B 5 R 15/22 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 R 360/20
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 184/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 15/22 R
Datum
Kategorie
Urteil

 

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.


G r ü n d e :

I

1
Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Aufwendungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) erbracht wurden.

2
Der 1983 geborene, nicht am Verfahren beteiligte W (im Folgenden: Versicherter) beantragte im Juni 2013 eine Rente wegen Erwerbsminderung beim beklagten Rentenversicherungsträger. Im Klageverfahren, das der Versicherte nach Ablehnung seines Rentenantrags anstrengte, wurde ein Gutachten des Psychiaters und Psychotherapeuten L vom 6.10.2015 eingeholt. Dieser kam zu dem Ergebnis, der Versicherte könne seit Ende 2011 nur noch weniger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein. Am 26.7.2017 schlossen der Versicherte und die Beklagte einen gerichtlichen Vergleich, aufgrund dessen die Beklagte ihm ausgehend von einem Leistungsfall im November 2011 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für Juni 2013 bis Mai 2019 gewährte (Ausführungsbescheid vom 16.8.2017).

3
Am 9.11.2015 beantragte der Versicherte bei der Beklagten zudem Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in einer WfbM. Die Wartezeit von 15 Jahren erfüllte er zu diesem Zeitpunkt nicht. Die Beklagte leitete den Antrag mit Schreiben vom 17.11.2015 an die klagende Bundesagentur für Arbeit weiter, die sich gegenüber dem Versicherten zum zuständigen Rehabilitationsträger erklärte. Der Versicherte absolvierte in der Folgezeit das Eingangsverfahren (vom 1.8.2016 bis zum 31.10.2016) und den Berufsbildungsbereich einer WfbM (vom 1.11.2016 bis zum 31.10.2018). Anschließend wurde er in den dortigen Arbeitsbereich übernommen. Wegen der ihr durch die Teilhabeleistungen entstandenen Kosten iHv 47 440,13 Euro machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch geltend; außergerichtlich blieb sie ohne Erfolg.

4
Das SG hat die Beklagte zur Erstattung des streitbefangenen Betrags verurteilt (Urteil vom 8.3.2021). Auf die dagegen angestrengte Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Klägerin als zweitangegangener Rehabilitationsträger könne den geltend gemachten Anspruch nicht auf § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX aF (für die bis zum 31.12.2017 entstandenen Aufwendungen) bzw auf § 16 Abs 1 SGB IX (für die ab dem 1.1.2018 entstandenen Aufwendungen) stützen. Die Beklagte sei für die Leistungserbringung nicht zuständig gewesen. Mangels Wartezeiterfüllung habe der Versicherte keine Teilhabeleistungen vom Rentenversicherungsträger beanspruchen können. Er habe auch nicht die Voraussetzungen des § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI erfüllt, weil er bei Antragstellung noch keine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bezogen habe. Dass bereits zu diesem Zeitpunkt sämtliche Anspruchsvoraussetzungen der Erwerbsminderungsrente erfüllt gewesen seien, reiche nicht aus. Ebenso wenig habe ein Fall des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI vorgelegen. Dies erfordere die Prognose, dass der Betroffene durch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben voraussichtlich zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigt werden könne. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Beklagte eine solche Prognose bei dem Versicherten nicht habe stellen können (Urteil vom 7.7.2022).

5
Die Klägerin rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung von § 14 Abs 4 Satz 1, § 42 Abs 1 Nr 3 SGB IX aF bzw § 16 Abs 1, § 63 Abs 1 Nr 3 SGB IX iVm § 11 Abs 1 Nr 2 und Abs 2a Nr 1 SGB VI. Bei einer rückwirkenden Rentengewährung, deren Bewilligungszeitraum den Zeitpunkt der Antragstellung von Teilhabeleistungen umfasse, liege ein Fall des § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI vor. Die Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger für Teilhabeleistungen dürfe nicht von Zufälligkeiten wie der Dauer des Verwaltungs- oder Rechtsbehelfsverfahrens abhängen. Unabhängig davon werde die hier zugrunde liegende Konstellation von § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI erfasst. Die Vorschrift diene der Schließung von Lücken in der Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger für Teilhabeleistungen und solle sogar Fälle einbeziehen, in denen bei Beantragung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben noch kein Rentenantrag gestellt sei. § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI setze, anders als § 11 Abs 2a Nr 2 SGB VI, auch nicht voraus, dass die Teilhabeleistungen den betroffenen Versicherten voraussichtlich in den allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren werden. Mit der Vorschrift hätten die Voraussetzungen für Teilhabeleistungen zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung deutlich herabgesetzt werden sollen. Zudem wäre es ihr, der Klägerin, selbst als erstangegangener Träger verwehrt gewesen, im Rahmen der Zuständigkeitsklärung die Voraussetzungen des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI von der Beklagten prüfen zu lassen.

