L 10 R 819/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 16 R 2770/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 819/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, wenn ernstliche Zweifel an der Bevollmächtigung des Rentenberaters bestehen und dieser bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts keine aktuelle Vollmacht zu den Akten gereicht hat.
2. Ernstliche Zweifel am Fortbestand einer früher erteilten Vollmacht können sich aus dem Verhalten des Rentenberaters in früheren Verfahren sowie der konkreten Verfahrensführung im Einzelfall ergeben, etwa wenn sich der Kläger im Verwaltungsverfahren wiederholt selbst an die Beklagte wendet, weil er den Rentenberater nicht erreichen kann oder dieser Unterlagen nicht weitergeleitet hat.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08.02.2024 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.


Tatbestand


Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten unter Androhung eines Zwangsgeldes, eine von ihm erteilte Vollmacht nicht (weiterhin) zu missachten.

Der 1962 geborene Kläger beantragte mit Schreiben vom 09.07.2020 - bei der Beklagten per Fax am 10.07.2020 eingegangen - die Erteilung einer Rentenauskunft mit sämtlichen Wartezeitauskünften und Berechnungsanlagen. Er ließ sich hierbei durch den Diplom-Verwaltungswirt und Rentenberater für Sozialversicherung E1 (im Folgenden: Rentenberater) vertreten, der der Beklagten eine am 29.06.2020 unterschriebene Vollmacht folgenden Inhalts vorlegte (S. 266 VA, S. 9 Senatsakte):

„                                                                      Vollmacht

Hiermit erteile ich

Dipl.-Verwaltungswirt E2
Rentenberater für Sozialversicherung
A1-str., W1
Tel.: …

In Sachen: T1, L1 ./. DRV Bund

Vollmacht zur Vertretung bis auf Widerruf. Die Vollmacht umfasst das Verhandeln, die Abgabe und Entgegennahme von Erklärungen, Bescheiden und sonstigen Rechtsmitteln sowie die Einsichtnahme in Akten und Gutachten.

Die Vollmacht insbesondere:

zur Abgabe von einseitigen Willenserklärungen
zur Stellung von Anträgen auf Erteilung sämtlicher Auskünfte
zur Entgegennahme ärztlicher Gutachten und Bescheinigungen
zur Prozessführung einschl. der Befugnis zur Erhebung und Zurücknahme von Klagen und Abschlüssen von Vergleichen
zur Vertretung in sonstigen Verfahren und bei außergerichtlichen Verhandlungen aller Art
zur Übertragung der Vollmacht ganz oder teilweise auf andere (Untervollmacht)
zur Entgegennahme zu erstattender Beträge und zur Verfügbarkeit hierüber, sowie sonstiger Zahlungen jeglicher Art ohne Beschränkung des § 181 BGB
zur Entgegennahme von Nachzahlungen und Einmalzahlungen über das Anderkonto
zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht

Die Vollmacht gilt für alle Instanzen und erstreckt sich auf Neben- und Folgeverfahren aller Art.

Jeglicher Schriftwechsel hat nur mit dem Bevollmächtigten zu erfolgen.“


Die Beklagte bat den Kläger daraufhin mit (Erinnerungs-)Schreiben vom 12.08.2020 (S. 268 VA) und vom 09.09.2020 (S. 269 VA) - über den Rentenberater - Angaben zu bislang ungeklärten Zeiten zu machen. Da daraufhin keine Reaktion des Klägers oder des Rentenberaters erfolgte, schickte sie dem Kläger - wiederum über den Rentenberater - die ihr bereits vorliegenden Unterlagen mit Schreiben vom 07.10.2020 wieder zurück (S. 270 VA).

Mit Schreiben vom 05.11.2020 - bei der Beklagten am 06.11.2020 eingegangen - bat der Rentenberater, jetzt die Rentenauskunft „ohne weiteren Aufwand“ bekanntzugeben. Bei den im Schreiben vom 07.10.2020 angeführten Zeiten handele es sich um „sog. geklärte Lücken“, in denen nicht rechtlich relevant etwas zurückgelegt worden sei (S. 281 VA).

