrag entschieden und den Antrag anschließend an sie weitergeleitet habe. Diese Entscheidung der Beigeladenen beinhalte eine Regelung eines Einzelfalls mit Wirkung nach Außen und damit einen Verwaltungsakt. Damit handelt es sich bei der Weiterleitung um eine unzulässige Antragssplittung. Die Krankenkasse sei weiterhin für die Entscheidung über den Antrag insgesamt zuständig geblieben.

Überdies gelte nach der Rechtsprechung bereits die Übergabe einer vertragsärztlichen Hörgeräteversorgung an den Hörgeräteakustiker als maßgebliche Erstantragstellung.

Wenn die Klägerin mit den durch den Akustiker zum Festbetrag bereitgestellten Hörgeräten kein bestmögliches Hörvermögen (auch bei Gesprächssituationen unter starken Umgebungsgeräuschen) erziele, sei nach den vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätzen die durch die Krankenkasse geschuldete Versorgung noch nicht vollständig erfüllt, zumal dann, wenn nicht hörgeschädigte Mitarbeiter unter den gleichen Bedingungen, ohne sich von der Lärmquelle zu entfernen, uneingeschränkt hören können. Im vorliegenden Fall treffe die beigeladene Krankenkasse daher eine Prüfpflicht, ob der Versorgungsanspruch der Klägerin gedeckt werden konnte. Der Freiburger Sprachtest bestätige, dass die Angleichung im Sinne eines Gleichziehens mit deren Hörvermögen mit sog. Festbetragsgeräten nicht vollständig erreicht wurde. In einem solchen Fall sei der unmittelbare Behinderungsausgleich nicht mit der Gewährung des Festbetrages gedeckt (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil von 7.4.2021 L 1 KR 325/19).

Der beklagte Rentenversicherungsträger sei dagegen nicht über § 14 SGB IX nach den Vorschriften des SGB VI (§§ 9 Abs. 1, 10 Abs. 1, 16 SGB VI i.V.m. § 49 SGB IX) zur Übernahme der Mehrkosten verpflichtet. Ein ausreichendes Sprachverständnis unter schwierigen akustischen Bedingungen zähle zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens.

Auch wenn es sich bei der Tätigkeit der Klägerin um einen (empathisch) kommunikativ geprägten Beruf handeln mag, so bringe diese Tätigkeit doch keine derart außergewöhnlichen Hörsituationen mit sich, dass eine über das normale Maß hinausgehende höherwertige Versorgung geboten wäre. (Mehr-)Personengespräche und Beratungen auch unter Störgeräuschen gehörten nahezu zu jeder beruflichen Tätigkeit.

Dementsprechend sei kein persönlicher, im Speziellen auf das Erwerbsleben bezogener Teilhabebedarf der Klägerin im Sinne einer erheblichen Gefährdung oder bereits vorliegenden Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 10 SGB VI zu erkennen. Sollte ein über den Festbetrag hinausgehender Bedarf an höherwertigen Hörhilfen festgestellt werden, falle dieser sowohl verfahrens- als auch materiell-rechtlich in den Zuständigkeitsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die Beklagte hat allerdings auch vorgetragen, dass aus ihrer Sicht kein wesentlicher Gebrauchsvorteil des aufzahlungspflichtigen Hörgerätes festzustellen sei (vgl. Schriftsatz vom 4. Dezember 2023).

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung m Hinblick auf den von ihr zu tragenden Eigenanteil in Höhe von 20,-- Euro das Erstattungsbegehren auf 4.480,-- Euro reduziert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 19. Juli 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, unter Abänderung dieses Urteils an ihrer Stelle die Beigeladene zur Erstattung der Aufwendungen der Klägerin zu verpflichten.

Im Übrigen beantragt sie,

die Berufung zurückzuweisen, soweit diese darauf gerichtet sei, dass weder die Beklagte noch die Beigeladene zur Erstattung ihrer Aufwendungen verpflichtet sei.

Die Beigeladene beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, dass ihr durchaus bekannt gewesen sei, dass ein Leistungsantrag vor der Erbringung (gemeint nach dem Zusammenhang: vor der Selbstbeschaffung) der begehrten Leistung zu stellen sei. Aus diesem Grunde habe sie einen Leistungsantrag bereits am 28.09.2020 gestellt, also bevor sie sich für ein entsprechendes Hörgerät entschieden habe. Eine Entscheidung für die Hörgeräte sei nach länger andauernder Erprobung erst am 27.01.2021 gefallen, nachdem sich bei der Erprobung herausgestellt hatte, dass sie nur mit den beschafften Hörgeräten Ihren beruflichen Verpflichtungen ordnungsgemäß nachkommen konnte.

Die Tätigkeit als Reha-Beraterin bei der Agentur für Arbeit sei nicht mit der Tätigkeit anderer bei Agentur für Arbeit beschäftigter Berater vergleichbar, da sich diese im Wesentlichen auf die Beratung nicht behinderter Menschen erstrecke. Mit der Standard-Versorgung der beigeladenen Krankenkasse wäre das Hören und Verstehen in größeren Räumen (z.B. bei Besprechungen mit einer größeren Anzahl Personen und störenden Nebengeräuschen) sehr schwierig bzw. unmöglich geworden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die dort informatorisch gehörte Klägerin erläutert, dass sie in ihrer beratenden Tätigkeit bei der Bundesagentur für Arbeit oft auch im Außendienst tätig sei. Sie müsse beispielsweise Unternehmen aufsuchen, um Vorort die Einsatzmöglichkeiten von Behinderten prüfen zu können. Zu ihrer Tätigkeit gehöre auch die Teilnahme an Teilhabekonferenzen, die inzwischen vom SGB IX vorgesehen seien. Ferner habe sie auch Schulen und Bildungsträger zu beraten. Dementsprechend müsse sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit vielfach an Gesprächen auch unter schwierigen akustischen Bedingungen, insbesondere unter Störschalleinwirkungen teilnehmen. Beispielsweise seien gerade auch bei Gesprächen in Werkstätten für Behinderte häufig hohe Geräuschkulissen anzutreffen.

