Bei einer allenfalls geringfügigen Exposition gegenüber aromatischen Aminen und einer gleichermaßen mit 5 Packungsjahren geringen Exposition gegenüber Tabak erachtet der Senat das Risiko an Harnblasenkrebs zu erkranken für beide Einwirkungsarten gleich hoch. Einen niedrigeren oder höheren Wahrscheinlichkeitsgrad für die eine oder andere Exposition festzumachen, scheidet mangels Quantifizierbarkeit der aromatischen Aminbelastung sowohl bezogen auf die beruflichen Stoffe wie auch die konkreten Tabakingredienzien aus. Weitere Ermittlungs- oder Erkenntnismöglichkeiten bestehen nicht. Bezogen auf die (unterstellte) berufliche Einwirkung und die nachgewiesene außerberufliche Einwirkung ergibt sich insoweit ein Patt, das sich nach Beweislastgrundsätzen zulasten des Klägers auswirkt.
I. Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 20. Februar 2023 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2018 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt 1/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob die Krebserkrankung des Klägers als Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) anzuerkennen ist. Die BK Nrn. 2402 und 1321 sind nicht mehr streitgegenständlich.
Der 1955 geborene Kläger, von Beruf Kfz-Mechaniker, arbeitete von August 1969 - mit Unterbrechung durch den gesetzlichen Wehrdienst (April 1976 bis Juni 1977) - bis Mai 1993 bei unterschiedlichen Firmen, nach Abschluss seiner Ausbildung ab März 1973 dabei überwiegend im Baugewerbe. Nach einer Umschulung 1993/94 nahm der Kläger im April 1994 eine selbstständige Erwerbstätigkeit als Trockenbauer / Monteur im Bereich Holz, Kunststoff und Metall auf, ohne dass für diese Tätigkeit eine freiwillige Versicherung bei der Beklagten begründet wurde.
Im Oktober 2017 teilte der Kläger der Beklagten mit, seit Aufnahme seiner Berufstätigkeit im Jahr 1969 mit vielen, vielleicht belastenden, Materialen in Kontakt gekommen zu sein: Als Kfz-Schlosser und Maschinenführer mit Benzin, Diesel, Öl; als Monteur mit Farben, asbestbelasteten Wellplatten, Reinigungs-/ Lösungsmitteln. Er habe Kunststoffe geschnitten, Teerpappe usw. verlegt. Was für Inhaltsstoffe enthalten gewesen seien, könne er nach 48 Arbeitsjahren nicht mehr nachvollziehen, es sei sicher nicht alles unbelastet gewesen. Aus einem beigefügten ärztlichen Schreiben der Urologischen Gemeinschaftspraxis C-Stadt, ohne Datum, ergab sich der Hinweis auf eine Blasenkrebserkrankung des Klägers. Unter dem 19. November 2017 machte der Kläger ergänzende Angaben zu den von ihm ausgeübten beruflichen Tätigkeiten. Die Beklagte leitete daraufhin BK- Feststellungsverfahren die BK Nrn. 1301 und 1321 betreffend ein.
Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen zog die Beklagte sodann Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers (Urologische Gemeinschaftspraxis C-Stadt / Dr. D. vom 30. November 2017 nebst Befunddokumentation und diversen Konsiliarberichten) bei. Danach war bei dem Kläger im Juli 2016 ein Urothelkarzinom der Harnblase diagnostiziert worden.
Nachdem die Beklagte die früheren Arbeitsgeber des Klägers ermittelt hatte, äußerte sich deren Präventionsdienst unter dem 15. Januar 2018 zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen in einer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition u. a. die BK Nr. 1301 betreffend. Danach sei der Kläger im Zeitraum von August 1969 bis Februar 1973 während seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gegenüber Mineralölprodukten wie Kraftstoffen, Schmierfetten und Ölen sowie Kaltreiniger exponiert gewesen. Ein direkter Kontakt zu aromatischen Aminen habe nicht ermittelt werden können. Es sei jedoch anzunehmen, dass Kontakt zu Mineralölprodukten bestanden habe, die mit Azofarbstoffen eingefärbt gewesen seien. Laut wissenschaftlicher Stellungnahme von 2016 seien Azofarbstoffe, aus denen humankanzerogene aromatische Amine abgespalten werden können, geeignet, Krebs der Harnwege im Sinne der BK Nr. 1301 zu verursachen. Neben den als K1A eingestuften aromatischen Aminen zähle hierzu o-Toluidin. Bei den verwendeten Mineralölprodukten sei nicht bekannt, welche Farbstoffe zum Einfärben verwendet worden seien, zumal mit den Fahrzeugen eine Vielzahl verschiedenster Produkte unterschiedlicher Hersteller in die Werkstätten gelangt seien. Ottokraftstoffe von Aral hätten von 1958 bis 1983 und von Shell bis 1978 den Azofarbstoff Solvent Red 19 enthalten. Einfärbungen seien auch bei anderen Herstellern erfolgt, konkrete Farbstoffe seien nicht bekannt. Häufig seien Solvent-Red-Farbstoffe in sehr niedrigen Konzentrationen zum Einsatz gekommen, die je nach chemischer Struktur 4-Aminoazobenzol, Anilin, p-Phenylendiamin, o-Anisidin, o-Aminoaotoluol, o-Toluidin und auch M-Toluidin abspalten könnten. Davon sei nur o-Toluidin ein humankanzerogenes aromatisches Amin im Sinne der BK Nr. 1301, wobei das krebserzeugende Potenzial deutlich unter dem von 2NA liege. Eine Quantifizierung der Aminbelastung bei dem Umgang mit Azofarbstoffen sei aufgrund fehlender Daten derzeit nicht möglich. Bleifluids in verbleiten Ottokraftstoffen seien in der BRD bis 1994 mit einem roten Azofarbstoff gekennzeichnet gewesen. Kraftstoffe enthielten keine Antioxidantien, aus denen als krebserzeugend eingestufte aromatische Amine freigesetzt worden seien. Von Februar 1972 bis Februar 1973 seien vom Kläger Reinigungsarbeiten mit einer Waschmaschine durchgeführt worden. Hierbei habe Kontakt zu Kalkreinigern, die keine BK-relevanten Inhaltsstoffe enthielten, bestanden. Im Zeitraum von 2. August 1973 bis 31. März 1976 sei der Kläger mit Dieselkraftstoff und Schmierölen in Kontakt gekommen. Schmierfette könnten laut BK-Report 1/2014 „Aromatische Amine“ mit Farbstoffen versetzt worden sein, wenn, dann allerdings nur in geringen Mengen (zweistelliger ppm-Bereich). Auch für die weiteren Beschäftigungszeiten des Klägers vermochte der Präventionsdienst keine Exposition im Sinne der BK Nr.1301 zu sichern.