6
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Juli 2022 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 8. März 2021 zurückzuweisen.

7
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

8
Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

II

9
A. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend hat das LSG auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die KIage abgewiesen. Die Klägerin kann keine Erstattung von der Beklagten verlangen.

10
I. Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs kommt allein § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung des Änderungsgesetzes "Sozialgesetzbuch  Neuntes Buch  (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen" vom 19.6.2001 (BGBl I 1046  im Folgenden: SGB IX aF) in Betracht. Der zeitliche Anwendungsbereich des weitgehend inhaltsgleichen § 16 Abs 1 iVm § 63 Abs 1 Nr 3 SGB IX in der seit dem 1.1.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) vom 23.12.2016 (BGBl I 3234) ist nicht eröffnet. In Ermangelung ausdrücklicher Übergangs oder Überleitungsvorschriften ist zur Bestimmung der anzuwendenden Erstattungsvorschrift auf die Prinzipien des intertemporalen Rechts zurückzugreifen. Danach beurteilen sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse grundsätzlich nach dem Recht, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände galt (vgl zB BSG Urteil vom 27.6.2019  B 10 EG 2/18 R  BSGE 128, 243 = SozR 47837 § 2c Nr 5, RdNr 20 mwN; BSG Urteil vom 26.2.2020  B 5 R 1/19 R  SozR 42600 § 11 Nr 1 RdNr 13). Dieser Grundsatz findet auch auf Erstattungsansprüche Anwendung (vgl zB BSG Urteil vom 24.3.2009  B 8 SO 34/07 R  SozR 45910 § 111 Nr 1 RdNr 9). Die Klägerin stützt den geltend gemachten Erstattungsanspruch auf einen Sachverhalt, der mit den streitbefangenen Teilhabeleistungen am 1.8.2016 begann. Zwar fordert sie auch Erstattung des Teils der Leistungen, die dem Versicherten über den 31.12.2017 hinaus erbracht wurden. Die Leistungen bilden jedoch ein einheitliches Rehabilitationsgeschehen, das im Außenverhältnis zum Versicherten ihre fortdauernde Zuständigkeit (§ 14 Abs 2 Satz 3 iVm Satz 1 SGB IX aF) begründete (zu einer vergleichbaren Konstellation im Sozialhilferecht vgl BSG Urteil vom 19.5.2022  B 8 SO 9/20 R  SozR 43250 § 14 Nr 31 RdNr 13; vgl allgemein dazu, dass geänderte Regelungen grundsätzlich nur auf Sachverhalte anwendbar sind, die sich vollständig nach Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben, BSG Urteil vom 27.8.2019  B 1 KR 14/19 R  SozR 42500 § 13 Nr 50 RdNr 10).

11
Nach § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX aF hat ein Rehabilitationsträger, dessen Zuständigkeit für eine Leistung zur Teilhabe nach deren Bewilligung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs 1 Satz 2 bis 4 festgestellt wird, dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Vorschriften zu erstatten. Die Vorschrift räumt dem zweitangegangenen Rehabilitationsträger gegenüber dem materiell-rechtlich originär zuständigen Träger einen spezialgesetzlichen Anspruch ein, der die allgemeinen Erstattungsansprüche der §§ 102 ff SGB X verdrängt (vgl zB BSG Urteil vom 25.4.2013  B 8 SO 12/12 R  SozR 41500 § 141 Nr 2 RdNr 10 mwN; BSG Urteil vom 26.2.2020  B 5 R 1/19  SozR 42600 § 11 Nr 1 RdNr 14 mwN).

12
II. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Abs 4 Satz 1 SGB IX aF sind nicht erfüllt. Zwar ist die Klägerin zweitangegangener Rehabilitationsträger, weil die Beklagte den bei ihr gestellten Antrag des Versicherten innerhalb der ZweiWochenFrist des § 14 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB IX aF an sie weiterleitete; gemäß § 14 Abs 2 Satz 3 Halbsatz 1 iVm Satz 1 SGB IX aF war die Klägerin damit im Außenverhältnis zum Versicherten umfassend leistungspflichtig. Die Beklagte war aber nicht originär für die streitbefangenen Teilhabeleistungen zuständig.