Im Zuge der Beratung über die Hörgeräteversorgung seien ihr von dem aufgesuchten Hörgerä-teakustiker mehrere Geräte zur Erprobung überlassen worden. Darunter seien auch sog. Festbetragsgeräte gewesen. Im täglichen Alltag habe sie aber feststellen müssen, dass die sog. ihr zur Erprobung überlassenen Festbetragsgeräte gerade unter Störschall nicht in der Lage gewesen seien, ihr einen verlässlichen Höreindruck zu vermitteln. Erst die im Ergebnis angeschafften Hörgeräte zum Aufpreis hätten aus ihrer Sicht ein befriedigendes Hörerlebnis ermöglicht. Nur mit diesen Geräten habe sie letztlich die Gesprächsbeiträge der weiteren Gesprächsteilnehmer verstehen können, wenn die akustische Ausgangslage, insbesondere durch Störschalleinwirkungen schwierig gewesen sei.

Entsprechende Beobachtungen habe sie natürlich auch im privaten Bereich gemacht. Auch dort profitiere sie von den im Ergebnis angeschafften höherwertigen Hörgeräten in der Form, dass sie bei schwierigen Hörsituationen und insbesondere unter Hörschalleinwirkungen gleichwohl die Gesprächsteilnehmer gut verstehen könne. Mit Festbetragsgeräten habe sie hingegen auch im privaten Bereich entsprechende Schwierigkeiten erfahren. Ein Unterschied sei diesbezüglich nach ihren Erfahrungen nur in der Hinsicht festzustellen, dass es ihr im privaten Bereich leichter möglich sei, auf ihre Hörbehinderung hinzuweisen und dementsprechend den Gesprächsteilnehmer um eine Wiederholung seiner Äußerung zu bitten.

Im beruflichen Bereich habe sie hingegen schwerpunktmäßig mit behinderten Menschen zu arbeiten. Die psychische Ausgangslage sei bei nicht wenigen zu beratenden Menschen oft schwierig. Dies führe unglückerweise dazu, dass diese sich irrtümlich persönlich angefasst fühlten, wenn sie wiederholt nachfragen müsse. Dies könne mitunter sogar zu aggressiven Reaktionen auf Seiten der zu beratenden Klienten führen. Bei dieser Ausgangslage empfinde sie es im beruflichen Bereich als besonders störend, wenn sie Gesprächsbeiträge nicht verlässlich erfassen könne und daher nachfragen müsse. Im privaten Bereich sei die akustische Ausgangslage natürlich die Gleiche, dort könne sie aber leichter und ohne Gefahr von unangenehmen Reaktionen nachfragen.

Die Beigeladene macht geltend, dass die Klägerin von dem beklagten Rentenversicherungsträger eine Entscheidung über die Festbeiträge erhalten habe, ein nach Ansicht der Beklagten unzulässiges Antragssplitting liege damit nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Auf die zulässige Berufung der Beklagten ist unter Zurückweisung ihrer im Übrigen das Urteil des Sozialgerichts mit der Maßgabe abzuändern, dass anstelle der Beklagten die Beigeladene zur Erstattung der im vorliegenden Verfahren (unter Berücksichtigung der Teilrücknahme der Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hinsichtlich der von der Klägerin gemäß §§ 33 Abs. 8, 61 SGB V in Höhe von jeweils 10 € für jedes der beiden Hörgeräte zu tragenden Eigenbeteiligung) streitbetroffenen Mehraufwendungen der Klägerin für die Hörgeräteversorgung in Höhe von 4.480 € (4.500 € von ihr getragene zusätzliche Aufwendungen abzüglich gesetzlicher Zuzahlung) zu verpflichten ist.

1. Die Verpflichtung der Beigeladenen folgt aus der durch § 75 Abs. 5 SGG eröffneten Befugnis, anstelle des verklagten Versicherungs- oder Leistungsträgers nach Beiladung den tatsächlich leistungsverpflichteten, aber nicht verklagten Träger zu verurteilen. Diese prozessual vorgesehene Möglichkeit der Verurteilung auf Beiladung dient vor allem der Prozessökonomie, einer Klageänderung (§ 99 SGG) bedarf es dabei nicht (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013, B 3 KR 5/12 R, juris, Rdnr. 11 = SozR 4-3250 § 14 Nr. 19, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. August 2013, L 13 R 2607/10, juris, Rdnr. 33). Hierzu bedarf es insbesondere keines weiteren abgeschlossenen Vorverfahrens im Sinne des § 83 SGG (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R –, BSGE 113, 40-60, SozR 4-3250 § 14 Nr. 19, Rn. 13 m.w.N.).

2. Sachlich zuständig für die Prüfung des Begehrens der Klägerin ist die beigeladene Krankenkasse.

Das Begehren der Klägerin war bei verständiger Auslegung entsprechend der Auslegungsregel des § 2 Abs. 2 SGB I auf eine umfassende, nach Maßgabe des Leistungsrechts des Sozialgesetzbuches (hier: des Leistungsrechts der GKV nach dem SGB V sowie des Leistungsrechts der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI) bestmögliche Versorgung mit einem neuen Hörgerät gerichtet.

