L 6 KR 129/20

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 25 KR 105/15
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 6 KR 129/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Gemäß § 26 Abs 2 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge nicht zu erstatten, wenn der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht hat.
2. Eine Beweisvereitelung durch den Kläger, ob solche Leistungen erbracht wurden, führt vorliegend zu einer Beweislastumkehr.
3. Schließlich ist der (behauptete) Anspruch des Klägers auf Beitragserstattung auch verwirkt.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten für beide Rechtszüge mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Insoweit wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 8. Dezember 2020 abgeändert.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Klageverfahren wird auf 32.132,02 € und für das Berufungsverfahren auf 14.609,11 € festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Beitragserstattung von Arbeitnehmeranteilen zur Krankenversicherung gemäß § 26 Sozialgesetzbuch 4. Buch (SGB IV) in Höhe von 13.532,17 € nebst Zinsen seit dem 1. Februar 2003.

Der 1949 geborene Kläger ist Vater dreier Kinder. Diese und seine 1994 verstorbene Ehefrau waren im streitigen Zeitraum der Beitragserstattung (1. März 1992 bis 30. Juni 2002) im Rahmen der Familienversicherung über die Pflichtversicherung des Klägers krankenversichert.

Im Dezember 2003 erhob der Kläger Klage mit dem Ziel, seine Sozialversicherungspflicht für den Zeitraum vom 28. Februar 1992 bis einschließlich März 2002 festzustellen. Mit Bescheid vom 2. März 2004 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger ab dem 1. März 1992 als Selbstständiger einzustufen sei. Die für die Vergangenheit vom 1. März 1992 bis 30. April 1998 gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung würden unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 45 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) nicht geändert. Bezüglich der Beiträge vom 1. Mai 1998 bis 30. Juni 2002 verbleibe es ebenfalls bei der bisherigen Regelung. Da es in der Krankenversicherung zu keiner Nachforderung für den Zeitraum vom 1. Mai 1998 bis 31. März 2003 komme, sei das Versicherungsverhältnis ab dem 1. April 2003 umzustellen. Es ergebe sich ab diesem Zeitpunkt eine Nachforderung.

Mit Schreiben vom 17. Mai 2004 wies die Beklagte gegenüber dem Sozialgericht Stendal darauf hin, dass der Bescheid vom 2. März 2004, den sie in Kopie beigefügte, gegenüber dem Kläger bestandskräftig geworden sei. Einen Rechtsbehelf habe dieser nicht eingelegt. Der Kläger behauptete daraufhin, diesen Bescheid nicht erhalten zu haben.

Am 12. Mai 2005 verglichen sich die Beteiligten dahingehend, dass über die Sozialversicherungspflicht des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers im Zeitraum vom 28. Februar 1992 bis 22. Februar 2002 noch nicht abschließend entschieden worden sei. Die Beklagte werde dem Kläger hierzu noch eine Entscheidung mitteilen. Der Bescheid vom 2. März 2004 wurde nicht erwähnt.

Mit Bescheid vom 20. Juli 2005 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger im Zeitraum vom 1. März 1992 bis 22. Februar 2002 nicht abhängig beschäftigt, sondern hauptberuflich selbstständig gewesen sei. Da der Kläger Leistungen in Anspruch genommen habe, beende man die formal bestehende Mitgliedschaft zum 31. Juli 2007. Mit Widerspruchsbescheid vom 1. November 2006 wies die Beklagte den hiergegen eingelegten Widerspruch zurück. Beiträge aufgrund einer freiwilligen Versicherung wurden nach diesem Bescheid erst ab 1. April 2003 geltend gemacht. Mit Urteil vom 25. März 2010 wies das Sozialgericht Stendal die dagegen erhobene Klage auf Feststellung der Versicherungspflicht unter anderen in der Krankenversicherung für die Zeit vom 28. April 1992 bis 31. März 2002 ab. Aus einem Aktenvermerk vom 28. Januar 2011 geht hervor, dass die Beklagte in der Auswertung dieser Entscheidung und der Angaben des Klägers davon ausging, dass er Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch genommen habe und unterließ deshalb die weitere Klärung von Beitragsforderungen.