13
1. Die Zuständigkeit und die Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe richten sich nach den für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetzen (§ 7 Satz 2 SGB IX aF). Die Beklagte kommt als Träger der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich als Rehabilitationsträger für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Betracht (§ 6 Abs 1 Nr 4 iVm § 5 Nr 2 SGB IX aF). Bezüglich der hier betroffenen Leistungen in einer WfbM erbringt sie diese im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich unter den Voraussetzungen der §§ 11 bis 13 SGB VI (§ 42 Abs 1 Nr 3 SGB IX aF). Art und Umfang dieser Leistungen bestimmten sich nach § 40 SGB IX aF (§ 16 SGB VI in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung der Neubekanntmachung vom 19.2.2002 <BGBl I 754>).

14
2. Die sich daraus ergebenden Voraussetzungen für Teilhabeleistungen auf Kosten der gesetzlichen Rentenversicherung waren hier nicht gegeben.

15
a) Der Versicherte erfüllte nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11 Abs 1 SGB VI, hier anwendbar in der weiterhin gültigen Fassung der Neubekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754). Nach dieser Vorschrift haben Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe erfüllt, die bei Antragstellung die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben (Nr 1) oder die bei Antragstellung eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beziehen (Nr 2). Da nach den für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG der Versicherte die Wartezeit von 15 Jahren nicht erfüllte, kommt allenfalls ein Fall nach Nr 2 in Betracht. Als der Versicherte am 9.11.2015 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der Beklagten beantragte, bezog er indes noch keine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

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Die Voraussetzungen des § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI wurden auch nicht dadurch erfüllt, dass ihm mit Ausführungsbescheid vom 16.8.2017 eine Erwerbsminderungsrente rückwirkend ab Juni 2013 gewährt wurde, sodass der Zeitpunkt der Antragstellung am 9.11.2015 nunmehr im Bewilligungszeitraum der Rente lag. Die rückwirkende Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lässt keinen Fall des § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI entstehen. Das ergibt die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "beziehen" in dieser Vorschrift (so auch Jabben/Schaumberg in Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching, BeckOK SozR, 73. Ed 1.9.2020, § 11 SGB VI RdNr 4; Jüttner in Hauck/Noftz, SGB VI, 2. EL 2024, § 11 SGB VI RdNr 10a; Kater in Rolfs/Körner/Krasney/Mutschler, BeckOGK, 15.2.2024, § 11 SGB VI RdNr 9; Löschau in Löschau, SGB VIKomm, 25. Lfg Februar 2018, § 11 SGB VI RdNr 32 f; Steigner in Reinhardt/Silber, NKSGB VI, 5. Aufl 2021, § 11 RdNr 5; wohl auch Welti in Ruland/Becker/Axer, SRH, 7. Aufl 2022, § 27 RdNr 209; aA Belusa, Rehabilitation in der RV, § 11 SGB VI RdNr 5; Lilge in Lilge, SGB VI, 2006, § 11 Ziff 4.3; Luthe in Schlegel/Voelzke, jurisPKSGB VI, 3. Aufl 2021, § 11 SGB VI RdNr 31; Verhorst in Ruland/Dünn, GKSGB VI, Juni 2017, § 11 RdNr 37; Zabre in KomGRV, 87. EL April 2017, § 11 SGB VI RdNr 5, Stand April 2017; wohl auch Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr in Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr/Benen/Dieckmann/ Faust/Gutzeit/Rostalski/Schimang/Zabre, RV II  SGB VI, 66. EL Januar 2024, § 11 RdNr 14).

17
aa) Zwar kann kontextabhängig unterschiedlich verstanden werden, wann eine Leistung iS des Gesetzes bezogen wird (vgl BSG Urteil vom 6.6.2023  B 11 AL 38/21 R  zur Veröffentlichung in BSGE 136, 112 vorgesehen = SozR 44300 § 28 Nr 1, RdNr 26 zu § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III; zum Sonderfall einer Weiterversicherung nach der RVO vgl auch BSG Urteil vom 27.7.1967  12 RJ 130/64  SozR Nr 9 zu Art 2 § 38 ArVNG , juris RdNr 9 zu § 1233 Abs 1 Satz 2 RVO). Bereits der Wortlaut des § 11 Abs 1 SGB VI "bei Antragstellung" legt aber nahe, dass dort mit dem Bezug einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit deren Auszahlung, zumindest aber deren Bewilligung vorausgesetzt wird. Auch an anderer Stelle im Sozialversicherungsrecht wird unter der Formulierung "Rentenbezug" oder "eine Rente …beziehen" die tatsächliche Auszahlung der Rente verstanden (vgl BSG Urteil vom 27.1.1994  5 RJ 18/93  SozR 32200 § 1246 Nr 43, juris RdNr 16; vgl auch BSG Urteil vom 6.6.2023  B 11 AL 38/21 R  zur Veröffentlichung in BSGE 136, 112 vorgesehen = SozR 44300 § 28 Nr 1, RdNr 26 zu § 26 Abs 2 Nr 3 SGB III).

