1. Wird die Bestandskraft des Krankengeldbescheids bei hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen durch das Erheben eines Rechtsbehelfs temporär suspendiert und liegen der Krankenkasse während des laufenden Vorverfahrens konkrete Nachweise für ein Abweichen der Einkünfte im Referenzzeitraum vor, so hat sie dies bei der Höhe des Krankengelds zu berücksichtigen.
2. Dabei ermöglicht das Entgeltersatzprinzip (bei Vorliegen konkreter Nachweise bezüglich des Referenzzeitraums) auch Krankengeld aus einem oberhalb der Beitragsberechnung zugrundeliegenden Arbeitseinkommens.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Juni 2022 aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2020 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 9. Januar 2020 bis 29. Mai 2020 Krankengeld unter Zugrundelegung eines Regelentgelts von monatlich 5.175 € zu gewähren.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger im Zeitraum vom 9. Januar 2020 bis 29. Mai 2020 höheres Krankengeld zusteht.
Der 1985 geborene Kläger ist als Maler und Lackierer hauptberuflich selbstständig tätig. Er war vom 1. September 2018 bis zur Beendigung seiner Mitgliedschaft zum 31. Dezember 2020 freiwilliges Mitglied der Beklagten mit Anspruch auf Krankengeld ab der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 25. September 2019 setzte die Beklagte den Beitrag des Klägers auf der Grundlage des im September 2019 vorgelegten Einkommensteuerbescheids für 2017 vom 1. Februar 2019 (Einkünfte aus Gewerbebetreib: 27.817 €) nebst „Einkommenserklärung zur Beitragseinstufung“ vom 20. September 2019 ab 1. März 2019 neu fest.
Wegen einer Achillessehnenverletzung war der Kläger vom 28. November 2019 bis 29. Mai 2020 arbeitsunfähig. Im Formular der Beklagten „Einkommensverlust während der Arbeitsunfähigkeit“ gab der Kläger unter dem 16. Dezember 2019 an, sein Einkommensverlust aufgrund der aktuellen Arbeitsunfähigkeit betrage monatlich 7.000,00 €. Zum Nachweis dessen verwies er auf die Betriebswirtschaftliche Auswertung von Oktober 2019. Mit Bescheid vom 10. Januar 2020 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 9. Januar 2020 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 53,27 €. Der Berechnung des Krankengeldes legte sie das im Einkommensteuerbescheid für 2017 ausgewiesene Einkommen und dementsprechend ein monatliches Regelentgelt in Höhe von 2.318,08 € zugrunde. Am 24. Januar 2020 ging bei der Beklagten der Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 16. Januar 2020 ein, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 77.683,00 € ausweist.
Gegen den Bescheid vom 10. Januar 2020 erhob der Kläger am 5. Februar 2020 Widerspruch und machte geltend, für Selbstständige gelte als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei. Es seien somit nicht die Beträge aus dem Jahr 2017 heranzuziehen, sondern die aktuelleren Werte. Im Jahr 2018 habe der Gewinn aus Gewerbebetrieb ausweislich des bereits vorgelegten Einkommensteuerbescheids ca. 77.000 € betragen und nach der beigefügten Betriebswirtschaftliche Auswertung seien bis einschließlich November 2019 ca. 57.000 € erzielt worden. Er habe somit in beiden Jahren ein Einkommen erzielt, das über der Beitragsbemessungsgrenze liege. Das Krankengeld sei daher mit dem Höchstsatz auszuzahlen. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2020 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Für Versicherte, die nicht Arbeitnehmer seien, gelte gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend gewesen sei. Als Arbeitseinkommen sei nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts der ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit heranzuziehen, wobei das Einkommen als Arbeitseinkommen zu werten sei, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten sei. Vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit ab dem 28. November 2019 sei das Arbeitseinkommen aus dem Einkommensteuerbescheid für 2017 der Beitragsberechnung zugrunde gelegt worden, in dem Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 27.817 € ausgewiesen seien, was einem Monatsbetrag von 2.318,08 € entspreche. Dieses Einkommen gelte somit als Regelentgelt für die Berechnung des Krankengeldes. Der Einkommensteuerbescheid für 2018 sei erst am 16. Januar 2020 ausgestellt worden, also nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Soweit die Beiträge aufgrund des am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen § 240 Abs. 4a SGB V nach Vorlage des Einkommensteuerbescheids für 2018 für das Jahr 2018 endgültig festgelegt worden seien, führe die gesetzliche Neuregelung zwar nachträglich zu einer beitragsrechtlichen Korrektur, jedoch nicht zu einer Anpassung des Krankengeldes. Hintergrund dessen sei, dass gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag gelte, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgeblich „war“. Durch diese Formulierung werde sichergestellt, dass sowohl eine Erhöhung des Krankengeldes wegen des Nachweises eines höheren Einkommens als auch eine Reduktion des Krankengeldes im Vergleich zu ursprünglichen Feststellung weiter ausgeschlossen bleibe.
