S 35 KR 1744/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 35 KR 1744/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil


I. Es wird festgestellt, dass das von der Klägerin hergestellte und in Verkehr gebrachte Arzneimittel Valdoxan (Wirkstoff: Agomelatin) seit dem 01.03.2019 keiner Abschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b SGB V unterliegt und dass die Klägerin seit diesem Zeitpunkt nicht verpflichtet ist, den Abschlag nach § 130a Abs. 3b SGB V zu zahlen.

II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 2.500.000,- € festgesetzt.


Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Auslegung und Reichweite der Generikaabschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b SGB V. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr Medikament Valdoxan (Wirkstoff: Agomelatin) nicht der Verpflichtung zur Zahlung des Generikaabschlags nach § 130a Abs. 3b Satz 2 SGB V unterliege.
Das Arzneimittel ist seit dem 01.04.2009 auf dem deutschen Markt. Am 26.02.2019 ist der Patentschutz des Wirkstoffes abgelaufen.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass die zum 01.03.2019 erfolgte Absenkung des Herstellerabgabepreises von Valdoxan um 10% zu einer Ablösung des Generikaabschlags geführt habe.
Der Beklagte verweigert eine solche Ablösung dagegen unter Verweis auf den zum 01.07.2018 erfolgten Inflationsausgleich und den dadurch ausgelösten Ausschlusstatbestand in § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V.
Die Klägerin trägt vor, dass die Auslegung der Vorschrift durch den Beklagten zu einer wirtschaftlichen Benachteiligung der Klägerin ohne sachlichen Grund führe. Im Zeitpunkt des erstmaligen Inflationsausgleichs am 01.07.2018 um ca. 1,8% sei Agomelatin ein patentgeschützter Wirkstoff und Valdoxan noch gar nicht Gegenstand der Generikaabschlagspflicht gewesen. Sie habe die Preissenkung unmittelbar nach Ablauf des Patentschutzes von Agomelatin und damit (was das Abschlagsregime nach § 130a Abs. 3b SGB V betreffe) zum frühestmöglichen Ablösezeitpunkt vorgenommen. Die Versagung der Ablösung des Generikaabschlags entbehre jeder sachlichen Grundlage, sondern vermenge zwei unterschiedliche Regimes: Das erstattungsrechtliche Inflationsausgleichsregime einerseits, dessen Zweck die regelmäßige Kompensation solcher Schäden sei, die pharmazeutische Unternehmer (pU) durch den inflationsbedingten Wertverlust ihres Arzneimittels erleiden, und das generikaspezifische Abschlagsregime andererseits, das pharmazeutische Unternehmer zu Preissenkungen veranlassen und zugleich missbräuchliche Preisschaukeln vermeiden solle. Die Inanspruchnahme des gesetzlich vorgesehenen Inflationsausgleichs sei weder missbräuchlich noch mit einer Preisschaukel vergleichbar.
Eine Preissenkung vor dem Inflationsausgleich hätte jedenfalls zu einer Ablösung des Generikaabschlags geführt. Ob der Inflationsausgleich zeitlich vor- oder nachgelagert sei, könne für den Abschlag nicht relevant sein. Die Klägerin habe keine Möglichkeit gehabt, den Abschlag bereits vor dem Inflationsausgleich auszulösen. Mitbewerbern, denen das möglich war, seien damit privilegiert. Die Klägerin sei dadurch in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG verletzt.
Da die für die Berechnung des Generikaabschlags zuständige Meldestelle ABDATA Pharma-Daten-Service eine Ablösung des Abschlags abgelehnt habe, weil sie unsicher gewesen sei, ob der zugunsten von Valdoxan erfolgte Inflationsausgleich als Preiserhöhung gelte und damit den Ausschlusstatbestand (§ 130a Abs. 3b Satz 5 SGB V aF, Satz 6 nF) ausgelöst habe, wandte sich die Klägerin am 10.05.2019 an das (BMG). Zu der Zeit sei im Entwurf für das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) bereits die Neuregelung in § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V behandelt worden, wonach es sich beim Inflationsausgleich nicht um eine Preiserhöhung im Sinne des Abschlagregimes handle. Die Klägerin habe sicherstellen wollen, dass die Neuregelung auch den Fall eines Inflationsausgleichs erfasse, der zeitlich vor der Preissenkung stattfinde. Das BMG teilte am 21.05.2019 mit, es sei Ziel der Änderung in § 130a Abs. 3b SGB V, "dass alle pharmazeutischen Unternehmer den im AMVSG eingeführten Inflationsausgleich für Arzneimittel unter Preismoratorium erheben können" (Anlage K2).
Dem von der Klägerin vorgelegten vorprozessual geführten Schriftverkehr zwischen dem Beklagten und dem BMG ist zu entnehmen, dass der Beklagte am 07.11.2019 gegenüber dem BMG darauf hinwies, dass "die Argumentation des pharmazeutischen Unternehmens nicht abwegig" sei und "[r]echtliche Konsequenzen aus der Umsetzung der Regelung [...] absehbar" seien. Die Begründung zur gesetzlichen Änderung (BT-Drs. 19/10681) liefere keine Hinweise, weshalb der Gesetzgeber betroffene Arzneimittel unterschiedlich behandle (Anlage K5(3)).