Am 16.11.2020 erließ die Beklagte sodann einen Feststellungsbescheid, in dem sie alle darin aufgeführten Daten bis zum 31.12.2013 verbindlich feststellte (S. 284 ff. VA) und sandte diesen sowie eine Rentenauskunft vom selben Tage (S. 291 ff. VA) an den Rentenberater (S. 283 VA). Gegen den Bescheid erhob der Rentenberater am 15.12.2020 Widerspruch (S. 313 VA) und kündigte Anträge und eine Begründung an. Am 25.03.2021 teilte der Rentenberater der Beklagten - auf deren Anruf hin - telefonisch mit, dass seine Kanzlei wegen Corona geschlossen gewesen sei, weshalb es dort Rückstände gebe (S. 319 VA). Die Frist zur Antragstellung und Begründung wurde daraufhin um drei Wochen verlängert. Nach fruchtloser Verstreichung der Frist wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2021 zurück (S. 322 ff. VA) und sandte diesen mit Schreiben vom 21.05.2021 an den Rentenberater (S. 324 VA). Hiergegen erhob der Kläger - vertreten durch den Rentenberater - Klage beim Sozialgericht Freiburg - SG - (S 4 R 1985/21, S. 329 ff. VA), die er am 13.04.2022 für erledigt erklärte und beantragte, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen (S. 376 f. VA).

Am 21.04.2022 ging ein vom Kläger persönlich gestelltes Gesuch auf Übersendung einer Rentenauskunft bei der Beklagten ein (S. 350 VA), dem diese mit der Rentenauskunft vom 24.03.2022, die auch direkt an den Kläger übersandt wurde, nachkam (S. 351 ff. VA).

Am 08.03.2023 beantragte der Rentenberater unter Bezugnahme auf die der Beklagten „vorliegende Vollmacht“ u.a. die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung für den Kläger (S. 154 VA). Die Beklagte bestätigte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 10.03.2023 - über den Rentenberater - den Eingang des Rentenantrags und übersandte ein formelles Rentenantragsformular (S. 176 VA). Mit - an den Rentenberater übersandtem - Schreiben vom 12.04.2023 erinnerte die Beklagte an die Übersendung des Rentenantragsformulars (S. 182 VA). Der Kläger nahm daraufhin am 09.05.2023, am 16.05.2023 und am 31.05.2023 telefonisch mit der Beklagten Kontakt auf, bat zunächst um Fristverlängerung, da sein Bevollmächtigter auf unbestimmte Zeit erkrankt sei und alle Unterlagen habe und teilte ihr sodann mit, dass er sich die Antragsformulare aus dem Internet besorgen und dann einsenden werde (S. 182 VA).

Zwischenzeitlich teilte Rechtsanwalt K1 - unter Vorlage der Bestellungsurkunde des Landgerichts Freiburg vom 26.04.2023 (S. 186 f. VA) - mit Schriftsatz vom 11.05.2023 der Beklagten mit (S. 185 VA), dass er zum Abwickler der Rentenberatungskanzlei E2 nach § 14a Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) bestellt worden sei und dieser aufgrund des Entzuges seiner Zulassung das Schreiben vom 12.04.2023 nicht weitergeleitet habe. Auch Rechtsanwalt K1 bat um Fristverlängerung.

Am 31.05.2023 ging sodann der (handschriftlich) auf den 07.03.2022 (!) datierte und vom Rentenberater unterschriebene Rentenformantrag bei der Beklagten ein (S. 189 ff. VA).

Die Beklagte forderte daraufhin Befundberichte bei der den Kläger behandelnden Ärztin S1 an (S. 239 VA). Der Kläger setzte sich sodann am 12.07.2023 (wiederum) telefonisch mit der Beklagten in Verbindung und teilte ihr mit, dass er den Befundbericht bereits vor ca. drei Wochen dem Rentenberater übergeben habe und er dort nachfragen werde (S. 239 VA). Als (weiterhin) kein Befundbericht bei der Beklagten einging, erinnerte sie den Kläger persönlich mit Schreiben vom 02.08.2023 an dessen Übersendung (S. 240 VA). Mit Schreiben vom 14.08.2023 forderte die Beklagte bei dem Kläger - über den Rentenberater - die Vorlage eines nervenärztlichen Befundberichts an (S. 245 VA) und erinnerte mit Schreiben vom 12.09.2023 - ebenfalls über den Rentenberater - an dessen Übersendung (S. 247 VA). Mit Schreiben vom 12.09.2023 teilte der Rentenberater der Beklagten u.a. mit, dass der Kläger nicht von einem Psychiater behandelt werde (S. 251 VA).

