L 7 R 3410/20

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 3696/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 3410/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Juli 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch in der Berufungsinstanz nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten einer Ausbildung zur Ergotherapeutin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Die 1987 geborene Klägerin, bei der ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt und der das Merkzeichen G zuerkannt ist, hat nach Erwerb der allgemeinen Hochschulreife im Jahr 2010 und einer Tätigkeit als Au-Pair eine Ausbildung zur Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistungen von September 2012 bis Januar 2015 absolviert. In diesem Beruf war sie bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit wegen Multipler Sklerose (MS), Depressionen und Neurodermitis (vgl. Bescheinigung der T1 Krankenkasse vom 7. Juli 2018, Bl. 1 Verw.-Akte) am 4. Mai 2015 erwerbstätig, wobei das Arbeitsverhältnis im August 2015 endete. Nach Aussteuerung aus dem Krankengeldbezug am 31. Oktober 2016 erhielt die Klägerin im Anschluss bis Dezember 2017 Arbeitslosengeld.

Nach einem ersten Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Jahr 2016, der von der Beklagten mangels Erfüllung (renten-)versicherungsrechtlicher Voraussetzungen an die Bundesagentur für Arbeit weitergeleitet worden war, absolvierte die Klägerin in der Zeit vom 30. Mai 2017 bis zum 11. Juli 2017 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der W1-Klinik W2. Nach dem dortigen Entlassungsbericht vom 1. August 2017 (Bl. 37/42 Verw.-Akte) bestehe bei der Klägerin eine MS mit vorherrschend schubförmigem Verlauf (ICD-10: G35.11), eine Harnblasenlähmung bei Schädigung des oberen motorischen Neurons (ICD-10: G95.80), eine leichte kognitive Störung (ICD-10: F06.7) und ein atopisches (endogenes) Ekzem, nicht näher bezeichnet (ICD-10: L20.9). In der letzten Tätigkeit als Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistungen betrage das zeitliche Leistungsvermögen unter drei Stunden arbeitstäglich. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin leichte bis mittelschwere Tätigkeiten zeitweise im Stehen und im Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tagesschicht sowie unter Berücksichtigung von Einschränkungen der psychomentalen und bewegungsbezogenen Funktionen sechs Stunden und mehr arbeitstäglich ausüben. Als konkrete qualitative Einschränkungen wurden keine Nachtarbeit, keine häufig wechselnden Arbeitszeiten, keine besonderen Anforderungen an die Sehkraft, an das Gleichgewicht, keine Wärme und keine Monotonie benannt.

Am 11. Juli 2017 beantragte die Klägerin erneut bei der Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Förderung einer Ausbildung zur Ergotherapeutin. Gesundheitlich stehe bei ihr derzeit eine Kraftminderung im rechten Bein, ein Verschwommensehen bei langer PC-Tätigkeit sowie das Gleichgewicht im Vordergrund. Ergänzend legte die Klägerin Unterlagen vor. Nach einer Praktikumsbescheinigung der Praxis für Ergotherapie Y1 B1 vom 9. August 2016 über ein von der Klägerin im Juli 2016 durchgeführtes vierwöchiges Praktikum (Bl. 22 Verw.-Akte) und einer Stellungnahme der C1 L1, Ergotherapie E1, M1, vom 23. Mai 2017 (Bl. 27 Verw.-Akte) spreche nichts gegen eine Ausbildung der Klägerin zur Ergotherapeutin. Die E2, Praxis für Ergotherapie und Prävention in H1, befürwortete mit Stellungnahme vom 12. September 2016 (Bl. 26 Verw.-Akte) die angestrebte Umschulung ebenso wie die B2, Psychotherapeutisches Zentrum C2 MVZ GmbH in H1, mit deren Attest vom 13. September (ohne Jahresangabe, Bl. 24 Verw.-Akte), welche als Diagnose auf psychiatrischem Gebiet eine schwere depressive Episode (ICD-10: F32.2) benannte. Die Psychologische Psychotherapeutin, ebenfalls Psychotherapeutisches Zentrum C2, berichtete unter dem 14. September 2016 (Bl. 23 Verw.-Akte), dass im Verlauf der Einzelbehandlung ein Rückgang der depressiven Symptomatik – wobei sie die ICD-10-Codierung F32.1, mithin eine mittelgradige depressive Episode, angab – sowie eine steigende psychische Belastbarkeit und eine deutlich verbesserte Krankheitsverarbeitung habe beobachtet werden können. Die Klägerin sei hochmotiviert, engagiert und ehrgeizig bemüht, ihr Leistungsvermögen wiederherzustellen. Die Schulleitung der SRH Fachschule für Ergotherapie H2 teilte mit Stellungnahme vom 22. Mai 2017 (Bl. 25 Verw.-Akte) mit, dass die Klägerin nach dortiger Sicht für den Beruf der Ergotherapeutin geeignet sei. Die Physiotherapeutin H3 führte in ihrem Bericht vom 6. Oktober 2016 aus, dass die Klägerin seit Juli 2015 mit dem Ziel, das Gleichgewicht zu verbessern, ebenso die allgemeine Kraft in den Beinen, besonders der rechten Seite, die Spastik in den Beinen zu hemmen und zu verbessern sowie der Erhaltung des Gangbildes behandelt worden sei. Durch die Physiotherapie habe eine Stabilisation der genannten Symptome erreicht werden können.