Woraufhin das BMG mit Schreiben vom 11.12.2019 entgegnete, dass es die Absicht des Gesetzgebers im Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) vom 04.05.2017 gewesen sei, einen Inflationsausgleich für unter das Preismoratorium fallende Arzneimittel einzuführen, um durch eine Erhöhung der Preise u.a. den steigenden Personal- und Sachkosten der pharmazeutischen Unternehmer Rechnung tragen zu können. Das Wirksamwerden des Generikaabschlages aufgrund von Preiserhöhungen im Rahmen des Inflationsausgleiches habe der Absicht des Gesetzgebers aus dem AMVSG entgegengestanden. Daher habe der Gesetzgeber im GSAV vom 09.08.2019 geregelt, dass die Erhebung des Inflationsausgleichs keine Preiserhöhung darstelle.
Nach Inkrafttreten des GSAV habe sich in der Praxis gezeigt, dass nicht alle vom Preismoratorium betroffenen Arzneimittel von der Neuregelung umfasst seien. Auch die pharmazeutischen Verbände hätten zwischenzeitlich den Sachverhalt an das BMG herangetragen. Das BMG werde auf der Grundlage der vorliegenden Stellungnahmen mögliche Maßnahmen prüfen (Anlage K5(4)).
Auf wiederholte Nachfrage der Klägerin (Anlage K6) äußerte sich das BMG mit Schreiben vom 20.01.2020 (Anlage K8) der Klägerin gegenüber nahezu wortgleich wie zuvor gegenüber dem Beklagten (Anlage K5(4)).
Am 24.01.2020 habe der Beklagte den Entwurf eines Leitfadens zur Umsetzung der Neuregelung in Satz 4 an Verbände der pharmazeutischen Industrie zum Zweck der Benehmensherstellung versandt. Nach dem Entwurf sollte der Leitfaden folgenden Satz enthalten: "Arzneimittel, die in den Anwendungsbereich des § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V fallen, sind von der Neuregelung des § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V nicht umfasst" (Anlage K11, Seite 1). Danach habe die Klägerin davon ausgehen müssen, dass der Beklagte in ihrem Fall die Ablösung des Generikaabschlags als nicht möglich erachte.
Nach Veröffentlichung des Leitfadens auf seiner Webseite forderte die Klägerin den Beklagten auf, bis zum 05.11.2020 eine Entscheidung zur Frage der Generikaabschlagspflicht von Valdoxan zu treffen. Mit Mail vom 05.11.2020 erklärte der Beklagte, dass eine Ablösung des Generikaabschlags nicht in Betracht komme.
Die Abschlagsberechnung nach § 130a Abs. 3b Satz 2 SGB V finde gem. § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V in vorliegendem Fall keine Anwendung. Grund hierfür sei, dass der Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens (ApU) für das Arzneimittel 36 Monate zuvor erhöht worden sei. Für diese sog. Sperrfrist sei die Regelung des § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V heranzuziehen. Hierbei werde nicht zwischen einer Preiserhöhung im Zuge des Inflationsausgleichs und einer anderweitigen Preiserhöhung unterschieden. Die neu mit dem GSAV zum 16.08.2019 eingeführte Regelung des § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V sei auf diesen Fall nicht anwendbar. Die Regelung des § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V sei mit dem GSAV nicht geändert worden, d.h., Arzneimittel, die in den Anwendungsbereich des § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V fielen, seien von der Neuregelung des § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V nicht erfasst. Um beurteilen zu können, ob in einem Zeitraum von 36 Monaten vor einer Preissenkung eine Preiserhöhung stattgefunden habe, werde die Preishistorie zwangsläufig auch vor Beginn der Abschlagspflicht berücksichtigt. Im Zuge der Umsetzung der Neuregelung des § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V sei dieser Sachverhalt auch an das BMG herangetragen worden. Das BMG sei nicht von einer Änderung der hierzu bestehenden, bereits jahrelang praktizierten Berechnungssystematik ausgegangen (Anlage K14).
Auf Rückfrage der Klägerin beim BMG (Anlage K15) habe das BMG mit Schreiben vom 25.11.2020 ausgeführt, dass die Anwendung des Inflationsausgleichs keine Preiserhöhung im Sinne des § 130a Abs. 3b SGB V darstelle (Anlage K16). Da der Beklagte auf erneute Anfrage der Klägerin vom 25.11.2020 nicht mehr reagierte, erhob die Klägerin mit Schreiben vom 01.12.2020 Klage zum Sozialgericht München, die am 07.12.2020 einging.
Der Beklagte meint, die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sei zweifelhaft. Denkbar sei eine Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 4 SGG. Möglicherweise könne der Leitfaden zu § 130a Abs. 3b SGB V als eine Entscheidung des Beklagten auf Bundesebene im Sinne des § 57a Abs. 4 SGG gesehen werden.
Die Klägerin habe zwar den ApU zum 01.03.2019 um 10% abgesenkt; dennoch habe die Klägerin den Abschlag nicht nach § 130a Abs. 3b Satz 2 SGB V ablösen können. Denn Satz 2 gelte nach § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V nicht für ein Arzneimittel, dessen Abgabepreis nach Satz 1 im Zeitraum von 36 Monaten vor der Preissenkung erhöht worden sei. Das sei hier der Fall. Die Klägerin habe mit Inanspruchnahme des Inflationsausgleichs zum 01.07.2018 ihren ApU von 42,56 € auf 43,33 € erhöht. Sie habe damit eine "Preiserhöhung" im Wortsinn durchgeführt. Der Wortlaut des § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V unterscheide nicht zwischen einer missbräuchlichen oder strategischen Preiserhöhung und einer Preiserhöhung im Zuge des Inflationsausgleichs. Dabei sei es irrelevant, dass Valdoxan zum Zeitpunkt der Preiserhöhung als (wirkstoff-)geschütztes Arzneimittel noch nicht nach § 130a Abs. 3b SGB V abschlagspflichtig gewesen sei. Der Gesetzgeber ordne ausdrücklich in Satz 6 (wie in Satz 2) den Rückblick in die für 36 Monate zurückliegende Preishistorie an (Klageakt, S. 76).
