1. Der beauftragte Sachverständige handelt nicht im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrags, zivilrechtliche Regelungen über Leistungsstörungen oder Mängelhaftung sind nicht anwendbar. Seine Vergütung bezieht sich auf seine Tätigkeit als Gehilfe des Gerichts, weshalb sachliche Richtigkeit und Überzeugungskraft eines Sachverständigengutachtens kein Maßstab für die Vergütung der Tätigkeit des Sachverständigen sind.
2. Der Vergütungsanspruch ist aber nach § 8a Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JVEG zu versagen, wenn das Gutachten wegen objektiv feststellbarer Mängel unverwertbar ist und das Gutachten daher im Prozess auch tatsächlich unberücksichtigt bleibt. Die Unverwertbarkeit kann sich auch aus einem zu langen zeitlichen Abstand zwischen Untersuchung und Abfassung des Gutachtens ergeben.
Die Vergütung für das Gutachten von C1 vom 27.03.2024 im Verfahren L 8 R 1756/22 wird auf 0 € festgesetzt.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
I.
Die Antragstellerin macht einen Vergütungsanspruch für ein gerichtliches Sachverständigengutachten aus abgetretenem Recht geltend.
In dem beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg anhängig gewesenen Rechtsstreit L 8 R 1756/22 ging es um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Am 22.06.2023 wurde C1 auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Erstattung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung beauftragt. Der Kostenvorschuss belief sich auf 2.200 €. Die Untersuchung des Klägers erfolgte am 12.09.2023. Nach erfolglosen Nachfragen am 03.11.2023 und 28.11.2023 wurde C1 mit Schreiben vom 08.01.2024 ein Ordnungsgeld angedroht mit Fristsetzung bis 05.02.2024. Zugleich wurde er darauf hingewiesen, dass der Vergütungsanspruch erlischt, wenn das Gutachten nicht verwertet werden kann, weil ein zu langer Zeitraum zwischen Untersuchung und Abfassung des Gutachtens verstrichen ist. Mit Beschluss vom 07.02.2024 setzte der 8. Senat sodann ein Ordnungsgeld i.H.v. 600 € gegen den Sachverständigen fest. Das mit Datum vom 27.03.2024 von C1 erstellte neurologisch-algesiologische Gutachten ging schließlich am 09.04.2024 beim LSG Baden-Württemberg ein.
Die Antragstellerin hat mit Rechnung vom 29.03.2024 unter Vorlage einer Abtretungserklärung des Sachverständigen eine Vergütung für das Gutachten i.H.v. 2.949,30 € geltend gemacht.
Mit Schreiben vom 02.07.2024 hat die Kostenbeamtin die Vergütung für das Gutachten abgelehnt mit der Begründung, das Gutachten sei nicht verwertbar, da zwischen Untersuchung und Vorlage des schriftlichen Gutachtens ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten verstrichen sei.
Die Antragstellerin wendet dagegen ein, dass zwar eine Frist zur Erstellung des Gutachtens gesetzt worden sei, jedoch kein Hinweis erfolgt sei, dass durch eine Verzögerung das Gutachten nicht honoriert werden könnte. Da auf diesen Umstand nicht hingewiesen worden sei, sei die Kürzung nicht rechtens. Im Übrigen sei der 6-Monatszeitraum nur um wenige Tage überschritten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte und die beigezogene Akte L 8 R 1756/22 Bezug genommen.
II.
Gemäß § 4 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG) entscheidet der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Kostensachen zuständige 10. Senat durch die Einzelrichterin. Gründe für eine Übertragung des Verfahrens auf den Senat liegen nicht vor.
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse dies beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält. Vorliegend ist schon unabhängig von einem Antrag die gerichtliche Festsetzung als angemessen anzusehen angesichts des in Betracht kommenden Wegfalls der Vergütung (vgl. Weber in Toussaint, Kostenrecht, 54. Aufl., JVEG, § 8a Rn. 67; Bleutge in BeckOK Kostenrecht, Stand 01.07.2024, JVEG, § 8a Rn. 10a).
