Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14.06.2023 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte erstattet den Klägern die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich im Berufungsverfahren noch gegen die Erstattungsforderung des Beklagten für Leistungen, die für den Zeitraum vom 01.02.2021 bis 31.03.2021 gewährt wurden.
Der 1965 geborene Kläger zu 1 verfügt ebenso wie seine 1972 geborenen Ehefrau K1 über eine unbefristete Niederlassungserlaubnis; sie leben mit ihren gemeinsamen Kindern, der 1998 geborenen D1 (deutsche Staatsangehörige) und dem 2003 geborenen Kläger zu 2 (deutscher Staatsangehöriger) im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Die Nettokaltmiete beträgt 690,00 €, hinzu kommen Nebenkosten von 130,00 €. Bis April 2020 bezog der Kläger zu 1 Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit. Nach der Aussteuerung durch die Krankenkasse, beantragte der Kläger zu 1 Leistungen nach dem SGB II vom Beklagten, zwar bestehe sein Arbeitsverhältnis fort, jedoch sei der Beginn der stufenweisen Wiedereingliederung noch nicht bekannt. Die Tochter D1 absolvierte eine Ausbildung mit einem Verdienst von 1.071,59 € (brutto), bzw. 859,68 € (netto). Der Kläger zu 1 legte zum Antrag eine Bescheinigung über den Bezug von Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz (EStG) vor, wonach Kindergeld für den Kläger zu 2 bis Januar 2021 gezahlt werde.
Mit Bescheid vom 07.05.2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1, seiner Ehefrau sowie dem Kläger zu 2 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von insgesamt monatlich 1.374,83 € (unter Berücksichtigung der vollen Kosten der Unterkunft, eines Mehrbedarfs für Warmwassererzeugung sowie eines Teils des Kindergeldes für die Tochter D1 beim Kläger zu 1) für den Zeitraum April 2020 bis September 2020.
Im Weiterbewilligungsantrag gab der Kläger zu 1 an, dass er Kindergeld beziehe. Dem Antrag beigefügt war eine Schulbescheinigung für den Kläger zu 2, wonach dieser bis Juli 2021 die Schule besucht.
Mit Bescheid vom 17.08.2020 in der Fassung der Bescheide vom 22.09.2020, 07.10.2020, 21.11.2020, 25.11.2020, 22.12.2020, 05.02.2021 und 09.04.2021 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1, seiner Ehefrau sowie dem Kläger zu 2 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (SGB II) für die Zeit von Oktober 2020 bis März 2021, wobei für Februar und März 2021 Leistungen in Höhe von monatlich 1.633,27 € bewilligt wurden, da Kindergeld für den Kläger zu 2 ab Februar nicht berücksichtigt wurde, in der Zeile Kindergeld findet lediglich eine Eintragung bei D1.
Der Beklagte holte einen Datenabgleich bei der Familienkasse hinsichtlich des Kindergeldbezuges ein. Daraus ergibt sich, dass der Kläger zu 1 für den Kläger zu 2 bis Juli 2022 (Ende der Schulausbildung) Kindergeld erhielt. Aus dem zur Akte gelangten Auszug ist ersichtlich, dass der Kläger zu 1 jedenfalls für die Zeit von Januar bis Mai 2021 monatlich Kindergeld in Höhe von 438 € für den Kläger zu 2 und D1 bezogen hat, wobei der Zahltag jeweils Mitte des Monats gewesen ist.