Mit Schreiben an die Beklagte vom 25. Februar 2015 erklärte der Kläger, bei der Aufarbeitung alter Akten habe er festgestellt, dass vor einigen Jahren Beiträge zu erstatten gewesen seien, die er nicht erhalten habe. Er sei der Krankenkasse der Rentner zugeordnet worden. Er bitte um Überprüfung. Beigefügt war ein Antrag auf Beitragserstattung vom 14. Dezember 2002 für den streitigen Zeitraum. Dieser ist vom Kläger sowohl als „Mitglied“ als auch als „Arbeitgeber“ unterschrieben worden. Die in dem Vordruck gestellte Frage nach in Anspruch genommenen Leistungen ist durch Ankreuzen des dafür vorgesehenen Kastens bejaht worden.

Mit Schreiben vom 26. März 2015 teilte die Beklagte mit, es handele sich um einen lange zurückliegenden Zeitraum, so dass Unterlagen nur schwer nachvollziehbar gewesen seien. Richtig sei, dass durch Gerichtsurteil festgestellt worden sei, dass der Kläger hauptberuflich selbstständig und damit nicht als Beschäftigter pflichtversichert gewesen sei. Aufgrund der in Anspruch genommenen Leistungen und des Gerichtsurteils, dass die Weiterversicherungspflicht in der Krankenversicherung bestehen bleibe, verbleibe es bei den Beiträgen zur Krankenversicherung.

Am 2. April 2015 hat der Kläger Klage erhoben und die Erstattung von Beiträgen in Höhe von 32.132,02 € zuzüglich Zinsen verlangt. Die Beklagte hat den am 16. Dezember 2002 eingegangenen Antrag auf Beitragserstattung übersandt und auf ihren Bescheid vom 2. März 2004 verwiesen.

Mit Bescheid vom 9. November 2015 hat die Beklagte eine Beitragserstattung abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger Widerspruch eingelegt. Mit Schreiben vom 30. November 2015 hat die Beklagte ausgeführt, zwar sei der Kläger ab dem 1. März 1992 nicht versicherungspflichtig und auch nicht versicherungsberechtigt gewesen. Da er aber Beiträge gezahlt habe, die auch seitens der Beklagten akzeptiert worden seien und Leistungen in Anspruch genommen habe, würden diese nicht erstattet. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2016 hat die Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 4. März 2019 die Beiziehung von Behandlungsunterlagen aus der Praxis seiner behandelnden Ärztin Dr. W. abgelehnt. Mit Schreiben vom 18. November 2020 hat die Beklagte ausgeführt, aufgrund der abgelaufenen Aufbewahrungsfristen sei es damit nicht mehr möglich, festzustellen, ob Leistungen in Anspruch genommen worden seien.

Vor dem Sozialgericht hat der Kläger schließlich in der mündlichen Verhandlung die Erstattung von Beiträgen zur Krankenversicherung in Höhe von 13.532,17 € und Beiträgen für die Pflegeversicherung in Höhe von 1.076,94 € nebst Zinsen beantragt. Mit Urteil vom 8. Dezember 2020 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen und zur Begründung auf § 26 Abs. 2 SGB IV hingewiesen. Sofern Leistungen in irrtümlicher Annahme eines Versicherungsverhältnisses gewährt worden seien, komme eine Erstattung von Beiträgen nicht mehr in Betracht. Dies habe der Kläger in dem Antrag vom 14. Dezember 2002 bestätigt. Der Kläger habe später vorgetragen, ihm sei nicht mehr bekannt, ob er oder seine Familienangehörigen Leistungen erhalten hätten. Damit sei der Kläger beweispflichtig geworden. Aufgrund seiner Weigerung, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, gehe die Kammer davon aus, dass Leistungen Anspruch genommen worden seien. Im Übrigen halte es die Kammer auch für lebensfremd, anzunehmen, dass der Kläger und die zeitweilig über ihn mitversicherten Familienmitglieder in dem gesamten Zeitraum nicht in ärztlicher Behandlung gewesen seien.

Gegen das ihm am 16. Dezember 2020 zugestellte Urteil hat der Kläger noch im selben Monat Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, Befangenheitsgesuche gegen die Kammervorsitzende seien zu Unrecht abgelehnt worden. Ferner hat er der Kammervorsitzenden Rechtsbeugung vorgeworfen. Die Entscheidung sei eine Überraschungsentscheidung gewesen. Die Beklagte habe seinen Antrag ständig bearbeitet, aber gleichwohl die Akten entsorgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 8. Dezember 2020 sowie den Bescheid der Beklagten am 21. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2016 aufzuheben und die in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis 30. Juni 2002 gezahlten Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 13.531,17 € zzgl. 4 % Zinsen ab dem 1. Februar 2003 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat Beiträge für die Pflegeversicherung in Höhe von 1.076,94 € erstattet. Im Übrigen hält sie die angegriffene Entscheidung für zutreffend und hat ausdrücklich die Einrede der Verjährung erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die von den Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A. Die Berufung ist zulässig. Der Kläger hat sie form- und fristgerecht erhoben.

B. Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 26 Abs. 2, 3 Satz 1 SGB IV, dass ihm die Beklagte die von ihm getragenen Beiträge zur Krankenversicherung erstattet.

1. Denn die Beklagte hat dies bestandskräftig mit Bescheid vom 20. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. November 2006 abgelehnt. Die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Stendal mit Urteil vom 25. März 2010 zurückgewiesen. Dieses Urteil ist rechtskräftig. 

Maßstab der Auslegung des Bescheides vom 20. Juli 2005 ist der „Empfängerhorizont“ eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches- BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (BSG, 31. Mai 1989, 4 RA 19/88, SozR 1200 § 42 Nr. 4 m.w.N.).

Die Beklagte hat in jenem Bescheid ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man die formal bestehende Mitgliedschaft zum 31. Juli 2007 beende, da der Kläger Leistungen in Anspruch genommen habe. Dies war nicht nur ein Hinweis auf den tatsächlichen Leistungsbezug, sondern zugleich auf die Rechtsfolge, dass der Kläger Mitglied bleibe. Dies betraf nicht nur den streitigen Zeitraum, sondern auch die nachfolgende Zeit, die von dem Streit über die Versicherungsberechtigung des Klägers geprägt war. Diese aktuelle Situation vor Augen konnte der Kläger dies nur so verstehen, dass es für die Vergangenheit keine Änderungen geben sollte: Der Kläger behielt seine Leistungen als Mitglied, die Beklagte behielt die Beiträge.

Der Senat hat keine Zweifel, dass der Kläger dies zutreffend verstanden hat. Wie den damaligen Schriftsätzen des Klägers zu entnehmen ist, hatte er sich intensiv mit dem geltenden Recht auseinandergesetzt und sich hierzu ein sehr gutes Wissen erarbeitet. Als Liquidator eines Betriebes war es der Kläger auch gewohnt, sich mit rechtlichen Sachverhalten auseinanderzusetzen.

Zudem hatte die Beklagte bereits im Bescheid vom 2. März 2004 jede Erstattung von Krankenversicherungsbeiträgen ausdrücklich abgelehnt. Nachdem der Kläger im Rahmen einer Klage gegen andere Bescheide behauptet hatte, diesen Bescheid nicht erhalten zu haben, hat sich die Beklagte vergleichsweise verpflichtet, „über die Sozialversicherungspflicht des Beschäftigungsverhältnisses des Klägers im Zeitraum vom 28. Februar 1992 bis 22. Februar 2002“ eine Entscheidung zu treffen. Die Sozialversicherungsfreiheit kann zwar mit einem Beitragserstattungsanspruch zusammenfallen. Dies muss aber - wie § 26 SGB IV zeigt - nicht der Fall sein. Insoweit ist bereits fraglich, ob nicht die Frage der Beitragserstattung, die sowohl bei einer Versicherungspflicht als auch bei einer Inanspruchnahme von Leistungen nicht in Betracht kam, bereits durch den Bescheid vom 2. März 2004 und den Vergleich der Beteiligten am 12. Mai 2005 bestandskräftig geklärt war. Hierzu fehlte eine nachfolgende, abweichende Regelung durch die Beklagte (einschließlich durch den Vergleich) oder eine gerichtliche Entscheidung. Die Beteiligten hatten in dem Vergleich damals den Bescheid nicht weiter erwähnt.

Es gab zumindest keinen Grund für die Beklagte, davon abzugehen oder für den Kläger, den Bescheid vom 20. Juli 2005 anders als im Sinne eine Ablehnung der Beitragserstattung zu verstehen.

2. Zudem sind gemäß § 26 Abs. 2 SGB IV auch zu Unrecht entrichtete Beiträge nicht zu erstatten, wenn der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht hat.