Der Einschätzung der Beklagten folgend empfahl der Landesgewerbearzt mit Schreiben vom 26. Februar 2018 mangels Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen, die Anerkennung u. a. der BK Nr. 1301 abzulehnen.
Mit Bescheid vom 16. März 2018 lehnte die Beklagte sodann die Anerkennung der Harnblasentumorerkrankung als BK der Nrn. 1301, 1321 und auch 2402 ab. Erlassen wurde der Bescheid dabei durch deren Rentenausschuss. Die Beklagte führte weiter aus, dass ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht bestehe. Zur Begründung stützte die Beklagte sich auf die Feststellungen ihres Präventionsdienstes, der die beruflichen Tätigkeiten des Klägers untersucht und festgestellt habe, dass er in der Zeit von August 1969 bis Februar 1973 als Lehrling zum Kfz-Mechaniker einer geringfügigen Exposition gegenüber aromatischen Aminen (Bestandteil der Ottokraftstoffe) ausgesetzt gewesen sei. Nach Auswertung der medizinischen Befunde sei die Beklagte zu dem Ergebnis gelangt, dass zwischen der Tumorerkrankung der Harnblase und der beruflichen Exposition gegenüber aromatischen Aminen kein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Die lediglich geringe Einwirkung aromatischer Amine in der Ausbildung zum Kfz-Mechaniker sei bei weitem zu gering, um als Ursache für eine Tumorerkrankung der Harnblase in Betracht zu kommen.
Der Widerspruch des Klägers hiergegen war erfolglos und wurde von der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2018 zurückgewiesen.
Seinen Anspruch hat der Kläger mit Klage vor dem Sozialgericht Fulda vom 26. September 2018 weiterverfolgt. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass die Beklagte zur Verneinung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Tumorerkrankung der Harnblase und der beruflichen Exposition ausschließlich auf die Ausbildungszeit zum Kfz-Mechaniker abgestellt habe. Die selbstständige Tätigkeit ab April 1994 sei nicht mehr untersucht worden. Es lägen insoweit unzureichende Ermittlungen vor. Dazu hat die Beklagte auf den fehlenden Versicherungsschutz des Klägers in dem Zeitraum vom 1. Januar 1995 bis zum 4. Mai 2012 hingewiesen, sodass dieser Zeitraum, selbst wenn man eine schädigende Einwirkung als gegeben unterstellte, außer Betracht bleiben müsse.
Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat das Sozialgericht Befundberichte bei den behandelnden Ärzten des Klägers angefordert, zudem die Akte des Versorgungsamtes Fulda (Gz. XXX1) beigezogen. Nach entsprechender Beweisanordnung vom 26. November 2018 hat Dipl.-Ing. K. ein arbeitstechnisches Gutachten erstattet. In seiner Expertise vom 5. Juli 2019 hat der Sachverständige ausgeführt, dass der Kläger im Alter von 14,5 bis 17 Jahren Kontakt zu aromatischen Aminen gehabt habe. Der Kontakt sei bei einer verbotswidrigen Tätigkeit, nämlich dem Reinigen von Kfz-Teilen mittels Ottokraftstoff, erfolgt und habe ca. 22 % der Tätigkeitszeit ausgemacht. Verbunden sei er mit einem intensiven Hautkontakt, meist unter Okklusionsbedingungen, gewesen. Bei den weiteren Beschäftigungszeiten des Klägers sei kein Kontakt zu aromatischen Aminen anzunehmen. Dazu äußerte sich der Präventionsdienst der Beklagten zunächst unter dem 2. September 2019 unter Bekräftigung seiner Feststellungen vom 15. Januar 2018. Wegen der äußerst geringen Farbstoffkonzentration von 0,00001 bis 0,0001 Prozent im Ottokraftstoff, der nur kurzen Expositionszeiten sowie einer möglichen o-Toluidin Abspaltung bei nur einem Teil der zur Färbung des Ottokraftstoffes eingesetzten Farbstoffen sei die Toluidin-Exposition bei Reinigungstätigkeiten mit Ottokraftstoff als gering einzuschätzen. Eine Quantifizierung der Aminbelastung sei weiterhin nicht möglich.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 1. Oktober 2019 zur Arbeitsplatzexposition die Tätigkeit des Klägers bei der H. GmbH und Co. KG von September 1980 bis Dezember 1982 betreffend sind Expositionen gegenüber aromatischen Aminen ausgeschlossen worden.
Unter dem 8. Februar 2020 hat der Sachverständige K. im Rahmen einer Nachfrage des Sozialgerichts nochmals angeregt, zu der Frage, ob der Harnblasenkrebs eine BK Nr. 1301 ist, ein arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen.