Am 5. November 2020 erhob der Kläger hiergegen beim Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage und verwies darauf, dass er bereits im Widerspruchsverfahren nachgewiesen habe, im Jahr 2018, also vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ein höheres jährliches Einkommen, nämlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb von ca. 77.000 € erzielt zu haben. Dementsprechend sei auch der Beitrag angepasst worden.
Die Beklagte trat der Klage unter Aufrechterhaltung ihres Standpunktes entgegen.
Mit Urteil vom 14. Juni 2022 wies das SG die Klage unter Hinweis auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 15. Oktober 2020 ab und führte ergänzend aus, das Bundessozialgericht (BSG) habe in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die Anordnung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als widerlegbare Vermutung zu verstehen sei. Aus dem Gesetzeszweck folge, dass das Regelentgelt einerseits allein nach dem Arbeitseinkommen, nicht aber aus anderen der Beitragsbemessung zugrunde liegenden Einnahmen zu bestimmen sei, und andererseits, dass kein fiktives Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden dürfe, weshalb eine Bestimmung des Regelentgelts bei Beitragsberechnung nach der Mindestbemessungsgrundlage nicht in Betracht komme, wenn tatsächlich Arbeitseinkommen unterhalb dieser erzielt worden sei. Soweit die Beiträge seit Änderung des § 240 SGB V zum 1. Januar 2018 zunächst vorläufig auf Grundlage des letzten Einkommensteuerbescheids und nach Vorlage des für das jeweilige Kalenderjahr erlassenen Einkommensteuerbescheids endgültig festzusetzen seien, müsse die Widerlegbarkeit der zur Vermutung reduzierten Anordnung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V erst recht – sowohl zugunsten wie zuungunsten des Versicherten – gelten. Das Regelentgelt abweichend von dem Betrag zu bestimmen, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden seien, komme jedoch nur dann in Betracht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor der Arbeitsunfähigkeit entspreche. Eine konkrete Ermittlung des Arbeitsentgelts vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei jedoch nur erforderlich, wenn der zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag erkennbar höher als das zu diesem Zeitpunkt erzielte Arbeitseinkommen gewesen sei, nicht jedoch wenn der der Beitragsbemessung zugrunde gelegte Betrag angeblich geringer als das erzielte Einkommen sein solle. Vorliegend sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür gehabt habe, dass sich das Arbeitseinkommen bzw. der Gewinn des Klägers unmittelbar vor Beginn seiner Arbeitsunfähigkeit im Vergleich zum zuletzt vorliegenden und für die bis dahin geltende Beitragsbemessung maßgeblichen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 etwas geändert habe. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 habe erstmals im Januar 2020, also nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit und auch nach Beginn der Krankengeldleistungen vorgelegen. Auch im Rahmen seines Antrags auf Krankengeld habe der Kläger keine Anhaltspunkte dafür geliefert, dass sich sein aktuelles Einkommen im Vergleich zum Einkommensteuerbescheid 2017 maßgeblich zu seinen Gunsten verändert habe. Entsprechend habe die Beklagte in nicht zu beanstandender Weise bei der Berechnung des Krankengeldes das Regelentgelt aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 entnommen. Das Urteil wurde dem Kläger am 12. Juli 2022 zugestellt.
