L 14 R 581/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 46 R 860/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 14 R 581/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts

Köln vom 28.05.2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die erneute Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab Januar 2018.

 

Der 00.00.0000 geborene Kläger absolvierte von August 1982 bis Januar 1986 eine Aus-bildung zum Energieanlageninstallateur. Im Anschluss war er bis März 1987 wenige Monate (mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit) und, nach Absolvieren des Wehrdienstes bis 1988, nochmals von März 1989 bis September 1990 versicherungs­pflichtig tätig. Seitdem war er nicht mehr versicherungspflichtig tätig und bezog bis Juni 2014 - unterbrochen nur durch eine Inhaftierung von 1999 bis 2005 - Leistungen der Bundesagentur für Arbeit, wobei er in der Zeit von März 1993 bis Juli 1995 über diese finanziert eine Umschulung zum Industriekaufmann absolvierte. Von Juli 2014 bis Dezember 2017 bezog der Kläger von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbs-minderung. Für die Zeit ab dem 01.01.2018 weist sein Versicherungskonto keine Zeiten mehr auf.

 

Im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit erstattete Z. (Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie) im März 2011 und im Oktober 2013 Gutach­ten zur Erwerbsfähigkeit des Klägers. Bei beiden ambulanten Begutachtungen verweigerte der Kläger eine mündliche Beantwortung der Fragen Z.s, wünschte eine schriftliche Formulierung und behielt sich die schriftliche Beantwortung vor. Während Z. in ihrem Gutachten von 2011 ausführte, dass aufgrund des klägerischen Verhaltens und fehlender Vorbefunde eine Diagnosestellung nicht eindeutig möglich sei, nur die Verdachtsdiagnose einer paranoiden Schizophrenie und als Differenzialdiagnose eine Persönlichkeitsstörung gestellt werden könne und eine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung vor diesem Hintergrund nicht möglich sei, führte sie in ihrem Gutachten von 2013 aus, dass weiterhin nur die bereits 2011 erfolgte Verdachts-Diagnosestellung möglich sei, gelangte nunmehr aber - ohne nähere Begründung - zu der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung, dass von einem voraussichtlich für länger als sechs Monate, aber nicht dauerhaft aufgehobenen Leistungsvermögen des Klägers auszugehen sei.

 

Auf den im Dezember 2013 gestellten Antrag auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit von Juli 2014 bis Dezember 2015 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, nachdem sie sich - ohne weitere eigene Ermittlungen - dem Gutachten von Z. von Oktober 2013 anschloss.

 

Auf den Antrag auf erneute Rentengewährung für die Zeit ab Januar 2016 ließ die Beklagte den Kläger im Oktober 2015 durch C. (Facharzt für Innere Medizin, Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin) und im Januar 2016 durch Herrn Q. (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie) ambulant begutachten. Bei beiden Untersuchungsterminen kooperierte der Kläger allein insoweit, als er mit einer körper-lichen Untersuchung einverstanden war, verweigerte jedoch eine mündliche Beant-wortung jeglicher Fragen und schrieb jede Frage auf, um sie im Nachgang schriftlich beant­worten zu können. Herr Q. beendete die Exploration nach ca. 20 Minuten, konnte nur einen hochgradigen Verdacht auf eine paranoid-halluzinatorische Schizo-phrenie diagnostizieren und stellte fest, dass mangels Mitwirkung des Klägers eine abschließende Beurteilung der Erwerbsfähigkeit kaum möglich sei. Dennoch führte er zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung aus, dass derzeit von einem aufge-hobenen Leistungsvermögen auszugehen sei, wenngleich eine profunde Diagnose-stellung nicht möglich sei. Dieser Beurteilung schloss sich C. an und ergänzte, dass eine Besserung bei adäquater Behandlung möglich erscheine, so dass von einer weiteren Dauer von Erwerbsminderung bis Dezember 2017 ausgegangen werde. Daraufhin bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit von Januar 2016 bis Dezember 2017 erneut eine befristete Rente wegen voller Erwerbs­minderung.

 

Auf den Antrag des Klägers auf erneute Rentengewährung für die Zeit ab Januar 2018 mit der Angabe, Hausarzt sei K. aus Gummersbach, holte die Beklagte ein Gutachten von H. (Facharzt für Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie) ein, der den Kläger am 21.12.2017 ambulant begutachtete. Bei der Begutachtung verweigerte der Kläger die mündliche Beantwortung jeglicher Fragen und schrieb sämtliche Fragen für eine spätere schriftliche Beantwortung mit dem Hinweis auf, er müsse sich zuvor mit seinem Rechtsanwalt abstimmen. H. gelangte in seinem Gutachten vom 23.12.2017 zu dem Ergebnis, aufgrund des klägerischen Verhaltens kei­ne Diagnose stellen zu können; ausweislich der gemachten Eigenangaben gegen­über C. im Oktober 2015 habe der Kläger früher als Energieanlageninstallateur und als Maschineninstallateur gearbeitet; die aktuellen körperlichen und psychopathologischen Befunde ergäben keine eindeutigen Ergebnisse, an der Erwerbsfähigkeit des Klägers zu zweifeln; es sei diesem zuzumuten, sowohl die frühere Tätigkeit als auch körperlich schwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr arbeitstäglich auszuführen.

 

Mit Bescheid vom 11.01.2018 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab mit der Begründung, er erfülle die medizinischen Voraussetzungen nicht, denn er könne mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbsfähig sein; hierzu verwies sie auf das Gutachten von H..

