1. Zum Nachweis des Zugangs einer vorherigen Mahnung nach § 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV
2. Ein aus fehlender Mahnung resultierendes Leistungsverweigerungsrecht des Auftraggebers kann zur Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheids führen.
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.976,97 EUR festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
Streitig ist, ob die Klägerin für Beitragsrückstände eines Nachunternehmens aus dem Jahr 2014 im Umfang von 2.976,97 EUR haften muss.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen des Baugewerbes, sie führt Hochbauarbeiten aus. Im Jahr 2014 beauftragte sie die IB Abbruch GmbH (im Folgenden: Nachunternehmerin) mit der Durchführung verschiedener Bauleistungen, vornehmlich Abbruch-, Rückbau-, Entsorgungs- und Sicherungsarbeiten.
Mit Bescheid vom 13.12.2018 gegenüber der Nachunternehmerin hob die Beklagte den Beitragsbescheid vom 24.04.2015 für das Jahr 2014 auf und setzte den Gesamtbeitrag neu auf 36.663,31 EUR fest. Nach der Abrechnung blieben davon noch 20.527,58 EUR offen. Die Nachunternehmerin habe ihre Beschäftigten nicht oder nur teilweise bei der Einzugsstelle gemeldet und Bruttoarbeitsentgelte nicht in der richtigen Höhe nachgewiesen. Die Forderung werde am 15. des Monats fällig, der der Bekanntgabe des Bescheides folge.
Mit weiterem Bescheid vom 13.12.2018 an die Nachunternehmerin setzte die Beklagte außerdem den Beitrag für den Arbeitsmedizinisch-Sicherheitstechnischen Dienst (ASD der BG Bau) für das Jahr 2014 auf 634,06 EUR fest. Der Abrechnung zufolge waren davon 225,82 EUR noch nicht bezahlt.
In der Akte der Beklagten ist das Schreiben vom 07.02.2019 an die Nachunternehmerin enthalten, mit dem die Beklagte dieser mitteilt, sie habe versäumt, den fällig gewordenen Betrag i.H.v. 77.154,34 EUR fristgerecht zu begleichen. Der rückständige Betrag sei innerhalb von einer Woche nach Zugang des Schreibens zu überweisen. Nach dem zugehörigen Kontoauszug sind in dem Betrag u.a. der Beitrag (Nachtrag) für den ASD 2014 i.H.v. 225,82 EUR und der Beitrag (Nachtrag) 2014 i.H.v. 20.527,58 EUR enthalten.
Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 19.02.2019 mit, die Nachunternehmerin sei ihren Beitragspflichten für 2014 trotz Mahnung nicht nachgekommen. Die Klägerin hafte dafür wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Ferner wurden Unterlagen zu den vergebenen Leistungen oder eine Unbedenklichkeitsbescheinigung für den gesamten Bauzeitraum angefordert.
Die Klägerin erwiderte, dass ihr nichts von Beitragsrückständen bekannt sei, und bat um einen Zustellnachweis für die Mahnung der Beitragsrückstände.
Daraufhin bezifferte die Beklagte die Rückstände mit insgesamt 20.753,40 EUR. Der Anspruch sei mit Bescheid vom 13.12.2018 festgesetzt und am 07.02.2019 gemahnt worden (Schreiben vom 27.02.2019).
Unter dem 07.03.2019 bat die Klägerin nochmals um Mitteilung des Zugangs der Mahnung und Vorlage eines Nachweises.
Ferner legte die Klägerin Unbedenklichkeitsbescheinigungen für verschiedene Zeiträume ab 15.11.2013 vor. Es sei zumindest eine anteilige Exkulpation zu gewähren. Auch sei die Geringfügigkeitsschwelle von 275.000 EUR unterschritten (Schreiben vom 03.04.2019 und 09.04.2019).
Mit Schreiben vom 28.05.2019 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer Beitragshaftung als Auftraggeberin für das Jahr 2014 an. Die Nachunternehmerin sei ihren Zahlungsverpflichtungen für das Jahr 2014 trotz Mahnung und Zwangsvollstreckung nicht nachgekommen. Eine Nachweispflicht für den Zugang der Mahnung sei dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen. Die Nachunternehmerin habe für die Klägerin Bauleistungen mit einer Gesamt-Netto-Rechnungssumme von 70.581,90 EUR erbracht. Es sei bisher nicht vorgetragen worden, dass der Gesamtauftragswert für die Aufträge eine Wertgrenze von 275.000 EUR unterschreite, so dass ein Überschreiten unterstellt werde. Es sei beabsichtigt, den Haftungsanspruch geltend zu machen.