Unter anderem hierzu hat Prof. Dr. S. am 6. Oktober 2020 ein wissenschaftlich begründetes arbeitsmedizinisch-toxikologisches Gutachten vorgelegt. Nach dessen Feststellungen liegt eine BK Nr. 1301 aus medizinischer Sicht nicht vor. Mit einem mäßig differenzierten, kapillaren, nicht invasiven Urothelkarzinom der rechten Harnblasenseitenwand liege zwar das medizinische Krankheitsbild der BK vor. Auf Grundlage einer eigenen Arbeitsanamnese hat der Sachverständige ausgeführt, dass zwischen August 1969 und März 1976 vornehmlich dermaler Kontakt zu Ottokraftstoffen, Schmierölen aus dem Kfz-Bereich sowie Schalölen, die jeweils mit einem roten Farbstoff eingefärbt gewesen seien, bestanden habe. Bei diesen könne es sich um einen Azofarbstoff gehandelt haben, der reduktiv bzw. im Stoffwechsel das humankanzerogene aromatische Amin Toluidin abspalten könne. Darüber hinaus habe in den Jahren 1977/1978 dermaler Kontakt zu Carbolineum beim Streichen von Zäunen jeweils 10-15 Mal pro Jahr von jeweils etwa 10-15 Metern bestanden. Carbolineum enthalte die humankanzerogenen aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4-Aminobiphenyl und o-Toluidin sowie polzyklische und aromatische Kohlenwasserstoffe. Den Gehalt von aromatischen Aminen jeweils unterstellend, ergäbe sich eine maximale Expositionsdauer von etwa 10 Jahren. Unter Hinweis auf Modellrechnungen sei es auch trotz worst-case-Annahmen ausgeschlossen, dass der Kläger einer ausreichend hohen dermalen Exposition gegenüber farbstoffhaltigen Mineralölen bzw. Mineralölprodukten ausgesetzt gewesen sei. Eine Risikoverdopplung könne hiernach erst angenommen werden, wenn ein Versicherter dermal im Bereich des nach Weiß et al. 2010 (Weiß T., Henry J., Brüning T.: Berufskrankheit 1301 Bewertung der beruflichen (Mit-)Verursachung von Harnblasenkrebserkrankungen unter Berücksichtigung der quantitativen Abschätzung der Einwirkung der aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4-Aminobiphenyl und o-Toluidin, Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed (2010) 45: 222-235) abgeleiteten Dosisäquivalents von 30.000 mg o-Toluidin aufgenommen hätte bzw. in dieser Höhe exponiert gewesen sei. Dazu hätten - unrealistisch - im Zeitraum von August 1969 bis Januar 1972 und von August 1973 bis März 1976 im Mittel jeweils etwa 24,2 mg „reines“ o-Toluidin aufgenommen werden müssen, d. h. täglich mindestens 120 kg farbstoffmarkiertes Heizöl auf die Haut des Klägers gelangen müssen. Geschätzt seien aber im Mittel allenfalls 1g farbmittelhaltige Mineralöle bei den Instandhaltungsarbeiten auf Hände und Unterarme gelangt. Selbst bei ungünstigen Verhältnissen gegenüber o-Toluidin sei er damit allenfalls im Bereich von weniger als 1 Promille des Orientierungsmaßes für o-Toluidin, welches mit einer Risikoverdopplung assoziiert worden sei, exponiert gewesen. Bezogen auf die Aufnahme von 2-Naphtylaminäquivalenten durch den Kontakt von Carbolineum an etwa 30 Tagen durch Streichen von 10 bis 15 Jägerzäunen mit einer Länge von 10-15 m in 1977/78 ergäbe sich tägliche Kontamination von 25-50 mg, was weniger als 5% des Orientierungswertes nach Weiß et al. (2010) entspräche. Auch hier sei nicht von einem dermalen Kontakt auszugehen, der mit einer Risikoverdopplung assoziiert werde. Unter Zugrundelegung eines Zigarettenkonsums von ca. 5 Packungsjahren liege kein relevantes außerberufliches Harnblasenrisiko vor. Bezogen auf die Erkrankung selbst liege die Latenzzeit mit 47 Jahren (statisches Mittel 38 Jahre) noch im Erfahrungsbereich. Die Interimszeit sei mit 37 Jahren (Mittel 17 Jahre) erhöht. Zu berücksichtigen sei das Alter des Klägers zum Krankheitsbeginn mit 61 Jahren. Bei Harnblasenkrebs handele es sich um einen typischen Alterskrebs, wobei bei Männern ab etwa dem 50. Lebensjahr die Inzidenz ansteige. Gesamtschauend sei die Erkrankung nicht durch die berufliche Tätigkeit verursacht worden.
Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht ein wissenschaftlich-fachärztliches Gutachten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Prof. Dr. M. eingeholt. Nach dessen Feststellungen (Expertise vom 3. August 2021) sprächen für die BK Nr. 1301 zum einen eine sicherheitstechnisch bestätigte Exposition gegenüber aromatischen Aminen in dermaler und inhalativer Form in jungen Jahren (14,5. bis 17. Lebensjahr) sowie fehlende konkurrierende Ursachen für das Harnblasenkarzinom. Gegen das Vorliegen sprächen eine zeitlich begrenzte Exposition während der Lehrzeit in etwa 40% der Arbeitszeit sowie die Verwendung von Benzinen/ Schmiermitteln mit nur einem geringen Gehalt an aromatischen Aminen. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen sieht Prof. Dr. M. unter Hinweis auf die Feststellungen von Dipl.-Ing. K. als erfüllt an. Ohne abschließende Kausalitätsbeurteilung in arbeitsmedizinischer Hinsicht hat er die Einholung eines fachurologischen Gutachtens empfohlen.
Zu dem Gutachten hat sich Prof. Dr. S. unter dem 29. November 2021 geäußert und dabei seine Bewertung unter Zugrundelegung seiner Studienergebnisse (Weiß et al 2010) bekräftigt.
Ebenfalls auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht schließlich ein urologisches Sachverständigengutachten bei Prof. Dr. G. vom 9. November 2022 nach Aktenlage eingeholt. Unter Würdigung des medizinischen Berichtswesens, insbesondere der Vorgutachten ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tumorerkrankung der Harnblase nicht durch die berufliche Exposition verursacht worden ist. Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Urothelkarzinom und den beruflichen Tätigkeiten sei nicht zu finden.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage mit Gerichtsbescheid vom 20. Februar 2023 abgewiesen. Eine Berufskrankheit läge bei dem Kläger nicht vor. Bezogen auf die (hier nur noch) streitgegenständliche BK Nr. 1301 seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt. Hierzu müsse zunächst nur Kontakt zu aromatischen Aminen bestanden haben. Dies sei bei dem Kläger der Fall. Die BK selbst sehe keine Dosis vor. Aus diesem Grunde seien die Gutachten von Dipl.-Ing. K. und Prof. Dr. M. auch ergebnisoffen. Der Kontakt habe bestanden, so dass im Rahmen der Kausalitätsprüfung ein Zusammenhang bestehe. Allerdings sei auf der zweiten Stufe keine hinreichende Wahrscheinlichkeit festzustellen. Denn wenn es einerseits keine festen Grenzen gäbe, könne auch der jedenfalls über mehrere Jahre praktizierte Zigarettenkonsum nicht hinweggedacht werden. Sowohl dieser als auch die aromatischen Amine im Farbstoff o-Toluidin und im Holzschutzmittel Carbolineum hätten im Körper des Klägers eingewirkt, aber nicht zur Überzeugung der Kammer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Harnblasenkarzinom bewirkt. Unter Würdigung der versicherten und unversicherten Ursachen seien die bei der beruflichen Tätigkeit aufgenommenen aromatischen Amine nicht rechtlich wesentlich für das vom Kläger geltend gemachte Harnblasenkarzinom. Auch wenn aromatische Armine mangels Festlegung einer Grenze niederschwellig als gefährlich eingestuft worden seien und die BK nicht nur Nicht-Rauchern vorbehalten sei, können sich die Kammer gerade auf Grund der gutachterlichen Einschätzung des Sachverständigen Dr. P. (Anmerkung des Gerichts: Assistent bei Gutachten Prof. Dr. G.) und der von Prof. Dr. S. angesprochen Ubiquität der Harnblasenkrebserkrankung nicht von der rechtlichen Wesentlichkeit der Verursachung überzeugen. Es sprächen zur Überzeugung der Kammer die lange Latenzzeit, der Tabakkonsum, die Ubiquität der Krebsart und die geringe Einwirkungszeit und –dosis gegen die Bejahung der BK Nr. 1301. Hierbei habe die Kammer ebenfalls berücksichtigt, dass der Vollbeweis der Einwirkung von aromatischen Aminen in dem roten Farbstoff nur nach einer worst-case Betrachtung und –berechnung angenommen worden sei. Denn welcher Farbstoff es genau gewesen sei, habe nicht im Vollbeweis festgestellt werden können.