Nach dem – im Vorfeld der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in W2 von der Beklagten eingeholten – Befundbericht des behandelnden K1 vom 23. Mai 2017 sei die MS die Hauptdiagnose und die maßgeblichen Beschwerden eine schnelle Erschöpfung, Müdigkeit, Koordinationsstörungen, Gleichgewichtsstörungen sowie kognitive Einschränkungen, wobei er diese Beschwerden als leicht- bis mittelgradig einstufte (Bl. 30/31 Verw.-Akte).

Mit Bescheid vom 23. November 2017 (Bl. 47 Verw.-Akte) bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach.

Nach einem Gespräch mit einer Reha-Beraterin der Beklagten am 14. Dezember 2017 übersandte die Klägerin mit Schreiben vom 26. März 2018 eine Stellungnahme zu ihrem Umschulungswunsch zur Ergotherapeutin (Bl. 57/58 Verw.-Akte) sowie ärztliche Berichte und ein im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit erstelltes Gutachten der L2 (Bl. 62/63 Verw.-Akte). Diese führte unter dem 16. Mai 2017 aus, dass sich der bevorzugte Berufswunsch Ergotherapie intellektuell voraussichtlich realisieren lassen würden. Die Belastbarkeit dafür sei im Einzelnen schwer einzuschätzen und hänge vom weiteren Krankheitsverlauf mit ab. Nach dem Bericht des K1 vom 17. Mai 2017 über eine Untersuchung am 16. Mai 2017 zeige sich im Rahmen der bekannten MS-Erkrankung eine schnelle Erschöpfung und Müdigkeit. In der Koordination zeige sich im Hacke-Knie-Versuch ein Intensionstremor beidseits und eine Instabilität in Romberg-Position. Nach einem weiteren Bericht des K1 vom 1. März 2018 hätten sich keine Paresen eruieren lassen, die Kraftentfaltung im rechten Bein sei, so wie am linken Bein, regelrecht, sonst zeige sich im Vergleich zur Voruntersuchung vom 16. Mai 2017 bis auf die genannte leichte Besserung ein unveränderter Befund.

Mit Bescheid vom 16. April 2018 – unter Bezugnahme auf den 26. März 2018 als Antragsdatum – lehnte die Beklagte die Förderung einer Umschulung zur Ergotherapeutin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. In Anbetracht des Leistungsprofils bezüglich des avisierten Berufswunsches seien pädagogische sowie therapeutische Tätigkeiten zu vermeiden bzw. auszuschließen. Ferner werde die Umschulung abgelehnt, da eine Ausbildung in der Regel bei ganztägigem Unterricht nicht länger als zwei Jahre dauern solle. Keinesfalls werde die hohe Motivation der Klägerin verkannt, jedoch könne allein der Wunsch oder die Neigung eines Versicherten die Beklagte nicht zur Erbringung einer Leistung verpflichten.