§ 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V sei mit Wirkung zum 16.08.2019 eingefügt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin die Preiserhöhung wie die Absenkung des ApU bereits durchgeführt. Das Gesetz sehe aber keine Rückwirkung der Regelung vor, so dass sich die Klägerin mangels Geltung nicht darauf berufen könne.
Die Neuregelung beziehe sich zudem nur auf den Fall, dass der Generikaabschlag zuerst abgesenkt wurde und anschließend in Höhe des Inflationsausgleichs erhöht wurde. Der Beklagte habe im Gesetzgebungsverfahren hierauf hingewiesen. Dennoch sei die Regelung nicht verändert worden. Dies spreche dafür, dass die Einschränkung bewusst und gewollt vorgenommen worden sei. Warum der Gesetzgeber offenbar nicht alle Fälle des Abs. 3b erfassen habe wollen, ergebe sich aus der Gesetzesbegründung nicht.
Mit der Umsetzung des eindeutigen Wortlautes der Neureglung habe der Beklagte keine willkürliche Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG vorgenommen. Ein Eingriff in die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG sei mangels Ausführungen nicht nachvollziehbar. Die Entscheidung der Klägerin, die Möglichkeit einer zulässigen Preiserhöhung im Sinne des Preismoratoriums direkt in Anspruch zu nehmen, sei Teil ihrer eigenen unternehmerischen Entscheidungsfreiheit gewesen, auch wenn ihr zu diesem Zeitpunkt vermutlich nicht bewusst gewesen sei, dass dies nach Ablauf des Patentschutzes zu Problemen bei der Abschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b SGB V führen werde (Klageakt, S. 81).
Der Beklagte sei nicht verpflichtet, eine sozialrechts- und verfassungskonforme Auslegung von § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V vorzunehmen. Eine solche Auslegung sei angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts nicht möglich (Klageakt, S. 82).
Soweit die Klägerin in Satz 4 lediglich eine Klarstellung sehe, die keine konstitutive Wirkung habe, treffe dies nicht zu. Zwar spreche die Gesetzesbegründung insoweit von einer Klarstellung; da die Neuregelung aber inhaltlich die Nichtgeltung des Satzes 2 2. Halbsatz anordne, damit insoweit keine Abschlagspflicht eintrete, habe die Regelung inhaltlich gegenüber der vorherigen Rechtslage nicht nur eine klarstellende Funktion. Der Berufung auf Gesetzesmaterialien komme nur eine begrenzte Funktion für die Konkretisierung von Rechtsnormen zu, da sie aufgrund des Gesetzbindungsgebots hinter semantischen und systematischen Argumenten zurücktreten müsse (Klageakt, S. 83).
Bei einer bloßen Klarstellung wäre im Übrigen völlig unverständlich, weshalb die Neuregelung sich nur auf den Fall des Satzes 2 beziehe. Dass der Gesetzgeber die Formulierung aber beibehalten habe, obwohl er im Stellungnahmeverfahren auf weitere im Satz 4 nicht gelöste Fälle ausdrücklich hingewiesen worden sei, spreche dafür, dass es sich um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handle, die er für erforderlich gehalten habe, um eine Ausnahme (nur) für den in Satz 2 geregelten Fall zu schaffen.
Die zunächst beigeladene Bundesrepublik Deutschland vertreten durch das BMG äußerte sich nicht zur Sache, sondern überlässt die "Auslegung der streitgegenständlichen Vorschrift und deren Anwendung im vorliegenden Verfahren [...] dem Sozialgericht München" (Klageakt, S. 183).
Auf die Bitte des Gerichts zur Vorlage der Stellungnahme des Beklagten im Gesetzgebungsverfahren antwortete dieser, dass § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) vom 9. August 2019 eingefügt worden sei. Diese Regelung sei nicht im Gesetzentwurf des GSAV enthalten gewesen, sondern sei erst nach der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit des Deutschen Bundestages, die am 10. April 2019 stattgefunden habe, als Änderungsantrag 18 zum Entwurf des GSAV, BT-Drs. 19/8753 vom 27. März 2019, eingebracht worden (zu Artikel 12 Nummer 9 - § 130a SGB V, vgl. Ausschussdrucksache 19(14)70.1neu 04. Juni 2019).
Dementsprechend habe die offizielle Stellungnahme des Eufach0000000030es vom 10. April 2019 zum Entwurf des GSAV hierzu keine Ausführungen enthalten. Da es zu dem Änderungsantrag kein weiteres formales Stellungnahmeverfahren gegeben habe, habe der Beklagte im Kontakt mit den Arbeitsebenen der Regierungsfraktionen im Bundestag informell folgende schriftliche Einschätzung abgegeben:
"ÄA 18 - Preismoratorium: Die grundsätzliche Intention einer Klarstellung, dass
eine Preiserhöhung entsprechend Inflationsausgleich nicht durch den Preismoratoriumsabschlag gemindert werden kann, ist sachgerecht. Allerdings ist die vorgeschlagene Einfügung des Satzes 4 in Absatz 3b nicht ausreichend, alle in Absatz 3b geregelten Fälle zu erfassen. So wären von der geplanten Regelung Arzneimittel nicht umfasst, die in der Vergangenheit keine Preissenkungen vorgenommen haben (Satz 1 und Satz 5). Daher sollte der § 130a Absatz 3b Satz 4 SGB V gestrichen und nach § 130a Absatz 3b Satz 6 SGB V folgender Satz 7 eingefügt werden: "Preisanpassungen im Rahmen von Absatz 3a Satz 2 gelten nicht als Preiserhöhungen und werden nicht zur Berechnung des Abschlags nach Satz 1 herangezogen."