 

Mit seinem hiergegen am 06.02.2018 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Begründung des Bescheides sei weder sachlich noch substantiiert noch zu verstehen.

 

Die Beantwortung der Anfrage der Beklagten nach dem ihn aktuell behandelnden Haus­arzt und seinem Nervenarzt/Psychiater verweigerte der Kläger. Eine von ihm begehrte und von der Beklagten in ihren Räumlichkeiten angebotene Akteneinsicht nahm er nicht wahr.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2018 wies die Beklagte den Widerspruch des Klä­gers zurück mit der Begründung, aus dem Widerspruchsschreiben des Klägers ergäben sich keine neuen rechtlich entscheidenden Gesichtspunkte. Eine weitere medizi­nische Sachaufklärung habe nicht erfolgen können, da der Kläger im Wider­spruchsver­fahren trotz Aufforderung seine Behandler nicht benannt habe; das Wider­spruchsverfahren habe daher nach Aktenlage entschieden werden müs­sen; ein quantitativ aufgehobenes Leistungsvermögen des Klägers sei nicht feststellbar.

 

Hiergegen hat der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger am 13.07.2018 Klage beim Sozialgericht Köln (SG) erhoben mit dem schriftsätzlichen Antrag, die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 11.01.2018 in der Form des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2018 aufzuheben und dem Kläger über den 31.12.2017 hinaus Rente wegen Erwerbsminderung weiter zu gewähren. Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Gesundheitszustand sei unverändert.

 

In dem an das SG zurückgesandten sog. Fragebogen zur Person hat der Kläger keine behandelnden Ärzte angegeben. Auf den daraufhin erfolgten Hinweis des SG, der Kläger habe bisher weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren seine Behandler angegeben, was jedoch zu einer geordneten Fortführung des Verfahrens notwendig sei, ebenso wie die Mitteilung, an welchen Krankheiten/Gesundheitsbeeinträchtigungen der Kläger leide, die seiner Auffassung nach zu einer Rente wegen Erwerbsminderung führen würden, hat die Klägerbevollmächtigte lediglich mitgeteilt, aktuell befinde sich der Kläger nicht in ärztlicher Behandlung.

 

Das SG hat die Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 05.04.2019 (Zugang gegen Postzustellurkunde (PZU) am 10.04.2019) unter Hinweis auf § 106a Abs. 3 Sozialge­richtsgesetz (SGG) und unter Fristsetzung bis zum 03.05.2019 aufgefordert, folgen­de Unterlagen/Erklärungen beizubringen: Schweigepflichtentbindungserklärung des Klägers ohne Bedingungen, Angabe von Ärzten, bei denen der Kläger in den letzten zehn Jahren in Behandlung war und Angabe, an welchen Krankheiten und Gesund­heitsbeeinträchtigen der Kläger aktuell leide. Die Klägerbevollmächtigte hat hierauf nicht reagiert.

 

Mit Schreiben vom 21.10.2019, das der Klägerbevollmächtigten gegen PZU am 29.10.2019 und der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis (EB) am 28.10.2019 zuge­gangen ist, hat das SG die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG in Betracht ziehe; nach bisheriger Auffassung weise die Sache keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf und der Sachverhalt sei geklärt. Es werde nach § 105 Abs. 1 Satz 2 SGG Gelegenheit gegeben, zur Frage der Bescheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung bis zum 11.11.2019 Stellungnahme abzugeben. Weder die Klägerseite noch die Beklagte haben Stellung genommen.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 28.05.2020 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die zulässige Klage sei unbegründet; dem Kläger stehe die begehrte Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43 Sozialgesetz­buch 6. Buch (SGB VI) nicht zu, weil die medizinischen Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen; denn der Kläger könne nach den medizinischen Fest­stellungen noch mindestens sechs Stunden täglich Arbeiten unter den üblichen Bedin­gungen des allgemeinen Arbeitsmarktes verrichten. Bei der Entscheidung stütze sich das Gericht vollumfänglich auf das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychothe­rapie H. vom 23.12.2017, nach dem keine Erkrankungen oder Behinderungen feststellbar seien, die eine aufgehobene oder geminderte Erwerbsfähigkeit des Klägers begründen würden. Bei seiner Entscheidung habe das Gericht allein dieses im Verwaltungsverfahren von der Beklagten eingehol­te Gutachten berücksichtigen dürfen. Denn ärztliche Befundunterlagen lägen darüber hinaus nicht vor. Zwar bestehe im sozialgerichtlichen Verfahren Amtsermittlungspflicht; auch könne das Gericht nach § 106 Abs. 3 Nr. 2 SGG medizinische Unterlagen beziehen und nach § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG medizinische Sachverständigengutachten in Auftrag geben. Medizinische Unter-lagen dürfe das Gericht jedoch nur dann verwerten, wenn der Kläger seine behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden habe. Der Kläger habe jedoch trotz wiederholter Aufforderung sowie Fristsetzung nach § 106a SGG weder eine Schweigepflichtentbindungserklärung ohne Bedingung eingereicht noch mitgeteilt, bei welchen Ärzten er in der Vergangenheit in Behandlung gewesen sei. Letztlich habe der Kläger nicht einmal vorgetragen, aufgrund welcher Erkrankungen oder Beeinträchtigungen er der Auffassung sei, keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen zu können. Bereits im Verwaltungsverfahren habe die Beklagte aufgrund fehlender Mitwirkung des Klägers im Rahmen der ärztlichen Untersuchungen keine Erkrankungen des Klägers feststellen und keine Befundunterlagen der behandelnden Ärzte einholen können. Der Kläger sei beweisbelastet für das Vorliegen der Anspruchs­voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung; eine Erwerbsminderung habe er nicht nachgewiesen. Insbesondere belege der Umstand, dass der Kläger seit 1990 durchgehend ar­beitslos sei, noch nicht das Vorliegen einer Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI. Auch die aufgeführten Verdachtsdiagnosen in den Vorgutachten aus Oktober 2013 und Dezember 2015 bzw. Januar 2016 könnten eine volle oder teilweise Erwerbsminderung des Klägers für die Zeit ab dem 01.01.2018 nicht begründen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bei Erlass der angefochtenen Bescheide Erkrankungen des Klägers und de­ren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit nicht gesehen oder fehlerhaft bewertet habe, seien für das Gericht nicht ersichtlich.

