1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit wird um die Anerkennung einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung geführt.
Der Kläger, geboren 1955, erlernte den Beruf des Kfz-Mechanikers (01.08.1969 bis 31.10.1969, 01.11.1969 bis 28.02.1973). Anschließend verrichtete er in zwei Firmen Bautätigkeiten (01.03.1973 bis zum 31.07.1973, vom 02.08.1973 bis zum 31.03.1976). Vom 01.04.1976 bis zum 30.06.1977 war der Kläger bei der Bundeswehr. Vom 04.07.1977 bis zum 31.08.1978 führte der Kläger Metallarbeiten durch. Vom 04.09.1978 bis zum 15.08.1980 war der Kläger im Bereich Fertighäuser tätig und vom 01.09.1980 bis zum 31.12.1982 der Kläger wieder bei einer Baufirma als Baggerfahrer und Maschinist und nach einer kurzen Arbeitslosigkeit war er einen Monat bei einer Malerfirma (01/1983 bis 06/1983). Vom 04.07.1983 bis zum 11.05.1993 verrichtete er Metallarbeiten (Wintergärten). Nach einer Umschulung war er seit 01/1994 selbstständig als Monteur (Holz, Kunststoff, Metall), allerdings nicht bei der Beklagten freiwillig versichert.
Mit Schreiben des Klägers vom 23.10.2017 machte der Kläger das Vorliegen einer Berufskrankheit geltend. Die Beklagte ermittelte den tatsächlichen und den medizinischen Sachverhalt: Anforderung der Berichte von den den Kläger behandelnden Ärzten, das Vorerkrankungsverzeichnis, die Unterlagen des Rentenversicherungsträgers.
Der von der Beklagten befragte Präventionsdienst führte unter dem 19.12.2017 aus, dass der Kläger in dem Zeitraum vom 01.08.1969 bis zum 28.02.1973 während seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gegenüber Mineralölprodukten wie Kraftstoffen, Schmierfetten und Ölen sowie Kaltreiniger exponiert gewesen.
Bei Reinigungsarbeiten von Kfz-Teilen habe Hautkontakt beider Hände mit Ottokraftstoffen (Benzin und Super) und Kaltreiniger bestanden. Die Reinigungsarbeiten seien im Zeitraum vom 01.08.1969 bis zum 31.01.1972 pro Woche an zwei Tagen mit einer durchschnittlichen Dauer von 3,5 Stunden pro Tag durchgeführt worden. Während der Tätigkeiten in der Werkstatt seien die Hände mit einem mit Ottokraftstoff getränkten Lappen mehrfach gereinigt worden. Der getränkte (durchfeuchtete) Lappen sei während der Arbeitsschicht in der Hosentasche getragen worden.
Reinigungsarbeiten von gespachtelten und geschliffenen Kfz-Karosserieteilen seien vom Kläger mit Verdünnung durchgeführt worden.
Bei den Tätigkeiten als Kfz-Mechaniker habe kein direkter Kontakt zu aromatischen Aminen ermittelt werden können. Es sei jedoch anzunehmen, dass Kontakt zu Mineralölprodukten bestanden habe, die mit Azofarbstoffen eingefärbt waren. Azofarbstoffe seien geeignet, Krebs der Harnwege im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung zu verursachen. Dazu zähle auch o-Toluidin.
Bei den verwendeten Mineralölprodukten sei nicht bekannt, welche Farbstoffe zum Einfärben verwendet wurden, zumal mit den Fahrzeugen eine Vielzahl verschiedenster Produkte unterschiedlicher Hersteller in die Werkstätten gelangten.
Ottokraftstoffe von Aral enthielten von 1958 bis 1983 und von Shell bis 1978 den Azofarbstoff Solvent Red 19. Einfärbungen erfolgten auch bei anderen Herstellern, konkrete Farbstoffe seien nicht bekannt. Eine Quantifizierung der Aminbelastung bei Umgang mit Azofarbstoffen sei aufgrund fehlender Daten derzeit nicht möglich.
Bleifluids in verbleiten Ottokraftstoffen seien bis 1994 mit einem roten Azofarbstoff gekennzeichnet gewesen.
Beim Verspritzen von Altöl als Unterbodenschutz sei eine Berechnung der kumulativen BaP-Dosis für die dermale Exposition nicht möglich. Eine Berechnung der inhalativen Exposition sei ebenfalls nicht möglich.
Bezogen auf die Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung seien die BaP-Jahre bei den Verlegearbeiten (04.07.1977 bis zum 31.08.1978) sehr gering gewesen.
Der Kläger sei keiner ionisierenden Strahlung ausgesetzt gewesen.
Seit 1994 sei der Kläger selbstständig und damit versicherungsfrei.
Der Landesgewerbearzt stimmte unter dem 26.02.2018 der Ablehnung der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1312 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung zu, da die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Mit Bescheid vom 16.03.2018 lehnte die Beklagte das Vorliegen der Voraussetzungen der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ab.
In der Zeit vom 01.08.1969 bis zum 28.02.1973 sei der Kläger als Lehrling zum Kfz-Mechaniker einer geringfügigen Exposition gegenüber aromatischen Aminen (Bestandteil der Ottokraftstoffe) ausgesetzt gewesen. In der Zeit vom 04.07.1977 bis zum 31.08.1978 sei der Kläger einer geringfügigen Einwirkung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (Kontakt beim Verlegen von Teerbahnen an 10 Tagen im Jahr) ausgesetzt gewesen. Konkrete Angaben zur Höhe der Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen habe nicht ermittelt werden können. Eine damit verbundene mögliche Quantifizierung der Einwirkung von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen sei daher nicht möglich.
Eine berufliche Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen habe nicht festgestellt werden können.
Die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung lägen nicht vor.
Zwischen der Tumorerkrankung der Harnblase und der beruflichen Exposition gegenüber aromatischen Aminen bestehe kein ursächlicher Zusammenhang. Die lediglich geringe Einwirkung aromatischer Amine in der Ausbildungszeit zum Kfz-Mechaniker sei bei weitem zu gering, um als Ursache für eine Tumorerkrankung der Harnblase in Betracht zu kommen. Die Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung liege nicht vor.
Anhaltspunkte für eine andere Berufskrankheit haben sich nicht ergeben.
Mit Schreiben vom 16.04.2018 legte der Kläger Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2018 wies die Beklagte den klägerischen Widerspruch zurück. Die arbeitstechnischen und die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung müssten gegeben sein.
Im Rahmen der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung fehle es an der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs. Die Einwirkungen seien viel zu gering gewesen, um Harnblasenkrebs zu verursachen.
Die Anerkennung der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung scheitere an den arbeitstechnischen Voraussetzungen, da der Kläger keine gefährdungsrelevanten beruflichen Einwirkungen durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe ausgesetzt gewesen sei.
Der Kläger hat am 26.09.2018 Klage beim Sozialgericht Fulda erhoben.
Der Kläger ist der Ansicht, dass eine Berufskrankheit Nr. 1301 und 2402 sowie 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung beim ihm wegen seines Harnblasentumors durch die Beklagte anzuerkennen sei. Die Beklagte habe die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht ausreichend geprüft. Insbesondere sei die selbstständige Tätigkeit ab 04/1994 nicht berücksichtigt worden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2018 aufzuheben und bei ihm den Harnblasenkrebs als Berufskrankheit im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat sich auf den angegriffenen Bescheid bezogen. Das vom Kläger angegebene „aggressive Reinigungsmittel mit unbekannter Zusammensetzung“ sowie „Fensterdichtungsware und Silikon“ habe nicht quantifiziert und konkretisiert werden können.
Der Kläger habe für die Zeit seiner selbstständigen Tätigkeit ab dem 01.04.1994 in der Zeit vom 01.01.1995 bis zum 04.05.2012 keinen Versicherungsschutz. Selbst wenn es zu einer schädigenden Einwirkung in diesem Zeitraum im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321, 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung gekommen sein sollte, würde dies außer Betracht bleiben.
Die Kammer hat im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht Befundberichte den den Kläger behandelnden Ärzten angefordert und die medizinischen Unterlagen des Rentenversicherungsträgers sowie die Schwerbehindertenakte (Grad der Behinderung von 80) beigezogen und zum Gegenstand ihrer Entscheidung gemacht.
Die Kammer hat über das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung durch Einholung eines arbeitstechnischen Sachverständigengutachtens nach § 106 SGG Beweis erhoben. Dabei hat der Sachverständige Diplom-Ingenieur K. auf arbeitstechnischem Gebiet in seinem Gutachten vom 05.07.2019 festgestellt, dass der Kläger in der Zeit vom 01.08.1969 bis zum 31.10.1969 mit Ottokraftstoff Reinigungsarbeiten von Motor- und Getriebeteilen, die mit Ölen und Fetten verschmutzt waren, gereinigt. Diese Arbeiten seien zwei Mal pro Woche mit einer Dauer von drei bis vier Stunden pro Tag durchgeführt worden. Die Arbeiten seien mit ungeschützten Händen, oft unter Okklusionsbedinungen ausgeübt. Verschmutzte Hände seien mit Ottokraftstoff gesäubert worden. Der Kläger habe verbotswidrig Reinigungsarbeiten mit nassen Händen und unter Okklusionsbedingungen mit Ottokraftstoff durchgeführt. Bei der dreimonatigen Beschäftigungszeit sei er 384 Stunden im Betrieb tätig gewesen und sei dabei 72 bis 96 Stunden mit den geschilderten Reinigungsarbeiten beschäftigt gewesen.
Im Rahmen seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker vom 01.11.1969 bis zum 28.02.1973 habe der Kläger alle berufstypischen Tätigkeiten durchgeführt. Kritische Tätigkeiten für die Entstehung eines Harnblasenkrebses waren: das verbotswidrige Reinigen von Kfz-Teilen mittels Ottokraftstoff. In der gesamten Ausbildungszeit habe eine Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bestanden.
Vom 01.03.1973 bis zum 31.07.1973 und vom 02.08.1973 bis zum 31.03.1976 war der Kläger Maschinist. In dieser Zeit habe keine Exposition im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung bestanden.
