S 25 KR 1008/18

Sozialgericht
SG Münster (NRW)
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Sozialgericht Münster

 

 

Az.: S 25 KR 1008/18

 

 

 

Verkündet am: 23.11.2022

 

 

Im Namen des Volkes

 

Urteil

 

 

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

 

Tatbestand:

 

Die Beteiligten streiten über die Erstattung bzw. zukünftige Kostenübernahme für die Behandlung bei zwei Nichtvertragsärzten.

 

Der am 00.00.2001 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger leidet unter anderem an dem Chronischen Fatigue Syndrom (CFS), einer Stoffwechselstörung, einer Schilddrüsenerkankung sowie verschiedenen Nahrungs- und Lebensmittelunverträglichkeiten bzw. -intoleranzen. Für ihn ist ein Grad der Behinderung von 70 festgestellt. Zudem bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

 

Am 12.04.2017 begab er sich zur Behandlung und Diagnostik in die Praxis des Nichtvertragsarztes Prof. Dr. T. in I. Dieser diagnostizierte – als erster Behandler des Klägers – CFS und empfahl eine Kombination aus Verhaltenstherapie und übenden Verfahren. Für die Behandlung erstellte er eine privatärztliche Abrechnung in Höhe von 838,74 EUR. Anfang Mai 2017 bat der Kläger – vertreten durch seine Mutter – die Beklagte um Erstatung der Rechnung sowie um die zukünftige Kostenübernahme für die Behandlung bei Prof. Dr. T. Eine vergleichbar umfassende, qualifizierte und gezielte Behandlung von CFS könne im vertragsärztlichen Rahmen nicht erbracht werden.

 

Mit Bescheid vom 19.05.2017 lehnte die Beklagte die Kostenerstattung bzw. Kostenübernahme ab, da Prof. Dr. T. kein zugelassener Vertragsarzt sei und es sich bei seiner Therapieempfehlung um eine neue Behandlungsmethode handle, die bisher keine positive Empfehlung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) erhalten habe. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch. Ein anderes Behandlungskonzept für CFS existiere nicht, sodass von einem Systemversagen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auszugehen sein.

 

Ende August 2017 beantragte der Kläger die Kostenübernahme für zukünftige Behandlungen bei dem in Augsburg ansässigen Nichtvertragsarzt Dr. N. Mit Bescheid vom 08.09.2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger wiederum mit einem seiner Ansicht nach bestehenden Systemversagen der GKV.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.07.2018 wurden beide Widersprüche als unbegründet zurückgewiesen. Weder Prof. Dr. T. noch Dr. N. besäßen eine vertragsärztliche Zulassung, was eine Inanspruchnahme zulasten der GKV grundsätzlich nur in Notfällen ermögliche. Ein solcher liege aber nicht vor. Ebenso wenig seien die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes § 2 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erfüllt. Ferner seien ausschließlich die Sozialgerichte befugt, ein Systemversagen festzustellen. Im Hinblick auf die von Prof. Dr. T. vorgeschlagene Therapie fehle es zudem an einer Empfehlung durch den GBA. Der Kostenerstattung für die im April 2017 erfolgte Behandlung stehe außerdem die Nichteinhaltung des Beschaffungsweges entgegen.

 

Mit der hiesigen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren unter Verweis auf seine Ausführungen im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren weiter.

 

Der Kläger beantragt,

 

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.05.2017 sowie des Bescheides vom 08.09.2017, jeweils in Gestalt des Widerspruchsescheides vom 26.07.2018, zu verpflichten, die Kosten der Diagnostik vom 12.04. bis 19.04.2017 bei Prof. Dr. T. in Höhe von 838,74 EUR zu erstatten sowie die weitere zukünftigen Kosten der Behandlungen bei Prof. Dr. T. sowie bei Dr. N. zu übernehmen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

                        die Klage abzuweisen.

