S 12 AS 1592/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 1592/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Solidarität der Mitmenschen syrischer Staatsangehörigkeit, die in Deutschland vor dem heimischen Bürgerkrieg Zuflucht nehmen mussten und hier einander in finanzieller Not hingebungsvoll beistehen, stellt mitnichten ein Verbrechen dar.

 

Das geradezu kulturfremde Ausmaß an Verantwortungsgefühl und Mitmenschlichkeit syrischer Flüchtlinge untereinander honoriert das deutsche Grundsicherungsrecht aber nicht.

 

Es dient indes dem Wohle der Allgemeinheit, wenn besonders solidarische Mitmenschen syrischer Staatangehörigkeit die deutschen Sozialkassen schonen, indem sie die Obdachlosigkeit anderer schutzbedürftiger Menschen aus Syrien jahrelang fast nahtlos dadurch abwenden, dass sie diese kostenfrei bei sich zuhause wohnen lassen und sie mit lebensnotwendigen Gütern versorgen, obwohl der deutsche Gesetzgeber keine derartigen Unterhaltspflichten normiert und die Unterstützer sogar die eigene Obdachlosigkeit vorübergehend in Kauf nehmen.

 

Tenor:

  1. Die Klagen werden abgewiesen.
  2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand und

Entscheidungsgründe:

Tatbestand

 

 

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum April 2022 bis Dezember 2023.

 

Die 1969 in Damaskus (Syrien) geborene Klägerin fand vor dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland Zuflucht in der Bundesrepublik Deutschland. Hier bewohnte die alleinstehende Frau ab 2016 in der BBBBBstraße in Eggenstein eine Unterkunft im Erdgeschoss. Während sie dort für vier Jahre lang wohnte, bezog der 1997 ebenfalls in Syrien geborene Herr MMMM 2017 im selben Gebäude eine Wohnung im Obergeschoss.

 

Als beide wegen Wohnungsschimmel ausziehen wollten, fanden sie zum 01.11.2020 eine Wohnung in der CCCCC-Straße 4 in Karlsruhe-Grünwinkel. Der dortige Vermieter wollte nicht an die Klägerin vermieten wegen ihres Sozialleistungsbezugs. Da Herr MMMM als selbständiger Händler mit Kraftfahrzeugen ein regelmäßiges Erwerbseinkommen erzielte, mietete er die gesamte Wohnung an und überließ einen Teil davon im Einverständnis des Vermieters der Klägerin zur Nutzung.

 

Als der neue Vermieter die Wohnkosten Anfang 2022 erhöhen wollte, mietete Herr MMMM aufgrund eines Mietvertrags vom 13.12.2021 zum 01.01.2022 eine Dreizimmerwohnung in der CCCCC in Karlsruhe-Südstadt an (vgl. Seite 312 ff. der Verwaltungsvorgänge des Beklagten). Diese Wohnung bezog die Klägerin zum 01.02.2022. Indes unterzeichneten beide einen undatierten zweiseitigen Formularvordruck mit der Überschrift „Untermietvertrag“, wonach Herr MMMM sowohl „Untermieter“ als auch „Vermieter“ sei und die Klägerin sowohl „Mieter“ als auch die Person, in deren „Hause“ die untervermieteten „Räume/Wohnung“ gelegen seien. Den Vordruckseintragungen zufolge begann der „Untermietvertrag“ am 01.01.2022. Er sah eine Untermiete von 350,- € monatlich vor. Hinzu kamen Vorauszahlungen für Heizkosten (70,- €) sowie übrige Nebenkosten (80,- €).

 

Anlässlich der mehrfachen Umzüge der Klägerin mit ihrem Mitbewohner und wegen des inzwischen mehr als einjährigen Zusammenlebens der beiden vermutete der Beklagte das Vorliegen einer Partnerschaft bzw. Einstehungs- und Verantwortungsgemeinschaft, derentwegen die Klägerin nicht hilfebedürftig sei. Zu ihren Lasten versagte ihr der Beklagte ohne vorherige mündliche Anhörung deswegen mit Bescheid vom 13.01.2021 rückwirkend zum 01.11.2020 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf Dauer vollständig, ohne dabei irgendwie zu begründen, warum er diese maximal weitreichende Versagung einschließlich einer monatelangen Rückwirkung auswähle.

