L 2 AS 3140/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 2473/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 3140/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. September 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe


I.

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung und Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. April 2019 bis 11. Oktober 2019.

Am 29. März 2019 beantragte die 1988 geborene Klägerin bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Der von der Klägerin ausgefüllten Anlage zur Feststellung der Vermögensverhältnisse war zu entnehmen, dass die Klägerin über Bargeld im Wert von ca. 65,00 bis 70,00 €, über eine Spareinlage in Höhe von 3,00 €, die im letzten Jahr keine Zinsen abgeworfen habe und über vier Konten, die im letzten Jahr keine Zinsen abgeworfen hätten, verfügte. Zudem gab sie an, einen Bausparvertrag bei der L1 (L1), Bausparnummer xxx034, zu haben. Der aktuelle Stand des Guthabens betrage 7.718,96 €. Der Bausparvertrag sei zur Sicherung eines Darlehens in Höhe von 40.000,00 € an ein Kreditinstitut abgetreten. Des Weiteren gab die Klägerin an, über eine private Rentenversicherung bei der H1-Versicherung zu verfügen. Die Versicherungssumme betrage 1.213,38 €. Bisher seien 1.440,00 € eingezahlt. Der Rück- bzw. Verkaufswert liege bei 570,03 €. Schließlich gab die Klägerin an, über eine Riesterrente mit einem Gesamtbetrag (Vertragsguthaben) in Höhe von 4.956,60 € zu verfügen. Sie besitze noch einen Opel Astra, der am 23. März 2007 erstmals zugelassen worden sei und dessen Kilometerstand 91.000,00 km betrage.

Am 6. Mai 2019 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten, dass sie alle für die Berechnung der Leistungen maßgebenden Vermögensnachweise vorgelegt habe; weitere Vermögenswerte besitze sie nicht.

Mit Schreiben vom 2. August 2019 forderte der Beklagte die Klägerin auf, vollständige und lückenlose Kontoauszüge aller Girokonten der letzten drei Monate bis zur Antragsabgabe im In- und Ausland sowie von allen Unterkonten und Kreditkartenkonten vorzulegen. Mit weiterem Schreiben vom 2. August 2019 forderte der Beklagte die Klägerin auf, vollständige und lückenlose Kontoauszüge aller Girokonten für Mai, Juni und Juli 2019 sowie von allen Unterkonten und Kreditkartenkonten vorzulegen.

Mit Bescheid vom 12. August 2019 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von April 2019 bis September 2019 in Höhe von 894,00 € (Regelbedarf in Höhe von 424,00 €, Grundmiete in Höhe von 390,00 €, Nebenkosten in Höhe von 80,00 €).

Mit Schreiben vom 12. August 2019 und vom 3. September 2019 forderte der Beklagte die Klägerin auf, einen Nachweis über die Schließung der Konten bzw. lückenlose Kontoauszüge aller Konten für Juli, August und September 2019 einzureichen.

Mit Schreiben vom 11. Oktober 2019 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass im Rahmen der vorgelegten Kontoauszüge aufgefallen sei, dass sie außer dem bereits nachgewiesenen Bausparkonto noch ein weiteres Bausparkonto bei der L1 habe. Sie werde gebeten, einen Nachweis über den Kontostand vorzulegen. Zudem solle sie nachweisen, dass zu dem bereits nachgewiesenen Bausparvertrag bei der L1 ein Vorfinanzierungskredit aufgenommen worden sei und das Guthaben aus dem Bausparvertrag für diesen Kredit zur Sicherung abgetreten sei. Zudem gehe aus den Kontoauszügen hervor, dass die Klägerin monatlich 5,00 € an die W1 Lebensversicherung zahle. Diese Versicherung sei bisher nicht bekannt gewesen. Es handele sich um eine sogenannte Riesterrente. Die Klägerin werde gebeten, die Versicherungspolice und den aktuellen Kontostand vorzulegen. Weiterhin sei den Kontoauszügen zu entnehmen, dass sie monatlich 20,00 € an die V1 Versicherungen überweise. Auch diese Versicherung sei bisher nicht bekannt gewesen. Auch diesbezüglich werde gebeten, die Versicherungspolice und den aktuellen Rückkaufswert sowie die Höhe der bisher insgesamt einbezahlten Beträge nachzuweisen. Zu der bereits genannten privaten Rentenversicherung bei der H1-Versicherung werde die Klägerin gebeten, einen aktuellen Nachweis über die Höhe des Rückkaufswertes und über die Höhe der bisher insgesamt einbezahlten Beiträge vorzulegen.