 

Gegen den ihm am 26.06.2020 per einfachem Brief zugegangenen und der Klägerbevollmächtigen gegen PZU am 28.08.2020 (erneut) zugestellten Gerichtsbe­scheid hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14.07.2020 (Eingang beim Landessozialgericht (LSG) NRW am 20.07.2020) Berufung eingelegt und vorgetragen, er werde nicht mehr anwaltlich vertreten. Das Gutachten von H. sei für nichtig zu erklären, denn H. habe ausweislich eines an ihn gerichteten Schreibens vom 06.08.2018 ein neues Gutachten für erforderlich gehalten.

 

Der Senat hat dem Kläger auf dessen Akteneinsichtsbegehren Kopien der in der Gerichtsakte befindlichen Unterlagen übersandt; eine ihm zudem für den 27.08.2021 und für den 27.01.2022 in den Räumen des Gerichts angebotene Akten­einsicht hat er nicht wahrgenommen.

 

Auf Aufforderung des Senats hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 29.01.2021 einen Versicherungsverlauf vom selben Tag übersandt und mitgeteilt, die versicherungsrecht­lichen Voraussetzungen der strittigen Rente seien nur bis zum 31.01.2020 erfüllt. Unter Bezugnahme hierauf hat der Senat die Beteiligten mit Schreiben vom 10.02.2021 darauf hingewiesen, dass hier allein aufzuklären sei, ob in der Zeit zwischen Januar 2018 und Januar 2020 nachweislich der Leistungsfall einer Erwerbsminderung eingetreten sei; Ermittlungen zu funktionellen Einschränkungen und zum Leistungsvermögen des Klägers nach Januar 2020 seien nicht vorzunehmen.

 

In dem am 27.08.2021 durchgeführten Erörterungstermin hat der Kläger auf Aufforderung das an ihn gerichtete Schreiben von H. vom 06.08.2018 überreicht. Darin führt H. in Beantwortung eines Schreibens des Klägers vom 11.07.2018 aus, es sei für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung von Bedeutung, dass der Kläger als Energieanlageninstallateur gearbeitet habe und nicht als Elektroniker. Die falsche Berufsbezeichnung sei dadurch zustande gekommen, dass der Kläger zum Untersuchungszeitpunkt nicht bereit gewesen sei, ihm im Gespräch Auskunft zu geben. Auch die Tatsache, dass der Kläger aus rechtlichen Gründen nicht mehr als Energiean­lageninstallateur habe arbeiten dürfen, habe er ihm damals nicht mitgeteilt; er gehe davon aus, dass der Kläger nun im Gegensatz zum 23.12.2017 bereit sei, im Rahmen der Exploration Auskunft zu geben, so dass er eine neuerliche Begutachtung empfehle. Im Rahmen eines Wider­spruchsverfahrens könne der Kläger fehlende Angaben ergänzen; er habe mit der Gutachtenstelle der DRV Rheinland gesprochen und sowohl das Schreiben des Klägers als auch seine vorliegende Auskunft dem Service Zentrum Bonn mitgeteilt. Des Weiteren hat der Kläger im Erörterungstermin auf Befragung erklärt, er sei seit ca. fünf Jahren nicht mehr krankenversichert und nach seiner Erinnerung in den letzten Jahren auch nicht mehr in ärztlicher Behandlung gewesen, weder ambulant noch stationär. Es sei ihm nicht erinnerlich, dass er in der Vergangenheit ein Verfahren auf Feststellung einer Schwerbehinderung beantragt habe. Einer ambulanten Begutachtung durch einen Sachverständigen im Rahmen dieses Berufungsverfahrens würde er sich unterziehen. Er sei bereit, die Fragen, die ein Sachverständiger im Rahmen einer Begutachtung an ihn richte, ausschließlich schriftlich zu beantworten; von dieser Möglichkeit, die ihm das Gesetz einräume, wolle er Gebrauch machen. Abschließend hat der Kläger im Erörterungstermin erklärt, es gehe ihm mit diesem Verfahren darum, dass das Gutachten von H. für nichtig erklärt werde. Nach dem Hinweis, dass das Gericht auf sachdienliche Anträge hinzuwirken hat, hat der Kläger erklärt, dass er in diesem Verfahren beantrage, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 28.05.2020 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.01.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2018 zu verurteilen, ihm erneut Rente wegen Erwerbsminderung ab Januar 2018 und auf Dauer zu gewähren.

 

Der Senat hat einen Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin K. vom 29.03.2022 eingeholt. Dieser hat mitgeteilt hat, er habe den Kläger zum ersten Mal am 21.02.2018 und zuletzt am 12.06.2018 wegen einer Konjunktivitis und eines Zeckenbisses behandelt. Das Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben könne er nicht beurteilen, da dieser seit dem 12.06.2018 nicht mehr in seiner Praxis vorstellig geworden sei.