Mit Bescheid vom 25.07.2019 forderte die Beklagte von der Klägerin einen Haftungsbeitrag für 2014 i.H.v. 2.976,97 EUR. Die Nachunternehmerin habe im Auftrag der Klägerin auf den Baustellen "Klinikum B" sowie "L Balkone" Bauleistungen erbracht. Sie sei ihren Zahlungspflichten gegenüber der Beklagten trotz Mahnung und Zwangsvollstreckung nicht nachgekommen. Eine Nachweispflicht für den Zugang der Mahnung sei nicht zu erkennen. Derjenige Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftrage, hafte wie ein selbstschuldnerischer Bürge für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmens. Hiermit werde der Haftungsanspruch gegen die Klägerin geltend gemacht. Die vorgelegten Unbedenklichkeitsbescheinigungen genügten nicht den Anforderungen an eine Exkulpation. Sie umfassten nicht den vollständigen Bauzeitraum. Eine anteilige Berücksichtigung sei nicht vorgesehen.
Im Widerspruch hiergegen (Schreiben vom 01.08.2019 und 18.11.2019) wurde vorgebracht, die Höhe der geltend gemachten Beitragsrückstände werde bestritten, der Klägerin stehe ein Zurückbehaltungsrecht zu, weil der Nachweis der Mahnung nicht erfolgt sei, der geltend gemachte Anspruch verjährt und keine Teilexkulpation beim Bauvorhaben "B" zugestanden worden sei. Die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang der Mahnung liege bei der Beklagten.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25.06.2020 zurückgewiesen. Der Gesetzgeber habe beabsichtigt, dass generell alle Auftraggeber von Bauleistungen für die Sozialversicherungsbeiträge ihrer jeweiligen Nachunternehmer haften sollten. Damit solle der Umgehung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen entgegengewirkt werden. Die Voraussetzungen der Beitragshaftung lägen hier vor. Die Klägerin habe die Nachunternehmerin mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt. Der Nachweis für ein Entfallen der Haftung durch Vorlage von Unbedenklichkeitsbescheinigungen, die den Zeitpunkt der Auftragsvergabe und den gesamten Bauzeitraum umfassen müssten, sei nicht geführt worden. Eine Teilexkulpation sei nicht möglich. Entscheidend sei die fehlende Überprüfung des Nachunternehmers vor Auftragserteilung und die fehlende Kontrolle während der Auftragsausführung. Daher reichten die hier vorgelegten Bescheinigungen nicht. Ferner werde die Wertgrenze von 275.000 EUR für den Gesamtwert aller Bauleistungen überschritten. Damit seien die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Klägerin gegeben. Der Einwand zum fehlenden Zugangsnachweis der Mahnung lasse kein qualifiziertes Bestreiten erkennen. Die Mahnungen an die Nachunternehmerin seien regelmäßig versandt worden. Es ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass diese nicht zugegangen sein könnten. Zudem bedürfe es keines besonderen Zugangsnachweises bei einer Mahnung, zumal das Mahnverfahren als Massenverfahren durchgeführt werde. Berechtigte Zweifel am Zugang seien nicht ersichtlich. Der Haftungsbeitrag sei rechtmäßig berechnet worden. Nachdem Unterlagen zu den Arbeitnehmern, Arbeitsentgelten und geleisteten Arbeitsstunden der Versicherten nicht in der benötigten Form vorgelegt worden seien, habe man sich einer Schätzung der Lohnsummen bedient. Die Lohnsummenschätzung basiere auf der Hälfte der Netto-Auftragssumme für das Jahr 2014. Der Haftungsbeitrag für 2014 sei bei Erlass des Bescheids vom 25.07.2019 auch noch nicht verjährt gewesen, da Ansprüche auf Beiträge innerhalb von vier Jahren ab Fälligkeit, hier 2015, verjährten. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass der Verantwortliche der Nachunternehmerin wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt rechtkräftig verurteilt worden sei.