Gesetzesbegründung: "Die Einführung eines Inflationsausgleichs durch das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz sollte den pharmazeutischen Unternehmern die Möglichkeit geben, Preise von Arzneimitteln, für die das Preismoratorium nach § 130a Absatz 3a Satz 1 SGB V gilt, anzupassen, um steigende Personal- und Sachkosten angemessen zu berücksichtigen. Mit der Änderung wird klargestellt, dass eine Preisanpassung nach § 130a Absatz 3a Satz 2 SGB V nicht als Preiserhöhung zu werten ist und nicht zu höheren Abschlägen nach § 130a Absatz 3b SGB V führen soll."
Nach Anberaumung eines Erörterungstermins beantragte die Beigeladene den Beiladungsbeschluss aufzuheben, da die Voraussetzungen für eine Beiladung nach § 75 Abs. 1 SGG nicht vorlägen. Die Berührung eigener Interessen der Bundesrepublik Deutschland sei nicht ersichtlich.
Nach Anhörung der Klägerin und des Beklagten wurde mit Beschluss vom 16.05.2023 der Beiladungsbeschluss der Bundesrepublik Deutschland vom 18.10.2021 aufgehoben.
Im Erörterungstermin zweifelte der Beklagte die Zuständigkeit des Sozialgerichts München nicht mehr an.
Nachdem das Gericht infrage gestellt hatte, dass es rechnerisch von Bedeutung sei, ob der Inflationsausgleich vor oder nach der Preissenkung in Anspruch genommen worden sei, übersandte der Beklagte im Anschluss an den Erörterungstermin fiktive Berechnungsbeispiele zur Verdeutlichung des Verhältnisses von Inflationsausgleich zu Generikaabschlagspflicht. Indem diese zu unterschiedlichen Ergebnissen führten, sah sich der Beklagte in seiner Auffassung bestätigt, dass es sich mit der Einführung des § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V nicht um eine klarstellende Regelung, sondern eine solche mit konstitutiver Wirkung handle. Mangels Rückwirkung der Regelung und damit einhergehend mangels Geltung könne sich die Klägerin nicht auf deren Anwendung berufen.
Die Klägerin erachtet die vorgebrachten Berechnungsbeispiele als fehlerhaft und zirkelschlüssig. Der Beklagte habe die Sachverhalte der Beispiele nicht gleich, sondern unterschiedlich, entsprechend dessen Auffassung, dass eine Preissenkung vor und nach der Inanspruchnahme des Inflationsausgleichs nach geltender Rechtslage unterschiedlich zu handhaben sei, behandelt.

Die Klägerin beantragt,
festzustellen, dass das von der Klägerin hergestellte und in Verkehr gebrachte Arzneimittel Valdoxan (Wirkstoff: Agomelatin) seit dem 01.03.2019 keiner Abschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b SGB V unterliegt und dass die Klägerin seit diesem Zeitpunkt nicht verpflichtet ist, den Abschlag nach § 130a Abs. 3b SGB v zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom 20.06.2024 erklärten die Klägerin und mit Schreiben vom 25.06.2024 der Beklagte ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten gem. § 136 Abs. 2 SGG auf die umfangreiche Gerichtsakte Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

1.
Die Klage ist zulässig, da das sachlich (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) und örtlich (§ 57 Abs. 1 Satz 1 SGG) zuständige Sozialgericht München angerufen wurde und es eines Vorverfahrens zwischen den Parteien bei einer Feststellungsklage (§ 55 SGG) nicht bedurfte, so dass keine Klagefrist einzuhalten war (Keller/Meyer-Ladewig, SGG, 13. Auflage, § 54, Rn. 41).
Eine Sonderzuweisung nach § 57 Abs. 4 SGG scheidet aus, da diese nur Streitigkeiten betrifft, bei denen die Festbetragsfestsetzung unmittelbar Streitgegenstand und nicht lediglich Vorfrage für den geltend gemachten Anspruch ist. Die Regelung des § 57 Abs. 4 SGG hat inzwischen heute keinen praktischen Anwendungsbereich mehr (vgl. Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 57 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 77). Auch eine Sonderzuständigkeit nach § 57 Abs. 5 SGG greift nicht. Die Regelung betrifft Klagen gegen Entscheidungen der zuständigen Behörde über Ausnahmeanträge pharmazeutischer Unternehmen mit dem Ziel, von den gesetzlichen Herstellerabschlägen befreit zu werden. Diese Freistellungen können unter den Voraussetzungen des § 130a Abs. 4 SGB V konzernbezogen insbesondere mangels finanzieller Leistungsfähigkeit erteilt werden oder unter den Voraussetzungen des § 130a Abs. 9 SGB V arzneimittelbezogen für Arzneimittel zur Behandlung seltener Leiden, wenn insbesondere die Refinanzierung der Forschungs- und Entwicklungskosten durch den Rabatt in Frage steht (Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 57 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 80). Streitgegenstand ist im vorliegenden Verfahren jedoch die Generikaabschlagspflicht im Rahmen von § 130a Abs. 3b SGB V.