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bb) Die Gesetzessystematik innerhalb des § 11 SGB VI spricht ebenfalls dafür, dass Abs 1 Nr 1 nur die Fälle erfasst, in denen zum Zeitpunkt der Beantragung von Teilhabeleistungen zumindest bereits eine Erwerbsminderungsrente bewilligt ist. § 11 Abs 2 SGB VI erweitert in Bezug auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation den anspruchsberechtigten Personenkreis gegenüber demjenigen des Abs 1. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für diese Leistungen erfüllen auch Versicherte, die vermindert erwerbsfähig sind oder bei denen dies in absehbarer Zeit zu erwarten ist, wenn sie die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3). Insoweit wird gerade kein Rentenbezug gefordert. Auch § 11 Abs 2a SGB VI erweitert den leistungsberechtigten Personenkreis gegenüber demjenigen des Abs 1, und zwar bezüglich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Hierfür sind auch Versicherte anspruchsberechtigt, wenn ohne diese Leistungen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre (Nr 1). Mit dieser Spezialregelung zur beruflichen Rehabilitation sollten gerade Versicherte erfasst werden, die, ohne bereits eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu beziehen, Anspruch auf eine solche Rente hätten (vgl die Beschlussempfehlung zum Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen in BTDrucks 12/3423, S 60 f). Eine weite Auslegung von § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI, die bereits für alle Arten von Teilhabeleistungen eine nachträgliche Rentenbewilligung genügen lässt, würde § 11 Abs 2 und 2a SGB VI weitestgehend entbehrlich machen (vgl auch Jüttner in Hauck/Noftz, SGB VI, 2. EL 2024, § 11 SGB VI RdNr 10a).

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cc) Es entspricht schließlich auch der Gesetzeshistorie und dem Sinn und Zweck von § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI, auf die tatsächliche Auszahlung oder zumindest auf die Rentenbewilligung abzustellen.

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Mit der Regelung, die bereits in der Ursprungsfassung des zum 1.1.1992 in Kraft getretenen SGB VI vorhanden war, wurde das zuvor geltende Recht übernommen (vgl die Entwurfsbegründung zum RRG 1992 in BTDrucks 120/89 S 154 zu § 11). Die Kodifikation der Rehabilitation im Rentenrecht war erstmals durch das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz (ArVNG) vom 23.2.1957 (BGBl I 45) und das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23.2.1957 (BGBl I 88) erfolgt (vgl zur Gesetzeshistorie auch BSG Urteil vom 12.3.2019  B 13 R 27/17 R  SozR 42600 § 10 Nr 4 RdNr 23 ff). Nach § 1236 Abs 2 RVO idF des ArVNG und § 13 Abs 1a idF des AnVNG konnten die Rentenversicherungsträger ua berufsfördernde Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung auch für Bezieher einer Berufs oder Erwerbsunfähigkeitsrente sowie für berufs oder erwerbsunfähige Bezieher einer Hinterbliebenenrente erbringen. Durch § 35 Abs 2 RKG in der Fassung des Hinterbliebenenrenten und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) vom 11.7.1985 (BGBl I 1450) wurde eine entsprechende Regelung für die knappschaftliche Rentenversicherung übernommen.

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Im Rehabilitationsrecht war eine Leistungszuständigkeit der Rentenversicherungsträger von Anfang an mit dem Gedanken verknüpft, dass eine rentenvermeidende Rehabilitation auch für die Versichertengemeinschaft finanziell vorteilhaft ist. Die Einbeziehung berufs bzw erwerbsunfähiger Personen beruhte auf der Erwägung, dass dies nicht nur im Interesse der Betroffenen liege, sondern auch in demjenigen "der Allgemeinheit" (vgl die Entwurfsbegründung zum Rentenversicherungsgesetz in BTDrucks 2/2437 S 67 zu § 1241 RVOE). Die neu geschaffene Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger war aber nicht nur als Leistungsausweitung gedacht, sondern wurde zugleich auf Bezieher einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente bzw berufs- oder erwerbsunfähige Bezieher einer Hinterbliebenenrente beschränkt. Auch dies steht einer Auslegung des Merkmals "beziehen" in § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI entgegen, die eine nachträgliche Rentenbewilligung einbeziehen würde. Eine solche Auslegung könnte zudem aufwändige Rückabwicklungen zwischen den Rehabilitationsträgern nach sich ziehen.