Für die Bundeswehrzeit vom 01.04.1976 bis zum 30.06.1977 gibt es keine Information.
In der Zeit als Metallbauer (vom 04.07.1977 bis zum 31.08.1978) und als Fertighausmonteur (vom 04.09.1978 bis zum 15.08.1980) hat keine Exposition im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorgelegen.
In der Zeit vom 01.09.1980 bis zum 31.12.1982 ist der Kläger Bagger- und LKW-Fahrer gewesen. Auf der Straße sind teerhaltige Bindemittel verwendet worden. Eine Exposition im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 13.01. der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung hat nicht vorgelegen. Zwar sind polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe vorhanden gewesen, mit Sicherheit aber nicht in einer Dosis von 80 µg/m3 x Jahre.
In der Zeit vom 01.01.1983 bis zum 30.06.1983 (Trockenbauer), vom 04.07.1983 bis zum 11.05.1993 (Monteur) und ab dem 01.04.1994 als selbstständiger Monteur liegt keine Exposition im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vor.
Die Arbeitsangaben des Klägers ergeben keine Hinweise auf eine Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung.
Der Kläger habe Kontakt zu Aromatischen Aminen gehabt. Hierüber sei ein arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen.
Der Kläger habe auch Kontakt zu polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe gehabt, sowohl dermal als auch aerosol. Es sei von einer kumulativen Benzo(a)pyren Dosis von maximal 5 µg/m3 Jahre auszugehen. Die berufskrankheitenrelevante Dosis von 80 µg/m3 Jahren werde mit Sicherheit nicht erreicht.
Es werde vorgeschlagen, ein arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen.
Die Beklagte hat ihren Präventionsdienst erneut befragt, welcher eine kumulative Benzo(a)pyren Dosis von 2,3 µg/m3 Jahre errechnet hat für den Ausbau der Straßenteerbelege für den Zeitraum vom 01.09.1980 bis zum 31.12.1982.
Der Sachverständige Diplom-Ingenieur K. hat ergänzend befragt unter dem 08.02.2020 seine Einschätzung aus dem Gutachten bestätigt.
Die Beklagte hat weiter ausgeführt, dass hinsichtlich der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung während der Ausbildung des Klägers in dem Zeitraum vom 01.11.1969 bis zum 28.02.1973 der Kontakt zu aromatischen Aminen bei Tätigkeiten mit Ottokraftstoffen als gering einzuschätzen und eine quantitative Berechnung der Aminbelastung nach dermaler Exposition gegenüber Solvent-Red-Farbstoffen in Ottokraftstoffen nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht möglich sei.
Hinsichtlich der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ergebe sich eine kumulative Benzo(a)pyren Dosis von 2,3 µg/m3 Jahre für den Ausbau der Straßenteerbelege für den Zeitraum vom 01.09.1980 bis zum 31.12.1982 und beim Aufspritzen von Altöl als Unterbodenschutz im Zeitraum vom 01.11.1969 bis zum 28.02.1973 eine kumulative Benzo(a)pyren Dosis von 0,6 bis 3 µg/m3 Jahre. Die geforderte kumulative Dosis von mindestens 80 BaP-Jahren sei somit weit unterschritten. Beim Ölwechsel oder bei Motorreparaturen im Zeitraum vom 01.11.1969 bis zum 28.02.1973 sei allenfalls eine geringe bzw. gar nicht nachweisbare dermale Aufnahme von BaP aus dem Öl anzunehmen und eine Quantifizierung der BaP-Mengen mangels wissenschaftlicher Daten nicht möglich.
Eine Berechnung der kumulativen Exposition gegenüber aromatischen Aminen durch Hautkontakt zu Azofarbstoffhaltigen Ottokraftstoffen bzw. der BaP-Dosis durch dermale Einwirkungen von PAK-haltigen Ölen sei nach derzeitigem Kenntnisstand nicht möglich.
Die Kammer hat über das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens nach § 106 SGG Beweis erhoben. Dabei hat der Sachverständige Prof. Dr. S. auf arbeitsmedizinischem Gebiet in seinem Gutachten vom 06.10.2020 dargelegt, dass das Harnblasenkarzinom das erforderliche Krankheitsbild der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sei.
Der als Ursache der Krebserkrankung angeschuldigte Gefahrstoff müsse nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft bösartige Neubildungen beim Menschen verursachen können.
In der Zeit vom 01.04.1969 bis zum 31.03.1976 und vom 01.09.1980 bis zum 31.12.1982 habe der Kläger Reinigungs- und Wartungsarbeiten mit Ottokraftstoffen und Dieselkraftstoffen sowie mit Ölen durchgeführt. Diese seien zum Teil rot eingefärbt gewesen. Bei dem roten Farbstoff kann es sich um einen Azofarbstoff gehandelt haben, der reduktiv bzw. im Stoffwechsel das humankanzerogene aromatische Armin o-Toluidin abspalten könne.
In der Zeit vom 01.11.1969 bis zum 28.02.1973 habe der Kläger etwa drei bis vier Mal im Monat über jeweils 60 Minuten Hohlraumversiegelungen mit Altöl durchgeführt. Dieses kann polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten haben.
In der Zeit vom 01.03.1973 bis zum 31.07.1973 habe der Kläger über drei Wochen Umgang mit rot eingefärbten Schalöl gehabt. Ebenso habe er im Zeitraum vom 02.08.1973 bis zum 31.03.1976 Umgang mit Schalöl und eingestrichenen Hölzern gehabt. Bei dem roten Farbstoff kann es sich um einen Azofarbstoff gehandelt haben, der reduktiv bzw. im Stoffwechsel das humankanzerogene aromatische Armin o-Toluidin abspalten könne.
Während der Tätigkeit vom 04.07.1977 bis zum 31.07.1978 seien vom Kläger etwa zehn bis fünfzehn Jägerzäune über eine Länge von jeweils 15 bis 20 Metern mit Carbolineum gestrichen worden. Carbolineum als Steinkohleteerölprodukt enthalte die humankanzerogenen aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4-Aminobiphenyl und o-Toluidin sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
In dem Zeitraum vom 04.07.1977 bis zum 31.08.1978 und vom 04.07.1983 bis zum 11.05.1993 habe der Kläger etwa einmal je Woche Bodenabdeckungen mit Teerpappe durchgeführt. Etwa einmal alles vier Wochen seien auch Folien, die möglicherweise polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthielten, auf Wintergärten und Pergolen angebracht.
In dem Zeitraum vom 04.09.1978 bis zum 15.08.1980 habe der Kläger einmal je Woche Teerpappen auf Fundamente angebracht. Steinkohlenteeröl enthält die humankanzerogenen aromatischen Amine 2-Naphtylamin, 4-Aminobiphenyl und o-Toluidin sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
Festzuhalten sei, dass zwischen 08/1969 und 03/1976 vornehmlich dermaler Kontakt zu Ottokraftstoffen, Schmierölen aus dem Kfz-Bereich sowie Schalölen bestanden habe, die jeweils mit einem roten Farbstoff eingefärbt waren. Bei dem roten Farbstoff kann es sich um einen Azofarbstoff gehandelt haben, der reduktiv bzw. im Stoffwechsel das humankanzerogene aromatische Armin o-Toluidin abspalten könne.
Darüber hinaus habe in den Jahren 1977 und 1978 dermaler Kontakt zu Carbolineum beim Streichen von Zäunen jeweils zehn bis fünfzehn pro Jahr mit einer Länge von jeweils etwa zehn bis fünfzehn Metern bestanden. Carbolineum als Steinkohleteerölprodukt enthalte die humankanzerogenen aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4-Aminobiphenyl und o-Toluidin sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
Weiterhin habe Kontakt zu bitumenhaltigen Arbeitsstoffen (Asphalt, Dachpappe) bestanden. Nach den vorliegenden Informationen sei unwahrscheinlich, dass die entsprechenden Materialien Steinkohleteerprodukte enthielten. Somit seien diese Tätigkeiten nicht relevant im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung. Die mit den entsprechenden Tätigkeiten verbundene Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen wird sowohl durch den Sachverständigen K. als auch den Präventionsdienst gering eingeschätzt (< 10 BaP-Jahre).
Unter Zugrundelegung, dass die vom Kläger verwendeten bzw. verarbeiteten Ottokraftstoffe, Schmieröle aus dem Kfz-Bereich und die Schalöle jeweils einen roten Azofarbstoff auf Basis des humankanzerogenen aromatischen Amins o-Toluidin enthielten, haben beim Kläger entsprechende Expositionen zwischen 08/1969 und 03/1976 sowie in den Jahren 1977 und 1978 gegenüber Carbolineum bestanden. Hieraus ergebe sich ein Expositionszeitraum im Sinne einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung von etwa zehn Jahren.
Dosis-Risiko-Beziehungen bestünden nicht für kanzerogene aromatische Amine. Allerdings bestehe bei höherer Exposition auch ein höheres Risiko. Die Höhe der Exposition habe auch Einfluss auf die Latenz- und Interimszeit. Die Allgemeinbevölkerung sei aus ubiquitären teils noch unbekannten Quellen gegenüber diversen aromatischen Aminen exponiert. Daher müsse insbesondere bei niedrigen beruflich bedingten Expositionen von der ubiquitären umweltbedingten Hintergrundexposition differenziert werden. Bei Harnblasenkrebserkrankungen mit nahezu 30.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland handele es sich um eine Quasi-Volkserkrankung. Dies erschwere die Abgrenzung von einer beruflichen Verursachung von anderen Ursachen.
Zusammen mit dem ermittelten zeitlichen Umfang der vom Kläger durchgeführten Arbeiten ergibt sich nach dem Dosismodell ein angenommenes worst-case-Szenario. Es wird angenommen, dass sämtliche zwischen 1969 und 1978 verarbeitete Mineralölprodukte den Sudan-Rot Farbstoff enthielten und arbeitstäglich verarbeitet worden seien. Zu Gunsten des Klägers werde davon ausgegangen, dass die letztendlich penetrierte Menge an Azofarbstoff vollständig in das humankanzerogene o-Toluidin gespalten werden kann. Es gelte zu berücksichtigen, dass lipophile Azofarbstoffe wie Sudan Rot nicht unmittelbar und nicht komplett über die Haut aufgenommen werden.
