L 2 R 1009/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 2221/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 1009/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. März 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente.

Der 1963 geborene Kläger hat den Beruf des Drehers erlernt und war nach der Ausbildung bis 2017 im selben Unternehmen als solcher versicherungspflichtig beschäftigt. Nach dem Verkauf des Unternehmens war er von 2017 bis Februar 2019 in einer Transfergesellschaft tätig und ist seither arbeitsunfähig krank bzw. arbeitslos (vgl. Versicherungsverlauf Bl. 22, 109 LSG-Akte). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind nach Mitteilung der Beklagten vom 14.05.2024 letztmalig am 29.02.2024 erfüllt (vgl. Bl. 108 LSG-Akte). Beim Kläger ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt (Bl. 207 VA).

Der Kläger absolvierte vom 07.01.2020 bis 11.02.2020 eine stationäre Maßnahme der medizinsichen Rehabilitation in der M1 Klinik für Psychosomatik D1. Die Ärzte der dortigen Klinik stellten in ihrem Rehaentlassbericht vom 25.02.2020 (Bl. 451 VA) folgende Diagnosen:
1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode
2. Rückenschmerzen bei Skoliose
3. Hypertonie
4. Hypercholesterinämie
Der Kläger wurde zwar aufgrund bestehender Restsymptomatik aus der Rehabilitationsmaßnahme als arbeitsunfähig für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entlassen. Die Ärzte kamen aber darüber hinaus zu der Einschätzung, dass weiterhin ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr für die letzte Tätigkeit als Dreher und von sechs Stunden und mehr für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bestehe. Die noch bestehenden Einschränkungen in der Selbstbehauptungs- und Abgrenzungsfähigkeit erscheine mit Hilfe weiterführender ambulanter Therapie überwindbar und stelle daher keine wesentlichen Einschränkungen im Leistungsbild dar. Zumutbar seien mittelschwere Tätigkeiten, überwiegend im Stehen, Gehen und im Sitzen in Tages-, Früh- und Spätschicht. Bei erhöhtem Regenerationsbedarf, sollten möglichst regelmäßige Arbeitszeiten und ausreichend Pausenregelungen bestehen und auf Nachtschichten verzichtet werden.

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 09.09.2020 eine Rente wegen Erwerbsminderung (Bl. 158 VA). Zur Begründung gab er u.a. an, seit vielen Jahren an Depressionen zu leiden, seit 2009 bzw. 2017 verstärkt und anhaltend. Zudem bestünden psychosomatische Schmerzen, Rückenschmerzen, Bluthochdruck und Schwindel.

Der Kläger wurde daraufhin im Auftrag der Beklagten am 25.01.2021 von dem B1 untersucht. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 09.02.2021 (Bl. 405 ff. VA) folgende Diagnosen:
1. von jeher vorbestehende vielschichtige Persönlichkeitsakzentuierung
2. abklingende Neigung zu psychosomatischer Beschwerdebildung
3. im weitesten Sinne Anpassungsstörung
4. Beschwerden im Bereich des Bewegungs-/ Stützapparates
Neurologisch ergebe sich ein völlig unauffälliger Befund. Psychisch sei keine hirnorganische Leistungsstörung aufgefallen, auch kein Anhalt für eine andersbegründete kognitive Störung. Intellektuelle Defizite hätten ebenso wie eine Wahrnehmungsstörung, eine Ich-Störung oder paranoide Inhalte nicht vorgelegen. Hinweise auf eine psychotische Erkrankung seien ebenfalls nicht erkennbar. Die Antriebslage sei regelgerecht (in Diskrepanz zur Beschwerdeschilderung), auch hätten sich während der Untersuchung keine Erschöpfung oder Ermüdung gezeigt. Der Beschwerdevalidierungstest müsse im vorliegenden Fall als extrem ausgeprägter Hinweis für nicht authentische Beschwerdeanteile bzw. simulative Tendenzen interpretiert werden.
Es bestünden nach alledem keine Funktionsstörungen, die überdauernde, etwa quantitative Leistungsminderungen plausibel machen würden. Ausgeschlossen blieben Tätigkeiten unter Zeitdruck, Tätigkeiten in regelmäßiger nervöser Anspannung, insbesondere aber auch Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit, mit fordernden sozialen Interaktionen oder anderen Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht. Wenigstens mittelschwere Tätigkeiten seien aus nervenärztlicher Sicht möglich. Auch unter Mitberücksichtigung der orthopädischen Aspekte werde keine quantitative Leistungsminderung plausibel.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag daraufhin mit Bescheid vom 18.02.2021 (Bl. 284 VA) ab, da der Kläger die medizinischen Voraussetzungen für die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung nicht erfülle.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch (Bl. 318 VA), der im Wesentlichen mit der bestehenden depressiven Störung begründet wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2021 (Bl. 347 VA) als unbegründet zurück. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und der sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Dem Kläger seien daher noch mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, überwiegend im Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tagesschicht, ohne besonderen Zeitdruck, ohne häufige Rumpf-Zwangshaltungen, ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg, ohne häufigen Publikumskontakt, ohne Akkord und taktgebundene Arbeit sowie ohne fachliche Diskussionen sechs Stunden und mehr täglich zumutbar.
Hiergegen hat der Kläger am 11.09.2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erheben lassen und zur Begründung ausgeführt, der Schwerpunkt der Erkrankungen liege auf psychiatrischem Fachgebiet. Allein schon die depressive Störung bedinge ein vollkommen aufgehobenes Leistungsvermögen. Zudem dürfte eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vorliegen.

Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen befragt.

Der G1 (Bl. 33 SG-Akte) hat mitgeteilt, dass der Kläger auf Grund der vorliegenden orthopädischen Befunde noch durchaus in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte körperliche Arbeiten regelmäßig noch wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten.

Die F1 (Bl. 38 SG-Akte) hat ausgeführt, dass es im Laufe der Behandlung zu einer weiteren Verschlechterung des Befundes gekommen sei, so dass eine schwergradige Depression diagnostiziert worden sei im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung, schwergradig ohne psychotische Symptome sowie eine Dysthymie. Im Weiteren seien dann auch kognitive Defizite aufgefallen, so dass der Verdacht auf eine leichte kognitive Störung gestellt und eine entsprechende Diagnostik (Durchführung eines MRT-Schädels) eingeleitet worden sei. Der Kläger berichte über zunehmende Vergesslichkeit, Schwierigkeiten, Gesprächen gut zu folgen, adäquate Antworten zu geben. Außerdem habe der Kläger erklärt, dass er durchgehend traurig sei, der Antrieb schlechter geworden sei, er fühle sich mit allem überfordert, er habe keinerlei Interessen mehr, würde sich immer weiter zurückziehen, noch mehr als sonst. Er sei pessimistisch, schlafen könne er relativ gut, er habe an Gewicht abgenommen, kein sexuelles Verlangen mehr, sein Selbstwertgefühl sei "am Boden". Im Rahmen eines gemeinsamen Gespräches mit einer Bekannten des Klägers sei dieser Eindruck nochmals bestätigt worden. Der Kläger sei ihres Erachtens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter drei Stunden belastbar.