22
Demgegenüber lässt sich die von der Klägerin bevorzugte Auslegung des § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI auch nicht auf die Erwägung stützen, andernfalls hänge die Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger für Teilhabeleistungen von Zufälligkeiten wie der Dauer des Renten- und eines sich ggf anschließenden Rechtsbehelfsverfahrens ab. Es existieren andere Instrumente, um zu verhindern, dass ein Rentenversicherungsträger ggf Entscheidungen über Rentenanträge verzögert trifft. So verpflichtet bereits § 17 Nr 1 iVm §§ 12 Satz 1, 23 SGB I die Rentenversicherungsträger, jedem Berechtigten die ihm zustehenden Sozialleistungen ua zügig zu gewähren. Das Beschleunigungsgebot bezieht sich insbesondere auf die Entscheidung über existenzsichernde Leistungen wie eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl BSG Urteil vom 24.7.2003  B 4 RA 60/02 R  SozR 41200 § 52 Nr 1 RdNr 33; vgl allgemein auch BSG Urteil vom 16.2.2022  B 8 SO 3/20 R  juris RdNr 22). Flankierend verpflichtet § 9 Satz 2 SGB X zur zügigen Durchführung des Verwaltungsverfahrens.

23
b) Ebenso wenig lag ein Fall des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI vor, der hier ebenfalls in der weiterhin gültigen Fassung der Neubekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) anwendbar ist. Danach werden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch erbracht, wenn ohne diese Leistungen eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre. Hinsichtlich des Versicherten war diese Voraussetzung nicht in jeder Hinsicht erfüllt.

24
aa) § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI setzt zunächst voraus, dass der betroffene Versicherte Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) oder eine Rente für Bergleute (§ 45 SGB VI) hätte, insbesondere die allgemeine Wartezeit bzw die allgemeine Wartezeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung erfüllt (vgl § 43 Abs 1 Satz 1 Nr 3, Abs 2 Nr 3 bzw § 45 Abs 1 Nr 3, jeweils iVm § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI), ggf vorzeitig (vgl § 53 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Satz 2 bzw § 45 Abs 1 Nr 2 SGB VI), und die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs 1 Satz 1 Nr 2, Abs 2 Satz 1 Nr 2 bzw § 45 Abs 1 Nr 2 SGB VI) in seiner Person verwirklicht sind. Dass eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bereits beantragt ist, wird nicht verlangt; § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI soll gerade Versicherte erfassen, die noch keinen Rentenantrag gestellt haben (vgl die Beschlussempfehlung zum Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen in BTDrucks 12/3423 S 61). Die Vorschrift kann daher erst recht zur Anwendung kommen, wenn, wie hier, bereits ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt, dieser im Zeitpunkt der Entscheidung über den Rehabilitationsantrag aber noch nicht (bestandskräftig) beschieden ist.

25
Der Versicherte erfüllte die erste Voraussetzung des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI, weil er rentenberechtigt war, als ihm Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gewährt wurden und sogar schon lange bevor er diese im November 2015 beantragte. Nach den bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG lagen insbesondere auch die medizinischen Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI) vor. Das LSG hat dies maßgeblich dem im Rentenverfahren eingeholten Gutachten des Sachverständigen L vom 6.10.2015 entnommen. Danach sei der Versicherte aufgrund der bestehenden paranoiden Schizophrenie in seinem Erwerbsvermögen wesentlich beeinträchtigt und könne selbst leichte geistige Arbeiten nur noch bis unter drei Stunden täglich ausüben; die Störung bestehe in dieser Ausprägung seit Ende 2011. Auch die Beklagte ging letztlich von einem Leistungsfall im November 2011 aus.