Trotz worst-case-Annahmen könne ausgeschlossen werden, dass beim Kläger eine ausreichend hohe dermale Exposition gegenüber farbstoffhaltigen Mineralölen bzw. Mineralölprodukten in dieser Größenordnung vorgelegen habe. Hierzu wäre eine Menge von 120 kg pro Tag notwendig, was unrealistisch hoch sei. Es werde geschätzt, dass arbeitstäglich im Mittel etwa 1g farbmittelhaltige Mineralöle bei den Instandhaltungsarbeiten auf Hände und Unterarme habe gelangen können. Die vorangegangenen Abschätzungen zur dermalen Exposition machen deutlich, dass der Kläger auch bei ungünstigen Verhältnissen gegenüber o-Toluidin allenfalls im Bereich von weniger als 1 0/00 des Orientierungswertes für o-Toluidin, das mit einer Risikoverdopplung assoziiert sei, exponiert gewesen sein konnte.
Es wird angenommen, dass Carbolineum durch den Kläger an insgesamt etwa 30 Tagen mit dem Pinsel verarbeitet worden sei (10-15 Jägerzäune mit je 10-15 Meter Länge jeweils in den Jahren 1977 und 1978). Um innerhalb von 30 Arbeitstagen insgesamt 6 mg 2-Naphtylamin-Äquivalente aufzunehmen, hätten pro Arbeitstag im Mittel etwa 200 µg 2-Naphtylamin durch die Haut penetrieren müssen. Es hätten an den etwa 30 Arbeitstagen mit vollschichtiger Exposition gegenüber Carbolineum täglich jeweils etwa 1430 bis 2500 mg Carbolineum auf die Haut des Versicherten einwirken müssen, um letztendlich kumulativ 2-Naphtylamin-Äquivalente in Höhe von 6 mg dermal aufzunehmen. Eine Menge von mehr als 1000 mg täglich erscheine jedoch bei Streicharbeiten mit Carbolineum äußerst unwahrscheinlich. Selbstverständlich können Spritzer auftreten, die jedoch eher einer täglichen Kontamination der Haut mit Carbolineum im Bereich vom 25 bis 50 mg. Dies entspreche kumulativ weniger als 5% des Orientierungswertes.
Vor dem Hintergrund dieser orientierenden Abschätzung sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger über einen dermalen Kontakt zu Carbolineum im Bereich derjenigen Dosis exponiert gewesen sei, die mit einer Risikoverdopplung assoziiert worden sei.
Beim Kläger haben die Expositionen gegen humankanzerogenen aromatischen Aminen zwischen 0/1969 und 1978 vor, also einen Zeitraum von etwa 10 Jahren. Die Latenzzeit mit 47 Jahren liege noch im Erfahrungsbereich, während die Interimszeit mit etwa 37 Jahren erhöht sei.
Der Kläger ist in seinem 61ten Lebensjahr erkrankt. Eine deutliche Linksverschiebung, die auf besondere Erkrankungsumstände deuten könnte, liege nicht vor. Die Organlokalisation entspreche den medizinischen Erfahrungen.
Der Kläger habe vom 18ten bis zum 22ten Lebensjahr bis zu 1 Packung Zigaretten pro Tag geraucht. Aufgrund des geringen Zigarettenkonsums liege kein relevantes außerberufliches Harnblasenkrebsrisiko vor. Zudem habe sich dieses geringe Risiko nach Aufgabe des Tabaksrauchens schnell zurückgebildet. Das Risiko eines Nie-Rauchers sei allerdings nicht erreicht worden.
Bei dem Kläger ließen sich aufgrund der verschiedenen Tätigkeiten mehrfach Expositionen gegenüber aromatischen Aminen und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen sowohl inhalativer als auch dermaler Form nachweisen. Die beruflich bedingten Expositionen gegenüber aromatischen Aminen und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen seien sowohl im Einzelnen als auch in ihrer Summe so gering, dass sich hieraus kein deutlich erhöhtes Harnblasenrisiko im Sinne des Orientierungsmaßes nachweisen lassen. Eine Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in der für eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung geforderten Höhe von mindestens 80 BaP-Jahren lasse sich nicht belegen. Die dermale Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen sei eher gering einzuschätzen. Dem Zigarettenrauchen als außerberuflicher Risikofaktor komme aus medizinischer Sicht keine wesentliche Bedeutung zu. Dennoch müsse bei der Zusammenschau aller Befunde davon ausgegangen werden, dass die beruflichen Tätigkeiten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet gewesen seien, die Harnblasenkrebserkrankung verursacht zu haben.
Eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sei nicht nachweisbar.
Keine der klägerischen Erkrankungen sei durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden.
Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung liege aus medizinischer Sicht nicht vor. Hinweise auf eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ließen sich anamnestisch und aufgrund der Aktenlage nicht finden.
Die Kammer hat auf Antrag des Klägers erneut über das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG Beweis erhoben. Dabei hat der Sachverständige Prof. Dr. M. auf arbeitsmedizinischem Gebiet in seinem Gutachten vom 03.08.2021 dargelegt, dass der Kläger sowohl dermalen als auch inhalativen Kontakt zu aromatischen Aminen gehabt habe. Eine Einwirkungskausalität im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung liege vor. Eine Quantifizierung der aromatischen Amine habe nicht erfolgen können. Bei humankanzerogenen Gefahrstoffen gebe es keine als unbedenklich anzusehende Konzentration. Auch im Niedrigdosisbereich könne im Sinne der Dosis-Wirkungsbeziehung eine Verursachung gegeben sein, wobei jedoch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Tumorerkrankung mit der Dosis deutlich ansteigt. Beim Harnblasenkarzinom durch aromatische Amine handele es sich um eine Berufskrankheit, bei der in der Legaldefinition keine Grenzziehung gegeben worden sei. Ein Gefährdungskataster hinsichtlich der Menge der Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine am Arbeitsplatz sei in Ermangelung ausreichender arbeitsplatzbezogener Messwerte insbesondere hinsichtlich der dermalen Resorption nicht für aromatische Amine erstellt worden.
Für das Vorliegen einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sprächen:
1) Eine sicherheitstechnisch bestätigte Exposition gegenüber aromatischen Aminen in dermaler und inhalativer Form in jungen Jahren (14,5-17ten Lebensjahr). Eine zuverlässige und allgemein akzeptierte Dosiswirkungsbeziehung bei Einwirkung von aromatischen Aminen sei bislang nicht bekannt.
2) Fehlende konkurrierende Faktoren für ein Harnblasenkarzinom.
Gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sprächen:
1) Eine zeitlich begrenzte Exposition während der Lehrzeit in etwa 40% der Arbeitszeit.
2) Verwendung von Benzinen/Schmiermitteln mit nur einem geringen Gehalt an aromatischen Aminen.
Der Kläger habe auch Kontakt zu polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen gehabt. Allerdings seien keine 80 Benz(a)pyren-Jahre erreicht, Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung.
Ein Kontakt mit ionisierenden Strahlen im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung habe der Kläger nicht gehabt.
Die Beklagte hat eingewandt, dass es sich bei der Harnblasenkrebserkrankung um eine Volkskrankheit handelt und somit bei niedrigen beruflichen Expositionen von einer ubiquitären umweltbedingten Hintergrundexposition differenziert werden müsse. Eine deutliche Linksverschiebung, die auf besondere Erkrankungsumstände hindeuten könnten, lägen nicht vor.
Ergänzend befragt hat der Sachverständige Prof. Dr. S. unter dem 29.11.2021 ausgeführt, dass der Kläger insbesondere zu den Zeiten seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker dermalen Kontakt zu rot eingefärbten Ottokraftstoffen bei der Reinigung von Metallteilen gehabt habe. Da letztlich nicht zu klären gewesen sei, mit welchen Farbstoffen der verwendete Kraftstoff eingefärbt gewesen war, sei im Sinne eines worst-case-Szenarios zugunsten des Klägers angenommen worden, dass er ausschließlich Umgang mit Ottokraftstoffen gehabt habe, die mit einem Azofarbstoff auf Basis von o-Toluidin versetzt gewesen waren. Darüber hinaus sei zugunsten des Klägers angenommen worden, dass sämtlicher durch die Haut in den Körper des Klägers penetrierter Farbstoff das o-Toluidin abgespaltet habe und somit 100% des im Farbstoffmolekühl chemisch gebundene o-Toluidin auch bioverfügbar gewesen sei. Die so durchgeführte Abschätzung habe trotz der worst-case-Annahmen ergeben, dass der Kläger an allen Tagen mit Reinigungstätigkeiten jeweils sämtlichen Azofarbstoff aus 17,9 kg Kraftstoff bzw. 24,1 Liter hätte aufnehmen müssen. Das wäre eine Gesamtmenge von 22.200 kg bzw. 30.000 l, um gegenüber einer kumulativen Dosis exponiert gewesen zu sein, die mit einer Risikoverdopplung für die Entwicklung eines Harnblasenkarzinoms assoziiert sei.
Es sei daher auszuschließen, dass der Kläger in einem quantitativ relevanten Ausmaß gegenüber o-Toluidin exponiert gewesen sei. Selbst zum Erreichen der unteren Grenzen von 3000 mg o-Toluidin hätte trotz worst-case-Annahmen täglich noch sämtlicher Farbstoff aus 2,4 Litern eingefärbtem Ottokraftstoff aufgenommen werden müssen.
Darüber hinaus haben noch Expositionen gegenüber aromatischen Aminen durch die Verarbeitung des Holzschutzmittels Carbolineum in dermaler Form und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen durch den Kontakt zu gebrauchten Motorölen und Carbolineum sowohl in inhalativer als auch in dermaler Form gehabt. Diese beruflich bedingten Expositionen seien jedoch als so gering einzuschätzen, dass sich hieraus kein erhöhtes Harnblasenrisiko ableiten lasse.
Es liege daher weder eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung noch eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vor.