 

Mit Beschluss vom 20.07.2022 hat der Senat dem Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt X. bewilligt; dieser hat anschließend Akteneinsicht genommen und vorgetragen, er gehe davon aus, dass eine medizinische Beweisaufnahme mit einer persönlichen Begutachtung des Klägers durchzuführen sei.

 

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des D. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie; Chefarzt am Klinikum) eingeholt, der den Kläger am 07.07.2023 ambulant begutachtet hat. Einen vor der Begutachtung dem Kläger über seinen seinerzeitigen Bevollmächtigten zugeleiteten schriftlichen Fragen-katalog D. hat der Kläger vor der Begutachtung ausgefüllt an D. zurückgesandt. Ausweislich Seite 12 des Gutachtens von D. vom 12.07.2023 hat der Kläger darin seine persönlichen Daten sowie im Wesentlichen angegeben, dass er nicht krankenversichert sei, keine behandelnden Ärzte habe,  psychische und organi-sche Vorerkrankungen habe, an Ein- und Durchschlafstörungen leide, nachts Wasser-lassen müsse und bei Belastung kurzatmig sei. Internistisch bestehe eine Neigung zu Magen­schleimhautentzündungen. Er habe wiederkehrend Brustwirbel- und Lenden-wirbelsäu­lenbeschwerden; es liege ein Verdacht auf eine Autoimmunerkrankung vor; er habe keine Haut- oder endokrinen Erkrankungen; seine Beschwerden würden unregelmäßig auftreten; an derzeitigen Beschwerden bestünde ein körperlicher Leistungsverfall. Die von D. bei der ambulanten Begutachtung am 07.07.2023 mündlich gestellten und im Gutachten auf den Seiten 14 bis 16 aufgelisteten Fragen hat der Kläger nicht beantwortet, sondern hat sich diese mit dem Hinweis notiert, er werde sie schriftlich beantworten und nur dann hätten seine Antworten Gültigkeit. Hierzu hat D. in seinem Gutachten unter der Überschrift „Verhaltens-beobachtung“ festgehalten, es sei erkenntlich, dass der Kläger sämtliche Fragen sehr rasch und exakt notiere und dass hierbei nicht die geringsten kognitiven Störungen bestünden, denn der Kläger wiederhole viele Fragen fast wörtlich und notiere diese dann. Der Kläger sei auch auf die Möglichkeit hingewiesen worden, relevante Informationen nach­zureichen. Weitere schriftliche Äußerungen des Klägers seien nicht eingegangen. Zum allgemein-körperlichen Untersuchungsbefund hat D. vermerkt, der Kläger präsentiere sich in gutem Allgemeinzustand, gebräuntes Hautkolorit, vitale Erscheinung. Zum psychischen Befund hat D. vermerkt, dass der Kläger grundsätzlich voll orientiert sei. Die Interaktionen würden zeigen, dass der formale Gedankengang durchgängig geordnet sei. Reaktionsweise und Verhalten sowie Wiederholungen der Fragen und zielgerichtetes Verhalten würden keine Minderung der Konzentration oder Merkfähigkeit zeigen. Es bestünden keine Anzeichen für ein dementielles Syndrom, spezifische Ängste oder Zwänge würden in der Untersuchung nicht ersichtlich. Der Kläger sei durchgehend attent und überhaupt nicht vermehrt ablenkbar. Sinnestäuschungen in Form von optischen Halluzinationen würden sich aufgrund des Verhaltens sicher ausschließen lassen. Auffällig sei ein gesteigertes Misstrauen gegenüber mündlichen Äußerungen vor dem Hintergrund, durch Gerichte oder Gutachter fehlbeurteilt zu werden. Dies könne möglicherweise als sensitives Erleben, möglicherweise auch im Rahmen eines Wahns gedeutet werden. Affektiv erscheine die Schwingungsfähigkeit durchaus erhalten, manchmal auch mit positiver Auslenkung und kurzem Lächeln oder Lachen. Sicherlich bestehe keine relevant depressive Stimmungstönung, auch keine manische Stimmungsauslenkung. Die Psychomotorik und der Grundantrieb seien durchgängig erhalten. Unter Würdigung i.Ü. auch des neurologischen Untersuchungsbefundes sowie des Ergebnisses einer  Hamilton-Depression-Rating-Scale, eines Ratings gemäß Mini-ICF-APP sowie einer Elektrophysiologie ist D. für die mit der Beweisanordnung abgefragte Zeit von Januar 2018 bis Januar 2020 zu dem Ergebnis gelangt, dass sich gemäß der aktuellen Untersuchung und Exploration ein identisches Bild wie zur Untersuchung durch H. dargestellt habe, als Diagnose mit hoher Wahrscheinlichkeit eine schizotype Persönlichkeitsstörung zu stellen sei und der Kläger in der abgefragten Zeit regelmäßig körperlich mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit geistig geringen bis durchschnittlichen Anforderungen unter betriebsüblichen Bedingungen ohne quantitative Leistungsminderungen - bei auch zu bejahender Wegefähigkeit und Nutzbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel sowie eines Pkw - habe verrichten können.

 

Nachdem der Kläger mit einem an D. gerichteten Schreiben vom 01.08.2023 dessen im Rahmen der Begutachtung am 07.07.2023 gestellte Fragen schriftlich beantwortet hat, hat D. dem Senat dieses Schreiben (mit Schreiben vom 02.08.2023) zugeleitet und ausgeführt, der Inhalt stütze die im Gutachten gemachten Erwägungen. Das Schreiben sei völlig geordnet und ohne Hinweis auf eine Psychose.