Unter Heranziehung von § 133 BGB ist der wirkliche Wille zu erforschen. Zugrunde zu legen sind insoweit der Wortlaut des Begehrens, aber auch die sonstigen Umstände des Falles, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was der Klägerin aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (BSG, Beschluss vom 22. September 2020 – B 5 RS 6/20 B –, Rn. 10, juris).

Eine solche Auslegung des Leistungsbegehrens schließt die Aufspaltung des klägerischen Begehrens in zwei separate Leistungsanträge, nämlich in einem Antrag auf Bewilligung eines Festbetrages (§ 12 Abs 2 SGB V) und einen weiteren Antrag auf Bewilligung einer über den Festbetrag hinausgehenden, technisch anspruchsvolleren und teureren Versorgung von vornherein aus. Es ist also von einem einheitlichen Leistungsantrag auszugehen (vgl. zum Vorstehenden: BSG, U.v. 24. Januar 2013 – B 3 KR 5/12 R –, BSGE 113, 40, Rn. 21). Dies gilt im Ergebnis unabhängig von der Frage, ob im jeweiligen Einzelfall eventuell besondere Gegebenheiten der jeweils ausgeübten beruflichen Tätigkeit mit außergewöhnlichen Anforderungen an eine Hörgeräteversorgung einhergehen mögen.

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX stellt der Rehabilitationsträger bei Beantragung von Leistungen zur Teilhabe innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrages bei ihm fest, ob er nach dem für ihn geltenden Leistungsgesetz für die Leistung zuständig ist; bei den Krankenkassen umfasst die Prüfung auch die Leistungspflicht nach § 40 Absatz 4 des Fünften Buches. Stellt er bei der Prüfung fest, dass er für die Leistung insgesamt nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich dem nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger zu und unterrichtet hierüber den Antragsteller.

Wird der Antrag nicht weitergeleitet, stellt der Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX den Rehabilitationsbedarf anhand der Instrumente zur Bedarfsermittlung nach § 13 unverzüglich und umfassend fest und erbringt die Leistungen (leistender Rehabilitationsträger). Muss für diese Feststellung kein Gutachten eingeholt werden, entscheidet der leistende Rehabilitationsträger innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang (Abs. 2 Satz 2). Wird der Antrag weitergeleitet, gilt dies für den Rehabilitationsträger, an den der Antrag weitergeleitet worden ist, entsprechend (Abs. 2 Satz 4).

Eine Weiterleitung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX kam im vorliegenden Fall für die beigeladene Krankenkasse schon deshalb nicht in Betracht, weil von vornherein keine Feststellung getroffen worden ist und auch nicht getroffen werden konnte, dass diese für die Leistung „insgesamt nicht zuständig“ gewesen sein könnte. Die beigeladene Krankenkasse hat vielmehr bereits mit der formal vorgenommenen Weiterleitung an die Beklagte ausdrücklich ihre Leistungspflicht nach § 33 SGB V (in Höhe der sog. Festbeträge) ausdrücklich anerkannt.

Im Übrigen hat die Beigeladene mit der formal mit Schreiben vom 6. Oktober 2020 erklärten Weiterleitung auch nicht die Zweiwochenfrist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX eingehalten, da der maßgebliche Antragseingang im Sinne dieser Vorschrift bei der Beklagten bereits Anfang September 2020 erfolgt war.

Die Zuständigkeit der Beigeladenen ist bereits mit der in ersten Tagen des Monats September 2020 erfolgten Übergabe der Hörgeräteverordnung an den Hörgeräteakustiker begründet worden (vgl. dazu im Einzelnen Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. Februar 2023 – L 2 R 263/22 –, Rn. 28 ff., juris). Versicherte, die – wie im vorliegenden Fall die Klägerin – mit einem Leistungserbringer gerade als Vertragspartner ihrer Krankenkasse in Kontakt treten, stellen damit grundsätzlich gleichzeitig den Antrag nach § 19 S 1 SGB IV, den anders anzubringen ihnen durch das Verhalten ihrer Kasse faktisch gerade verwehrt ist. Aus der Sicht des Versicherten besteht ein der Krankenkasse zurechenbarer Rechtsschein der Empfangszuständigkeit des Hörgeräteakustikers für Leistungsanträge im Sinne einer geduldeten passiven Stellvertretung (vgl. BSG, U.v. 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R –, BSGE 117, 192, Rn. 42).

Dementsprechend war die Beigeladene zur umfassenden Prüfung des Begehrens der Klägerin auf Versorgung mit den Anforderungen genügenden Hörgeräten nach Maßgabe des § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet.

3. Bereits mangels eigener sachlicher Zuständigkeit der Beklagten ist die vom Sozialgericht im Ergebnis ausgesprochene Aufhebung der von ihr erlassenen Bescheide insgesamt aufzuheben. Dementsprechend muss der Senat nicht weiter prüfen, ob eine Teilaufhebung, wie sie bereits vor der Aufhebung der Bescheide im Übrigen im Rahmen der erstinstanzlichen Entscheidung von der Beklagten in dem erstinstanzlich ausgesprochenen Teilanerkenntnis zum Ausdruck gebracht hat, im vorliegenden Zusammenhang überhaupt rechtswirksam erklärt werden konnte.

Da die Beigeladene allerdings selbst die (Teil-)Weiterleitung des klägerischen Begehrens an den sachlich unzuständigen Träger der Rentenversicherung veranlasst hat, muss sie sich auch dessen Entscheidungen und Versäumnisse anrechnen lassen.

4. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung des von ihr (neben der gesetzlichen Zuzahlung in Höhe von 20 € für die beiden Hörgeräte) verauslagten Eigenanteils in Höhe von 4.480 € ergibt sich aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Nach dieser Vorschrift sind von der Krankenkasse dem Versicherten die Kosten für die selbstbeschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie (entsprechend im vorliegenden Fall angesichts der rechtswidrigen Weiterleitung an diesen: der Rentenversicherungsträger) eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte notwendige Leistung Kosten entstanden sind.