Am 10. August 2022 hat der Kläger dagegen beim SG Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und sich gegen die Berechnung des Krankengeldes aus den im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 ausgewiesenen Einkünften gewandt. Vor seiner Erkrankung im Jahr 2019 habe er nach Betriebswirtschaftlicher Auswertung einen Gewinn von 57.000 € erzielt und im Jahr 2018 von ca. 77.000 €. Der Einkommensteuerbescheid für 2017 stelle damit nicht das realistische Einkommen zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit dar. Heranzuziehen sei das Einkommen im Jahr 2018, also im Jahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Dieses sei nachträglich der Beitragsbemessung zugrunde gelegt worden und sei auch für die Bemessung des Krankengeldes maßgeblich. Das BSG habe in seinem Urteil vom 6. November 2008 (B 1 KR 8/08 R) ausgeführt, dass die Anknüpfung an das Steuerrecht für die Ermittlung des für das Regelentgelt maßgeblichen Arbeitseinkommens zur Folge habe, dass der nach diesen Vorschriften ermittelte Gewinn aus selbstständiger Tätigkeit vor Schluss eines Kalenderjahres nicht feststehe. Das Arbeitseinkommen sei daher von der Krankenkasse von Amts wegen zu ermitteln, wenn es bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit an einer Feststellung des steuerlichen Gewinns durch das Finanzamt fehle. Im Umkehrschluss müsse dieser Grundsatz auch dafür gelten, dass nachträglich höheres Arbeitsentgelt festgestellt werde bzw. der für das maßgebliche Kalenderjahr ergehende Steuerbescheid höhere Einkünfte ausweise. Alles andere sei verfassungsrechtlich bedenklich. Da zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2019 der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018 noch nicht vorgelegen habe, hätten für die Krankenkasse konkrete Anhaltspunkte vorgelegen, von Amts wegen den steuerlichen Gewinn für das Jahr 2018 zu ermitteln bzw. nachzufragen. Es sei rechtswidrig gewesen, ohne konkrete Ermittlungen und Nachfragen der Krankengeldberechnung das Einkommen aus dem Jahr 2017, das zwei Jahre vor der Arbeitsunfähigkeit begründenden Erkrankung erzielt worden sei, zugrunde zu legen. Es hätte eine vorläufige Betriebswirtschaftliche Auswertung durch den Steuerberater angefordert werden können.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Juni 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 10. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2020 zu verurteilen, ihm im Zeitraum vom 9. Januar bis 29. Mai 2020 Krankengeld unter Zugrundelegung eines Regelentgelts in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V sei bei freiwillig Versicherten hauptberuflich Selbstständigen das Krankengeld im Sinne einer widerlegbaren Vermutung nach dem Regelentgelt zu berechnen, das dem Beitrag entspreche, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden seien. Einzig in den Fällen, in denen der zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag erkennbar höher als das zu diesem Zeitpunkt tatsächlich erzielte Arbeitseinkommen gewesen sei, gelte nach der höchstrichterlich entwickelten Rechtsprechung die Vermutung, dass die Beitragsbemessung das Arbeitseinkommen zutreffend widerspiegele als widerlegt. Da das der Beitragsberechnung zugrunde liegende Einkommen von 2.318,08 € die für das Jahr 2019 gültige fiktive Mindeststufe zur Beitragsbemessung nach § 240 Abs. 4 Satz 1 SGB V übersteige, lasse sich eine Berücksichtigung von ggf. erzieltem höheren Einkommen mit dem Wortlaut des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V nicht vereinbaren. Eine Amtsermittlungspflicht, wie vom Kläger angenommen, habe nicht bestanden, da bei der Berechnung des Krankengeldes eine Feststellung des steuerlichen Gewinns durch das Finanzamt in Form des Steuerbescheids für 2017 vorgelegen habe. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht erheblich seien, habe der Versicherte im Übrigen unverzüglich mitzuteilen und entsprechende Unterlagen einzureichen. Ermittlungen hätten vorliegend allerdings auch zu keinem anderen Ergebnis geführt, da der Steuerbescheid für das Jahr 2018 erst am 16. Januar 2020 erstellt worden sei und somit für die Berechnung der Krankengeldhöhe für die Arbeitsunfähigkeit ab 28. November 2019 keine Berücksichtigung mehr hätte finden können. Ein Steuerbescheid für die Beitragsbemessung sei erst ab Beginn des auf die Ausfertigung folgenden Monats heranzuziehen. Sie legte u.a. die „Einkommenserklärung zur Beitragseinstufung“ vom 20. September 2019 und den zusammen damit vorgelegten Einkommensteuerbescheid für 2017 vom 1. Februar 2019 vor. Auf dieser Grundlage sei der Beitrag mit Bescheid vom 25. September 2019 ab 1. März 2019 neu berechnet worden. Widerspruch habe der Kläger hiergegen nicht erhoben, obwohl der Kläger in seiner Einkommenserklärung für das laufende Jahr 2019 voraussichtliche Einkünfte von mehr als 4.537,50 € monatlich angegeben habe.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten des SG und des Senats sowie die Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe
1. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft und zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da das vom Kläger begehrte höhere Krankengeld für den Zeitraum vom 9. Januar bis 29. Mai 2020 den Betrag von 750,00 € übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte dem Kläger für die am 28. November 2019 eingetretene Arbeitsunfähigkeit ab 9. Januar 2020 unter Zugrundelegung der im Jahr 2017 erzielten Einkünfte Krankengeld in Höhe von 53,27 € bewilligte. Mit seinem Begehren auf Gewährung von höherem Krankengeld macht der Kläger geltend, der Berechnung des Krankengeldes seien als Regelentgelt nicht die im Einkommensteuerbescheid für 2017 ausgewiesenen Einkünfte, sondern die im Jahr 2018 erzielten Einkünfte ausweislich des Einkommensteuerbescheides für 2018 zugrunde zu legen. Richtige Klageart ist die auf Abänderung der Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von höherem Krankengeld gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG), die als auf ein Grundurteil gerichtet keiner Bezifferung bedarf (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG; ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urteil vom 17. Juni 2021 – B 3 KR 2/19 R – juris, Rn. 8; Urteil vom 29. Oktober 2020 – B 3 KR 5/20 R – juris, Rn. 10; Urteil vom 20. April 1999 – B 1 KR 15/98 R – juris, Rn. 16). Der Kläger hat den Zeitraum, für den er höheres Krankengeld begehrt, schon im Klageverfahren auf den Zeitraum bis zum 29. Mai 2020 begrenzt. Im Berufungsverfahren ist mithin die Gewährung von höherem Krankengeld im Zeitraum vom 9. Januar 2020 bis 29. Mai 2020 streitig.
3. Die Berufung des Klägers ist begründet. Das SG hätte die Klage nicht abweisen dürfen. Denn der Bescheid vom 10. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Oktober 2020 ist insoweit rechtswidrig, als die Beklagte dem Kläger ein kalendertägliches Krankengeld von nicht mehr als 53,27 € bewilligte. Insoweit verletzt der angefochtene Bescheid den Kläger in seinen Rechten. Der Berechnung des Krankengeldes ist im streitbefangenen Zeitraum vom 9. Januar bis 29. Mai 2020 als monatliches Regelentgelt der Betrag von 5.175 € (1/12 der Beitragsbemessungsgrenze für 2018 von 62.100 €) zugrunde zu legen, nicht aber der Betrag von monatlich 2.318,08 €, wie er sich aus dem Einkommensteuerbescheid für 2017 (1/12 der jährlichen Einkünfte von 27.817€) ergibt.
a) Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum vom 9. Januar bis zum 29. Mai 2020 dem Grunde nach ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit (hier: 9. Januar 2020) Anspruch auf Krankengeld hatte. Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, u.a. wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Keinen Anspruch auf Krankengeld haben nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V allerdings hauptberuflich selbstständig Erwerbstätige, es sei denn, das Mitglied erklärt gegenüber der Krankenkasse, dass die Mitgliedschaft den Anspruch auf Krankengeld umfassen soll (Wahlerklärung). Der Kläger war im streitbefangenen Zeitraum (und nachfolgend bis zum 31. Dezember 2020) bei der Beklagten als hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger freiwillig krankenversichert und hatte aufgrund der von ihm abgegebenen Wahlerklärung grundsätzlich Anspruch auf Krankengeld von der siebten Woche der Arbeitsunfähigkeit an. Der Kläger war vom 28. November 2019 bis 29. Mai 2020 wegen einer Achillessehnenverletzung arbeitsunfähig. Auch dies steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Streitig ist allein die Höhe des dem Kläger in diesem Zeitraum kalendertäglich zustehenden Krankengeldes.
b) Dem Kläger steht im streitbefangenen Zeitraum Krankengeld unter Zugrundelegung eines monatlichen Regelentgelts von 5.175 € zu.
Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70 v.H. des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 5 SGB V wird dieses Regelentgelt nach den Absätzen 2, 4 und 6 des § 47 SGB V berechnet und gemäß Satz 6 für Kalendertage gezahlt. Für Versicherte, die – wie der Kläger – nicht Arbeitnehmer sind, gilt nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V als Regelentgelt der kalendertägliche Betrag, der zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit für die Beitragsbemessung aus Arbeitseinkommen maßgebend war. Was unter Arbeitseinkommen im Sinne des § 47 SGB V zu verstehen ist, legt § 15 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) fest. Danach ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit. Gemäß § 25 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) ist maßgeblicher Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr. Referenzzeitraum sowohl für die Beitragsbemessung nach § 240 SGB V als auch für die Berechnung des Krankengelds nach §§ 44, 47 SGB V ist damit das letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr (Senatsurteil vom 24. Juni 2022 – L 4 KR 1289/21 - n.v.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 – juris, Rn. 26). Die Verknüpfung des Regelentgelts in § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V mit dem Begriff des Arbeitseinkommens und den Grundsätzen der Beitragsbemessung nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V schließt ein, dass die tatsächlich erzielten Einnahmen bei der Bemessung des Krankengeldes nur zeitversetzt berücksichtigt werden. Denn das für die Ermittlung des Regelentgelts maßgebliche Arbeitseinkommen, das an das Einkommensteuerrecht und damit an ein Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum anknüpft, steht vor Schluss eines Kalenderjahrs nicht fest (BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 R – juris, Rn. 16).
Das Arbeitseinkommen im Referenzjahr ist in der Regel dem Einkommensteuerbescheid zu entnehmen, der der Beitragsfestsetzung zuletzt vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit zugrunde lag. Bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen ist das Krankengeld nach § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V nur im Sinne einer widerlegbaren Vermutung nach dem Regelentgelt zu berechnen, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind. Hiervon kann dann abgewichen und die Vermutung widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieser Betrag erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor der Arbeitsunfähigkeit entspricht. Eine konkrete Ermittlung des Arbeitsentgeltes vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ist durch die Krankenkasse aber nur erforderlich, wenn der zuletzt der Beitragsbemessung zugrunde liegende Betrag erkennbar höher als das zu diesem Zeitpunkt erzielte Arbeitseinkommen gewesen ist, nicht jedoch wenn der der Beitragsbemessung zugrunde gelegte Betrag angeblich geringer als das erzielte Einkommen sein soll (BSG, Beschluss vom 28. Juli 2008 – B 1 KR 44/08 B – juris, Rn. 8; Bohlken, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, Stand Januar 2022, § 47 SGB V Rn. 96).