Der K1 (Bl. 45 SG-Akte) hat mitgeteilt, dass es zu keiner wesentlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen sei. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten ohne vermehrte Staubbildung verrichten.

Die M2 (Bl. 48 SG-Akte) hat erklärt, dass sie den Kläger seit 2019 behandle. Im Laufe der Behandlung seien die Beschwerden unverändert, mit Ausnahme der depressiven Symptomatik, die sich kurzzeitig verschlimmert habe, geblieben. Hinsichtlich der Leistungsbeurteilung verweise sie u.a. auf den Rehaentlassbericht.

Der behandelnde K2 (Bl. 71 SG-Akte) hat erklärt, dass sich im Verlauf der Behandlung nach zunächst guter Stabilisierung insgesamt eine allmähliche, graduelle Besserung der depressiven Symptomatik bis auf das Niveau einer minimalen Depression gezeigt habe, die jedoch durch das Eintreten externer Belastungsfaktoren (Verschärfung der Corona-Krise Ende 2020 und erster Lockdown, Konflikte mit Bekannten und Familienmitgliedern in unregelmäßigen Abständen während der gesamten Behandlung sowie Ausweitung der vom Kläger geführten Rechtsstreitigkeiten etwa seit Oktober 2021) immer wieder zu einer deutlichen Verschlechterung bis auf das Ausgangsniveau der depressiven Symptomatik geführt habe. Diese habe sich zuletzt wieder im oberen mittelgradigen Bereich bewegt. Hinsichtlich der Schmerzstörung habe keine Veränderung, sondern lediglich eine bessere Akzeptanz beobachtet werden können. Eine zuverlässige Leistungseinschätzung sei schwierig. Jedoch schätze man den Kläger aufgrund der aktuell vorliegenden Symptomatik als nicht in diesem Umfang belastbar ein. Aufgrund der Vorgeschichte des Klägers mit starker Mobbingerfahrung und Kränkung am Arbeitsplatz und erheblicher Erschöpfung durch die Berufstätigkeit sowie Pflege der kranken Mutter befürchte man aktuell bei diesem täglichen Belastungsniveau eine Verschlechterung der Symptomatik.

Die Beklagte hat zu den Aussagen der behandelnden Ärzte eine sozialmedizinische Stellungnahme der H1 (Bl. 90 SG-Akte) vorgelegt, die u.a. ausgeführt hat, dass aus psychiatrisch-sozialmedizinischer Sicht beim Kläger eine Minderung der quantitativen Leistungsfähigkeit nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne mit der sozial medizinischen Konsequenz, dass bei ihm auch weiterhin von einem über sechsstündigen Leistungsvermögen für leidensgerechte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgegangen werde. Auffällig sei, dass sich aus den vorliegenden Unterlagen keine intensivierte, stationäre und/oder teilstationäre psychiatrische Behandlung ergebe. Eine depressive Symptomatik in wechselnder Ausprägung und mit starken reaktiven Anteilen (Verluste in der Familie, Einschränkungen in der Pandemie) begründe keine überdauernde Minderung der quantitativen Leistungsfähigkeit. Darüber hinaus gebe es noch Klärungsbedarf in Bezug auf die attestierten leichten kognitiven Einschränkungen, welche auch im Rahmen einer gut behandelbaren, sog. „depressiven Pseudodemenz“ auftreten könnten. Die durch den Bevollmächtigten vermutete Diagnose einer PTBS habe weder durch die behandelnde Psychiaterin noch durch die behandelnde Psychotherapeutin bestätigt werden können.