Dagegen hat die Klägerin beim Sozialgericht München (SG) Klage erhoben. Sie sei von der Beklagten wegen behaupteter Beitragsrückstände in Haftung genommen worden und habe den geforderten Betrag ohne Anerkennung einer Rechtsplicht und vorbehaltlich der Rückforderung gezahlt. Es werde bestritten, dass die Nachunternehmerin 2014 Beitragsrückstände bei der Beklagten gehabt habe. Der angefochtene Bescheid missachte ihr Leistungsverweigerungsrecht. Danach könne die Zahlung so lange verweigert werden, wie die Nachunternehmerin nicht gemahnt worden sei. Es werde bestritten, dass die Beklagte gemahnt habe bzw. eine Mahnung der Nachunternehmerin zugegangen sei. Es gebe keine Gründe, insofern Tatsachen zu nennen, die zum Bestreiten veranlassten. Sie habe schlicht keine Möglichkeit zu überprüfen, ob die Mahnung zugegangen sei. Ferner sei mit Ablauf des Jahres 2018 Verjährung eingetreten. Für Bürgen würden gesonderte gesetzliche Fristen gelten, nämlich nur drei Jahre. Der Bescheid seit aber erst danach zugestellt worden. Für das Bauvorhaben "Klinikum B" hätte ihr zumindest eine Teilexkulpation zugestanden werden müssen. Stattdessen unterscheide die Beklagte zu Unrecht zwischen einer Exkulpation im Wege einer Präqualifikation oder durch Vorlage von Unbedenklichkeitsbescheinigungen. Der Gesetzgeber habe die beiden Exkulpationsmöglichkeiten gleichgestellt. Einer Lückenlosigkeit der Unbedenklichkeitsbescheinigungen bedürfe es nicht. Weiter werde bestritten, dass der Beitragsbescheid vom 13.12.2018 der Nachunternehmerin zugegangen sei. Daher fehle eine Hauptschuld, für die eine akzessorische Haftung infrage kommen könnte. Das Fehlen eines Postrückläufers begründe auch keinen Anscheinsbeweis für einen Zugang. Eine finanzielle Kompensation von der Nachunternehmerin für den gezahlten Haftungsbeitrag habe sie nicht erhalten. Die Geschäftsbeziehung zur Nachunternehmerin habe bereits 2018 geendet. Weitere Mahnschreiben würden bestritten, ebenso, dass Gegenstand die offene Beitragsforderung aus dem Jahr 2014 gewesen sei. Unklar bleibe auch, ob die angeblichen Vollstreckungsmaßnahmen Beitragsforderungen aus dem Jahr 2014 betroffen hätten. Die Nichtberücksichtigung des Leistungsverweigerungsrechts führe zur Rechtswidrigkeit des Bescheids, weil eine sofort vollziehbare und vollstreckbare Forderung festgesetzt worden sei, die damals tatsächlich aber nicht durchsetzbar gewesen sei. Die Geringfügigkeitsschwelle sei bei beiden Bauvorhaben überschritten worden.
Die Beklagte hat erwidert, für 2014 habe ein Beitragsrückstand der Nachunternehmerin bestanden. Die Haftungsansprüche gegenüber den verschiedenen Hauptunternehmen seien entsprechend anteilig gekürzt worden. Beim Zugang der Mahnung sei ausreichend der Beweis des ersten Anscheins. Ein postalischer Rückläufer sei nicht erfolgt. Ebenso wenig sei Verjährung eingetreten. Es handle sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, der erst in vier Jahren verjähre. Schließlich liege keine Teilexkulpation vor, denn die Unbedenklichkeitsbescheinigungen müssten die Auftragsvergabe und den gesamten Bauzeitraum abdecken. Bei der Neufassung der Regelungen zur Exkulpation handle es sich bloß um eine Klarstellung. Man habe außerdem der Nachunternehmerin nicht nur eine Mahnung, zukommen lassen. Aufgrund des Massengeschäfts seien mehrere versandt worden (z.B. 08.01.2018, 07.02.2019, 05.04.2019, 07.06.2019, 07.08.2019, 07.10.2019). Es gebe keine Hinweise darauf, dass gerade die Mahnung vom 07.02.2019 nicht zugegangen sein sollte. Der Versand der Mahnungen erfolge über den Massendruck bei Tausenden von Mitgliedsunternehmen immer mit der gleichen und bewährten Routine. Zusätzlich seien Vollstreckungsmaßnahmen gegen die Nachunternehmerin eingeleitet worden. Der Zwangsvollstreckung vorangestellt sei ebenfalls eine Mahnung. Es gebe keine Hinweise dafür, dass diese Mahnung der Nachunternehmerin nicht bekannt gewesen sei.