 

Ob der gemeinsamen Umzüge hob der Beklagte zudem unter Hinweis auf den vermeintlichen Wegfall der Hilfebedürftigkeit der Klägerin mit Bescheid vom 09.03.2022 seine vorangegangene Leistungsbewilligung vollständig auf. Den hiergegen am 29.04.2022 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04.05.2022 zurück. Den wiederum hiergegen eingelegten Widerspruch vom 11.05.2023 verwarf der Beklagte am 23.05.2023 als unzulässig. Die wegen beider Widerspruchsbescheide beim Sozialgericht Karlsruhe angebrachten Anträge der Klägerin auf Erlass einstweiliger Anordnungen gegenüber dem Beklagten lehnte das Sozialgericht Karlsruhe am 10.06.2023 mit zwei Beschlüssen unter den Aktenzeichen S 13 AS 1457/23 ER und S 13 AS 1458/23 ER ab, weil dessen 13. Kammer meinte, der einkommenslosen Klägerin drohe keine konkrete Obdachlosigkeit, da ihr Mitbewohner trotz ausbleibender Zahlungen die Wohnraumüberlassung nicht beende und ihr auch von Seiten einer Angehörigen und Freunden zur Überbrückung der finanziellen Notlage Geld überlassen werde. Die wegen derselben zwei Widerspruchsbescheide in der Hauptsache angebrachten Klagen blieben ebenfalls erfolglos. Die 13. Kammer wies eine Klage wegen doppelter Rechtshängigkeit ab (Sozialgericht Karlsruhe, Gerichtsbescheid, 30.08.2022, S 13 AS 1472/22) und stellte das andere Klageverfahren ein, nachdem die syrische Klägerin zwei vom Gericht schriftlich gestellte Fragen trotz zweimaliger Erinnerungsschreiben und nachfolgender Betreibensaufforderung weitere Monate lang nicht beantwortet hatte, was die Fiktion einer Rücknahme der Klage eintreten ließ (Sozialgericht Karlsruhe, Einstellungsmitteilung, 20.03.2023; S 13 AS 1471/22).

 

Anlässlich des am 06.04.2022 von der Klägerin gestellten Folgeantrags erließ der Beklagte am 30.06.2022 und 01.09.2022 erneut ohne mündliche Anhörung der Klägerin hundertprozentige Versagungsbescheide mit Dauer- und Rückwirkung zum 01.04.2022 bzw. 01.06.2022, weil er meinte, die Klägerin habe ihre Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren verletzt, indem sie die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ihres „Partners“ nicht offengelegt habe. Seine Auswahl der jeweils maximal hohen sowie maximal langen Versagungsreichweite und deren monatelange Rückwirkung begründete der Beklagte auch hier jeweils nicht einmal ansatzweise.

 

Daraufhin versicherten die Klägerin und Herr MMMM am 15.09.2022 im Rahmen eidesstattlicher Versicherungen, keine Partnerschaft zu führen. Zudem legte die Klägerin Schreiben von Herrn MMMM vom 29.04.2022, vom 20.05.2022 und vom 09.09.2022 vor, mit denen dieser sie wiederholt zur Nachzahlung vermeintlicher Mietrückstände seit März 2022 aufgefordert hatte. Am 13.10.2022 erklärte die Klägerin dem Beklagten schriftlich, dass sie in der CCCCC nur berechtigt sei, ihr eigenes Zimmer, die Küche und das Badezimmmer zu nutzen. Keines der drei Zimmer dort werde von ihr und Herrn MMMM gemeinsam genutzt. Er allein zahle die Rundfunkgebühren, da das Fernsehgerät in seinen Räumlichkeiten stehe, sie selbst keinen Fernseher besitze und stattdessen das Internet zum Fernsehen nutze.

 

Anlässlich all dessen führte der Außendienst des Beklagten am 10.11.2022 einen Hausbesuch durch in der von der Klägerin und Herrn MMMM bewohnten Unterkunft in der CCCCC in Karlsruhe. Beim Hausbesuch war Herr MMMM nicht anwesend. Der Mitarbeiter des Außendienstes erhielt dennoch Zutritt zum Schlafzimmer, wo er ein Doppelbett mit Bettzeug für zwei Personen dokumentierte, was die Klägerin mit gelegentlichen Übernachtungen ihrer Tochter und einer Freundin erklärte. Dass sich in ihrem Schlafzimmer ein Kleiderschrank mit Damen- und Herrenkleidung befand, erläuterte die Klägerin dahingehend, dass es sich um Altkleider handele, die zum Spenden bestimmt seien. Für die Küche stellte der Außendienst fest, dass im Kühlschrank keine sichtbare Trennung der Lebensmittel erfolge. Für das Wohnzimmer dokumentierte er das Vorhandensein von Briefsendungen, die an den Mitbewohner oder an die Klägerin gerichtet waren, sowie, dass die Klägerin den dort aufgestellten Fernseher in Abwesenheit des Mitbewohners nutzte. Zum dritten Zimmer schloss die Klägerin während des Besuchs die Tür mit der Begründung, nur Herr MMMM nutze dieses.

