L 12 P 62/23

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
1. Instanz
SG Bremen (NSB)
Aktenzeichen
S 25 P 38/20
Datum
2. Instanz
LSG Niedersachsen-Bremen
Aktenzeichen
L 12 P 62/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts {A.} vom 21.8.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Herabsetzung von Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung.

Die im Jahr {K.} geborene, bis Oktober 2021 im eigenen Haushalt lebende Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich pflegeversichert. Sie leidet u.a. an einer Stenose des Spinalkanals mit Taubheitsgefühl und Verlust der Gehfähigkeit, einer Arthritis der Füße, einem metabolischen Syndrom bei Adipositas Grad III, Unterschenkel- und Lymphödemen, insulinpflichtigem Diabetes Mellitus Typ 2, Neurodermitis, chronischer Niereninsuffizienz sowie einer depressiven Verstimmung. Sie ist mit einem Rollstuhl versorgt und lebt nach dem Tod ihres Ehemannes seit November 2021 in einem Pflegeheim.

Bis zum 31.12.2016 bezog die Klägerin Leistungen bei häuslicher Pflege im Umfang der (damaligen) Pflegestufe 2. Zum 1.1.2017 erfolgte entsprechend § 140 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1b SGB XI eine Überleitung in den Pflegegrad 3. Aufgrund eines Höherstufungsantrags bewilligte die Beklagte auf der Grundlage eines Gutachtens der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) vom 23.5.2017 zum 1.3.2017 Leistungen der Pflegeversicherung entsprechend dem Pflegegrad 4 (Bescheid vom 22.6.2017).

Die Gutachterin (Pflegefachkraft {L.}) war in dem o.g. Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass der Hilfebedarf der Klägerin seinerzeit insgesamt 71,25 gewichtete Punkte (gewP) erreicht habe. Die Einzelmodule nach § 14 Abs. 2 SGB XI stellten sich wie folgt dar:

1. Mobilität: 7,5 gewP

(Positionswechsel im Bett, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs: überwiegend unselbständig, Treppensteigen: unselbständig)

2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: 0 gewP

3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: 7,5 gewP

(Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage: häufig)

4. Selbstversorgung: 30 gewP

(Körperpflege im Bereich des Kopfes: überwiegend selbständig, Waschen des vorderen Oberkörpers, Duschen/Baden, An- und Auskleiden des Oberkörpers, mundgerechte Zubereitung der Nahrung und Eingießen von Getränken: überwiegend unselbständig, Waschen des Intimbereichs, An- und Auskleiden des Unterkörpers, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma: unselbständig)

5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: 15 gewP

6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: 11,25 gewP

(Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfeldes: überwiegend selbständig, Ruhen und Schlafen: überwiegend unselbständig). 

Im Zuge einer Wiederholungsbegutachtung schätzte der MDK-Gutachter (Pflegefachkraft Groeschl) nach einem Hausbesuch bei der Klägerin am 29.11.2018 mit Gutachten vom 6.12.2018 deren Hilfebedarf für die täglichen Verrichtungen der Grundpflege auf nur noch 28,75 gewP ein (Modul 1: 5 gewP; Module 2/3: 0 gewP; Modul 4: 20 gewP; Modul 5: 0 gewP; Modul 6: 3,75 gewP). Der Klägerin, die den Faustschluss beidseits habe durchführen können, sei es möglich gewesen, ein Glas oder eine Tasse sicher zu greifen und zum Mund zu führen, Verschlüsse zu öffnen und zu schließen sowie Messer und Gabel zu benutzen. Sie habe angegeben, Speisen und Getränke selbständig einnehmen zu können. Die mundgerechte Zubereitung fester Speisen sei nur anteilig möglich, ab und zu rutsche ihr wegen Taubheit das Besteck aus der rechten Hand. Die Position im Bett könne – anders als noch in der Vorbegutachtung - selbständig verändert werden. Das Aufstehen aus dem Sitzen gelinge mit geringer personeller Hilfe, das Stehen funktioniere eigenständig mit Festhalten am Mobiliar bzw. durch Nutzung eines Hilfsmittels. Die Fortbewegung im Rollstuhl erfolge innerhalb der Wohnung selbständig. Eine Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage bestehe aktuell nicht. Die Klägerin habe sich rege am Begutachtungsgespräch beteiligt und angegeben, sich eigenständig unter Berücksichtigung der körperlichen Einschränkungen beschäftigen zu können. Die Blutzuckermessungen und Injektionen erfolgten selbständig. Ein Verbandwechsel sei nicht erforderlich. Therapiemaßnahmen wie Physiotherapie in der häuslichen Umgebung fänden nicht statt. Die Gestaltung des Tagesablaufs, das Sichbeschäftigen und das Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen gelängen selbständig. Dies gelte auch für die Interaktion und Kontaktpflege mit Dritten.

