Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 17. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1966 geborene Kläger absolvierte von 1982 bis 1986 eine Ausbildung zum Stuckateur und war anschließend unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit bis 2005 als solcher beschäftigt. Ab 2005 übte der Kläger bis 2016 eine selbstständige Tätigkeit im Bereich Maler- und Tapezierarbeiten, Trockenbau, Stuck- und Putzarbeiten mit einer durchschnittlichen Beschäftigung von fünf Angestellten aus. Zuletzt war er vom 17. Juli 2017 bis 14. November 2017 in der Fassadenisolierung und vom 16. April 2018 bis 12. Juli 2018 als Bauleiter in der Fassadenisolierung über einen Personaldienstleister in der Schweiz beschäftigt. Vom 1. November 2018 bis 27. Februar 2019 erhielt der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und in der Folgezeit vom 28. Februar 2019 bis 10. August 2020 (78 Wochen) bezog er Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Anschluss daran bezog der Kläger erneut Grundsicherungsleistungen bei bestehender Arbeitslosigkeit. Aktuell bezieht der Kläger keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende mehr.
Der Kläger leidet schwerpunktmäßig unter Beschwerden der Halswirbelsäule (HWS) und befand sich vom 28. Februar 2019 bis 21. März 2019 in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der R1klinik in K1. Im Reha-Entlassungsbericht vom 26. März 2019 (Bl. 223 Verwaltungsakte - VA - Band II) wurden rückläufige Cervicozephalgien und Brachialgien rechts bei cervicaler Myelopathie, ein Bandscheiben-Prolaps mit höchstgradiger Spinalkanalstenose in Höhe C5/6, ein Tinnitus aurium links sowie als kardiovaskuläre Risikofaktoren ein Nikotinabusus und eine Hypercholesterinämie diagnostiziert.
Zum Leistungsvermögen wurde ausgeführt, dass die letzte berufliche Tätigkeit eines Stuckateurs vom Kläger nur noch weniger als drei Stunden täglich verrichtet werden könne. Bei cervicaler Myelopathie mit bestehender OP-Indikation sei nach abgeschlossenen Therapien mit einer Leistungsfähigkeit für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen unter Ausschluss wirbelsäulenbelastender Zwangshaltungen, von Arbeiten mit erhobenen Armen, des Hebens und Bewegens von Lasten über zehn kg und von Nachtschichttätigkeiten zu rechnen. Der Kläger wurde zunächst als weiterhin arbeitsunfähig aus der Rehabilitationsmaßnahme entlassen.
Am 10. Dezember 2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung gab er an, sich seit dem 21. Juli 2018 wegen Bandscheibenvorfällen für erwerbsgemindert zu halten.
In einer sozialmedizinischen Stellungnahme der Z1 vom 21. Januar 2021 stellte diese folgende Diagnosen: Bewegungs- und Belastungsdefizit der HWS bei degenerativen Verschleiß- und Bandscheibenvorfällen C5/6 mit bereits Anzeichen einer Rückenmarksschädigung (Myelopathie) mit leichten neurologischen Ausfällen und leichten funktionellen Einschränkungen, beginnende Myelopathie siehe oben; Tinnitus aurium; vor Jahren Fraktur des Schädels und der Gesichtsschädelknochen, operiert; Fraktur eines sonstigen Mittelhandknochens vor zwölf Jahren; Fraktur des Calcaneus vor vier Jahren konservativ behandelt ohne Residuen. Hinsichtlich des Leistungsvermögens kam Z1 zu dem Ergebnis, dass dem Leistungsbild des Reha-Entlassungsbericht aus dem März 2019 zuzustimmen sei und der Kläger leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Stehen, Gehen oder Sitzen unter Vermeidung von häufigem Hocken und Knien, Rumpfzwangshaltungen, Überkopftätigkeiten, Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Klettern und Steigen sowie dem Ausschluss von Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sechs Stunden und mehr am Tag noch verrichten könne.
Mit Bescheid vom 13. März 2021 (Bl. 176 VA Band I) lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Zur Begründung führte sie aus, die Einschränkungen, die sich aus den Krankheiten oder Behinderungen des Klägers ergeben würden, führten nicht zu einem Rentenanspruch, da der Kläger nach der medizinischen Beurteilung der Beklagten noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, entgegen der Argumentation der Beklagten sei es ihm nicht möglich, länger als drei bis fünf Stunden am Arbeitsleben teilzunehmen. Er könne weder länger als drei Stunden sitzen noch stehen und auch nachts müsse er mindestens zwei- bis dreimal pro Nacht aufstehen/die Lageposition ändern.