Mit den Anhörungsschreiben vom 15.09.2021 hörte der Beklagte die Kläger sowie K1 zu einer teilweisen Rücknahme der Bewilligung aufgrund Überzahlungen in den Zeiträumen Februar bis März 2021 und April 2021 bis Juli 2021 (bzw. September 2021 betreffend den Kläger zu 2) an. Der Kläger zu 2 habe Einkommen erzielt. Er habe in der genannten Zeit einen Anspruch auf Kindergeld. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen seien die Kläger und K1 in geringerer Höhe hilfebedürftig (§ 9 i.V.m. § 11 SGB II). Die Entscheidung dürfte wegen Kenntnis beziehungsweise grob fahrlässiger Unkenntnis der Rechtswidrigkeit zurückzunehmen sein (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III] i.V.m. § 45 Abs. 1 und Abs. 2 S. 3 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Hierauf erklärte der Kläger zu 2 mit Schreiben vom 22.09.2021, der aufgeführte Sachverhalt treffe zu. Er erziele kein Einkommen mit Ausnahme von Kindergeld, das er nutze, um seinen Führerschein zu machen. Mit Schreiben vom 27.09.2021 gab der Kläger zu 1 an, der Kläger zu 2 erziele kein Einkommen, ausgenommen Kindergeld, was dem Beklagten bekannt sei.
Mit den Bescheiden vom 10.12.2021 hob der Beklagte gegenüber den Klägern sowie K1 jeweils die Entscheidung über die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II teilweise auf und machte entsprechende Erstattungsforderungen geltend. Gegenüber dem Kläger zu 2 machte der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2021 bis 31.03.2021 356,05 € (Februar: 175,59 €, März: 180,46 €) geltend. Gegenüber dem Kläger zu 1 machte der Beklagte für den Zeitraum vom 01.02.2021 bis 31.03.2021 10,97 € (Februar: 6,70 €, März 4,27 €) geltend. Der Kläger zu 2 habe während der genannten Zeiten einen Anspruch auf Kindergeld gehabt. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen seien die Kläger in geringerer Höhe hilfebedürftig. Die Entscheidung sei wegen Verletzung der Mitteilungspflicht aufzuheben (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m.§ 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X). Die Entscheidung sei außerdem wegen Erzielung von Einkommen aufzuheben (§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X). Beim Kläger zu 2 sei Einkommen anzurechnen. Dies habe zur Minderung des Anspruches geführt. Einkommen sei in dem Monat anzurechnen, in dem es zufließe (§ 11 Abs. 2 SGB II). Hierbei komme es nicht auf persönliches Verschulden an.
Gegen die Bescheide vom 10.12.2021 legten die Kläger und K1 Widerspruch ein. Der Kläger zu 2 sei nicht berufstätig und gehe noch zur Schule. Sie hätten dem Beklagten in der Vergangenheit die Schulbescheinigung zukommen lassen, woraufhin der Beklagte einen Zuschuss für die Schulunterlagen bewilligt habe. Der Beklagte habe wissen müssen, dass er somit Kindergeld rechtlich erhalte. Falls das dem Beklagten nicht bewusst gewesen sei, sei das ein Fehler der Sachbearbeiterin. Sie hätten alles eingereicht und mitgeteilt, dass er die Berufsschule besuche. Sie würden somit keine Nachzahlung leisten, weil der Beklagte keinen rechtlichen Anspruch habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.01.2022 wies der Beklagte den Widerspruch der K1 zurück.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 27.01.2022 wies der Beklagte die Widersprüche der Kläger zurück. Gemäß §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) seien die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten verpflichtet, alle Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen dem Beklagten unverzüglich mitzuteilen. Eine Vorlage eines weiteren Kindergeldbescheides sei durch die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft bis heute nicht erfolgt. Somit seien die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 4 SGB X ab 01.02.2021 gegeben und die Entscheidungen über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II seien für Februar und März 2021 teilweise in Höhe von 10,97 € hinsichtlich des Klägers zu 1 bzw. in Höhe von 356,05 € hinsichtlich des Klägers zu 2 zurückzunehmen. Soweit eine Entscheidung aufgehoben worden sei, seien bereits erbrachte Leistungen gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Hiergegen haben die beiden Kläger am 28.02.2022 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Tatsächlich sei der Vorwurf der unterlassenen Mitteilung des Bezugs von Kindergeld unberechtigt. Eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen sei vorliegend nicht eingetreten, denn der Kläger zu 2 habe durchgängig – ohne Unterbrechung – Kindergeld von der Familienkasse erhalten. Daher sei eine Anwendung des § 48 SGB X vorliegend ausgeschlossen. In den jeweiligen Weiterbewilligungsanträgen der Bedarfsgemeinschaft, insbesondere im Weiterbewilligungsantrag vom 17.02.2021 sei unter der Abfrage auf Seite 3 Kindergeld angekreuzt und zusätzlich handschriftlich ausgeführt worden, dass die Kinder B1 und D1 Kindergeld erhalten würden. Sie hätten den entsprechenden Kindergeldbescheid vorgelegt. Zum anderen hätten sie für den Kläger zu 2 eine Schulbescheinigung vom 22.09.2021 vorgelegt. Der Bezug von Kindergeld sei daher offensichtlich mitgeteilt, vom Beklagten allerdings nicht beachtet worden. Darüber hinaus bestehe nach § 16 Abs. 3 SGB I eine Verpflichtung des Leistungsträgers zur „Hinwirkung“ auf die Ergänzung unvollständiger Angaben.
