Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.01.2024 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes die Begutachtung von erlittenen Unfallfolgen in erster Linie durch einen bestimmten Arzt auf der Grundlage eines zwischen den Beteiligten geschlossenen gerichtlichen Vergleichs.
Die 00.00.0000 geborene Antragstellerin erlitt am 24.03.2011 einen Arbeitsunfall, bei dem sie sich Verletzungen am linken Knie zuzog. Die Antragsgegnerin erkannte das Ereignis als Arbeitsunfall mit der Unfallfolge einer folgenlos ausgeheilten Kniegelenksprellung links an (Bescheid vom 15.06.2012).
Die Antragstellerin erhob bereits im August 2011 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf – S 6 U 427/11 –; in einem Erörterungstermin nahm sie am 09.04.2013 die Klage zurück.
Am 23.07.2020 wandte sich die Antragstellerin an das SG und begehrte die umgehende Versetzung des Ursprungsverfahrens S 6 U 427/11 „in den alten Stand“ (S 6 U 533/20). Das Verfahren müsse neu aufgerollt werden. Mit Beschluss vom 02.02.2021 verwarf das SG ihren Antrag, das Verfahren S 6 U 427/11 fortzusetzen. Auf die dagegen erhobene Beschwerde der Antragstellerin hob das Landessozialgericht (LSG) den Beschluss vom 02.02.2021 auf (L 15 U 105/21 B). Mit Urteil vom 15.03.2022 stellte das SG fest, dass das Verfahren S 6 U 427/11 durch die am 09.04.2013 erklärte Klagerücknahme erledigt sei (S 6 U 276/21).
Dagegen legte die Antragstellerin Berufung ein, die unter dem Aktenzeichen L 15 U 205/22 anhängig war. In diesem Berufungsverfahren schlossen die Beteiligten am 27.09.2023 einen Vergleich, der unter Ziffer 1 vorsah: „Die Beklagte erkennt die Eingabe der Klägerin vom 23.07.2020 im Verfahren des Sozialgerichts Düsseldorf mit dem Aktenzeichen S 6 U 533/20 als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X hinsichtlich der Frage, ob Folge des Unfalls vom 24.03.2011 nicht nur die folgenlos ausgeheilte Knieprellung, sondern auch die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen, namentlich die Notwendigkeit der Implantation eines künstlichen Kniegelenks und die weiteren Operationen sind, an.“ Unter Ziffer 2 wurde geregelt: „Im Rahmen dieses Überprüfungsverfahrens wird die Beklagte die aus ihrer Sicht notwendigen Ermittlungen von Amts wegen vornehmen, insbesondere aber einen von ihr auszuwählenden Beratungsarzt mit der Fragestellung befassen.“ Unter Ziffer 5 erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt.
Am 12.12.2023 hat die Antragstellerin vor dem SG Düsseldorf um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Ihrer Verpflichtung aus dem gerichtlichen Vergleich, eine Begutachtung durch einen Sachverständigen zu veranlassen, sei die Antragsgegnerin bisher nicht nachgekommen. Sie werde voraussichtlich im Januar operiert, davor müsse ein Gutachten dringend erstellt werden. Sie schlage I. als Sachverständigen vor.
Sie hat sinngemäß beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Punkt 1 des gerichtlichen Vergleichs vom 27.09.2023 nachzukommen und den Sachverständigen I. mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen.
Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, der Überprüfungsantrag sei gegenwärtig bei ihr anhängig; die weiteren Ermittlungsschritte würden eruiert und in die Wege geleitet. Eine etwaige, primär zu veranlassenden Begutachtung sei in dem gerichtlichen Vergleich explizit nicht enthalten.
Das SG hat den Eilantrag mit Beschluss vom 11.01.2024 abgelehnt. Auch bei Unterstellung einer Eilbedürftigkeit habe die Antragstellerin keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Beauftragung eines bestimmten Sachverständigen. Zwar hätten Versicherte im Rahmen des § 200 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB Vll) ein eigenes Vorschlagsrecht, dieses binde die Unfallversicherungsträger aber nicht.