Versicherte haben gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen bestimmt gemäß § 36 Abs. 1 SGB V Hilfsmittel, für die Festbeträge festgesetzt werden. Für die Versorgung mit diesen Hilfsmitteln setzt er gemäß Abs. 2 einheitliche Festbeträge fest.

Diese Regelungen lassen allerdings im Verhältnis zum Versicherten den Sachleistungsanspruch auf Versorgung mit den benötigten Hilfsmitteln nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V unberührt (vgl. bereits BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2002 – 1 BvL 28/95 –, BVerfGE 106, 275, Rn. 139). Soweit der Festbetrag für den Behinderungsausgleich objektiv nicht ausreicht, bleibt es bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur - von den gesetzlich vorgesehenen Zuzahlungen in Höhe von zehn Euro je Hörgerät abgesehen - kostenfreien Versorgung der Versicherten (BSG, U.v. 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170, Rn. 29).

Ein Festbetrag darf leistungsbegrenzende Wirkung nur entfalten, wenn er im Zeitpunkt der beanspruchten Versorgung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Insoweit liegt das Risiko der ausreichenden Festbetragsbemessung bei den Krankenkassen, nicht aber bei den Versicherten (BSG, aaO, Rn. 30).

Gewährleistet ist die erforderliche Versorgung zum Festbetrag, wenn sich ein Betroffener die ihm zustehende Leistung mit einem Mindestmaß an Wahlmöglichkeit zumutbar beschaffen kann. Insoweit gilt für seinen Anspruch zunächst das allgemeine Leistungsrecht des SGB V. Deshalb hat der Festbetrag im medizinisch vertretbaren Rahmen regelmäßig Raum für eine hinreichende Auswahl unter verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten zu belassen. Zudem sind Zumutbarkeitsgesichtspunkte zu beachten; es reicht nicht aus, dass überhaupt ein Leistungserbringer die notwendige Leistung bereithält. Erforderlich ist vielmehr, dass dieser angemessen erreichbar und seine Inanspruchnahme auch ansonsten zumutbar ist (BSG, aaO, Rn. 35).

Die Festbetragsregelung enthebt die Krankenkassen mithin nicht von ihrer Pflicht, ihrerseits im Rahmen der Sachleistungsverantwortung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB V) für die ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Hieraus können gesteigerte Obhuts- und Informationspflichten erwachsen, wenn vor allem bei anpassungsbedürftigen Hilfsmitteln der notwendige Überblick über die Marktlage und geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig zu erlangen ist. Das Festbetragsregime setzt nicht die Verantwortung der Krankenkassen für die Leistungsverschaffung im Rahmen des Sachleistungsprinzips außer Kraft, sondern modifiziert nur das Entscheidungsverfahren zur Bestimmung der angemessenen Leistungsvergütung. Insoweit kann die Verpflichtung, Versicherten bei einem unübersichtlichen Leistungsangebot einen konkreten Weg zu den gesetzlich möglichen Leistungen aufzuzeigen, gerade auch hier gelten (BSG, aaO, Rn. 36 mwN).

Im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs – und damit auch bei einer Hörgeräteversorgung – ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet. Für diesen unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Dies dient in aller Regel ohne gesonderte weitere Prüfung der Befriedigung eines Grundbedürfnisses des täglichen Lebens im Sinne von § 47 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX (entsprechend § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX 2001), weil die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion als solche schon ein Grundbedürfnis in diesem Sinne ist. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist (BSG aaO, Rn. 15 mwN).

Maßgebliches Ziel einer Versorgung mit Hörgeräten muss nach den erläuterten gesetzlichen Vorgaben die Angleichung an das Hörvermögen hörgesunder Menschen darstellen. Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen haben Anspruch auf diejenige Hörgeräteversorgung, die die nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt, soweit dies im Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil bietet (BSG, B.v. 28. September 2017 – B 3 KR 7/17 B –, SozR 4-1720 § 186 Nr 1, Rn. 15).

Solange dieser Ausgleich im Sinne eines Gleichziehens mit deren Hörvermögen nicht vollständig erreicht ist, kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen Hörgerät nach der Rechtsprechung des BSG gerade nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nur für die Aufrechterhaltung eines - wie auch immer zu bestimmenden - Basishörvermögens aufzukommen habe. Teil des von den Krankenkassen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es vielmehr, hörbehinderten Menschen im Rahmen des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, aaO, Rn. 20 mwN).

Die Ergebnisse eines Hörens unter Störschalleinwirkungen, wie sie auch im täglichen Leben sehr häufig anzutreffen sind, hängen neben der konkreten Ausgestaltung des persönlichen Hörvermögens und seiner individuellen Beeinträchtigungen maßgeblich von in ganz unterschiedlichen Ausprägungen, Stärken und Wechselwirkungen in Betracht zu ziehenden Störschalleinwirkungen und natürlich auch von der Qualität der Primärschallquelle ab, deren Wahrnehmung auch unter Störschall angestrebt wird. Unterschiedliche Anforderungen können sich überdies auch hinsichtlich der im jeweiligen Lebenszusammenhang erforderlichen Qualität der Hörwahrnehmung ergeben (vgl. dazu und zum Folgenden bereits Senatsurteile vom 20. Februar 2023 – L 2 R 263/22 –, juris, und vom 06. September 2023 – L 2 R 239/22 – juris).