Mit Urteil vom 14.06.2023 hat das SG der Klage für die Monate Februar und März 2021 stattgegeben und im Übrigen abgewiesen. Im Hinblick auf die Monate Februar und März scheide eine Rücknahme und Erstattung nach §§ 45, 48 SGB X aus, da nach § 41a Abs. 3 SGB II eine endgültige Bewilligung vorgesehen sei und dies die speziellere Regelung darstelle. Für die übrigen Monate hätten die Kläger erkennen können, dass Kindergeld zu Unrecht nicht angerechnet wurde.
Gegen das Urteil wendet sich der Beklagte am 13.07.2023 mit der seitens des SG zugelassenen Berufung. In der vorliegenden Konstellation der vorläufigen Bewilligung von Leistungen nach § 41a SGB II – im Anwendungsbereich der Sonderregelung des § 67 SGB II aufgrund der Corona-Pandemie – seien die §§ 45, 48, 50 SGB X bezüglich der rückwirkenden Aufhebung und Rückforderung auch nach Abschluss des Bewilligungszeitraumes anwendbar.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 14.06.2023 insoweit abzuändern als darin die Bescheide vom 10.12.2021 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27.01.2022, die den Zeitraum vom 01.02.2021 bis 31.03.2021 betreffen, bezüglich der Kläger aufgehoben wurden.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Für den weiteren Sach- und Streitstand wird ergänzend auf die Gerichts- und die Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die seitens des SG zugelassene Berufung des Beklagten ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Die Bescheide des Beklagten vom 10.12.2021 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27.01.2022 sind, soweit sie den Zeitraum vom 01.02.2021 bis 31.03.2021 betreffen, rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Über den Folgezeitraum war nicht zu entscheiden, da die Kläger keine Anschlussberufung eingelegt haben.
Eine Korrektur des Bescheids vom 17.08.2020 in der Fassung der Bescheide vom 22.09.2020, 07.10.2020, 21.11.2020, 25.11.2020, 22.12.2020 und 05.02.2021 konnte der Beklagte nicht auf §§ 44 ff. SGB X stützen (1.); § 67 SGB II führt nicht zu einer anderen Einschätzung (2.).
1.
