S 28 KR 403/24

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 403/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Die Ermittlung der quartalsbezogenen Prüfquote nach § 275c Abs. 2 S. 4 iVm S. 2 SGB V ist keine Entscheidung auf Bundesebene iSv § 57a Abs. 4 SGG

S 28 KR 403/24

 

 

 

Beschluss

In dem Rechtsstreit

          … gGmbH,

 

 

- Klägerin -

Proz.-Bev.:

gegen

          GKV-Spitzenverband der Krankenkassen,  

Reinhardtstr. 28, 10117 Berlin,

- Beklagter -

 

 

hat die 28. Kammer des Sozialgerichts Berlin am 2. Oktober 2024 durch ihre Vorsitzende, die Richterin am Sozialgericht …, beschlossen:

 

Das Sozialgericht Berlin erklärt sich für örtlich unzuständig.
 

Der Rechtsstreit wird an das örtlich zuständige Sozialgericht München verwiesen.
 

Gründe

Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG ist für eine Klage örtlich zuständig das Sozialgericht, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat.

Die Klägerin hat ihren Sitz in 82467 Garmisch-Partenkirchen, örtlich zuständiges Sozialgericht ist das Sozialgericht München.

Die Sonderregelung beziehungsweise Spezialzuweisung des § 57a Abs. 4 SGG ist vorliegend nach Ansicht des Gerichts nicht einschlägig. § 57a Abs. 4 SGG lautet:

Sind Entscheidungen oder Verträge auf Bundesebene Streitgegenstand des Verfahrens, ist das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Kassenärztliche Bundesvereinigung oder die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung ihren Sitz hat.

§ 57a Abs. 4 SGG ist als Sonderreglung zu verstehen, deren Anwendungsbereich nicht auf Vertragsarztangelegenheiten beschränkt ist (Bockholdt, Die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 3 und 4 SGG, SGb 2012, 317). Es werden solche Streitigkeiten erfasst, in denen die Entscheidung beziehungsweise der Vertrag auf Bundesebene Streitgegenstand ist, also unmittelbar im Streit stehen. Nicht ausreichend ist, dass solche Entscheidungen oder Verträge streitentscheidend herangezogen werden müssen (vgl. Groth in jurisPK SGG § 57a Rn 42, 50; BSG, Beschluss vom 4. Dezember 2013, B 12 SF 2/11; Bockholdt, Die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 3 und 4 SGG, SGb 2012, 317).

Weiterhin muss es sich um eine Entscheidung beziehungsweise einen Vertrag auf Bundesebene handeln. Das bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Entscheidung beziehungsweise der Vertrag auf Bundesebene getroffen wird und das gesamte Bundesgebiet betreffen muss (Groth in jurisPK SGG § 57a Rn 51.f m.w.N.). Nur dann ist die Ausnahme von der Zuständigkeitsregelung des § 57 Abs. 1 S. 1 SGG und zentralisierte Gerichtszuständigkeit zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechung gerechtfertigt. Ein Vertrag auf Bundesebene liegt zur Überzeugung der Kammer nur dann vor, wenn er für sämtliche oder den weit überwiegenden Teil der Leistungserbringer und Krankenkassen im gesamten Bundesgebiet Anwendung findet. Dies ist nicht bereits gegeben bei einem bilateralen Vertrag zwischen einer Krankenkasse und einem Leistungserbringer, auch wenn dieser die bundesweite Versorgung der Mitglieder der Krankenkasse regelt (SG Berlin, Beschluss vom 6. Februar 2012, S 36 KR 2242/11; Bockholdt, Die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 3 und 4 SGG, SGb 2012, 317/321).

Etwas anderes ergibt sich nicht, weil im vorliegenden Fall eine Entscheidung – ein Verwaltungsakt – Streitgegenstand ist. Vorliegend ist die Ermittlung der quartalsbezogenen Prüfquote nach § 275c Abs. 2 S. 4 iVm S. 2 SGB V durch den Beklagten Streitgegenstand. Damit ist zwar die Voraussetzung erfüllt, dass die Entscheidung des Beklagten unmittelbarer Streitgegenstand ist. Es handelt sich jedoch nicht um eine Entscheidung auf Bundesebene im Sinne des § 57a Abs. 4 SGG. Denn die quartalsbezogene Prüfquote gilt nach § 275c Abs. 2 S. 2 SGB V zwar für alle Krankenkassen, wird aber jeweils nur für ein bestimmtes Krankenhaus festgelegt (Scholz in jurisPK SGB V § 275c Rn 25ff.). Die Entscheidung findet also nicht für den überwiegenden Teil der Leistungserbringer – hier die Träger der Krankenhäuser – auf Bundesebene Anwendung. Es handelt sich damit nicht um eine Entscheidung, die die Verhältnisse auf Bundesebene regelt, sondern es werden allein die Verhältnisse zwischen sämtlichen gesetzlichen Krankenkassen und einem Krankenhaus geregelt.

Allein die Tatsache, dass alle Krankenkassen an die Entscheidung gebunden sind, genügt nicht für das Tatbestandsmerkmal einer Entscheidung die Bundesebene betreffend, wenn die Entscheidung nur Auswirkung auf ein Krankenhaus hat. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der MD ebenso bundesweit die Entscheidung zu beachten hat. Denn auch insoweit ist die Entscheidung nur bei Prüfungen eines bestimmten Krankenhauses zu beachten.

