L 9 AS 2962/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 309/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 2962/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 4. August 2023 wird verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Form eines (höheren) Mehrbedarfs für die Warmwasserbereitung im Zeitraum 01.05.2007 bis 31.07.2021.

Der 1972 geborene Kläger bezieht seit mehreren Jahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten. Er heizt mit Strom.

Mit Schreiben vom 10.10.2022 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten geltend, dieser habe bereits seit Juni 2007 gewusst, dass das Warmwasser in seiner Wohnung durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt werde (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II anerkannt würden. Daher seien alle seine Schreiben an den Beklagten, die Agentur für Arbeit U1 und das Landratsamt A1, in denen er sich über die unzureichenden Erstattungen der Stromkosten beschwert habe, in denen das Warmwasser erwähnt werde und die von 2007 bis 2021 vom Beklagten abgelehnt worden seien, als rechtswidrige Ablehnungen von Anträgen für Warmwasser zu betrachten. Jedenfalls hätte der Beklagte dem Kläger die entsprechenden Informationen geben müssen, was nicht geschehen sei. Daher bitte er den Beklagten, seine Schreiben vom 21.11.2007, 31.07.2009, 03.09.2009, 01.10.2009, 24.02.2012, 22.03.2012 (Anl. 1), 15.04.2013 und 03.06.2013 erneut zu überprüfen sowie alle zehn Verfahren von 2009 bis 2021, die die Stromkostenrückerstattungen vor dem Sozialgericht Ulm betreffen würden, zu überprüfen und ihm den Mehrbedarf rückwirkend ab 2007 zu gewähren.

Mit Schreiben vom 10.11.2022 teilte der Beklagte dem Kläger mit, nach Überprüfung der Bescheide vom 12.07.2021, 27.11.2021, 24.02.2022, 22.04.2022 und 02.05.2022 seien dem Kläger mit Änderungsbescheiden vom 06.09.2022 höhere Leistungen in Form des Mehrbedarfs Warmwasser ab August 2021 bewilligt worden. Mit seinem Widerspruch mache er nunmehr geltend, dass ihm ein Mehrbedarf für Warmwasserbereitung auch für frühere Zeiträume zustehen würde. Allein mit dieser Begründung habe sein Widerspruch keine Aussicht auf Erfolg bzw. sei sogar unzulässig, da die angegriffenen Bescheide nur eine Regelung für den Zeitraum von August 2021 bis April 2023 treffen würden und diese Regelung auch vollumfänglich zu seinen Gunsten ausgefallen sei. Über vorangehende Zeiträume müsse der Beklagte im Rahmen der von ihm beantragten Überprüfung zunächst noch entscheiden. Gegen diese Entscheidung könne er dann Widerspruch erheben.

Mit Bescheid vom 11.11.2022 lehnte der Beklagte den Antrag auf Überprüfung der Bescheide für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.12.2020 gemäß § 44 SGB X ab. Der auf den Antrag vom 10.10.2022 zu überprüfende Zeitraum liege außerhalb der maßgeblichen Jahresfrist.

Mit weiterem Bescheid vom 11.11.2022 lehnte der Beklagte den Antrag auf Überprüfung der Bescheide für den Zeitraum vom 01.08.2021 bis 31.07.2022 gemäß § 44 SGB X ab. Dem Kläger sei ab 01.08.2021 ein Mehrbedarf für Warmwasser gewährt worden. Zudem seien die Wärmestromabschläge in voller Höhe berücksichtigt worden: Für den Zeitraum vom 01.08.2021 bis 31.03.2022 in Höhe von monatlich 23 € und für den Zeitraum vom 01.04.2022 bis 31.07.2022 in Höhe von monatlich 27 €.