Angesichts der vielfältigen Ausgestaltungen entsprechender Störschallbeeinträchtigungen und der vielfältigen Unterschiede im individuellen (beeinträchtigten) Hörvermögen ermöglichen die unter Testbedingungen auf der Basis einer einzelnen klar strukturierten Störschalleinwirkung mit lediglich einer wahrzunehmenden Primärschallquelle punktuell ermittelten Ergebnisse im Rahmen der sog. Freiburger Sprachtests keine verlässlichen Rückschlüsse darauf, mit welcher Qualität der Betroffene mit den jeweiligen Hörgeräten (und ggfs. mit welchen Einstellungen und Programmierungen dieser Geräte) unter den ganz unterschiedlich ausgeprägten Störschallsituationen im Alltag Höreindrücke verstehen kann. Sowohl im beruflichen wie im privaten Alltag müssen die Versicherten möglichst verlässliche Höreindrücke auch bei qualitativ sehr unterschiedlich ausgeprägten und sich nicht selten auch überlagernden Primärschallquellen erzielen können. Dabei wird die Wahrnehmung sowohl im beruflichen wie auch im privaten Bereich vielfach durch das Zusammenwirken sich überlagernder unterschiedlicher Störschalleinwirkungen erschwert.

Die Verfolgung von Gesprächen im Rahmen einer lebhaften Geburtstagsfeier beschreibt nur beispielhaft eine von vielen in Betracht kommenden Auswirkungen schwieriger Hörsituationen. Die gebotene bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder gebietet im Rahmen des technisch Machbaren eine Versorgung, welche grundsätzlich auch in solchen problematischen Hörumgebungen ein verlässliches Hören in dem auch bei einem gesunden Menschen zu erwartenden Rahmen gewährleistet.

Allein der Umstand, dass (wie bei nahezu allen im Erwerbsleben stehenden Hörbeeinträchtigten) Hörgeräte – auch – für die berufliche Tätigkeit einer Versicherten erforderlich sind, begründet noch keine Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob dem betroffenen Versicherten Defizite einer Hörgeräteversorgung am Arbeitsplatz besonders auffallen, weil diese dort mit schwerer wiegenden Nachteilen wie namentlich in Form der fehlerhaften Erfassung und Erfüllung von Arbeitsaufträgen verbunden sind als wenn etwa bei einer privaten Zusammenkunft Gesprächsbeiträge nur unzureichend akustisch verstanden werden.

Auch im vorliegenden Fall vermag der Senat nichts dafür festzustellen, dass am Arbeitsplatz der Klägerin besondere Anforderungen an das Hörvermögen zu bewältigen waren, welche die auch im täglichen Leben bei den auch dort anzutreffenden schwierigen Hörsituationen maßgeblichen Anforderungen übersteigen. Auch im täglichen Leben findet die Kommunikation häufig unter (nicht selten sogar sehr erheblichen) Störschalleinwirkungen statt. Ebenso ist auch im täglichen Leben nicht selten, dass weitere Gesprächsteilnehmer ihrerseits ebenfalls Beeinträchtigungen im Bereich des Hörvermögens und/oder der präzisen sprachlichen Artikulation aufweisen. Selbstverständlich sind die Versicherten auch im täglichen Leben in zahlreichen Situationen auf eine möglichst exakte Erfassung des genauen Bedeutungsinhalts der Beiträge anderer Gesprächsteilnehmer angewiesen.

Dementsprechend hat die Anhörung der Klägerin durch Senat verdeutlicht, dass die Hörprobleme beim Einsatz sog. Festbetragsgeräte in Störschallsituationen im Ergebnis in gleicher Weise im privaten wie im beruflichen Bereich zu verzeichnen waren. Soweit sich die Klägerin im privaten Bereich angesichts einer dort üblicherweise zu erwartenden wohlwollenden Unterstützung durch die Gesprächspartner weniger gehemmt fühlt, um eine Wiederholung zunächst akustisch nicht verstandener Gesprächsbeiträge zu bitten, vermag dies schon im Ausgangspunkt keine Verlagerung der Versorgungszuständigkeit auf die Rentenversicherung zu begründen. Die anzustrebende bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder gebietet gleichermaßen in Bezug auf den privaten wie auch auf den beruflichen Einsatz eine qualitativ hochwertige Versorgung, aufgrund derer nach Möglichkeit die Beiträge anderer Gesprächsteilnehmer so verlässlich übermittelt werden, dass es schon im Ausgangspunkt wie auch bei hörgesunden Teilnehmern keiner vermeidbaren Nachfragen aufgrund akustischer Verständnisdefizite bedarf.

Begrenzt ist der so umrissene Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Die Leistungen müssen danach "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein" und dürfen "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten"; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (BSG, aaO, Rn. 21).

Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der GKV ist eine kostenaufwändige – und damit erforderlichenfalls auch eine mit erheblichen Mehrkosten verbundene – Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Das gilt bei Hilfsmitteln zum unmittelbaren Behinderungsausgleich für grundsätzlich jede Innovation, die dem Versicherten in seinem Alltagsleben deutliche Gebrauchsvorteile bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (vgl. zum Vorstehenden: BSG, aaO, Rn. 21).

In diesem Rahmen ist bei der Auswahl der Hörgeräte die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder anzustreben, soweit damit im allgemeinen Alltagsleben im Vergleich zu anderen in Betracht kommenden Hörhilfen erhebliche Gebrauchsvorteile einhergehen (BSG, U.v. 17. Dezember 2009, aaO, Rn. 19). Die Beurteilung, ob im Einzelfall eine entsprechende Erheblichkeit von Gebrauchsvorteilen festzustellen ist, hat sich an den gesetzlichen Vorgaben des SGB IX auszurichten, welche zugleich der Realisierung der verfassungsrechtlichen Wertvorgaben aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zu dienen bestimmt sind.