Mit Bescheid vom 25.3.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.4.2020 hob die Beklagte den Bescheid vom 22.6.2017 im Wege des § 48 SGB X wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die bei dem Erlass des Dauerverwaltungsaktes vorlagen, nach Anhörung der Klägerin auf und beendete die Leistungsgewährung nach Pflegegrad 4 zum 30.4.2019. Zur Begründung bezog sie sich auf ein weiteres, nach Aktenlage erstelltes MDK-Gutachten vom 4.3.2019, das sich dem Vorgutachten vollumfänglich angeschlossen hatte. Die Armbeweglichkeit, die Greifkraft der Hände sowie die zuvor eingeschränkte Feinmotorik hätten sich bei der Klägerin aufgrund regelmäßiger Durchführung der Physiotherapie gegenüber Mai 2017 deutlich verbessert. Hieraus resultiere ein höherer Grad der Selbständigkeit. Auch im Bereich der Mobilität (u.a. beim Positionswechsel im Bett, beim Umsetzen und beim Fortbewegen innerhalb der Wohnung mit dem Rollstuhl) habe die Klägerin einen geringeren Hilfebedarf. Mit weiterem Bescheid vom 25.3.2019 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 1.5.2019 Pflegegeld entsprechend dem Pflegegrad 3.

Die Klägerin hat gegen den Aufhebungsbescheid am 15.5.2020 Klage vor dem Sozialgericht (SG) {A.} erhoben. Zur Begründung hat sie unter späterer Vorlage einer Stellungnahme ihres Hausarztes {M.} vom 14.2.2023 im Wesentlichen geltend gemacht, dass eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen nicht eingetreten sei. Ihr körperlicher Zustand habe sich nicht gebessert.

