Zum Vertrauensschutz eines Sachverständigen als Vertragsgutachter des Landes bei einer langjährigen Abrechnungspraxis der Landeskasse für Sonographieuntersuchungen nach dem JVEG.
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. April 2024 geändert und die Vergütung des Antragstellers für das Gutachten vom 14. Dezember 2023 auf 2.152,91 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Landeskasse, hier der Antragsgegner und Beschwerdeführer (im Folgenden: Ag.), wendet sich gegen die Festsetzung der Vergütung für das fachärztliche Sachverständigengutachten, das der Antragsteller (im Folgenden: Ast.) in einem vor dem Sozialgericht Magdeburg (SG) geführten Klageverfahren über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erstattet hat, im Umfang von 285,60 €.
Der Ast. ist Facharzt für Orthopädie in eigener Praxis und hat mit dem Land Sachsen-Anhalt für von einem SG beauftragte Gutachten im Zuständigkeitsbereich des Landessozialgerichts (LSG) Sachsen-Anhalt eine Pauschalvergütung vereinbart.
Im Rahmen der vom SG veranlassten Beweisanordnung vom 2. November 2023 wurde der Ast. zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt und mit der Beantwortung der von dem Kammervorsitzenden verwendeten Standardfragen zur Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung beauftragt. Eine Korrespondenz zwischen Ast. und dem SG, z.B. in Bezug auf Zusatzuntersuchungen, fand nicht statt.
Der Ast. erstattete auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung der Klägerin am 12. Dezember 2023 das fachärztliche Gutachten vom 14. Dezember 2023. Das Gutachten von 31 Seiten stützt sich insbesondere auf die im Rahmen der Begutachtung angefertigten Sonographien beider Schulter- und Kniegelenke. Zu dem Gutachten wird im Übrigen auf Blatt 191 bis 222 Bd. I der Gerichtsakten aus dem Hauptsacheverfahren Bezug genommen. Das die Klage abweisende Urteil des SG vom 2. April 2024 ist mit Rücknahme der beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegten Berufung am 12. August 2024 rechtskräftig geworden.
Mit der am 2. Januar 2024 bei dem SG eingegangenen Rechnung vom 14. Dezember 2023 hat der Ast. für seine Tätigkeit als Sachverständiger eine Vergütung in Höhe von (so die angegebene Rechnungssumme) 2.220,94 € geltend gemacht. Bereits das Sozialgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sich in der Addition der geltend gemachten Einzelbeträge eine Vergütung in Höhe von 2.225,79 € ergibt, die sich aus der Pauschalvergütung (1.200,00 €), Schreibgebühren (40,50 €), Porto (15,00 €), dem Honorar für besondere Leistungen und USt. auf die vorgenannten Beträge zusammensetzt. Die 15 Einzelbeträge für besondere Leistungen mit einem Gesamtbetrag von 374,91 € betreffen folgende Ziffern der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) (in Klammern jeweils die vom Ast. angegebenen Beträge): zweimal Nr. 5020 (jeweils 19,88 €), sechsmal Nr. 5030 (jeweils 32,52 €), zweimal Nr. 5031 (jeweils 9,48 €) sowie Nr. 5040 (27,11 €), „Nr. 5045“ [gemeint sein dürfte: Nr. 5035] (14,46 €), Nr. 5100 (27,11 €), Nr. 5105 (36,13 €) und Nr. 5106 (16,26 €). Im Übrigen werden dort zwei Einzelbeträge à 120,00 € mit der Erläuterung „Sonografie re + li Schulter, re + l Knie § 10 JVEG, Anlage 2, Abschnitt 3“ aufgeführt.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG hat die Vergütung des Ast. auf der Grundlage des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (JVEG) unter dem 20. Februar 2024 mit 1.940,19 € festgesetzt. Die Kürzung betrifft die beiden Beträge von jeweils 120,00 € für die Sonographien zuzüglich der hierauf entfallenden USt. Die Ultraschalluntersuchungen gehörten weder zum Abschnitt O des Gebührenverzeichnisses zur GOÄ noch seien diese bei den in der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG genannten Leistungen aufgeführt.
Mit seinem sinngemäß gestellten Antrag auf richterliche Festsetzung der Vergütung mit Schreiben vom 4. Februar 2024, eingegangen beim SG am 8. März 2024, hat der Ast. der Kürzung der in Rechnung gestellten Vergütung mit der Begründung widersprochen, ein früherer Bezirksrevisor habe in einem Schreiben vom 15. April 2016 festgestellt, dass die sonographische Untersuchung nach der Nr. 302 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG abrechnungsfähig sei.