Mit Bescheid vom 10.10.2023 lehnte die Beklagte sodann den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab (S. 259 ff. VA) und schickte diesen Bescheid direkt an den Kläger und nicht an den Rentenberater.

Am 19.10.2023 hat der Rentenberater namens des Klägers Klage beim SG erhoben (S 16 R 2770/23) und beantragt, die Beklagte unter Androhung eines Zwangsgelds von 2.500 € zu verpflichten, die Vollmacht, die für den Kläger bei ihr hinterlegt worden sei, nicht weiterhin „zu missachten“. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er bereits im Jahr 2020 seine Vollmacht angezeigt und im Frühjahr 2023 schlussendlich Rente wegen Erwerbsminderung beantragt habe. Im entscheidungserheblichen Moment, nämlich bei der Bescheiderteilung, sei alles an den Kläger persönlich gesandt worden. Es sei in den letzten Jahren immer wieder ein leidiges Thema mit der Vollmachtsbeachtung im Hause der Beklagten gewesen. Zwischenzeitlich sei eine systematische Vollmachtsmissachtung zu verzeichnen, weshalb es diesbezüglich auch schon einen Schriftwechsel mit der Geschäftsführung der Beklagten gegeben habe. Eine Mehrfertigung der im Jahr 2020 erteilten Vollmacht ist nicht vorgelegt worden.

Die Beklagte hat daraufhin ausgeführt, dass Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden könnten. Die Klage beziehe sich jedoch nicht auf die eigentliche Sachentscheidung, sondern auf die Form der Bekanntgabe und damit auf eine Verfahrenshandlung. Sie hat den Teil der Verwaltungsakten vorgelegt, der mit der am 08.03.2023 beantragten Rente wegen Erwerbsminderung in Zusammenhang steht und die im Jahr 2020 erteilte Vollmacht nicht enthält.

Das SG hat den Rentenberater sodann zur Vorlage einer schriftlichen Vollmacht aufgefordert (Verfügung vom 23.10.2023, S. 4 SG-Akte) und zweimal an deren Übersendung erinnert (Verfügungen vom 23.11.2023 und vom 22.12.2023, S. 12 f. SG-Akte). Daraufhin hat es dem Rentenberater mit Verfügung vom 19.01.2024 - die ihm laut Empfangsbekenntnis am 26.01.2024 zugestellt worden ist (S. 18 SG-Akte) - eine (letzte) Frist zur Vollmachtsvorlage gem. § 73 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bis zum 07.02.2023 gesetzt und für den Fall deren fruchtlosen Verstreichens die Absicht angekündigt, die Klage durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG als unzulässig abzuweisen.

Mit Gerichtsbescheid vom 08.02.2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die erhobene Klage u.a. bereits mangels Bevollmächtigung des im Namen des Klägers handelnden Rentenberaters unzulässig sei. Die ordnungsgemäße Bevollmächtigung sei gemäß § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG von Amts wegen zu berücksichtigen und die Vollmacht - entgegen der Auffassung des Rentenberaters - gemäß § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG schriftlich zu den Gerichtsakten zu reichen, was nicht erfolgt sei. Eine bloße Bezugnahme auf eine nicht dem erkennenden SG im rechtshängigen Verfahren, sondern der Beklagten irgendwann in irgendeinem Zusammenhang vorgelegte Vollmacht irgendeines Datums, die sich schon nicht in den beigezogenen Verwaltungsakten befinde und daher nicht geprüft werden könne - zur Beiziehung älterer Aktenteile von Amts wegen sei das SG nicht verpflichtet gewesen, da es sich hierbei ausweislich des Wortlauts des § 73 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGG um eine prozessuale Bringschuld des Klägers handele („ist einzureichen“, „kann nachgereicht werden“) - sei dagegen prozessrechtlich nicht vorgesehen und jedenfalls unter Berücksichtigung des vorliegenden Sachverhalts unzulänglich. Auch sei die daher zunächst schwebend unwirksame Klage - trotz zweimaliger Erinnerung und einer weiteren Fristsetzung - nicht nachträglich durch eine entsprechende Vollmacht genehmigt worden, weshalb der Kläger nunmehr mit der rückwirkenden Genehmigung der ohne Vollmacht in fremdem Namen erhobenen Klage präkludiert sei. Dieser Mangel könne auch im Rechtsmittelverfahren nicht mehr geheilt werden (u.a. Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG - 03.06.2008, B 2 U 312/07 B; 12.02.2020, B 4 AS 8/20 B; Straßfeld in BeckOGK SGG, § 73 Rn. 134). Die Klage sei daher endgültig unzulässig. Der vorliegende Sachverhalt erfordere auch keine weitere Abgrenzung zur Entscheidung des 3. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 29.03.2023 (L 3 SB 1936/22).