Der Beklagte hatte Leistungen lediglich vorläufig nach § 41a SGB II bewilligt. In der Sache beurteilt sich somit die Rechtmäßigkeit der geänderten Leistungsbewilligung ausschließlich an den für die abschließende Entscheidung nach vorangegangener vorläufiger Bewilligung maßgebenden Vorschriften des § 41a Abs. 3 und 5 SGB II, für eine Anwendung von § 45 SGB X ist nach Ablauf des Bewilligungsabschnitts und damit mit Wirkung für die Vergangenheit insofern kein Raum (zur Vorgängerregelung in § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1a SGB II a.F. i.V.m. § 328 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]: Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 29.04.2015, B 14 AS 31/14 R, juris, Rn. 17; Kemper, in Luik/Harich, SGB II, 6. Aufl. 2024, § 41a Rn. 33; BeckOGK/Kallert, 3/2022, Rn. 131f.; Grote-Seifert, in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II/, Stand 13.01.2023, Rn. 43; ebenso Fachliche Weisungen der BA zu § 41a, SGB II, Stand: 01.07.2023, Rn. 41a.21 zu Ziffer 3.3.2). Eine Aufhebung mit Wirkung für die Vergangenheit kommt allein in Betracht, wenn dies zugunsten der leistungsberechtigten Person nach § 44 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 bzw. nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X erfolgt (Kemper, a.a.O., Grote-Seifert a.a.O., Kallert, a.a.O., Rn. 133). Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der eine Anwendung der §§ 45, 48 SGB X zu Ungunsten der leistungsberechtigten Person mit Wirkung für die Vergangenheit als nicht angezeigt sieht, da die vorläufige Entscheidung sich nicht im Wege der Aufhebung, sondern der abschließenden Entscheidung erledigt (BT-Drs. 18/8041, 53). Das Gesetz hält mit § 41a Abs. 6 SGB II ausdrücklich eine spezielle Regelung vor, um Überzahlungen „abzuschöpfen“, ohne auf den Grund der Überzahlung abzustellen, also unabhängig von dem Grund der anfänglichen Rechtswidrigkeit (Grote-Seifert, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 41a [Stand: 05.04.2022], Rn. 43). Letztlich hat der Gesetzgeber auch mit § 41a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II eine Spezialregelung vorgesehen, die es ermöglicht, eine endgültig gewordene vorläufige Entscheidung ohne dass es eines Antrags bedürfte, außerhalb der Jahresfrist zu korrigieren. Eine Korrektur erfolgt, wenn der Leistungsanspruch aus einem anderen als dem Grund der Vorläufigkeit nicht oder nur in geringerer Höhe als die vorläufigen Leistungen besteht und der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende über den Leistungsanspruch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis von diesen Tatsachen, spätestens aber nach Ablauf von 10 Jahren nach der Bekanntgabe der vorläufigen Entscheidung, abschließend entscheidet. Dieser Spezialregelung hätte es bei einer Anwendbarkeit von §§ 45, 48 SGB X nicht bedurft.
2.
An dieser Einschätzung vermag auch § 67 SGB II in der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassung (a.F.) nichts zu ändern. § 67 SGB II a.F. lautete wie folgt:
„§ 67 Vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie; Verordnungsermächtigung
(1) Leistungen für Bewilligungszeiträume, die in der Zeit vom 1. März 2020 bis zum 30. Juni 2020 beginnen, werden nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 erbracht.
(2) Abweichend von den §§ 9, 12 und 19 Absatz 3 wird Vermögen für die Dauer von sechs Monaten nicht berücksichtigt. Satz 1 gilt nicht, wenn das Vermögen erheblich ist; es wird vermutet, dass kein erhebliches Vermögen vorhanden ist, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller dies im Antrag erklärt.
(3) § 22 Absatz 1 ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die Dauer von sechs Monaten als angemessen gelten. Nach Ablauf des Zeitraums nach Satz 1 ist § 22 Absatz 1 Satz 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum nach Satz 1 nicht auf die in § 22 Absatz 1 Satz 3 genannte Frist anzurechnen ist. Satz 1 gilt nicht in den Fällen, in denen im vorangegangenen Bewilligungszeitraum die angemessenen und nicht die tatsächlichen Aufwendungen als Bedarf anerkannt wurden.
(4) Sofern über die Leistungen nach § 41a Absatz 1 Satz 1 vorläufig zu entscheiden ist, ist über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abweichend von § 41 Absatz 3 Satz 1 und 2 für sechs Monate zu entscheiden. In den Fällen des Satzes 1 entscheiden die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abweichend von § 41a Absatz 3 nur auf Antrag abschließend über den monatlichen Leistungsanspruch.