 

Im Nachgang hierzu reichte die Klägerin beim Beklagten von ihr selbst verfasste schriftliche Schuldanerkenntnisse vom 15.05.2022, vom 13.07.2022 und vom 30.09.2022 ein, denen zufolge ihr Herrn AAAAAA 700,- € nebst weiteren 650,- € überlassen hatte und BBBBBB nochmal 500,- €. Zudem brachte sie eine schriftliche Kündigungserklärung vom 28.10.2022 bei, mit der ihr Herr MMMM wegen vermeintlicher Untermietrückstände seit 01.03.2022 zum 30.11.2022 gekündigt hatte.

 

Unter Zugrundelegung all dessen lehnte der Beklagte den Folgeantrag der Klägerin auf Bewilligung von Regelbedarfs- und Unterkunftsleistungen nach dem SGB II vom 06.04.2022 mit Ablehnungsbescheid vom 19.12.2022 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 24.04.2023 ab April 2022 dauerhaft ab. Die Klägerin könne keine Leistungen beanspruchen, da sie nicht hilfebedürftig sei wegen ihrer Einstehungs- und Verantwortungsgemeinschaft mit Herrn MMMM, mit dem sie mehr als ein Jahr lang in verschiedenen Wohnungen zusammengewohnt habe.

 

Ohne Grundsicherungsleistungen des Beklagten für den Regel- und Unterkunftsbedarf (in der CCCCC) beteiligte sich die Klägerin auch in der Folgezeit nicht an den Mietzinszahlungen an den Vermieter von Herrn MMMM. Dieser vermochte die Miete für die Wohnung in der CCCCC nicht aufzubringen, sodass er selbst und mit ihm die von ihm in seine Wohnung aufgenommene Klägerin im Mai 2023 obdachlos waren.

 

Am 31.05.2023 vermietete ein Freund von Herrn MMMM namens AAAAAA ihm ab Juni 2023 eine Einzimmerwohnung im Obergeschoss des DDDDD in Karlsruhe-Neureut. In einer separaten Vertragsurkunde verpflichtete Herr AAAAAA sich am 03.06.2023 auch, der Klägerin ab Juni 2023 im selben Obergeschoss des DDDDD in Karlsruhe-Neureut eine hiervon neuerlich abgetrennte Zweizimmerwohnung gegen Zahlung von 350,- € Kaltmiete sowie 150,-  € Nebenkostenvorauszahlung zu überlassen. Beide Wohnungen waren zuvor gemeinsam an eine Familie vermietet gewesen und verfügten auch ab Juni 2023 nur über eine gemeinsame Klingel sowie einen gemeinsamen Briefkasten, auf dem die Namen sowohl der Klägerin als auch ihres langjährigen Mitbewohners angebracht wurden. Noch am 31.05.2023 beantragte die Klägerin erneut Leistungen für den Regel- und Unterkunftsbedarf (im DDDDD in Karlsruhe-Neureut) beim Beklagten.

 

Am 30.06.2023 hat die Klägerin das Sozialgericht Karlsruhe um Rechtsschutz ersucht wegen des Ablehnungsbescheides des Beklagten vom 19.12.2022 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 24.04.2023 (Aktenzeichen S 12 AS 1592/23). Hier trägt sie vor, sie sei hilfebedürftig gewesen vom 01.04.2022 bis 30.04.2023, weil Herr MMMM nicht ihr Partner, sondern nur ihr Mitbewohner gewesen sei. Herr MMMM und sie hätten keine Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft gebildet. Beide hätten in der CCCCC getrennte Zimmer und ab Juni 2023 im DDDDD sogar getrennte Wohnungen bewohnt. Seit dem Ende der Leistungsgewährung durch den Beklagten Anfang 2022 habe sie in Ermangelung eines Erwerbseinkommens ihren Lebensunterhalt bestritten mithilfe der Zuwendungen von Familienangehörigen aus Deutschland und Schweden.

 

Ihre Schulden von damals zahle sie seit der Wiederaufnahme der Grundsicherungsleistungsgewährung durch den Beklagten im April 2024 teilweise zurück. Schriftliche Verträge über die Darlehen ihrer Familienangehörigen aus Deutschland und Schweden könne sie nicht vorlegen, weil die Vereinbarungen mündlich geschlossen seien. Abgemacht sei, dass sie das Geld zurückzahle, wenn sie irgendwann wieder Geld habe. Ihre zwei weiteren Darlehen vom 15.05.2022 und 13.07.2022 mit einem Gesamtbetrag von 1.350,- € habe ihr dieselbe Person überlassen, mit der sie im Juni 2023 den Mietvertrag über ihre aktuelle Unterkunft im DDDDD abgeschlossen habe. Ihre vermeintlichen Zahlungspflichten hieraus in Höhe von insgesamt 500,- € monatlich habe sie ab Juni 2023 zunächst nie, aber im April 2024 erstmalig erfüllt. Eine „Mahnung“ wegen der Rückstände von Herrn AAAAAA habe sie dem Beklagten vorgelegt.