Gegen die ihm am 28. Februar 2023 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 24. März 2023 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Das Verfahren ist dort zunächst unter dem Aktenzeichen L 3 U 56/23 geführt worden, zum 1. Januar 2024 wurde es zur weiteren Bearbeitung an den 9. Senat abgegeben.
Zur Begründung des Rechtsmittels verweist der Kläger auf sein bisheriges Vorbringen im Widerspruchs- und Klageverfahren. Die Entscheidung des Sozialgerichts könne er so nicht akzeptieren und gehe weiterhin davon aus, dass sowohl die arbeitstechnischen wie auch die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen in seinem Fall erfüllt seien. Die selbstständige Tätigkeit ab April 1994 habe berücksichtigt werden müssen. Zu verweisen sei auf das Gutachten von Prof. Dr. M.
Der Kläger beantragt (sinngemäß) noch,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 20. Februar 2023 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 16. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2018 zu verpflichten, seine Harnblasenerkrankung als BK Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Entgegen der Auffassung des Klägers habe während der selbstständigen Tätigkeit keine freiwillige Unternehmerversicherung bestanden.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zu dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte verwiesen, des Weiteren auf das Protokoll des Erörterungstermins mit der Berichterstatterin vom 29. April 2024, in dem die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt haben. In dem Erörterungstermin hat der Kläger zudem die Berufung die Anerkennung der BK Nrn. 2401 und 1321 betreffend zurückgenommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene (§§ 143, 151 SGG) Berufung ist teilweise begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, soweit ein Anspruch auf Anerkennung einer BK verneint wurde.
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage statthaft. Denn der Betroffene kann einen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit wahlweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG oder mit einer Kombination aus einer Anfechtungsklage gegen den das Nichtbestehen des von ihm erhobenen Anspruchs feststellenden Verwaltungsakt und einer Verpflichtungsklage verfolgen (vgl. BSG vom 5. Juli 2011 - B 2 U 17/10 R).
Soweit sich der Kläger mit der Anfechtungsklage gegen den vom Rentenausschuss der Beklagten erlassenen Bescheid über die Ablehnung der BK Nr. 1301 vom 16. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2018 wendet, ist diese im Hinblick auf die sachliche Unzuständigkeit des Rentenausschusses zunächst begründet.
Nach der abschließenden Aufzählung in § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV), dessen Text von der 2009 gültigen Fassung bis zur heute gültigen Fassung keine Änderung erfahren hat, können in der Unfallversicherung durch Satzung (§ 34 SGB IV) nur die erstmalige Entscheidung über Renten, Entscheidungen über Rentenerhöhungen, Rentenherabsetzungen und Rentenentziehungen wegen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse (Buchstabe a) sowie Entscheidungen über Abfindungen mit Gesamtvergütungen, Renten als vorläufige Entschädigungen, laufende Beihilfen und Leistungen bei Pflegebedürftigkeit (Buchstabe b) besonderen Ausschüssen übertragen werden. Der in § 36a Abs.1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV aufgeführte Kompetenzkatalog umfasst demnach die isolierte Ablehnung eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit; § 7 Abs. 1 SGB VII) nicht.
Die Kompetenzüberschreitung durch den Rentenausschuss führt indessen nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes nach § 40 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Die in § 40 Abs. 3 Nr. 1 und 3 SGB X enthaltenen Regelungen, wonach weder die örtliche Unzuständigkeit noch die Nichtbefassung eines zur Mitwirkung berufenen Ausschusses zur Nichtigkeit führen, rechtfertigt keinesfalls den Umkehrschluss, dass die sachliche Unzuständigkeit oder die Befassung eines zur Mitwirkung nicht berufenen Ausschusses ohne Weiteres zur Nichtigkeit führen. Derartige Gegenschlüsse lassen sich aus dem Negativkatalog des § 40 Abs. 3 SGB X nicht ziehen. In Fällen der vorliegenden Art ist vielmehr auf die Grundregel des § 40 Abs. 1 SGB X zurückzugreifen und die Frage der Nichtigkeit an den Kriterien des Gewichts und der Offenkundigkeit des Fehlers auszurichten. Die Voraussetzungen einer Nichtigkeit nach § 40 Abs. 1 SGB X liegen aber nicht vor. Danach kommt eine Nichtigkeit nur im Falle so genannter absoluter Unzuständigkeit in Betracht, wobei die mit dem Verwaltungsakt geregelte Angelegenheit keinen sachlichen Bezug zum Aufgabenbereich der handelnden Behörde haben darf und dies offenkundig sein muss (BSG Urteile vom 9. Juni 1999 - B 6 KA 76/97 R; BSG vom 6. Mai 2009 - B 6 KA 7/08 R; Roos/Blüggel in: Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 40, Rn. 10). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Denn die (Nicht-)Feststellung eines Versicherungsfalls ist Vorfrage für Entscheidungen über Renten und die (Nicht-)Gewährung von Verletztengeld und unfallversicherungsrechtlicher Heilbehandlung und gehört zum Aufgabenbereich des Unfallversicherungsträgers („intra vires“) (zu allem BSG vom 30. Januar 2020 - B 2 U 2/18 R).