Das SG hat zunächst Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt (Fachärztin für Innere Medizin {N.} vom 7.12.2020, Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie {O.} vom 18.12.2020, Facharzt für Innere Medizin {P.} {Q.} vom 21.1.2021, Hautärztin {R.}, vom 16.3.2021, Hautärztin {S.} vom 26.4.2021) und sodann ein Gutachten der Pflegesachverständigen {T.} vom 4.12.2021 (mit ergänzender Stellungnahme vom 24.8.2022) eingeholt. Die Sachverständige ist nach persönlicher Untersuchung der Klägerin in ihrer häuslichen Umgebung am 31.8.2021 zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin zur Zeit des Hausbesuchs des MDK im November 2018 mit 46,25 gewP (Modul 1: 5 gewP; Modul 2: 0 gewP; Modul 3: 7,5 gewP, Modul 4: 20 gewP, Modul 5: 10 gewP; Modul 6: 3,75 gewP) den Pflegegrad 2 erreicht habe. Der Hilfebedarf der Klägerin habe sich zwischen Juni 2017 und April 2019 wesentlich verringert. Anlässlich der Begutachtung im Mai 2017 habe die Klägerin noch - möglicherweise nur vorübergehend - Hilfe bei der Blutzuckermessung, dem Verwenden des Insulinpens, dem Zerkleinern fester Nahrung und dem Einschenken von Getränken benötigt. Ebenso habe sie sich damals nur mit Hilfe lagern und umsetzen können. Das Schieben des Rollstuhls sei hilfebedürftig gewesen. Die Klägerin habe viel Hilfe beim Waschen des Oberkörpers und der mundgerechten Zubereitung benötigt. Warum ihre Feinmotorik und Handkraft seinerzeit nicht mehr Mitarbeit bei einzelnen Verrichtungen zugelassen habe, sei kaum mehr prüfbar. Der Hilfebedarf, der aus Einschränkungen der oberen Extremitäten resultiere, habe seinerzeit möglicherweise nur kurzfristig bestanden. Im Mai 2017 habe die Klägerin an einer Harninkontinenz gelitten, die mit Vorlagen versorgt war, welche sie nicht ohne Hilfe wechseln konnte. Die Versorgung offener Hautstellen mit freiverkäuflicher Salbe und Stofftüchern sei nicht richtlinienkonform angerechnet worden. Die durch einen Therapeuten im Hausbesuch erfolgte physikalische Therapie sei nicht im Modul 5 (Ziffer 4.5.12) zu werten. Nach April 2019 bis zum Hausbesuch der Sachverständigen (31.8.2021) habe sich der Hilfebedarf leicht verändert. Die Klägerin habe, da sich ihre Mobilität dauerhaft verschlechtert habe und sie weiter an Körpergewicht zugenommen habe, zusätzlich Hilfe bei der Lagerung im Bett (unselbständig), dem Umsetzen (überwiegend unselbständig) und dem Fortbewegen innerhalb der Wohnung (unselbständig) benötigt. Aktuell ergäben sich daher 10 gewP im Modul 1. Eine stabile Sitzposition habe sie eigenständig halten können, das Treppensteigen sei bereits in den Vorgutachten als unselbständig bewertet worden. Die oberen Extremitäten seien weiterhin gut beweglich gewesen und auch zweckmäßig eingesetzt worden. Aktuell würden daher 51,25 gewP erreicht. Bei den pflegebegründenden Erkrankungen der Klägerin handele es sich, wenn der Lebensstil bezüglich Ernährung sowie Bewegung nicht gravierend verändert werde, durchweg um chronische und fortschreitende Erkrankungen. Aufgrund des Fortschreitens der Grunderkrankungen sei es unwahrscheinlich, dass der Hilfebedarf der Klägerin 2019 höher gewesen sei, als bei dem Hausbesuch im August 2021. Das Körpergewicht der Klägerin sei seit November 2018 deutlich gestiegen (etwa um 15-20 kg). Allein dies gehe in der Regel mit einer verschlechterten Mobilität einher.

Ab dem 1.4.2023 bewilligte die Beklagte der Klägerin erneut Leistungen im Umfang von Pflegegrad 4.

Mit Urteil vom 21.8.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die angefochtenen Bescheide zutreffend auf eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse gem. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt. Selbst für den Fall, dass die ursprüngliche Bewilligung einer Pflegeleistung rechtswidrig gewesen sei, schließe dies die spätere Aufhebung der Leistung nicht aus, wenn sich der Hilfebedarf so deutlich reduziert habe, dass die Voraussetzungen dieses Pflegegrades eindeutig nicht mehr vorgelegen haben (Verweis auf Bundessozialgericht –BSG-, Urteil vom 7.7.2005 – B 3 P 8/04 R –, Landessozialgericht –LSG- Niedersachsen Bremen, Urteil vom 27.11.2013 – L 15 P 86/11). Hiervon sei im Fall der Klägerin auszugehen: Die Kammer folge der schlüssigen und plausiblen Bewertung der Sachverständigen {T.}, wonach die Klägerin ab dem 1.5.2019 nur noch 46,25 gewP erreicht habe. Jedenfalls ein Herabsinken auf unter 70 gewP – und damit auf die auch weiterhin erfolgte Leistungsgewährung (nur) nach dem Pflegegrad 3 - stehe fest. Bei der Klägerin lasse sich gegenüber dem Hilfebedarf im Mai 2017 eine Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen feststellen, nämlich eine Verbesserung in der Feinmotorik und der Armbeweglichkeit, welche den Hilfebedarf im Bereich der Selbstversorgung verringert habe. Auch im Bereich der Mobilität habe die Klägerin Ende 2018 eine Verbesserung, etwa bei der Nutzung des Rollstuhls, gezeigt. Dieser habe - auch nach eigenen Angaben - in der Wohnung nun selbständig bewegt werden können, sodass der Hilfebedarf bei der Fortbewegung im Wohnbereich nur noch als überwiegend selbständig zu bewerten sei. Bereits die Veränderung im Bereich der Fortbewegung innerhalb des Wohnbereichs führe zu einem Absinken der gewichteten Punkte auf unter 70, da dann im Modul 1 nur noch 5 gewP statt 7,5 gewP erreicht würden.