Der Einwand von Prof. Dr. M. gegen die Ablehnung der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sei, dass die Wirkstärke bzw. die mit einer Risikoverdopplung assoziierte Dosis von o-Toluidin unzutreffend sei. Die für o-Toluidin abgeleitete kumulative Dosis von 30.000 mg sei vereinbar mit den beobachteten Blasenkrebsinzidenzraten.
Der von Prof. M. als wesentliche Einwirkung diskutierte Azofarbstoff Solvent Red 19 könne kein o-Toluidin freisetzen, sondern das aromatische Amin Anilin. Anilin sei weder humankanzerogen noch kanzerogen im Tierversuch eingestuft. Es sei auch nicht bekannt dafür, beim Menschen Harnblasenkrebserkrankungen auslösen zu können.
Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sei nicht zu begründen.
Die Kammer hat auf Antrag des Klägers über das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung durch Einholung eines urologischen Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG Beweis erhoben. Dabei hat der Sachverständige Dr. P. auf urologischem Gebiet in seinem Gutachten vom 09.11.2022 dargelegt, dass anamnestisch wiederholt eine Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bestanden habe. Eine genaue zeitliche Exposition und die Absorptionsmengen seien anamnestisch nicht zu erheben. Die Arbeiten seien in der Mehrzahl der Fälle ohne Schutzkleidung durchgeführt worden.
Urothelkarzinome können nach relevanter Exposition mit unter anderem polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen oder aromatischen Aminen entstehen. Sie treten in deutlichem zeitlichem Abstand zur Exposition auf. Um eine Kausalität bzw. relevante Exposition bezüglich entsprechender Noxen und dem Auftreten der Karzinomerkrankung beim Kläger zu bewerten, seien bereits das arbeitstechnische und die arbeitsmedizinischen Gutachten eingeholt worden. Aus medizinisch-urologischer Sicht sei unter Berücksichtigung dieser Gutachten abzulehnen, dass die Tumorerkrankung der Harnblase durch die berufliche Exposition verursacht ist.
Als konkurrierender Faktor sei der Zigarettenkonsum (15-21 bzw. 18-22 Lebensjahr). Insofern bestehe auch eine Exposition bezüglich aromatischer Amine (o-Toluidin, 2-Aminonaphthalin und 4-Aminobiphenyl) durch den Tabakkonsum mit einem Päckchen Zigaretten pro Tag.
Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung liege nicht vor. Es finde sich kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Urothelkarzinom und den beruflichen Tätigkeiten des Klägers.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten (Blatt 1 bis 115). Diese Vorgänge sind auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Die Beteiligten sind zur Erteilung des beabsichtigten Gerichtsbescheides angehört worden.
Entscheidungsgründe
Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist, § 105 SGG.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 16.03.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung seines Harnblasenkarzinoms als Berufskrankheit im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung. Es liegen die arbeitstechnischen bzw. die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen nicht vor.
Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer der dem Versicherungsschutz begründenden Tatsachen erleiden, § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Als Berufskrankheit kommen grundsätzlich nur solche Erkrankungen in Betracht, die von der Bundesregierung als Berufkrankheit bezeichnet und in die Berufskrankheiten-Verordnung aufgenommen worden sind (Listenprinzip). Die in dieser Liste aufgeführten Stoffe bzw. Einwirkungen und jede dadurch verursachte Krankheit ist zu entschädigen.
Die versicherte Tätigkeit, die äußere Einwirkung, die Krankheit und der Folgeschaden müssen im Vollbeweis gesichert vorliegen. Dieser ist dann zu bejahen, wenn eine an Gewissheit grenzende, vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Krankheit meint einen regelwidrigen Körper- und Geisteszustand, so dass nicht die Inkorporation des Schadstoffes an sich, sondern nur die darauf erfolgende körperliche bzw. biologische Reaktion diese Voraussetzung erfüllt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Seite 106, Nr. 1.7.3.1).
Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass einerseits die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in Form einer entsprechenden Exposition gegeben sind und andererseits das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität). Danach müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden.
Voraussetzung der Entschädigungspflicht ist weiter der ursächliche Zusammenhang, für den grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit ausreicht: Es muss ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der äußeren Einwirkung bei der Tätigkeit vorliegen. Darüber hinaus muss ein Zusammenhang zwischen der äußeren Einwirkung und der Krankheit sowie dem Folgeschaden bestehen. Hierfür genügt im Sinne einer Beweiserleichterung das Vorliegen der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den wesentlichen Ursachenzusammenhang sprechenden Tatsachen so stark überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann und ernstliche Zweifel ausscheiden; die bloße Möglichkeit einer wesentlichen Verursachung genügt nicht. Dabei müssen auch körpereigene Ursachen erwiesen sein, um bei der Abwägung mit den anderen Ursachen berücksichtigt werden zu können. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Kammer zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger nicht an einer Berufskrankheit nach Nr. 1301, 1321 bzw. 2402 der Berufskrankheiten-Verordnung leidet, da es an den arbeitstechnischen bzw. die arbeitsmedizinischen Voraussetzungen fehlen.
Bei der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung werden Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine umfasst. Durch berufliche Beschäftigung können die genannten Stoffe vorwiegend durch Hautresorption, aber auch in Dampf oder Staub über die Atemwege aufgenommen werden. In den Harnwegen, insbesondere in der Harnblase, seltener in Harnleiter und Nierenbecken, wo sie – teilweise nach chemischem Umbau – längere Zeit verweilen, kann es zu den genannten Erkrankungen kommen. Aus dem entsprechenden Merkblatt ergibt sich weiter:
III. Krankheitsbild und Diagnose
Entzündliche Veränderungen der Harnwege mit Harndrang, krampfartigen Beschwerden in der Gegend der Harnblase, häufigem Wasserlassen und occulter oder sichtbarer Hämaturie treten auf. Lokalisiert oder multipel können sich Papillome bilden. Häufige und hartnäckige Rezidive sowie die Entstehung einer Pyelonephritis sind möglich. 1 Immer wiederkehrende Blutungen und zunehmende Blasenstörungen weisen auf eine Neubildung in der Blasenschleimhaut hin, die sowohl gutartig, papillomatös als auch bösartig, knotig oder infiltrierend sein kann. Die Umwandlung gutartiger Geschwülste in bösartige kommt vor. Krebs der Harnwege kann sich auch ohne stärkere vorausgehende Symptome entwickeln. Die Veränderungen finden sich bevorzugt im Blasengrund und in der Umgebung der Einmündung der Harnleiter in die Harnblase, seltener in der Blasenkuppe. Auch im Harnleiter und Nierenbecken können sie auftreten, hier insbesondere in Verbindung mit lang anhaltenden Stauungen im Harnabfluß. Zur Sicherung der Diagnose sind bei verdächtig klinischen Anzeichen Harnsedimentuntersuchungen, Blasenspiegelungen und ggf. Entnahme von Geschwulstpartikeln für die histologische Untersuchung erforderlich.
IV. Hinweise für die ärztliche Beurteilung
Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen, bedingt durch aromatische Amine, sind weder klinisch, histologisch noch nach ihrem Verlauf von solchen Erkrankungen anderer Ursachen abzugrenzen; daher ist für die ärztliche Beurteilung eine eingehende Arbeitsanamnese von besonderer Wichtigkeit. Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege können im allgemeinen nach mehrjähriger, gelegentlich auch mehrmonatiger Exposition mit aromatischen Aminen entstehen; noch Jahrzehnte nach Aufgabe des gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatzes können sie in Erscheinung treten.
Bei der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung handelt es sich um Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 80 Benzo(a)pyren-Jahren. Aus der wissenschaftlichen Begründung für die Berufskrankheit ergibt sich Folgendes:
2. Kenntnisse über die Wirkung
2.1 Aufnahme Metabolisierung und Ausscheidung
PAK werden inhalativ und über die Haut aufgenommen. Als Maß für die innere Einwirkung kann im Rahmen des Biomonitorings die Konzentration von 1-Hydroxypyren im Harn bestimmt werden (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2008 und 2015). PAK werden durch Cytochrom-P-450 Monooxygenasen oxidiert und durch mikrosomale Epoxidhydrolasen hydrolysiert. Die entstehenden Diole können nach Glucuronidierung mit dem Stuhlgang oder dem Urin ausgeschieden werden. Eine andere Metabolisierungsmöglichkeit ist die weitere Oxydierung durch Cytochrom-P-450 Monooxygenasen zu Diolepoxiden. Bestimmte Diolepoxyde, z.B. 9,10-Epoxy-7,8-dihydroxy-7,8-dihydro-benzo(a)pyren, können eine kovalente Bindung mit der DNA eingehen und gelten als ultimales Kanzerogen der PAK. Andererseits können die Diolepoxide durch verschiedene Enzyme aus der Familie der Glutathion-STransferasen, insbesondere die Glutathion-S-Transferasen M1 (GSTM1), P1 (GSTP1) und T1 (GSTT1), mit Glutathion konjugiert und ausgeschieden werden. Die Giftung und Entgiftung von - 2 - PAK ist somit von der interindividuell unterschiedlichen Enzymausstattung der exponierten Individuen abhängig. Eine wesentliche Bedeutung spielen hier insbesondere die verschiedenen Enzyme aus der Familie der Glutathion-S-Transferasen und Cytochrom-P-450 1A1 (IARC 2010). PAK werden hauptsächlich als GSH-, Glucuronsäure- und Schwefelsäure-Konjugate im Stuhlgang, in der Gallenflüssigkeit sowie über den Harn ausgeschieden (IARC 2010). Bei Kokerei- und Straßenbauarbeitern konnte jedoch auch unkonjugiertes BaP und andere PAK im Urin nachgewiesen werden (Haugen et al. 1986, Campo et al. 2006, 2009 2010, 2011 und 2014, Rossella et al. 2009, Sobus et al. 2009 und Fustinoni et al. 2010).
Es folgt eine Tabelle, die aus technischen Gründen nicht dargestellt werden kann (vorhanden unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de).