Auf den Widerspruch der Klägerin vom 3. Mai 2018 holte die Beklagte zunächst, neben bereits bekannten oder aus dem Jahr 2015 stammenden ärztlichen Berichten, einen weiteren Befundbericht des K1 vom 1. August 2018 ein, in welchem dieser mitteilte, dass aktuell keine Beschwerden oder Funktionsbeeinträchtigungen bestünden bei stabilem Gesundheitszustand. Es komme jedoch zu Konzentrationsstörungen und Verschwommensehen bei Multitasking und längerer PC-Arbeit. Mit Stellungnahme vom 4. September 2018 (Bl. 73 Verw.-Akte) führte der Beratungsarzt S1 aus, dass als Ergotherapeutin teilweise auch schwere körperliche und psychische Belastungen bei der Arbeit mit chronisch Kranken und Behinderten gegeben seien. Bei dem Leistungsvermögen der Klägerin seien diese Belastungen nicht leidensgerecht, sie könne diesen nicht standhalten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2018 wies die Beklagte insbesondere gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme vom 4. September 2018 den Widerspruch der Klägerin zurück. Unter Berücksichtigung der bestehenden Gesundheitsstörungen sei davon auszugehen, dass die Erwerbsfähigkeit im Beruf der Ergotherapeutin (gemeint wohl: Kauffrau für Spedition und Logistikdienstleistungen – Anm. d. Senats) erheblich gefährdet bzw. gemindert sei. Die Klägerin habe somit dem Grunde nach einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die begehrte Umschulung zur Ergotherapeutin sei jedoch nicht dazu geeignet, die Klägerin dauerhaft beruflich einzugliedern. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben würden wegen MS und leichten kognitiven Störungen für erforderlich gehalten. Mit der Ausbildung zur Ergotherapeutin könne wegen der Gefahr des Wiederauflebens der gesundheitlichen Beschwerden das Ziel der dauerhaften Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nicht erreicht werden. Die Beklagte sei zur Voraussicht verpflichtet, ob die angestrebte Leistung geeignet erscheine, die gefährdete oder geminderter Erwerbsfähigkeit wesentlich zu bessern oder wiederherzustellen. Darüber hinaus bestünden gewisse maximale Förderungsfristen, an die die Beklagte als Kostenträger gebunden sei. Nach § 37 SGB IX würden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Zeit erbracht, die vorgeschrieben oder allgemein üblich sei, um das angestrebte Teilhabeziel zu erreichen. Leistungen für die berufliche Weiterbildung sollten in der Regel erbracht werden, wenn die Leistung bei ganztägigem Unterricht nicht länger als zwei Jahre dauere, es sei denn, dass das Teilhabeziel durch eine länger dauernde Leistung erreicht werden könne oder die Eingliederungsaussichten nur durch eine länger dauernde Leistung wesentlich verbessert würden. Allein der Hinweis auf § 33 Abs. 4 SGB IX, dass Eignung und Neigung für einen Beruf zu berücksichtigen seien, könne nicht automatisch und in jedem Falle zu einer Ausbildungsdauer von mehr als zwei Jahren führen. Unter angemessener Berücksichtigung des bisherigen beruflichen Werdegangs seien keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb die Klägerin nur mithilfe einer länger als zwei Jahre dauernden Maßnahme eingegliedert werden könne. Gerade die bestehenden Berufsförderungswerke böten im Rahmen bis zu einer zweijährigen Ausbildung einen breiten und ausgiebig gestreuten Berufskatalog an. Es seien keine Gründe dafür ersichtlich, weshalb die Klägerin mithilfe der jetzt begehrten Umschulung zur Ergotherapeutin eingegliedert werden könne.

Hiergegen hat die Klägerin am 11. Dezember 2018 Klage beim Sozialgericht M1 (SG) erhoben und die Ausbildungsbescheinigung der SRH Fachschule für Ergotherapie H2 vom 8. Juli 2019 vorgelegt, nach welcher sie seit dem 1. Oktober 2018 bis voraussichtlich 30. September 2021 eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Ergotherapeutin absolviere. Hierbei handele es sich um Vollzeitunterricht. Der Beklagte hat Auszüge aus der Datenbank Berufenet der Bundesagentur für Arbeit bezüglich der Voraussetzungen und Inhalte einer Tätigkeit als Ergotherapeut vorgelegt. Das SG hat K1 als sachverständigen Zeugen befragt, welcher mit Schreiben vom 23. Mai 2019 einen zu seinem Bericht vom 17. Mai 2017 identischen Befund mitgeteilt und hinsichtlich der Befunde, Diagnosen sowie der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit dem Gutachten der L2 vom 16. Mai 2017 und dem Entlassungsbericht der W3 vom 1. August 2017 zugestimmt hat. Vom 19. August 2019 bis zum 16. September 2019 hat die Klägerin in den Kliniken S2 G1 eine von der Beklagten bewilligte stationäre Belastungserprobung durchgeführt. Nach dem dortigen Entlassungsbericht vom 23. September 2019 seien bei der Klägerin eine MS vom schubförmigen Verlaufstyp (ICD-10: G35.10), leichte Einschränkungen der Stand- und Gangsicherheit (ICD-10: R26.8), eine Neurodermitis (ICD-10: L20.8), leichte Einschränkungen des visuellen Gedächtnisses und der Exekutivfunktionen (ICD-10: F06.7) sowie eine visuelle Fatigue (ICD-10: R53) zu diagnostizieren. Für den allgemeinen Arbeitsmarkt werde für eine leichte Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung und ohne hohen Anspruch an die visuelle Ausdauerleistung ein vollschichtiges Leistungsbild gesehen. Als relevante Leistungsbeeinträchtigungen wurden häufiges Bücken, Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, Heben und Tragen und Bewegen von Lasten/Gang- und Standsicherheit und Zwangshaltungen, Sehvermögen (insbesondere visuelle Ausdauer), kognitive Ausdauer, Arbeitstempo, Leistung pro Zeit benannt. Um die Leistungsfähigkeit dauerhaft zu erhalten, werde eine vollschichtige Qualifizierungsmaßnahme in eine leichte, sozialtherapeutische Tätigkeit mit einem gesunden Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen empfohlen.