 

Nach der Klageerhebung hat die Klägerin am 07.07.2023 dem Außendienst des Beklagten anlässlich dessen unangekündigten Hausbesuches den Zutritt zur Wohnung im DDDDD in Karlsruhe-Neureut verweigert.

 

Auch anlässlich dieser Weigerung hat der Beklagte den Folgeantrag der Klägerin auf Bewilligung von Leistungen vom 31.05.2023 durch seinen weiteren unbefristeten Ablehnungsbescheid vom 01.08.2023 in der Gestalt seines weiteren Widerspruchsbescheides vom 31.10.2023 abgelehnt. Am 09.11.2023 hat die Klägerin auch deswegen Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben, die zunächst unter dem Aktenzeichen S 12 AS 2683/23 registriert und dann mit Gerichtsbeschluss vom 21.03.2024 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung mit dem bereits rechtshängigen Klageverfahren S 12 AS 1592/23 verbunden worden ist.

 

Einen weiteren Folgeleistungsantrag der Klägerin vom 10.01.2024 hat der Beklagte mit Bescheid vom 20.03.2024 für die Monate Januar bis März 2024 abgelehnt.

 

Zum 01.04.2024 ist der langjährige Mitbewohner der Klägerin – Herr MMMM – aus dem Obergeschoss im DDDDD in Karlsruhe-Neureut aus- und nach Pfinztal umgezogen. Dies hat er dem Beklagten mittels E-Mail vom 15.04.2024 unter Vorlage einer behördlichen Meldebestätigung mitgeteilt und wiederholt, die Klägerin sei zuletzt nur seine Nachbarin gewesen und habe ihm für die Wohnraumüberlassung in der CCCCC insgesamt 15 Monate lang nichts gezahlt, weswegen er die Klägerin bald verklagen werde. Anlässlich des Auszugs hat der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 16.04.2024 Regelbedarfs- und Unterkunftsleistungen ab 01.04.2024 bis 30.09.2024 (und mit Bescheid vom 26.08.2024 Bürgergeld von Oktober 2024 bis September 2025) gewährt.

 

Bereits am 18.04.2024 hatte auch der Wohnungsgeber der Klägerin im DDDDD, Herr AAAAAA, eine von der Klägerin an den Beklagten weitergeleitete „Mahnung“ formuliert mit nachfolgendem Wortlaut:

 

Ich schreibe Ihnen weil von Juni 2023 bis März 2024 die Miete nicht bezahlt.“

10 Monate x 500 €

insgesamt 5000 €.

Bitte Zahlen Sie diesen Betrag zum Bis 15.05.2024.“

 

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Beiziehung der Verwaltungsakten des Beklagten und der Prozessakten des Gerichts aus den vorangegangen Verfahren, durch die Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und die Zeugenvernehmung ihres langjährigen Mitbewohners.

 

Der Mitbewohner und Zeuge MMMM hat ausgesagt, dass er seine Partnerschaft nicht mit der Klägerin, sondern mit einer Frau in Frankreich führe. Die Klägerin habe nur mehrfach im selben Haus wie er gewohnt (in Eggenstein sowie später im DDDDD) bzw. sogar in derselben Wohnung (in Grünwinkel sowie später in der CCCCC). Er habe sich als Mitbewohner zwar für sie verantwortlich gefühlt und sie nicht alleine bzw. obdachlos werden lassen wollen, als er selbst seine zwischenzeitlichen Wohnungen wegen Schimmel, Mieterhöhung oder bzw. Mietrückständen aufgeben musste. Die Obdachlosigkeit hätte der aber Klägerin gedroht, weil sie alleine in Deutschland und über 50 Jahre alt gewesen sei und die deutsche Sprache nicht beherrsche. Er habe die Klägerin jedoch nicht kostenlos bei sich wohnen lassen oder für ihren übrigen Lebensunterhalt aufkommen wollen. Sie habe ihn auch nicht im Haushalt unterstützt mit seiner Wäsche, beim Kochen oder beim Putzen, als sie zusammenwohnen. Sie hätten vielmehr jeweils ihre eigenen Zimmer selbst geputzt, getrennt gekocht und gewaschen und für die Gemeinschaftsräume einen Putzplan befolgt. Da die Klägerin vom Beklagten keine Leistungen erhalten und ihrerseits keine Untermiete an ihn gezahlt habe, seien letztlich im Mai 2023 beide obdachlos geworden. Ihre Mietrückstände aus dem Untermietverhältnis in der CCCCC bestünden wegen insgesamt 15 Monaten bis zuletzt. Der Beklagte habe der Klägerin in seiner irrigen Vorstellung, die 28 Jahre ältere Klägerin wäre seine Partnerin, selbst dann weiterhin keine Leistungen gewährt, nachdem sein Freund AAAAAA an sie beide zum Juni 2023 separate Wohnungen vermietet hatte.