 

Nachdem der Senat den seinerzeitigen Klägerbevollmächtigen mit Schreiben vom 04.08.2023, 31.08.2023 und 21.09.2023 um Rücksprache mit dem Kläger und um Mitteilung gebeten hat, ob die Berufung angesichts des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens D. zurückgenommen werde, hat dieser mit Schriftsatz vom 23.10.2023 eine Stellungnahme des Klägers vom 22.10.2023 zum Gutachten D.s übersandt.

 

Der Senat hat den Sachverständigen zur Auswertung dieser Stellungnahme sowie zur Mitteilung im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme aufgefordert, ob sich hier-durch die im Gutachten vom 12.07.2023 erfolgte Beantwortung der Beweisfragen ändere, ggfs. warum (nicht). D. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 08.11.2023 ausgeführt, es würden keine neuen medizinischen Daten vorgelegt. Er habe sämtliche Untersuchungsbefunde in seinem Gutachten so dokumentiert wie erhoben und sich in seiner gutachterlichen Beurteilung insbesondere nicht auf andere Gutachten gestützt, auch nicht auf das Gutachten von H.; selbst wenn er die Korrekturen des Klägers, die dieser in seinem Schreiben mache, so zugrunde lege, bestehe kein Anlass, an seinem Gutachten vom 12.07.2023 nebst Ergänzung vom 02.08.2023 Änderungen vorzunehmen; sein Gutachten sei sachlich und unparteiisch erstattet worden aufgrund der zur Verfügung stehenden medizinischen Daten und Aktenlage sowie der Untersuchung des Klägers; aktuell seien hier keine neuen inhaltlichen oder formalen Punkte aufgeworfen worden; insgesamt verbleibe er bei seiner gutachterlichen Meinungsbildung.

 

Nachdem der Senat dem seinerzeitigen Klägerbevollmächtigten die ergänzende Stellungnahme D.s vom 08.11.2023 mit der Anfrage zugeleitet hat, ob die Berufung angesichts des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens und der ergänzenden Stellung­nahme von D. nunmehr zurückgenommen werde, hat Rechtsanwalt X. - wegen massiver Störung des Vertrauensverhältnisses und weil eine sachgerechte Vertretung aufgrund des Verhaltens des Klägers kaum mehr möglich sei - um Aufhebung seiner Beiordnung gebeten. Gleichzeitig hat sich Rechtsanwalt G. für den Kläger bestellt. Mit Beschluss vom 29.01.2024 hat der Senat die Beiordnung von Rechtsanwalt X. aufgehoben und dem Kläger mit Beschluss vom 29.04.2024 PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt G. bewilligt.

 

Dieser ist mit Schreiben des Senats vom 30.01.2024 darauf hingewiesen worden, dass angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch Einholung des Sach-verständigengutachtens von D. vom 12.07.2023 und der ergänzenden Stellungnahme vom 08.11.2023 keine Erfolgsaussicht für die Berufung des Klägers gesehen und daher erneut angefragt werde, ob die Berufung zurückgenommen werde. Mit Schreiben vom 01.03.2024 und 02.04.2024 hat der Senat den Beteiligten mitgeteilt, dass mangels Berufungsrücknahme die Terminierung des Rechtsstreits beabsichtigt sei. Nachdem Rechtsanwalt G. mitgeteilt hat, den vom Senat avisierten Ver-handlungstermin am 28.06.2024 wegen Urlaubsabwesenheit nicht wahrnehmen zu können und mit Schriftsatz vom 24.04.2024 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt hat, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 25.04.2024 mitgeteilt, er wünsche eine mündliche Verhandlung. Mit Schreiben vom 03.05.2024 hat der Senat den Beteiligten eine Terminierung für den Ver-handlungstermin des Senats 24.05.2024 ohne Anordnung des persönlichen Erschei-nens des Klägers angekündigt. Nach der am 08.05.2024 erfolgten Ladung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15.05.2024 vorgetragen, er halte sein persönliches Er-scheinen für notwendig, um erneute Fehler zu vermeiden. Er sei jedoch vom 21. bis 26.05.2024 bereits anderweitig verpflichtet, aus diesem Grund bitte er um eine Termin-verschiebung. Des Weiteren habe er eine Anzeige gegen D. wegen falscher Aussage und Verzerrung von Tatsachen eingereicht. Angesichts der erheblichen Zweifel an diesem Gutachten und der laufenden Ermittlungen bestehe er darauf, dass der Termin erst nach Abschluss der Ermittlungen stattfinde. Daraufhin hat der Senatsvorsitzende den Beteiligten mit Schreiben vom 16.05.2024 mitgeteilt, dass das persönliche Erscheinen des Klägers mit der Ladungsverfügung vom 08.05.2024 nicht angeordnet worden sei und es hierbei verbleibe. Ein persönliches Erscheinen des Klägers sei nicht erforderlich; dessen bloße Einlassung, er sei „vom 21. bis zum 26.05.224 bereits anderweitig verpflichtet“, würde im Übrigen selbst für den Fall, dass sein persönliches Erscheinen angeordnet worden wäre, nicht eine Terminverschiebung rechtfertigen können. Es bleibe dem Kläger unbenommen, auch bei Nichtanordnung seines persönlichen Erscheinens zum Verhandlungstermin am 24.05.2024 zu erscheinen. Da das bei der Staatsan­waltschaft Essen anhängig gemachte Ermittlungs-verfahren gegen den Sachverständigen D. rechtlich keine Auswirkung auf das vorliegende Berufungsverfahren habe, komme eine Terminverschiebung bis zum Abschluss des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft Essen nicht in Frage.