In Tabelle 2 ist die PAK-Konzentration im Harn bei polnischen Kokereiarbeitern und Kontrollen dargestellt. Kokereiarbeiter wiesen eine signifikant höhere Konzentration der PAK Phenanthren, Fluoranthen, Chrysen, Benz(a)anthracen und Anthracen auf. Dagegen war die BaP(a)Konzentration bei Kokereiarbeitern im Vergleich zu Kontrollen ebenfalls erhöht, der Unterschied war jedoch nicht signifikant. Bei der Interpretation der Daten ist zu berücksichtigen, dass die von Campo et al. (2014) untersuchten Kokereiarbeiter alle Nichtraucher waren. Dies wurde anhand der Cotinin-Konzentration im Harn kontrolliert. Dagegen waren 3 der 49 Kontrollprobanden Raucher. Daher ist davon auszugehen, dass die in die Tabelle 1 dargestellten Unterschiede der PAK-Konzentration im Harn zwischen Kokereiarbeitern und Kontrollprobanden noch deutlicher ausgefallen wären, wenn die 3 rauchenden Kontrollprobanden ausgeschlossen worden wären.
Es folgt eine Tabelle, die aus technischen Gründen nicht dargestellt werden kann (vorhanden unter www.lareda.hessenrecht.hessen.de).
[…]
4. Konkurrierende Faktoren
Als konkurrierender Faktor für die Entwicklung von bösartigen Tumoren der Harnwege ist insbesondere Aktivrauchen von Tabakprodukten anzusehen (IARC 2012).
5. Besondere Personengruppe
Als besondere Personengruppe im Sinne des § 9 Absatz 1 SGB VII gelten Beschäftigte, die einer beruflichen Einwirkung mit einer kumulativen Dosis in Höhe von mindestens 80 [(µg BaP/m3) x Jahre ] ausgesetzt waren. Bei dieser Dosis war nach den Studien von Spinelli et al. (2006) sowie Gibbs et al. (2014) das relative Risiko für die Entwicklung eines Harnblasenkarzinoms um mehr als das Zweifache erhöht. Dagegen wurde die Dosis-WirkungsBeziehung in der Studie von Romundstad et al. (2000) nicht für die Benennung der besonderen Personengruppe verwertet, weil in dieser Studie nur die Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen der Gesamtdosis partikulärer PAK und dem Harnblasenkrebsrisiko angegeben und die kumulative BaP-Dosis nicht berechnet wurde.
Die Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung umfasst Erkrankungen durch ionisierende Strahlen. Das entsprechende Merkblatt führt hierzu Folgendes aus:
I. Vorkommen und Gefahrenquellen
Röntgenstrahlen sind in der Antikathode durch Abbremsung der Elektronen erzeugte energiereiche, elektromagnetische Wellen. Von Gegenständen, die durch Röntgenstrahlen getroffen werden, gehen Streustrahlen aus. Röntgenstrahlen können eine Gefahrenquelle darstellen für Personen, die der direkten oder indirekten Einwirkung, z. B. im Bereich der Medizin, bei der Materialprüfung, in der Röntgenapparate- oder -röhrenindustrie, ausgesetzt sind. Radioaktive Stoffe sind Elemente, d. h. Radionuklide, die von selbst zerfallen und dabei spontan Strahlen aussenden, meist Alpha-, Beta- oder Gammastrahlen. Man unterscheidet natürliche und künstliche radioaktive Stoffe. Letztere werden vorwiegend in Reaktoren als Spaltprodukte oder durch Neutronenbeschuß gewonnen. Radioaktive Stoffe kommen in fester oder flüssiger Form oder als Gase vor; sie werden als offene oder umschlossene Präparate verwendet. Radioaktive Stoffe können in entsprechenden Dosen eine Gefahrenquelle für Personen sein, die bei Gewinnung, Verarbeitung, Verwendung oder beim Transport mit diesen Stoffen oder den von ihnen ausgesandten Strahlen in Berührung kommen, z. B. bei der medizinischen Diagnostik oder Therapie, bei wissenschaftlichen Untersuchungen, bei der Werkstoffprüfung, bei bestimmten Meßverfahren, bei der industriellen Verarbeitung und Anwendung von Radionukliden sowie bei Tätigkeiten im Uranbergbau und in kerntechnischen Anlagen. Unter anderen ionisierenden Strahlen sind solche atomaren Teilchen zu verstehen wie Elektronen, Protonen, Deuteronen und andere beschleunigte Ionen sowie Neutronen, die direkt oder indirekt ionisieren. Diese können in Atomreaktor- und Teilchenbeschleunigerbetrieben vorkommen.
II. Pathophysiologie
Alle energiereichen ionisierenden Strahlen lösen beim Auftreffen auf Materie physikalisch-chemische Reaktionen aus, die im lebenden Gewebe zu Störungen der Zelltätigkeit, zum Zelluntergang und damit zu funktionellen und morphologischen Veränderungen führen können. Durch die Körperoberfläche, d. h. von außen einwirkende ionisierende Strahlen (externe Exposition) haben im Organismus bei identischer Dosis prinzipiell die gleiche Wirkung wie die Strahlen, die von inkorporierten (über Atem- und Verdauungswege oder Haut und Schleimhaut) radioaktiven Stoffen ausgehen (interne Exposition). Das Ausmaß der biologischen Wirkung ist abhängig von physikalischen Komponenten, wie
1. absorbierter Strahlenmenge (Dosis),
2. Strahlenart,
3. zeitlicher Verteilung der Dosis (Dosisleistung, ein- oder mehrmalige Bestrahlung in kürzeren oder längeren Zeitabständen),
4. räumlicher Verteilung der Dosis (Ganzkörperbestrahlung, lokale Bestrahlung) und von biologischen Faktoren, wie
5. Alter, Geschlecht, Gesundheits- und Ernährungszustand, Temperatur des exponierten Individuums,
6. Strahlenempfindlichkeit des betroffenen Gewebes.
Bei Inkorporierung spielen die physikalische Halbwertzeit und das Stoffwechselverhalten des radioaktiven Stoffes eine entscheidende Rolle.
III. Krankheitsbild und Diagnose
Man unterscheidet nicht-stochastische und stochastische Strahlenwirkungen. Bei den nicht-stochastischen Wirkungen muß eine Schwellendosis überschritten werden, damit der Effekt eintritt; bei den stochastischen Strahlenwirkungen wird keine Schwellendosis angenommen.
A. Akuter Strahlenschaden nach Ganzkörperbestrahlung
Er beruht meistens auf einem Unfall. Im Vordergrund stehen bei Dosen über 1 Sv zunehmend Schäden der Zellerneuerungssysteme für Blut und des Darmepithels. Das Bild der akuten Strahlenkrankheit aggraviert mit steigender Dosis und ist gekennzeichnet durch das sogenannte akute Strahlensyndrom. Hierzu gehören u. a. in der Frühphase Kopfschmerzen, Übelkeit, Brechreiz, Abgeschlagenheit, Appetitmangel und später insbesondere Infektanfälligkeit sowie Blutgerinnungsstörungen mit Blutungen in Haut und Schleimhäuten; auch blutige Durchfälle und Erbrechen können auftreten. Bei entsprechend hoher Dosis (2 Sv und höher) fällt bereits in den ersten Stunden bis Tagen nach dem Strahleninsult die Lymphozytenzahl im zirkulierenden Blut ab; die übrigen Blutelemente (Granulozyten, Thrombozyten, Erythrozyten) folgen dosisabhängig und entsprechend ihrer biologischen Lebenszeit in späteren Tagen, da die Zellerneuerung im Knochenmark geschädigt ist.
B. Akuter lokaler Strahlenschaden nach Teilkörperbestrahlung
Bei Bestrahlung größerer Körperabschnitte können die Symptome des lokalen Schadens mit den unter A genannten Allgemeinerscheinungen verbunden sein.
1) Ein akuter Schaden der Haut infolge beruflicher Tätigkeit ist vorwiegend an den Händen lokalisiert und beginnt mit einem meist juckenden Erythem, das je nach Dosis in Wochen, Tagen oder Stunden mit wechselnder Intensität in Erscheinung tritt. Sehr hohe Dosen verursachen Desquamation und Nekrose (Ulcus).
2) Ein akuter Schaden der Schleimhaut kann etwas früher als der akute Schaden der Haut auftreten und besteht wie dieser in Erythem, Desquamation mit Blutungen und ggf. Nekrose.
3) Ein akuter Schaden des Auges äußert sich überwiegend in einer entzündlichen Veränderung der Bindehaut.
4) Ein akuter Schaden der Keimdrüsen äußert sich in temporärer oder dauernder Sterilität mit Amenorrhoe bzw. Oligo-Azoospermie.
Die unter Ziff. 1 bis 4 genannten Schäden sind nur bei Einwirkung höherer Dosen (1 Sv und höher) zu erwarten.
C. Chronischer allgemeiner Strahlenschaden nach Ganzkörperbestrahlung
Er kann sich durch einmalige Einwirkung einer hohen Strahlendosis als Folge einer akuten Strahlenschädigung wie auch durch wiederholte Einwirkung kleinerer Dosen entwickeln. Die unter A geschilderten Symptome könnten bei geringeren Strahlendosen bzw. geringer Dosisleistung fehlen oder in abgeschwächter Form auftreten, und dennoch werden später Strahleneffekte hervorgerufen (s. Abschnitt E).
D. Chronischer lokaler Strahlenschaden nach Teilkörperbestrahlung
Akute oder chronische Teilkörperbestrahlungen verursachen Spätschäden (s. Abschnitt E). Besondere Beachtung verdient:
1) Bei externer Bestrahlung kommt es immer zu einer Exposition der Haut. Ein chronischer Schaden der Haut äußert sich nach hohen Strahlendosen (mehrere Sv und höher) in Atrophie mit pergamentartiger Beschaffenheit der Haut sowie in Pigmentverschiebung, ungleichmäßiger Pigmentierung, Trockenheit infolge Störung der Talg- und Schweißdrüsenabsonderung, Dauerepilation, trockener Abschilferung, Verhornung, Rhagadenbildung und Teleangiektasie. Außerdem können Wachstumstörungen mit Längsriffelung und Brüchigkeit der Nägel auftreten. Ekzeme und schmerzhafte Ulzerationen sowie Warzenbildung und Hautkarzinome sind möglich.
