S 4 R 30/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 4 R 30/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 187/19
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 60/24 B
Datum
Kategorie
Urteil


1.    Die Klage wird abgewiesen.

2.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.


Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Umstritten ist dabei insbesondere, ob eine Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß bereits zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die für einen Rentenanspruch erforderliche gesetzliche Vorversicherungszeit noch nicht erfüllt war oder ob hierfür ein späterer Zeitpunkt ab August 2014 anzunehmen ist, bei dem die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorlagen.

Die 1954 geborene Klägerin war nach einem abgeschlossenen Studium der Betriebswirtschaft zunächst bis 1994 rentenversicherungspflichtig beschäftigt und dann von 1994 bis 2011 als Beamtin bei der deutschen Telekom tätig. Nach ihrer Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit zum 01.04.2011 nahm die Klägerin im September 2011 eine geringfügige versicherungspflichtige Beschäftigung als Alltagsbegleiterin in der mobilen Altenhilfe auf, zunächst mit einem Stundenumfang von 50,40 Stunden im Monat bei drei Arbeitstagen in der Woche und ab dem 01.01.2014 mit 10 Stunden in der Woche an 5 Arbeitstagen. Seit dem 01.01.2016 ist die Klägerin nicht mehr erwerbstätig. Bei der Klägerin wurde mit Bescheid vom 22.02.2002 ein Grad der Behinderung von 80 festgestellt wegen „Folgen nach Wirbelsäulenoperation, Sehbehinderung und seelischer bzw. psychischer Störung“.

Am 22.09.2014 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab die Klägerin an, dass sie sich seit 2008 wegen ihrer Sehbehinderung, einer Psychose und eines Bandscheibenvorfalls für erwerbsgemindert halte.

Der Beklagten lagen im Verwaltungsverfahren eine Vielzahl von medizinischen Befundunterlagen vor, unter anderem der Hausärztin der Klägerin Dr. E., des Facharztes für Psychiatrie Dr. F. und des Augenarztes Dr. C. Außerdem lagen eine gutachtliche Stellungnahme zum Gesundheitszustand der Klägerin aus dem Pensionierungsverfahren vor und ein Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit vom 07.10.2013. 

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. ein neurologisch-psychiatrisches Fachgutachten vom 31.03.2015. Er stellte die folgenden Diagnosen:
-    Paranoide Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, derzeit remittiert
-    Schizophrenes Residuum
-    Visusminderung

Insgesamt sei das Konzentrations-, Reaktions-, Umstellungs- und Anpassungsvermögen der Klägerin so weit herabgesetzt, dass ihre maximale Leistungsfähigkeit unter drei Stunden täglich liege. Angaben zu der Frage, seit wann dieses aufgehobene Leistungsvermögen besteht, macht der Sachverständige nicht.

Nach Einholung einer sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung der beratenden Ärztin Dr. K. vom 28.04.2015 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.04.2015 den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Die Klägerin sei bereits seit dem 08.09.2010 dauerhaft voll erwerbsgemindert. Zu diesem Zeitpunkt habe es an den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung gefehlt, da die Klägerin im Zeitraum vom 08.09.2005 bis zum 07.09.2010 keinen Monat mit Pflichtbeiträgen erfüllt habe. Auch Ausnahmetatbestände zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung lägen bei der Klägerin nicht vor.

Hiergegen erhob die Klägerin am 08.05.2015 Widerspruch, den sie damit begründete, dass die Erwerbsminderung erst zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung aufgetreten sei.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28.12.2015 zurückgewiesen, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht vorlägen.