 

Mit Fax vom 20.05.2024 hat der Kläger den Senat ersucht, die Berichterstatterin für befangen zu erklären und vorgetragen, sein persönliches Erscheinen vor Gericht sei aufgrund der offensichtlichen Schwierigkeit und Komplexität des Falls zwingend erforderlich. Der Gerichtstermin sei zu verschieben, bis die laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgeschlossen seien.

 

Mit Schreiben vom 21.05.2024 hat der Senatsvorsitzende den Beteiligten die dienstliche Äußerung der Berichterstatterin vom 21.05.2024, sie halte sich nicht für befangen, übersandt. Das Gesuch, die Berichterstatterin für befangen zu erklären, ist mit Beschluss des Senats vom 22.05.2024 (L 14 SF 164/24 AB) als unbegründet zurückgewiesen worden (Zugang bei den Beteiligten gegen EB am 23.05.2024).

 

Mit weiterem Schreiben vom 22.05.2024 hat der Senatsvorsitzende den Beteiligten mitgeteilt, das persönliche Erscheinen des Klägers zum Termin am 24.05.2024 werde nicht angeordnet; der Termin am 24.05.2024 bleibe bestehen.

 

Mit Schriftsatz vom 23.05.2024 hat der Klägerbevollmächtigte mitgeteilt, er nehme den Gerichtstermin nicht wahr, weil dies ausdrücklich der Wunsch des Klägers sei. Das Gericht möge entscheiden, was rechtens sei.

 

Im Termin am 24.05.2024 sind der Kläger und der Klägerbevollmächtigte nicht erschienen.

 

Der Vertreter der Beklagten hat beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der beigezogenen Akte S 22 R 993/17 Bezug ge­nom­men, der Ge­genstand der mündlichen Verhandlung des Senats war.

 

Entscheidungsgründe:

 

Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers und seines Bevollmächtigten auf­grund der mündlichen Verhandlung am 24.05.2024 über die Berufung  entscheiden, da zum Termin ordnungsgemäß geladen worden war (§ 110 Abs. 1 Satz 1 SGG), ohne dass das persönliche Erscheinens des Klägers angeordnet worden war (§ 111 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Beteiligten waren zudem mit der Terminladung darüber unterrichtet worden, dass im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

 

Anlass für eine nach Ausübung richterlichen Ermessens (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 Zivilprozessordnung - ZPO) vorzunehmende Aufhebung oder Verlegung des Termins oder Vertagung der Verhandlung bestand nicht. Dafür fehlte es am dafür erforderlichen erheblichen Grund (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Insbesondere ein Ausbleiben von Beteiligten oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, ist kein erheblicher Grund in diesem Sinne (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Anderes gilt nur, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 letzter Halbsatz ZPO). Dies war hier jedoch nicht der Fall, nachdem der Klägerbevollmächtigte dem Senat mit Schriftsatz vom 23.05.2024 lediglich mitgeteilt hatte, dass er den Gerichtstermin nicht wahr­nehme, weil dies ausdrücklich der Wunsch des Klägers sei. Und auch der Kläger hatte dem Senat in seinen Schriftsätzen vom 15.05.2024 und 20.05.2024 lediglich mitge­teilt, dass er vom 21. bis 26.05.2024 anderweitig verpflichtet sei. Diese Rechtslage hat der Senats-vorsitzende den Beteiligten mit Schreiben vom 16.05. und 22.05.2024 aufgezeigt.

 

Die Berufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11.01.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2018 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger daher nicht im Sinne des § 54 Absatz 2 SGG in seinen Rechten. Die Beklagte hat zutreffend ent­schieden, dass er keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI (dazu I.) bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI (dazu II.) hat.

 

I.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, da er die dafür zu erfüllenden Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 bzw. Abs. 2 SGB VI nicht sämtlich erfüllt.

 

Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt (Nr. 2, sog. 3/5-Belegung) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Diese Voraussetzungen muss der Kläger trotz des Umstandes, dass er bereits bis Dezember 2017 eine Rente wegen Erwerbsminderung bezogen hat, für sein Begehren auf erneute Rentengewährung ab Januar 2018 sämtlich erfüllen. Denn die Entscheidung, ob einem Rentenbezieher nach Ablauf einer Befristung eine Rente wegen Erwerbsminderung weiterhin zusteht, ist nicht bloß die Verlängerung einer bereits dem Grunde nach zuerkannten Sozialleistung, sondern stellt die eigenständige und vollständig erneute Bewilligung der beantragten Rente dar; beantragt ein Versicherter daher eine Folgerente, trifft ihn die volle Beweislast für das Vorliegen der Rentenvoraussetzungen in medizinischer als auch in versicherungsrechtlicher Hinsicht (Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 43 SGB VI (Stand 03.04.2024), Rdn. 424 f.).

 

Der Kläger erfüllt zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Nr. 3, die sog. 3/5-Belegung der Nr. 2 aber nur für die Zeit bis zum 31.01.2020. Bis zu diesem Zeitpunkt – und auch darüber hinaus – liegen jedoch die medizinischen Voraus-setzungen der Nr. 1 des § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI nicht vor, so dass kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung besteht. Im Einzelnen:

 

Unter Berücksichtigung der in seinem Versicherungskonto enthaltenen Beitragszeiten erfüllt der Kläger gemäß der Nr. 3 des § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 S. 1 SGB VI).