Mit Urteil vom 8. Juli 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe unstrittig dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Indes bestimme gemäß § 13 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) der Träger der Rentenversicherung im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens bestehe ein Anspruch (§ 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB I]). Nur in Ausnahmefällen könne das eingeräumte Ermessen auf Null reduziert sein, so dass dann ein Rechtsanspruch des Betroffenen in Betracht komme. Im vorliegenden Fall sei keine Begründung dafür ersichtlich, dass die Ausbildung zur Ergotherapeutin von vornherein die einzige für die Klägerin mit Aussicht auf Erfolg infrage kommende Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben wäre. Ein Rechtsanspruch genau auf diese Leistung sei daher nicht zu begründen. Soweit allerdings die Behörde ermächtigt sei, nach ihrem Ermessen zu handeln, sei Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts mit der Folge, dass dieser aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten wäre, auch dann gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden seien oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden sei. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte, wie sie bereits im Bescheid vom 16. April 2018 und dann noch ausführlicher im Widerspruchsbescheid vom 13. November 2018 zum Ausdruck gebracht habe, Ermessen ausgeübt. Sie sei keineswegs davon ausgegangen, eine gebundene Entscheidung zu treffen. Soweit sie zunächst zusätzlich angeführt habe, die Ausbildung zur Ergotherapeutin schon wegen ihrer Dauer von drei Jahren nicht fördern zu können, sei sie von dieser Rechtsposition nach entsprechendem ausdrücklichem Hinweis des Gerichts spätestens in der mündlichen Verhandlung abgerückt. Die hiernach weiterhin vorgetragenen weiteren Gesichtspunkte, auf die die Beklagte ihre Entscheidung gestützt habe, seien rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe sich offensichtlich von dem Zweck der Ermächtigung leiten lassen, dass die Ermessensausübung die Auswahl einer solchen Teilhabeleistung gewährleisten solle, die einen dauerhaften Rehabilitationserfolg im Sinne der Wiedereingliederung in das Arbeitsleben ermögliche. Bei der Auswahl der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben habe die Beklagte gemäß § 49 Abs. 4 Satz 1 SGB IX (ehemals § 33 Abs. 4 SGB IX) Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen zu berücksichtigen gehabt. Auch hierauf sei die Beklagte wiederholt, unter anderem im angefochtenen Widerspruchsbescheid, eingegangen. Die weitestmögliche Beachtung der beruflichen Neigung des behinderten Menschen entspreche der Grundforderung des SGB IX nach Förderung der Selbstbestimmung und sei für die Eigenmotivation von großer Bedeutung. Ergotherapeuten berieten, behandelten und förderten Patienten jeden Alters, die durch eine physische und/oder psychische Erkrankung, durch eine Behinderung oder durch eine Entwicklungsverzögerung in ihrer Selbstständigkeit und Handlungsfähigkeit beeinträchtigt bzw. von Einschränkungen bedroht seien. Sie erarbeiteten individuelle Behandlungspläne und führten Therapien sowie Maßnahmen der Prävention durch. Jedenfalls an einem Teil der Arbeitsplätze in der Ergotherapie seien körperliche Ausdauer und ausreichende Bewegungskoordination von wesentlicher Bedeutung für die Ausübung der Tätigkeit. Angesichts der im Bericht über die Belastungserprobung in den Kliniken S2 G1 genannten leichten Einschränkungen der Stand- und Gangsicherheit und auch der visuellen Fatigue sowie der bestehenden Risiken hinsichtlich der Entwicklung der multiplen Sklerose sei es sicherlich nicht zwingend, aber eben auch nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte hier nur eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten für die Klägerin im Bereich der Ergotherapie gesehen und aus diesem Grunde die dauerhafte Eingliederung in das Erwerbsleben durch eine Ausbildung zur Ergotherapeutin nicht als hinreichend sicher angesehen habe.

Gegen diese dem Beklagten bereits am 22. Juli 2020, der Klägerin nach dem Empfangsbekenntnis ihres Bevollmächtigten jedoch erst am 1. Oktober 2020 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 28. Oktober 2020 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Sie trägt vor, sie strebe eine Beschäftigung als Ergotherapeutin im Bereich der Psychiatrie an. Bei ihr liege ein intaktes Nervensystem vor, es bestünden keine Psychosen, Depressionen oder Ängste. Sie fühle sich selbst in der Lage, die begehrte Umschulung durchzuführen, sei hoch motiviert und geeignet. Auch die Schulbescheinigungen zeigten, dass das Ausbildungsziel erreicht werden könne. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso die angestrebte Ausbildung nicht leidensgerecht und sie für den angestrebten Beruf nicht geeignet sein solle. Die Berufsaussichten in der Ergotherapie und insbesondere im Bereich der Psychiatrie seien sehr gut. Die Zeit- bzw. Arbeitseinteilung könne individuell erfolgen und damit bestehe für sie die Möglichkeit, ihre Arbeitsbelastung selbst zu bestimmen. Damit sei entgegen der Einschätzung der Beklagten zu erwarten, dass eine dauerhafte Wiedereingliederung in das Arbeitsleben erfolgen werde. Man müsse auch nicht grundsätzlich für sämtliche Bereiche eines Ausbildungsberufes geeignet sein, da dies auch keine dauerhafte Eingliederung ins Arbeitsleben garantiere.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Juli 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 16. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2018 zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die Ausbildung zur Ergotherapeutin zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Die ursprünglich zuständige Berichterstatterin des Senats hat am 31. Mai 2021 mit den Beteiligten einen Erörterungstermin durchgeführt. In diesem hat die Klägerin mitgeteilt, die Ausbildung zur Ergotherapeutin zwischenzeitlich abgeschlossen zu haben und sind die Beteiligten dazu angehört worden, dass in der vorliegenden Sache beabsichtigt sei, durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die Prozessakten beider Instanzen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