Gegen den - dem Rentenberater am 12.02.2024 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Rentenberater namens des Klägers am 12.03.2024 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Der Rentenberater hat vorgetragen, dass entgegen der Auffassung des SG die erhobene Klage nicht unzulässig sei und für das Klageverfahren keine gesonderte Vollmacht vorgelegt werden müsse. Dies widerspreche der aktuellen Rechtsprechung des LSG Baden-Württemberg (L 3 SB 1936/22), wonach sich an ihn erteilte Vollmachten auch auf alle Instanzen von „Folgeverfahren und Verfahren jeglicher Art“ bezögen. Das SG berücksichtige weder diese Rechtsprechung, noch die Rechtsprechung des BSG „aus dem Jahre 2014 und 2016“ und „fabuliere“ lediglich unsubstantiiert, dass ein Rentenberater jederzeit eine neue Vollmacht beibringen könne und dass das SG keine Nachforschungen anstellen müsse. Es könne nicht nachvollzogen werden, weshalb das SG nicht feststellen könne, ob die der Beklagten vorgelegte Vollmacht eine Bevollmächtigung auch für das geführte Klageverfahren umfasse. Schließlich sei die sich in den Verwaltungsakten befindliche - und mit der Berufungsschrift nochmals vorgelegte (S. 9 Senatsakte) - Vollmacht „bis auf Widerruf“ erteilt worden. Dies hätte auch vom SG durch ein entsprechendes Aktenstudium festgestellt werden können. Überdies habe die Beklagte mehrere Jahre lang einen Schriftwechsel mit dem Kläger über ihn (den Rentenberater) geführt, was ein klares Indiz dafür sei, dass die Bevollmächtigung auch bestehe.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 08.02.2024 aufzuheben und die Beklagte dazu zu verpflichten, unter Androhung eines Zwangsgeldes von 2.500,- € die Vollmacht, die für den Kläger bei ihr hinterlegt worden ist, nicht weiterhin zu missachten,
hilfsweise, die Sache an das Sozialgericht Freiburg nach § 159 SGG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

Der Senat hat die (weiteren) Verwaltungsakten der Beklagten beizogen, in denen sich auch die Vollmacht vom 29.06.2020 befindet und hat den Rentenberater mit gerichtlicher Verfügung vom 26.04.2024 - ihm laut Postzustellungsurkunde (PZU) am 02.05.2024 zugestellt - darauf hingewiesen, dass auch er (der Senat) Zweifel an der (Fort-)Geltung der Vollmacht vom 29.06.2020 habe und daher (derzeit) davon ausgehe, dass schon die Berufung unzulässig sein dürfte. Der Rentenberater ist daher gemäß § 73 Abs. 6 Satz 2 SGG aufgefordert worden, bis zum 30.05.2024 eine aktuelle Prozessvollmacht für die Führung des Berufungsverfahrens vorzulegen, da andernfalls die Berufung bereits gemäß § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen sein dürfte. Nach Fristablauf hat der Rentenberater mit Schriftsatz vom 03.06.2024 (S. 54 Senatsakte) eine Fristverlängerung bis zum 15.06.2024 beantragt, woraufhin der Senat mit Verfügung vom 05.06.2024 (S. 56 f. Senatsakte) Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 18.07.2024 bestimmt hat. Die angeforderte Prozessvollmacht ist seitens des Rentenberaters auch bis zur mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt worden.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung am 18.07.2024 in Abwesenheit des Klägers respektive des Rentenberaters über den Rechtsstreit entscheiden, da er ordnungsgemäß zum Termin geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass auch im Falle des Ausbleibens von Beteiligten bzw. Bevollmächtigten Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann (vgl. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 2, § 126 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung des Klägers ist bereits unzulässig und daher zu verwerfen, denn der Kläger hat schon keine (wirksame) Berufung beim LSG eingelegt.