In ihrer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme nach Aktenlage vom 13. Juli 2021 blieb Z1 bei der bisherigen Leistungseinschätzung vom 21. Februar 2021. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2021 wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 29. Oktober 2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben. Zur Begründung hat sein Bevollmächtigter geltend gemacht, die Stellungnahmen der Z1 enthielten offensichtliche Fehler und Widersprüche. So werde nicht das gesamte Krankheitsbild erfasst, obwohl diesbezüglich Befundberichte vorliegen würden. Das sozialmedizinische Ergebnis sei daher weder schlüssig noch nachvollziehbar. Auch die sozialmedizinische Stellungnahme der F1 für die Bundesagentur für Arbeit vom 22. Oktober 2021 bestätige, dass der Kläger weniger als drei Stunden täglich leistungsfähig sei. Schließlich sei die Einschätzung von Z1 vom 13. Juli 2021 von der sachfremden Erwägung geleitet, dass der Kläger zu persönlichen Begutachtungen zweimal unentschuldigt nicht erschienen sei, obwohl er entsprechende Einladungen nicht (rechtzeitig) erhalten habe.
Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt.
Der R2 hat mit Schreiben vom 10. Februar 2022 mitgeteilt, den Kläger seit 2016 zu behandeln. Er klage über regelmäßige cervicobrachiale Schmerzen, seit Januar 2021 über eine Lumboischialgie, wobei neurologische Ausfallerscheinungen nicht hätten festgestellt werden können. Der Kläger sei deutlich in der Lage, mindestens sechs Stunden täglich arbeiten zu gehen. Die beklagte Beschwerdesymptomatik sei von der körperlichen Belastung unabhängig. Bezüglich der Medikation sei der Kläger unregelmäßig in der Praxis vorstellig. Die letzte Schmerzmedikationsverordnung sei am 4. Januar 2021 mit Ibuprofen, die letzte Versorgung mit Antidepressiva und Medikamenten bei Schlafstörungen sei am 30. Juli 2021 erfolgt. Die angeregten regelmäßigen Kontrollen beim Facharzt für Orthopädie nehme der Kläger nicht wahr. Hinsichtlich der begleitenden Depressionen, die mit Antidepressiva behandelt würden, lägen keine Befundberichte vor (Bl. 35/36 SG-Akte).
Der B1 hat in seiner Auskunft vom 27. Mai 2022 (Bl. 62 f. SG-Akte) ausgeführt, dass der Kläger in der Praxis zuletzt durch einen Fachkollegen am 31. Oktober 2021 in der Akutsprechstunde behandelt worden sei. Davor habe der Kläger sich zuletzt im Juli 2020 bei ihm in Behandlung befunden. Anlässlich der Untersuchung im März 2021 habe sich ein deutlicher muskulärer Hypertonus mit auslösbaren Triggerpunkten N. Trapezius deszendenz, M. Levator scapulae, M. Splenius kapitis, M. Erektor spinae cervical und thorakal, M. Romboidei, M. Scaleni gezeigt. Es sei das erbetene Rezept für Krankengymnastik ausgestellt worden. Beim Kläger bestünden folgende Diagnosen: Neuroforamenstenose der HWS; Osteochondrose HWS; Spondylose (HWS); Uncovertebralgelenksarthrosen (HWS); cervicale Spinalkanalstenose; Cervicobrachialgie beidseits; zervikogener Kopfschmerz; Myopathie (5/7 beidseits); myofasciales Schmerzsyndrom HWS; Osteochondrose LWS; Spondylarthrosen der LWS (M 47.86 G); Baastrup-Phänomen; Spondylose (LWS); Tinnitus (links); Nikotinabusus; reine Hypercholesterinämie.