II.

Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine erneute Anhörung war nach einem Wechsel in der Besetzung des Senats nicht erforderlich, da sich die Prozesssituation nicht geändert hat (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15. Juli 2009 – B 13 RS 46/09 B – juris Rdnr. 9).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – neben der erstinstanzlichen Entscheidung – der Bescheid der Beklagten vom 16. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2018 (§ 95 SGG), mit dem der Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Kostenübernahme für die von der Klägerin begehrte Umschulung zur Ergotherapeutin abgelehnt hat. Nachdem die Klägerin die Ausbildung zwischenzeitlich abgeschlossen hat, hat sie ihre gegen die vorgenannte Entscheidung zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4, § 56 SGG) zutreffend auf das Begehr einer Erstattung der ihr für die Ausbildung entstandenen Kosten umgestellt. Dabei ist es gemäß § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrunds statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird – wie hier anstelle des ursprünglich zutreffend begehrten Schuldbeitritts die Kostenerstattung (vgl. Guttenberger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 99 SGG, Stand: 15. Juni 2022, Rdnr. 37).

Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Insbesondere ist die Berufung nicht zulassungsbedürftig (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Klage unbegründet ist. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten ihrer Ausbildung zur Ergotherapeutin unter Aufhebung des Bescheides vom 16. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2018, denn die angefochtene Entscheidung des Beklagten ist jedenfalls im Ergebnis rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch für die von der Klägerin selbstbeschaffte Umschulung richtet sich nach § 18 Abs. 6 SGB IX, der unmittelbar auch in der gesetzlichen Rentenversicherung anwendbar ist (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. November 2023 – L 10 R 349/22 –, juris Rdnr. 35; vgl. zur Vorgängerregelung des § 15 SGB IX etwa BSG, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R –, BSGE 117, 192-212, SozR 4-1500 § 163 Nr. 7, SozR 4-3250 § 14 Nr. 21, juris Rdnr. 26; BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 – B 5 R 5/07 R –, SozR 4-3250 § 14 Nr. 8, SozR 4-3250 § 15 Nr. 3, juris Rdnr. 12). Nach § 18 Abs. 6 Satz 1 SGB IX sind die Kosten für die selbstbeschaffte Leistung, die dem Leistungsberechtigten dadurch entstanden sind, dass der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, vom Rehabilitationsträger in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Notwendigkeit setzt dabei voraus, dass die Leistung geeignet, bedarfsgerecht und wirksam ist (Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 18 SGB IX, Stand: 1. Oktober 2023, Rdnr. 56). Die Geeignetheit einer von dem behinderten Menschen gewünschten Umschulung ist z.B. zu verneinen, wenn feststeht, dass er wegen Art und Schwere seiner Behinderung in dem angestrebten Beruf nur teilweise tätig sein und bestimmte Arbeiten nicht verrichten kann (Luik in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 49 SGB IX, Stand 1. Oktober 2023, Rdnr. 112; BSG, Urteil vom 26. Mai 1976 – 12/7 RAr 41/75SozR 4100 § 56 Nr. 4.). Der Anspruch auf Erstattung richtet sich gegen den Rehabilitationsträger, der zum Zeitpunkt der Selbstbeschaffung über den Antrag entschieden hat (§ 18 Abs. 6 Satz 2 SGB IX).

Die Beklagte hat über den Antrag der Klägerin auf Leistungen zur Teilhabe vom 11. Juli 2017 entschieden, weswegen sich die vorliegende Erstattungsforderung gegen sie richtet. Es handelt sich jedoch bei der von der Klägerin begehrten und zwischenzeitlich absolvierten Umschulung zur Ergotherapeutin nicht um eine unaufschiebbare Leistung, die der Rehabilitationsträger nicht rechtzeitig erbringen konnte, wie sich bereits daraus ergibt, dass die Beklagte vor Beginn der Umschulung über die Leistungsgewährung entschieden hat.

Die Beklagte hat die gewünschte Leistung aber auch nicht zu Unrecht abgelehnt.