 

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

 

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte Dr. I., Dr. W., Dr. J, Prof. Dr. O., Dr. P. und Dr. C.. Auf den Inhalt dieser Berichte wird verwiesen. Ferner hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage durch den Internisten Dr. U. Der Sachverständige führt aus, dass es keinen Facharzt für CFS gebe und in Deutschland nur wenige Spezialambulanzen vorhanden seien. Es handele sich bei CFS um eine Erkrankung mit psychophysischen Auswirkungen, was eine ganzheitliche Diagnostik und interdisziplinäre Betrachtung und Behandlung erfordern würde. Die Komplexität des Krankheitsbildes und der dadurch erforderliche Behandlungsaufwand seien nicht angemessen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM), welcher der vertragsärztlichen Abrechnung zu Grunde liegt, abgebildet. Dementsprechend würden viele Vertragsärzte nicht die notwendige Behandlungsintensität erbringen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Sachverständigengutachtes Bezug genommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagte Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 19.05.2017 und 08.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Denn der Kläger hat weder einen Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 838,74 EUR noch auf zukünftige Kostenübernahme für die Behandlung bei den Nichtvertragsärzten Prof. Dr. T. und Dr. N.

 

I.

Ein Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten bei Prof. Dr. T. im April 2017 in Höhe von 838,74 EUR nach § 13 Abs. 3 SGB V als einzig möglicher Anspruchsgrundlage besteht nicht. Denn zwingende Voraussetzung für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V ist für beide Alternativen des vom Gesetzgeber aufgezeigten Systemversagens (Alternative 1: nicht rechtzeitige Leistungserbringung; Alternative 2: rechtswidrige Ablehnung des Antrags) eine Kausalität zwischen dem Systemversagen und der Kostenlast des Versicherten (BSG, Beschluss vom 24.11.2020 – B 1 KR 48/19 B).

 

An dieser Kausalität fehlt es vorliegend. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 24.09.1996 – 1 RK 33/95) ist eine solche Kausalität nicht nur für § 13 Abs. 3 S.1 Var. 2 SGB V notwendig, sondern auch für den Fall einer unaufschiebbaren Leistung (§ 13 Abs. 3 S. 1 Var. 1 SGB V). Der Versicherte darf sich insbesondere nicht von vornherein auf eine bestimmte Art der Krankenbehandlung festgelegt haben (BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KR 2/08 R). Mögliche Anhaltspunkte für eine solche Festlegung können etwa die Vereinbarung eines Behandlungs- oder Operationstermins oder das Verhalten des Versicherten bei der Antragstellung sein (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 02.11.2021 – L 11 KR 1839/20). Der Kläger war von vornherein auf die Behandlung bei Prof. Dr. T. – als einem der, seiner Ansicht nach, wenigen Spezialisten für CFS – festgelegt. Außerdem hat er die Behandlung vor Antragstellung durchführen lassen.

 

II.

Auf die Übernahme zukünftiger Behandlungskosten bei den Nichtvertragsärzten Prof. Dr. T. und Dr. N. besteht ebenfalls kein Anspruch.

 

Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 i.V.m. § 28 Abs. 1 SGB V die (ambulante) ärztliche Krankenbehandlung durch zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung berechtigte Behandler (§ 76 Abs. 1 S. 1 SGB V). Von der GKV zu erbringende Leistungen müssen zudem ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein (§ 12 Abs. 1 SGB V). Ausnahmsweise kommt eine Behandlung durch einen Nichtvertragsarzt in Betracht, wenn ein Notfall  im Sinne des § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V oder ein Versagen des GKV-Systems vorliegt

 

1.

Ein Notfall im Sinne des § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V, wonach andere Ärzte (Psychotherapeuten) nur in Notfällen in Anspruch genommen werden dürfen, liegt hier nicht vor. Ein Notfall liegt grundsätzlich vor, wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen so dringend ist, dass es bereits an der Zeit für die Auswahl eines zugelassenen Therapeuten und dessen Behandlung, entweder durch dessen Aufsuchen oder Herbeirufen, fehlt (BSG, Urteil vom 23.06.2015 – B 1 KR 20/14 R; LSG NRW, Beschluss vom 08.10.2018 – L 11 KR 720/17). Dieses Ausmaß an Dringlichkeit besteht zur Überzeugung der Kammer vorliegend nicht. Weder den Ausführungen des Sachverständigen noch den Arztbriefen von Prof. Dr. T. lassen sich Anhaltspunkte für eine derartige Dringlichkeit entnehmen.