 

Auch erfüllt er die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der sog. 3/5-Belegung, Nr. 2 des § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI, dies allerdings nur noch für die Zeit bis zum 31.01.2020. Diese besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen muss der Kläger zusätzlich zur vorliegenden allgemeinen Wartezeit erfüllen, weil die Voraussetzungen des § 241 Abs. 2 SGB VI nicht vorliegen, da der Kläger die allgemeine Wartezeit nicht bis zum 01.01.1984 erfüllt, vielmehr der von der Beklagten übersandte Versicherungsverlauf (vom 29.01.2021) Beitragszei­ten erstmals ab August 1982 aufweist, und weil die Voraussetzungen des § 43 Abs. 5 i.V.m. § 53 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI nicht vorliegen, da hier keiner der in den Absätzen 1 bzw. 2 des § 53 SGB VI genannten Tatbestände vorliegt. Die für die sog. 3/5-Belegung erforderlichen 36 Pflichtbeiträge weist sein Versicherungsverlauf zuletzt von Januar 2008 bis Dezember 2010 aus. In dem sich hierdurch ergebenen 5-Jahres-Zeitfenster von Januar 2008 bis Januar 2013 liegen 25 Monate mit An­rechnungszeiten wegen Bezugs von Arbeitslosengeld II (von Januar 2011 bis Januar 2013), die das 5-Jahreszeitfenster um diese 25 Monate auf die Zeit von Januar 2008 bis Februar 2015 verlängern (§ 43 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI). Wegen der in diesem Zeitfenster liegenden 19 Monaten mit Anrechnungszeiten wegen Bezugs von Arbeitslosengeld II (von Februar 2013 bis August 2014) und weiteren 6 Monaten mit Rentenbezugszeiten (von September 2014 bis Februar 2015) verlängert sich das 5-Jahreszeitfenster um diese 25 Monate auf die Zeit von Januar 2008 bis März 2017 (§ 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI), wegen der in diesem Zeitfenster liegenden 25 Monaten mit Rentenbezugszeiten (von März 2015 bis März 2017) auf die Zeit von Januar 2008 bis April 2019 sowie schließlich wegen der in diesem Zeitfenster liegenden 9 Monaten mit Rentenbezugszeiten (von April 2017 bis Dezember 2017) auf die Zeit von Januar 2008 bis Januar 2020. Die sog. 3/5-Belegung ist daher noch für die Zeit bis zum 31.01.2020 erfüllt, wie auch die Beklagte mit Schriftsatz vom 29.01.2021 zutreffend mitgeteilt hat.

 

Wegen des Vorliegens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur noch für die Zeit bis Januar 2020 trägt der Kläger die objektive Beweislast dafür, dass in der Zeit zwischen Januar 2018 und Januar 2020 erneut ein Leistungsfall einer vollen bzw. teilweisen Erwerbsminderung im Sinne der Nr. 1 des § 43 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 2 Satz 1 SGB VI eingetreten ist; dieser Beweis konnte nicht geführt werden.

 

Gemäß § 43 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB VI sind Versicherte teilweise erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Gemäß § 43 Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist demgegenüber gemäß § 43 Absatz 3 SGB VI nicht, wer mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein kann; bei diesem Personenkreis ist die jeweilige Arbeitsmarktlage für den Rentenanspruch ohne Bedeutung.

 

Hiernach ist der Kläger weder teilweise noch voll erwerbsgemindert, denn er ist in der streitrelevanten Zeit zwischen Januar 2018 und Januar 2020 nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen in der Lage gewesen, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nachzugehen.

 

Der Senat folgt der entsprechenden sozialmedizinischen Beurteilung des Leistungs-vermögens des Klä­gers im Erwerbsleben durch den Sachverständigen D. in dessen vom Senat eingeholtem Sachverständigengutachten vom 12.07.2023 und in dessen ergänzenden sachverständigen Einlassungen vom 02.08.2023 und 08.11.2023. Das Sachverständigengutachten und die ergänzenden sachverständigen Einlassungen D.s sind in sich widerspruchsfrei. Auch hat der Sachverständige seine Beurteilung schlüssig und für den Senat überzeugend begründet; zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf die im Tatbestand gemachten Ausführungen verwiesen. Der Senat hat auch keinen Anlass, an der Vollständigkeit der erhobenen Befunde und der Richtigkeit der daraus gefolgerten Leistungsbeurteilung des Sachverständigen zu zweifeln. Insbesondere konnte sich der Sachverständige D. auch ein hinreichend verlässliches Bild vom Leistungs-vermögen des Klägers verschaffen. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger D. bei der Begutachtung hinsichtlich der an ihn gerichteten Fragen auf deren spätere schriftliche Beantwortung verwiesen hat. Der Kläger hat die ihm im Rahmen der Begutachtung am 07.07.2023 gestellten Fragen mit Schreiben vom 01.08.2023 schriftlich beantwortet, und D. hat dieses Schreiben mit Schreiben vom 02.08.2023 ausgewertet und dahingehend gewürdigt, dass sich weitere neue Aspekte daraus nicht ergäben und er insofern auf sein Gutachten verweise.