Mit Schreiben vom 11.11.2022 teilte der Beklagte dem Kläger betreffend den Überprüfungsantrag für den Zeitraum vom 01.01.2021 bis 31.07.2021 mit, dass sein tatsächlicher Anspruch bezüglich des Wärmestromabschlags und des Mehrbedarfs Warmwasser 220,82 € betrage. Demgegenüber seien aufgrund der monatlich berücksichtigten Heizkosten in Höhe von 64,17 € insgesamt 449,19 € ausgezahlt worden. Bei einer Neufestsetzung müsste der Kläger die überzahlten Leistungen in Höhe von 228,37 € erstatten. Sofern er dennoch eine Neufestsetzung wünsche, werde um eine entsprechende Mitteilung gebeten. Anderenfalls werde das Anliegen als erledigt betrachtet. Hierauf erwiderte der Kläger mit Schreiben vom 16.11.2022, eine Erstattungsforderung der Heizstromkosten in Höhe von 228,36 € bzgl. des Zeitraums vom 01.01.2021 bis 31.07.2021 sei rechtswidrig und sei ohnehin bereits Gegenstand der anhängigen Verfahren S 8 AS 2111/21, S 8 AS 2249/21 und S 8 AS 2782/21. Sofern der Beklagte glaube, dass eine Rückerstattung von 228,36 € rechtmäßig sei, solle er diese doch beanspruchen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2022 verwarf der Beklagte den Widerspruch gegen die Bescheide vom 06.09.2022 als unzulässig. Der Kläger habe seinen Widerspruch im Wesentlichen damit begründet, dass ihm über den bewilligten Zeitraum hinaus auch für die Zeit ab 2007 ein Mehrbedarf für Warmwasser zustünde. Soweit ersichtlich wende sich der Kläger nicht gegen den Regelungsinhalt der angegriffenen Bescheide – mit denen seinem Anliegen für die jeweiligen Zeiträume entsprochen worden sei - sondern begehre Leistungen für Zeiträume außerhalb der von den Änderungsbescheiden umfassten Zeiträume. Dieses Anliegen könne nicht in einem Widerspruchsverfahren bezüglich der angegriffenen Bescheide geltend gemacht werden. Dem Widerspruch mangele es insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis. Hiergegen erhob der Kläger am 30.01.2023 Klage zum Sozialgericht Ulm (S 8 AS 180/23).

Mit Widerspruchsbescheid vom 02.01.2023, dem Kläger zugestellt am 13.01.2023, wies der Beklagte den Widerspruch hinsichtlich des Zeitraums 2007 bis 2020 als unbegründet zurück. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 44 SGB X könnten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens rückwirkend nur Leistungen für ein Jahr gewährt werden. Die Bescheide seien daher bezüglich der Bewilligungszeiträume bis 31.12.2020 nicht zu überprüfen.

Am 13.02.2023 hat der Kläger dagegen Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Im Jahr 2007 seien alle seine Mitteilungen zum Thema Warmwasser und Stromkostenerstattung von den Beklagten systematisch ignoriert worden.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 04.08.2023 (S 8 AS 309/23) abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig, soweit sie sich gegen die Beklagten Ziff. 2 und 3 und gegen den Beklagten Ziff. 1 hinsichtlich des Zeitraums vom 01.01.2021 bis 31.07.2021 richte. Im Übrigen sei die Klage zulässig, aber unbegründet.
Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 08.08.2023 durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden (s. Postzustellungsurkunde vom 08.08.2023).

Am 22.10.2023 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Der Gerichtsbescheid weise formale Fehler auf, da die ihm übersandte Abschrift von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nicht ordnungsgemäß unterschrieben bzw. signiert worden sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ul vom 8. August 2023 aufzuheben und den Bescheid des Beklagten Ziff. 1 vom 11.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2023 aufzuheben und den Beklagten Ziff. 1 zu verurteilen, ihm höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für die Warmwasserbereitung im Zeitraum vom 01.05.2007 bis 31.07.2021 zu gewähren.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Verfügung vom 23.11.2023 ist der Kläger auf die Verfristung der Berufung hingewiesen worden.

Mit Beschluss vom 30.11.2023 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Vorsitzenden Richter übertragen, der hierüber zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten verwiesen.