2) Chronischer Schaden der Atemwege und der Lunge: U. a. kommt es bei der Förderung von Pechblende-Erz, welches Radium, dessen Zerfallsprodukte und andere radioaktive Stoffe enthält, durch Inhalation zur lokalen Exposition der Atemwege. Nach mehrjähriger Einwirkungszeit können chronische Schäden (z. B. Lungenfibrosen) und Lungenkrebs (sog. "Schneeberger Lungenkrebs") auftreten. Die Zerfallsprodukte des Radiums (Radon u. a.), welche vorwiegend über die Atemwege aufgenommen werden, spielen dabei eine wichtige Rolle.
3) Chronische Schäden an anderen Organen können durch Strahleneinwirkung inkorporierter radioaktiver Stoffe auftreten. Sie finden sich am häufigsten bei den sogenannten kritischen Organen, d. h. denjenigen Organen, in denen radioaktive Stoffe sich bevorzugt ablagern (z. B. Schilddrüsen für Jod, Knochen für Strontium, Radium, Polonium u. a.).
E. Strahlenspätschäden
Strahlenspätschäden können sowohl nach einmaliger Einwirkung einer hohen Dosis als auch nach langzeitiger oder wiederholter Einwirkung kleiner Dosen auftreten. Der Strahlenexposition folgt eine längere symptomfreie Latenzzeit, eine akute Strahlenkrankheit muß dabei nicht vorausgegangen sein. Neben o. g. Spätschäden der Haut und Atemwege und neben Katarakten, die nach Bestrahlung der Augen mit höheren Dosen (>2 Sv; vorwiegend bei Neutronen und schweren Teilchen, aber auch bei locker ionisierender Strahlung) vom hinteren Linsenpol ausgehend beobachtet werden, sind vor allem Leukämien und andere maligne Tumoren als strahlenbedingte Spätschäden bedeutsam (s. Anhang 2). Die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Erkrankungen ist dosisabhängig.
IV. Weitere Hinweise
Um zu beurteilen, ob eine Erkrankung auf eine Strahlenexposition zurückzuführen ist, sind eine eingehende Arbeitsanamnese unter Berücksichtigung technischer Einzelheiten am Arbeitsplatz, der Ergebnisse der Personen- und Ortsdosismessungen, anderer unter II genannter physikalischer und biologischer Faktoren sowie die für den Arbeitsplatz getroffenen Strahlenschutzmaßnahmen von entscheidender Bedeutung. Besonders ist zu prüfen, ob es sich beim Umgang mit radioaktiven Stoffen um offene oder umschlossene Präparate gehandelt hat. Bei Arbeiten mit offenen Präparaten ist die Möglichkeit einer Kontamination oder Inkorporation gegeben. Ggf. ist der Nachweis inkorporierter radioaktiver Stoffe im Körper und in den Körperausscheidungen in speziell hierfür eingerichteten Instituten zu führen. Die Beurteilung der Strahleneinwirkung ist in der Regel schwierig und sollte daher ggf. in Zusammenarbeit mit einem Strahlenbiologen/-physiker erfolgen.
Die Frage, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem Arbeitsunfall bzw. einer beruflichen Einwirkung und einem Gesundheitsschaden besteht, ist in erster Linie nach medizinischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Im Rahmen ihrer richterlichen Überzeugungsbildung hat die Kammer alles Erforderliche im Sinne der §§ 103, 128 SGG zu tun, um diese Frage zu klären, wobei es sich des Urteils fachkundiger Sachverständiger zu bedienen hat, um mit deren Hilfe festzustellen, ob nach den einschlägigen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen die angeschuldigten Einwirkungen die wahrscheinliche Ursache des bestehenden Gesundheitsschadens ist. Maßgebend ist hierfür grundsätzlich die herrschende medizinische Lehrmeinung, soweit sie sich auf gesicherte Erkenntnisse stützen kann. Andererseits ist es nicht Aufgabe der Kammer, sich mit voneinander abweichenden medizinischen Lehrmeinungen im Einzelnen auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden, welche von ihnen richtig ist.
Der Sachverständige Diplom-Ingenieur K. hat auf arbeitstechnischem Gebiet in seinem Gutachten vom 05.07.2019 nach § 106 SGG festgestellt, dass der Kläger in der Zeit vom 01.08.1969 bis zum 31.10.1969 mit Ottokraftstoff Reinigungsarbeiten von Motor- und Getriebeteilen, die mit Ölen und Fetten verschmutzt waren, gereinigt. Diese Arbeiten sind nach den Ausführungen des Sachverständigen zwei Mal pro Woche mit einer Dauer von drei bis vier Stunden pro Tag durchgeführt worden. Die Arbeiten sind mit ungeschützten Händen, oft unter Okklusionsbedinungen ausgeübt worden. Verschmutzte Hände sind mit Ottokraftstoff gesäubert worden. Der Kläger hat verbotswidrig Reinigungsarbeiten mit nassen Händen und unter Okklusionsbedingungen mit Ottokraftstoff durchgeführt. Bei der dreimonatigen Beschäftigungszeit ist er 384 Stunden im Betrieb tätig gewesen und ist dabei 72 bis 96 Stunden mit den geschilderten Reinigungsarbeiten beschäftigt gewesen.
Im Rahmen seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker vom 01.11.1969 bis zum 28.02.1973 hat der Kläger nach den Ausführungen des Sachverständigen alle berufstypischen Tätigkeiten durchgeführt. Kritische Tätigkeiten für die Entstehung eines Harnblasenkrebses waren: das verbotswidrige Reinigen von Kfz-Teilen mittels Ottokraftstoff. In der gesamten Ausbildungszeit hat eine Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bestanden.
Vom 01.03.1973 bis zum 31.07.1973 und vom 02.08.1973 bis zum 31.03.1976 ist der Kläger Maschinist gewesen. In dieser Zeit hat keine Exposition im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung bestanden.
Für die Bundeswehrzeit vom 01.04.1976 bis zum 30.06.1977 gibt es keine Information.
In der Zeit als Metallbauer (vom 04.07.1977 bis zum 31.08.1978) und als Fertighausmonteur (vom 04.09.1978 bis zum 15.08.1980) hat keine Exposition im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorgelegen, wie der Sachverständige weiter ausführt.
In der Zeit vom 01.09.1980 bis zum 31.12.1982 ist der Kläger Bagger- und LKW-Fahrer gewesen. Auf der Straße sind teerhaltige Bindemittel verwendet worden. Eine Exposition im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 13.01. der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung hat nicht vorgelegen, wie der Sachverständige schlüssig und überzeugend darlegt. Zwar sind polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe vorhanden gewesen, mit Sicherheit aber nicht in einer Dosis von 80 µg/m3 x Jahre.
In der Zeit vom 01.01.1983 bis zum 30.06.1983 (Trockenbauer), vom 04.07.1983 bis zum 11.05.1993 (Monteur) und ab dem 01.04.1994 als selbstständiger Monteur liegt keine Exposition im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vor, wie der Sachverständige überzeugend begründet.
Die Arbeitsangaben des Klägers ergeben keine Hinweise auf eine Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung, wie der Sachverständige überzeugend anhand der Aktenlage und der anamnestischen Angaben des Klägers darlegt.
Der Kläger hat Kontakt zu Aromatischen Aminen gehabt. Hierüber ist nach der Empfehlung des Sachverständigen ein arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen.
Der Kläger hat nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen auch Kontakt zu polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe gehabt, sowohl dermal als auch aerosol. Der Sachverständige geht von einer kumulativen Benzo(a)pyren Dosis von maximal 5 µg/m3 Jahre aus. Die berufskrankheitenrelevante Dosis von 80 µg/m3 Jahren wird zur Überzeugung der Kammer und des Sachverständigen mit Sicherheit nicht erreicht.
Der Sachverständige hat vorgeschlagen, ein arbeitsmedizinisches Gutachten einzuholen.
Die Beklagte hat ihren Präventionsdienst erneut befragt, welcher eine kumulative Benzo(a)pyren Dosis von 2,3 µg/m3 Jahre errechnet hat für den Ausbau der Straßenteerbelege für den Zeitraum vom 01.09.1980 bis zum 31.12.1982.
Der Sachverständige Prof. Dr. S. hat auf arbeitsmedizinischem Gebiet in seinem Gutachten vom 06.10.2020 nach § 106 SGG dargelegt, dass das Harnblasenkarzinom das erforderliche Krankheitsbild der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist.
Der als Ursache der Krebserkrankung angeschuldigte Gefahrstoff muss nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft bösartige Neubildungen beim Menschen verursachen können.
In der Zeit vom 01.04.1969 bis zum 31.03.1976 und vom 01.09.1980 bis zum 31.12.1982 hat der Kläger Reinigungs- und Wartungsarbeiten mit Ottokraftstoffen und Dieselkraftstoffen sowie mit Ölen durchgeführt. Diese sind zum Teil rot eingefärbt gewesen. Bei dem roten Farbstoff kann es sich um einen Azofarbstoff gehandelt haben, der reduktiv bzw. im Stoffwechsel das humankanzerogene aromatische Armin o-Toluidin abspalten kann.
In der Zeit vom 01.11.1969 bis zum 28.02.1973 hat der Kläger etwa drei bis vier Mal im Monat über jeweils 60 Minuten Hohlraumversiegelungen mit Altöl durchgeführt. Dieses kann polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten haben, wie der Sachverständige weiter ausführt.
In der Zeit vom 01.03.1973 bis zum 31.07.1973 hat der Kläger über drei Wochen Umgang mit rot eingefärbten Schalöl gehabt. Ebenso hat er im Zeitraum vom 02.08.1973 bis zum 31.03.1976 Umgang mit Schalöl und eingestrichenen Hölzern gehabt. Bei dem roten Farbstoff kann es sich um einen Azofarbstoff gehandelt haben, der reduktiv bzw. im Stoffwechsel das humankanzerogene aromatische Armin o-Toluidin abspalten kann, wie der Sachverständige schlüssig und nachvollziehbar aufzeigt.