Am 25. Oktober 2019 legte die Klägerin Nachweise zu den verschiedenen Versicherungen vor und teilte mit, dass sie einen neuen Riestervertrag bei der W1 Lebensversicherung abgeschlossen habe. Den Riestervertrag bei der H1-Versicherung habe sie gekündigt; er solle auf die neue Versicherung übertragen werden. Die private Rentenversicherung bei der H1-Versicherung sei ebenfalls gekündigt. Dafür habe sie bei der V1 Versicherungen eine neue Versicherung abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2019 forderte der Beklagte die Klägerin auf, einen Nachweis über die Auflösung des Vertrages der Riesterrente bei der H1-Versicherung bzw. einen Nachweis, dass das angesparte Guthaben auf den Vertrag bei der W1 Lebensversicherung übertragen worden sei, vorzulegen. Sofern die Versicherung noch nicht aufgelöst worden sei, werde sie ebenfalls um Mitteilung gebeten. Zudem werde um Vorlage einer Versicherungspolice der V1 Versicherungen, eines Nachweises über die aktuelle Höhe des Rückkaufwertes und über die Höhe der bisher insgesamt eingezahlten Beiträge gebeten. Auch werde ein Nachweis über die Auflösung der privaten Rentenversicherung bei der H1-Versicherung und ein Nachweis darüber, in welcher Höhe und wann die Auszahlung erfolgt sei, erbeten. Sofern die Versicherung noch nicht aufgelöst worden sei, sei ein Nachweis über den aktuellen Rückkaufswert und über die Höhe der bisher insgesamt ausbezahlten Beiträge vorzulegen.

Mit Bescheid vom 6. November 2019 versagte der Beklagte für die Zeit ab dem 1. Oktober 2019 Leistungen. Die Klägerin sei am 25. Oktober 2019 aufgefordert worden, fehlende Unterlagen einzureichen. Trotz Aufforderung habe sie diese Unterlagen nicht eingereicht.

Am 29. November 2019 legte die Klägerin ein Schreiben der H1-Versicherung vom 24. Juni 2019 vor, wonach die Rentenversicherung gekündigt und der Vertrag zum 1. Mai 2019 abgerechnet worden sei. Es habe sich ein Auszahlungsbetrag in Höhe von 758,52 € ergeben. Zudem legte sie ein Schreiben der H1-Versicherung vom 21.November 2019 vor, wonach die Auszahlung der Versicherungsleistung auf das Konto eines W2 vorgenommen worden sei. Des Weiteren legte sie ein Schreiben der W1 Lebensversicherung vor, wonach die Versicherung bei der H1-Versicherung und das darin enthaltene Kapital in Höhe von 5.227,26 € zur W1 Lebensversicherung übertragen worden sei. Zudem legte sie einen Versicherungsschein der V1 Versicherungen vom 26. Mai 2019 vor.

Mit Bescheid vom 4. Dezember 2019 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 1. Oktober 2019 bis zum 30. September 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Regelbedarf in Höhe von 424,00 €, Grundmiete in Höhe von 390,00 €, Nebenkosten in Höhe von 80,00 €). Mit weiterem Bescheid vom 4. Dezember 2019 bewilligte der Beklagte für April 2019 bis September 2019 abschließend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 894,00 € (Regelbedarf in Höhe von 424,00 €, Grundmiete in Höhe von 390,00 €, Nebenkosten in Höhe von 80,00 €).