Gegen das ihr am 21.9.2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.10.2023 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, das seit Mai 2017 keine Verbesserung ihres gesundheitlichen Zustandes und ihres Hilfebedarfes eingetreten sei. {U.} habe in seinem Befundbericht vom 21.1.2021 nach Hausbesuchen vielmehr festgehalten, dass ihr Allgemeinzustand sich in den letzten Jahren ständig verschlechtert habe und sie wegen einer Einschränkung der Feinmotorik der Hände Hilfe beim Stellen der Medikamente benötige. Des Weiteren habe er beschrieben, dass sie zu keiner eigenen Fortbewegung in der Lage sei. Den Rollstuhl könne sie wegen ihres Übergewichtes und der aufgehobenen Feinmotorik nicht bedienen. Im Rahmen der Selbstversorgung könne sie sich nur noch das Gesicht selber waschen und sei ansonsten völlig auf Fremdpflege angewiesen. Des Weiteren habe der Arzt von ihrer starken Vergesslichkeit und den depressiven Verstimmungszuständen berichtet.

beantragt,

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts {A.} vom 21.8.2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.3.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.4.2020 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

                     die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf ihr Vorbringen in der Vorinstanz und hält das Urteil des SG für zutreffend.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorlegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

II.

Der Senat konnte die Berufung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG zurückweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden vorher zu dieser Verfahrensweise gehört.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 25.3.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.4.2020 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Voraussetzungen für die Herabstufung in einen niedrigeren Pflegegrad ergeben sich vorliegend aus der Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist. Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin vor. Bei dem seitens der Beklagten mit den o.g. Bescheiden aufgehobenen Leistungsbescheid vom 22.6.2017 handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl. Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., Stand: 15.11.2023, § 48 SGB X Rn. 53 m.w.N.). Belastbare Anhaltspunkte für dessen Rechtswidrigkeit, z.B. wegen einer mit dem MDK-Gutachten vom 23.5.2017 zu hoch eingeschätzten Pflegebedürftigkeit, bieten sich dem Senat nicht und werden seitens der Klägerin auch nicht vorgetragen, sodass die Vertrauensschutzregelung des § 48 Abs. 3 SGB X (lediglich „Abschmelzung“ des zu Unrecht erlangten Vorteils) vorliegend nicht einschlägig ist. Darüber hinaus ist aber § 48 Abs. 1 SGB X im Bereich der Pflegeversicherung auch auf von Anfang an rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte anwendbar, wenn sich die maßgebenden tatsächlichen, vorliegend die Pflegebedürftigkeit der Klägerin begründenden, Verhältnisse wesentlich geändert haben (BSG, Urteil vom 7.7.2005 – B 3 P 8/04 R –, juris Rn. 24). Hiervon ist vorliegend auszugehen.

Der dem Bescheid der Beklagten vom 22.6.2017 zugrundeliegende Hilfebedarf, wie er aus dem Pflegegutachten vom 23.5.2017 hervorgeht, hat sich zur Überzeugung des Senats aufgrund der Begutachtung durch den MDK am 29.11.2018 (Gutachten vom 6.12.2018) zum maßgeblichen Zeitpunkt (30.4.2019) als wesentlich geändert dargestellt. Zu vergleichen sind gem. § 48 Abs. 1 SGB X die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft wurden, vorhanden waren (BSG, a.a.O, Rn. 19). Eine derartige Änderung ist nicht bereits dann anzunehmen, wenn bei unveränderten tatsächlichen Verhältnissen lediglich eine abweichende Beurteilung des resultierenden Hilfebedarfs vorgenommen wird. Dabei ist zu beachten, dass die Beklagte, die sich auf eine Änderung der Verhältnisse beruft, grundsätzlich die objektive Beweislast hierfür trägt, also für eine (positive) Abweichung des späteren Zustands von dem früheren. Die Annahme einer „wesentlichen" Änderung setzt zunächst voraus, dass überhaupt eine Änderung der Verhältnisse feststellbar ist. Dabei besteht insbesondere keine allgemeine Beweisvermutung des Inhalts, dass die Verwaltung ihre ursprüngliche Entscheidung rechtmäßig getroffen hat und dass die dieser Entscheidung zugrundeliegende sachverständige Feststellung des Grundpflegebedarfs zutreffend war (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 8.5.2018 – L 6 P 3/13 –, juris Rn. 33 f.).