Das SG hat sodann bei dem W1 das Gutachten vom 4. August 2022 eingeholt. W1 hat auf der Grundlage der Untersucheng am 3. August 2022 ein degeneratives HWS-Syndrom mit Bewegungseinschränkung sowie Angabe von nicht permanenten Gefühlsstörungen in der rechten oberen Extremität diagnostiziert. Drei MRT-Untersuchungen der HWS von 2017, 2019 und 2020 würden identisch befundet mit Beschreibung einer höchstgradigen Wirbelkanaleinengung zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel und einer Myelopathie, also einer Rückenmarksschädigung. Die MRT-Untersuchung von 2017 habe auf CD eingesehen werden können und sei zu ergänzen um eine spinale Stenose HW5/6, leichtere spinale Stenose HW4/5, vor allem bei HW5/6 mit Myeloimpression durch Extrussion der Bandscheibe. Aus Sicht von W1 sei die Aufnahmequalität in den MRT-Aufnahmen von 2017 nicht sicher geeignet, eine sichere Rückenmarksschädigung entsprechend einer Myelopathie festzustellen. Zeichen einer fortgeschrittenen zervikalen Myelopathie mit Gangstörung, spastisch-ataktischem Gangbild, Muskelschwächen an Armen oder Beinen fänden sich beim Kläger sicher nicht. Beim Vergleich mit Vorbefunden falle auf, dass der Kläger immer wieder über Missempfindungen und Gefühlsstörungen an der rechten oberen Extremität klage, Schwächen oder Lähmungen aber nur zeitweise bestünden. Aufgrund der Schwielenbildung und der Ausprägung der Muskulatur ergebe sich kein sicherer Hinweis auf ein länger andauerndes Schonverhalten der rechten oberen Extremität. Im Rahmen der Begutachtung sei ein Schonverhalten der rechten Hand und des rechten Armes beim Ankleiden und Auskleiden und beim Greifen nach Gegenständen nicht aufgefallen.
Zum Leistungsvermögen hat W1 ausgeführt, der Kläger könne leichte körperliche Tätigkeiten mit Heben und Tragen von Lasten bis elf kg überwiegend im Sitzen und Gehen oder im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen mit gelegentlichem Bücken, bei Arbeiten im Freien nur beim Tragen entsprechender Schutzkleidung sechs Stunden und mehr täglich ausüben. Auszuschließen seien Arbeiten in Schulterhöhe oder über Kopf, auf Leitern und Gerüsten, andauernde Zwangshaltungen von Kopf und Halswirbelsäule, andauernde Zwangshaltungen im Sitzen oder Stehen, Arbeiten mit sehr hohen Anforderungen an die Standsicherheit, hohe Vibrationsbelastungen im Sitzen oder im Stehen sowie Akkordarbeiten. Prinzipiell bestehe zumindest die relative Indikation zur Dekompression des Wirbelkanals in Höhe der Verengung zwischen dem fünften und sechsten Halswirbel. Hierdurch könnten sich sowohl die Beschwerden als auch die Leistungsfähigkeit positiv entwickeln.
Mit Schreiben vom 8. September 2022 hat der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Einwendungen gegen das Gutachten des Sachverständigen W1 erhoben. Mit ergänzender Stellungnahme vom 19. September 2022 ist der Sachverständige W1 hierauf eingegangen und im Ergebnis aber bei seiner bisherigen Leistungseinschätzung verblieben.
Mit Gerichtsbescheid vom 17. Oktober 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, dass beim Kläger die medizinischen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht vorliegen würden. Vielmehr ist das SG der Auffassung gewesen, dass der Kläger in der Lage sei, noch sechs Stunden und mehr am Tag im Rahmen einer 5-Tage-Woche leichte körperliche Arbeiten mit entsprechenden qualitativen Einschränkungen auszuüben. Das SG hat sich hierbei insbesondere auf das Gutachten des W1 vom 4. August 2022 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. September 2022 gestützt. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht unter Berücksichtigung der eingeholten sachverständigen Zeugenauskünfte des R2, des B1, den aktenkundigen Unterlagen über im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit sowie durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung durchgeführte Begutachtungen wie auch des Reha-Entlassungsberichts der R1klinik vom 26. März 2019.