 

In Kenntnis des Verbindungsbeschlusses vom 31.03.2024 und des Ergebnisses der Beweisaufnahme vom 29.10.2024 beantragt die Klägerin für beide Klageverfahren:

 

  1. den Bescheid vom 19.12.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2023 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Leistungen in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum 01.04.2022 bis 30.04.2023 zu gewähren;

 

  1. den Bescheid vom 01.08.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2023 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Leistungen in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum 01.05.2023 bis 31.12.2023 zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Klagen abzuweisen.

 

Er sei sich aufgrund der Beweisaufnahme des Gerichts zwar nicht mehr sicher, dass zwischen dem Zeugen bzw. Mitbewohner und der Klägerin eine Partnerschaft vorgelegen habe. Ungeachtet dessen könne sie nachträgliche keine Sozialleistungen beanspruchen. Die behördlichen Leistungsablehnungen seien nämlich jedenfalls rechtmäßig gewesen. Denn die Klägerin sei nicht „hilfebedürftig“ gewesen in Ansehung der Zuwendungen Dritter. Diese hätten den Lebensunterhalt der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum gedeckt.

 

Zur Rechtsverteidigung hat der Beklagte seine Verwaltungsakten vorgelegt und im Laufe der mündlichen Verhandlung auch deren letzten Band nachgereicht. Aus diesen Verwaltungsakten des Beklagten und den ebenfalls beigezogenen Prozessakten des Sozialgerichts Karlsruhe ist als Bankverbindung der Klägerin nur ihr Konto bei der örtlichen Sparkasse ersichtlich geblieben, ohne dass aus den dort zahlreich aktenkundigen Kontoauszügen nachvollzogen werden könnte, wie, wann und in welcher Höhe Familienangehörige der Klägerin ihr zwischen April 2022 und Dezember 2023 Geld zur Überbrückung ihrer Notlage zugewendet haben.

 

Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und den der (beigezogenen) Prozessakten Bezug genommen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klagen sind abzuweisen.

 

Gegenstand des Klageverfahrens S 12 AS 1592/23 sind aufgrund des sozialgerichtlichen Verbindungsbeschlusses vom 21.03.2024 sowohl der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 19.12.2022 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 24.04.2023 als auch sein weiterer Ablehnungsbescheid vom 01.08.2023 in der Gestalt in der Gestalt seines weiteren Widerspruchsbescheides vom 31.10.2023, mit denen der Beklagte jeweils zulasten der Klägerin ablehnte, ihr Leistungen nach dem SGB II in Form der Regel- und Unterkunftskosten zu gewähren.

 

In zeitlicher Hinsicht werden ihre streitbefangenen Leistungsansprüche auf sämtliche Bewilligungsmonate von April 2022 bis (einschließlich) Dezember 2023 begrenzt durch die jeweils nachfolgenden Bewilligungsanträge der Klägerin und die diesbezüglich ebenfalls nachfolgenden Verwaltungsentscheidungen des Beklagten.

 

Wenn die Behörde die Leistungsbewilligung ablehnt, ohne diese Ablehnung zeitlich einzugrenzen, kann ein Antragsteller nämlich im Falle eines diesbezüglichen sozialgerichtlichen Verfahrens seine Leistungsberechtigung für den gesamten Zeitraum bis zur gerichtlichen Entscheidung überprüfen lassen, ohne einen neuen Leistungsantrag bei der Behörde stellen zu müssen (vgl. BSG Urteil vom 31.10.2007, B 14/11b AS 59/06 R, Rn. 13 m.w.N., juris). Ggfs. enden die Zeiträume, für den die ablehnenden Entscheidungen Wirkung entfalten, rückwirkend mit Erteilung des jeweils nachfolgenden Bescheides, und zwar bis zum Zeitpunkt der Rückwirkung des Folgeantrags auf den Monatsersten (BSG a.a.O.; und Urteile vom 13.07.2017, B 4 AS 17/16 R, Rn. 13 m.w.N., juris; und vom 25.08.2011, B 8 SO 19/10 R, Rn. 9, juris).