26
bb) Darüber hinaus verlangt § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI, dass durch die beantragten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben der betroffene Versicherte voraussichtlich zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (wieder) befähigt werden bzw diese Befähigung bei ihm voraussichtlich erhalten werden kann. Das ergibt sich im Wege der Auslegung des Merkmals "ohne diese Leistung", das andernfalls ohne Inhalt bliebe (vgl Luthe in Schlegel/Voelzke, jurisPKSGB VI, 3. Aufl 2021, § 11 SGB VI RdNr 52; Verhorst in Ruland/Dünn, GKSGB VI, Juni 2017, § 11 RdNr 85; Zabre in KomGRV, 87. EL April 2017, § 11 SGB VI RdNr 11.2; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr in Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr/Benen/Dieckmann/ Faust/Gutzeit/Rostalski/Schimang/Zabre, RV II  SGB VI, 66. EL Januar 2024, § 11 RdNr 45; iE ebenso Jüttner in Hauck/Noftz, SGB VI, 2. EL 2024, § 11 SGB VI RdNr 22).

27
(1) Schon die Formulierung "ohne diese Leistung" lässt darauf schließen, dass der sachliche Anwendungsbereich des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI nur eröffnet ist, wenn eine kausale Verbindung zwischen den beantragten Teilhabeleistungen und der Vermeidung einer Rentenleistung besteht. Zudem legt der systematische Zusammenhang mit § 11 Abs 2a Nr 2 SGB VI ein solches Verständnis nahe. Danach erbringen die Rentenversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auch, wenn sie für eine voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation unmittelbar im Anschluss an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation der Träger der Rentenversicherung erforderlich sind. Die Vorschrift, die zeitgleich mit § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI zum 1.1.1993 durch das Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen vom 18.12.1992 (BGBl I 2044) eingefügt wurde, stellt mit dem Merkmal "voraussichtlich erfolgreiche Rehabilitation" sogar ausdrücklich auf das Rehabilitationsziel ab. Die unterschiedliche Wortwahl in Nr 1 und 2 ist vor dem Hintergrund zu würdigen, dass in Nr 1 zwei unterschiedliche Leistungen zueinander in Bezug gesetzt werden, die beantragten Teilhabeleistungen und die (dadurch abzuwendende) Rente, während in Nr 2 zwei Teilhabeleistungen miteinander verknüpft werden.

28
(2) Das Erfordernis, dass die beantragten Teilhabeleistungen eine Rentenleistung (voraussichtlich) abwenden, entspricht auch dem Sinn und Zweck unter Berücksichtigung der Gesetzeshistorie des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI. Die Vorschrift dient ebenso wie § 11 Abs 2a Nr 2 SGB VI dazu, für bestimmte Konstellationen abweichend von § 11 Abs 1 SGB VI die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben deutlich herabzusetzen, um deren Erbringung durch die Rentenversicherungsträger schon vor Erreichen der ansonsten erforderlichen Wartezeit von 15 Jahren oder des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu ermöglichen (vgl BSG Urteil vom 26.2.2020  B 5 R 1/19 R  SozR 42600 § 11 Nr 1 RdNr 25). Das begünstigt vor allem jüngere Versicherte. Indem § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtet, berufliche Teilhabeleistungen auch zu erbringen, wenn ansonsten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu leisten wäre, verwirklicht sich zudem der inzwischen in § 9 Abs 1 Satz 3 SGB VI verankerte Grundsatz "Rehabilitation vor Rente" (vgl BSG, aaO, RdNr 25).

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Die Regelungen in § 11 Abs 2a Nr 1 und 2 SGB VI gehen auf das insoweit zum 1.1.1993 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen vom 18.12.1992 (BGBl I 2044) zurück. Beide Vorschriften wurden erst auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung in § 11 SGB VI eingefügt (vgl die Beschlussempfehlung zum Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen in BTDrucks 12/3423, S 32). Die Regelung in Abs 2a Nr 1 sollte bewirken, dass auch Versicherte, die Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hätten  ohne eine Rente bereits zu beziehen  berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation von der Rentenversicherung erhalten können (vgl die Beschlussempfehlung zum Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen in BTDrucks 12/3423, S 60 f zu a) Zu § 11 Abs 2a Nr 1). Die durch § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI bewirkte Zuständigkeitserweiterung der gesetzlichen Rentenversicherung machte die seit 1.7.1978 veranlasste Verlagerung von Aufgaben der Rentenversicherung auf die Bundesagentur für Arbeit teilweise wieder rückgängig (vgl die Befragung des Sachverständigen Dr. Ruland durch MdB Dr. Warrikoff im Stenographischen Protokoll der 52. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 30.9.1992, S 4; vgl auch Belusa, Rehabilitation in der RV, § 11 SGB VI RdNr 9; Löschau in Löschau, SGB VIKomm, 25. Lfg Februar 2018, § 11 SGB VI RdNr 55). Zugleich wurde das einschränkende Merkmal "ohne diese Leistung" in den Gesetzestext des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI aufgenommen. Ohne dass dies explizit zum Ausdruck gekommen wäre, legt die Einfügung nahe, dass über die Fälle des § 11 Abs 1 SGB VI hinaus eine (Finanzierungs) Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger nur in den Konstellationen begründet werden sollte, in denen die vorrangig vor einer Rente zu erbringenden beruflichen Teilhabeleistungen eine Rentengewährung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit verhindern können. Die Rentenversicherungsträger sollten, so jedenfalls ihr Verständnis, in die Lage versetzt werden, einen Rentenantrag dadurch "abzuwehren", dass sie eine berufsfördernde Maßnahme vornehmen (so wörtlich der Sachverständige Dr. Ruland im Stenographischen Protokoll der 52. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 30.9.1992, S 4 f).