(5) Für Leistungen nach diesem Buch, deren Bewilligungszeitraum in der Zeit vom 31. März 2020 bis vor dem 31. August 2020 endet, ist für deren Weiterbewilligung abweichend von § 37 kein erneuter Antrag erforderlich. Der zuletzt gestellte Antrag gilt insoweit einmalig für einen weiteren Bewilligungszeitraum fort. Die Leistungen werden unter Annahme unveränderter Verhältnisse für zwölf Monate weiterbewilligt. Soweit bereits die vorausgegangene Bewilligung nach § 41a vorläufig erfolgte, ergeht abweichend von Satz 3 auch die Weiterbewilligungsentscheidung nach § 41a aus demselben Grund für sechs Monate vorläufig. § 60 des Ersten Buches sowie die §§ 45, 48 und 50 des Zehnten Buches bleiben unberührt.
(6) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates den in Absatz 1 genannten Zeitraum längstens bis zum 31. Dezember 2020 zu verlängern.“
§ 67 Abs. 4 SGB II a.F. legte somit fest, dass eine abschließende Entscheidung nur auf Antrag der Betroffenen, nicht aber von Amts wegen zu erfolgen hatte. Damit entfällt nicht nur die Verpflichtung, sondern auch die Befugnis des Jobcenters, über den Leistungsanspruch von Amts wegen abschließend zu entscheiden (Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 67 1. Überarbeitung (Stand: 30.05.2022), Rn. 37). Einen solchen Antrag haben die Kläger nicht gestellt, so dass eine abschließende Entscheidung nicht in Betracht kam. Der vorläufige Bescheid, der für Februar und März 2021 Leistungen ohne die Berücksichtigung von Kindergeld beinhaltete, wurde endgültig (§ 41a Abs. 5 SGB II). Zwar findet § 67 Abs. 4 in zeitliche Hinsicht Anwendung, da der Bewilligungszeitraum vor dem 31.03.2021 begonnen hatte. Jedoch regelt die Vorschrift lediglich, dass eine endgültige Entscheidung nicht von Amts wegen erfolgen durfte. Weitere Regelungen sind dem Wortlaut des § 67 Abs. 4 S. 2 SGB II nicht zu entnehmen.
Eine Regelung insbesondere dahingehend, dass auch die bislang weitgehend unbestrittene Systematik des § 41a SGB II (s.o.) geändert werden sollte, findet sich in den Gesetzgebungsmaterialien nicht, so dass, wie oben dargelegt, die Regelung zur abschließenden Entscheidung nach § 41a SGB II die Vorschriften der §§ 44 ff. SGB X (Harich, in BeckOGK, 01.06.2021, SGB II § 67 Rn. 39) weiterhin verdrängt. Zwar scheint die Entlastung der Leistungsempfänger vor dem Risiko möglicher Erstattungsforderungen im Anschluss an eine vorläufige Entscheidung rechtlich nicht ganz unproblematisch, zumal damit das Vertrauen in eine vorläufige Regelung besser geschützt war, als in einer abschließende Bewilligung, bei deren Rechtswidrigkeit § 45 SGB X unstreitig zur Anwendung kam. Zweck der Regelung des § 67 Abs. 4 SGB II, der mehrfach verlängert wurde, war nach dem Willen des Gesetzgebers jedoch eine möglichst schnelle und unbürokratische Leistungsbewilligung zu gewährleisten. Durch Satz 2 würden Leistungsberechtigte und Jobcenter von der normalerweise nach Ablauf des Bewilligungszeitraums durchzuführenden Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse im Bewilligungszeitraum entlastet werden. Dies gelte insbesondere auch dann, wenn sich die Einkommensverhältnisse besser als prognostiziert entwickelt hätten. Die betroffenen Leistungsberechtigten hätten damit die Sicherheit, für sechs Monate eine verlässliche Hilfe zum Lebensunterhalt zu erhalten. Habe sich die Einkommenslage im Bewilligungszeitraum hingegen schlechter als prognostiziert dargestellt, könnten die Leistungsberechtigten eine Prüfung und abschließende Entscheidung beantragen. In diesem Fall werde über den Leistungsanspruch nach Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse im Bewilligungszeitraum abschließend (BT-Drs. 19/18107, S. 26). Der Gesetzgeber hat damit in Kauf genommen, dass bei einer günstigen Entwicklung des Einkommens zu viel bezahlte Leistungen nicht zurückgefordert werden. Der Gesetzgeber hat jedoch auch bewusst geregelt, dass bei Leistungsberechtigten mit gleichbleibenden Einkommen, bei denen eine vorläufige Bewilligung nicht möglich war, bei unerwartet höherem Einkommen eine Korrektur über §§ 45, 48 SGB X hätte erfolgen können.