 

Gemessen hieran ist im vorliegenden Fall der Streitgegenstand wegen des zeitlich unbefristeten Ablehnungsbescheides des Beklagten vom 19.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.2023 zeitlich eingegrenzt auf den Leistungszeitraum 01.04.2022 bis 30.04.2023, weil der diesbezügliche Leistungsantrag vom 06.04.2022 gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II auf den 01.04.2022 rückwirkt, sowie, weil der Folgeantrag der Klägerin vom 31.05.2023 auf den 01.05.2023 rückwirkt und der Beklagte hierüber durch den Ablehnungsbescheid vom 01.08.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2023 bereits (parallel zum laufenden Verfahren S 12 AS 1592/23) entschieden hat.

 

Und wegen eben dieses weiteren streitbefangenen unbefristeten Ablehnungsbescheides (vom 01.08.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2023) ist der Streitgegenstand zeitlich schließlich auch beschränkt auf den weiteren Leistungszeitraum 01.05.2023 bis 31.12.2023, da der Beklagte über den auf den 01.01.2024 rückwirkenden Folgeleistungsantrag der Klägerin vom 10.01.2024 bereits mit dem unangefochtenen Ablehnungsbescheid vom 20.03.2024 entschieden hat.

 

Die zwei hiergegen jeweils statthaften, kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen sind zumindest formgemäß zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Karlsruhe erhoben worden und jedenfalls unbegründet, sodass dahinstehen kann, ob sie auch fristgemäß erhoben worden sind.

 

Unbegründet sind die beiden Klagen, obgleich das Gericht dem Beklagten bei seiner Beweiswürdigung im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren nicht dahingehend folgt, dass die 1969 geborene Klägerin nachweislich Partnerin ihres 28 Jahre jüngeren Mitbewohners gewesen sei, denn das Gericht erkennt im Ergebnis für Recht, dass der Beklagte mit seinen angefochtenen Bescheiden (vom 19.12.2022, 24.04.2023, 01.08.2023 bzw. 31.10.2023) die Leistungsgewährung an die Klägerin nach dem SGB II für April 2022 bis Dezember 2023 ablehnte.

 

Der streitbefangene Anspruch auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts findet seine gesetzliche Grundlage in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Danach erhalten Personen Leistungen nach dem SGB II, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben,

2. erwerbsfähig sind,

3. hilfebedürftig sind und

4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben.

 

Die Klägerin erfüllt zwar die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 2 und 4 SGB II, ohne dass im Fall der syrischen Staatsangehörigen zwischen dem 01.04.2022 und dem 31.12.2023 ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II gegeben wäre.

 

Allerdings scheitert ihr Geldleistungsanspruch daran, dass sie im Leistungszeitraum nicht hilfebedürftig i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §§ 9, 11-13 SGB II war.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

 

Hier verbleiben unter Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin zwischen dem 01.04.2022 und dem 31.12.2023 ihren Lebensunterhalt nicht mithilfe geldwerter Zuwendungen ihrer Wohnraumgeber, ihrer Angehörigen aus dem In- und Ausland sowie weiterer Bekannter sichern konnte.

 

Die Nichtnachweisbarkeit der Hilfebedürftigkeit der Klägerin geht zu ihren Lasten. Nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislast trägt der erwerbsfähige Hilfebedürftige die Beweislast dafür, dass die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 SGB II vorliegen (so ausdrücklich: BSG Urteil vom 27.01.2009, B 14 AS 6/08 R, Rn. 19, juris). Das Gericht muss die Tatsache der Hilfebedürftigkeit grundsätzlich nach dem Maßstab des Vollbeweises feststellen. Absolute Gewissheit ist nicht erforderlich, aber eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit (BSG Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, Rn. 33, juris). Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tatsache in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, Rn. 4, juris; BSG Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, Rn. 28, juris).

 

Die Hilfebedürftigkeit der Klägerin lässt sich im vorliegenden Einzelfall S 12 AS 1592/23 nicht mit dem erforderlichen Vollbeweismaß feststellen. Nach Ausschöpfung sämtlicher zumutbarer Erkenntnisquellen kann die Tatsache nicht erwiesen werden, dass die Klägerin vom 01.04.2022 bis zum 31.12.2023 für einen der Leistungsmonate außerstande war, ihren Lebensunterhalt zu sichern ohne die Leistungen des Beklagten. Dieser Nachweis ist nicht erbracht worden durch die Beiziehung der Verwaltungsakten des Beklagten, durch die mehrstündige Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bzw. durch die ebenfalls ausgiebige Zeugenvernehmung des von ihr benannten langjährigen Mitbewohners. Weitere Beweismittel sind im Klageverfahren weder von der fachkundig vertretenen Klägerin benannt worden noch sonst für das erkennende Gericht ersichtlich, zumal sie gegenüber dem Gericht angegeben hat, dass keine Vertragsurkunden existieren wegen der ihr von Angehörigen im In- und Ausland zugewandten Gelder.