Während der Tätigkeit vom 04.07.1977 bis zum 31.07.1978 sind vom Kläger etwa zehn bis fünfzehn Jägerzäune über eine Länge von jeweils 15 bis 20 Metern mit Carbolineum gestrichen worden. Carbolineum als Steinkohleteerölprodukt enthält die humankanzerogenen aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4-Aminobiphenyl und o-Toluidin sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
In dem Zeitraum vom 04.07.1977 bis zum 31.08.1978 und vom 04.07.1983 bis zum 11.05.1993 hat der Kläger etwa einmal je Woche Bodenabdeckungen mit Teerpappe durchgeführt. Etwa einmal alles vier Wochen sind auch Folien, die möglicherweise polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthielten, auf Wintergärten und Pergolen angebracht worden.
In dem Zeitraum vom 04.09.1978 bis zum 15.08.1980 hat der Kläger nach den Darlegungen des Sachverständigen einmal je Woche Teerpappen auf Fundamente angebracht. Steinkohlenteeröl enthält die humankanzerogenen aromatischen Amine 2-Naphtylamin, 4-Aminobiphenyl und o-Toluidin sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
Festzuhalten ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, dass zwischen 08/1969 und 03/1976 vornehmlich dermaler Kontakt zu Ottokraftstoffen, Schmierölen aus dem Kfz-Bereich sowie Schalölen bestanden hat, die jeweils mit einem roten Farbstoff eingefärbt waren. Bei dem roten Farbstoff kann es sich um einen Azofarbstoff gehandelt haben, der reduktiv bzw. im Stoffwechsel das humankanzerogene aromatische Armin o-Toluidin abspalten kann.
Darüber hinaus hat in den Jahren 1977 und 1978 dermaler Kontakt zu Carbolineum beim Streichen von Zäunen jeweils zehn bis fünfzehn pro Jahr mit einer Länge von jeweils etwa zehn bis fünfzehn Metern bestanden. Carbolineum als Steinkohleteerölprodukt enthält die humankanzerogenen aromatischen Amine 2-Naphthylamin, 4-Aminobiphenyl und o-Toluidin sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
Weiterhin hat Kontakt zu bitumenhaltigen Arbeitsstoffen (Asphalt, Dachpappe) bestanden. Nach den vorliegenden Informationen ist für den Sachverständigen und die Kammer unwahrscheinlich, dass die entsprechenden Materialien Steinkohleteerprodukte enthielten. Somit sind diese Tätigkeiten nicht relevant im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung. Die mit den entsprechenden Tätigkeiten verbundene Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen wird sowohl durch den Sachverständigen K. als auch den Präventionsdienst gering eingeschätzt (< 10 BaP-Jahre).
Unter Zugrundelegung, dass die vom Kläger verwendeten bzw. verarbeiteten Ottokraftstoffe, Schmieröle aus dem Kfz-Bereich und die Schalöle jeweils einen roten Azofarbstoff auf Basis des humankanzerogenen aromatischen Amins o-Toluidin enthielten, haben beim Kläger entsprechende Expositionen zwischen 08/1969 und 03/1976 sowie in den Jahren 1977 und 1978 gegenüber Carbolineum bestanden. Hieraus ergibt sich ein Expositionszeitraum im Sinne einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung von etwa zehn Jahren.
Dosis-Risiko-Beziehungen bestehen nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht für kanzerogene aromatische Amine. Allerdings besteht bei höherer Exposition auch ein höheres Risiko. Die Höhe der Exposition hat auch Einfluss auf die Latenz- und Interimszeit, wie der Sachverständige überzeugend darlegt. Die Allgemeinbevölkerung ist aus ubiquitären teils noch unbekannten Quellen gegenüber diversen aromatischen Aminen exponiert. Daher muss insbesondere bei niedrigen beruflich bedingten Expositionen von der ubiquitären umweltbedingten Hintergrundexposition differenziert werden. Bei Harnblasenkrebserkrankungen mit nahezu 30.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland handelt es sich nach den Darlegungen des Sachverständigen um eine Quasi-Volkserkrankung. Dies erschwert die Abgrenzung von einer beruflichen Verursachung von anderen Ursachen.
Zusammen mit dem ermittelten zeitlichen Umfang der vom Kläger durchgeführten Arbeiten ergibt sich nach dem Dosismodell nach den Berechnungen des Sachverständigen ein angenommenes worst-case-Szenario. Es wird angenommen, dass sämtliche zwischen 1969 und 1978 verarbeitete Mineralölprodukte den Sudan-Rot Farbstoff enthielten und arbeitstäglich verarbeitet worden sind. Zu Gunsten des Klägers geht der Sachverständige weiter davon aus, dass die letztendlich penetrierte Menge an Azofarbstoff vollständig in das humankanzerogene o-Toluidin gespalten werden kann. Es gilt zu berücksichtigen, dass lipophile Azofarbstoffe wie Sudan Rot nicht unmittelbar und nicht komplett über die Haut aufgenommen werden.
Trotz worst-case-Annahmen kann der Sachverständige überzeugend ausschließen, dass beim Kläger eine ausreichend hohe dermale Exposition gegenüber farbstoffhaltigen Mineralölen bzw. Mineralölprodukten in dieser Größenordnung vorgelegen hat. Hierzu wäre eine Menge von 120 kg pro Tag notwendig, was unrealistisch hoch ist, wie der Sachverständige erläutert. Der Sachverständige schätzt, dass arbeitstäglich im Mittel etwa 1g farbmittelhaltige Mineralöle bei den Instandhaltungsarbeiten auf Hände und Unterarme habe gelangen können. Die vorangegangenen Abschätzungen zur dermalen Exposition machen deutlich, dass der Kläger auch bei ungünstigen Verhältnissen gegenüber o-Toluidin allenfalls im Bereich von weniger als 1 0/00 des Orientierungswertes für o-Toluidin, das mit einer Risikoverdopplung assoziiert ist, exponiert gewesen sein konnte.
Der Sachverständige nimmt weiter an, dass Carbolineum durch den Kläger an insgesamt etwa 30 Tagen mit dem Pinsel verarbeitet worden ist (10-15 Jägerzäune mit je 10-15 Meter Länge jeweils in den Jahren 1977 und 1978). Um innerhalb von 30 Arbeitstagen insgesamt 6 mg 2-Naphtylamin-Äquivalente aufzunehmen, hätten pro Arbeitstag im Mittel etwa 200 µg 2-Naphtylamin durch die Haut penetrieren müssen. Es hätten an den etwa 30 Arbeitstagen mit vollschichtiger Exposition gegenüber Carbolineum täglich jeweils etwa 1430 bis 2500 mg Carbolineum auf die Haut des Versicherten einwirken müssen, um letztendlich kumulativ 2-Naphtylamin-Äquivalente in Höhe von 6 mg dermal aufzunehmen, wie der Sachverständige weiter berechnet. Eine Menge von mehr als 1000 mg täglich erscheint dem Sachverständigen und der Kammer jedoch bei Streicharbeiten mit Carbolineum äußerst unwahrscheinlich. Selbstverständlich können Spritzer auftreten, die jedoch eher einer täglichen Kontamination der Haut mit Carbolineum im Bereich vom 25 bis 50 mg. Dies entspricht kumulativ weniger als 5% des Orientierungswertes.
Vor dem Hintergrund dieser orientierenden Abschätzung gehen der Sachverständige und die Kammer nicht davon aus, dass der Kläger über einen dermalen Kontakt zu Carbolineum im Bereich derjenigen Dosis exponiert gewesen ist, die mit einer Risikoverdopplung assoziiert worden ist.
Beim Kläger haben die Expositionen gegen humankanzerogenen aromatischen Aminen zwischen 0/1969 und 1978 vor, also einen Zeitraum von etwa 10 Jahren. Die Latenzzeit mit 47 Jahren liegt noch im Erfahrungsbereich, während die Interimszeit mit etwa 37 Jahren erhöht ist, wie der Sachverständige die Studienlage referiert.
Der Kläger ist in seinem 61ten Lebensjahr erkrankt. Eine deutliche Linksverschiebung, die auf besondere Erkrankungsumstände deuten könnte, liegt nach der überzeugenden Einschätzung des Sachverständigen nicht vor. Die Organlokalisation entspricht den medizinischen Erfahrungen.
Der Kläger hat vom 18ten bis zum 22ten Lebensjahr bis zu 1 Packung Zigaretten pro Tag geraucht. Aufgrund des geringen Zigarettenkonsums liegt nach der Einschätzung des Sachverständigen kein relevantes außerberufliches Harnblasenkrebsrisiko vor. Zudem hat sich dieses geringe Risiko nach Aufgabe des Tabaksrauchens schnell zurückgebildet. Das Risiko eines Nie-Rauchers ist nach den Darlegungen des Sachverständigen allerdings nicht erreicht worden.
Bei dem Kläger lassen sich aufgrund der verschiedenen Tätigkeiten mehrfach Expositionen gegenüber aromatischen Aminen und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen sowohl inhalativer als auch dermaler Form nachweisen. Die beruflich bedingten Expositionen gegenüber aromatischen Aminen und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen sind zur Überzeugung der Kammer und des Sachverständigen sowohl im Einzelnen als auch in ihrer Summe so gering, dass sich hieraus kein deutlich erhöhtes Harnblasenrisiko im Sinne des Orientierungsmaßes nachweisen lassen. Eine Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen in der für eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung geforderten Höhe von mindestens 80 BaP-Jahren lasse sich ebenfalls nicht belegen. Die dermale Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen wird vom Sachverständigen eher gering einzuschätzen. Dem Zigarettenrauchen als außerberuflicher Risikofaktor kommt aus medizinischer Sicht keine wesentliche Bedeutung zu. Dennoch muss nach den Darlegungen des Sachverständigen bei der Zusammenschau aller Befunde davon ausgegangen werden, dass die beruflichen Tätigkeiten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet gewesen sind, die Harnblasenkrebserkrankung verursacht zu haben.
Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung liegt zur Überzeugung der Kammer und des Sachverständigen aus medizinischer Sicht nicht vor. Hinweise auf eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung lassen sich anamnestisch und aufgrund der Aktenlage nicht finden.