Das SG hat daraufhin ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Amts wegen bei dem N1 eingeholt. N1 hat den Kläger am 26.07.2022 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 27.07.2022 (Bl. 102 SG-Akte) folgende Diagnosen gestellt:
1. Rezidivierend depressive Störung, gegenwärtig leichtgradig depressive Episode
2. Degeneratives Lumbal- und Zervikalsyndrom ohne Wurzelreiz- oder -ausfallsymptome
Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass sich im aktuellen psychiatrischen Untersuchungsbefund ein freundlicher, offener und mitteilungsbereiter Kläger, der ohne Zeichen mnestischer oder konzentrativer Defizite über seinen Werdegang und seine Beschwerden berichtet habe, gezeigt habe. Die Auffassungsgabe und die geistige Spannkraft seien nicht beeinträchtigt, die Stimmung sei situationsadäquat unauffällig, streckenweise leicht zum dysthym-ängstlichen Pol hin verschoben, wobei sich keine Zeichen einer ausgeprägteren Depressivität, wie eine vitale Antriebs-, Freud- oder Interessereduktion hätten feststellen lassen. Die Schwingungsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt, und die Auslenkung zum positiven Pol sei gelungen. Es seien belastende Erinnerungen an diverse Verlusterlebnisse sowie traumatische Erinnerungen in Kindheit und Jugend, zuletzt an den Tod der Mutter 2018, beschrieben worden. Spezifische Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung wie lntrusionen, Flashback-Erlebnisse oder eine Hyperexzitabilität hätten sich aber nicht gefunden. Es bestehe eine Grübelneigung, Stimmungsschwankungen sowie angedeutet agoraphobe Ängste, die diagnostischen Kriterien einer eigenständig zu kodierenden Angststörung seien jedoch nicht erfüllt. Obgleich sich interaktiv sowie anamnestisch akzentuierte, dependente Persönlichkeitszüge erkennen ließen, bestünden keine Hinweise für eine manifeste Persönlichkeitsstörung, eine hirnorganische Wesensänderung oder eine Zwangsstörung. Gesamthaft sei bei dem Kläger ein leicht depressiv-ängstliches Syndrom festzustellen, welches unter Kenntnis der in der Vergangenheit mehrfach aufgetretenen depressiven Verstimmungen als rezidivierend depressive Störung mit dem klinischen Bild einer aktuell leichten depressiven Episode aufgefasst werden könne. Diesbezüglich bestehe also Übereinstimmung mit der Einschätzung der Behandler, allerdings spreche der hiesige psychiatrische Untersuchungsbefund für eine mittlerweile eingetretene Beschwerdebesserung. Auch die Beobachtung, dass bislang auf eine stationär-psychiatrische bzw. teilstationär-psychiatrische Behandlung verzichtet worden sei, spräche nicht für eine von Seiten der Behandler eingeschätzte schwere psychiatrische Störung, und auch die Einschätzung einer mittlerweile eingetretenen Chronifizierung lasse sich angesichts der doch erhaltenen Behandlungsoptionen nicht nachvollziehen. Angesichts des hiesigen, wenig beeinträchtigten psychiatrischen Untersuchungsbefundes sowie der Verhaltensbeobachtung sei keine, qualitative Aspekte überschreitende Minderung der psychischen Belastbarkeit festzustellen. Auch die Diagnose einer Störung der zentralen Schmerzverarbeitung, wie dies im Befundbericht des Psychotherapeuten beschrieben werde, lasse sich aus gutachterlicher Sicht nicht nachvollziehen, da derartige, aus dem F 45.4 -Spektrum stammende Störungen nicht parallel mit einer affektiven- oder Angststörung kodiert werden sollten. Hier bestehe also offenbar eine gewisse Unsicherheit in der diagnostischen Einschätzung des Psychotherapeuten. Der neurologische Untersuchungsbefund sei abgesehen von einem leichten Druck- und Klopfschmerz im Bereich der lumbalen Lendenwirbelsäule und einer allgemeinen muskulären Dekonditionierung unauffällig. Es fänden sich keine Sensibilitätsstörungen, Muskelparesen oder Reflexanomalien, mithin keine Zeichen für eine Affektion der zentralen oder peripheren neurologischen Strukturen. Auch die hier durchgeführten neurophysiologischen Zusatzuntersuchungen wie das Elektroenzephalogramm, die Elektroneurographie sowie die somatosensibel evozierten Potentiale hätten unauffällige Befunde ergeben. Aus neurologischer Sicht sei das bereits aktenkundig erwähnte degenerative Zervikal- und Lumbovertebralsyndrom zu bestätigen, Wurzelreiz- oder -ausfallssymptome fänden sich nicht.
Zum Tagesablauf befragt habe der Kläger u.a. erklärt, dass er in einer 50 Quadratmeter großen Zweizimmer-Mietwohnung lebe. Er sei ein eher zurückgezogener Mensch, habe wenige, jedoch gute Bekannte. Er sei Single, die letzte Beziehung liege mittlerweile einige Jahre zurück. Eine siebzigjährige Bekannte helfe ihm etwas im Haushalt, so putze sie ihm beispielsweise das Treppenhaus. Er vermeide längeres Autofahren, kürzere Strecken würden jedoch gehen, er fahre ein Fahrzeug mit Schaltgetriebe. Er lese gerne, höre auch Musik oder schaue fern. Nach Möglichkeit fahre er Fahrrad durch den Wald. Früher habe er gerne Boule und Fußball gespielt, dies gehe jedoch nicht mehr. Er sei schon lange nicht mehr in den Urlaub gefahren. Ab und zu mache er mit Bekannten Tagesausflüge. Mit dem Haushalt komme er je nach seiner Befindlichkeit zurecht, dies betreffe auch das Einkaufen. Er gehe normalerweise zwischen 22.00 und 23.00 Uhr zu Bett. Der Sachverständige ist nach alledem zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger aus neurologisch-psychiatrischer Sicht als in der Lage anzusehen sei, zumindest körperlich leichte bis in Spitzen mittelschwere Arbeiten mit einfachen Ansprüchen an die geistige und psychische Belastbarkeit, die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie geistige Flexibilität ohne Heben und Tragen schwerer Gegenstände sowie ohne Zwangshaltungen acht Stunden pro Tag zu verrichten. Hinsichtlich der Leistungseinschätzung bestehe also Übereinstimmung mit der Beurteilung der Rehabilitationsklinik und der Einschätzung des vorangehenden Gutachters.

Mit Schreiben vom 18.09.2022 (Bl. 128 SG-Akte) ist der Kläger der Einschätzung des Sachverständigen entgegen getreten und hat u.a. ausgeführt, dass die Diagnostik nicht ausreichend sei. Der gerichtliche Gutachter habe nur eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige depressive Episode benannt. Dies korrespondiere aber nicht mit den Diagnosen der behandelnden Ärzte, welche wohl eine mittelgradige depressive Episode sähen. In einem für die private Berufsunfähigkeitsversicherung in Auftrag gegebenen Gutachten sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Angst- und depressive Störung in gemischter Form sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und Verhaltensstörung vorliege. Dieses Gutachten vom 19.10.2021 der B2 (Bl. 176 SG-Akte) hat der Kläger beigefügt. Nach ambulanter Untersuchung am 19.10.2021 hat diese u.a. ausgeführt, dass auf neurologischem Fachgebiet keine Einschränkungen bestünden. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe aufgrund des geschilderten Beschwerdebildes, unter Würdigung des Verlaufs und der vorliegenden Aktenlage sowie insbesondere des psychischen Befundes und unter Einbeziehung der Ergebnisse der neuropsychologischen Zusatzbegutachtung mit Beschwerdevalidierung, auf die hier verwiesen werde, eine Belastungs- und Leistungsfähigkeit im Hinblick auf das früher ausgeübte Berufsbild und die aufgeführten Teiltätigkeiten eine Belastungs- und Leistungsfähigkeit von fünf bis sechs Stunden täglich. Die Leistungsbeurteilung könne ab Anfang 2021 angenommen werden, bei zunehmender Stabilisierung und Besserung. Zuvor könne seit 2018, insbesondere nach dem Tod der Mutter und den zusätzlichen Belastungserlebnissen eine mittelgradige depressive Episode nach den vorliegenden Unterlagen nachvollzogen und eine verminderten Leistungsfähigkeit im Hinblick auf das Berufsbild und den Teiltätigkeiten von drei bis vier Stunden täglich angenommen werden. Unter den entsprechenden empfohlenen Therapiemaßnahmen sei aus fachärztlicher Sicht zudem eine weitere Steigerung der Belastungs- und Leistungsfähigkeit innerhalb von weiteren sechs Monaten zu erwarten.