Zweck der sogenannten Verfallklausel des § 26 Abs. 2 SGB IV ist es, zu verhindern, dass sich der vermeintlich Versicherte zwar bei der Leistungserbringung wie ein „echter“ Versicherter behandeln lässt, nicht aber auf der Beitragsseite. Es soll ausgeschlossen werden, dass der „Versicherte“ mit einem auf die vollen Beiträge gerichteten Erstattungsanspruch jede finanzielle Beteiligung an den zu seinen Gunsten erfolgten Aufwendungen der Versichertengemeinschaft rückgängig machen kann. Umfasst sind auch Leistungen an Familienangehörige im Rahmen der Familienversicherung (BeckOGK/Zieglmeier, 15.2.2023, SGB IV § 26 Rn. 47; BeckOK SozR/Wagner, 69. Ed. 1.6.2023, SGB IV § 26 Rn. 12). Letztlich ist die Verfallklausel eine Ausprägung des auf dem Grundsatz von Treu und Glauben basierenden Verbotes des widersprüchlichen Verhaltens (BSG, 25. April 1991, 12 RK 40/90, juris Rn. 20; Waßer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IV, 4. Aufl., § 26 SGB IV (Stand: 01.08.2021) Rn. 28). Insoweit wird im Hinblick auf die Beiträge das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses fingiert, falls Leistungen erbracht wurden (vgl. BSG, 15. Dezember 1977, 11 RA 74/77, BSGE 45, 251 zum damals geltenden Recht; so zum heutigen Recht auch Bigge/Dahm in: von Koppenfels-Spies/Wenner, SGB IV - Kommentar, 3. Auflage 2022, § 26 SGB IV Rn. 21).

Der Senat kann offenlassen, ob nicht der Versicherungsschutz an sich - insbesondere für die drei Kinder im Rahmen der Familienversicherung - bereits eine Leistung der Krankenversicherung ist. Ebenso kann im vorliegenden Fall offenbleiben, ob diese Verfallklausel die Erstattung aller für die Zeit bis zum Ende gezahlten Beiträge, d.h. auch schon die vor einem Leistungszeitraum entrichteten Beiträge ausschließt (so ausdrücklich BSG, 25. April 1991, 12 RK 40/90, SozR 3 - 2400 § 26 Nr. 3; BSG, 25. April 1991, 12/1 RA 65/89, juris Rn. 18).

Der Kläger hat durch seine zeitnahen Angaben einen Beweis des ersten Anscheins geschaffen (vgl. BSG, 2. April 2015, B 13 R 361/14 B, juris m.w.N.), dass er Leistungen in Anspruch genommen hat. Ausdrücklich hat der Kläger zeitnah im Jahre 2002 mit einer zweifachen Unterschrift bestätigt, dass damals Leistungen von der Krankenkasse gewährt worden sind (vergleiche Seite 2 des Erstattungsantrages vom 14. Dezember 2002). Der Kläger hat im Berufungsschriftsatz vom 21. Dezember 2020 eingeräumt, dass er diese Angaben damals so gemacht hat. Soweit er im Berufungsverfahren weiter behauptet, diesen Punkt damals übersehen zu haben (vergleiche Seite 6 unten seines genannten Schriftsatzes), lässt sich der Wahrheitsgehalt dieser Behauptung auch aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr überprüfen. Dies wäre aber notwendig.

Außerdem hat der Kläger entgegen seinen Obliegenheiten zusätzlich die weitere Ermittlung vereitelt (vgl. dazu § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 dritte Variante Sozialgesetzbuch 1. Buch; siehe BSG, 2. September 2004, B 7 AL 88/03 R, SozR 4-1500 § 128 Nr. 5 Rn. 17 ff). Er hat ausdrücklich mit Schriftsatz vom 4. März 2019 die Beiziehung von Behandlungsunterlagen aus der Praxis Dr. W. abgelehnt. Seine Begründung, die Beklagte habe die entsprechenden Unterlagen, ist nicht nachvollziehbar. Denn zweifellos liegen sie nicht mehr vor, da die Beklagte diese nach ihrem unwiderlegbaren und glaubhaften Vortrag vernichtet hat. Hierzu war die Beklagte angesichts der klaren Angaben des Klägers und seines nachfolgenden Verhaltens zumindest bis in das Jahr 2015 aus Datenschutzgründen auch verpflichtet. Es bestand kein Anlass, von etwas Anderem als von einer Leistungserbringung auszugehen. Insoweit liegt auch eine Beweisvereitelung durch den Kläger vor, die zu einer Beweislastumkehr führt (vgl. BSG, 9. Dezember 2016, B 9 V 35/16 B, juris Rn. 14).