Gegen den am 16.01.2024 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 19.01.2024 Beschwerde eingelegt. Durch fehlerhafte Behandlungen, insbesondere die nicht rechtzeitig erkannte Infektion am Knie, habe sie einen langen Leidensweg hinter sich, für den die Antragsgegnerin verantwortlich sei. Es sei ein fachgerechtes Gutachten von I. aus der Uniklinik H. oder von einem ebenso qualifizierten Sachverständigen zu veranlassen. Die Beauftragung eines Beratungsarztes nach Wahl der Antragsgegnerin sei keinesfalls ausreichend; ebenso wenig genüge ein niedergelassener Arzt.
Die Antragstellerin beantragt schriftlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 11.01.2024 abzuändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Sachverständigen I. oder einen gleich qualifizierten Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie meint, dass jedenfalls eine Eilbedürftigkeit nicht zu erkennen sei. Sie prüfe derzeit den in der Verhandlung vom 27.09.2023 getroffenen Vergleich; in diesem Rahmen sei ein Gutachtenvorschlag an die Antragstellerin versandt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Akten zu dem Verfahren SG Düsseldorf – S 6 U 276/21 (L 15 U 205/22) – und der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte (§ 173 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) und statthafte (§ 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 SGG) Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Zu Recht hat das SG ihren Antrag abgelehnt.
1. Soweit die Antragstellerin nach ihrem ausdrücklichen Vorbringen die Umsetzung von Handlungen verlangt, die – ihrer Auffassung nach – im gerichtlichen Vergleich vom 27.0.2023 vereinbart worden seien, ist ihr bei Gericht angebrachter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG bereits unstatthaft. Denn für die Vollstreckung aus gerichtlichen Vergleichen, die i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 3 SGG vollstreckbare Titel sind, gilt nach § 198 Abs. 1 SGG grundsätzlich das Achte Buch der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend, in welchem die allgemeinen (§§ 704 ff. ZPO) und die besonderen Regelungen (hier: §§ 883 - 898 ZPO; Zwangsvollstreckung zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen und zur Erwirkung von Handlungen oder Unterlassungen) der Zwangsvollstreckung getroffen werden – unter Berücksichtigung der besonderen Bestimmungen in § 201 Abs. 1 SGG in analoger Anwendung (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 201, Rn. 2). Diesen Weg des Zwangsvollstreckungsverfahrens, hier zur Erzwingung einer unvertretbaren Handlung im Sinne des § 888 ZPO gegen die öffentliche Hand durch Zwangsgeldfestsetzung, ist die Antragstellerin – obwohl sie der Auffassung ist, dass ihr der begehrte Anspruch aus dem Vergleich vom 27.09.2023 zusteht – mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung aber nicht gegangen. Es ist vor diesem Hintergrund unerheblich, dass im Vergleich – insbesondere in dessen Ziffer 1, in welcher im Übrigen keine vollstreckbare Regelung enthalten ist – bereits kein Recht der Antragstellerin auf Begutachtung durch I. oder einen ebenso qualifizierten Sachverständigen begründet worden ist.
2. Aber auch, wenn das Vorbringen der Antragstellerin mit der Bezugnahme auf den Vergleich vom 27.09.2023 meistbegünstigend (im Sinne des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil) lediglich als Begründung eines Antrags auf Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG verstanden wird, hat dieser Antrag keinen Erfolg. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege des Eilrechtsschutzes zu verpflichten, eine gutachterliche Untersuchung der Antragstellerin durch I. oder einen anderen Sachverständigen zu veranlassen.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer Regelungsanordnung setzt einen im materiellen Recht begründeten Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) sowie eine Eilrechtsschutz rechtfertigende Eilbedürftigkeit, die ein Zuwarten auf den Ausgang des Hauptsachverfahrens unzumutbar macht (Anordnungsgrund), voraus. Die tatsächlichen Voraussetzungen für den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen. Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringere Anforderungen sind an den Anordnungsgrund zu stellen; je geringer demgegenüber die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, desto größer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, a.a.O., § 86b Rn. 27 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind nach der im Eilverfahren grundsätzlich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Auflage 2017, Stand: 08.09.2022, § 86b Rn. 62, 78), die hier auch ausreicht, nicht erfüllt. Es sind weder ein Anordnungsanspruch (dazu a) noch ein Anordnungsgrund (dazu b) hinreichend glaubhaft gemacht.