Hiergegen richtet sich die am 28.01.2016 bei dem Sozialgericht Wiesbaden erhobene Klage. Die Klägerin wiederholt zur Begründung ihr Vorbringen im Vorverfahren.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.04.2015 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28.12.2015 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung lägen erst bei einem Leistungsfall ab dem 02.08.2014 vor, der Leistungsfall sei aber bereits am 08.09.2010 eingetreten.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts Befundberichte bei den behandelnden Ärzten angefordert, nämlich bei der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. E. vom 25.04.2016 (Bl. 95f. d.A., Patiendaten Bl. 268-276 d.A.), dem Neurologen und Psychiater Dr. F. vom 18.03.2016 (Bl. 93 d.A., Patientenakte Bl. 235-238 d.A.), dem Augenarzt Dr. C. vom 03.05.2016 (Bl. 98ff. d.A.) und vom 19.11.2016 (Bl. 118 d.A.; Patientenakte Bl. 242-246 d.A.). Außerdem hat das Gericht bei der Postbeamtenkrankenkasse die medizinischen Unterlagen über die Klägerin angefordert, insbesondere zwei Pflegegutachten vom 07.10.2013 und vom 16.12.2015. Der Caritasverband D-Stadt hat Angaben über die dortige geringfügige Beschäftigung der Klägerin vorgelegt.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 10.11.2017 eingeholt. Dieser kommt nach Untersuchung der Klägerin am 08.11.2017 zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin die massive Sehminderung aufgrund der Makuladegeneration im Vordergrund des Beschwerdesyndroms stehe. Er diagnostiziert eine gemischte schizoaffektive Störung in derzeit vollständiger Remission. Einen schizophrenen Residualzustand diagnostiziert er nicht. Im Hinblick auf die stattgehabten rezidivierenden psychotischen Episoden sei die Klägerin unter Medikation derzeit beschwerdefrei und nicht in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert. Die Klägerin sei von 2010 bis zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung ohne weiteres in der Lage gewesen, eine leichte Betreuungstätigkeit in der Altenhilfe zwischen 3 und 6 Stunden zu erfüllen. Eine dezidierte Aussage zur augenblicklichen Leistungsfähigkeit fehlt.

Schließlich hat das Gericht von Amts wegen ein augenfachärztliches Gutachten des Augenarztes Prof. Dr. R. vom 13.02.2019 eingeholt. Nach Untersuchung der Klägerin am 27.11.2018 diagnostiziert der Sachverständige auf seinem Fachgebiet eine Makuladegeneration bei juxtafovealen Teleangiektasien mit zentralen Gesichtsfeldausfällen und verminderter zentraler Sehschärfe. Eine relevante Sehminderung der Klägerin habe seit 2001 bestanden. Im Zeitraum bis Dezember 2017 hätten die Werte der Sehschärfe geschwankt, im gesamten Verlauf sei insgesamt eine Verschlechterung zu beobachten. Eine konkrete Aussage zum zeitlichen Umfang der Erwerbsfähigkeit der Klägerin macht der Sachverständige nicht. Ihre Wegefähigkeit sei aufgrund des eingeschränkten Sehvermögens eingeschränkt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze, die Sitzungsniederschrift vom 08.07.2019 und die Verwaltungsakte der Klägerin bei der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung war, verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 29.04.2015 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 28.12.2015 nicht in ihren Rechten verletzt, denn ihr steht kein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu. Die Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin zu dem Zeitpunkt, als die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erstmals wieder vorlagen, bereits voll erwerbsgemindert war, und daher kein Leistungsfall mehr eintreten konnte.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.    teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2.    in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.    vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI auch

1.    Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.    Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Erwerbsgemindert ist der Vorschrift des § 43 Abs. 3 SGB VI zufolge nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin am 02.08.2014 bereits voll erwerbsgemindert war und damit zu dem Zeitpunkt in dem die gesetzliche Vorversicherungszeit im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 Nr. 2 SGB VI von 36 Kalendermonaten Pflichtbeiträgen erfüllt gewesen wäre, kein Leistungsfall mehr eintreten konnte.