Entscheidungsgründe

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, da er mit der ordnungsgemäßen, ausweislich der Postzustel-lungsurkunde am 23.12.2023 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG). Der Kläger hat von dem Termin Kenntnis erhalten, wie sein Schreiben vom 23.01.2024 belegt.

Die gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist nicht zulässig, da die Berufung nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden ist. Gründe, wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG zu gewähren, liegen nicht vor.

Nach § 158 Satz 1 SGG ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Frist oder nicht schriftlich oder nicht in elektronischer Form oder nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt worden ist.

Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils (für Gerichtsbescheide gelten die Vorschriften über Urteile entsprechend, § 105 Abs. 1 S. 2 SGG) einzulegen. Nach § 151 Abs. 2 S. 1 SGG wird die Berufungsfrist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist beim SG schriftlich oder zur Niederschrift eingelegt wird.

Der Gerichtsbescheid des SG vom 04.08.2023 ist dem Kläger am 08.08.2023 - mit zutreffender Rechtsmittelbelehrung (§ 66 SGG) - durch Einlegen in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten (§ 63 Abs. 2 S. 1 SGG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]) wirksam zugestellt worden. Damit begann die einmonatige Berufungsfrist am 09.08.2023 (§ 64 Abs. 1 SGG) und lief am Montag, 11.09.2023 ab (§ 64 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 SGG). Die Berufung ist jedoch erst am 22.10.2023 beim LSG per Fax eingelegt worden und ist damit verspätet eingegangen.

Die Berufungsfrist ist durch die Zustellung des Gerichtsbescheids an den Kläger wirksam in Gang gesetzt worden. Der angefochtene Gerichtsbescheid weist keine formalen Mängel auf. D
ie elektronische Signatur der Richterin des SG unter dem Gerichtsbescheid genügt ausweislich des bei den Akten befindlichen Transfervermerks den gesetzlichen Anforderungen des § 65a Abs. 7 Satz 1 SGG. Danach genügt es, wenn die verantwortenden Personen am Ende des Dokuments ihren Namen hinzufügen und das Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Dies ist bei dem angefochtenen Gerichtsbescheid der Fall. Soweit der Kläger beanstandet, entgegen § 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 317 Abs. 1, § 169 Abs. 2 Satz ZPO sei ihm eine einfache statt einer beglaubigten Abschrift des Gerichtsbescheids zugestellt worden, so gilt dieser Zustellungsmangel nach § 189 ZPO in dem Zeitpunkt als geheilt, in dem das Dokument dem Kläger tatsächlich zugegangen ist, was hier ausweislich seiner Berufungsschrift am 08.08.2023 der Fall war. Der über § 63 Abs. 2 SGG anzuwendende § 189 ZPO erfasst auch eine von der Geschäftsstelle entgegen § 317 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 ZPO veranlasste Zustellung einer einfachen Abschrift (BGH, Urteil vom 11.02.2022 - V ZR 15/21 - Rn. 23, juris).

Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 67 SGG) wegen der Versäumung der Berufungsfrist sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist gemäß § 67 Abs. 2 SGG binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, wobei die Tatsachen zur Begründung des Antrages glaubhaft gemacht werden sollen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Der Kläger hat auf den Hinweis des Gerichts vom 23.11.2023 auf die Verfristung der Berufung keine Gründe vorgetragen, weshalb er ohne sein Verschulden an einer fristgerechten Berufungseinlegung gehindert war. Soweit er sich zuletzt darauf berufen hat, durch die Räumungsklage mit seinem Vermieter und die „große Anzahl an Schriftsätzen und Entscheidungen“ des 9. Senats an der rechtzeitigen Einlegung der Berufung gehindert gewesen zu sein, begründet dies keine unverschuldete Fristversäumnis. Dem Kläger war daher keine Wiedereinsetzung zu gewähren, weshalb die Berufung gemäß § 158 SGG als unzulässig zu verwerfen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.




 

Rechtskraft
Aus
Saved