Am 5. Dezember 2019 ergab ein vom Beklagten durchgeführter Datenabgleich Hinweise auf Einkommen bzw. Vermögen.

Mit Schreiben vom 9. Dezember 2019 forderte der Beklagte die Klägerin auf, weitere Unterlagen einzureichen. Über einen automatisierten Datenabgleich sei die Information erhalten worden, dass die Klägerin im Jahr 2018 bei der S1kasse R1 Zinserträge in Höhe von 362,00 € erwirtschaftet habe. Es werde um Vorlage eines Nachweises gebeten, um welche Art von Vermögensanlage es sich dabei handele. Sofern diese bereits aufgelöst worden sei, werde ein Nachweis erbeten, wann dies der Fall gewesen sei und in welcher Höhe eine Auszahlung erfolgt sei. Zudem seien Angaben zum Verbleib der ausbezahlten Summe zu machen. Sofern die Vermögensanlage weiterhin bestehe, werde die Klägerin gebeten, einen Nachweis über den aktuellen Wert bzw. Kontostand einzureichen.

Mit E-Mail vom 18. Dezember 2019 teilte die Klägerin mit, dass sie kein Konto bei der S1kasse habe.  Sie könne daher keine Nachweise vorlegen.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 2019 richtete der Beklagte ein Auskunftsersuchen an die S1kasse R1. Diese teilte mit Schreiben vom 27. Januar 2020 mit, dass zum 1. April 2019 ein Geldguthaben in Höhe von 7.360,74 € bestanden habe.

Mit Schreiben vom 4. Februar 2020 teilte der Beklagte der Klägerin das Ergebnis seines Auskunftsersuchens mit und forderte sie nochmals auf, alle Kontoauszüge des betreffenden Kontos für den Zeitraum 1. April 2019 bis zum aktuellen Datum vorzulegen.

Mit E-Mail vom 11. Februar 2020 teilte die Klägerin mit, sie habe herausgefunden, dass ihre Tante im Jahre 2002 ein Konto für sie angelegt habe, das die Tante schon länger bespare. Sie sei berechtigte Person für dieses Konto, könne aber frühestens in sieben Jahren auf das Geld zugreifen, weil der Vertrag so lange laufe.

Mit Schreiben vom 12. Februar 2020 ersuchte der Beklagte um Vorlage des Sparvertrages bzw. der Sparurkunde. Weiter benötige er die Kontoauszüge von April 2019 bis aktuell. Zudem werde ein Nachweis erbeten, wann der Sparvertrag fällig und das Guthaben ausbezahlt werde und dass eine vorzeitige Kündigung und Auszahlung nicht möglich sei. Sofern eine vorzeitige Auszahlung doch möglich sei, werde um Vorlage eines Nachweises gebeten, zu welchem Zeitpunkt dies möglich sei.

Am 16. März 2020 legte die Klägerin einen von ihr unterzeichneten Kontoeröffnungs- und Sparvertrag der S1kasse R1 vom 10. Oktober 2002 vor. Diesem war zu entnehmen, dass monatlich ein Betrag in Höhe von 26,00 € geleistet werde. Dem Vertrag war zudem zu entnehmen, dass das Sparguthaben jederzeit gekündigt werden könne. Die Kündigungsfrist betrage drei Monate. Zudem teilte die Klägerin nochmals mit, dass der Bausparvertrag bei der L1 für ein Darlehen abgetreten sei.

Mit Schreiben vom 19. März 2020 bat der Beklagte die Klägerin um Vorlage eines Nachweises darüber, dass der Bausparvertrag bei der L1 für ein Darlehen abgetreten sei. Mit E-Mail vom 20. März 2020 teilte die Klägerin mit, dass der Bausparvertrag doch nicht an die L1 abgetreten sei.

Der Beklagte teilte ihr mit Schreiben vom 23. März 2020 mit, dass zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns am 1. April 2019 das Guthaben als Vermögen zu berücksichtigen gewesen sei. Mit Schreiben vom 25. März 2020 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass sie über Vermögen und Einkommen verfüge. Vor der Entscheidung über die Rücknahme des Bescheides vom 12. August 2019 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 4. Dezember 2019 bestehe Gelegenheit, sich zum Sachverhalt zu äußern.