Der Vergütungsanspruch ist im vorliegenden Fall nach § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG weggefallen. Nach dieser Vorschrift erhält der Berechtigte eine Vergütung nur insoweit, als seine Leistung bestimmungsgemäß verwertbar ist, wenn er eine mangelhafte Leistung erbracht hat und er die Mängel nicht in einer von der heranziehenden Stelle gesetzten angemessenen Frist beseitigt; die Einräumung einer Frist zur Mängelbeseitigung ist entbehrlich, wenn die Leistung grundlegende Mängel aufweist oder wenn offensichtlich ist, dass eine Mängelbeseitigung nicht erfolgen kann.
Der beauftragte Sachverständige handelt nicht im Rahmen eines Dienst- oder Werkvertrags. Seine Vergütung bezieht sich nicht auf ein Werk, sondern auf seine Tätigkeit als Gehilfe des Gerichts. Zivilrechtliche Regelungen über Leistungsstörungen oder Mängelhaftung sind hierauf nicht anwendbar. Deshalb sind sachliche Richtigkeit und Überzeugungskraft eines Sachverständigengutachtens kein Maßstab für die Vergütung der Tätigkeit des Sachverständigen. Es kommt lediglich darauf an, dass diese Leistung überhaupt erbracht worden ist, nicht aber darauf, wie das Gericht oder die Parteien das Gutachten inhaltlich beurteilen.
Der Vergütungsanspruch ist gemäß § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG aber ausnahmsweise dann zu versagen, wenn das Gutachten wegen objektiv feststellbarer Mängel unverwertbar ist und das Gutachten deshalb im Prozess auch tatsächlich unberücksichtigt bleibt (Oberlandesgericht - OLG - Frankfurt 04.11.2022, 13 W 43/22; OLG Düsseldorf 05.09.2019, 10 W 104/19; Verwaltungsgerichtshof - VGH - Baden-Württemberg 27.08.2012, 2 S 1538/12). Soweit das Gericht die Leistung berücksichtigt, gilt sie nach § 8a Abs. 2 Satz 2 JVEG als verwertbar. Im Kern geht es um eine Schlechtleistung dergestalt, dass die Tätigkeit, die der Sachverständige als Gehilfe des Gerichts zu erbringen hat, objektiv feststellbare Defizite - z.B. in Gestalt einer unvollständigen, (methodisch) offensichtlich grob fehlerhaften oder aus formellen Gründen unzulänglichen Leistung - aufweist, und die zu deren gänzlicher oder teilweiser Unverwertbarkeit führen, weil sie sich nicht als Basis für die zu treffende Entscheidung eignet (vgl. dazu Weber in Toussaint, a.a.O. Rn. 50 f.; Bleutge in BeckOK Kostenrecht, a.a.O. Rn. 10; Pannen/Simon in NK-GK, 2. Aufl., JVEG, § 8a Rn. 8, jeweils m.w.N.). Dies erfordert nach überwiegender Auffassung weder eine Pflichtverletzung noch ein Verschulden des Anspruchsberechtigten, denn Absatz 5 („Die Absätze 3 und 4 sind nicht anzuwenden, wenn der Berechtigte die Verletzung der ihm obliegenden Hinweispflicht nicht zu vertreten hat“) bezieht sich ausdrücklich nicht auf den hier einschlägigen Absatz 2 (OLG Brandenburg 03.08.2022, 11 W 17/22; OLG Naumburg 27.12.2019, 12 W 72/19; OLG Düsseldorf 24.05.2018, 10 W 63/18; Weber in Toussaint, a.a.O., Rn. 51; Schneider, JVEG, 4. Aufl., § 8a Rdn. 11; differenzierend OLG Bamberg 27.06.2022, 2 WF 79/22: Grundlage des Verzichts auf ein gesondertes Verschuldenserfordernis ist die § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG immanente gesetzliche Vermutung, dass die mangelhafte Leistung auf einem verschuldeten Verstoß des Sachverständigen gegen seine Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Erstellung des Gutachtens beruht; a.A. Hartmann in Hartmann, Kostengesetze online, 4. Lieferung, JVEG § 8a Rn. 4 ff.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Gutachten des Sachverständigen insgesamt unverwertbar und daher nicht zu vergüten. Dies folgt bereits aus der zwischen Untersuchung des Klägers und Abfassung des Gutachtens verstrichenen Zeit. Da dieser Mangel auch nicht mehr behoben werden kann, war dem Sachverständigen keine Nachfrist zur Mängelbeseitigung zu setzen. Das Gutachten ist schließlich im Verfahren L 8 R 1756/22 auch tatsächlich nicht verwertet worden. Vielmehr hat der Kläger nach einem Hinweis des Gerichts auf den Grundsatz der objektiven Beweislast ungeachtet der Frage der Verwertbarkeit des Gutachtens die Berufung zurückgenommen.