Der Kläger hat aber einen Anspruch auf Aufhebung des angefochtenen Bescheides des Rentenausschusses der Beklagten über die Ablehnung einer BK Nr. 1301 vom 16. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2018, obwohl sich (wie im Folgenden näher ausgeführt wird) der Bescheid in der Sache als zutreffend erweist. Hierfür spricht schon, dass rechtswidrige Verwaltungsakte den rechtschutzsuchenden Bürger beschweren (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG) und er deren Aufhebung deshalb „durch Klage“ verlangen kann (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 SGG). Handelt die Behörde verfahrensfehlerhaft, wandelt sich der Anspruch auf ein gesetzmäßiges Verwaltungshandeln in einen Anspruch auf Beseitigung des fehlerhaften Akts, soweit der Verfahrensmangel - anders als hier - nicht unbeachtlich oder geheilt und deswegen ausnahmsweise hinzunehmen ist. Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1 SGG) hat somit auch dann Erfolg, wenn die mit ihr verbundene (§ 56 SGG) Feststellungsklage oder - wie hier - Verpflichtungsklage abweisungsreif ist, weil materiell-rechtlich kein Versicherungsfall vorliegt. Der angefochtene Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) ist dann - wie vorliegend - aufzuheben und die Klage im Übrigen abzuweisen. Die Klageabweisung kann aus Sachgründen erfolgen, weil eine behördliche Sachentscheidung vorliegt, auch wenn sie - uno actu - aus formellen Gründen aufgehoben worden ist (Spellbrink/Karmanski, Die gesetzliche Unfallversicherung in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Teil I), SGb 2021, 461 ff., 467; zu allem LSG Berlin-Brandenburg vom 17. Januar 2024 - L 3 U 156/22).
Die Anfechtungsklage hat somit aus formellen Gründen Erfolg. Die Verpflichtungsklage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 16. März 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2018 ist materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Krebserkrankung des Klägers eine Berufskrankheit nach der BK Nr. 1301 ist.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift wird die Bundesregierung ermächtigt, in einer Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht worden sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (sog. Listenprinzip). Von der Ermächtigung hat die Bundesregierung durch Erlass der BKV vom 31. Oktober 1997 - BGBl. I 2623, aktuell in der Fassung der BKV-ÄndV vom 29. Juni 2021, Gebrauch gemacht. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehört die geltend gemachte BK nach Nr. 1301 (Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine).
Die Anerkennung einer Listen-BK setzt voraus, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen zu einer Krankheit geführt haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Voraussetzungen der „versicherten Tätigkeit“, der „Verrichtung“, der „Einwirkung“ und der „Krankheit“ müssen hierbei im Sinne eines Vollbeweises - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (stRspr, zuletzt BSG vom 30. März 2023 - B 2 U 2/21 R und BSG vom 27. September 2023 - B 2 U 8/21 R). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (zum Ganzen siehe zusammengefasst BSG vom 27. Juni 2017 - B 2 U 17/15 R; auch BSG vom 23. April 2015 - B 2 U 20/14 R; BSG vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R).
Hinsichtlich der Einwirkungskausalität bedeutet dies, dass die als tatbestandliche Voraussetzung im Verordnungstext formulierten Anforderungen an die betreffende Einwirkung (sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen) erfüllt sein müssen.
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben liegt bei dem Kläger eine BK nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur BKV nicht vor. Zwar zählt die bei dem Kläger im August 2016 diagnostizierte Harnblasenkrebserkrankung (Urothelkarzinom) zu den Erkrankungen im Sinne dieser BK. Insoweit ist jedoch mit den sog. arbeitsmedizinischen Voraussetzungen nur ein Tatbestandsmerkmal der BK erfüllt. Darüber hinaus muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein, dass der Kläger bei seiner beruflichen und nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bei der Beklagten versicherten Tätigkeit gegenüber aromatischen Aminen exponiert war.
An diesen weiter erforderlichen sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen fehlt es vorliegend. Der Tatbestand der BK Nr. 1301 verlangt die Einwirkung (human-) kanzerogener aromatischer Amine. Zu den aromatischen Aminen zählen Benzidin, Betha-Naphthylamin (2-Naphthylamin), 4-Aminodiphenyl, o-Toluidin, 4-Chlor-o-toluidin, Auramin-Herstellung, Fuchsin-Herstellung, 2,4-Diaminoanisol und 2,4-Toluylendiamin. Hinsichtlich dieser Arbeitsstoffe ist ein Kausalzusammenhang für das Auftreten von Karzinomen im Bereich der ableitenden Harnwege und Harnblase gesichert (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Aufl. 2024, S. 1302).
Bei der BK Nr. 1301 handelt es sich um eine sog. stochastische BK, die im Tatbestand keine Einwirkungsgrößen im Sinne eines Mindestexpositionswerts benennt; auch das Merkblatt zur BK Nr. 1301 aus dem Jahr 1963 (BArbBl. 1963, S. 129) und die wissenschaftliche Stellungnahme zur BK Nr. 1301 des Ärztlichen Sachverständigenbeirats BKen (ÄSVB) aus dem Jahr 2011 (Wissenschaftliche Stellungnahme zu der BK 1301 der Anl. 1 zur BKV „Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnblase durch aromatische Amine", GMBl. 2011, 18) enthalten keine Angaben zu einer erforderlichen Expositionshöhe (BSG vom 27. September 2023 - B 2 U 8/21 R).
Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass vorliegend weder mit absoluter Sicherheit noch mit einer an Gewissheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, also mit einem Grad, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen vorgenannter Tatbestandsmerkmale zweifelt (vgl. BSG vom 28. November 1957 - 4 RJ 186/56; MKLS / Keller, SGG, 14. Auflage 2023, § 128 Rn. 3b), festgestellt werden kann, ob und in welchem Umfang der Kläger bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeiten gegenüber kanzerogenen aromatischen Aminen exponiert war.
Für den in Bezug auf die schädigenden Einwirkungen verlangten Vollbeweis muss ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit vorliegen, dass alle Umstände des Einzelfalles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen (BSG vom 2. Februar 1978 - 8 RU 66/77 und BSG vom 20. Januar 1987 - 2 RU 27/86), die bloße Möglichkeit ist nicht ausreichend (BSG vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R, s. o.). Dies ist auch zur Überzeugung des Senats nicht der Fall. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme besteht zwar die Möglichkeit, jedoch kein belastbarer Anhalt dafür, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit überhaupt mit aromatischen Aminen in Berührung gekommen ist. Valide Angaben dazu, dass in den verwendeten Arbeitsmaterialien aromatische Amine enthalten waren, kann der Kläger selbst ausweislich seiner Antragstellung vom 23. Oktober 2017 nicht machen.
Nach Einschätzung des Präventionsdienstes der Beklagten kann nicht sicher festgestellt werden, dass der Kläger bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeiten und beim Umgang mit den dabei üblichen Arbeitsstoffen gegenüber aromatischen Aminen exponiert war (Stellungnahmen vom 15. Januar 2018, 2. September 2019 und 6. März 2020).