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Dass die Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger lediglich in Bezug auf Teilhabeleistungen ausgedehnt werden sollte, die voraussichtlich eine Rentengewährung entbehrlich machen, zeigt sich auch an der zeitgleich erfolgten Neufassung des § 20 Abs 4 SGB VI durch das Gesetz vom 18.12.1992, die ebenfalls auf Vorschlag des Arbeits und Sozialordnungsausschusses erfolgte. Die Rentenversicherungsträger wurden dadurch in weiteren Fällen zur Leistung von Ersatz-Übergangsgeld an Versicherte verpflichtet, die Rehabilitationsleistungen von einem anderen Träger erhalten. Dies stand allerdings weiterhin unter der Voraussetzung, dass durch die von anderer Seite erbrachten Rehabilitationsleistungen "die Zahlung einer Rente abgewendet werden kann" (vgl die Beschlussempfehlung zum Gesetz zur Änderung von Fördervoraussetzungen im Arbeitsförderungsgesetz und in anderen Gesetzen in BTDrucks 12/3423, S 61). Die gesetzgeberische Erwägung, dass im gegliederten System die Rentenversicherungsträger (nur) Rehabilitationsleistungen erbringen sollen, mit deren Hilfe sich (weitere) Rentenzahlungen vermeiden lassen, zieht sich im Übrigen durch die Historie des Teilhaberechts. So hieß es bereits bei Kodifizierung des rentenrechtlichen Rehabilitationsrechts, der Einzelne solle ua durch die berufliche Förderung "in den Stand gesetzt (werden), durch Arbeit für seinen Lebensunterhalt zu sorgen" (vgl erneut die Entwurfsbegründung zum Rentenversicherungsgesetz in BTDrucks 2/2437 S 58 zu A. Allgemeiner Teil  Zu 1  und S 67 zu § 1241; vgl auch die Entwurfsbegründung zum HEZG in BRDrucks 500/84, S 34).

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Nichts Abweichendes ergibt sich aus der Regelung in § 14 Abs 1 Satz 4 SGB IX aF. Danach werden bei der Prüfung der Zuständigkeit für Leistungen zur Teilhabe, die, anders als hier, bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt worden sind, ua Feststellungen nach § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI nicht getroffen. Um im Interesse der betroffenen Versicherten zu einer raschen Klärung der Trägerzuständigkeit im Außenverhältnis zu kommen, sollen diese Feststellungen erst im Erstattungsverfahren zwischen den Trägern getroffen werden (vgl BTDrucks 14/5074, S 102 zu § 14). Der Beschleunigungsregelung lässt sich jedoch nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen die Rentenversicherungsträger für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben materiell-rechtlich zuständig sind. Dies bestimmt sich bezüglich der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen allein nach § 11 SGB VI.

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(3) Ausgehend von den bindenden Feststellungen des LSG fehlte der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen den vom Versicherten beantragten Teilhabeleistungen und der Entbehrlichkeit einer Rentengewährung. Handelt es sich, wie hier, um Leistungen in einer WfbM, verlangt dies, dass das Leistungsvermögen prognostisch so weit gebessert wird, dass der Betroffene auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, also außerhalb einer WfbM, erwerbstätig sein kann.