Mit Schreiben vom 8. April 2020 teilte die Klägerin mit, dass sie zum Zeitpunkt der Einrichtung des Prämiensparkontos 14 Jahre alt gewesen sei und sie sich bis dato nicht daran erinnert habe, dass dieses noch existiere. Außerdem habe sie nicht gewusst, dass das Konto allein auf sie laufe. Ihre Tante habe das Konto angelegt, damit sie im späteren Leben etwas für ihre Altersvorsorge habe. Dieses Sparkonto würde auch noch weitere sieben Jahre laufen, bevor sie das Geld bekommen werde. Da ihr dies im Zeitpunkt der Antragstellung nicht bewusst gewesen sei, habe sie dieses Konto auch nicht angegeben. Bei dem Bausparvertrag sei sie außerdem immer der Meinung gewesen, dass dieser aufgrund ihres Darlehens bei der L1 abgetreten sei.

Mit Bescheid vom 20. April 2020 nahm der Beklagte den Bescheid vom 12. August 2019 und die Bescheide vom 4. Dezember 2019 für den Zeitraum 1. April 2019 bis 11. Oktober 2019 zurück. Die Klägerin habe bei der Antragstellung zum 1. April 2019 über ein zu berücksichtigendes Vermögen in Höhe von 10.947,62 € verfügt. Der Vermögensfreibetrag habe jedoch nur 5.250,00 € betragen. Mit dem nachgewiesenen Vermögen sei die Klägerin nicht hilfebedürftig gewesen. Der Lebensunterhalt der Monate April bis September 2019 habe durch das übersteigende Vermögen bestritten werden können, sodass in diesen Monaten kein Leistungsanspruch bestanden habe. Für diese Monate sei daher auch der gewährte Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag zurückzufordern. Mit dem restlichen übersteigenden Vermögen habe die Klägerin auch den Lebensunterhalt bis zum 11. Oktober 2019 bestreiten können; diese Leistungen seien daher ebenfalls zurückzufordern. Im Oktober 2019 sei ihr die Prämie des Sparvertrages bei der S1kasse in Höhe von 393,12 € zugeflossen. Aufgrund dieses Einkommens habe im Oktober 2019 eine geringere Hilfebedürftigkeit bestanden. Die Entscheidung sei wegen Angabe unrichtiger oder unvollständiger Tatsachen zurückzunehmen. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil die Klägerin in ihrem Antrag vom 29. März 2019 zumindest grob fahrlässig falsche Angaben gemacht habe. Sie habe den bestehenden Prämiensparvertrag bei der S1kasse R1 nicht mitgeteilt. Es sei ein Betrag in Höhe von 6.633,38 € zu erstatten. Zusätzlich seien die entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten.