Die beim Kläger bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen auf orthopädischem Gebiet begründeten keine zeitliche Leistungseinschränkung dahingehend, dass der Kläger nicht mehr in der Lage wäre, sechs Stunden und mehr am Tag einer Tätigkeit unter Beachtung der qualitativen Einschränkungen nachzugehen. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Gutachten von W1 in überzeugender Weise, sondern auch der behandelnde R2 stütze die Leistungseinschätzung des gerichtlichen Sachverständigen, indem auch er den Kläger deutlich in der Lage sehe, mindestens sechs Stunden täglich zu arbeiten. Auch aus der Auskunft des B1 sind keine Funktionseinschränkungen bzw. Leistungseinschränkungen hinsichtlich des Klägers zu schließen. L1 komme im MDK-Gutachten nach Befunderhebung vom 8. Oktober 2019 zu einer psychischen Belastungsminderung des Klägers und bestätige dessen Arbeitsunfähigkeit. Das Leistungsvermögen habe L1 auf weniger als drei Stunden täglich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt für absehbare Zeit eingestellt. Allerdings habe er darauf hingewiesen, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht sicher beurteilbar sei. Da es auch nicht Aufgabe des L1 gewesen sei, die Erwerbsfähigkeit, sondern lediglich die Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu beurteilen, sei eine diesbezügliche, nicht sichere Leistungseinschätzung hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit für das SG daher auch nicht überzeugend.
Auch die sozialmedizinische Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit H1, F1, vom 22. Oktober 2021 überzeuge das SG nicht von einem Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden täglich für voraussichtlich mehr als sechs Monate auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Denn diese sozialmedizinische Stellungnahme sei ohne persönlichen Kontakt mit dem Kläger oder Untersuchung des Klägers lediglich auf Grundlage von Unterlagen und Vorgutachten erfolgt, die nicht näher bezeichnet würden.
Der Reha-Entlassungsbericht der R1klinik vom 26. März 2019 gehe nach „abgeschlossenen Therapien“ von einem Leistungsvermögen des Klägers von sechs Stunden und mehr am Tag aus. Zum damaligen Zeitpunkt seien die dortigen Behandler davon ausgegangen, dass der Kläger sich in absehbarer Zeit einem operativen Eingriff an der HWS unterziehen werde, da er unter entsprechend starken Beschwerden leide. Tatsächlich habe sich der Kläger bis heute nicht für eine Operation entschieden und habe ein hoher Leidensdruck durch den gerichtlichen Sachverständigen nicht bestätigt werden können.
Auch die seitens des Klägerbevollmächtigten gemachten Einwendungen hinsichtlich der Begutachtung durch W1 würden das SG nicht von einem geringeren quantitativen Leistungsvermögen als sechs Stunden täglich überzeugen.
Soweit W1 aus dem MRT aus 2017 nicht sicher eine Myelopathie habe erkennen können, sei gleichwohl eine solche durch MRT der HWS in den Kalenderjahren 2017, 2019 und 2020 durch einen Facharzt befundet worden und habe er das Vorliegen einer Myelopathie auch nicht ausgeschlossen. Er habe lediglich festgehalten, dass er selbst Zeichen einer fortgeschrittenen cervicalen Myelopathie mit Gangstörung, spastisch-ataktischem Gangbild, Muskelschwächen an Armen oder Beinen beim Kläger nicht habe finden können. Dies werde auch durch die spätere Anmerkung des Gutachters W1 bestätigt, dass der Kläger an beiden Händen kräftige Schwielen aufweise und der rechte Arm bei angegebener Rechtshändigkeit typischerweise etwas muskelkräftiger sei als der linke. Insofern vermag er keinen Hinweis auf ein länger andauerndes Schonverhalten der rechten oberen Extremität zu erkennen.
Auch im Übrigen überzeugten die Einwendungen des Klägerbevollmächtigten gegen das Gutachten von W1 des SG nicht, sondern würden diese vielmehr im Rahmen der ergänzenden Stellungnahmen bzw. bei Durchsicht des Gutachtens selbst widerlegt.
Der Kläger hat gegen den seinem Bevollmächtigten am 17. Oktober 2022 zugestellten Gerichtsbescheid am 17. November 2022 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Zur Begründung bezieht sich der Klägerbevollmächtigte zum einen auf sämtlichen Vortrag der ersten Instanz und ergänzt des Weiteren, dass hier hervorzuheben sei, dass auch mit der ergänzenden Stellungnahme von W1 vom 19. September 2022 nicht abschließend geklärt sei, inwiefern die Schmerzsymptomatik korrekt erfasst worden sei. So spreche gegen die hervorgehobene Schmerzmittelanamnese allein der Umstand, dass dem Kläger mit Befundbericht vom 12. Dezember 2018 ein stationärer Aufenthalt in der Schmerzklinik K1 empfohlen worden sei.