 

Überdies dürfte der nicht zugelassene Leistungserbringer seine Vergütung in derartigen Fällen auch nicht vom Versicherten, sondern nur von der Kassenärztlichen Vereinigung verlangen kann. Denn die Notfallbehandlung erfolgt als Naturalleistung zu Lasten der GKV. Das entspricht bei ärztlichen Leistungen einem allgemeinen Prinzip. So werden in Notfällen von Nichtvertragsärzten erbrachte Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung durchgeführt und aus der Gesamtvergütung vergütet (LSG NRW, Beschluss vom 08.10.2018 – L 11 KR 720/17). Da die bisherigen Behandlungen bei Prof. Dr. T. jedoch ausschließlich auf privater Abrechnungsbasis erfolgt sind, streitet dies nach Ansicht der Kammer ebenfalls gegen die Annahme einer Dringlichkeit im vorgenannten Sinne.

 

2.

Entgegen der klägerischen Auffassung liegt kein auch Fall des Systemversagens vor. Ein Systemversagen liegt vor, wenn kein anderer als ein außervertraglicher Leistungserbringer für die Behandlung zur Verfügung steht (vgl. BSG, a.a.O.). Von einer derartigen Situation geht die Kammer im Fall des Antragstellers derzeit nicht aus. Denn die Kammer erachtet es als unwahrscheinlich, dass aktuell im zumutbaren zeitlichen und räumlichen Rahmen kein zugelassener Arzt verfügbar ist, der zu einer Behandlung des Klägers bereit und in der Lage wäre.

 

Ein fester Maßstab für die Frage des Umfangs und der Zumutbarkeit derjenigen Anstrengungen, die ein Versicherter zu unternehmen hat, um einen vertragsärztlich zugelassenen Behandler für sich zu finden und anderenfalls auf privatärztliche Behandler auszuweichen, ist gesetzlich nicht geregelt. Die typischen Fälle des Systemversagens betreffen überlange Wartezeiten bei zugelassenen Behandlern oder unzumutbare Wegstrecken dorthin (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 18.04.2019 – L 1 KR 360/18). Ein derartiger Fall liegt hier jedoch gerade nicht vor, da der Kläger ausdrücklich die Behandlung durch Ärzte wünscht, die mehrere hundert Kilometer von seinem Wohnort entfernt ansässig sind und dies mit mangelnder Kompetenz vertragsärztlicher Versorger begründet.

 

Dem vermag die Kammer nicht zu folgen. Sowohl aus den Ausführungen des Sachverständigen Dr. U. als auch den Arztbriefen von Prof. Dr. T. ist zu entnehmen, dass es sich bei CFS um ein komplexes, interdisziplinäres Krankheitsbild handelt, welches einer umfassenden interdisziplinären (Ausschluss-) Diagnostik bedarf. Diese interdisziplinäre Diagnostik im vertragsärztlichen Bereich hat der Kläger auch in Anspruch genommen, um anderweitige Erkrankungen als Ursache auszuschließen bzw. erkennen zu können. Auf Basis dieser Untersuchungsergebnisse konnte Prof. Dr. T. sodann im April 2017 mittels eines diagnostischen Interviews nach „kanadischen Kriterien“ eine CFS-Erkrankung diagnostizieren. Seine auf dieser Diagnose basierenden Therapie- und Behandlungsempfehlungen (Psychotherapie, Kardiograhie, Blutwertkontrolle) sind grundsätzlich von zugelassenen Leistungserbringern durchführbar.

 