 

Davon, dass es sich bei den finanziellen Zuwendungen der Familienangehörigen und Bekannten der Klägerin nicht um bedarfsmindernde Einkommen im Sinne der §§ 11 ff. SGB II handelt, kann sich das Gericht auch nach dem Ergebnis der eingehenden Beweisaufnahme nicht überzeugen. Es ist nicht voll bewiesen, dass es sich bei den Zuwendungen um anrechnungsfreie Gegenleistungen handelt, die in der rechtswirksamen Erwartung getätigt wurden, die Klägerin werde wegen der erhaltenen Zuwendungen ihrerseits geldwerte Zuwendungen an ihre Geld- und Wohnungsgeber erwidern müssen würde, um diesbezügliche Zahlungspflichten aus (Unter-)Miet- bzw. Darlehensverträgen zu erfüllen.

 

Indes ist der Klägerin hier zuzugestehen, dass sie ihre finanzielle Situation nicht gänzlich abwegig und lebensfremd darstellt. Insbesondere ist denkbar, dass eine allein in Deutschland lebende, schutzbedürftige Syrerin im Alter von  53 (und mehr) Jahren ihren Lebensunterhalt nur mithilfe finanzieller Unterstützung bestreiten kann, die ihr Angehörige im In- und Ausland sowie inländische Bekannte zur Überbrückung einer vorübergehenden Notsituation in der Erwartung gleichwertiger Gegenleistungen zuwenden. Selbstverständlich machen auch Syrer in der Bundesrepublik von der Möglichkeit Gebrauch, rechtswirksame (Unter-)Miet- bzw. Darlehensverträge (bzw.  diesbezügliche Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarungen) miteinander abzuschließen und klagen etwaige (Rück-) Zahlungspflichten hieraus entweder bei Bedarf ein oder verzichten nur deshalb darauf, weil ihnen die Durchsetzung ihrer formal bestehenden Rechtspositionen weniger bedeutsam ist als der besonders achtungswürdige Wunsch, einander in der Not solidarisch beizustehen, anstatt ggfs. (mangels Insolvenzmasse nicht einmal vollstreckbare) Titel durch zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren zu erwirken. Die Solidarität der Mitmenschen syrischer Staatsangehörigkeit, die in Deutschland vor dem heimischen Bürgerkrieg Zuflucht nehmen mussten und hier einander in finanzieller Not hingebungsvoll beistehen, stellt mitnichten ein Verbrechen dar. Treffend hat dies der Zeuge in der mündlichen Verhandlung zur vollen Überzeugung des Gerichts ausgeführt.

 

Im vorliegenden Einzelfall bestehen bei der 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe in ihrer Besetzung vom 29.10.2024 dennoch erhebliche Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Klägerin zwischen dem 01.04.2022 und dem 31.12.2023. Denn die Zweifel an der Hilfebedürftigkeit konnten nicht hinreichend ausgeräumt werden trotz der Beiziehung der Verwaltungsakten des Beklagten und der Auswertung (auch) der Gerichtsakten vergangener Prozesse einschließlich der darin zahlreich enthaltenen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen der Klägerin sowie der Vernehmung ihres langjährigen Mitbewohners als Zeugen in der dafür eigens stattgehabten Beweisaufnahme.

 

Vielmehr hält es die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe in ihrer Besetzung vom 29.10.2024 für nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei den finanziellen Zuwendungen der Angehörigen der Klägerin aus dem In- und Ausland (das heißt: in Schweden) nicht um anrechnungsfreie Darlehen, sondern um Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II in der Gestalt verdeckter freiwilliger Unterhaltsgewährungen handelt.

 

Gemäß § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II sind Einnahmen in Geld als Einkommen zu berücksichtigen abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Nach § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II sind als Einkommen auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen zu berücksichtigen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Weitere Regelungen zur Anrechnung von Darlehen sind weder im SGB II noch in der Alg II-V enthalten, so dass sich aus § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II der Umkehrschluss ergibt, dass andere Darlehen als die von Sozialleistungen anrechnungsfrei sind, unabhängig von ihrer Zweckbestimmung (Schwabe in BeckOGK, SGB II, Stand: 01.02.2021, § 11, Rn. 48). Dies entspricht auch dem Urteil des BSG vom 17.06.2010 (B 14 AS 46/09 R, Rn. 19, juris), wonach Darlehen, unabhängig von ihrer Zweckbestimmung, nicht anrechenbar sind. Ein Darlehen, das an den Darlehensgeber zurückzuzahlen ist, stellt als eine nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Leistung kein Einkommen dar, auch wenn es als "bereites Mittel" zunächst zur Deckung des Lebensunterhalts verwandt werden könnte (BSG a.a.O., Rn. 16, juris).