Vorliegend ist die Ablehnung der begehrten Förderung der Umschulung zur Ergotherapeutin nicht bereits deswegen unrechtmäßig erfolgt, weil die Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 SGB IX eingetreten wäre. Nach § 18 Abs. 1 SGB IX teilt der leistende Rehabilitationsträger, wenn über den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Antragseingang entschieden werden kann, den Leistungsberechtigten vor Ablauf der Frist die Gründe hierfür schriftlich mit (begründete Mitteilung). Erfolgt keine begründete Mitteilung, gilt die beantragte Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 18 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Die Klägerin hat bereits mit dem Antrag vom 11. Juli 2017 konkret die Förderung einer Umschulung zur Ergotherapeutin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt und die Beklagte hat – nach der Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach mit Bescheid vom 23. November 2017 – hierüber ohne begründete Mitteilung erst mit dem Bescheid vom 16. April 2018 entschieden. Die in § 18 Abs. 3 Satz 1 SGB IX geregelte Genehmigungsfiktion ist jedoch erst am 1. Januar 2018 in Kraft getreten (BGBl. I 2016, 3340) und daher auf den zuvor gestellten Antrag nicht anzuwenden. Wenn man – wie es die Beklagte in dem Bescheid vom 16. April 2018 getan hat – auf die Stellungnahme der Antragstellerin vom 26. März 2018 als Antragstellung abstellen wollte, wäre § 18 Abs. 3 Satz 1 SGB IX zwar anwendbar, die Entscheidung über den Antrag jedoch vor Ablauf der Zweimonatsfrist erfolgt.

Der Klägerin steht ein Kostenerstattungsanspruch aber auch nicht deswegen zu, weil die Beklagte die begehrte Teilhabeleistung zu Unrecht in der Sache abgelehnt hätte. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bei Ermessensleistungen eine Kostenerstattung grundsätzlich nur dann in Betracht kommt, wenn hinsichtlich der begehrten Leistung eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten ist, mithin sich jede andere Entscheidung als die Bewilligung der begehrten Leistung als ermessensfehlerhaft erweist. Eine solche kann in den Fällen der „selbstbetriebenen Rehabilitation“ dann eintreten, wenn der Reha-Träger zuvor entweder generell seine Verpflichtung zur Leistungsgewährung verneint und damit jede Mitwirkung ablehnt, oder sich darauf beschränkt, eine Leistung entweder ermessensfehlerhaft oder unter Verkennung des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung abzulehnen, ohne dabei aufzuzeigen, welche anderen Leistungen gewährt werden können oder wie eine erfolgreiche Teilhabe erreicht werden kann (Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 18 SGB IX, Stand: 1. Oktober 2023, Rdnr. 58).

Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf die Förderung der begehrten Umschulung zur Ergotherapeutin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (SGB VI).

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erbringt die Rentenversicherung u.a. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, um (1.) den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und (2.) dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Die Leistungen können erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind (§ 9 Abs. 2 SGB VI). Für Leistungen zur Teilhabe haben Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die bei Antragstellung (1.) die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben oder (2.) eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen (§ 11 Abs. 1 SGB VI). Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben werden an Versicherte auch erbracht, (1.) wenn ohne diese Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre oder (2.) wenn sie für eine voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation unmittelbar im Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der Träger der Rentenversicherung erforderlich sind (§ 11 Abs. 2a SGB VI). Nach der vorliegend allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Regelung des § 10 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe erfüllt, (1.) deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist und (2.) bei denen voraussichtlich (a) bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann, (b) bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann, (c) bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (aa.) der bisherige Arbeitsplatz erhalten werden kann oder (bb.) ein anderer in Aussicht stehender Arbeitsplatz erlangt werden kann, wenn die Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes nach Feststellung des Trägers der Rentenversicherung nicht möglich ist. Liegen die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor, so bestimmt der Träger der Rentenversicherung nach § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI im Einzelfall unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit Art, Dauer, Umfang, Beginn und Durchführung dieser Leistungen sowie die Rehabilitationseinrichtung nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung erbringen gem. § 16 SGB VI in der ab 1. Januar 2018 geltenden Fassung die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 49 bis 54 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Nach § 49 Abs. 1 SGB IX (vgl. die inhaltsgleiche Regelung des § 33 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung <a.F.>) werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Nach § 49 Abs. 3 SGB IX (so auch § 33 Abs. 3 SGB IX a.F.) umfassen die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben insbesondere (1.) Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, (2.) eine Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung, (3.) die individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung, (4.) die berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen, (5.) die berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden, (6.) die Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch die Rehabilitationsträger nach § 6 Absatz 1 Nr. 2 bis 5 SGB IX und (7.) sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um Menschen mit Behinderungen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten. Gem. § 49 Abs. 4 SGB IX werden bei der Auswahl der Leistungen Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen berücksichtigt. Aus dieser letztgenannten Bestimmung ergibt sich keine Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers, unter allen Umständen die Wahl des Wunschberufes zu ermöglichen; sie gibt lediglich in dem rechtlich zulässigen Rahmen die Möglichkeit zur Berücksichtigung von Wünschen des Versicherten vor (vgl. Senatsurteil vom 16. November 2017 – L 7 R 3837/15 – juris Rdnr. 28; Bayerisches LSG, Urteil vom 27. Juli 2010 – L 20 R 309/09 – juris Rdnr. 15).