Mit Beschluss vom 4. April 2024 hat das SG die Vergütung des Ast. auf 2.225,79 € festgesetzt. Die Sonographie/Ultraschalluntersuchung sei eine physikalische Untersuchungsmethode, die in Ziffer 302 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG genannt sei. Die von einem früheren Bezirksrevisor, wie vom Ast. behauptet, vertretene Auffassung bestätige das. Für vier Sonographiebefunde für beide Schultern und Kniegelenke könne der Ast. insgesamt 240,00 € abrechnen. Darüber hinaus ergebe sich die Abrechnungsfähigkeit auch aus der Notwendigkeit der Untersuchungen zur Bestätigung der maßgebenden Diagnosen.
Der Ag. hat gegen den ihm am 11. April 2024 zugestellten Beschluss des SG am Tag der Zustellung Beschwerde bei dem Sozialgericht eingelegt. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem LSG Sachsen-Anhalt vorgelegt.
Der Ag. führt zur Begründung seines Rechtsmittels aus, mit dem Ast. sei im Rahmen des mit dem Präsidenten des LSG Sachsen-Anhalt auf der Grundlage von § 14 JVEG geschlossenen Vertrages vereinbart worden, dass neben dem Pauschalhonorar u.a. Aufwendungsersatz für besondere Verrichtungen im Rahmen des § 10 JVEG zu leisten sei. Diese Regelung sehe die Erstattung konkret aufgeführter Auslagen oder besonderer Leistungen vor und sei abschließend (Hinweis auf Hessisches LSG, Beschluss vom 8. August 2019 - L 2 SF 69/17 K -). Eine Ultraschalluntersuchung stelle unstreitig eine physikalische Untersuchungsmethode dar, sei jedoch nicht Nr. 302 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG zuzuordnen. In dieser Regelung spreche der Gesetzgeber von „mikroskopischen, physikalischen, chemischen, toxikologischen, bakteriologischen oder serologischen Untersuchungen, wenn das Untersuchungsmaterial von Menschen und Tieren stammt“ und nicht, wie in Nr. 304 oder 305, von der „Untersuchung eines Menschen“. Die Regelung in Nr. 302 betreffe Untersuchungen außerhalb des menschlichen Körpers (Hinweis auf Meyer/Höver, JVEG Kommentar, 27. Aufl., § 10 RdNr. 38). Diese Auffassung werde auch durch die Rechtsprechung verschiedener Gerichte gestützt (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. April 2016 - L 2 SF 259/15 F -; SG Marburg, Beschluss vom 17. Dezember 2020 - S 10 SF 60/17 K -, juris, RdNr. 54; Thüringer LSG, Beschluss vom 9. November 2015 - L 6 JVEG 570/15 -, juris, RdNr. 33; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6. September 2013 - L 15 U 589/12 B -, juris, RdNr. 6). Die vom Ast. durchgeführten Sonographien GOÄ Nr. 410 und 420 seien demzufolge nicht als besondere Leistung gemäß § 10 Abs. 1 JVEG gesondert zu vergüten. Eine Vergütung gemäß § 10 Abs. 2 JVEG scheide ebenfalls aus, da es sich nicht um eine Leistung in Abschnitt O der GOÄ handele. Die langjährig gelebte Abrechnungs- und Erstattungspraxis der Sachverständigen bzw. der Sozialgerichte schließe eine spätere gesetzeskonforme Abrechnung nicht aus.
Dem Ast. ist im Beschwerdeverfahren rechtliches Gehör gegeben worden.
Bezüglich der Einzelheiten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten aus dem Beschwerdeverfahren und dem Hauptsacheverfahren S 8 R 216/22/L 3 R 80/24 verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat der Landeskasse hat nur teilweise Erfolg.
Die Entscheidung über die Beschwerde des Ast. erfolgt durch Beschluss des Berichterstatters (§ 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG). Gründe für eine Übertragung auf den Senat im Sinne des § 4 Abs. 7 Satz 2 JVEG liegen nicht vor. Der erforderliche Schwellenwert für die statthafte Beschwerde nach § 4 Abs. 3 JVEG ist erreicht, da der Ag. sich gegen eine Vergütung in Höhe von 285,60 € wendet (Differenz 2.225,79 € richterliche Festsetzung/1940,19 € Festsetzung der Urkundsbeamtin).
Auch wenn die Landeskasse sich nur gegen Einzelbeträge der vom SG festgesetzten Vergütung wendet, unterliegt die Vergütung auch im Übrigen der Überprüfung im Rahmen der Beschwerde, die hier aus anderen, als den von dem Ag. angeführten Gründen, teilweise begründet ist.