Das SG hat daraufhin den Sachverständigen N1 um eine ergänzende Stellungnahme gebeten. Dieser hat zu den vom Kläger vorgebrachten Einwendungen mit Schreiben vom 06.10.2022 (Bl. 254 SG-Akte) Stellung genommen und ausgeführt, dass die im Gutachten von B2 genannte Diagnose einer mittelgradig depressiven Episode seit 2018, insbesondere nach dem Tod der Mutter und zusätzlichen Belastungserlebnissen, nachvollzogen werden könne. Die Gutachterin habe im Hinblick auf das Berufsbild des Drehers eine Leistungsfähigkeit von drei bis vier Stunden täglich angenommen. Diese Leistungsfähigkeit widerspreche nicht der Schlussfolgerung seines Gutachtens, da sich insbesondere die Einschätzung der Gutachterin auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit beziehe und nicht auf angepasste Tätigkeiten im allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch unter Berücksichtigung der nun zur Vorlage kommenden Unterlagen könne er aber keine Aspekte erkennen, die ihn retrospektiv zu einer anderen Leistungsbeurteilung kommen ließen als im Gutachten vom 27.07.2022.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das SG daraufhin die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.03.2023 abgewiesen. Die näher dargelegten Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor. Der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Der Schwerpunkt des Leidens des Klägers liege auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Hier liege rentenrelevant eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig eine leichtgradige depressive Episode, ein degeneratives Lumbal- und Zervikalsyndrom ohne Wurzelreiz- oder -ausfallsymptome, sowie ein Kerakotonus, eine Fußfehlstellung und Bluthochdruck vor. Diese Diagnosen ergäben sich sowohl aus den vorliegenden Gutachten als auch aus den Angaben der behandelnden Ärzte des Klägers, sodass hieran für die Kammer kein Zweifel bestehe. Diese rentenrelevanten Störungen führten zu qualitativen Einschränkungen. Der Kläger sei daher nur noch in der Lage, körperlich leichte bis in Spitzen mittelschwere Arbeiten mit einfachen Ansprüchen an die geistige und psychische Belastbarkeit, die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie geistige Flexibilität ohne Heben und Tragen schwerer Gegenstände sowie ohne Zwangshaltungen zu verrichten. Die bei dem Kläger als rentenrelevant zu berücksichtigen Gesundheitsstörungen führten indes nach der Überzeugung der Kammer zu keiner Einschränkung seines Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht. Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung der vorstehend dargelegten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Diese Leistungseinschätzung entnehme die Kammer dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen N1 vom 27.07.2022. Dieser habe auf der Grundlage der von ihm erhobenen objektiven Befunde sowie der ausführlichen Exploration der Gestaltungsfähigkeit des Alltags für die Kammer schlüssig und überzeugend dargelegt, dass der Kläger jedenfalls leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen noch verrichten könne. Die Exploration des Klägers durch N1 habe folgende Befunde ergeben: Im aktuellen psychiatrischen Untersuchungsbefund habe sich ein freundlicher, offener und mitteilungsbereiter Mann, der ohne Zeichen mnestischer oder konzentrativer Defizite über seinen Werdegang und seine Beschwerden berichtet habe, gezeigt. Die Auffassungsgabe und die geistige Spannkraft seien nicht beeinträchtigt, die Stimmung sei situationsadäquat unauffällig, streckenweise leicht zum dysthym-ängstlichen Pol hin verschoben gewesen, wobei sich keine Zeichen einer ausgeprägteren Depressivität, wie eine vitale Antriebs-, Freud- oder Interessereduktion, hätten feststellen lassen. Die Schwingungsfähigkeit sei nicht beeinträchtigt und die Auslenkung zum positiven Pol sei gelungen. Beschrieben seien belastende Erinnerungen an diverse Verlusterlebnisse sowie traumatische Erinnerungen in Kindheit und Jugend, zuletzt an den Tod der Mutter 2018, spezifische Zeichen einer posttraumatischen Belastungsstörung wie lntrusionen, Flashback-Erlebnisse oder eine Hyperexzitabilität seien nicht zu sehen gewesen. Es hätten eine Grübelneigung, Stimmungsschwankungen sowie angedeutet agoraphobe Ängste bestanden, die diagnostischen Kriterien einer eigenständig zu kodierenden Angststörung seien jedoch nicht erfüllt. Obgleich sich interaktiv sowie anamnestisch akzentuierte, dependente Persönlichkeitszüge erkennen ließen, bestünden keine Hinweise für eine manifeste Persönlichkeitsstörung, eine hirnorganische Wesensänderung oder eine Zwangsstörung. Gesamthaft sei beim Kläger ein leicht depressiv-ängstliches Syndrom festzustellen, welches unter Kenntnis der in der Vergangenheit mehrfach aufgetretenen depressiven Verstimmungen als rezidivierend depressive Störung mit dem klinischen Bild einer aktuell leichten depressiven Episode aufgefasst werden könne. Der Gutachter habe den Kläger zudem beschrieben als selbstversorgend, aktiv, mobil und der in der Lage sei, sich um Haushalt und die täglichen Verrichtungen zu kümmern, zu lesen, Musik zu hören oder fern zu schauen und ein Kraftfahrzeug zu führen. Der Kläger sehe sich offenbar auch in der Lage, mit dem Fahrrad durch den Wald zu fahren und Tagesausflüge mit Bekannten zu machen. Eine ausgeprägtere, durch psychische Beschwerden bedingte Alltagsbeeinträchtigung lasse sich also nicht feststellen. Die abweichende Beurteilung von F1 in ihrer sachverständigen Zeugenaussage vom 15.11.2021 stelle den Sachstand im November 2021, jedoch nicht im Juli 2022 dar. Zu diesem Zeitpunkt scheine eine Besserung eingetreten zu sein. Es lägen auch keine Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder für eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor. Es sei dem Kläger darüber hinaus zumutbar zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen und viermal täglich Wegstrecken von ca. 500 m binnen 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Zudem verfüge der Kläger über ein Kraftfahrzeug und einen Führerschein.
Der Kläger hat gegen den seinem Bevollmächtigten am 29.03.2023 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid mit einem am 30.03.2023 beim SG eingegangenen Schreiben, Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erheben lassen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt worden, dass das SG nicht berücksichtigt habe, dass beim Kläger die Auffassungsgabe stark beeinträchtigt und bei ihm eine beginnende Demenz gegeben sei. Darüber hinaus hätte sich das Gericht vom Kläger ein persönliches Bild machen müssen, um feststellen zu können, ob das von dem Gutachter niedergelegte mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimme.

Die Berichterstatterin hat mit den Beteiligten am 19.07.2023 einen Termin zur Erörterung des Sachverhaltes durchgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen (Bl. 31 SG-Akte).