Hiervon ausgehend liegt im Fall der Klägerin eine wesentliche Änderung bei deren Hilfebedarfen (vgl. §§ 14, 15 SGB XI) vor. Diese haben sich in der Zeit zwischen dem letzten Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 22.6.2017 und dessen Aufhebung zum 30.4.2019 in einem solchen Maße verringert, dass die Voraussetzung für den Pflegegrad 4 (mindestens 70 gewP) bei Weitem nicht mehr erreicht wurden. Auch der Senat schließt sich hinsichtlich der Einschätzung des Hilfebedarfs zu diesem Zeitpunkt auf allenfalls noch 46,25 gewP den Ausführungen der Sachverständigen {T.} im Wesentlichen an. Diese hat plausibel und im weitgehenden Einklang mit dem MDK-Gutachten vom 6.12.2018 dargelegt, dass die Hilfebedarfe der Klägerin in den Bereichen Selbstversorgung und der Mobilität im November 2018 insbesondere wegen einer Verbesserung in der Feinmotorik und der Armbeweglichkeit nicht unerheblich geringer war als eineinhalb Jahre zuvor im Mai 2017.  Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG, insbesondere auf die zutreffende Darstellung der Rechtsgrundlagen und die ausführliche und überzeugende Darlegung des Hilfebedarfs der Klägerin.

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren gibt keinen Anlass, von dem Ergebnis des erstinstanzlichen Verfahrens abzuweichen. Der Befundbericht des Hausarztes der Klägerin {V.} vom 21.1.2021 wurde bereits im erstinstanzlichen Klageverfahren von der Sachverständigen Haase-Diering bei deren Einschätzung der Hilfebedarfe der Klägerin und – dem folgend - vom SG bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Hinsichtlich der in dem o.g. Befundbericht beschriebenen Beeinträchtigungen der Klägerin in der Feinmotorik der Hände und der Armbeweglichkeit haben sowohl die Sachverständige als auch bereits zuvor der MDK-Gutachter {W.} aufgrund eigener, keinen Anlass zu Zweifeln bietender Beobachtungen sowie der Angaben der Klägerin im Rahmen der Begutachtungen dezidiert dargelegt, dass die Klägerin im November 2018 bzw. im August 2021 -– anders als noch bei der Begutachtung im Mai 2017 – ein die Selbstversorgung (Waschen, Essen und Trinken) weitgehend ermöglichendes Greifvermögen der Hände hatte, sich z.B. eigenständig die Hände, das Gesicht, den vorderen Oberkörper und die Arme waschen, Einmalhandschuhe aus Gummi anziehen und Getränke sowie Messer und Gabel greifen konnte, und auch von der Armbeweglichkeit her in der Lage war, sich mit dem Rollstuhl überwiegend selbständig innerhalb der Wohnung fortzubewegen. Die Klägerin, die überwiegend kontinent war und nicht mehr mit Vorlagen versorgt werden musste, konnte außerdem die Lagerungspositionen im Bett wechseln, sich eigenständig auf die Bettkante setzen und die Sitzposition (sowohl auf der Bettkante als auch dem Toilettenstuhl) stabil halten. Freies Sitzen war möglich. Es bestand eine Kopf- und Rumpfkontrolle und das Stehen gelang mit Festhalten am Mobiliar bzw. der Nutzung eines Hilfsmittels. Bereits aus diesen Änderungen im Hilfebedarf ergibt sich eine Reduzierung um 2,5 gewP im Modul 1 und um 10 gewP im Modul 4, d.h. insgesamt auf nur noch den Pflegegrad 3 rechtfertigende 58,75 gewP.