 

Die sozialmedizinische Beurteilung des Leistungsvermögens des Klä­gers im Erwerbsleben durch den Sachverständigen D. wird i.Ü. durch die entsprechende sozialmedizinische Beurteilung des Leistungsvermögens des Klä­gers im Erwerbsleben durch den Gutachter H. in dessen von der Beklagten eingeholtem medizinischen Gutachten vom 23.12.2017 bestätigt, welches der Senat im Wege des Urkundsbeweises beigezogen hat. H. hat den Kläger am 21.12.2017 persönlich ambulant begutachtet, somit sehr zeitnah zum hier streitrelevanten Zeitraum ab Januar 2018, und ist - wie D. - zu der sozialmedizinischen Leistungs-beurteilung gelangt, dass dem Kläger Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zumutbar sind, nachdem er festgestellt hat, dass die aktuellen körperlichen und psychopathologischen Befunde keine eindeutigen Ergebnisse ergäben, an der Erwerbsfähigkeit des Klägers zu zweifeln. Bei der persönlichen ambulanten Begutachtung des Klägers durch D. am 07.07.2023 hat sich diesem gemäß dessen Untersuchung und Exploration ein identisches Bild wie zur Untersuchung durch H. dargestellt. Auch unter Berücksichtigung der (alleinigen) Berufungsbegründung des Klägers, das Gutachten von H. sei für nichtig zu erklären, da dieser ausweislich seines Schreibens vom 06.08.2018 ein neues Gutachten für erforderlich gehalten habe, ist der Senat nicht daran gehindert, das Gutachten H.s im Wege des Urkundsbeweises zu verwerten. Abgesehen davon, dass H. - anders als es der Kläger ausführt - in seinem Schreiben vom 06.08.2018 eine neuerliche Begutachtung nicht für erforderlich gehalten, sondern eine solche lediglich empfohlen hat, und dies auch nur für den Fall, dass der Kläger dann auskunftsbereit sei, folgt aus dieser Empfehlung schon naturgemäß nicht, dass das bereits erstellte Gutachten H.s vom 23.12.2017 damit seine Verwertbarkeit verloren hätte. Im Übrigen hat der Senat ohnehin ein neues Gutachten – dasjenige D. – eingeholt.

 

Eine von den Beurteilungen der Dres. J. und D. abweichende und das klägerische Begehren stützende ärztliche Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers liegt nicht vor, somit auch nicht für den entscheidungsrelevanten Zeitraum. Weder konnte der Kläger eine solche Beurteilung beibringen, noch hat die Beiziehung des Befundberichts des den Kläger in den letzten Jahren einzig behandelnden Arztes K. (Arzt für Allgemeinmedizin) durch den Senat eine solche Beurteilung erbracht. Vielmehr hat S. in seinem Befundbericht vom 29.03.2022 lediglich mitgeteilt, er habe den Kläger zum ersten Mal am 21.02.2018 und zuletzt am 12.06.2018 wegen einer Konjunktivitis und eines Zeckenbisses behandelt und könne das Leistungsvermögen des Klägers im Erwerbsleben nicht beurteilen, da der Kläger seit dem 12.06.2018 nicht mehr in seiner Praxis vorstellig geworden sei.

 

Bei dem Kläger liegt im streitrelevanten Zeitraum auch weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkun­gen vor. Beide Alternativen, bei deren Vorliegen unter bestimmten Voraussetzungen eine Erwerbsminderung auch bei einem an sich noch erhaltenen arbeitstäglichen mehr als sechsstündigen Leistungsvermögen in Betracht kommen kann, setzen voraus, dass ein körperliches Leistungsvermögen für ausschließlich nur noch leichte Tätigkeiten be­steht (Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 43 SGB VI (Stand: 03.04.2024), Rdn. 188 mit Hinweis auf BSG, Urteile vom 11.12.2019, B 13 R 7/18 R, juris, Rdn. 38, und vom 14.07.1999, B 13 RJ 654/97 R, juris, Rdn. 33). Der Kläger verfügt jedoch nach den Feststellungen der Dres. J. und D., denen sich der Senat aus den von diesen in ihren Gutachten angeführten überzeugenden Gründen anschließt, im streitrelevanten Zeitraum über ein Leistungsvermögen für körperlich mittelschwere (D.) bzw. für körperlich schwere (H.) Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

 

II.

Dem 00.00.0000 geborenen Kläger steht für die Zeit ab Januar 2018 auch kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI zu.

 

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie vor dem 02.01.1961 geboren (Nr. 1) und berufsunfähig sind (Nr. 2).

 

Der Kläger erfüllt schon die Voraussetzung der Nr. 1 nicht, da er nach dem maßgeblichen Stichtag, 02.01.1961, geboren ist.

 

Auf die für eine etwaige Berufsunfähigkeit (Nr. 2) relevante Frage, welche konkrete berufliche Qualifikation der Kläger aufweist, kommt es in diesem Verfahren daher nicht an. Insofern sind die Ausführungen H.s in seinem Schreiben vom 06.08.2018, es sei für die sozialmedizinische Leistungsbeurteilung von Bedeutung, dass der Kläger als Energieanlageninstallateur gearbeitet habe und nicht als Elektroniker, für dieses Verfahren irrelevant. Darüber hinaus sind sie auch inhaltlich rechtlich unzutreffend, denn die Frage, welche Tätigkeit ein Versicherter konkret ausgeübt hat, entfaltet allenfalls im Kontext des § 240 SGB VI hinsichtlich einer etwaigen Berufsunfähigkeit Relevanz, wenn der Versicherte vor dem 02.01.1961 geboren ist. Im Rahmen des § 43 SGB VI und hinsichtlich einer sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung ist sie nicht von Bedeutung, wie es H. in seinem Schreiben vom 06.08.20218 aber offenbar annimmt, denn hierfür sind allein die Verhältnisse des allgemeinen Arbeitsmarktes maßgebend, nicht aber eine etwaige vom Versicherten zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Absatz 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht erfüllt sind.

 

Rechtskraft
Aus
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