Auf Antrag des Klägers hat der Senat sodann mit Schreiben vom 27.11.2023 den A1 mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 16.12.2023 (Bl. 50 LSG-Akte) die Berichterstatterin als befangen abgelehnt. Dieses Ablehnungsgesuch hat der Senat mit Beschluss vom 04.01.2024 als unzulässig verworfen (L 2 SF 3534/23 AB), die dagegen mit Schreiben vom 05.01.2024 (Bl. 52 LSG-Akte) erhobene Gegenvorstellung und das erneue Ablehnungsgesuch gegen die Berichterstatterin sind mit Beschluss vom 29.01.2024 zurückgewiesen worden (L 2 SF 65/24 AB).

Der Sachverständige A1 hat den Kläger am 22.12.2023 ambulant untersucht und in seinem Gutachten vom 29.02.2024 (Bl. 56 LSG-Akte) folgende Diagnosen gestellt:
1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige depressive Episode
2. Beginnende gemischte Demenz
Aufgrund dieser Erkrankungen bestünden folgende Einschränkungen: Die Fähigkeit zur Anpassung an Regeln und Routinen sowie die Fähigkeit zur Planung und Strukturierung von Aufgaben seien leichtgradig beeinträchtigt. Die Flexibilität und Umstellungsfähigkeit sei mittelgradig beeinträchtigt, die Fähigkeit zur Anwendung fachlicher Kompetenzen sei schwergradig beeinträchtigt. Die Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit sei leichtgradig, die psychomentale Durchhaltefähigkeit schwer beeinträchtigt. Die Selbstbehauptungsfähigkeit sei mittelgradig, die Kontaktfähigkeit zu Dritten, die Gruppenfähigkeit sowie die Fähigkeit zu familiären/intimen Beziehungen seien leichtgradig beeinträchtigt. Die Fähigkeit zu Spontanaktivitäten sei mittelgradig, die Fähigkeit zur Selbstpflege leichtgradig und die Verkehrsfähigkeit schwergradig eingeschränkt. Aus diesen Fähigkeitsstörungen, insbesondre aus der Beeinträchtigung der psychomentalen Durchhaltefähigkeit, wie aber auch aus den anderen Fähigkeitsstörungen ließen sich zwanglos auch quantitative Leistungsminderungen ableiten. Es seien die im psychischen Befund genannten Befunde, die Funktionsstörungen darstellten und zu den genannten Fähigkeitsstörungen führten. Eine Einschränkung der psychomentalen Durchhaltefähigkeit habe direkte Folgen für die quantitative Leistungsfähigkeit, die in Stunden gemessen werde. Der Kläger könne damit die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Dreher nicht mehr ausüben. Der Kläger könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch nur noch einfache Hilfstätigkeiten ausführen und das auch nur zeitlich eingeschränkt. Der Kläger könne schwere, mittelschwere und leichte körperliche Arbeiten nur noch quantitativ reduziert ausüben. Der Kläger sei aufgrund der schwerwiegenden Morbidität auf dem psychiatrischen Fachgebiet mit ihren Funktionsstörungen und ihren Fähigkeitsstörungen nicht mehr in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr auszuüben. Der Kläger könne bereits in dem jetzigen, noch beginnenden Zustand der Demenz schon nur noch Tätigkeiten im Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich ausüben. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass der Kläger insbesondere hinsichtlich der psychomentalen Durchhaltefähigkeit deutlich beeinträchtigt sei. Darüber hinaus seien keine besonderen Arbeitsbedingungen notwendig. Der Kläger benötige keine besonderen Pausen und kein besonders gestaltetes Arbeitsgerät. Die Gesundheitsstörungen beschränkten den Arbeitsweg nicht. Der Kläger könne allerdings ein eigenes Kfz nicht mehr fahren. Fahreignung sei nicht gegeben bei beginnender Demenz (verkehrsmedizinische Qualifikation vorhanden). Die festgestellte Leistungseinschränkung bestehe gesichert erst seit dem Datum der Untersuchung zu diesem Gutachten, dem 20.02.2024. Der Vorgutachter N1, der den Kläger in 2022 begutachtet hat, habe eine Demenz zum damaligen Zeitpunkt noch nicht feststellen können, weil sie noch nicht bestanden habe. Zum Tagesablauf befragt, hat der Kläger gegenüber dem Sachverständigen erklärt, er lebe alleine in einem Ein-Personen-Haushalt. Es handle sich um eine 52 Quadratmeter große, Zwei-Zimmer-Mietwohnung. Er habe Führerschein der Klasse B. Er habe auch ein eigenes Auto. Er fahre sein eigenes Auto selten. Seine Hobbys seien Lesen und Musik hören. Er sei auch in einem Senioren Boule Verein. Dort gehe er noch hin. Dort gehe er noch einmal in der Woche hin, da werde auch ein Essen angeboten. Er verbringe dann dort ungefähr drei bis vier Stunden. Er habe zwei bis drei Freunde aus diesem Boule Club. Er stehe meistens schon um 5:00 Uhr auf. Anschließend dusche und frühstücke er. Im Anschluss mache er ggf. etwas die Wohnung sauber. Er verbringe oftmals die Tage mit seiner Bekannten zusammen. Die helfe ihm auch beim Haushalt. Vormittags gehe er dann manchmal einkaufen. Um 12:00 Uhr gebe es manchmal Mittagessen. Anschließend ruhe er sich stundenlang aus, mache Mittagsschlaf und gehe dann so gegen 16:00 Uhr raus in die Natur, um einen Spaziergang zu machen. Ab 19:00 Uhr laufe dann der Fernseher. Er höre abends auch oftmals Musik. Gegen 22:30 Uhr gehe er ins Bett. Er könne aber nicht richtig einschlafen. Er könne auch nicht richtig durchschlafen. Morgens habe er noch seinen Arbeitsrhythmus drin, den er 40 Jahre lang gehabt habe und müsse deshalb früh aufstehen.