Soweit Prof. Dr. T. davon ausgeht, dass die von ihm als „übende Verfahren mit begleitender Diagnostik“ beschriebene Therapie nicht separat bei zugelassen Leistungserbringern erfolgen könne, vermag sich die Kammer nicht davon zu überzeugen, dass diese Methode überhaupt zu Lasten der GKV erbracht werden darf. Nach § 135 Abs. 1 SGB V sind neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden grundsätzlich nur nach Empfehlung des GBA zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98) der sich das BSG (vgl. z.B. Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R) angeschlossen hat, ist dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen die Schaffung eines Prüfverfahrens zur Sicherung der Qualität der Leistungserbringung, im Interesse einer Gleichbehandlung der Versicherten und zum Zweck der Ausrichtung der Leistungen am Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit, auch nicht verwehrt. Die Kammer kann sich nicht die erforderliche Überzeugung davon verschaffen, dass die begehrte Therapie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist, nachdem eine Empfehlung des GBA für die Krankheit CFS offenkundig nicht vorliegt. Vielmehr läuft seit Juli 2021 ein vom GBA-Innovationsausschuss gefördertes Projekt der Charite, in welchem ein Gesamtkonzept vielfältiger Behandlungsansätze bei CFS über drei Jahre an 120 Probandinnen und Probanden erprobt wird. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass das von Prof. Dr. T. angewandte Behandlungskonzept dem GBA zur Prüfung vorlegt wurde und nur durch Untätigkeit oder Bearbeitungsverzögerung seitens des GBA bisher nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen worden ist (sog. Systemversagen, vgl. BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 3/06 R).

 

3.

Schließlich kann der Kläger die begehrten Behandlungen auch nicht nach den Grundsätzen der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Leistungspflicht der GKV (BVerfG, a.aO.) und dem daraufhin erlassenen § 2 Abs. 1a SGB V beanspruchen. Danach ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.

 

Zur Überzeugung der Kammer streiten die Ausführungen des Sachverständigen Dr. U. und die Arztbriefe von Prof. Dr. T. gegen die Annahme eines derartigen Schweregrades. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine schwerwiegende und beeinträchtigende Krankheit handelt. Ein regelmäßig tödlicher oder lebensbedrohlicher Verlauf innerhalb eines kurzen, überschaubaren Zeitraums (sog. notstandsähnliche Situation, vgl. bspw. BSG, Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 12/06 R) ist aber weder nach den Ausführungen des Sachverständigen noch nach den Berichten von Prof. Dr. T. anzunehmen.

 

Zur Überzeugung der Kammer besteht im Falle des Klägers auch keine wertungsmäßige Vergleichbarkeit im Sinne von § 2 Abs. 1a SGB V. Die wertungsmäßige Vergleichbarkeit einer Erkrankung mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung erfordert eine notstandsähnliche Extremsituation, wie sie auch für eine nahe Lebensgefahr typisch ist. Kennzeichnend dafür ist neben der Schwere der Erkrankung ein erheblicher Zeitdruck für einen bestehenden akuten Behandlungsbedarf. § 2 Abs. 1a SGB V erfasst daher nur Behandlungen, die sich auf ein akutes Krankheitsgeschehen beziehen, das von seiner Schwere und seinem Ausmaß mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankungen vergleichbar ist und bei dem eine unmittelbare und kurzfristige Interventionsnotwendigkeit besteht, um den Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion oder eine unmittelbar bevorstehende wesentliche Verschlechterung des akuten Krankheitszustands zu verhindern. Erst in einer solchen notstandsähnlichen Extremsituation, für die – wie bei der Lebenserhaltung – ein erheblicher Zeitdruck typisch ist, ist es gerechtfertigt, eine Erkrankung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung wertungsmäßig gleichzustellen. Denn der zentrale Anknüpfungspunkt des Anspruchs ist das Vorliegen einer durch nahe Lebensgefahr gekennzeichneten individuellen Notlage (BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 29/20 R). Ein derartiger zeitlicher Druck ist vorliegend nicht ersichtlich und wird weder von dem Sachverständigen noch von Prof. Dr. T. beschrieben. Im Übrigen legen sowohl der Sachverständige als auch Prof. Dr. T. dar, dass die Behandlung von CFS maßgeblich darin besteht, die Akzeptanz und das Körperbewusstsein des Erkrankten (ggf. psychotherapeutisch) zu stärken und die patientenindividuellen Symptome (bspw. Schlafstörungen, Schmerz) zu behandeln. Eine wertungsmäßige Vergleichbarkeit im Sinne einer Notstandsähnlichkeit vermag die Kammer daher nicht zu erkennen.

 

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Da der Kläger mit seinem Begehren unterliegt, hat die Beklagte ihm keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Rechtskraft
Aus
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