Insgesamt war Ziel der Regelung somit zum einen eine Verwaltungsvereinfachung. Dabei ging es, wie das SG zutreffend ausführt, von vorneherein nicht lediglich um die Vermeidung von Verwaltungsaufwand im Besonderen betreffend die Feststellung der Einkommensverhältnisse, sondern auch um die Vermeidung von Verwaltungsaufwand im Allgemeinen, der durch das Erfordernis der Prüfung, ob eine abschließende Entscheidung zu ergehen hat inklusive der dazu erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen entsteht. Entsprechend ist in der Bundestagsdrucksache lediglich davon die Rede, dass die angestrebte Entlastung „insbesondere“ auch bei einer besseren Entwicklung der Einkommensverhältnisse als prognostiziert gelte bzw. eintrete. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber auf die Problematik der Rückabwicklung reagiert und § 67 Abs. 4 S. 2 SGB II dahingehend geändert, eine Entscheidung von Amts wegen nur für Bewilligungszeiträume auszuschließen, die bis zum 31.03.2021 begonnen hatten. Dies geschah, da durch den Verzicht auf die abschließende Feststellung des Einkommens im Bewilligungszeitraum sich zahlreiche Rechtsfragen zur Anwendung der §§ 45, 48 SGB X ergeben hätten. Dies führe zu zusätzlichem Arbeitsaufwand der Jobcenter, der durch die Regelung eigentlich vermieden werden sollte (BT-Drs. 19/26542, S. 17). In diesem Sinne dürfte wohl auch auf einen Verweis auf § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 SGB II verzichtet worden sein, da auch eine Korrektur von Umständen, die aus anderen Gründen als denen, die zur vorläufigen Bewilligung führten, zu mehr Verwaltungsaufwand geführt hätte.
Daneben wollte der Gesetzgeber für die Dauer des „Pandemiezeitraums“ die Leistungsberechtigten in qualifizierter Weise schützen und ein „vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie“ – so die amtliche Überschrift der Norm – ohne weitere Einschränkungen schaffen (BSG, Urteil vom 14.12.2023 [veröffentlicht im April 2024], B 4 AS 4/23 R, juris, Rn. 26). So heißt es anderer Stelle, dass den Betroffenen „damit die Sorge vor einem Wegfall der oft noch immer nötigen Unterstützung genommen“ wird (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2023 [veröffentlicht im April 2024], B 4 AS 4/23 R, juris, unter Verweis auf die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze anlässlich der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 08.11.2021, BT-Drucks 20/15, S 36). Dieser vom BSG in seiner Entscheidung zu den Kosten der Unterkunft hervorgehobenen Zielsetzung des Gesetzgebers liefe es zuwider, durch eine erweiternde Auslegung des § 41a Abs. 2 SGB II i.V.m. § 67 SGB II, ohne Hinweise im Wortlaut, eine weitergehende Rückabwicklung der gewährten Leistungen zuzulassen.
Auch die seinerzeit geltende Durchschnittsberechnung zur Verteilung des Einkommens würde durch eine Anwendung der §§ 45, 48 SGB X unterlaufen, da bei deren Anwendung eine Berücksichtigung im jeweiligen Monat und gerade keine Durchschnittsberechnung zu erfolgen hat.