Die Beklagte ist dieser Einschätzung mit einer sozialmedizinischen Stellungnahme der G2 (Bl. 98 LSG-Akte) vom 12.03.2024 entgegengetreten. Diese hat u.a. erklärt, dass unklar bleibe, ob insgesamt wirklich eine leitliniengerechte Demenzdiagnostik stattgefunden habe und ob andere organische (und behandelbare) Ursachen wirklich ausgeschlossen worden seien. Ganz allgemein sei dies für eine so früh „beginnende Demenz" zwingend notwendig. Auch die rasche Einleitung einer dementsprechenden Therapie (medikamentös, sozialpsychiatrisch, etc.) sei eigentlich üblich, was hier wohl noch nicht für notwendig erachtet worden sei. Insgesamt würden leichte kognitive (/mnestische) Auffälligkeiten beschrieben, welche ebenfalls zu einer Pseudodemenz im Rahmen einer depressiven Störung passen könnten und grundsätzlich keine quantitative Leistungsminderung nach sich zögen, was bereits auch zum Teil in den Vorgutachten erwähnt worden sei. Soweit aus der Aktenlage ersichtlich, sei der Kläger seit 2021 inzwischen vier Mal fachpsychiatrisch begutachtet worden. Zusammenfassend hätten die Vorgutachter den Kläger für nicht quantitativ leistungsgemindert gehalten. Qualitative Einschränkungen seien genannt und berücksichtigt worden. Eine wirkliche Verschlechterung des psychischen Allgemeinzustandes könne unter Berücksichtigung der Vorgutachten nicht ausreichend nachvollzogen werden. Des Weiteren sei nicht auszuschließen, dass der Kläger bei doch sicherlich bestehendem Rentenwunsch inzwischen wisse, wie er auf verschiedene Fragen, bei vorhandenem Zielkonflikt, antworten sollte. Testpsychologische Screeningverfahren seien meist subjektive Tests und von der Mitarbeit des Probanden abhängig. Fremdanamnestische Angaben in diesem Kontext seien kritisch zu prüfen, da davon ausgegangen werden müsse, dass es sich um wohlwollende Aussagen zugunsten des Klägers handle. Im neuropsychologischen Vorgutachten werde zudem auffälliges aggravierendes Verhalten beschrieben.

Der Senat hat ergänzend den behandelnden P1 als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat am 20.06.2024 (Bl. 111 LSG-Akte) mitgeteilt, dass der Kläger bis Dezember 2023 von seiner inzwischen aus der Praxis ausgeschiedenen Kollegin F1 behandelt worden sei und er seither die Behandlung übernommen habe. Er hat u.a. von einem MRT des Schädels am 02.10.2023 berichtet, das im Vergleich zu beiden Voruntersuchungen keinen richtungsweisenden Befundwandel ergeben habe. Es gebe diskrete, im Verlauf unveränderte Zeichen einer parietal betonten globalen Hirnvolumenminderung, es bestehe weiterhin kein Hinweis auf eine mesiotemporale Atrophie, einen visuellen MTA-Score von 0, keine Mikroangiopathie und keine frische Ischämie. Eine psychometrische Testung vom 05.01.2023 habe folgende Ergebnisse gezeigt: DemTect: 15 von 18 möglichen Punkten werden erreicht, altersgemäße kognitive Leistung; Mini-Mental-Status: 28 von 30 möglichen Punkten werden erreicht, altersgemäße kognitive Leistung und Uhren-Test: Score von 3, fehlerhafte Uhrzeit bei erhaltener visuell räumlicher Darstellung der Uhr.
Der behandelnde Arzt hat zudem den Bericht der Gedächtnisambulanz am Universitätsklinikum H2 vom 27.11.2023 (Bl. 116 LSG-Akte) beigefügt. Darin sind folgende Diagnosen gestellt worden: Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, sowie erhöhte Leberwerte unklarer Genese. Zusammenfassend haben der D2 und der K3 angegeben, dass sich eine kognitive Störung diagnostisch nicht habe objektivieren lassen. In der ausführlichen neuropsychologischen Testung habe der Kläger ein insgesamt heterogenes Leistungsbild, im Vergleich zur Altersgruppe mit unterdurchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Ergebnissen, gezeigt. Unterdurchschnittliche Leistungen hätten sich in der Arbeitsgedächtniskapazität gezeigt. Als hoch durchschnittlich seien u. a. die Werte zur semantischen und phonemischen Flüssigkeit, semantischen Kategorienwechsel, die Wiedererkennung zur konstruktiven Praxis und unmittelbaren figuralen Merkfähigkeit sowie Konzentrationsleistung einzuschätzen. Der MMBE habe 28/30 Punkten betragen, der Uhrentest einen ShulmanScore von 2 ergeben. Demnach lägen keine Hinweise auf eine Störung des abstrakten Denkens und der Konzeptbildung vor. Im BEF habe der Kläger zwei Fehlerpunkte erzielt. Somit sei nicht davon auszugehen, dass basale Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen vorlägen. Die subjektive Selbstbeurteilung (BDI-II mit 5 Punkten) habe aktuell keine Hinweise auf das Vorliegen einer depressiven Symptomatik in der Selbstbeschreibung ergeben, Fremdanamnese und Beobachtung des Klägers sowie im Gespräch und in der Untersuchungssituation hätten jedoch deutliche Hinweise auf das Vorliegen einer depressiven Symptomatik gezeigt, sodass ein Einfluss der depressiven Symptomatik auf die neurokognitive Leistungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden könne. Das erweiterte Labor habe sich in den neuropsychiatrisch wichtigen Parametern unauffällig gezeigt. Nebenbefundlich seien einige Werte erhöht gewesen (GGT, Gesamt-Bilirubin, Tsiglyzeride). In der cMRT habe sich ein altersentsprechender Befund (Fazekas-Score 0, MTA-Score 0, ERICAIScore 1) gezeigt. Die klinischen, neuropsychologischen sowie bildgebenden Befunde sprächen nicht für eine Demenzerkrankung. Eine Wiedervorstellung in der Ambulanz sei nur bei eindeutiger kognitiver Verschlechterung erforderlich, mit fachärztlicher Zuweisung und frühestens in zwölf Monaten.

Die Beklagte hat hierzu unter Vorlage einer erneuten sozialmedizinischen Stellungnahme der G2 (Bl. 122 LSG-Akte) vom 12.07.2024 erklärt, dass sich aus den nun vorliegenden medizinischen Unterlagen keine Änderung der vorherigen Stellungnahme ergebe.

Der Kläger hat mit Schreiben vom 26.09.2024 einen Gleichstellungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 20.04.2006 vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. März 2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.



Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG).

Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG Mannheim vom 28.03.2023 und der Bescheid der Beklagten vom 18.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier vom Kläger beanspruchte Rente wegen Erwerbsminderung (§ 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]) dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zurück.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Berufungsverfahren. Der Senat kann sich nach der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen nicht davon überzeugen, dass der Kläger unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen nicht mehr in der Lage ist, einer leichten körperlichen Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für sechs Stunden und mehr nachzugehen. Wie das SG ist auch der Senat davon überzeugt, dass keine so weitreichenden Einschränkungen bestehen, als dass das Leistungsvermögen des Klägers hier auf unter sechs Stunden herabgesunken ist oder aus anderen Gründen eine rentenrelevante Leistungseinschränkung vorliegt.