Der Ast. hat abgerechneten Leistungen nach Maßgabe der über die GOÄ abrechenbaren Beträge nicht, wie zutreffend, mit dem 1,3-fachen Satz berechnet (vgl. § 10 Abs. 2 Satz 1 JVEG). Damit ergeben sich für die von der Landeskasse dem Grunde nach anerkannten Einzelleistungen geringfügig geringere Beträge als bisher von der Urkundsbeamtin und dem Sozialgericht mit 374,91 € zuzüglich USt. berücksichtigt: zweimal Nr. 5020 (jeweils einfach 12,82 €, 1,3-fach 16,67 €), sechsmal Nr. 5030 (jeweils einfach 20,98 €, 1,3-fach 27,27 €), zweimal Nr. 5031 (jeweils einfach 5,83 €, 1,3-fach 7,58 €), Nr. 5040 (einfach 17,49 €, 1,3-fach 22,74 €), „Nr. 5045“ [gemeint sein dürfte: Nr. 5035: einfach 9,33 €, 1,3-fach 12,13 €], Nr. 5100 (einfach 17,49 €, 1,3-fach 22,74 €), Nr. 5105 (einfach 23,31 €, 1,3-fach 30,30 €) und Nr. 5106 (einfach 10,49 €, 1,3-fach 13,64 €). Das ergibt einen zutreffenden Gesamtbetrag von 313,67 € zuzüglich USt. für diese Leistungen.
Die von der Landeskasse vorgenommene Auslegung der Vergütungstatbestände in Abschnitt O der GOÄ bzw. der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG ist zutreffend, sodass zur Vermeidung von Wiederholungen darauf verwiesen wird. Diese rechtliche Würdigung wird auch dadurch gestützt, dass in Vorbemerkung 1 Abs. 3 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG eine bildgebende Diagnostik, die über das klassische Röntgen hinausgeht, nur in den Fällen der Nr. 100 und 102 bis 107 gesondert vergütet wird, wenn sie von der heranziehenden Stelle für die Untersuchung von Säuglingen, Arbeits- oder Verkehrsunfallopfern, von Behandlungsfehlervorwürfen oder Verstorbenen nach äußerer Gewalteinwirkung besonders angeordnet wurde.
Im vorliegenden Einzelfall hat das Sozialgericht indes zutreffend berücksichtigt, dass der Ast. Untersuchungen nach einer Abrechnungspraxis der Landeskasse als abrechnungsfähig ansehen und auf dieser Grundlage vornehmen kann, bis ihm von Seiten der Landeskasse mitgeteilt wird, dass diese Praxis aufgekündigt ist. Das ergibt sich bereits aus dem verfassungsrechtlich geschützten Vertrauensschutz in die rechtmäßige Handhabung von Gesetzen durch die Verwaltung, die der Betroffene Arzt nicht in Frage stellen muss (vgl. hierzu auch Thüringer LSG, Beschluss vom 11. November 2015 - L 6 JVEG 1270/15 -, juris, RdNr. 15). Das gilt erst recht im vorliegenden Fall, da zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und dem Ast. ein öffentlich-rechtlicher Vertrag besteht, der insbesondere vom Prinzip „Treu und Glauben“ beherrscht wird (vgl. hierzu z.B. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Februar 2009 - 7 C 11/08 -, juris, RdNr. 37). Den Ausführungen des Ag. wird entnommen, dass die Angaben des Ast. nicht in Abrede gestellt werden. Es wird ausdrücklich klargestellt, dass der Ast. die vorliegende Entscheidung nicht für Gutachten in Anspruch nehmen kann, denen eine Sonographie-Untersuchung nach der Festsetzung der Urkundsbeamtin vom 20. Februar 2024 zugrunde liegt, soweit das die jeweilige Untersuchung anordnende Gericht nicht etwas Anderes.
Die Abrechnung nach GOÄ Nr. 410 (ein Organ einfacher Satz 11,66 €) und Nr. 420 (drei weitere Organe einfacher Satz 4,66 €) lässt erkennen, dass bei der Sonografie mehrerer Organe regelmäßig von einem abnehmenden Aufwand auszugehen ist, sodass in Anwendung des Rahmens für Nr. 302 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG von 5,00 € bis 70,00 € die geltend gemachte Vergütung von viermal 60,00 € zunächst hoch erscheint. Die Regelung in Nr. 302 dieser Anlage enthält indes ausdrücklich einen Hinweis auf „ein Honorar je Organ“. Im Übrigen lässt die Ergänzungsregelung in Nr. 303 dieser Anlage erkennen, dass mit einer besonderen Begründung bei einer außergewöhnlich umfangreichen oder schwierigen Untersuchung bis zu 1.000,00 € abgerechnet werden können. Dem Sozialgericht wird deshalb auch insoweit zugestimmt, dass das vom Ast. geltend gemachte Honorar für die Sonographie-Untersuchungen nicht unbillig ist.
Bei zutreffender Berechnung ergibt sich die dem Ast. nach dem JVEG in Verbindung mit dem auf dieser Grundlage geschlossenen Vertrag in Höhe von 2.152,91 € wie folgt: Pauschalvergütung 1.200,00 €, Honorar in Anwendung der GOÄ 313,67 €, Honorar nach Nr. 302 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 Satz 1 JVEG 240,00 €, Porto 15,00 €, Schreibgebühren 40,50 €, USt. 343,74 €.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 4 Abs. 8 JVEG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG.