L 10 R 694/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 22 R 2961/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 694/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 10 R 647/22 gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.02.2022 durch den gerichtlichen Vergleich vom 27.02.2024 erledigt ist.

Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Rechtsstreit durch die im Rahmen eines gerichtlichen Vergleiches erfolgte Erledigungserklärung der Berufung gegen Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme erledigt ist. Nachfolgend erstrebt der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers vom 16.11.2017 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.06.2019 ab. Die hiergegen am 03.07.2019 bei dem Sozialgericht Stuttgart (SG) erhobene Klage hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 02.02.2022 aus sachlich-rechtlichen Gründen abgewiesen.

Der rechtskundig vertretene Kläger hat hiergegen am 01.03.2022 Berufung bei Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt (L 10 R 647/22). Im Erörterungstermin der Berichterstatterin des Senats vom 27.02.2024 haben die Beteiligten zur Niederschrift folgenden Vergleich geschlossen:

„1.        Die Beklagte gewährt dem Kläger eine stationäre Rehabilitation auf psychosomatischem Fachgebiet mit Begleitperson.
2.         Eine Kostenerstattung findet auch im Berufungsverfahren nicht statt.
3.         Die Beteiligten erklären den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt.“

Der Vergleichstext ist ausweislich der gerichtlichen Niederschrift vorgelesen und von den Beteiligten genehmigt worden.

Am 29.02.2024 hat der Kläger mitgeteilt, dass die Berufung im Erörterungstermin vom 27.02.2024 nicht zurückgenommen worden sei. Er wünsche ausdrücklich eine Fortführung des Berufungsverfahrens. Er habe aufgrund seines psychischen Gesundheitszustandes nicht verstanden, dass ihm durch die Rücknahme der weitere Rechtsweg verschlossen sei. Ergänzend hat er einen Arztbrief der Fachärztin L1 vom 18.03.2024 sowie den Bericht über eine MRT der Halswirbelsäule vom 14.03.2024 vorgelegt.


Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Verfahren fortzusetzen und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.02.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom
05.04.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.06.2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab dem 01.11.2017 zu gewähren.

Die Beklagte hat sich inhaltlich im Verfahren wegen Fortsetzung des Rechtsstreits nicht geäußert.


Die Beteiligten haben sich mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Senatsakte und die Prozessakten erster und zweiter Instanz des Verfahrens L 10 R 647/22 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Über den vom Kläger gestellten Antrag kann der Senat nicht sachlich-inhaltlich entscheiden. Denn das Berufungsverfahren gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.02.2022 betreffend die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ist infolge des gerichtlichen Vergleichs vom 27.02.2024 erledigt. Dies ist vom Senat durch Urteil festzustellen, da der Kläger die Fortführung des Berufungsverfahrens begehrt und seine Rücknahmeerklärung widerrufen hat.

Der Kläger hat, wie sich aus der Niederschrift zum Erörterungstermin im Verfahren L 10 R 647/22 ergibt, einen prozessual wirksamen Vergleich mit der Beklagten abgeschlossen, der mit der darin enthaltenen Erledigungserklärung das Berufungsverfahren in der Sache beendet hat (vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Prozesshandlungen - zu denen auch die Zustimmung zu einem gerichtlichen Vergleich und die Erledigungserklärung zählen - sind grundsätzlich unwiderruflich und nicht wegen Irrtums anfechtbar (vgl. Bundessozialgericht - BSG - 09.04.2021, B 13 R 276/20 B, in juris Rn. 7 m.w.N.).


Prozessrechtliche Gründe für eine Unwirksamkeit dieser Prozesserklärung sind nicht ersichtlich. Auf Grund der im Termin zur Erörterung des Sachverhalts angefertigten Niederschrift steht fest (§ 122 SGG i.V.m. § 165 Zivilprozessordnung - ZPO -), dass der Kläger die im Tatbestand wiedergegebene Erklärung abgab. Auch der Kläger behauptet nicht, die Erklärung nicht abgegeben zu haben.

Er meint vielmehr, seine Rücknahmeerklärung bzw. Zustimmung zum Vergleich widerrufen bzw. anfechten zu können, da er aufgrund seines psychischen Gesundheitszustandes nicht verstanden habe, dass ihm durch die Rücknahme der weitere Rechtsweg verschlossen sei. Mit diesem Vorbringen vermag er indes nicht mit Erfolg durchzudringen.

Ein Widerrufsvorbehalt ist in dem Vergleich ausdrücklich nicht enthalten. Der Vergleich ist auch nicht durch Anfechtung des Klägers unwirksam geworden. Wie bereits dargelegt, können Prozesshandlungen grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden. Denn einer eindeutigen Verfügung eines Prozessbeteiligten über die Gestaltung der künftigen prozessualen Beziehungen der Prozessbeteiligten zueinander kann die Wirksamkeit nicht deshalb genommen werden, weil ihr - im Falle der Anfechtung - ein Irrtum zu Grunde liegt oder - im Falle des Widerrufs - der Erklärende seinen Willen ändert. Im Interesse eines geordneten Prozessgangs und der Rechtssicherheit darf die Rechtswirksamkeit einer solchen Erklärung nicht in der Schwebe bleiben (so bereits BSG 06.04.1960, 11/9 RV 214/57, in juris).

Nur ausnahmsweise gilt anderes, wenn Gründe vorliegen, die im Falle eines Urteils zur Fortführung des Verfahrens führen (so genannte Wiederaufnahmegründe, vgl. § 179 SGG, § 580 ZPO) oder der Grundsatz von Treu und Glauben das Festhalten an der Prozesshandlung verbietet, etwa weil der geltend gemachte Irrtum über die das Verfahren endgültig beendende Wirkung der Rücknahme- bzw. Erledigterklärung für Beklagte und Gericht offensichtlich gewesen wäre (vgl. hierzu BSG 09.04.2021, a.a.O.; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl., Vor § 60 Rn. 12a m.w.N. zur Rechtsprechung). Derartige Umstände sind hier aber weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere genügt für die Annahme einer den Widerruf erlaubenden extremen Ausnahmesituation (Keller a.a.O.) nicht, dass der Kläger behauptet, aufgrund seines psychischen Gesundheitszustandes nicht verstanden zu haben, dass ihm durch die Rücknahme der weitere Rechtsweg verschlossen sei. Tatsächlich entschied er in freier Willensausübung - wenn auch vor dem Hintergrund der ihm vom der Berichterstatterin dargelegten Erfolglosigkeit der Berufung -, ob er die (aussichtslose) Berufung zurücknimmt, dafür aber eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme erhält oder die Entscheidung des Senats beantragt.

Im Übrigen ist die behauptete Fehlvorstellung des Klägers über die verfahrensbeendende Wirkung des Vergleichs auch deshalb unbeachtlich, weil er im Erörterungstermin ordnungsgemäß vertreten war. Seine Prozessbevollmächtigte stimmte dem gerichtlichen Vergleichsvorschlag zu, was den Kläger bindet (§ 202 SGG i.V.m. § 85 Abs. 1 ZPO). Willensmängel oder Irrtümer der Prozessbevollmächtigten lagen nicht vor.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG (zur Nichtanwendbarkeit des § 156 Abs. 3 Satz 2 SGG bei streitiger Beendigungsfeststellung s. nur Senatsurteil vom 16.11.2023, L 10 R 2512/23, in juris, Rn. 48).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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