Es ist zum Zeitpunkt der Entscheidung über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine Prognose zu treffen, ob ein Eingliederungserfolg durch eine Teilhabeleistung zu erwarten ist (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2003 – B 7 AL 66/02 R – juris Rdnr. 22; Senatsurteil vom 16. November 2017 – L 7 R 3837/15 – juris Rdnr. 29; Senatsurteil vom 22. Oktober 2018 – L 7 R 2114/18 – n.v.).

Für die von der Klägerin begehrten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben hat die Beklagte das Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wie auch dem Grunde nach der persönlichen Voraussetzungen mit dem Bescheid vom 23. November 2017 bindend (§ 77 SGG) festgestellt. Sie hat jedoch die konkret begehrte Umschulung zur Ergotherapeutin in nicht zu beanstandender Weise als nicht geeignet abgelehnt, da ausgehend von den vorliegenden medizinischen Erkenntnissen bei vorausschauender prognostischer Betrachtung ein Eingliederungserfolg durch diese Umschulung bzw. Ausbildung nicht zu erwarten ist.


Die charakteristischen körperlichen bzw. gesundheitlichen Anforderungen des Berufs des Ergotherapeuten sind – nach der entsprechenden Darstellung auf der Internetpräsenz Berufenet der Bundesagentur für Arbeit, auf welche die Beklagte bereits im Klageverfahren hingewiesen hat und die auch der Senat zugrunde legt (https://web.arbeitsagentur.de/berufenet/beruf/8779#zugangAnforderungen_persoenlicheAnforderungen_gesundheitlicheAspekte, abgerufen am 29. Januar 2024) – körperliche Ausdauer (z.B. Erwachsene bei Gehversuchen stützen), Funktionstüchtigkeit der Arme und Hände (z.B. Patienten zu gestalterischen oder handwerklichen Arbeiten mit Holz, Ton, Leder oder Metall anleiten), ausreichende Bewegungskoordination (z.B. gemeinsam mit den Patienten motorisch-funktionelle Übungen ausführen), ungestörtes Sprechvermögen (z.B. Beratungsgespräche führen; die zu betreuenden Personen anleiten), Sehvermögen für die Ferne – auch korrigiert (z.B. Bewegungsabläufe von Patienten genau beobachten), Nahsehvermögen – auch korrigiert (z.B. Therapiepläne ausarbeiten), Hörvermögen und Sprachverständnis (z.B. Patienten zuhören; sich mit Ärzten und Ärztinnen abstimmen), intakter Tastsinn, intaktes Temperaturempfinden (z.B. Gelenksfehlstellungen und Muskelverspannungen ertasten) und (intaktes) belastbares Nervensystem (z.B. mit kranken, dementen oder gebrechlichen Menschen sowie Menschen mit Behinderungen umgehen).