Ebenso ist eine Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 4 SGG nicht gegeben. Unter Entscheidungen im Sinne der Vorschrift sind - wie in § 57a Abs. 3 SGG - all diejenigen verbindlichen Rechtsakte von Organen von Selbstverwaltungsträgern oder von gemeinsamen Gremien zu verstehen, die einseitig und damit nicht durch Vertrag ergehen. Dies können normative Regelungen wie Richtlinien (vor allem des Gemeinsamen Bundesauschusses), Beschlüsse, Grundsätze oder Maßstäbe sein. Zu den von § 57a Abs. 4 SGG erfassten Verträgen gehören insbesondere die Bundesmantelverträge (vgl. Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 57a SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 36, 49). Keine Entscheidungen sind Empfehlungen, Leitlinien u.Ä. ohne Rechtsnormcharakter und ohne Anspruch auf Rechtsverbindlichkeit (Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 57a SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 37). Der vom Beklagten mit Wirkung zum 20.05.2020 im Benehmen mit den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer angepasste Leitfaden zu § 130a Abs. 3b SGB V ("Umsetzung der Neuregelung nach § 130a Absatz 3b Satz 5 SGB V") beinhaltet Berechnungsmodalitäten und ist daher - wie schon sein Name nahelegt - einer Leitlinie zuzuordnen, nicht aber einer normativen Entscheidung iSd Vorschrift. Dies hat das BSG in seiner Entscheidung vom 30.09.2015, Az.: B 3 KR 1/15 R, Rn. 27 (juris) bestätigt: Die dem Beklagten durch § 130a Abs 3b Satz 4 iVm § 130a Abs 3a Satz 10 SGB V eingeräumte Befugnis, "das Nähere" zu regeln, bezieht sich vor allem auf Abrechnungsfragen (§ 130a Abs 3b Satz 8 und 9 SGB V). Die Regelungsbefugnis des Beklagten betrifft somit nicht die materiellen Voraussetzungen der Abschlagspflicht, die der Gesetzgeber vorgegeben hat, sondern nur die zur praktischen Umsetzung und Handhabung der Generikaabschlagspflicht erforderlichen Be- stimmungen. Bezüglich der materiellen Voraussetzungen der Abschlagspflicht kann der Beklagte lediglich die gesetzlichen Vorgaben nachzeichnen, der für jede Normsetzung kennzeichnende Gestaltungsspielraum des Normgebers kommt ihm bei der Auslegung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale nicht zu.
Der Beklagte rückte im Erörterungstermin von einer eventuellen Sonderzuständigkeit ab und sah das SG B-Stadt als zuständig an.
Im zu entscheidenden Fall handelt es sich um eine Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 SGG. Die Klägerin beantragt für ihr Medikament Valdoxan die Feststellung, dass das Arzneimittel seit dem 01.03.2019 keiner Abschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b SGB V unterliege und die Klägerin auch nicht verpflichtet sei, diesen Abschlag zu zahlen. Diese Frage betrifft ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten. Zwar erfolgt die Abrechnung des Abschlags nach §130a Abs. 3b SGB V zwischen den Krankenkassen und Apotheken und nachgelagert im Verhältnis Apotheken zu den pharmazeutischen Unternehmen. Der Beklagte regelt jedoch gem. § 130a Abs. 3b Satz 5, Abs. 3a Satz 11 SGB V das Nähere im Benehmen mit den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der pharmazeutischen Unternehmer auf Bundesebene, somit auch die maßgeblichen Berechnungsfragen der Abschlagspflicht nach § 130a Abs. 3b SGB V. Damit besteht zwischen der Klägerin und dem Beklagten ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, innerhalb dessen das Bestehen bzw. Nichtbestehen der Abschlagspflicht zum Stichtag 01.03.2019 zu klären ist.
Die Klägerin kann aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Abschlagspflicht auf den Unternehmensumsatz bzw. den -gewinn und damit einhergehend auf den unternehmerischen Erfolg das nötige Interesse an der Feststellung vorweisen.
Die zunächst erfolgte Beiladung der Bundesrepublik Deutschland wurde auf deren Antrag aufgehoben; sie ist durch den Gegenstand des Rechtstreits nicht in ihren Interessen berührt. Das hier ergangene Urteil hat keine Auswirkungen auf die Rechtssphäre der Beigeladenen; ihre Rechtsposition wird dadurch weder verbessert noch verschlechtert.
Die Kammer konnte gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.

2.
Die Klage ist begründet.
Für das Arzneimittel Valdoxan besteht aufgrund der Preissenkung vom 01.03.2019 keine Generikaabschlagspflicht.
Die Absenkung des Herstellerabgabepreises (Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers, ApU) von Valdoxan zum 01.03.20219 führt zu einer Ablösung des Generikaabschlags nach § 130a Abs. 3b Satz 2 Halbsatz 1 SGB V. Bei dem mit Wirkung zum 01.07.2018 zugunsten von Valdoxan erfolgten Inflationsausgleich handelt es sich nicht um eine Preiserhöhung im Sinne von § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V. Der vorgenommene Inflationsausgleich steht der Ablösung des Generikaabschlags nicht entgegen.
Die Ansicht, wonach der einer Preiserhöhung zeitlich vorausgehende - anders als der einer Preiserhöhung zeitlich nachgelagerte - Inflationsausgleich die Ablösung des Generikaabschlags stets verhindere, führt im Falle von Valdoxan zu einer sachgrundlosen Ungleichbehandlung, wodurch die Klägerin in ihren Rechten verletzt wird.

a.
Nach § 130a Abs. 3b Satz 1 Halbsatz 1 SGB V erhalten die Krankenkassen ab dem 1. April 2006 für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel einen Abschlag von 10% des ApU ohne Mehrwertsteuer. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 13. 9. 2005 - 2 BvF 2/03 -, BVerfGE 114, 196-257, Rn. 242 die Abschlagspflicht als - grundsätzlich gerechtfertigten - Eingriff in die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmen qualifiziert.