Das SG hat mit Urteil vom 26.01.2022 den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.2020 aufgehoben. Die isolierte Anfechtungsklage sei zulässig und begründet. Die Klägerin sei ein Unternehmen des Baugewerbes und habe im Rahmen der Ausführung der Bauvorhaben "Klinikum B" und "L Balkonbau" die Nachunternehmerin mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt. Für ein Unterschreiten der Bagatellgrenze sei nichts vorgetragen oder ersichtlich. Die Nachunternehmerin sei mit der Zahlung der Beiträge für 2014 gegenüber der Beklagten i.H.v. 20.753,40 EUR im Rückstand gewesen. Dieser Beitragsrückstand sei mit Bescheid vom 13.12.2018 bestandskräftig festgesetzt worden. Insoweit seien die Voraussetzungen für eine Nachunternehmerhaftung gegeben. Allerdings sei der Bescheid rechtswidrig, weil die Beklagte die Nachunternehmerin nicht bzw. nicht ordnungsgemäß gemahnt habe. Der Unternehmer des Baugewerbes könne nämlich die Haftung verweigern, solange die Einzugsstelle, hier die Beklagte, den Nachunternehmer nicht gemahnt habe und die Mahnfrist nicht abgelaufen sei. Eine Mahnung im diesem Sinn sei nicht erfolgt. Dabei handle es sich um eine nicht formgebundene, einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Wirksam sei eine Mahnung nur dann, wenn und sobald sie dem Empfänger zugegangen sei. Nur dann könne sie ihre Warnfunktion erfüllen. Die Beweislast für den Zugang trage derjenige, der sich auf ihre Wirkungen berufe, hier also die Beklagte. Einen entsprechenden Nachweis über den Zugang der Mahnung vom 07.02.2019 könne die Beklagte nicht erbringen. Gewöhnliche Behördenabläufe stellten dabei keinen Beweis des ersten Anscheins dar. Die Behörde könne den Beweis nicht damit führen, dass der Ausgang vermerkt sei. Zweifel am Zugang bestünden bereits dann, wenn der Adressat den Zugang "einfach" bestreite. Somit habe der Klägerin ein Leistungsverweigerungsrecht zugestanden, auf welches sie sich auch von Anfang und wiederholend berufen habe. Dennoch habe die Beklagte eine sofort vollziehbare und vollstreckbare Forderung festgesetzt, weshalb der Bescheid rechtswidrig sei. Dass die Klägerin unter Vorbehalt gezahlt habe, um Vollstreckungsmaßnahmen zu vermeiden, könne ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden. Ebenso wenig, dass sie auf einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz verzichtet habe.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Die Auftraggeberhaftung bestehe zu Recht. Eine angeblich fehlende vorherige Mahnung könne nicht vorgehalten werden, sondern sei als gegeben zu erachten. Der Versand einer Mahnung sei ausweislich der Akte mit Schreiben vom 07.02.2019 erfolgt. Dies sei durch einen "Ab-Vermerk" belegt. Insofern reiche auch ein unsubstantiiertes Bestreiten des Zugangs nicht aus, um die Behörde den Zugang nachweisen zu lassen. Die Mahnung sei zutreffend adressiert gewesen und es bestünden keine Anhaltspunkte, dass sie die Nachunternehmerin nicht erreicht habe. Zudem griffen die Grundsätze des Anscheinsbeweises Es erscheine lebensfremd, dass die Mahnung im Postbetrieb verloren gegangen sein solle. Zudem führe der Ab-Vermerk zum Beweis des ersten Anscheins und das einfache Bestreiten reiche nicht aus. Zweifel müssten außerdem berechtigt sein, so dass ein einfaches Bestreiten nicht genüge. Hinzu komme, dass das SG nicht gewürdigt habe, dass es sich nur um ein Leistungsverweigerungsrecht handle. Der Ausschlussgrund einer möglicherweise fehlenden Mahnung sei also als Einwendung ausgestaltet. Das Zurückbehaltungsrecht setze aber voraus, dass die Leistung noch zurückgehalten werden könne, d.h. sie noch nicht bewirkt sei. Vorliegend sei jedoch die Bewirkung aufgrund der Zahlung zum 01.08.2019, also noch vor Erlass des Widerspruchsbescheids erfolgt, so dass ein Leistungsverweigerungsrecht infrage zu stellen sei. Die bloße und auch nicht ansatzweise durch Vorbringen von Anhaltspunkten untermauerte klägerische Behauptung, die Mahnung sei nicht zugegangen, genüge nicht und rücke in die Nähe einer bloßen Schutzbehauptung. Andernfalls würde auch das gesetzgeberische Ziel, effektiv die Hauptunternehmerhaftung zu verwirklichen, unterlaufen. Außerdem werde in der Gesetzesbegründung darauf verwiesen, dass die Beweislast für das Nichtvorliegen der Haftung der Hauptunternehmer trage. Dies spreche ebenfalls dafür, zumindest die Grundsätze des Anscheinsbeweises bei der Frage der Mahnung anzuwenden. Ferner werde die Natur eines Leistungsverweigerungsrechts negiert, wenn dies zugestanden werde, obwohl es nur bestehe, solange die Zahlung noch nicht bewirkt worden sei. Auch sei zugleich mit der Zahlung kraft der Bürgschaft ein Regressanspruch der Klägerin gegen die Nachunternehmerin entstanden.
Die Beklagte beantragt:
Das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.01.2022 wird aufgehoben.
Die Klägerin beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheides ergebe sich aus der fehlenden Mahnung. Die Beklagte habe den Nachweis der Zustellung nicht führen können. Es habe auch kein Anscheinsbeweis bestanden. Wäre die Mahnung zugegangen, hätte die Nachunternehmerin die offenen Beitragsschulden erfüllt.