Ausgehend hiervon waren angesichts der Angaben des Klägers in seinen Erklärungen vom 20. September 2019 („Einkommenserklärung zur Beitragseinstufung“) und 16. Dezember 2019 („Einkommensverlust während der Arbeitsunfähigkeit“), die Anhaltspunkte dafür boten, dass er im Jahr 2018 ein deutlich höheres Arbeitseinkommen erzielt hatte, als im Einkommensteuerbescheid von 2017 ausgewiesen und der Beitragsbemessung zugrunde gelegt, konkrete Ermittlungen der Beklagten zu den vom Kläger im Jahr 2018 erzielten Einkünften vor Erlass des Bescheids vom 10. Januar 2020 nicht geboten.
Allerdings war es dem Kläger jedenfalls bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids der Krankenkasse über das Krankengeld nicht verwehrt, die Vermutung des § 47 Abs. 4 Satz 2 SGB V durch den Nachweis eines höheren Arbeitseinkommens vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu widerlegen (BSG, Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 R – juris, Rn 22; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. Oktober 2023 – L 11 KR 431/23 – juris, Rn. 26; Sozialgericht Frankfurt, Urteil vom 21. Juli 2023 – S 34 KR 1684/22 – juris, Rn. 25). Wird die Bestandskraft des Ausgangsbescheids durch das Erheben eines Rechtsbehelfs (Widerspruch gemäß § 83 SGG) temporär suspendiert und liegen der Krankenkasse während des laufenden Vorverfahrens (§ 78 SGG) konkrete Nachweise für ein Abweichen der Einkünfte im Referenzzeitraum vor, so hat sie dies bei der Höhe des Krankengelds zu berücksichtigen. Dabei ermöglicht das Entgeltersatzprinzip (bei Vorliegen konkreter Nachweise bezüglich des Referenzzeitraums) auch Krankengeld aus einem oberhalb der Beitragsberechnung zugrundeliegenden Arbeitseinkommens (BSG, Beschluss vom 22. Februar 2017 – B 3 KR 47/16 B – juris, Rn. 13; Urteil vom 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 R – juris, Rn. 22; Schifferdecker, in: BeckOGK, Stand: August 2024, § 47 Rn. 97 m.w.N.).
Das letzte vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossene Kalenderjahr war vorliegend das Jahr 2018. Im Widerspruchsverfahren wies der Kläger seine im Jahr 2018 bezogenen Einkünfte konkret nach. So legte er den Einkommensteuerbescheid für 2018 vom 16. Januar 2020, der Einkünfte in Höhe von 77.683 € auswies, vor, der bei der Beklagten am 24. Januar 2020 einging. Entsprechend setzte die Beklagte die Beiträge für das Jahr 2018 mit Bescheid vom 24. Januar 2020 auch endgültig fest. Da mit dem vorgelegten Einkommensteuerbescheid für 2018 nunmehr auch das Einkommen des Klägers im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgeschlossenen Kalenderjahr feststand, bestand im Hinblick auf die Berechnung des Krankengeldes für die Arbeitsunfähigkeit ab 28. November 2019 kein Anlass mehr, auf den Einkommensteuerbescheid für das weiter zurückliegende Jahr 2017 zurückzugreifen. Vielmehr hätte die Beklagte der mit Erlass des Einkommensteuerbescheids für 2018 vom 16. Januar 2020 eingetretenen Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, wie sie noch dem Bescheid vom 10. Januar 2020 zugrunde gelegen haben, im Widerspruchsverfahren Rechnung tragen müssen. Sie hätte der Krankengeldberechnung (nunmehr) das im Einkommensteuerbescheid für 2018 ausgewiesene und gegenüber 2017 höhere Einkommen zugrunde legen und dem Widerspruch des Klägers abhelfen müssen.
Im Hinblick auf die im Einkommensteuerbescheid für 2018 ausgewiesenen Einkünfte aus Gewerbetrieb in Höhe von 77.683 €, mit denen die Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2018 von 62.100 € überschritten wurde, richtet sich die Bemessung des Krankengeldes – wie vom Kläger geltend gemacht – nach einem Regelentgelt von 5.175 € monatlich. Dies hat die Beklagte dem Grunde nach auch nicht in Zweifel gezogen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.