Bei der Auslegung der Norm ist zu beachten, dass es sich bei § 57a Abs. 3 und 4 SGG um eine Spezialzuweisung handelt, die grundsätzlich eng auszulegen ist (BSG, Beschluss vom 4. Januar 2023, B 12 SF 2/11 S). Nach den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit in § 57ff. SGG soll grundsätzlich das ortsnahe Gericht zuständig sein, um den Betroffenen die gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche zu erleichtern. Damit ist eine weite Auslegung der Vorschrift nicht zu vereinbaren (Bockholdt, Die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 3 und 4 SGG, SGb 2012, 317/320). Zweck der Sonderregelung des § 57a Abs. 3 und 4 SGG ist die Konzentration des juristischen Sachverstandes bei besonders komplexen Materien und eine daraus folgende Verwaltungsökonomie und Vereinheitlichung der Rechtsprechung. Dieser ist abzuwägen mit dem Zweck des § 57 Abs. 1 S. 1 SGG der örtlichen Nähe zur Erleichterung er Durchsetzbarkeit von Ansprüchen (Bockholdt, Die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 3 und 4 SGG, SGb 2012, 317/321 mwN). Ein entsprechendes Bedürfnis nach einer einheitlichen Rechtsprechung auf erstinstanzlicher Ebene ist für die Festsetzung von Prüfquoten gegenüber einzelnen Krankenhäusern nicht ersichtlich. Denn die jeweilige Prüfquote betrifft allein das jeweilige Krankenhaus, eventuelle Fehler im Verfahren zur Ermittlung der Prüfquote betreffen ebenfalls allein das Krankenhaus, für das das Verfahren durchgeführt wurde. Allein die Tatsache, dass rechtliche Probleme betreffend das Verfahren gegebenenfalls in den weiteren Instanzen landes– und bundesweite Klärung erfahren, führt nicht zu einem so überwiegenden Bedürfnis der einheitlichen Rechtsprechung auf erstinstanzlicher Ebene, dass eine Ausnahme zur grundsätzlichen Zuständigkeit des ortsnahen Gerichts gegeben wäre. Insoweit unterscheiden sich die Fälle zur Festlegung der Prüfquoten nicht von anderen Rechtsfragen der Krankenhausvergütung. Auch andere Entscheidungen der Rechtsprechung zum Beispiel zum Verfahren nach § 275 c SGB V mit der PrüfvV oder zum SGB X betreffen bundesweit zu beachtende Verfahrensregeln, ohne dass dadurch die Sonderzuweisung des § 57a Abs. 4 SGG ausgelöst würde.

Parallel betrachtet werden können zum Beispiel die Fälle der Widerlegung der Mindestmengenprognose nach § 136 Abs. V S 6 SGB V (in der Fassung vom 11. Juli 2021), die durch die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkrankenkassen getroffen wird und als Einzelfallentscheidung nur ein Krankenhaus betreffen (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 2021, B 1 KR 16/20 R Rn 10 ff). Der für die Landesebene wortgleiche § 57a Abs. 3 SGG ist nicht anwendbar.

Zwar wird der Abschluss von Versorgungsverträgen nach § 109 Abs. 2 S. 2 SGB V und die Kündigung von Versorgungsverträgen nach § 110 SGB V als Entscheidung auf Landesebene nach § 57 Abs. 3 SGG angesehen (Scholz in BeckOGK SGG § 57a Rn. 15). Die Entscheidung auf Landesebene ist dabei aber nur gegeben, wenn eine gemeinsame Entscheidung der Landesverbände der Krankenkassen und der Ersatzkassen zur Auswahl zwischen mehreren Krankenhäusern nach § 109 Abs. 2 S. 2 SGB V getroffen wird und nicht für den Abschluss von Versorgungsverträgen nach § 109 Abs. 1 S. 1 SGB V zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und der Ersatzkassen und den einzelnen Krankenhausträgern.

Auch die Anerkennung der landesweiten Wirkung entsprechend § 57a Abs. 3 SGG für Sicherstellungsverträge nach § 112 SGB V (vgl. dazu LSG Niedersachsen Beschluss vom 6. November 2002, L 4 B 297/02 KR) unterscheidet sich vom vorliegenden Fall dahingehend, dass Vertragsparteien auf Seiten der Leistungserbringer die Landeskrankenhausgesellschaft oder die Vereinigungen der Krankenhausträger im Land sind. Daraus ergibt sich wiederum eine überwiegende Bindung der Leistungserbringer im Landesgebiet. Diese ist im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben.

Das Gericht hat daher gemäß §§ 98 Satz 1 SGG, 17a Abs. 2 Satz 1 GVG von Amts wegen seine örtliche Unzuständigkeit auszusprechen und den Rechtsstreit an das Sozialgericht München zu verweisen.

Dieser Beschluss, der nach § 17 a Abs. 2 und Abs. 4 Satz 1 GVG ohne mündliche Verhandlung ergehen konnte, ist unanfechtbar (§ 98 Satz 2 SGG).

                                                                                                                                                  

                                                                                                                                                  

                                                                                                                                                  

W:\Schreibwerk\28\S_28_KR_403_24\S_28_KR_403_24_Beschluss_Verweisung_9388ff98dbf34a6e934022186eb4c8a5.docx

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