Diese Beurteilung ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand der Klägerin vorliegenden ärztlichen Befunde, Stellungnahmen und medizinischen Sachverständigengutachten auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung. Trotz der zum Teil widersprüchlichen Diagnosen und Aussagen zum Leistungsvermögen der Klägerin, ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Beklagte bereits vor dem 02.08.2014 außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Diese Einschätzung folgt nicht bereits unmittelbar daraus, dass die Klägerin im Pensionierungsverfahren als dienstunfähig eingestuft wurde. Maßstab im Pensionierungsverfahren ist die Dienstunfähigkeit, die nicht mit der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gleichzusetzen ist. Die gutachtlichen Stellungnahmen zum Gesundheitszustand der Klägerin am 08.09.2010 und am 24.11.2010 fließen vorliegend aber in die Gesamtschau mit ein.

Nach dieser Gesamtschau ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin bei retrospektiver Betrachtung spätestens seit dem 17.11.2010 voll erwerbsgemindert war. Dies folgt maßgeblich aus den durch die Augenerkrankung der Klägerin verursachten Leistungsbehinderungen unter Berücksichtigung der durch das Rückenleiden und die psychische Erkrankung verursachten Einschränkungen.

Der erste aktenkundige Befund hinsichtlich der Makuladegeneration stammt aus dem Jahr 2001 (Arztbrief der Augenklinik C-Stadt vom 02.11.2001, Bl 99 d.A.). Zu diesem Zeitpunkt bestand rechts noch eine korrigierte Sehschärfe von 0,5 und links von 0,4. Für die Folgejahre liegen keine Befunde vor, bis der Augenarzt Dr. M. der Klägerin im Attest vom 17.11.2010 (Bl. 100 d.A.) noch ein Sehvermögen von 0,3 rechts und 0,1 links feststellt und bescheinigt, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sei, am Bildschirmarbeitsplatz zu arbeiten, selbst mit allen erdenklichen vergrößernden Sehhilfen. Im weiteren Verlauf schwankt die bei der Klägerin festgestellte Sehschärfe zwischen 0,1 rechts und 0,16 links am 30.09.2013 und 0,2 rechts und 0,25 links am 30.06.2017 (Patientenakte Dr. C. Bl. 242 ff. d.A.), bis der Sachverständigen Dr. R. bei der Begutachtung am 27.11.2018 eine bestkorrigierte Sehschärfe von 0,16 rechts und 0,2 links und darüber hinaus zentrale Gesichtsfeldausfälle feststellt.

Auch wenn der Sachverständige Dr. R. in seinem Gutachten keine konkrete Aussage dazu trifft, wie sich die herabgesetzte Sehschärfe der Klägerin auf ihr quantitatives Leistungsvermögen auswirkt, ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin spätestens seit dem 17.11.2010 (Attest M., Bl. 100 d.A.) aufgrund ihrer Sehbehinderung nicht mehr in der Lage war, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Zwar schwanken die Visuswerte der Klägerin im zeitlichen Verlauf leicht, sie befinden sich aber stets in dem Bereich, der nach den Vorgaben der Versorgungsmedizinverordnung zur Annahme einer Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 50 führt und nach Pape in die Stufe III der Sehbeeinträchtigung („Sehbehinderung“) einzuordnen ist (vgl. Deutsche Rentenversicherung (Hrsg.), Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, Kapitel 21.1.3.). Bei einer derartigen Sehbehinderung ist von einer so schweren spezifischen Leistungsbehinderung auszugehen, dass es in der Regel nicht mehr möglich ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.06.2012, L 13 R 1810/11). Die Klägerin selbst gibt in ihrem Rentenantrag an, sich seit 2008 erwerbsgemindert gefühlt zu haben. Erst nach dem Ablehnungsbescheid der Beklagten schwenkt sie in ihrer Argumentation dahingehend um, dass die Erwerbsminderung erst später eingetreten sei.