Anzustreben ist gemäß § 1 SGB IX die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe der Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft. Ihre persönliche Entwicklung ist ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX). Benachteiligungen sind zu vermeiden, ihnen ist entgegenzuwirken (§ 1 SGB IX).

Dabei umfasst die auf Krankenkassenkosten im Interesse der rechtlich gebotenen Angleichung an das Hörvermögen Gesunder zu gewährleistende Funktionalität des Hilfsmittels auch dessen effektive und anstrengungsarme Einsetzbarkeit im Alltag. Insbesondere muss auch der Hörbeeinträchtigte an Gesprächen (im Rahmen des Möglichen) ohne besondere Anstrengungen wie ein Gesunder effektiv teilnehmen können, ohne daran etwa durch wiederholt erforderlich werdende aufwendige Einstellvorgänge spürbar gehindert werden. Die Funktionalität der Hörgeräte in ihrer tatsächlichen Anwendung ist beeinträchtigt, wenn der Betroffene aufgrund ihrer unzureichenden Gebrauchstüchtigkeit sich nicht wie ein Gesunder mit voller Aufmerksamkeit dem Inhalt des maßgeblichen Gesprächs widmen, sondern deutliche Teile seiner Aufmerksamkeit der Bedienung der Hörhilfen zuwenden muss.

Die Verhältnismäßigkeit eines finanziellen Mehraufwandes in Relation zum verbesserten Gebrauchsnutzen kann bei Hörgeräten entsprechend der angestrebten langfristigen Versorgung nur auf der Basis eines hinreichend langen Beurteilungszeitraums sachgerecht beurteilt werden. Hörgeräte sind typischerweise langjährig einsetzbar. Bezeichnenderweise sehen die Krankenkassen auch eine Zahlung weiterer Service- und Reparaturpauschalen für den Einsatz im 7. bis 9. Versorgungsjahr vor (vgl. etwa https://www.tk.de/techniker/leistungen-und-mitgliedschaft/informationen-versicherte/leistungen/weitere-leistungen/hilfsmittel/hoergeraete-erwachsene-kinder/wann-kann-ich-ein-neues-hoergeraet-bekommen--2143254). Auch von Seiten von Hörgeräteakustikern wird auf die Möglichkeit einer langjährigen Nutzung hingewiesen (vgl. etwa unter https://www.mysecondear.de/blogs/wissen/krankenkasse: Bislang war eine Nutzungsdauer von sechs Jahren bei Hörgeräten vorgesehen. Durch den technischen Fortschritt halten Hörgeräte aber auch deutlich länger, sodass nach Ablauf dieser sechs Jahre vielleicht nur eine Instandsetzung erforderlich wird und keine Versorgung mit neuen Modellen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen).

Auch im vorliegenden Fall sind im Ergebnis angesichts der damit verbundenen erheblichen Vorteile beim Hören keine Bedenken hinsichtlich der Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der Mehraufwendungen für die erfolgte aufpreispflichtige Hörgeräteversorgung erkennbar.

Die persönliche Anhörung der Klägerin durch den Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat verdeutlicht, dass sie mit den ihr von Seiten des konsultierten Hörgeräteakustikers zur Erprobung bereitgestellten sog. Festbetragshörgeräten in Störschallsituationen nur sehr unzulänglich an Gesprächen teilnehmen konnte. Sie war dann nicht ansatzweise in der Lage, an den Gesprächen so wie ein hörgesunder Teilnehmer mitwirken zu können. Vielmehr musste sie sehr häufig die Gesprächsteilnehmer um Wiederholungen ihrer (für die hörgesunden Gesprächsteilnehmer gut verständlichen) Äußerungen bitten, um diese akustisch wahrnehmen zu können. Ein solcher Missstand ist von der anzustrebenden bestmöglichen Angleichung an das Hörvermögen Gesunder weit entfernt.

Dementsprechend ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen Leistungen nach den für die Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen mit der Zielrichtung erhalten sollen, ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken. Ein Aspekt dieser umfassend ausgestalteten gesetzlichen Zielvorgabe ist das Gebot, die Teilhabe der Betroffenen am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX). Bei entsprechenden Verhältnismäßigkeitserwägungen ist im Rahmen der gebotenen Gesamtbeurteilung bei im Erwerbsleben stehenden Menschen auch die besondere Bedeutung eines guten Hörvermögens für die möglichst langfristig und dauerhaft auszurichtende Sicherung ihrer künftigen Teilhabe am Arbeitsleben angemessen zu berücksichtigen. Dabei kommt schon diesem Teilaspekt regelmäßig eine große, und zwar insbesondere auch wirtschaftliche, Bedeutung zu. Schon das (zunächst vorläufig zu ermittelnde) rentenrechtliche Durchschnittsentgelt im Sinne des § 69 Abs. 2 SGB VI beläuft sich inzwischen auf 38.901 € im Jahr, mithin bezogen auf einen Siebenjahreszeitraum auf rund 270.000 € (zuzüglich der bei wirtschaftlicher Betracht im Ergebnis ebenfalls vom Arbeitnehmer durch seine Arbeitsleistungen zu erarbeitenden Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung).

4. Nach Maßgabe der vorstehend erläuterten gesetzlichen Vorgaben war die Versorgung der Klägerin mit Hörgeräten vom Typ „pro+3 CZ 9 miniRITE“ erforderlich im Sinne von § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V. Für die Klägerin war insbesondere auch angesichts des die gesetzlichen Vorgaben nachhaltig missachtenden Beratungsversagens der Beklagten und der Beigeladenen kein kostengünstigerer Weg erkennbar, mit dem sie ihren Anspruch auf eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder realisieren konnte.

a) Die Beigeladene und die Beklagte haben ihre der Klägerin gesetzlich nach Maßgabe des § 14 SGB I geschuldeten Beratungspflichten bereits bedingt durch strukturelle Defizite gröblich verletzt.