Ferner müsse hervorgehoben werden, dass der Vortrag dahingehend, dass Schmerzen nicht objektiv messbar seien, nicht nachvollzogen werden könne. Unabhängig von Messungen von Schmerzreizen und neurologischen Pulsmessungen, gebe es offizielle Leitlinien für die ärztliche Begutachtung von Menschen mit chronischen Schmerzen.
Dies sei insofern von Bedeutung, als selbst W1 festhalte, dass eine Wirbelkanalverengung der HWS mit großen Schmerzen verbunden sein könne. Allein durch den Hinweis eines fehlenden Leidensdrucks allerdings davon auszugehen, dass keine relevanten Schmerzen vorliegen würden, könne nicht nachvollzogen werden. Insbesondere da neuere ärztliche Berichte das Ausmaß der Erkrankungen des Klägers widerspiegeln würden. So werde mit dem ärztlichen Bericht vom 17. Oktober 2022 der A1-Klinik anschaulich die Komplexität der Erkrankung des Klägers ausgeführt. Des Weiteren seien die Auswirkungen dieses Krankheitsbildes auch dem Bericht vom 21. Dezember 2022 zu entnehmen. Hier seien insbesondere die vom Kläger beschriebenen Schmerzen hervorzuheben, welche ärztlich untermauert würden. Wie dem ärztlichen Bericht vom 21. Dezember 2022 zu entnehmen sei, habe der Kläger bei der Untersuchung durch einen Wirbelsäulenspezialisten ebenfalls Zeichen einer fortgeschrittenen Myelopathie geschildert. Diese würden durch den Spezialisten jedoch eindeutig bestätigt und sogar explizit mit der Ursache Spinalkanalstenose im Segment HWK5/6, die mit einer Schädigung des Rückenmarks bereits vergesellschaftet sei, benannt.
In dem Zusammenhang könne daher weiterhin nicht nachvollzogen werden, weshalb W1 auch in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. September 2022 ausführe, dass Zeichen einer fortgeschrittenen cervicalen Myelopathie nicht zu erkennen seien. Der Umstand, dass ein fehlender Leidensdruck aufgrund einer nicht durchgeführten Operation bestehe, könne insofern nicht nachvollzogen werden, als diese Operation ein erhebliches gesundheitliches Risiko mit sich bringe. Der Kläger sei diesbezüglich mehrfach beraten und aufgeklärt worden, was aufgrund des Risikos zu einer ausgewachsenen Panik und Angstzuständen vor der Operation geführt habe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 17. Oktober 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält die Entscheidung des SG für zutreffend und verweist in dem Zusammenhang noch auf eine sozialmedizinische Stellungnahme des M1 vom 7. Februar 2023. Darin wird darauf verwiesen, dass in dem Bericht des E1 H1 von O1 vom 21. Dezember 2022 auf die Notwendigkeit einer operativen Entlastung und Versteifung zur weiteren Behandlung verwiesen werde. Dies werde offenbar vom Kläger aber nicht gewünscht, was bei der Aussicht auf möglicherweise zunehmende neurologische Ausfälle und neurologisch bedingte Gehstörungen, welche bisher noch nicht erkennbar gewesen seien, nicht nachvollzogen werden könne.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat bei C1 das orthopädische Gutachten vom 28. August 2023 eingeholt. C1 ist auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen sowie der von ihm erhobenen Befunde im Rahmen der am 1. August 2023 durchgeführten gutachterlichen Untersuchung des Klägers zum Ergebnis gelangt, dass aktuell beim Kläger eine Bewegungseinschränkung und Belastungsminderung der HWS auf Grundlage multisegmentaler degenerativer Veränderungen der unteren HWS mit kernspintomographisch nachgewiesener Schädigung des Rückenmarks (Myelopathie) bestehe. Auf Grundlage dieser klinischen und radiologischen Befunde seien die vom Kläger angegebenen Beschwerden in Form einer Taubheit der Finger 2 bis 4 an beiden Händen sowie in Form eines Brennens im Bereich der rechten Schulter prinzipiell plausibel und nachvollziehbar. Allerdings sei im Rahmen der jetzt durchgeführten klinischen Untersuchungen nicht über Gefühlsstörungen im Bereich der Arme und der Hände geklagt worden, die grobe Kraft beider Hände sei ebenfalls nicht eingeschränkt erschienen. Die Beweglichkeit des rechten Schultergelenks sei im Seitenvergleich nicht eingeschränkt. Auch das Gangbild in den Untersuchungsräumlichkeiten sei unauffällig gewesen, der Zehenspitzen- und der Fersenstand seien seitengleich frei durchgeführt worden, ebenso sei der Einbeinstand beidseits seitengleich durchführbar gewesen.