Die Tatsache, dass die Klägerin trotz ihrer Behinderung bis zum 01.01.2016 einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen ist, kann nicht als Beleg gegen die Annahme einer Erwerbsminderung herangezogen werden. Zwar kommt der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung ein höherer Beweiswert zu als den medizinischen Befunden (vgl. Urteile des BSG vom 26.09.1975, 12 RJ 208/74 und vom 27.04.1979, 4 RJ 19/78). Aber aus der Ausübung einer geringfügigen Beschäftigung von zum maßgeblichen Zeitpunkt zwei Stunden täglich kann man gerade nicht darauf schließen, dass genauso gut eine täglich dreistündige Beschäftigung möglich gewesen wäre. Die o.g. Urteile des BSG stellen ganz explizit auf eine mehr als nur geringfügige Beschäftigung ab. Die Klägerin selbst hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sie eine Beschäftigung in nur geringfügigem Umfang aufgenommen hat, weil sie erst mal ausprobieren wollte, ob das klappt und die Arbeit in dem ausgeübten Umfang genug für sie war.

Selbst wenn man aber unterstellen wollte, dass die Klägerin bis zum 02.08.2014 nicht voll erwerbsgemindert war, sondern noch ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden täglich - beispielsweise für eine Tätigkeit als Alltagsbegleiterin in der Altenhilfe - vorgelegen hat, sieht die Kammer keine Möglichkeit zu einem Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Erwerbsminderung zu kommen. Zwar führt die Klägerin aus, dass sie sich bis 2014 noch erwerbsfähig gefühlt habe und ihre gesundheitlichen Probleme sich erst ab 2014 verstärkt hätten. Dieses subjektive Empfinden der Klägerin spiegelt sich aber nicht in der objektiven Befundlage wider. In den augenärztlichen Befunden zeigt sich keine messbare Verschlechterung in diesem Zeitraum. Vielmehr wurden in den Jahren danach bessere Visuswerte gemessen als im Jahr 2013. Auch eine Verschlechterung der psychischen Verfassung der Klägerin seit dem Jahr 2014 wird durch die vorliegenden Befunde und Gutachten nicht gestützt. Das Pflegegutachten vom 16.12.2015 stuft den psychischen Zustand der Klägerin zwar gegenüber dem Vorgutachten vom 07.10.2013 schlechter ein. Das neueste, vom Gericht in Auftrag gegebene Gutachten des Facharztes für Psychiatrie Dr. S. bescheinigt der Klägerin aber einen weitgehend beschwerdefreien Zustand. Insgesamt verbleibt aufgrund der sich widersprechenden Gutachten der Sachverständigen Dr. H. und Dr. S. Unklarheit hinsichtlich der Frage, in welchem Ausmaß sich die psychische Erkrankung der Klägerin erwerbsmindernd auswirkt. Wahrscheinlich sind die unterschiedlichen Einschätzungen der Sachverständigen dem schwankenden Verlauf der seit Langem bestehenden psychischen Erkrankung (vgl. hierzu Attest Dr. F. vom 06.08.2015) geschuldet. Diese Unklarheiten können aber nach Auffassung der Kammer dahinstehen, weil sich die volle Erwerbsminderung der Klägerin seit November 2010 bereits aus der Sehbehinderung ergibt und außerdem keine maßgebliche Verschlechterung der chronischen psychischen Erkrankung der Klägerin seit August 2014 ersichtlich ist.

Die dem Gericht vorliegenden Befunde belegen auch nicht, dass sich die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angeführten Probleme mit den gleitenden Wirbeln seit dem Jahr 2014 verstärkt hätten. Bandscheibenprobleme bestanden bereits seit vielen Jahren. Insgesamt ist aufgrund der vom Gericht eingeholten Befunde und Gutachten nicht davon auszugehen, dass es seit August 2014 zu einer maßgeblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin gekommen ist. Ginge man also in Übereinstimmung mit der Klägerin davon aus, dass sie bis zum 02.08.2014 trotz ihrer Sehbehinderung noch (teilweise) erwerbsfähig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt war, so müsste man unterstellen, dass sie dies bis zum Tag der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Nach alledem war der Klage der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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