Im nicht-öffentlichen Termin am 08.07.2024 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung erklärt und sind zum Streitwert angehört worden.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der Senat entscheidet gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung, denn es liegt das Einverständnis der Beteiligten vor und eine weitere Vertiefung der Angelegenheit in einer mündlichen Verhandlung erscheint nach Durchführung des nicht-öffentlichen Termins entbehrlich.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Unschädlich ist, dass die Berufungsschrift vom 24.02.2022 beim LSG innerhalb der Berufungsfrist nur per Telefax eingegangen ist, was nicht den Vorgaben des § 65d SGG entsprach. Die Beklagte hat denselben Schriftsatz allerdings ebenfalls am 24.02.2022 und damit fristgemäß elektronisch beim SG eingereicht.
Die Berufung bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das SG hat zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.2020 aufgehoben.
Streitgegenstand ist das Begehren der Klägerin, nicht im Wege der Auftraggeberhaftung die Forderung der Beklagten i.H.v. 2.976,97 EUR wegen nicht entrichteter Beiträge der Nachunternehmerin der Klägerin für das Jahr 2014 endgültig erfüllen zu müssen. Dieses Rechtsschutzziel kann die Klägerin mittels einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) erreichen, gerichtet gegen den Bescheid der Beklagten vom 25.07.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.06.2020.
Mit diesem Inhalt ist die Klage zulässig. Insbesondere hat sich durch die bereits erfolgte Zahlung der Klägerin die Forderung nicht erledigt bzw. fehlt der Klage nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Die Zahlung ist nämlich nur vorläufig bzw. unter Vorbehalt erfolgt, so hat es die Klägerin unwidersprochen vorgetragen. Der Senat sieht keinen Anlass, dies anzuzweifeln, nachdem Beitragsforderungen sofort vollziehbar sind (§ 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG) und daher eine Zahlungsverweigerung sinnvollerweise die Anstrengung eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens bedingen würde. Es gibt aber keinen überzeugenden Grund, der Klägerin im Rahmen des Hauptsacheverfahrens entgegenzuhalten, dass sie dies nicht getan und (nur) in der Hauptsache Rechtsschutz nachgesucht hat. Wegen einer nur vorläufig erfolgten Zahlung einem Beitragsschuldner die Klärung in der Hauptsache zu verweigern, würde unzulässig dessen Recht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) einschränken. Zudem wird allein mit der endgültigen Entscheidung geklärt, inwieweit eine Beitragsforderung besteht und damit ein Recht zum dauerhaften bzw. endgültigen Behalten des geforderten Betrages oder eben nicht. Die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz dagegen regelt nur durch eine prozessuale Zwischenentscheidung und damit lediglich vorübergehend diese Frage (vgl. BayLSG, Beschluss vom 14.04.2021 - L 20 KR 81/21 B ER - juris). Aus demselben Grund liegt im Übrigen auch eine materielle Beschwer der Beklagten durch das stattgebende Urteil des SG vor, die sie zur Berufung berechtigt (vgl. Littmann in Berchtold, SGG, 6. Aufl., § 143 Rn. 15).
Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin ist § 150 Abs. 3 Satz 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII - in der vom 01.10.2009 bis 22.11.2019 geltenden Fassung des Gesetzes vom 05.12.2021, BGBl. I, 2447) i.V.m. § 28e Abs. 3a bis Abs. 3f des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV - in der vom 01.04.2012 bis 31.03.2017 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20.12.2011, BGBl. I, 2854). Maßgeblich sind wegen des Geltungszeitraumprinzips für die hier zu beurteilende Beitragshaftung die im Jahr 2014 geltenden Vorschriften, auch wenn die Forderung erst mit Bescheid vom 25.07.2019 verfügt worden ist. Allerdings bestehen inhaltlich keine Abweichungen zu der vom 01.04.2017 bis 22.11.2019 geltenden Fassung des § 28e Abs. 3a bis 3f SGB IV (Gesetz vom 21.02.2017, BGBl. I, 258).
Nach § 150 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB VII - ein Fall der Arbeitnehmerüberlassung liegt hier nicht vor - gilt für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe § 28e Abs. 3a bis 3f SGB IV sowie § 116a SGB IV entsprechend.
§ 28e Abs. 3a Satz 1 SGB IV sieht vor, dass ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) beauftragt, für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge haftet. Ferner gilt nach § 28e Abs. 3a Satz 3 SGB IV die Regelung des § 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV entsprechend. Diese bestimmt, dass er (der Unternehmer) die Zahlung verweigern kann, solange die Einzugsstelle den Nachunternehmer nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist.
Nach § 28e Abs. 3d SGB IV gilt § 28e Abs. 3a SGB IV ab einem geschätzten Gesamtwert aller für ein Bauwerk in Auftrag gegebenen Bauleistungen von 275.000,00 Euro. Für die Schätzung gilt § 3 der Vergabeverordnung (in der Fassung der Verordnung vom 15.10.2013, BGBl. I, 3854).