Gemäß § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist. Darüber hinaus gilt § 158 Satz 1 SGG nicht nur für die dort ausdrücklich genannten Fälle, sondern auch, wenn die Berufung aus anderen Gründen unzulässig ist, u.a. dann, wenn keine Vollmacht zur Führung des Berufungsverfahrens besteht (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 158 Rn. 5; Sommer in BeckOGK SGG, § 158 Rn. 6, Stand 01.05.2024).

Nach §§ 151 Abs. 1, 105 Abs. 1 Satz 3 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 Satz 1 SGG wird die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zur Niederschrift eingelegt wird, dessen Entscheidung angefochten wird (Sommer a.a.O., § 151 Rn. 6; Keller a.a.O., § 151 Rn. 2; s. auch BSG 31.03.2005, B 11a/11 AL 229/04 B, zitiert - wie sämtliche Rechtsprechung - nach juris).

Gemäß § 73 Abs. 1 SGG können die Beteiligten einen Rechtsstreit vor dem Landessozialgericht selbst führen oder sich gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGG u.a. auch durch einen Rentenberater im Umfang seiner Befugnisse nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2, auch in Verbindung mit Satz 2, des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) vertreten lassen.

Eine zur Vertretung in dem zu betreibenden Verfahren ermächtigende Vollmacht ist nach § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG schriftlich zu den Gerichtsakten zu reichen, wobei sie auch nachgereicht werden kann; die Prozesshandlungen des (vollmachtlosen) Vertreters sind bis zur Vorlage der (ordnungsgemäßen) Vollmacht schwebend unwirksam (BSG 21.06.2001, B 13 RJ 5/01 R; Straßfeld a.a.O., § 73 Rn. 141, Stand 01.05.2024; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, a.a.O., § 73 Rn. 65). Dabei hat das Gericht gemäß § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG einen Mangel der Vollmacht zwingend von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn als Bevollmächtigter - wie hier - nicht ein Rechtsanwalt auftritt (BSG 12.02.2020, B 4 AS 8/20 B; 18.05.2022, B 7/14 AS 225/21 B; Schmidt a.a.O., Rn. 68a; Straßfeld a.a.O. Rn. 138).

Vorliegend hat weder der Kläger persönlich die Berufung eingelegt, noch hat er sich hierzu (wirksam) von dem Rentenberater vertreten lassen, da dieser seine Bevollmächtigung dem Senat gegenüber nicht nachgewiesen hat und somit ein Mangel der Vollmacht besteht. Die vom Rentenberater mit seiner Berufungsschrift vorgelegte und sich auch in den vom Senat beigezogenen Verwaltungsakten befindliche Vollmacht vom 29.06.2020, die ihm seitens des Klägers im Rahmen des Verfahrens auf Erteilung einer Rentenauskunft erteilt worden war, weist eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung des Rentenberaters nicht (mehr) nach. Der Senat hat nämlich erhebliche Zweifel, ob diese Vollmacht - die dem Rentenberater ohnehin pauschal und ohne Nennung eines Verfahrensgegenstandes erteilt worden ist - überhaupt noch gilt. Ein Beleg dafür, dass eine einmal erteilte Vollmacht ausdrücklich widerrufen worden ist, ist dafür nicht erforderlich. Ausreichend sind bloße Zweifel, ob die Vollmacht mittlerweile im Innenverhältnis erloschen ist. Solche Zweifel können sich aus dem Verhalten des vermeintlich Bevollmächtigten in früheren Verfahren und Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalles, zu denen auch die zeitliche Dimension gehört, ergeben. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um eine Ermessensentscheidung des Senats (BSG 12.05.2021, B 4 AS 76/21 B; 12.02.2020, B 4 AS 8/20 B; Bundesfinanzhof - BFH - 11.11.2009, I B 152/09; 13.06.1996, III B 23/95; LSG Baden-Württemberg 21.03.2024, L 2 AS 1041/23).