Eine Absenkung des ApU ohne Mehrwertsteuer, die ab dem 1. Januar 2007 vorgenommen wird, vermindert den Abschlag nach Satz 1 in Höhe des Betrages der Preissenkung; wird der Preis innerhalb der folgenden 36 Monate erhöht, erhöht sich der Abschlag nach Satz 1 um den Betrag der Preiserhöhung ab der Wirksamkeit der Preiserhöhung bei der Abrechnung mit der Krankenkasse (§ 130a Abs. 3b Satz 2 SGB V).
Nach § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V gilt Satz 2 zweiter Halbsatz nicht für Preiserhöhungen, die sich aus der Anhebung des Preisstands vom 1. August 2009 nach Absatz 3a Satz 2 ergeben. Absatz 3a Satz 8 bis 11 gilt entsprechend (Satz 5). Satz 2 gilt nicht für ein Arzneimittel, dessen Abgabepreis nach Satz 1 im Zeitraum von 36 Monaten vor der Preissenkung erhöht worden ist; Preiserhöhungen vor dem 1. Dezember 2006 sind nicht zu berücksichtigen (Satz 6).
Der Abschlag von 10% bleibt somit unverändert. Hierdurch soll eine Manipulation der Abschlagsregelung durch eine Kombination aus Preiserhöhung und danach erfolgter Preisabsenkung, sogenannte Preisschaukel, vermieden werden (vgl. BT-Drucks. 16/4247, Seite 47; Ernst-Wilhelm Luthe in: Hauck/Noftz SGB V, 5. Ergänzungslieferung 2024, § 130a SGB 5, Rn 57; BeckOGK/Hess, 15.11.2023, SGB V § 130a Rn. 10).
Die gesetzliche Regelung setzt also für patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel ab dem 01.04.2006 einen Abschlag von 10% des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer fest. Preissenkungen nach dem 01.01.2007 senken den Abschlag entsprechend. Nach diesem Zeitpunkt innerhalb einer Frist von 36 Monaten erfolgte Preisanhebungen erhöhen ihn wiederum; es sei denn, die Preiserhöhung erschöpft sich in der Inanspruchnahme des Inflationsausgleichs.
Satz 4 der Vorschrift (Verweis auf den Inflationsausgleich nach § 130a Abs. 3a Satz 2 SGB V) wurde erst mit dem GSAV vom 09.08.2019 eingefügt und trat zum 16.08.2019 in Kraft. Patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel - Generika - unterfallen auch dem in § 130a Abs. 3a Satz 2 SGB V geregelten Preismoratorium (vgl. Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 130a SGB V (Stand: 27.10.2021), Rn. 44), wonach Preiserhöhungen auf den Herstellerabgabepreis eines Arzneimittels den ab 01.01.2010 erhobenen Preisabschlag zugunsten der Krankenkasse für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel um den Betrag der Preiserhöhung anheben (vgl. BeckOGK/Hess, 15.11.2023, SGB V § 130a Rn. 14), d.h. Preiserhöhungen werden neutralisiert (vgl. Becker/Kingreen/Axer, 8. Aufl. 2022, SGB V § 130a Rn. 11). Damit soll verhindert werden, dass der pharmazeutische Hersteller seinen gesetzlichen Rabattverpflichtungen entgeht, indem er den zu gewährenden Rabatt auf den Herstellerabgabepreis aufschlägt (vgl. Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 130a SGB V (Stand: 27.10.2021), Rn. 29). Das seit dem 01.08.2010 geltende Preismoratorium wurde seither mehrfach verlängert, zuletzt mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz bis Ende 2026. Ausgleichend sieht daher § 130a Abs. 3a Satz 2 SGB V ab dem 01.07.2018 die Möglichkeit eines Inflationsausgleichs vor, der während der verlängerten Laufzeit des Preismoratoriums jeweils zum 01.07. eines jeden Jahres wiederholt werden kann. Im Rahmen des Inflationsausgleichs können pharmazeutische Hersteller ihre Abgabepreise erhöhen, ohne dass die Erhöhung Gegenstand des Abschlags wird. Der Gesetzgeber wollte der pharmazeutischen Industrie ihre bisherigen Gewinnspannen erhalten und ihr die Möglichkeit zur Berücksichtigung gestiegener Personal- und Sachkosten geben (vgl. BT-Drs. 19/10681, Seite 87; Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 130a SGB V (Stand: 27.10.2021), Rn. 33). Die Möglichkeit des Inflationsausgleichs wurde mit dem GSAV ab dem 16.08.2019 über den Verweis in § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V auf Abs. 3a Satz 2 auch für die ebenfalls dem Preismoratorium unterliegenden Generika klargestellt.
Die Klägerin hat ihr Arzneimittel Valdoxan zum 01.04.2009 auf den deutschen Markt gebracht. Aufgrund der in § 130a Abs. 3a Satz 2 SGB V ab 01.07.2018 eingeführten Möglichkeit, zum Ausgleich für die Fortdauer des Preismoratoriums einen Inflationsausgleich vornehmen zu können, machte die Klägerin für ihr Produkt zu diesem Stichtag davon Gebrauch. Der ApU stieg von 42,56 € auf 43,33 €. Valdoxan war zu diesem Zeitpunkt noch patentgeschützt. Erst seit Ablauf des Patentschutzes am 26.02.2019 unterliegt das Medikament als patentfreies und wirkstoffgleiches Arzneimittel den Abschlagsregelungen nach § 130a Abs. 3b SGB V. Da nach dieser Vorschrift von nun an grundsätzlich den Krankenkassen ein Generikaabschlag zu gewähren war, senkte die Klägerin zum 01.03.2019 den ApU von Valdoxan um 10%, mit dem Ziel, den Generikaabschlag entsprechend der Regelung nach § 130a Abs. 3b Satz 2 Halbsatz 1 SGB V abzulösen.