Hiergegen erhob die Klägerin am 22. Mai 2020 Widerspruch. Der Prämiensparvertrag sei zwar vorhanden, habe allerdings das Ende der Laufzeit noch nicht erreicht. Er ende am 9. Oktober 2027. Eine Kündigung des Vertrages könne nur mit erheblichen Verlusten und demnach in unwirtschaftlicher Weise erfolgen. Er werde von der Tante bedient und solle der Absicherung gewährter Darlehen durch die Tante und den Bruder dienen. Aufgrund der persönlichen und wirtschaftlichen Situation habe sie Verbindlichkeiten bei ihrer Tante und ihrem Bruder. Das Vermögen aus dem Prämiensparvertrag stehe demnach nicht zur Verfügung. Der Bausparvertrag sei zur Absicherung des laufenden Darlehens der L1 abgetreten worden bzw. habe abgetreten werden sollen. Das Vermögen stehe somit ebenfalls nicht zur Verfügung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2020 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Bei dem Prämiensparvertrag handele es sich um einen verwertbaren Vermögensgegenstand. Bei erstmaliger Leistungsbeantragung am 1. April 2019 habe er nach der vorgelegten Auskunft einen Wert von 7.360,74 € sowie bei Beginn des zweiten Bewilligungszeitraumes am 1. Oktober 2019 von 7.909,86 € gehabt. Der Bausparvertrag habe zum 1. April 2019 mit einem Wert von 2.991,58 € und am 1. Oktober 2019 mit einem Wert von 3.201,58 € validiert. Am 1. April 2019 habe die Klägerin damit ein verwertbares Vermögen in Höhe von 10.352,32 € und am 1. Oktober in Höhe von 11.111,44 € gehabt. Der Prämiensparvertrag habe jederzeit mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden können. Einer Verwertbarkeit habe nicht entgegengestanden, dass diese nur unter erheblichen Verlusten möglich gewesen sei. Die Klägerin würde durch die gewährten Zinsen und Prämien sogar mehr erhalten als tatsächlich eingezahlt worden sei. Der Bausparvertrag sei nach der schriftlichen Mitteilung der Klägerin nicht abgetreten, sodass er ebenfalls verwertbar und zu berücksichtigen sei. Zu Beginn des ersten Bewilligungsabschnittes am 1. April 2019 habe der Vermögensfreibetrag der Klägerin 5.250,00 € und zu Beginn des zweiten Bewilligungsabschnittes am 1. Oktober 2019 5.400,00 € betragen. Das zu berücksichtigende Vermögen habe somit während des gesamten Rückforderungszeitraums die Vermögensfreigrenzen überschritten, sodass kein Leistungsanspruch bestanden habe. Die rechtswidrigen Bewilligungsbescheide hätten auf Angaben beruht, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Sie sei verpflichtet, die ihr zu Unrecht ausgezahlten Grundsicherungsleistungen zu erstatten.

Am 30. September 2020 hat die Klägerin beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, es sei unzutreffend, dass sie nicht hilfebedürftig gewesen sei. Die Laufzeit des Prämiensparvertrages ende erst am 9. Oktober 2027. Eine Kündigung könne nur mit erheblichen Verlusten und demnach in unwirtschaftlicher Weise erfolgen. Im Falle einer vorzeitigen Kündigung seien erhebliche Vorfälligkeitszinsen zu erstatten und damit entfalle jeglicher Vorteil. Der Prämiensparvertrag werde von der Tante bedient und solle der Absicherung gewährter Darlehen durch die Tante und den Bruder dienen. Am 1. Oktober 2019 habe sie jedenfalls über keinerlei zu berücksichtigendes Vermögen verfügt.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid verwiesen.