Entgegen der Auffassung des Klägers ist bei der Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen die Zeit seiner selbstständigen Tätigkeit ab April 1994 nicht zu berücksichtigen. Die Anerkennung einer Berufskrankheit setzt nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut von § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII eine rechtlich wesentliche Verursachung durch eine der in §§ 2, 3 oder 6 SGB VII genannten Tätigkeiten voraus. Im Rahmen seiner selbstständigen Tätigkeit unterlag der Kläger weder der Versicherungspflicht kraft Gesetzes nach § 2 SGB VII noch kraft Satzung (§ 3 SGB VII); eine freiwillige Unternehmerversicherung nach § 6 SGB VII wurde von ihm nach unwidersprochen gebliebener Mitteilung der Beklagten nicht begründet. Ungeachtet dessen haben bezogen auf die Zeit ab April 1994 sowohl der Präventionsdienst der Beklagten als auch der erstinstanzlich gehörte Sachverständige Diplom-Ingenieur K. keinen Kontakt mit BK- relevanten Stoffen eruieren können.
Während seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker von August 1969 bis Februar 1973 war der Kläger gegenüber Mineralölprodukten (Kraftstoffen, Schmierfetten und Ölen) exponiert. Nach den Feststellungen des Präventionsdienstes vom 15. Januar 2018 bestand bei Reinigungsarbeiten (bis Januar 1972 pro Woche an 2 Tagen mit durchschnittlich 3,5 Stunden) von Kfz-Teilen beidhändiger Hautkontakt mit Kraftstoffen (Benzin und Super). Ein direkter Kontakt zu aromatischen Amin konnte von dem Präventionsdienst nicht ermittelt werden. Aufgrund der Erinnerung des Klägers an eine rötliche Färbung des Kraftstoffes wurde von diesem jedoch angenommen, dass Kontakt zu mit Azofarbstoffen eingefärbten Mineralölprodukten, konkret Ottokraftstoffen, bestanden hat. Laut wissenschaftlicher Stellungnahme von 2016 (GMBl. Nr. 39/2016 vom 21. September 2016, 770) sind Azofarbstoffe, aus denen humankanzerogene aromatische Amine abgespalten werden können, geeignet, Krebs der Harnwege im Sinne der BK Nr. 1301 zu verursachen. Bezogen auf Ottokraftstoffe führt Dr. R. vom Präventionsdienst dazu aus, dass diejenigen von Aral von 1958 bis 1983 sowie diejenigen von Shell bis 1978 den Azofarbstoff Solvent Red 19 enthielten, bei denen zwar in geringer Menge (Aral 0,1 ppm) aromatische Amine abgespalten worden seien, jedoch vornehmlich solche, die nicht als humankanzerogen im Sinne der BK Nr. 1301 gälten. Häufig seien Solvent-Red-Farbstoffe in sehr niedrigen Konzentrationen (0,1 – 1 ppm) zum Einsatz gekommen, die je nach chemischer Struktur 4-Aminoazobenzol, Anilin, p-Phenylendiamin, o-Anisidin, o-Aminoazotoluol, o-Toluidin oder auch m-Toluidin abspalten können, wovon nur o-Toluidin ein humankanzerogenes aromatisches Amin im Sinne der BK Nr. 1301, dies allerdings mit nur geringem krebserzeugenden Potential, sei. Einfärbungen seien auch bei anderen Herstellern erfolgt, konkrete Farbstoffe jedoch nicht bekannt. Eine Quantifizierung der Aminbelastung bei Umgang mit Azofarbstoffen sei aufgrund fehlender Daten derzeit nicht möglich.
Im Zeitraum vom August bis März ist der Kläger nach den Feststellungen des Präventionsdienstes mit Dieselkraftstoff und Schmierölen in Kontakt gekommen. Schmierfette könnten laut BK-Report 1/2019 Ziff. 13.5.1.6, Seite 134 mit Farbstoffen versetzt worden sein. Auch für diese Zeit steht allerdings nicht im Sinne des Vollbeweises fest, dass der Kläger mit aromatischen Aminen während seiner Arbeit in Kontakt gekommen ist. Insbesondere lässt sich eine Belastung durch das besonders gefährliche kanzerogene aromatische Amin 2NA aufgrund des Umgang des Klägers mit Schmierfetten (Staufferfette, auch solche mit roter Einfärbung) nicht belegen. Dabei ist nach den aktuellen arbeitstechnischen Erkenntnissen (BK-Report 1/2019), denen der Senat folgt, zu unterscheiden zwischen der Einfärbung der Schmierfette mit Azofarbstoffen und dem Zusatz antioxidativer Additive: Bei einer Untersuchung von 18 älteren Schmierfettproben waren nur drei Fette erkennbar rot eingefärbt, bei zwei roten Fetten wurde nach Azospaltung in geringen Mengen (zweistelliger ppm-Bereich) die krebserzeugenden Amine o-Toluidin und 2-Methoxyanilin nachgewiesen. Angaben zu den eingesetzten Farbstoffen oder deren Konzentrationen in Schmierfetten finden sich in der Fachliteratur nicht. Auf dieser Datengrundlage kann nicht sicher festgestellt werden, dass die Schmierfette, mit denen der Kläger bei seiner Arbeit in Kontakt gekommen ist, Beimengungen von Azofarbstoffen mit abspaltbaren kanzerogenen aromatischen Aminen enthalten haben. Auch hier verbleibt es letztlich bei der reinen Möglichkeit.
Der Sachverständige K. geht in seiner Expertise vom 5. Juli 2019 demgegenüber von einem Kontakt des Klägers zu aromatischen Aminen von August 1969 bis Februar 1973 aus. Eine nähere Differenzierung innerhalb der Ottokraftstoffe fehlt hier; Herr K. stellt dazu fest, dass von Anfang der 60er Jahre bis Ende der 70er Jahre die gesamte Oottokraftstoff liefernde Industrie ihre Benzine mit Azofarbstoffen („Corporate Identity!“) eingefärbt gehabt habe. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Die Feststellungen widersprechen dem Inhalt des BK-Reports 1/2019 „Aromatische Amine“ des Spitzenverbandes der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), 13.5.1., S. 131 ff. Unberücksichtigt lässt der Sachverständige zudem, dass ab Februar 1972 für die Teilereinigung, den Angaben des Klägers gegenüber dem Präventionsdienst zu Folge, eine Waschmaschine zur Verfügung stand, ein Kontakt zu aromatischen Aminen mithin nicht mehr bestand. Weiteren Kontakt zu aromatischen Aminen vermochte der Sachverständige nicht auszumachen.