Der Klägerin wurde die Ablösung jedoch verwehrt, weil sie nach dem Verständnis des Beklagten damit den Ausschlusstatbestand nach § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V (im Zeitpunkt der Senkung des ApU am 01.03.2019 noch Satz 5) ausgelöst habe, d.h. eine Ablösung des Generikaabschlags war aus dessen Sicht ausgeschlossen, weil der ApU aufgrund der Nutzung des Inflationsausgleichs am 01.07.2018 im Zeitraum von 36 Monaten vor der Preissenkung zum 01.03.2019 erhöht worden sei. Erst ab dem 16.08.2019, also 5 1/2 Monate später, sei die folgenlose Anwendung des Inflationsausgleichs auch für Generika durch den Gesetzgeber mit dem neu eingefügten Satz 4 aufgenommen, d.h. neu eingeführt, worden.
Die erkennende Kammer folgt dieser Ansicht nicht.
§ 130a Abs. 3b SGB V bezieht sich auf patentfreie, wirkstoffgleiche Arzneimittel. Im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Inflationsausgleichs war Valdoxan noch ein patentgeschütztes Medikament und unterfiel der Regelung des § 130a Abs. 3a SGB V. Die Nutzung des Inflationsausgleichs entsprach der geltenden Rechtslage, wonach dessen Inanspruchnahme bei patentgeschützten Arzneimitteln keine Auswirkung auf den nach § 130a Abs. 3a SGB V zu gewährenden Abschlag hat. Den Inflationsausgleich hat der Gesetzgeber eingeräumt, um das seit 01.01.2010 geltende Preismoratorium fortgelten lassen zu können. Solange das Medikament patentgeschützt war, entfaltete die Regelung des § 130a Abs. 3b SGB V keine Rechtswirkungen darauf; somit auch dessen Satz 6 (Satz 5 aF) nicht. Als Generikum wiederum hatte es jedoch keinerlei Preiserhöhung erfahren, sondern eine unmittelbare Senkung des ApU um 10%, so dass § 130a Abs. 3b Satz 6 (Satz 5 aF) SGB V ebenfalls nicht zur Anwendung kommt. Demzufolge konnte der Generikaabschlag ungeachtet der als patentgeschütztes Medikament erlaubt in Anspruch genommenen Inflationsbereinigung gemäß § 130a Abs. 3b Satz 2 SGB V durch die Preissenkung vom 01.03.2019 abgelöst werden.
Ein einmal regelkonform durchgeführtes Verhalten (im Zeitpunkt des Inflationsausgleichs stellte dieser wie oben dargestellt keine Preiserhöhung iSd § 130a Abs. 3a SGB V dar) kann nicht zu einem späteren Zeitpunkt als regelwidriges Verhalten qualifiziert werden, zumal der Übergang vom patentgeschützten Zustand in den eines Generikums frei von jeglicher Beeinflussbarkeit ist. Diese Situation ist durchaus mit einer aus dem Baurecht bekannten Konstellation vergleichbar: Ein einmal rechtmäßig erstelltes Bauwerk wird durch eine spätere Änderung des Bebauungsplans nicht rechtswidrig.

b.
Das Gericht sieht sich durch die Gesetzesbegründung zum GSAV in seiner Auffassung bestätigt. Bei der Einführung von § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V mit dem GSAV vom 09.08.2019 und dessen Inkrafttreten zum 16.08.2019 wurde der Formulierung nach zwischen den Beteiligten unstreitig eindeutig geregelt, dass ab dem 16.08.2019 die Vornahme des Inflationsausgleichs keine Auswirkung auf die Ablöse des Generikaabschlags hat, d.h. keine Preiserhöhung iSd Abschlagregimes darstellt. Der Beklagte ist der Meinung, dass es sich hierbei um eine Neuregelung handelt, die keine rückwirkende Geltung entfaltet. Die erkennende Kammer hingegen geht von einer klarstellenden Regelung aus, wie es auch in der Gesetzesbegründung ausdrücklich heißt: "Mit der Änderung [gemeint ist die Einfügung des Satzes 4 in § 130a Abs. 3b SGB V] wird klargestellt, dass eine Preiserhöhung aufgrund der Nutzung des Inflationsausgleichs nicht durch den zuvor bereits ganz oder teilweise abgelösten Generikaabschlag wieder gemindert werden kann." (BT-Drs. 19/10681, Seite 87). Eine klarstellende Regelung hat zur Folge, dass der nun ausdrücklich erwähnte Sachverhalt bereits vorher auf die gleiche Weise zu handhaben war.