Zu einem anderen Ergebnis führen insbesondere auch nicht die Ermittlungen im Berufungsverfahren. Der Senat folgt - wie auch schon das SG - der Leistungseinschätzung im Gutachten von N1, der von einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen für zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausgeht.

Beim Kläger stehen Gesundheitsstörungen auf neurologisch-/ psychiatrischem Fachgebiet im Vordergrund. Er leidet insbesondere an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode. Daneben bestehen ein degeneratives Lumbal- und Zervikalsyndrom ohne Wurzelreiz- oder -ausfallssymptome.

Diese Erkrankungen bedingen qualitative Einschränkungen dahingehend, dass nur noch körperlich leichte bis in Spitzen mittelschwere Arbeiten mit einfachen Ansprüchen an die geistige und psychische Belastbarkeit, die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit sowie geistige Flexibilität ohne Heben und Tragen schwerer Gegenstände sowie ohne Zwangshaltungen verrichtet werden können. Eine quantitative Leistungseinschränkung lässt sich aus den Erkrankungen gerade nicht ableiten. Die Ausführungen von N1 sind schlüssig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Der Gutachter hat den Krankheitsverlauf unter Auswertung der vorliegenden Befundunterlagen ausführlich geschildert, ist den Beschwerden nachgegangen und hat den Kläger sorgfältig und umfassend untersucht. Er hat eine ausführliche Anamnese erhoben, hat den Kläger umfassend zu seinen Beschwerden, seiner Biographie und Krankheitsgeschichte, dem Tagesablauf und zur aktuellen Therapie befragt und einen umfassenden psychiatrischen sowie neurologischen Befund erhoben. Darüber hinaus sind neuropsychologische Zusatzuntersuchungen (EEG, Elektroneurographie) und testpsychologische Untersuchungen (Beschwerdevalidierungstest, Rey-Memory-Test [RMT], Test zur Überprüfung der Gedächtnisfähigkeit im Alltag [TÜGA], TÜGA-M, Test of Memory Malingering [TOMM], Hamilton-Depressions-Skala [HDS], Strukturierter Fragebogen Simulierter Symptome [SFSS], Freiburger Persönlichkeitsinventar [FPI-R]) durchgeführt worden. Der Senat hat auch keinen Anlass, an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde, der ausführlichen Darstellung der Krankheitsgeschichte und des Tagesablaufs des Klägers sowie an der Richtigkeit der daraus gefolgerten Leistungsbeurteilung von N1 zu zweifeln. Wie auch das SG bereits ausgeführt hat, führt das vom Kläger vorgelegte, für die private Berufsunfähigkeitsversicherung erstellte Gutachten von B2 zu keinem anderen Ergebnis. Soweit bemängelt worden ist, dass diese andere Diagnosen gestellt habe, ist zu berücksichtigen, dass entscheidend für die erwerbsminderungsrechtlich relevante Leistungseinschätzung allein die auf Krankheit oder einem Krankheitskomplex beruhenden Funktionsausfälle oder Funktionseinschränkungen und nicht das Benennen und Aufzählen von Diagnosen oder geklagten Beschwerden sind (vgl. hierzu BSG Beschluss vom 28.02.2017 - B 13 R 37/16 BH - juris, Rn. 17; Sächsisches LSG Beschluss vom 11.12.2017 - L 5 R 20/16 - juris, Rn. 48). Dementsprechend spielen auch die Ursachen der Gesundheitsstörungen keine entscheidende Rolle (BSG a.a.O.). Solche rentenrelevanten Funktionseinschränkungen lassen sich aber weder aus den im Verwaltungs- und den Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten noch dem vom Kläger vorgelegten Gutachten ableiten. Gleiches gilt hinsichtlich des Vortrages im Termin zur mündlichen Verhandlung, wonach beim Kläger eine schizoide Persönlichkeitsstörung von den Behandlern diagnostiziert worden sei, aber von den Sachverständigen nicht genannt worden sei. Soweit B2 zu einer zeitlichen Leistungsminderung gekommen ist, ist zu berücksichtigen, dass diese Gutachterin allein die Leistungsfähigkeit für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Dreher beurteilt hat, aber keine Aussage zur Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt getroffen worden ist.

Nicht zu überzeugen vermag den Senat die Leistungseinschätzung in dem im Berufungsverfahren nach § 109 SGG eingeholten Gutachten von A1. Dieser hat eine rezidivierende depressive Störung, derzeit mittelgradig, und eine beginnende Demenz diagnostiziert. Gerade aufgrund der von ihm diagnostizierten beginnenden Demenz und der hieraus sich von ihm festgestellten Einschränkungen hält der Gutachter den Kläger für nicht mehr in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr zu verrichten. Dieser Einschätzung folgt der Senat nicht. Die genannten Einschränkungen sieht er nicht als erwiesen an. Auffällig ist, dass A1 die Diagnose einer beginnenden Demenz im Wesentlichen auf durchgeführte testpsychologische Screeningverfahren sowie die Angaben des Klägers und einer Bekannten des Klägers gestützt hat. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass es sich bei testpsychologische Screeningverfahren meist um subjektive Tests, die von der Mitarbeit des Probanden abhängig sind, handelt. Fremdanamnestische Angaben sind in diesem Kontext ebenfalls kritisch zu prüfen, da wohlwollende Aussagen zugunsten des Klägers nicht ausgeschlossen werden können. Eine kritische Auseinandersetzung des Gutachters mit den gemachten Angaben und den Testergebnissen ist aber gerade nicht erfolgt, obwohl im neuropsychologischen Vorgutachten sogar auffälliges aggravierendes Verhalten beschrieben worden war. Entscheidend für die erwerbsminderungsrechtlich relevante Leistungseinschätzung sind aber nicht das Benennen und Aufzählen von geklagten Beschwerden. Es kommt ausschließlich der Frage entscheidende Bedeutung zu, inwieweit in der Zusammenschau von Anamnese, klinischen Befunden und Aktenlage die geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen plausibel sind, d.h. im Rahmen von Gutachten müssen bei der Exploration geäußerte subjektive Beschwerden immer durch eine Konsistenzprüfung validiert werden (LSG Thüringen Urteil vom 24.04.2012 - L 6 R 1227/11 - NZS 2012, 865; Sächsisches LSG Beschluss vom 11.12.2017 - L 5 R 20/16 - juris, Rn. 48).