Bezogen auf die Ausbildungszeit des Klägers zum Kfz-Mechaniker folgt der Senat den Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten. Danach steht im Ergebnis lediglich fest, dass der Kläger von August 1969 bis Januar 1972 mit azofarbstoffhaltigen Ottokraftstoffen in Berührung gekommen ist, nicht jedoch, ob darunter überhaupt (und in welcher Quantität) solche gewesen sind, die o-Toluidin abgespalten haben.
Soweit erstmals der Sachverständige Prof. Dr. S. in seinem Gutachten vom 6. Oktober 2020 von einem dermalen Kontakt zu Carbolineum 1977/78 beim Streichen von Zäunen (10-15 pro Jahr mit einer Länge von jeweils 10-15 m) ausgeht, als Folge eine Einwirkung der im Carbolineum enthaltenen humankanzerogenen aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4-Aminodiphenyl und o-Toluidin annimmt, ist auch diese Einwirkung für den Senat nicht im Vollbeweis gesichert. Der Sachverständige stützt seine Bewertung ausschließlich auf die subjektiven Angaben des Klägers im Anamnesegespräch. Zu berücksichtigen ist in diesem Kontext, dass das Streichen von Zäunen unter Einsatz von Carbolineum von dem Kläger im Rahmen seiner Befragung durch den Präventionsdienst nicht angegeben wurde. Zu seiner Tätigkeit bei der Firma E. Metallbau bzw. E. Wintergärten GmbH vom 4. Juli 1977 bis 31. August 1978 hatte der Kläger bei seiner Befragung durch den Präventionsdienst am 21. Dezember 2017 (persönlich) sowie am 10./12. Januar 2018 (telefonisch) dezidierte Angaben gemacht. Metallzäune seien nicht lackiert worden; im Bereich der Holzverarbeitung habe er das Holz mit (unbelastetem) Xyladecor per Hand mit einem Pinsel gestrichen. Eine Korrektur respektive Ergänzung seine Angaben diese Tätigkeit betreffend hat der Kläger weder nach Kenntnis der (diversen) Stellungnahmen des Präventionsdienstes noch des Gutachtens von Diplom-Ingenieur K. vorgenommen. Dies berücksichtigend hat der Senat Bedenken, alleinig auf Grundlage dieser erst drei Jahre nach Anzeige des Verdachts einer Berufskrankheit gemachten Angaben von einer Einwirkung aromatischer Amine im Rahmen dieser Tätigkeit auszugehen. Dies auch zumal der Kläger im Rahmen seiner Antragstellung im Oktober 2017 angegeben hatte, die Inhaltsstoffe, mit denen er im Rahmen seiner unterschiedlichen Tätigkeiten in Berührung gekommen ist, nicht mehr nachvollziehen zu können.
Weitere Erkenntnisquellen und/oder Erkenntnismöglichkeiten bestehen nicht. Hierauf weist der Präventionsdienst in seiner Stellungnahme vom 15. Januar 2018, insbesondere die Tätigkeit vom 4. Juli 1977 bis 31. August 1978 betreffend, hin. Selbst wenn im Rahmen der angeschuldigten Tätigkeiten durch Einsatz anderer Arbeitsmaterialien aromatische Amine freigesetzt worden sein sollten, ist dies nicht (mehr) beweisbar. Die Folgen dieser - im Ergebnis - Nichterweislichkeit hat der Kläger zu tragen. Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (BSG vom 27. Juni 1991 - 2 RU 31/90; MKS/ B. Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 103 Rn. 19a).
Beweiserleichterungen sind bezüglich der Fragen ob und in welcher Höhe Expositionen erfolgt sind, im Übrigen nicht geboten. Der Senat teilt die Auffassung des Parallelsenats des Hessischen Landessozialgerichts, wonach bei fraglicher Einwirkung von aromatischen Aminen in quantitativer Hinsicht im Rahmen der Feststellung der BK Nr. 1301 an den Vollbeweis keine zu hohen Anforderungen zu stellen seien, vielmehr eine lebensnahe Beweiswürdigung zu praktizieren sei und bei auftretenden Beweisschwierigkeiten auch Billigkeitserwägungen einfließen dürften (Hess. LSG vom 2. April 2019 - L 3 U 48/13), ausdrücklich nicht. Die Herangehensweise widerspricht den im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht anzulegenden Beweisgrundsätzen.
Aber selbst wenn man zu Gunsten des Klägers von einer gesicherten Exposition gegenüber aromatischen Aminen ausginge, wären die berufsbedingten Einwirkungen von aromatischen Aminen nicht kausal für die Krebserkrankung des Klägers. Der hierfür erforderliche Ursachenzusammenhang in dem Sinne, dass das Urothelkarzinom durch aromatischen Amine verursacht ist, ist zur Überzeugung des Senats nicht in dem hierfür erforderlichen Beweisgrad hinreichend wahrscheinlich.
Insoweit gilt im BK-Recht - wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung - die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Steht hiernach die versicherte Tätigkeit als eine der Ursachen der Erkrankung fest, muss sich auf der zweiten Stufe der Prüfung die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Die Wesentlichkeit der Ursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung rechtlich zu beurteilen (vgl. u. a. BSG vom 16. März 2021 - B 2 U 11/19 m.w.N. sowie zuletzt BSG vom 27. September 2023 - B 2 U 8/21 R).
Wenngleich der Ursachenzusammenhang bei der BK Nr. 1301 nicht an den arbeitstechnischen Voraussetzungen wegen Unterschreitens einer Mindestexpositionsdosis scheitert (s. o.), geht der Senat nicht davon aus, dass aufgrund eines stochastischen Verursachungsprinzips bereits jedwede Gefahrstoffbelastung - hier mit o-Toluidin - unabhängig von einem wie auch immer gearteten Grenzwert, und sei sie noch so klein, - eine hinreichende, für die Kausalität ausreichende Belastung im Sinne der BK Nr. 1301 darstellt.