 (1) Die Beratungspflicht dient der möglichst weitgehenden Verwirklichung der individuellen Sozialleistungsansprüche; die Versicherten sollen die ihnen gesetzlich eingeräumten Ansprüche „bestmöglich“ nutzen können (BSG, U.v. 17. Juni 2021, aaO, Rn. 17).

Ein individuelles Beratungsersuchen muss nur sinngemäß zum Ausdruck gebracht werden. Entsprechend allgemeinen Grundsätzen obliegt es den Sozialleistungsträgern und damit auch den Krankenkassen bei Eingaben der Versicherten, unter Heranziehung von § 133 BGB den darin zum Ausdruck gebrachten Willen zu erforschen. Zugrunde zu legen sind insoweit der Wortlaut des Begehrens, aber auch die sonstigen erkennbaren Umstände des Falles. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Betroffenen aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht (BSG, Beschluss vom 22. September 2020 – B 5 RS 6/20 B –, Rn. 10, juris). Dementsprechend bringt ein Leistungsbegehren regelmäßig auch den Willen der Versicherten zum Ausdruck, über die Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Realisierung der angestrebten Leistung fachgerecht beraten zu werden, soweit diesbezüglich nach dem Gesamtzusammenhang nicht bereits mit einer hinreichenden Vertrautheit des Versicherten ausgegangen werden kann. Dies gilt in besonderem Maße, wenn schon die sachgerechte Auswahl der Leistung wie namentlich bei Hörgeräten mit besonderen Anforderungen verbunden ist.

Auch unabhängig von einem Beratungsbegehren des Bürgers sind die Sozialleistungsträger darüber hinaus verpflichtet, bei Vorliegen eines konkreten Anlasses im Rahmen einer sog. „Spontanberatung“ auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen (BSG, U.v. 10. Dezember 2003 – B 9 VJ 2/02 R –, BSGE 92, 34, Rn. 31). Die Beratung darf sich nicht auf verlässlich zu erwartende Verlaufsentwicklungen beschränken, vielmehr hat sie sich insbesondere auch auf „nicht fernliegende“ Komplikationen erstrecken, auf die die Betroffenen vorbereitet sein sollten (BSG, U.v. 17. Juni 2021 – B 3 P 5/19 R –, BSGE 132, 216, Rn. 15).

Versicherte, denen aufgrund entsprechender Beeinträchtigungen vom behandelnden HNO-Arzt Hörgeräte verordnet worden sind, sind im Regelfall mit dem Umfang ihrer daraus gegenüber den Krankenkassen resultierenden Versorgungsansprüche und den Möglichkeiten ihrer effektiven Durchsetzung nicht oder allenfalls nur sehr unzulänglich vertraut.

Mithin haben die Krankenkassen auch unter dem Gesichtspunkt der ihnen obliegenden Spontanberatung dafür Sorge zu tragen, dass die Versicherten zeitnah nach einer entsprechenden Verordnung von Hörgeräten mit der Zielrichtung beraten werden, dass ihre Versorgungsansprüche im Sinne der gesetzlichen Vorgaben des § 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I „umfassend und zügig“ effektiv erfüllt werden. Insbesondere müssen die Krankenkassen die Versicherten dahingehend klar und unmissverständlich beraten, dass sie (im erläuterten Rahmen) Anspruch auf eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder auf Kosten der Krankenkasse auch dann haben, wenn sich dieses Ziel nur mit dem Festbetrag übersteigenden finanziellen Mehraufwendungen erreichen lässt. Auch das BSG hebt in diesem Zusammenhang die den Krankenkassen erwachsenen gesteigerten Obhuts- und Informationspflichten hervor (U.v. 17. Dezember 2009 – B 3 KR 20/08 R –, BSGE 105, 170, Rn. 36).

Im Bereich der Hörgeräteversorgung ist allerdings in der Verwaltungspraxis der gesetzlichen Krankenkasse der gesamte Vorgang der Leistungserbringung von der Vorlage der ärztlichen Verordnung über die Anpassung und Auswahl der Hörgeräte bis zur Abrechnung mit dem Versicherten und seiner Kasse in der Form externalisiert, dass grundsätzlich jeder Kontakt des Versicherten mit seiner Kasse und damit der Aufwand eines Verwaltungsverfahrens vermieden wird. Dass eine Befassung der Kasse erst nach durchgeführter Versorgung erfolgt, ist notwendige tatsächliche Konsequenz einer derartigen – nach Einschätzung des BSG evident an Gesichtspunkten einer betriebsorganisatorischen Optimierung und Zielen des "lean management" orientierten – Handhabung nach dem Vorbild Privater. Dieser Ansatz vermag allerdings schon im Ausgangspunkt die gesetzlichen Krankenkassen nicht von ihren Bindungen an die gesetzlichen Vorgaben zu lösen. Als Träger öffentlicher Verwaltung (§ 29 Abs. 1 SGB IV) sind diese in keiner Weise ermächtigt, sich ihrer verfassungsmäßigen Rechts- und Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) zu entledigen. Vielmehr müssen sie sich (jedenfalls bei einer entsprechenden Willensbetätigung durch den Versicherten) grundsätzlich bereits mit der Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung bei ihrem Vertragspartner so behandeln lassen, als wäre unmittelbar bei ihnen ein Leistungsantrag gestellt worden. Sie sähen sich andernfalls zur Abbedingung zwingenden öffentlichen Rechts im eigenen Interesse ermächtigt (vgl. zum Vorstehenden: BSG, U.v. 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R –, BSGE 117, 192, Rn. 39), was der rechtsstaatlichen Grundordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) völlig fremd ist (vgl. ergänzend insbesondere auch das o.g. Senatsurteil vom 6. September 2023).