Insgesamt seien die neurologischen Störungen, die prinzipiell aus den radiologisch objektivierbaren Befunden resultieren könnten, aktuell weitgehend kompensiert. Es hätten sich weder Hinweise auf radikuläre Störungen der Nerven der HWS, resultierend aus den Retrospondylosen und Protrussionen, noch Hinweise auf eine Störung der langen Bahnen, resultierend aus der Myelopathie ergeben.
Aufgrund der Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule seien dem Kläger keine Überkopfarbeiten zumutbar sowie Tätigkeiten, die mit sonstigen häufigen oder überwiegenden Kopfzwangshaltungen verbunden seien. Das Tragen und Transportieren von Lasten auf den Schultern sei nicht leidensgerecht. Aufgrund dieser degenerativer Veränderungen sei auch ein Arbeiten in zugigen oder nasskalten Räumen nicht zumutbar.
Zumutbar erschienen hingegen unter Berücksichtigung der oben genannten Leistungseinschränkungen leichte und gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten, die in geschlossenen, wohltemperierten Räumlichkeiten ausgeführt werden könnten. Denkbar erschienen insoweit jegliche Art von leichten Bürotätigkeiten, kontrollierende oder aufsichtsführende Tätigkeiten sowie Tätigkeiten in produzierendem Gewerbe, da die Einsatzfähigkeit der oberen Extremitäten nicht eingeschränkt sei.
Der Kläger habe im Rahmen der Anamneseerhebung angegeben, dass er täglich zweimal mit seinen Hunden Gassi gehe, dass er im Haus alle anfallenden Arbeiten erledige, wie Einkaufen, Kochen und Saubermachen, und dass er einen seiner Söhne zum Fußballtraining und zu den Fußballspielen fahren müsse. Dieses tägliche „Tätigkeitsprofil“ sei mit dem Tätigkeitsprofil der oben skizzierten leichten und gelegentlich mittelschweren körperlichen Tätigkeiten durchaus vergleichbar. Der Kläger sei daher unter Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche entsprechende Tätigkeiten auszuüben.
Nach der Auskunft des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung sind die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur noch für vier Monate gegeben, da keine Arbeitslosmeldung des Klägers mehr vorliegt. Aufgrund der Unterbrechung könnten auch durch eine erneute Arbeitslosmeldung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr hergestellt werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 SGG statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.
II.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung verneint.
Das SG hat zutreffend auf der Grundlage der vorliegenden medizinischen Unterlagen, insbesondere des Reha-Entlassungsberichts vom 26. März 2019 der R1klinik K1, den Arztauskünften des behandelnden R2 und des B1 sowie des Gutachtens des W1 vom 4. August 2022 mit ergänzender Stellungnahme vom 19. September 2022 sowie auf der Grundlage der hier maßgeblichen gesetzlichen Regelungen in den §§ 43, 240 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) in nicht zu beanstandender Weise die medizinischen bzw. rechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung sowie einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verneint. Der Senat nimmt insoweit auf die Gründe im Gerichtsbescheid des SG vom 17. Oktober 2022 Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe hier gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.
Ergänzend für das Berufungsverfahren ist festzustellen, dass auch das auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG eingeholte weitere schlüssige und überzeugende Gutachten bei dem C1 vom 28. August 2023 zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis führt. C1 hat vielmehr die Leistungseinschätzung von W1 bestätigt. Auch C1 ist davon ausgegangen, dass dem Kläger aufgrund der Veränderungen im Bereich der HWS keine Überkopfarbeiten mehr zumutbar sind ebenso wenig Tätigkeiten, die mit sonstigen häufigen oder überwiegenden Kopfzwangshaltungen verbunden sind. Auch das Tragen und Transportieren von Lasten auf den Schultern ist nicht leidensgerecht und aufgrund der degenerativen Veränderungen sind auch Arbeiten in zugigen oder nasskalten Räumen nicht zumutbar. Zumutbar sind nach Einschätzung von C1 hingegen unter Berücksichtigung der beschriebenen Leistungseinschränkungen noch leichte und gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten, die in geschlossenen, wohltemperierten Räumlichkeiten ausgeführt werden können. Denkbar erscheinen C1 insoweit insbesondere jegliche Art von leichten Bürotätigkeiten, kontrollierende oder aufsichtsführende Tätigkeiten sowie Tätigkeiten im produzierenden Gewerbe, da die Einsatzfähigkeit der oberen Extremitäten nicht eingeschränkt ist.