Demnach liegen die Voraussetzungen für eine Beitragshaftung der Klägerin für die von der Beklagten mit dem streitgegenständlichen Bescheid geltend gemachten Forderung nicht vor.
Es handelt sich zwar hier um einen von § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB VII erfassten Fall der Ausführung eines Werkvertrages im Baugewerbe, da die Klägerin die Nachunternehmerin im Jahr 2014 mit der Durchführung verschiedener Bauleistungen, vornehmlich Abbruch-, Rückbau-, Entsorgungs- und Sicherungsarbeiten, beauftragt hat. Ebenso wird der Gesamtwert von 275.000 EUR für die Bauleistungen nach den vorgelegten Unterlagen über die Beauftragungen nicht unterschritten; insofern wird Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG).
Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der von der Beklagten erhobene Anspruch auch noch nicht verjährt. Die Fälligkeit der für 2014 von der Nachunternehmerin für 2014 geforderten Beiträge richtet sich nach § 23 Abs. 3 SGB IV, wonach Beiträge der Unfallversicherung am 15. des Monats fällig werden, der dem Monat folgt, in dem der Beitragsbescheid dem Zahlungspflichtigen bekannt gegeben worden ist. Die endgültigen Beiträge zur Unfallversicherung für das Jahr 2014 wurden von der Beklagten gegenüber der Nachunternehmerin mit Bescheiden vom 13.12.2018 festgesetzt. Diese Beitragsbescheide gingen der Nachunternehmerin nach der Vorschrift des § 37 Abs. 2 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) somit am 17.12.2018 zu. Somit waren die Beiträge am 15.01.2019 fällig. Ausgehend hiervon konnte bei der Geltendmachung der streitgegenständlichen Forderung gegenüber der Klägerin durch Bescheid vom 25.07.2019 noch keine Verjährung eingetreten sein. Selbst wenn man auf die Fälligkeit der Beitragsvorschüsse im Jahr 2014 abstellen würde, ergäbe sich kein Eintritt der Verjährung. Diese tritt nämlich nach § 25 Abs. 1 SGB IV erst nach Ablauf von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind, ein. Mithin wäre Verjährung frühestens mit Ablauf des 31.12.2019 eingetreten. Durch die Geltendmachung der Beitragsforderung im Bescheid vom 25.07.2019, den die Klägerin spätestens am 01.08.2019 erhalten hatte, wie die Einlegung des Widerspruchs an diesem Tag zeigt, wurde aber gemäß § 52 Abs. 1 SGB X der Ablauf der Verjährung gehemmt. Dafür, dass auf die Verjährung, wie die Klägerin meint, die regelmäßige Verjährungsfrist aus § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) anwendbar wäre, findet sich angesichts dieser speziellen öffentlich-rechtlichen Regelungen kein Raum bzw. besteht kein Bedürfnis. Die Fälligkeit im Jahr 2019 zugrunde gelegt, wäre zudem auch danach keine Verjährung eingetreten.
Dahinstehen lassen kann der Senat, ob vorliegend die Haftung der Klägerin gemäß § 28e Abs. 3b i.V.m. Abs. 3f SGB IV (teilweise) entfällt, weil die Klägerin Unbedenklichkeitsbescheinigungen für die Nachunternehmerin eingeholt hat. Diese decken hier jedenfalls nur einen Teil des Zeitraums von der Beauftragung bis zur Beendigung der beauftragten Tätigkeit (siehe zu dieser Frage das anhängige Revisionsverfahren B 2 U 14/23 R).
Vorliegend fehlt es jedoch an einer vorherigen Mahnung der Nachunternehmerin durch die Beklagte gemäß § 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Klägerin.
Bei einer Mahnung handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung. Wie das Bundessozialgericht (BSG) ferner zur Mahnung im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung entschieden hat (BSG, Urteil vom 04.03.2021 - B 11 AL 5/20 R - juris), ist eine Mahnung kein Verwaltungsakt. Der Senat sieht keine Gründe, die Mahnung im Rahmen der hier streitigen Beitragshaftung anders zu beurteilen.
Das SG hat darüber hinaus zutreffend ausgeführt (§ 153 Abs. 2 SGG), dass es des Zugangs der Mahnung bedarf, damit diese ihre Warnfunktion erfüllen kann. Der Zugang behördlicher Schreiben, die keine Verwaltungsakte sind, richtet sich dabei nach § 130 BGB, während § 37 Abs. 2 SGB X auf andere behördliche Erklärungen als Verwaltungsakte nicht anwendbar ist (vgl. BSG, Urteil vom 10.03.2022 - B 1 KR 6/21 R - juris). Somit gilt auch hier, dass die Frage des Zugangs einer Mahnung nach § 130 BGB zu beurteilen ist. Diese Vorschrift bestimmt, dass eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, in dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem sie ihm zugeht. Ein solcher Zugang ist im hier zu beurteilenden Fall jedoch nicht nachgewiesen.