Dabei reichen nach den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich verbale Hinweise nicht aus. Vielmehr muss den betroffenen Versicherten ein Gerät, welches tatsächlich im individuellen Einzelfall eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder gewährleistet, konkret zum Austesten angeboten und vorgestellt werden (BSG, B.v. 28. September 2017 – B 3 KR 7/17 B –, SozR 4-1720 § 186 Nr 1, Rn. 15). Soweit bereits damit der anzustrebende Erfolg einer bestmöglichen Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erreicht werden kann, haben sich entsprechende Beratungen und Testangebote auf zum Festbetrag erhältliche Geräte zu beziehen. Sollte dieses Ziel nach den Versorgungserfordernissen des konkreten Einzelfalls und nach Maßgabe der Leistungen der zu Festbeträgen auf dem (jedenfalls im Ausgangspunkt wettbewerbsgeprägten) Hörgerätemarkt erhältlichen Geräte nicht zu Festbetragskonditionen zu realisieren sein, haben sich die Beratungen und Testangebote im Interesse des gesetzlich gebotenen Versorgungserfolges auch auf höherpreisige Geräte zu erstrecken. Dabei ist dem betroffenen Versicherten deutlich zu machen, dass die Krankenkasse daraus resultierende Mehrkosten zu tragen hat, soweit diese zur Erreichung des beschriebenen Ziels einer regelmäßig bestmöglichen Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erforderlich sind (vgl. auch ergänzend zum Erfordernis einer effektiv wirksamen Zurückdrängung der Risiken für die Versorgungs- und Beratungsqualität aufgrund des Konfliktes zwischen den eigenen wirtschaftlichen Interessen des Hörgeräteakustikers und den Interessen der Versicherten das Senatsurteil vom 6. September 2023 – L 2 R 239/22 –, juris).

Die erläuterten rechtlichen Vorgaben sind im vorliegenden Fall augenscheinlich nicht erfüllt worden. Die Klägerin hat bereits vor der maßgeblichen im Januar 2021 vorgenommenen Selbstbeschaffung der Hörgeräte vom Typ „pro+3 CZ 9 miniRITE“ in den Anträgen von September 2020 anschaulich und überzeugend dargelegt, dass sie mit den nachfolgend von ihr erworbenen Hörgeräten sehr viel besser hören konnte. Diese durchgreifenden Hörvorteile zeigten sich insbesondere im Vergleich mit den mit den ihr im Zuge der Versorgung vom konsultierten Hörgeräteakustiker zum Austesten angebotenen kostengünstigeren Hörgerätetypen.

In dem gesamten Neuversorgungsverfahren ist die Klägerin jedoch überhaupt nicht darüber aufgeklärt worden, dass ihr im Grundsatz auf Kosten der Krankenkasse eine Hörgeräteversorgung zustand, welche eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder gewährleistete. Der tatsächliche Versorgungsablauf war vielmehr geradezu strukturell darauf ausgerichtet, die Klägerin diesbezüglich im Unklaren zu lassen und die erläuterten gesetzlichen Vorgaben an eine sachgerechte Versorgung und Beratung nach Maßgabe der erläuterten Vorschriften der §§ 14, 17 SGB I zu hintertreiben.

Von Seiten des aufgesuchten von den Krankenkassen und damit auch von Seiten der Beigeladenen beauftragten Hörgeräteakustikunternehmens ist der Klägerin eine Erprobung der aufpreispflichtigen Hörgeräte vom Typ „pro+3 CZ 9 miniRITE“ empfohlen worden. Diese Erprobung hat aus der damaligen (und heutigen) Sicht der Klägerin eindrucksvoll bestätigt, dass sie mit diesen Hörgeräten viel besser als zuvor und vor allem auch deutlich besser als mit den ihr im Rahmen der Erprobung von Seiten des Hörgeräteakustikunternehmens zur Verfügung gestellten preiswerteren und insbesondere auch zum Festbetrag erhältlichen Geräten hören konnte.

Nachdem sich die Beigeladene (ebenso wie auch die Beklagte) als zuständige Fachbehörden seinerzeit, wie dargelegt, sehenden Auges ihren entsprechenden Beratungspflichten entzogen hat, kann sie sich im Nachhinein im vorliegenden Verfahren nicht darauf berufen, dass die sach- und rechtsunkundige Klägerin weitergehende Maßnahmen zur Abklärung eventuell in Betracht kommender kostengünstigerer Versorgungsmöglichkeiten hätte ergreifen können. Mit einem solchen Verhalten würde die Beigeladene (in Form eines sog. venire contra factum proprium) gegen das Gebot von Treu und Glauben im Sinne der auch im Sozialrecht zu berücksichtigenden Grundsätze des § 242 BGB (vgl. allgemein zum Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens unter Berücksichtigung des § 242 BGB auch BSG, U.v. 19. Oktober 2000 - B 10 LW 21/99 R - SozR 3-5868 § 21 Nr 2) verstoßen. Dies gilt umso mehr, als auch das im Auftrag der Beigeladenen tätig gewordene Hörgeräteakustikunternehmen die Klägerin im Ergebnis in dem Irrtum bestärkt hat, dass die gewünschte Angleichung an das Hörvermögen Gesunder sich nur erreichen ließ, wenn sie sich zur Aufbringung der Eigenbeteiligung verpflichtete.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Beratungsversagen auf Seiten beider Sozialversicherungsträger Rechnung.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.

 

Rechtskraft
Aus
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