Soweit der 3. Senat des LSG Baden-Württemberg im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung eine Anwendung von § 48 SGB X im Zusammenhang mit § 67 SGB II bejaht hat (Urteil vom 21.02.2024, L 3 AS 2081/23, juris), sieht der Senat hier keinen Widerspruch, da die Entscheidung des 3. Senats eine Konstellation betraf, in der nach § 67 Abs. 5 Satz 1 und 2 SGB II (a.F.) für die Weiterbewilligung abweichend von § 37 SGB II kein erneuter Antrag erforderlich war und der zuletzt gestellte Antrag insoweit einmalig für einen weiteren Bewilligungszeitraum fort galt. Vor diesem Hintergrund bestand, worauf der 3. Senat zu Recht hinweist, die Gefahr, dass das Jobcenter „sehenden Auges“ eine rechtswidrige Entscheidung zu treffen hatte.
Soweit in Rechtsprechung und Literatur den entstehungsgeschichtlichen Materialien (Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks 19/18107, S 25 zu § 67 SGB II) teilweise entnommen wird, dass der Gesetzgeber während der Corona-Pandemie eine Schutz nur für die Regelungen im Bescheid gewollte hatte, die vom Grund der Vorläufigkeit umfasst waren (etwa LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.02.2024, L 3 AS 2081/23, juris; Groth in jurisPK-SGB II, § 67, Stand 30.05.2022, Rn. 43.1), hat sich ein solches Motiv im Normwortlaut des § 67 Abs. 4 Satz 1 SGB II nicht hinreichend niedergeschlagen. Eine Begrenzung hierauf findet sich nicht und wäre auch mit dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung kaum zu vereinbaren. Der Senat verkennt nicht, dass damit Anreize für Leistungsberechtigte bestehen konnten, durch falsche Angaben höhere Leistungen zu erhalten. Dies lässt sich angesichts der dies ermöglichenden gesetzlichen Regelungen, worauf das BSG bereits im Zusammenhang mit den Kosten der Unterkunft hingewiesen hatte (BSG, a.a.O.), allerdings nur nach Maßgabe des Rechtsmissbrauchsverbots verhindern.
Wie auch das BSG in seiner Entscheidung zu den Kosten der Unterkunft bei während der Pandemie neu angemieteten Wohnungen dargelegt hat (BSG, Urteil vom 14.12.2023 [veröffentlicht im April 2024], B 4 AS 4/23 R), gelten auch im Rahmen des § 41a Abs. 2 SGB II i.V.m. § 67 Abs. 4 Satz 2 SGB II die der Rechtsordnung innewohnenden allgemeinen Anspruchsbegrenzungen. Ein Ausschluss der Anwendung von §§ 45, 48 SGB X greift deshalb dann nicht, wenn ein Leistungsbezieher rechtsmissbräuchlich gehandelt hat. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]), der auch im öffentlichen Recht gilt (BSG, a.a.O. unter Verweis auf BSG, Urteile vom 02.11.2015, B 13 R 35/14 R und vom 17.12.2020, B 10 ÜG 1/19 beide juris), liegt Rechtsmissbrauch unter anderem vor, wenn jemand eine bloß formal bestehende Rechtsposition ohne schutzwürdiges Eigeninteresse ausnutzt (BSG, Urteil vom 14.12.2023 [veröffentlicht im April 2024], B 4 AS 4/23 R, juris). Dies kann im vorliegenden Kontext etwa dann der Fall sein, wenn vorsätzlich falsche Angaben gemacht wurden, um höhere Leistungen zu erhalten. Dafür, dass es sich im vorliegenden Fall so verhält, ergeben sich im vorliegenden Fall, in dem bereits die grobe Fahrlässigkeit fraglich sein könnte, keine Anhaltspunkte.
Vor diesem Hintergrund ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird im Hinblick auf das Verfahren B 7 AS 19/24 R zugelassen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 692/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2018/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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