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Der Senat hat bereits für den Bereich der medizinischen Rehabilitation entschieden, dass Leistungen eines Rentenversicherungsträgers zur Rehabilitation von vornherein als nicht zweckgerichtet ausscheiden, wenn diese allein auf die Gesundung des Versicherten gerichtet sind oder lediglich dazu dienen sollen, ihn vor einer Verschlechterung zu bewahren, ohne dass Aussicht besteht, seine Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, dh außerhalb einer WfbM, wiederherzustellen (vgl BSG Urteil vom 23.2.2000  B 5 RJ 8/99 R  BSGE 85, 298, 302 = SozR 32600 § 10 Nr 2 S 6  juris RdNr 19; dem folgend BSG Urteil vom 16.6.2015  B 13 R 12/14 R  BSGE 119, 136 = SozR 42600 § 10 Nr 3, RdNr 16). Das Gleiche hat der Senat für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 11 Abs 2a Nr 2 SGB VI angenommen (BSG Urteil vom 26.2.2020  B 5 R 1/19 R  SozR 42600 § 11 Nr 1, RdNr 21, 27). Der Senat überträgt diese Rechtsprechung auf die Fälle des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI.

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Leistungen zur Teilhabe nach dem SGB VI sollen Beeinträchtigungen wegen Krankheit und Behinderung entgegenwirken, werden aber nur dann und insoweit von der Rentenversicherung erbracht, wie dies dem Versicherungszweck  der Erwirtschaftung eigener Rentenanwartschaften durch Erwerbstätigkeit  dient (vgl BSG Urteil vom 26.2.2020  B 5 R 1/19 R  SozR 42600 § 11 Nr 1 RdNr 28). Kann die Erwerbsfähigkeit durch Rehabilitationsleistungen nicht gefördert werden oder hat der Versicherte die Altersgrenze bereits erreicht, sind Rehabilitationsleistungen nach dem SGB VI generell ausgeschlossen, weil sie nicht zweckgerichtet sind. Darin unterscheiden sich diese Leistungen grundlegend von Rehabilitationsleistungen anderer Träger (vgl BSG aaO mwN). Die gleichen Erwägungen gelten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in den Fällen des § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI (vgl noch weitergehend Verhorst in Ruland/Dünn, GKSGB VI, Juni 2017, § 11 RdNr 90 f).

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Beim Versicherten konnte eine solche Prognose nicht gestellt werden. Es spricht viel dafür, dass diese aus ex-ante Sicht bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem die Teilhabeleistungen bewilligt werden, zu treffen ist. Auch bezüglich der persönlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu Lasten der Rentenversicherungsträger muss im Zeitpunkt der Entscheidung über den Rehabilitationsantrag die Aussicht bestehen, die Erwerbsfähigkeit des betroffenen Versicherten könne soweit gebessert werden, wie es zur Erfüllung der Aufgaben der Rehabilitation erforderlich ist (vgl die Entwurfsbegründung zum RRG 1992 in BTDrucks 11/4124 S 154 zu § 10; vgl hierzu BSG Urteil vom 12.3.2019  B 13 R 27/17 R  SozR 42600 § 10 Nr 4 RdNr 26). Das bedarf hier indes keiner abschließenden Entscheidung. Die bindenden Feststellungen des LSG tragen seine Beurteilung, beim Versicherten konnte bereits im Zeitpunkt des Antrags auf Teilhabeleistungen und seitdem durchgehend bis zum Maßnahmebeginn keine positive Prognose gestellt werden, seine Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt lasse sich mithilfe von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wahrscheinlich wiederherstellen.

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Der Sachverständige L hatte hierzu in seinem bereits vor dem Rehabilitationsantrag erstellten Gutachten vom 6.10.2015 ausgeführt, es bestehe keine begründete Aussicht, dass sich das Erwerbsvermögen des Versicherten innerhalb der nächsten drei Jahre bessern werde. Für den Fall, dass nach Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation erneut Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben versucht würden, beurteilte er die Chance einer Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt mit (nur) 20 Prozent. Im Eingliederungsplan vom 2.11.2016 wurde damit übereinstimmend die Einschätzung geäußert, es sei absehbar, dass bei einer Übernahme des Versicherten in den Berufsbildungsbereich (lediglich) die Voraussetzungen für die Eingliederung in den Arbeitsbereich einer WfbM erfüllt würden. Diese Prognose wurde auch im Entwicklungsbericht vom 20.10.2017 bestätigt. Danach entsprachen die seinerzeit einzuschätzenden Fähigkeiten und Fertigkeiten des Versicherten den Ansprüchen einer WfbM, nicht aber den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes.

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B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

 

Rechtskraft
Aus
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