Zudem fand sich bei der Begutachtung der Klägerin durch den MDK im November 2018 die zuvor im Gutachten vom 23.5.2017 im Modul 3 beschriebene Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage (Ziffer 4.3.11) nicht (mehr), woraus sich eine weitere Reduzierung um 7,5 gewP ergibt. Nach den einschlägigen Begutachtungsrichtlinien („Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuches“ - BRi) liegt eine Antriebslosigkeit als sehr schwere Form der Antriebsstörung bei depressiver Stimmungslage erst dann vor, wenn die zu pflegende Person kaum Interesse an der Umgebung hat, kaum Eigeninitiative aufbringt und eine aufwendige Motivierung durch andere benötigt, um etwas zu tun. Nach den nachvollziehbaren Feststellungen des o.g. MDK-Gutachters spricht im Fall der Klägerin mehr für das Vorliegen allenfalls einer Antriebsstörung in Form von Antriebschwäche, -mangel oder –armut - all dies sind lediglich Vorstufen der Antriebslosigkeit. Die sich diesbezüglich in dem MDK-Gutachten vom 6.12.2018 findende Feststellung, dass sich die Klägerin rege am Begutachtungsgespräch beteiligte und angab, sich eigenständig zu beschäftigen, veranschaulicht dies nachvollziehbar. Eine Depression oder Psychose wurden bei der sich bislang nicht in psychiatrischer Behandlung befindenden Klägerin zudem nicht diagnostiziert. Soweit {U.} bezogen auf den psychischen Zustand der Klägerin im Januar 2021 von starker Vergesslichkeit und depressiven Verstimmungszuständen der Klägerin berichtete, wurde dies in dem letztgenannten MDK-Gutachten ebenso wenig festgestellt, wie Einschränkungen im Bereich der kognitiven Fähigkeiten. Die Sachverständige {T.} hat in ihrem Gutachten (auf S. 9) insofern lediglich festgehalten, dass die Klägerin bei der Begutachtung im August 2021 depressiv verstimmt gewesen sei und mehrfach geweint habe. In ihrer ergänzenden Stellungnahme (S. 10) räumt sie insofern auch ein, dass eine hilfsbedürftige Antriebslosigkeit fraglich sei, und verweist als Kriterium für einen aufwändigen Motivationsbedarf wenig überzeugend auf die Angabe der Klägerin, oftmals schmerzbedingt ungern das Bett zu verlassen. Ein häufiger aufwändiger Motivationsbedarf für die Pflegeperson resultiert hierdurch jedoch nicht. Die von der Sachverständige mit 7,5 gewP berücksichtigte Hilfebedarf wegen häufiger (zweimal bis mehrmals wöchentlich) auftretender Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage vermag der Senat insofern nicht zu teilen.

Angesichts der sich hiernach ab November 2018 ergebenden Pflegebedürftigkeit in einem Umfang von nur noch 51,25 gewP erübrigt sich ein Eingehen auf weitere Verringerungen von Hilfebedarfen zwischen Mai 2017 und April 2019 in den Modulen 5 und 6, wo sich u.a. im Hinblick auf die eigenständige Blutzuckermessung mit anschließender Insulingabe und Medikamenteneinnahme sowie der Fähigkeit der Klägerin, sinnvolle Tätigkeiten nach ihren Vorstellungen zu planen und auszuführen, nach den Feststellungen des Gutachters {W.} eine weitere Reduzierung um 22,5 gewP bzw. der Sachverständigen {T.} um 11,5 gewP ergab.

Die für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit (allein) maßgeblichen gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit bzw. der Fähigkeiten der Klägerin i.S. von § 14 Abs. 2 SGB XI sind durch die seitens der Beklagten veranlassten Gutachten, die zur Akte gelangten ärztlichen Berichte und Stellungnahmen und das vom SG eingeholte Sachverständigengutachten nebst ergänzender Stellungnahme erschöpfend ermittelt und dokumentiert. Der Senat sieht sich insofern nicht zu einer ergänzenden Sachverhaltsaufklärung durch Einholung weiterer pflegefachlicher und/oder medizinischer Gutachten oder Stellungnahmen veranlasst.

Die Berufung war nach alledem vollumfänglich zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
Saved