Das Gutachten ist schon deshalb nicht im Wege des Sachverständigenbeweises (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 411 Zivilprozessordnung - ZPO -) als Sachverständigengutachten verwertbar, weil zwischen der Untersuchung des Klägers (12.09.2023) und der Vorlage des schriftlichen Gutachtens (27.03.2024) ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten verstrichen ist (vgl. Senatsurteil vom 14.12.2023, L 10 R 2331/23, nachgehend Bundessozialgericht - BSG - 02. 07.2024, B 5 R 8/24 B; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 118 Rn. 11n). Bei einem derart langen Zeitraum ist - wie beim Richter, der Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten (sic!) nach der Urteilsverkündung schriftlich niedergelegt hat (s. dazu nur Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes - GmS-OGB - 27.04.1993, GmS-OGB 1/92) - typisierend davon auszugehen, dass die Erinnerung des Sachverständigen an die Exploration und den persönlichen Eindruck vom Probanden in Ansehung der bei der Begutachtung gewonnenen Untersuchungsergebnisse - was für die sozialmedizinische Beurteilung unabdingbar ist und gerade deren Kern bildet - mit der Zeit naturgemäß verblassen muss, v.a. bei einem Sachverständigen, der eine Vielzahl von Gutachten erstattet und es allein deswegen auch mit einer Vielzahl von Probanden zu tun hat (vgl. auch Ziff. 4.9 der AWMF-Leitlinie „Allgemeine Grundlagen der medizinischen Begutachtung“, Überarbeitungsstand: 01/2019, wonach eine zu lange Zeit zwischen Untersuchung und Gutachtenabfassung die Aussagekraft des Gutachtens in Frage stellen kann).
Damit hat der Sachverständige gegen seine Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Erstellung des Gutachtens verstoßen. Angesichts der wiederholten Nachfragen und Fristsetzungen des Gerichts, auf die der Sachverständige nicht reagiert hat, liegt auch ein verschuldeter Verstoß gegen die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Erstellung des Gutachtens vor. Es bedarf daher vorliegend keiner Entscheidung, ob grundsätzlich ein gesondertes Verschulden des Sachverständigen bei Erfüllung des Tatbestands von § 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 JVEG erforderlich ist oder ggf. das gesetzlich vermutete Verschulden widerlegt werden kann.
Schließlich beruht das Entfallen der Vergütung auch nicht auf einer unzulänglichen Anleitung des Sachverständigen durch das Gericht gemäß § 202 SGG i.V.m. § 404a ZPO, die einen vollständigen Wegfall der Vergütung als unbillig erscheinen lassen könnte (vgl. OLG Celle 11.05.2015, 2 W 229/15; Jahnke/Pflüger, JVEG, 28. Aufl., § 8a Rn. 14). Vielmehr ist der Sachverständige nicht nur mehrfach an die Abgabe des Gutachtens erinnert, sondern sogar ausdrücklich auf die vergütungsrechtliche Konsequenz eines möglichen Wegfalls der Vergütung angesichts des Zeitablaufs zwischen Untersuchung und Erstellung des Gutachtens hingewiesen worden. Es bedarf in der vorliegenden Konstellation daher ebenfalls keiner Entscheidung, ob ein derartiger Hinweis des Gerichts überhaupt zu fordern ist oder es nicht vielmehr im Hinblick auf die auch in der zitierten Leitlinie genannten Qualitätsanforderungen ohnehin vom Gutachter ohne weitere Anleitung erwartet werden kann, das Gutachten möglichst zeitnah zur Untersuchung zu erstatten.
Nur ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass auch bei Verwertbarkeit des Gutachtens lediglich eine Vergütung i.H.v. 2.200 € in Betracht gekommen wäre, da der Sachverständige den angeforderten Vorschuss erheblich, namentlich um 34 %, überschritten und hierauf schuldhaft nicht rechtzeitig hingewiesen hat (§ 8a Abs. 4 JVEG; vgl. OLG Hamm 07.02.2024, 25 W 305/23; Senatsbeschluss vom 31.05.2023, L 10 SF 972/23 E).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).