Bei der Klägerin besteht eine MS mit schubförmigem, wenngleich mildem Verlauf, die insbesondere mit Störungen des Gleichgewichts, insbesondere auch Gang- und Standunsicherheiten einhergeht, wie bereits dem Entlassungsbericht der
W3 W2 vom 1. August 2017, dem Bericht der H3 vom 6. Oktober 2016 – der eine Stabilisierung, jedoch nicht Besserung der Gangbild- und Gleichgewichtseinschränkungen beschreibt – und dem Befundbericht des behandelnden K1 vom 23. Mai 2017 – in dem u.a. eine schnelle Erschöpfbarkeit, Müdigkeit, Koordinationsstörungen, Gleichgewichtsstörungen sowie kognitive Einschränken, jeweils in leichter bis mittelgradiger Ausprägung als maßgebliche Beschwerden aufgeführt werden – zu entnehmen ist. Auf psychiatrischem Gebiet ist bei der Klägerin von der behandelnden B2 in deren Bericht vom 13. September 2016 eine schwere depressive Episode (ICD-10: F32.2) angeführt worden, wobei die R1 in dem von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bericht vom 14. September 2016 einen Rückgang der depressiven Symptomatik mitgeteilt, aber immer noch die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-10: F32.1) benannt hat. Vor diesem Hintergrund schließt sich der Senat der Feststellung des Beratungsarztes S1 in dessen Stellungnahme vom 4. September 2018 an, dass die mit der Tätigkeit einer Ergotherapeutin einhergehenden, teilweise auch schweren körperlichen und seelischen Belastungen bei der Arbeit mit chronisch Kranken und Behinderten für die Klägerin nicht leidensgerecht sind. Diese gesundheitliche Situation ist auch durch die medizinischen Ermittlungen im erstinstanzlichen Verfahren weiterhin bestätigt worden. Insbesondere hat K1 in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 23. Mai 2019 einen zu Mai 2017 identischen Befund beschrieben. Auch in dem Entlassungsbericht der Kliniken S2 G1 vom 23. September 2019 nach der dort vom 19. August 2019 bis zum 16. September 2019 durchgeführten Belastungserprobung ist für den allgemeinen Arbeitsmarkt (nur) ein vollschichtiges Leistungsvermögen für eine leichte Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung und ohne hohen Anspruch an die visuelle Ausdauerleistung gesehen sowie als relevante Leistungsbeeinträchtigungen u.a. Heben und Tragen und Bewegen von Lasten/Gang- und Standsicherheit und Zwangshaltungen, Sehvermögen (insbesondere visuelle Ausdauer) und kognitive Ausdauer benannt worden. Folgerichtig ist nach diesem Bericht eine vollschichtige Qualifizierungsmaßnahme in eine leichte, sozialtherapeutische Tätigkeit mit einem gesunden Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen empfohlen worden, um die Leistungsfähigkeit dauerhaft zu erhalten. Eine sozialtherapeutische Tätigkeit unterscheidet sich in ihren Anforderungen in körperlicher bzw. gesundheitlicher Hinsicht von einer Tätigkeit als Ergotherapeutin gerade auch dadurch, dass körperliche Ausdauer und Bewegungskoordination nicht dazu gehören (vgl. https://web.arbeitsagentur.de/berufenet/beruf/58505#zugangAnforderungen_persoenlicheAnforderungen_arbeitsSozialverhalten, abgerufen am 29. Januar 2024). Eine wesentliche und überdauernde Besserung in den gesundheitlichen Verhältnissen ist von der Klägerin nicht konkret dargetan worden und auch im Übrigen nicht ersichtlich sowie hinsichtlich der maßgeblichen Grunderkrankung der MS nicht zu erwarten.

Wie bereits ausgeführt, ist bei der anzustellenden Prognose nicht nur auf Teilbereiche der angestrebten Tätigkeit abzustellen. Ob ein lediglich für seltene, nicht dem ganz überwiegenden Berufsbild entsprechende Tätigkeitsbereiche ungenügendes Leistungsvermögen ebenfalls eine insgesamt unzureichende Eingliederungsprognose rechtfertigen würde, kann vorliegend dahingestellt bleiben, da die Einschränkungen der Klägerin gerade die typischen Tätigkeitsbereiche umfassen.

Diese Bewertung wird nicht dadurch wiederlegt, dass die Klägerin zwischenzeitlich die Ausbildung zur Ergotherapeutin abgeschlossen hat, wobei der Senat von einem erfolgreichen Abschluss ausgeht. Denn zum einen hat es sich bei dieser Ausbildung nach der
Ausbildungsbescheinigung der SRH Fachschule für Ergotherapie H2 vom 8. Juli 2019 um eine rein schulische Ausbildung in Vollzeitunterricht gehandelt, zum anderen richtet sich die anzustellende Prognose nicht maßgeblich an der Fähigkeit zum Abschluss der Ausbildung aus, sondern eben an der zu erreichenden dauerhaften Eingliederung in das Arbeitsleben ohne abzusehende Gefährdung der Erwerbsfähigkeit. Eine andere Bewertung ergibt sich nicht aus den von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Stellungnahmen und Bescheinigungen, da diese sich entweder nur mit der Frage der Eignung der Klägerin zur Ausbildung zur Ergotherapeutin auseinandersetzen oder – so die einzige, die Berufseignung der Klägerin bejahende Stellungnahme der SRH Fachschule für Ergotherapie H2 vom 22. Mai 2017 – ihre Einschätzung nicht begründen.

Mangels einer positiven, überdauernden Eingliederungsprognose ist die fragliche Umschulung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht als bedarfsgerecht und damit auch nicht als notwendig im Sinne von § 18 Abs. 6 Satz 1 SGB IX anzusehen (vgl. Ulrich in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 18 SGB IX, Stand 1. Oktober 2023, Rdnr. 56), weswegen eine Kostenerstattung ausscheidet.

Dies gilt ebenso für die Frage eines Anspruchs der Klägerin auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach anderen Leistungsgesetzen als dem SGB VI, über welche die Beklagte als mit dem Antrag vom 11. Juli 2017 erstangegangene Leistungsträgerin (§ 14 SGB IX) zu entscheiden gehalten gewesen wäre (vgl. insbesondere §§ 112 ff. drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]), weswegen auch insoweit ein Anspruch der Klägerin ausscheidet.

Ergänzend und zur Vermeidung von Wiederholungen wird zur weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe auf die Ausführungen des SG in dem Urteil vom 8. Juli 2020 Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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