Die Zweifel des Senats gründen zum einen auf dem Verhalten des Rentenberaters in einem anderen beim erkennenden Senat geführten Verfahren (L 10 R 162/22), in dem er ein Berufungsverfahren geführt hat, ohne dass die betreffende Klägerin hiervon überhaupt Kenntnis und ihn sogar ausdrücklich angewiesen hatte, kein Berufungsverfahren einzuleiten. Zum anderen lassen auch die konkreten Umstände des vorliegenden Verfahrens Zweifel an einer fortbestehenden Vollmacht vom 29.06.2020 aufkommen. So hat sich der Kläger selbst während des laufenden Verwaltungsverfahrens auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung im Mai (dreimal) und Juli (einmal) 2023 telefonisch an die Beklagte gewandt und mitgeteilt, dass der Rentenberater entweder auf unbestimmte Zeit erkrankt sei und er (der Kläger) sich die Antragsformulare nun selbst aus dem Internet besorgen und dann einsenden werde oder dieser (der Rentenberater) ihm überlassene (Befund-)Unterlagen nicht an die Beklagte weitergeleitet habe. Auch in dem vorgeschalteten Verfahren auf Erteilung einer Rentenauskunft im April 2022 wandte sich der Kläger persönlich schriftlich an die Beklagte und bat um Übersendung einer Rentenauskunft. Der Rentenberater seinerseits hat immer wieder auf an ihn gerichtete Anfragen der Beklagten und auch des SG - sowohl in dem Verfahren S 4 R 1985/21 als auch in dem dem vorliegenden Berufungsverfahren zugrundeliegenden erstinstanzlichen Verfahren - überhaupt nicht reagiert. Zudem hatte das Landgericht Freiburg dem Rentenberater zwischenzeitlich mit Bescheid vom 28.03.2023 die Registrierung als Rentenberater widerrufen, weshalb - jedenfalls bis zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des seitens des Rentenberaters hiergegen eingelegten Widerspruchs durch das Verwaltungsgericht Freiburg (9 K 1122/23) - Rechtsanwalt K1 am 26.04.2023 zum Abwickler der Rentenberatungskanzlei bestellt worden war. Vor diesem Hintergrund hat der Senat erhebliche Zweifel am (Fort-)Bestand der dem Rentenberater seitens des Klägers am 29.06.2020 erteilten Vollmacht - die ohnehin anlässlich eines gänzlich anderen Verfahrensgegenstands erteilt wurde -, weshalb er eine Prozessvollmacht zur Führung des vorliegenden Berufungsverfahrens angefordert hat. Dass die Beklagte selbst Schriftverkehr mit dem Rentenberater geführt und folglich wohl - zumindest jedenfalls bis zur Erteilung des Bescheides vom 10.10.2023 - keine Bedenken gegen dessen Bevollmächtigung hatte, ändert nichts an den Zweifeln des erkennenden Senats. Im Übrigen kommt es bei der von Amts wegen zu erfolgenden Vollmachtsprüfung gem. § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG nicht darauf an, ob die Beklagte ihrerseits Zweifel am Bestehen der Vollmacht hat und eine mangelnde Bevollmächtigung rügt.

Da der Rentenberater dem Senat trotz ausdrücklicher Aufforderung (auch) eine Prozessvollmacht zur Führung des vorliegenden Berufungsverfahrens nicht vorgelegt hat, liegt dem Senat ein Nachweis darüber, dass der Rentenberater zur Führung des vorliegenden Berufungsverfahrens legitimiert ist, nicht vor. Der Rentenberater ist folglich als vollmachtloser Vertreter aufgetreten, weshalb die von ihm vorgenommenen und nicht nachträglich genehmigten - wie hier - Prozesshandlungen unwirksam sind. Folglich ist das ohne Vollmacht eingelegte Rechtsmittel unzulässig und zu verwerfen (BSG 12.05.2021, B 4 AS 76/21 B; BSG 13.12.2000, B 6 KA 29/00 R; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, a.a.O. § 73 Rn. 66), sodass eine Entscheidung in der Sache durch den Senat nicht in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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