a) Es ist kein im materiellen Recht begründeter Anspruch der Antragstellerin auf die begehrte Leistung ersichtlich. Durch den unter Ziffer 1 des gerichtlichen Vergleichs vom 27.09.2023 gestellten Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ist ein (neues) Verwaltungsverfahren eingeleitet worden. Nach § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB X bestimmt darin die Behörde Art und Umfang der Ermittlungen. Art und Umfang richten sich prinzipiell nach dem jeweiligen Verfahrensgegenstand und dieser wird durch materielles Recht vorgegeben; dabei ist die Behörde an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Auflage Stand 15.11.2023, § 20 Rn. 12, 21). Die Behörde ist frei in der Ermittlung des Sachverhalts und besitzt einen Spielraum zur Aufklärung und Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Hieraus erwächst bereits kein Anspruch der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin auf Durchführung bestimmter Ermittlungen im Verwaltungsverfahren, wie etwa die Beauftragung eines Arztes mit der Erstellung eines Gutachtens.
Darüber hinaus besteht ohnehin kein Anspruch auf Auswahl eines bestimmten Gutachters, hier des I. oder eines – aus Sicht der Antragstellerin – ebenso qualifizierten Sachverständigen. Nach § 200 Abs. 1 SGB VII soll der Unfallversicherungsträger zwar vor Erteilung eines Gutachtenauftrages dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen. Dieses Vorschlagsrecht bindet den Unfallversicherungsträger aber nicht, da es nicht aus § 200 SGB VII folgt, sondern aus der Regelung des § 20 Abs. 3 SGB X, welche im Zusammenhang mit § 20 Abs. 1 Satz 2 SGB X zu sehen ist, wonach Behörden weder an das Vorbringen noch an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden sind. Folglich ist der Unfallversicherungsträger nicht verpflichtet, dem Vorschlag des Versicherten betreffend die Begutachtung durch einen bestimmten Arzt zu folgen (vgl. C. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Auflage Stand 15.01.2022, § 200 Rn. 64; vgl. auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.02.2021 – L 17 U 643/18 –, juris, Rn. 44).
b) Es ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, dass eine Begutachtung der Antragstellerin unverzüglich erfolgen muss und ihr ein Zuwarten nicht zumutbar ist. Die Antragsgegnerin hat durch das vorangegangene, abgeschlossene Feststellungsverfahren die bis dahin relevanten, unfallnahen ärztlichen Befunde bereits aktenkundig gemacht. Allein, dass nach dem – im Übrigen nicht durch Belege untermauerten – Vorbringen der Antragstellerin jetzt eine Operation am betroffenen Knie beabsichtigt ist, verengt die Amtsermittlungspflicht der Antragsgegnerin nicht zu einem Anspruch der Antragstellerin auf sofortige gutachterliche Untersuchung; denn es besteht kein medizinisch belegter Anhaltspunkt dafür, dass durch eine Operation die Klärung der Frage, ob die Kniebeschwerden in Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall stehen, wesentlich erschwert oder gar vereitelt werden könnte. Hierzu hat die Antragstellerin auch nichts Substantiiertes vorgetragen, geschweige denn in einer dem Eilrechtsschutz Rechnung tragenden Weise belegt. Die Antragstellerin hat zudem weder substantiiert dargetan noch in irgendeiner Weise glaubhaft gemacht, was für eine Operation im Einzelnen stattfinden soll und wann genau diese mit welchem (Therapie-)Ziel vorgesehen ist. Es ist somit nicht glaubhaft gemacht, dass die von der Antragsgegnerin im Rahmen der Amtsermittlung beabsichtigte Begutachtung der Antragstellerin, für die bereits eine Anhörung nach § 200 SGB VII erfolgt ist, auch in zeitlicher Hinsicht nicht hinreichend ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).