Als einziges Mahnschreiben an die Nachunternehmerin bezüglich der für 2014 noch offenen Beitragsschulden findet sich in den Akten der Beklagten das Schreiben vom 07.02.2019. Die weiteren, im Berufungsverfahren von der Beklagten angeführten Mahnschreiben sind weder in der Akte enthalten noch betreffen sie die hier streitige Beitragsforderung für 2014. Ein Zugang des Schreibens vom 07.02.2019 an die Nachunternehmerin ist aber nicht feststellbar. Ein diesbezüglicher Nachweis, etwa eine Postzustellungsurkunde oder ein Beleg über ein Einwurfeinschreiben, liegt nicht vor. Vielmehr hat die Beklagte das Mahnschreiben vom 07.02.2019 mittels einfachem Brief versandt, wie sie selbst vorträgt - den Akten lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen.
Anders als die Beklagte argumentiert, greifen hinsichtlich des Zugangs einfacher behördlicher Schreiben nicht die Grundsätze des Anscheinsbeweises, denn ohne nähere Regelung - eine solche ist insofern nicht ersichtlich - besteht weder eine Vermutung für den Zugang eines mit einfachen Briefes übersandten Schreibens noch gelten insoweit die Grundsätze des Anscheinsbeweises (vgl. BSG, Urteil vom 26.07.2007 - B 13 R 4/06 R, Beschluss vom 15.06.2023 - B 9 V 37/22 - alle nach juris). Im Übrigen gilt auch zivilrechtlich ein Beweis des ersten Anscheins allenfalls bei Einwurfeinschreiben (vgl. BGH, Beschluss vom 11.05.2023 - V ZR 203/22 - juris). Als solches wurde aber das Mahnschreiben vom 07.02.2019 nicht versandt. Auch ist lediglich die Absendung belegt, nicht aber ein Einwurf bei der Empfängerin.
Da ferner die Regelung zur Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X hier nicht anwendbar ist, weil es sich - wie dargelegt - nicht um einen Verwaltungsakt handelt, lässt sich auch auf diese Weise kein Zugang der Mahnung annehmen. Wegen der Unanwendbarkeit kommt es auf die Frage, ob bezüglich des Zuganges ein einfaches Bestreiten genügt oder ein substanziiertes Bestreiten erforderlich ist, hier nicht mehr streitentscheidend an. Allerdings ist auch diese Frage trotz gegenteiliger Ansicht der Beklagten bereits durch das BSG dahin beantwortet worden, dass für das Bestreiten bereits eines Zugangs ein einfaches Bestreiten genügt, während hinsichtlich eines späteren Zeitpunkt des Zugangs ein qualifiziertes Bestreiten erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2008 - B 8/9b SO 13/07 R - juris). Soweit die Beklagte zu diesem Punkt auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 29.11.2023 - 6 C 3/22 - juris) verweist, ergibt sich daraus nichts anderes. Dort wird ebenfalls ausgeführt, dass einfaches Bestreiten grundsätzlich ausreicht, um Zweifel am Zugangs eines Verwaltungsakts darzulegen. Überdies heißt es dort auch, dass beim Bestreiten des Zugangs die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Empfängers und seine Glaubwürdigkeit zu würdigen sind, aber nicht einmal eine ungewöhnlich hohe Anzahl vermeintlich nicht zugegangener Schreiben, für die es keine Erklärung gibt, für sich genommen ausreicht, um von einer Schutzbehauptung auszugehen. Ein derartiger Fall mit einer Häufung ohne (gute) Erklärung nicht zugegangener Schreiben liegt schon nicht vor. Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Beklagte sich dennoch auf diese, für sie nicht einmal günstige Rechtsprechung kapriziert. Nochmals sei aber darauf verwiesen, dass die Zugangsregelung aus § 37 Abs. 2 SGB X hier ohnehin schon nicht zur Anwendung kommt. Zu guter Letzt sei noch angeführt, dass die Klägerin nicht die Empfängerin des Mahnschreibens war, sondern die Nachunternehmerin. Aus ihrer Stellung wie eine selbstschuldnerische Bürgin (§ 28e Abs. 3a Satz 1 SGB IV) folgt zwar, dass die Klägerin die dem Hauptschuldner, hier der Nachunternehmerin, zustehende Einreden geltend machen kann (§ 768 BGB). Jedoch könnte die Klägerin kaum Tatsachen zu einem ihr völlig unbekannten Zugang vortragen, so dass dies auch nicht verlangt werden könnte. Nichtsdestotrotz hat die Klägerin sogar in ihrer Berufungserwiderung vom 23.05.2022 insofern nähere Ausführungen gemacht, die als substanziiertes Bestreiten zu werten wären.
Mangels feststellbarer vorheriger Mahnung der Nachunternehmerin gemäß § 28e Abs. 3a Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 SGB IV steht der Klägerin das Recht zu, die Zahlung zu verweigern. Dies führt hier nicht nur zu einem vorübergehenden Zahlungsverweigerungsrecht, welches den Bestand des streitigen Beitragsbescheids unberührt lässt, sondern zu dessen Aufhebung. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass hier die Situation einer reinen Anfechtungsklage gegeben ist. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts ist damit regelmäßig die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, bei durchgeführtem Vorverfahren der Widerspruchsbescheid, maßgeblich (vgl. Groß in Berchtold, SGG, 6. Aufl., § 54 Rn. 26; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, § 54 Rn. 33). Demzufolge ist hier auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses (der Bekanntgabe) des Widerspruchsbescheids vom 25.06.2020 abzustellen, somit Ende Juni 2020, denn ein Anhalt, dass ein abweichender Zeitpunkt maßgeblich sein soll, lässt sich dem einschlägigen materiellen Recht nicht entnehmen. Weder vor noch nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 25.06.2020 noch bis zur Entscheidung des Senats ist eine Mahnung der Nachunternehmerin bezüglich der Beiträge für 2014 erfolgt, für welche die Klägerin teilweise haften soll. Dass das Mahnschreiben vom 07.02.2019 der Nachunternehmerin nicht zugegangen ist, wurde bereits dargelegt. Etwaige weitere Mahnungen oder nur Mahnversuche sind weder von der Beklagten behauptet worden noch ist dafür sonst etwas ersichtlich. Die Klägerin hat bereits sehr früh, nachdem sie mit der Beitragsforderung der Beklagten konfrontiert wurde, den Nachweis einer Mahnung verlangt. Dies war somit von Anfang an Thema. Die Beklagte hat jedoch stets die Auffassung vertreten, dass der Zugang des Mahnschreibens vom 07.02.2019 nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises oder den Vorgaben des § 37 Abs. 2 SGB X nachgewiesen wäre. Einen weiteren Versuch einer Mahnung, geschweige denn eine Mahnung, diesmal mit Nachweis, hat sie dagegen nie unternommen. Dies muss vorliegend dazu führen, dass der Beitragsbescheid als rechtswidrig einzustufen ist. Ein bloß fortwirkendes Leistungsverweigerungsrecht wird der Situation nämlich nicht gerecht, da die Klägerin - unter Beachtung der sofortigen Vollziehbarkeit der Beitragsforderung - auf diese zunächst unter Vorbehalt gezahlt hat. Die Klägerin hier bloß auf die Möglichkeit zu verweisen, den Einwand im Rahmen der Vollstreckung geltend zu machen, geht daher fehl. Vielmehr hätte die Beklagte ausreichend Gelegenheit gehabt, die fehlende Voraussetzung der vorherigen Mahnung nachzuholen - wenn man, was die Formulierung "solange" in § 28e Abs. 2 Satz 2 SGB IV nahe legt, davon ausgeht, dass eine Nachholung möglich ist. Ferner würde eine Aufrechterhaltung des Beitragsbescheids dazu führen, dass die Beklagte die Regelungen zur Verjährung umgehen kann, indem sie Haftungsbescheide gegenüber einem Auftraggeber erlässt und notwendige Voraussetzungen erst (irgendwann) später herbeiführt. Zudem ist die Haftung des Hauptunternehmers, hier der Klägerin, nur subsidiär angelegt (siehe BT-Drs. 14/8221, S. 15: "... wird der Hauptunternehmer aber nicht gleichberechtigter Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge, sondern es wird nur seine subsidiäre Haftung begründet."). Dieses Nachrangverhältnis würde ebenfalls ausgehebelt, wenn das Fehlen einer vorherigen Mahnung im Hauptsacheverfahren letztlich ohne Konsequenz für die erhobene Beitragsforderung bleiben würde. Denn dies würde die Subsidiarität, also dass zunächst der Nachunternehmer angegangen wird, unberücksichtigt lassen. Dies alles spricht dafür, bei Ablauf des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtlage das Vorliegen des Leistungsverweigerungsrechts dahin zu berücksichtigen, dass dann der Beitragsbescheid rechtswidrig und aufzuheben ist.
Unter dieser Prämisse ergäbe sich keine andere Beurteilung, wenn man der zuletzt von der Beklagten vorgetragenen Auffassung folgend wie bei einer Verpflichtungsklage noch die Zeit bis zur Entscheidung des Senats berücksichtigen würde, denn nach wie vor ist die Beklagte den Nachweis einer Mahnung schuldig geblieben.
Die Berufung hat nach alledem keinen Erfolg und ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Als Streitwert ist der von der Beklagten im Rahmen der Beitragshaftung geforderte Betrag i.H.v. 2.976,97 EUR festzusetzen (§ 52 Abs. 1 und 3 GKG).