Der Kläger hat nach den Ausführungen des Sachverständigen insbesondere zu den Zeiten seiner Ausbildung zum Kfz-Mechaniker dermalen Kontakt zu rot eingefärbten Ottokraftstoffen bei der Reinigung von Metallteilen gehabt. Da letztlich nicht zu klären gewesen ist, mit welchen Farbstoffen der verwendete Kraftstoff eingefärbt gewesen war, ist im Sinne eines worst-case-Szenarios zugunsten des Klägers angenommen worden, dass er ausschließlich Umgang mit Ottokraftstoffen gehabt hat, die mit einem Azofarbstoff auf Basis von o-Toluidin versetzt gewesen waren. Darüber hinaus ist zugunsten des Klägers angenommen worden, dass sämtlicher durch die Haut in den Körper des Klägers penetrierter Farbstoff das o-Toluidin abgespaltet hat und somit 100% des im Farbstoffmolekühl chemisch gebundene o-Toluidin auch bioverfügbar gewesen ist. Die so durchgeführte Abschätzung hat nach den Darlegungen des Sachverständigen trotz der worst-case-Annahmen ergeben, dass der Kläger an allen Tagen mit Reinigungstätigkeiten jeweils sämtlichen Azofarbstoff aus 17,9 kg Kraftstoff bzw. 24,1 Liter hätte aufnehmen müssen. Das wäre eine Gesamtmenge von 22.200 kg bzw. 30.000 l, um gegenüber einer kumulativen Dosis exponiert gewesen zu sein, die mit einer Risikoverdopplung für die Entwicklung eines Harnblasenkarzinoms assoziiert ist, wie der Sachverständige aufzeigt.
Der Sachverständige und die Kammer schließen daher aus, dass der Kläger in einem quantitativ relevanten Ausmaß gegenüber o-Toluidin exponiert gewesen ist. Selbst zum Erreichen der unteren Grenzen von 3000 mg o-Toluidin hätte trotz worst-case-Annahmen täglich noch sämtlicher Farbstoff aus 2,4 Litern eingefärbtem Ottokraftstoff aufgenommen werden müssen.
Darüber hinaus haben noch Expositionen gegenüber aromatischen Aminen durch die Verarbeitung des Holzschutzmittels Carbolineum in dermaler Form und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen durch den Kontakt zu gebrauchten Motorölen und Carbolineum sowohl in inhalativer als auch in dermaler Form gehabt. Diese beruflich bedingten Expositionen sind jedoch als so gering einzuschätzen, dass sich hieraus kein erhöhtes Harnblasenrisiko ableiten lässt.
Es liegt daher weder eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung noch eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vor.
Eine Exposition gegenüber ionisierender Strahlung im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ist zur Überzeugung der Kammer und des Sachverständigen nicht nachweisbar.
Keine der klägerischen Erkrankungen ist zur Überzeugung der Kammer und des Sachverständigen durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verursacht worden.
Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat auf arbeitsmedizinischem Gebiet in seinem Gutachten vom 03.08.2021 nach § 109 SGG dargelegt, dass der Kläger sowohl dermalen als auch inhalativen Kontakt zu aromatischen Aminen gehabt hat. Eine Einwirkungskausalität im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung liegt nach den Darlegungen des Sachverständigen vor. Eine Quantifizierung der aromatischen Amine hat nicht erfolgen können. Bei humankanzerogenen Gefahrstoffen gibt es nach den Darlegungen des Sachverständigen keine als unbedenklich anzusehende Konzentration. Auch im Niedrigdosisbereich kann im Sinne der Dosis-Wirkungsbeziehung eine Verursachung gegeben sein, wobei jedoch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Tumorerkrankung mit der Dosis deutlich ansteigt. Beim Harnblasenkarzinom durch aromatische Amine handelt es sich um eine Berufskrankheit, bei der in der Legaldefinition keine Grenzziehung gegeben worden ist, wie der Sachverständige weiter ausführt. Ein Gefährdungskataster hinsichtlich der Menge der Einwirkung krebserzeugender aromatischer Amine am Arbeitsplatz ist in Ermangelung ausreichender arbeitsplatzbezogener Messwerte insbesondere hinsichtlich der dermalen Resorption nicht für aromatische Amine erstellt worden.
Für das Vorliegen einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sprechen nach den Darlegungen des Sachverständigen:
1) Eine sicherheitstechnisch bestätigte Exposition gegenüber aromatischen Aminen in dermaler und inhalativer Form in jungen Jahren (14,5-17ten Lebensjahr). Eine zuverlässige und allgemein akzeptierte Dosiswirkungsbeziehung bei Einwirkung von aromatischen Aminen sei bislang nicht bekannt.
2) Fehlende konkurrierende Faktoren für ein Harnblasenkarzinom.
Gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sprechen:
1) Eine zeitlich begrenzte Exposition während der Lehrzeit in etwa 40% der Arbeitszeit.
2) Verwendung von Benzinen/Schmiermitteln mit nur einem geringen Gehalt an aromatischen Aminen.
Der Kläger hat auch Kontakt zu polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen gehabt. Allerdings sind keine 80 Benz(a)pyren-Jahre erreicht, Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung.
Ein Kontakt mit ionisierenden Strahlen im Sinne der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung habe der Kläger nicht gehabt.
Der Sachverständige Dr. P. hat auf urologischem Gebiet in seinem Gutachten vom 09.11.2022 nach § 109 SGG dargelegt, dass anamnestisch wiederholt eine Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bestanden hat. Eine genaue zeitliche Exposition und die Absorptionsmengen sind anamnestisch nicht zu erheben. Die Arbeiten sind in der Mehrzahl der Fälle ohne Schutzkleidung durchgeführt worden.
Urothelkarzinome können nach relevanter Exposition mit unter anderem polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen oder aromatischen Aminen entstehen. Sie treten in deutlichem zeitlichem Abstand zur Exposition auf, wie der Sachverständige darlegt. Um eine Kausalität bzw. relevante Exposition bezüglich entsprechender Noxen und dem Auftreten der Karzinomerkrankung beim Kläger zu bewerten, sind bereits das arbeitstechnische und die arbeitsmedizinischen Gutachten eingeholt worden. Aus medizinisch-urologischer Sicht ist zur Überzeugung der Kammer und des Sachverständigen unter Berücksichtigung dieser Gutachten abzulehnen, dass die Tumorerkrankung der Harnblase durch die berufliche Exposition verursacht ist.
Als konkurrierender Faktor führt der Sachverständige den Zigarettenkonsum (15-21 bzw. 18-22 Lebensjahr) an. Insofern besteht auch eine Exposition bezüglich aromatischer Amine (o-Toluidin, 2-Aminonaphthalin und 4-Aminobiphenyl) durch den Tabakkonsum mit einem Päckchen Zigaretten pro Tag.
Eine Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung liegt zur Überzeugung der Kammer und des Sachverständigen nicht vor. Es findet sich kein kausaler Zusammenhang zwischen dem Urothelkarzinom und den beruflichen Tätigkeiten des Klägers.
Zusammenfassend stellte die Kammer fest, dass die Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung mangels jeglichen Kontaktes zu ionisierenden Strahlen ausscheidet.
Des Weiteren sind auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1321 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung nicht gegeben, da weder nach den Berechnungen des Präventionsdienstes der Beklagten noch von Diplom-Ingenieur K., Prof. Dr. S. und Prof. Dr. M. 80 Benzo(a)pyren-Jahren. Die errechneten Dosen bewegen sich mehr als deutlich darunter.
Hinsichtlich der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung muss zunächst nur Kontakt zu aromatischen Aminen bestanden haben. Das ist beim Kläger der Fall. Die normierte Berufskrankheit selbst, sieht keine Dosis vor. Aus diesem Grunde ist das Gutachten von Diplom-Ingenieur K. und Prof. Dr. M. auch ergebnisoffen. Der Kontakt hat bestanden, so dass im Rahmen der Kausalitätsprüfung ein Zusammenhang besteht. Allerdings besteht die auf der zweiten Stufe festzustellende hinreichende Wahrscheinlichkeit zur Überzeugung der Kammer nicht.
Denn wenn es einerseits keine festen Grenzen gibt, kann auch der jedenfalls über mehrere Jahre praktizierte Zigarettenkonsum nicht hinweggedacht werden. Sowohl dieser als auch die aromatischen Amine im Farbstoff o-Toluidin und im Holzschutzmittel Carbolineum haben im Körper des Klägers gewirkt, aber zur Überzeugung der Kammer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Harnblasenkarzinom bewirkt. Unter Würdigung der versicherten und unversicherten Ursachen, sind die bei der beruflichen Tätigkeit aufgenommenen aromatischen Amine nicht rechtlich wesentlich für das vom Kläger geltend gemachte Harnblasenkarzinom. Auch wenn aromatische Amine niedrigschwellig als gefährlich eingestuft worden sind mangels Festlegung einer Grenze und die Berufskrankheit nicht nur Nichtrauchern vorbehalten ist, kann sich die Kammer gerade aufgrund der gutachterlichen Einschätzung des Sachverständigen Dr. P. und der von Prof. Dr. S. angesprochen Ubiquität der Harnblasenkrebserkrankung nicht von der rechtlichen Wesentlichkeit der Verursachung überzeugen. Es sprechen zur Überzeugung der Kammer die lange Latenzzeit, der Tabakkonsum, die Ubiquität der Krebsart und die geringe Einwirkungszeit und -dosis gegen die Bejahung der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung. Hierbei hat die Kammer ebenfalls berücksichtigt, dass der Vollbeweis der Einwirkung von aromatischen Aminen in dem roten Farbstoff nur nach einer worst-case-Betrachtung und -Berechnung angenommen worden ist. Denn welcher Farbstoff es genau gewesen ist, konnte nicht im Vollbeweis festgestellt werden.
Im Übrigen nimmt die Kammer Bezug auf den Widerspruchsbescheid vom 23.08.2018, § 136 Abs. 3 SGG.
Nach alledem war die Klage vollumfänglich abzuweisen, da die arbeitstechnischen Voraussetzungen der Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1301, 1321 und 2402 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung nicht vorliegen. Die klägerischen Einwände haben nicht rechtserheblich durchgegriffen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache. Das Verfahren ist für die Klägerin gemäß § 183 S. 1 SGG gerichtskostenfrei. Die Statthaftigkeit der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.