Das BSG nimmt dies demgegenüber in seiner jüngsten Entscheidung vom 27. September 2023 (Az. B 2 U 8/21 R) offenbar jedenfalls für den Fall an, dass ein „versicherungsfremdes Schadensbild“ nicht feststellbar ist. Um einen Ursachenzusammenhang auszuschließen, müsse positiv festgestellt werden, dass die Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist. Für die positive Feststellung in diesem Sinne, dass eine Krankheit nicht auf die beruflich bedingte Einwirkung zurückzuführen ist, genüge die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht jedoch die bloße Möglichkeit. Sie erfordere eine Prüfung des Ursachenzusammenhangs im Sinne der arbeitsmedizinischen Voraussetzungen und habe zwei Aspekte der Anerkennungsvoraussetzungen: Zum einen das Vorliegen der tatbestandlich vorausgesetzten Krankheit, zum anderen ein Schadensbild, welches - losgelöst von einer Expositionsdosis - mit der rechtlich-wesentlichen Verursachung dieser Krankheit durch die beruflichen Einwirkungen zumindest in Einklang stehe. Für die Feststellung fehlender Ursächlichkeit sei daher entscheidend, dass wegen der Art oder der Lokalisation des Karzinoms, wegen des zeitlichen Ablaufs der Erkrankung (Expositionszeit, Latenzzeit und Interimszeit) oder aufgrund sonstiger Umstände im konkreten Einzelfall ein ursächlicher Zusammenhang trotz der beruflichen Einwirkung nicht wahrscheinlich sei (BSG a.a.O. m.w.N.).
Hinsichtlich dieser aktuellen Rechtsprechung, die für all jene Berufskrankheiten, die keine Einwirkungsdosis verlangen, letztlich vereinfachte, den bisherigen Kausalitätsgrundsätzen widersprechende, faktisch die reine Möglichkeit beruflicher Verursachung ausreichend lassende Anforderungen normiert, hat der Senat Bedenken.
Zwar führt das BSG aus, dass kein Automatismus dergestalt bestehe, dass die Bejahung des naturwissenschaftlichen Kausalitätszusammenhangs zwischen Einwirkung und Erkrankung auch die rechtliche Wesentlichkeit der Ursache zur Folge hätte. Letztlich dürfte es jedoch im Ergebnis genau hierauf im Sinne einer Beweislastumkehr hinauslaufen, da die Feststellung konkurrierender Ursachen im privaten Umfeld einschließlich einer etwaigen genetischen Disposition für die jeweilige Krebserkrankung wie auch schädliches Konsum- und/oder Freizeitverhalten in der Regel kaum mit dem hierfür erforderlichen Grad des Vollbeweises nachweisbar sein dürften. In der Konsequenz dieser Entscheidung würden der gesetzlichen Unfallversicherung - sofern sich keine außerberuflichen Einwirkungen belegen lassen, was der Regelfall sein dürfte - Leistungspflichten auch schon für Minimaleinwirkungen auferlegt.
Einer vertieften Auseinandersetzung mit der Entscheidung vom 27. September 2023 bedarf es gleichwohl nicht, da fallbezogen beachtliche und rechtlich wesentliche außerberufliche Einwirkungen (Latenzzeit, Interimszeit und Zigarettenkonsum) gegen eine berufliche Genese des Harnblasenkarzinoms sprechen. Entscheidend zu berücksichtigen ist der Zigarettenkonsum des Klägers mit etwa 5 Packungsjahren (PJ). Seinen eigenen Angaben zufolge hat er zwischen dem 18. und 22. Lebensjahr eine Packung Zigaretten pro Tag geraucht. Eine außerberufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen (O-Toluidin, 2-Aminonaphthalin und 4-Aminoniphenyl) durch den Tabakkonsum, mithin ein kausal konkurrierender Faktor, ist insofern nachgewiesen. Der Senat vermag Prof. Dr. S. nicht zu folgen, soweit dieser aufgrund des geringen Zigarettenkonsums kein relevantes außerberufliches Harnblasenkrebsrisiko sieht. Geht man auf der einen Seite mit dem BSG davon aus, dass es bei den arbeitstechnischen Voraussetzungen auf die Einwirkungsdosis nicht ankommt, weil aromatische Amine angesichts ihres Gefahrenpotenzials auch niederschwellig als gefährlich einzustufen sind, kann nichts Anderes auch für einen gleichermaßen geringen (privaten) Tabakkonsum gelten. Im Falle des Klägers ist - nach übereinstimmender Feststellung aller Sachverständigen - allenfalls eine geringe berufliche Exposition gegenüber aromatischen Aminen in Betracht zu ziehen. Dem steht eine mit 5 PJ gleichermaßen geringe Exposition gegenüber Tabak gegenüber. Das Risiko an Harnblasenkrebs zu erkranken erachtet der Senat für beide Einwirkungsarten gleich. Einen niedrigeren oder höheren Wahrscheinlichkeitsgrad für die eine oder andere Exposition festzumachen, scheidet mangels Quantifizierbarkeit der aromatischen Aminbelastung sowohl bezogen auf die beruflichen Stoffe wie auch die konkreten Tabakingredienzien aus. Weitere Ermittlungs- oder Erkenntnismöglichkeiten bestehen insoweit nicht. Bezogen auf die (unterstellte) berufliche Einwirkung und die nachgewiesene außerberufliche Einwirkung ergibt sich insoweit ein Patt, dass sich nach Beweislastgrundsätzen zulasten des Klägers auswirkt.
Kann eine Tatsache nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden (non liquet), so geht der Nachteil aus der tatsächlichen Unaufklärbarkeit hier anspruchsbegründender Tatsachen nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektive Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des Klägers (s. o.). Die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast) greifen erst ein, wenn der Tatrichter keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung gewinnen kann - „non liquet" - (BSG vom 17. Dezember 2015 - B 2 U 11/14 R).
Ungeachtet dessen sprechen auch die Latenzzeit und Interimszeit nach Maßgabe der gängigen Erfahrungswerte eher gegen eine berufliche Verursachung der Erkrankung. Berufliche Expositionen gegenüber humankanzerogenen aromatischen Aminen kommen bei dem Kläger von August 1969 bis 1972/73 in Betracht. Ausgehend von der Diagnose der Krebserkrankung im August 2016 ergibt sich damit eine Latenzzeit von 47 Jahren, die Interimszeit liegt ebenfalls bei mehr als 40 Jahren. Beide Werte sind erhöht. Unter Hinweis auf Butz („Beruflich verursachte Krebserkrankungen“, HVGB, Berlin 2012) weist Prof. Dr. S. auf eine Latenzzeit bei 38 Jahren und eine Interimszeit bei 17 Jahren im Mittel hin.
Nach allem liegen die Voraussetzungen für die Feststellung der begehrten Berufskrankheit nicht vor, so dass die Berufung gegen das den Klageanspruch abweisende Urteil teilweise zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Aufgrund der formellen Rechtswidrigkeit des streitigen Bescheides in der Fassung des Widerspruchsbescheides hat die Beklagte dem Kläger darüber hinaus gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG im tenorierten Umfang die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.