Der Senat ist unter Würdigung aller vorliegenden Umstände außerdem mit hinreichender Sicherheit überzeugt, dass im relevanten Zeitraum Leistungen der Krankenversicherung vom Kläger und seinen Angehörigen tatsächlich in Anspruch genommen wurden. Wie das Sozialgericht hält es der Senat für praktisch ausgeschlossen, dass der Kläger, seine in jenem Zeitraum verstorbene Ehefrau und insbesondere seine drei minderjährigen Kinder im streitigen Zeitraum keine Leistungen in Anspruch genommen haben. Der Kläger hat wegen seiner ständigen Behandlungsbedürftigkeit im Juli 2006 sogar ein Eilverfahren angestrengt. Auch auf die ausdrückliche Nachfrage im Berufungsverfahren hat der Kläger angegeben, er habe keine Erinnerung mehr, ob damals Krankenversicherungsleistungen in Anspruch genommen worden seien. Auch wenn § 138 Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht anwendbar ist (vgl. BSG, 8. April 2020, B 13 R 260/18 B, juris Rn. 14), kann aus diesen pauschalen und vagen Angaben im Gerichtsverfahren nichts zu Gunsten des Klägers abgeleitet werden.

Weiter hat die Beklagte mit Bescheid vom 20. Juli 2005 auch ausgeführt, dass der Kläger Leistungen in Anspruch genommen habe, weshalb man die formal bestehende Mitgliedschaft erst zum 31. Juli 2007 beende. Angesichts des Umstandes, dass dieser Bescheid auch den Bescheid vom 2. März 2004 ersetzte, war damit die Ansicht der Beklagten zu der Erstattung von Beiträgen deutlich, ohne dass der Kläger Einwände erhoben hätte. Dies hat er erst 2015 getan.

3. Schließlich ist der (behauptete) Anspruch des Klägers auf Beitragserstattung auch verwirkt. Das im bürgerlichen Recht als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entwickelte - und im Sozialrecht anerkannte - Rechtsinstitut der Verwirkung verlangt neben dem bloßen Zeitablauf besondere Umstände, die die verspätete Geltendmachung des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen (BSG, 10. Mai 2017, B 6 KA 10/16 R, SozR 4-2500 § 120 Nr. 5 Rn. 33). Solche, die Verwirkung auslösenden „besonderen Umstände“ liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhaltens) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG, 26. Januar 2022, B 6 KA 4/21 R, SozR 4-2500 § 117 Nr. 8 Rn. 39). Das Rechtsinstitut der Verwirkung findet dabei nur in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (BSG, a.a.O.).

Hier hatte der Kläger ausdrücklich angegeben, Leistungen erhalten zu haben. Dies ist ein aktives Tun. Seine anderslautenden Angaben seit Beginn des Klageverfahrens im Jahre 2015 stellen ein dazu widersprüchliches Verhalten dar (Verwirkungsverhaltens). Erschwerend kommt hinzu, dass zwischen diesem Wechsel der Angaben des Klägers über 12 Jahre lagen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beitragsentrichtung für die Folgezeit zwischen den Beteiligten wiederholt streitig war. Obgleich die Beklagte beginnend im Jahre 2004 mehrfach für nachfolgende Zeiträume Beiträge verlangte, wies der Kläger nie auf angebliche Rückzahlungsansprüche von seiner Seite hin. Selbst als die Beklagte wegen der Ansprüche Vollstreckungsmaßnahmen einleitete und die Leistungsansprüche des Klägers gemäß § 16 Abs. 3a Sozialgesetzbuch 5. Buch zum Ruhen brachte, erinnerte der Kläger nicht an eine Beitragserstattung.

Sogar nachdem seine Klage gegen die Feststellung der Versicherungsfreiheit rechtskräftig abgewiesen worden war, kam der Kläger mehr als vier Jahre nicht auf angebliche Beitragsforderungen zurück. Sogar wenn man nicht von einer Bestandskraft der Ablehnungsentscheidung der Beklagten ausgeht (siehe oben bei 1.), hat der Kläger für ihn erkennbar (vgl. die Ausführungen im Bescheid vom 2. März 2004) bei der Beklagten so einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Sie durfte darauf vertrauen, dass dieser keine Beitragserstattung mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage).