Diese Leistungseinschätzung wird auch nachvollziehbar und schlüssig durch den von C1 im Bereich der HWS erhobenen klinischen Befund, im Rahmen dessen er auch (lediglich) eine schmächtig entwickelte Schulter-Nacken-Muskulatur ohne gravierende Verspannungen, die Klopfschmerzangabe über den Dornfortsätzen der unteren HWS sowie die Einschränkung der Beweglichkeit, insbesondere hinsichtlich der Rechtsdrehung und Rechtsneigung erhoben hat. Hinweise auf eine Reizung der von der HWS ausgehenden Nervenwurzeln fanden sich bei der Untersuchung durch C1 weder in Form von Gefühlsstörungen noch in Form motorischer Schwächen im Bereich der oberen Extremitäten.
Diesen klinischen Befunden entsprechen nach der Beurteilung von C1 die röntgenologischen Befunde mit vorangeschrittenen degenerativen Veränderungen zwischen dem 4. bis 7. Halswirbelkörper in Form einer Verschmälerung der Bandscheibenfächer, nach vorne weisender knöcherner Randwülste an den zugehörigen Grund- und Deckplatten und Verknöcherungen in Projektion auf das vordere Längsband.
Die von C1 erhobenen Untersuchungsbefunde decken sich weitgehend auch mit den von W1 erhobenen Befunden. So hat W1 keine Muskelverhärtungen gefunden, Druckschmerzen und Kopfschmerzen über der Muskulatur am Rücken und Rumpf sowie an den Wirbelfortsätzen sind bei seiner Untersuchung verneint worden. Auch haben sich keine neurologischen Ausfälle an den oberen oder unteren Extremitäten mit Ausnahme einer leichten Koordinationsstörung beim Einbeinstand rechts mit geschlossenen Augen gefunden. Insbesondere haben sich aber laut W1 keine Lähmungen an den oberen oder unteren Extremitäten gefunden.
Auch der von C1 erhobene Tagesablauf des Klägers stützt die von ihm erhobenen Befunde und auch die vorgenommene Leistungseinschätzung. Danach geht der Kläger morgens gegen 7:30 Uhr mit seinen Hunden Gassi. Der Spaziergang dauert etwa eine Stunde. Danach kauft er ein. Im Übrigen erledigt er im Haushalt alle anfallenden Arbeiten. Die Ehefrau des Klägers arbeitet im Home Office im Obergeschoss des Hauses. Nachmittags geht der Kläger nochmals mit den Hunden raus. Im Übrigen muss er einen seiner Söhne, der Leistungsfußballer ist, zum Training und zu den Spielen fahren. Abends macht er im großen Ganzen nicht mehr viel, geht danach früh ins Bett und spezielle Hobbys hat er nicht mehr.
Dieses „Tätigkeitsprofil“ ist aber mit C1 durchaus mit dem Tätigkeitsprofil der nach seiner Einschätzung noch möglichen leichten und gelegentlich mittelschweren körperlichen Tätigkeiten vergleichbar.
Es bestehen beim Kläger nach den übereinstimmenden Feststellungen von W1 und C1 keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der Wegefähigkeit im Sinne der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG. Dies zeigt sich im Übrigen auch in den vom Kläger selbst beiden Gutachtern gegenüber angegebenen täglichen Spaziergänge mit seinen Hunden.
Aus diesen Gründen liegen die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht vor. Der Kläger ist vielmehr nach wie vor in der Lage unter Beachtung der oben beschriebenen qualitativen Leistungseinschränkungen einer leichten körperlichen Tätigkeit sechs Stunden und mehr an fünf Tagen in der Woche nachzugehen.
Der Kläger ist zwar nach der übereinstimmenden Einschätzung der Gutachter wie auch bereits im Reha-Entlassungsbericht beschrieben nicht mehr in der Lage seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Stuckateur nachzugehen. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI scheitert jedoch bereits daran, dass der Kläger am 12. Oktober 1966 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag am 1. Januar 1961 geboren ist.
Aus diesen Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 2566/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3227/22
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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