Darüber hinaus hat sich entgegen der Angaben des Klägers beim Gutachter aus dem im Oktober 2023 erfolgten MRT des Schädels gerade kein zu beiden Voruntersuchungen richtungsweisenden Befundwandel ergeben (vgl. sachverständige Zeugenaussage des behandelnden P1 vom 20.06.2024). Hier werden zwar diskrete, im Verlauf unveränderte Zeichen einer parietal betonten globalen Hirnvolumenminderung beschrieben, aber gelichzeitig betont, dass weiterhin kein Hinweis auf eine mesiotemporale Atrophie (visueller MTA-Score 0), keine Mikroangiopathie und keine frische Ischämie zu erkennen seien. Ein hirnorganischer Befund, der auf eine Demenz schließen lassen könnte, liegt somit gerade nicht vor.

Ganz erheblich gegen die Angaben des Klägers bei A1 und die Diagnose einer beginnenden Demenz spricht auch der vorliegende Bericht der Gedächtnisambulanz vom 27.11.2023. Denn die Ärzte der Gedächtnisambulanz vom 27.11.2023 (Bl. 116 LSG-Akte) kommen entgegen den Angaben des Klägers beim Gutachter gerade nicht zu dem Ergebnis, dass eine beginnende Demenz vorliegt. Zusammenfassend haben der den Kläger dort behandelnde D2 und der Assistenzart K3 angegeben, dass sich eine kognitive Störung diagnostisch nicht habe objektivieren lassen. In der ausführlichen neuropsychologischen Testung habe der Kläger ein insgesamt heterogenes Leistungsbild, im Vergleich zur Altersgruppe mit unterdurchschnittlichen bis überdurchschnittlichen Ergebnissen, gezeigt. Unterdurchschnittliche Leistungen hätten sich in der Arbeitsgedächtniskapazität gezeigt. Als hoch durchschnittlich seien u. a. die Werte zur semantischen und phonemischen Flüssigkeit, semantischen Kategorienwechsel, die Wiedererkennung zur konstruktiven Praxis und unmittelbaren figuralen Merkfähigkeit sowie Konzentrationsleistung einzuschätzen. Der MMBE habe 28/30 Punkten betragen, der Uhrentest einen ShulmanScore von 2 ergeben. Demnach lägen keine Hinweise auf eine Störung des abstrakten Denkens und der Konzeptbildung vor. Im BEF habe der Kläger zwei Fehlerpunkte erzielt. Somit sei nicht davon auszugehen, dass basale Beeinträchtigungen der exekutiven Funktionen vorlägen. Das erweiterte Labor habe sich in den neuropsychiatrisch wichtigen Parametern unauffällig gezeigt. Die klinischen, neuropsychologischen sowie bildgebenden Befunde sprächen nicht für eine Demenzerkrankung. Konsequenterweise ist eine Wiedervorstellung in der Ambulanz frühestens in zwölf Monaten und auch nur bei eindeutiger kognitiver Verschlechterung für erforderlich gehalten worden. Auch, dass von Seiten der niedergelassenen F1 bzw. ihrem Nachfolger P1 die rasche Einleitung einer dementsprechenden Therapie (medikamentös, sozialpsychiatrisch, etc.), was bei einer beginnenden Demenz eigentlich üblich ist, nicht für notwendig erachtet worden ist, spricht gegen eine gesicherte Diagnose.

Ähnliches gilt für den Schweregrad der von A1 diagnostizierten depressiven Störung. Eine wirkliche Verschlechterung des psychischen Allgemeinzustandes im Vergleich zu den Vorgutachten kann nicht ausreichend nachvollzogen werden. Auch hier fällt auf, dass bislang auf eine stationär-psychiatrische bzw. teilstationär-psychiatrische Behandlung verzichtet worden ist, was gegen eine von Seiten der Behandler eingeschätzte schwere psychiatrische Störung spricht und sich angesichts der doch erhaltenen Behandlungsoptionen nicht nachvollziehen lässt. Nicht zuletzt spricht auch der beim Gutachter geschilderte Tagesablauf des Klägers gegen eine weitere Einschränkung der Leistungsfähigkeit durch die depressive Störung. Der Kläger versorgt sich und seinen Haushalt, hat eine weitgehend erhaltene Tagesstruktur und zwar nicht viele, aber dennoch ausreichende soziale Kontakte zu einer festen Bekannten und den Mitgliedern im Boule Club, den er wöchentlich für etwa drei bis vier Stunden besucht. Diese Gestaltung des Alltags des Klägers lässt für den Senat insbesondere keine Anhaltspunkte erkennen, die eine rentenrelevante Einschränkung des quantitativen Belastungsvermögens aufgrund der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet für leichte Tätigkeiten begründen könnten.

Auch aus den Aussagen der behandelnden Ärzte ergibt sich nichts Anderes. Diese sieht der Senat, soweit ihnen überhaupt eine andere Einschätzung des zeitlichen Leistungsvermögens entnommen werden kann, durch die eingeholten Gutachten als widerlegt an. Hierbei ist auch zu beachten, dass der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige grundsätzlich ein höherer Beweiswert als der Einschätzung der behandelnden Ärzte zukommt (vgl. hierzu Hessisches LSG Urteil vom 04.09.2019 - L 6 R 264/17 - juris, Rn. 85; LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 10.03.2011 - L 3 R 545/06 - juris, Rn. 48; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 04.02.2002 - L 10 B 30/01 SB - juris, Rn. 5). Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens in der Regel keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen, wie die Beratungsärztin G2 für den Senat nachvollziehbar ausgeführt hat.

Es ist beim Kläger auch weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine spezifische Leistungsbehinderung feststellbar (vgl. BSG Urteil vom 01.03.1984 - 4 RJ 43/83 - SozR 2200 § 1246 Nr. 117 unter Hinweis auf BSG Urteil vom 30.11.1982 - 4 RJ 1/82 - SozR 2200 § 1246 Nr. 104), noch war der Arbeitsmarkt für den Kläger aus anderen Gründen nachweislich rentenbegründend verschlossen. Insbesondere war die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht aufgrund einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes - beispielsweise wegen eingeschränkter Wegefähigkeit oder dem Erfordernis betriebsunüblicher Pausen - beeinträchtigt.

Weitere Ermittlungen waren nicht geboten. Der Senat sieht den Sachverhalt durch die in erster und zweiter Instanz eingeholten Gutachten sowie das Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren, den vorliegenden Rehaentlassungsbericht und die aktuell eingeholten Befundberichte der behandelnden Ärzte als umfassend aufgeklärt an.

Nach alledem besteht kein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit besteht schon deshalb nicht, weil der Kläger 1963 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag des § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI geboren ist.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).


 

Rechtskraft
Aus
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