Da die Beklagte die Sicherung von Unterlagen unterließ (Vertrauensverhalten), hat sie auch tatsächlich darauf vertraut, dass keine Beitragserstattung mehr geltend gemacht werde (Vertrauenstatbestand). Aus einem Aktenvermerk einer Mitarbeiterin der Beklagten vom 28. Januar 2011 geht hervor, dass sie sich damals auf die Angaben des Klägers verließ, dass er Leistungen in Anspruch genommen hatte. Deshalb unterließ sie die weitere Klärung von Beitragsforderungen.

Entgegen der Behauptung des Klägers liegt kein widersprüchliches Verhalten der Beklagten vor. So hat sie von Anfang an und durchgehend die Erstattung von Beiträgen verweigert bzw. diese in freiwillige Beiträge o. ä. umgewandelt. Insoweit war es für den Kläger stets deutlich, dass sein Antrag nicht lediglich vergessen worden war, sondern die Erstattung von der Beklagten abgelehnt wurde. Ob die Beklagte die Beiträge intern einer freiwilligen Versicherung zuordnet oder sonst wie umbucht, ist mangels Außenwirkung für das vorliegende Verfahren unerheblich. Für eine Bearbeitung des Antrags gibt es außer den Bescheiden vom 2. März 2004 und 20. Juli 2005 sowie des Aktenvermerks einer Mitarbeiterin der Beklagten vom 28. Januar 2011 keinen Anhaltspunkt.

C. Die Kostengrundentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG. Der Senat kann insoweit auch die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen zu Ungunsten des Klägers ändern; denn das Verbot der reformatio in peius gilt hier nicht (BSG, 5. Oktober 2006, B 10 LW 5/05 R, juris Rn. 20). Nach § 197a SGG sind Kosten nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) zu erheben und die §§ 154 bis 162 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) anzuwenden, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zum Kreis der in § 183 SGG genannten Personen gehört. So liegt es hier.

Bei Klageerhebung stand gemäß § 77 SGG bereits seit Jahren bestandskräftig und damit für den Senat und die Beteiligten bindend fest, dass der Kläger nicht Versicherter im Sinne von § 183 Satz 1 SGG war. § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG stellt auf den Status des Beteiligten im jeweiligen Rechtszug, hier also auf die gerichtlichen Verfahrenszüge ab (BSG, a.a.O. Rn. 22). Spätestens im Jahre 2014 war das Krankenversicherungsverhältnis als vollständig abgewickelt anzusehen, wie der Senat dargelegt hat (siehe oben bei B. 1, 3.). Nichts Anderes gilt hier. Zudem stützt der Kläger seinen Anspruch nach § 26 Abs. 2 SGB IV darauf, kein Versicherter zu sein. Er greift diese Rechtsstellung also nicht an, sondern stützt seine Klage auf diesen mittlerweile unstreitigen Status und klagt in dieser Eigenschaft und nicht als (heute) krankenversicherter Rentner.

Als unterliegender Teil trägt der Kläger nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Zwar wurden im Laufe des Berufungsverfahrens Beiträge für die Pflegeversicherung in Höhe von 1.076,94 € erstattet. Dies ist jedoch ein Betrag von weniger als 1/13 der im Berufungsverfahren ursprünglich streitigen Summe, so dass der Senat gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO von einer Kostenteilung abgesehen hat (vgl. auch § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, § 34 Absatz 1 S. 2 i.V.m. Anlage 2 GKG).

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf gesicherter Rechtslage und tatsächlicher Einzelfallbewertung beruht, ohne dass eine Abweichung von einem der in dieser Norm bezeichneten Gerichte vorliegt. Im Übrigen liegt der Schwerpunkt auch im ausgelaufenen, nicht mehr gültigen Recht. Denn mit der Einführung der allgemeinen Versicherungspflicht im Jahre 2007 ist eine Erstattung der Beiträge zur Krankenversicherung wie im vorliegenden Fall für zurückliegende Zeiträume nicht mehr möglich. Es kann ausgeschlossen werden, dass über 15 Jahre später noch eine nennenswerte Zahl an vergleichbaren Verfahren offen ist.

Die Festsetzung des Streitwertes erfolgt nach § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 40, 52 Abs. 1 und 3 GKG. Dieser Beschluss über den Streitwert ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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