Die Argumentation des Beklagten gegen eine gesetzliche Klarstellung überzeugt nicht, denn dadurch hinge es rein vom (vor allem zeitlichen) Zufall des Ablaufs des Patentschutzes ab, ob bezogen auf die zeitliche Spanne zwischen der Einführung des Inflationsausgleichs bei patentgeschützten Arzneimitteln zum 01.07.2018 und der Klarstellung hinsichtlich den ebenfalls dem Preismoratorium unterliegenden Generika am 09.08.2019 dieser "sanktionsfrei" oder mit dem Risiko einer nicht anzuerkennenden Ablöse des Generikaabschlags in Anspruch genommen werden könnte. Dies bedeutete dann aber keine stringente Regelung mit dahinterstehender Systematik, sondern wäre rein willkürlich. Denn der Inflationsausgleich ist kein Instrument der strategischen Unternehmensführung, insbesondere besteht keine freie Wählbarkeit von Zeitpunkt und Umfang, sondern er kann ausschließlich zum 01.07. eines Jahres und allein anhand der Entwicklung des Verbraucherpreisindex (VPI) in Anspruch genommen werden. Er wurde vom Gesetzgeber als Gegengewicht zur langen Dauer des Preismoratoriums zugestanden, da dieses andernfalls wohl zunehmend als unverhältnismäßig einzustufen gewesen wäre. Die VPI-Raten waren aufgrund des damals begrenzten Umfangs (1,8% bis 0,5% in den Jahren 2013 - 2020) für eine missbräuchliche Preisstrategie (Gesetzesziel der Vermeidung von Preisschaukeln) nicht geeignet. Auch kann die gerade gesetzlich eingeräumte Ermöglichung der Preisanpassung mittels Inflationsausgleich nicht als rechtsmissbräuchliches oder profitorientiertes Handeln qualifiziert werden. Eine Klarstellung hingegen sichert einen Gleichlauf und eine Gleichbehandlung bei für beide Formen (patentgeschützt / Generikum) geltenden Rahmenbedingungen in Gestalt des Preismoratoriums.

c.
Rein ergänzend sei angemerkt, dass nach dem Dafürhalten des Gerichts die Inanspruchnahme des Inflationsausgleichs vor der Preissenkung und nach der Preissenkung nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen und damit nicht zu Verwerfungen führt. Das Gericht ist der Ansicht, dass der Beklagte unterschiedliche Prämissen beim Vergleich, ob die Inanspruchnahme des Inflationsausgleichs zeitlich vor oder nach der Ablösung des Generikaabschlags eine Rolle spielt, zugrunde gelegt hat. Er geht bei seinen Berechnungen davon aus, dass es sich bei dem im zu entscheidenden Fall vor Senkung des ApU noch als patentgeschütztes Medikament in Anspruch genommenen Inflationsausgleich um eines Preiserhöhung iSv § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V handelt (vgl. zB Schreiben vom 06.10.2023, Seite 4 oben), was dementsprechend zwangsläufig zu unterschiedlichen Rechenergebnissen führt. Nach Überzeugung der Kammer ist für eine Vergleichbarkeit in beiden Szenarien davon auszugehen, dass die einer der Preissenkung vor- wie nachgelagerte Inanspruchnahme des Inflationsausgleichs keine Preiserhöhung darstellt (dementsprechend auch keine Sperrfrist nach § 130a Abs. 3b Satz 6 SGB V auslöst). Nur so lässt sich feststellen, ob zwischen beiden Szenarien tatsächlich ein Unterschied besteht, der eine unterschiedliche Behandlung in Bezug auf das Generikaabschlagsregime sachlich rechtfertigt.
Nach dem Verständnis des Gerichts führen beide Modalitäten zum gleichen Ergebnis. Somit erschließt sich der erkennenden Kammer auch rein faktisch nicht, weshalb die Konstellationen rechtlich unterschiedlich zu behandeln seien. Vielmehr deckt sich das Ergebnis mit den zugehörigen Gesetzesmaterialien, nach denen es sich bei der Einführung des § 130a Abs. 3b Satz 4 SGB V um eine Klarstellung handelt, so dass die darin niedergelegte Regelung bereits für zeitlich vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gelagerte Sachverhalte galt und dementsprechend anzuwenden ist.

d.
Anderweitige rechnerische Fehler bei der Absenkung des Herstellerabgabepreises um 10% zur Ablösung des Generikaabschlags wurden weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
Der Tenor bezieht sich allein auf die am 01.03.2019 vorgenommene Senkung des ApU und nicht auf eventuelles Handeln oder Unterlassen der Klägerin in Folgejahren.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 63, 52 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Bei Verfahren, die in Bezug auf den Hersteller- und Generikaabschlag iSv § 130a SGB V die Feststellung der Abschlagspflicht zum Verfahrensgegenstand haben, ist die Höhe des streitigen Betrags, ggf. begrenzt auf den Höchststreitwert nach § 52 Abs. 4 Nr. 2 GKG zugrunde zu legen (vgl. BSG Urteil vom 30.09.2015 - B 3 KR 1/15 R).
Zwar ist der Streitwert einer Feststellungsklage grundsätzlich niedriger als der Streitwert einer Leistungsklage; bei einer Feststellungsklage, die wie hier gegen eine öffentlich-rechtliche Körperschaft gerichtet und mit einer Leistungsklage gleichwertig ist, bemisst sich der Streitwert nach dem Betrag, den der Kläger letztlich erstrebt; ein Abzug ist nicht vorzunehmen (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Oktober 1999 - B 6 KA 24/98 R -, Rn. 6, juris; BSG, Urteil vom 6. Dezember 2012 - B 11 AL 25/11 R -, SozR 4-4300 § 43 Nr 1, SozR 4-4300 § 42 Nr 1, Rn. 20).
Entsprechend der vom Beklagten vorgelegten Berechnung Anlage B2 (= Seite 91 der Akte) erstreckt sich das wirtschaftliche Interesse der Klägerin bis Klageerhebung auf 3.250.583,70 €, so dass für das Verfahren als Streitwert der Höchststreitwert von 2.500.000,- € anzusetzen ist.

 

Rechtskraft
Aus
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