Mit Urteil vom 28. September 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Bescheid vom 20. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2020 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage sei § 40 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Aufgrund der Nichtberücksichtigung von Vermögen seien die Bewilligungsbescheide vom 12. August 2019 und vom 4. Dezember 2019 von Anfang an rechtswidrig gewesen. Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründe oder bestätigt habe, rechtswidrig sei, dürfe er gemäß § 45 Abs. 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme und Erstattung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den streitigen Zeitraum 1. April bis 11. Oktober 2019 hätten vorgelegen. Die Bewilligungsbescheide seien rechtswidrig gewesen, da die Klägerin bereits wegen des verwertbaren Prämiensparvertrages bei der S1kasse R1 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gehabt habe. Anspruchsberechtigt seien Personen, die u.a. hilfebedürftig seien. Nach § 9 Abs. 1 SGB II sei hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhalte. Als Vermögen seien gemäß § 12 Abs. 1 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Die Klägerin habe ihren Lebensunterhalt im streitgegenständlichen Zeitraum durch zu berücksichtigendes Vermögen sichern können. Vorliegend habe der Prämiensparvertrag und auch der nicht abgetretene Bausparvertrag bei der L1 zum Vermögen der Klägerin gehört. Vom verwertbaren Vermögen abzusetzen seien nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB II ein Grundfreibetrag von 150,00 € je vollendetem Lebensjahr sowie ein Freibetrag für notwendige Anschaffungen in Höhe von 750,00 € (§ 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Zu Beginn des streitigen Bewilligungszeitraum am 1. April 2019 sei die Klägerin 30 Jahre alt gewesen; ihr Freibetrag habe sich somit auf 5.250,00 € belaufen. Zum 1. Oktober 2019 sei die Klägerin 31 Jahre alt gewesen; der Freibetrag habe sich auf 5.400,00 € belaufen. Bereits das Vermögen aus dem Prämiensparvertrag habe durchgehend die maßgeblichen Freibeträge überstiegen, sodass die Klägerin im hier streitgegenständlichen Zeitraum nie hilfebedürftig gewesen sei. Am 1. April 2019 habe die Klägerin verwertbares bares Vermögen in Höhe von insgesamt 10.352,32 € und am 1. Oktober in Höhe von insgesamt 11.111,44 € besessen.
Die Verwertung von Vermögen sei vorliegend auch nicht als offensichtlich unwirtschaftlich anzusehen. Eine besondere Härte im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 2. Alternative SGB II sei nicht ersichtlich. Der zu erzielende Gegenwert bei Auflösung des Prämiensparvertrages stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Gegenstandes. Hinsichtlich des Prämiensparvertrages sei eine Verlustquote nicht nachgewiesen. Aus dem Kontoeröffnungs- und Sparvertrag ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass bei Kündigung Vorfälligkeitszinsen zu entrichten seien. Hierüber habe die Klägerin keinen Nachweis vorgelegt. Dass der Klägerin mit Auflösung des Prämiensparvertrages gegebenenfalls weitere Gewinne entgingen, spiele keine maßgebliche Rolle, da der in der Zukunft zu erzielende Gewinn nicht schützenswert sei. Auch komme es für den Vermögensbegriff grundsätzlich auf den Bestand der tatsächlich vorhandenen Aktiva an. Eine Verrechnung mit Schulden, die gegenüber der Tante, dem Bruder oder zur Finanzierung eines Wohnungsausbaus gegenüber der Bank aufgenommen worden seien, komme nicht in Betracht. Die Tilgung privater Schulden im Rahmen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II sei grundsätzlich nicht vorgesehen. Vermögen sei nicht zur Schuldentilgung, sondern vorrangig zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts einzusetzen. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität sei tatsächlich vorhandenes Vermögen bis zu den in § 12 SGB II vorgegebenen Grenzen zu berücksichtigen. Zudem müsse der Leistungsberechtigte einer Mehrfachanrechnung durch Verbrauch oder rechtmäßige Übertragung des Vermögens entgegenwirken. Die Bewilligungsbescheide seien damit rechtswidrig gewesen, wodurch die Klägerin begünstigt gewesen sei. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin vorliegend nicht berufen, da die Bewilligungsbescheide auf Angaben beruhten, die sie grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X könne sich auf Vertrauen der Betroffene nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruhe, die der oder die Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung sei jeweils der Erlass des zurückzunehmenden begünstigenden Bescheides. Der Tatbestand sei auch dann erfüllt, wenn Umstände verschwiegen worden seien. Die Klägerin sei gesetzlich verpflichtet gewesen, ihr Vermögen vollständig mitzuteilen; dies ergebe sich aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), wonach derjenige, der Sozialleistungen beantrage oder erhalte, u.a. Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistungen erheblich seien, unverzüglich mitzuteilen habe. Die Klägerin habe auf ausdrückliche Nachfrage des Beklagten mehrfach bestätigt, außer den bereits angegebenen Erträgen keine weiteren Vermögensgegenstände zu besitzen. Dies habe nicht den Tatsachen entsprochen. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X verlange neben den objektiven Voraussetzungen die Erfüllung eines subjektiven Tatbestandes. Der oder die Betroffene müsse vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht haben. Der Klägerin könne nur grobe Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X könne dann angenommen werden, wenn der Betroffene die Rechtswidrigkeit aufgrund einfacher und ganz naheliegender Überlegungen hätte erkennen können bzw. wenn er dasjenige unbeachtet gelassen habe, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Hierbei sei insbesondere auch das subjektive Einsichtsvermögen des Betroffenen im Einzelfall zu berücksichtigen. Die Klägerin habe den Prämiensparvertrag am 10. Oktober 2002 selbst unterschrieben und am 25. November 2006 insoweit einen Freistellungsauftrag bei ihrer Bank eingerichtet. Das Gericht habe sich deshalb nicht davon überzeugen können, dass ihr die Existenz des Prämiensparvertrages bis zur Nachfrage des Beklagten völlig unbekannt gewesen sei, zumal die Prämien monatlich von der Tante der Klägerin eingezahlt worden seien, mit der die Klägerin unter einem Dach wohne und bei der sie bereits ein Darlehen aufgenommen habe, zu dessen Sicherung zwischenzeitlich auch der Prämiensparvertrag habe dienen sollen. Soweit erstmals in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht worden sei, die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Klägerin seien aufgrund des psychiatrischen Krankheitsbildes vermindert gewesen, könne dies nach Auffassung des Gerichts nicht dazu führen, das Vorliegen grober Fahrlässigkeit zu verneinen. Das Vorliegen einer psychischen Erkrankung, die das subjektive Einsichtsvermögen der Klägerin bei Antragstellung relevant beeinträchtigt hätte, sei nicht erwiesen. Das Gericht gehe zwar davon aus, dass die Klägerin auf psychiatrischen Fachgebiet erkrankt sei. Für das Jahr 2019 seien allerdings ärztliche Befunde nicht vorgelegt worden. Nachdem die Klägerin erst zweieinhalb Jahre nach Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides erstmals vorgetragen habe, dass die Diagnosen auf psychiatrischem Fachgebiet auch dazu geführt hätten, dass das subjektive Einsichtsvermögen relevant beeinträchtigt gewesen sei,  habe sich das Gericht nicht davon überzeugen können, dass die psychiatrische Erkrankung zum Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung bereits ein Ausmaß erreicht gehabt habe, das das subjektive Einsichtsvermögen der Klägerin relevant beeinträchtigt habe. Gemäß § 330 Abs. 2 SGB III müsse der Verwaltungsakt zwingend mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen einer der drei Fallgruppen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vorlägen.  Dies sei vorliegend erfüllt. Des Weiteren seien die in § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X genannten Fristen eingehalten. Danach könne ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB X vorlägen. Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit müsse gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X innerhalb eines Jahres seit der Erkenntnis der Tatsachen erfolgen, welche der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigten. Der Beklagte habe seit dem 27. Januar 2020 Kenntnis von dem Sparguthaben bei der S1kasse R1 gehabt. Die Jahresfrist sei eingehalten. Die erhaltenen Leistungen seien gemäß § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.

Gegen das der Bevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 5. Oktober 2022 zugestellte Urteil hat diese für die Klägerin schriftlich am 7. November 2022 (einem Montag) beim SG Berufung erhoben. Diese ist nicht begründet worden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. September 2022 und den Bescheid des Beklagten vom 20. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2020 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Mit Schreiben vom 14. März 2023 sind die Beteiligten auf die Absicht des Senats hingewiesen worden, gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zu entscheiden. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 SGG die zulässige Berufung der Klägerin durch Beschluss zurückweisen können, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung ist nicht begründet. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 20. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31. August 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Zutreffend hat das SG in seinem Urteil vom 28. September 2022 als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 4. Dezember 2019 für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. April 2019 bis 11. Oktober 2019 § 40 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X herangezogen und zutreffend ausgeführt, dass alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufhebung der Bewilligungsbescheide erfüllt sind. Der Senat ist diesbezüglich derselben Rechtsauffassung wie das SG, hat den Gründen des SG in seinem Urteil vom 28. September 2022 nichts hinzuzufügen und verweist deshalb auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung (§ 153 Abs. 2 SGG). Die Berufung wurde auch nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.   


 

Rechtskraft
Aus
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