 

Maßgeblich ist dabei ausschließlich, ob ein wirksamer Darlehensvertrag i.S.v. § 488 BGB abgeschlossen wurde. Dabei sind Darlehen, insbesondere unter Verwandten, von verschleierten Schenkungen oder einer verdeckten, auch freiwilligen Unterhaltsgewährung, abzugrenzen und strenge Anforderungen an die Durchführung der Darlehensgewährung zu stellen. Indizien für eine verdeckte Schenkung sind das Fehlen plausibler Gründe für ein Darlehen oder die fehlende substantiierte Darlegung vom Inhalt, z.B., bzgl. Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, Darlehenshöhe und Rückzahlungsmodalitäten (Schwabe a.a.O.). Weil und soweit der für den Hilfebedürftigen günstige Umstand, dass ein nachgewiesener Zufluss gleichwohl als Einkommen nicht zu berücksichtigen ist, seine Sphäre betrifft, obliegen ihm bei der Aufklärung der erforderlichen Tatsachen Mitwirkungspflichten; die Nichterweislichkeit der Tatsachen geht zu seinen Lasten (BSG a.a.O., Rn. 21, juris). § 488 Abs. 1 S. 1 BGB zufolge wird der Darlehensgeber durch den Darlehensvertrag verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen (§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB). Die Wahrung von im Geschäftsverkehr üblichen Modalitäten (wie der Vereinbarung der in § 488 Abs. 1 BGB genannten weiteren Vertragspflichten) kann als ein Indiz dafür gewertet werden, dass ein Darlehensvertrag tatsächlich geschlossen worden ist. Es ist nicht erforderlich, dass sowohl die Gestaltung (z.B. Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkt dem zwischen Fremden - insbesondere mit einem Kreditinstitut - Üblichen zu entsprechen hat (BSG a.a.O., Rn. 22, juris).

 

Auch die Inanspruchnahme familiärer Hilfe ist bei der Bewältigung einer Notlage zulässig, wobei von vornherein klar sein muss, dass Zuwendungen nur deshalb erfolgen, weil der Leistungsträger die Hilfe versagt hat und Eltern, Geschwister oder ein Dritter bis zur endgültigen Klärung im Widerspruchs- oder Klageverfahren einspringen wollen. Die auf einen unbestimmten Zeitpunkt festgelegte Rückführung des Darlehens ist nicht als entscheidendes Kriterium anzusehen, das gegen eine wirklich gewollte Darlehensverpflichtung spricht (vgl. dazu BSG Urteil vom 20.12.2011, B 4 AS 46/11 R, Rn. 16 f., juris; vgl. für die Abgrenzung zum Scheingeschäft auch LSG NRW Urteil vom 30.07.2013, L 2 AS 1021/12, Rn. 27 ff., juris; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 27.06.2017, L 11 AS 378/17 B ER, Rn. 17 ff., juris).

 

Gemessen an diesen Maßstäben ist im Verfahren S 12 AS 1592/23 nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die finanziellen Zuwendungen seitens der Angehörigen der Klägerin als Darlehen mit Rechtsbindungswillen einzustufen sind. Es bleibt vielmehr nicht unwahrscheinlich, dass sie verdeckte Schenkungen bzw. eine Form der freiwilligen Unterhaltsgewährung darstellen. Die Klägerin hat insofern in der mündlichen Verhandlung unumwunden zugestanden, dass sie von ihren Familienangehörigen auch aus dem Ausland Zuwendungen erhalten habe, ohne derentwegen schriftliche Darlehensverträge vorlegen zu können. Die Klägerin hat auch zum Inhalt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, zur Darlehenshöhe und zu etwaigen Rückzahlungsmodalitäten keine substantiierten Angaben gemacht, welche den Anforderungen an die Durchführung der Darlehensführung unter Verwandten Rechnung tragen würden. Überdies hat die Klägerin eine diesbezügliche inhaltliche Prüfung jahrelang dadurch erschwert, dass sie trotz der wiederholten Aufforderung in den Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, ihre Kontoverbindungen offenzulegen bzw. Kontoauszüge vorzulegen, von sich aus keinerlei Angaben dazu gemacht, auf welchem Wege ihr aus dem In- und Ausland Geldzahlungen zugeflossen sind, die aus den von ihr vorgelegten Kontoauszügen der lokalen Sparkasse nicht ersichtlich sind. Bei lebensnaher Betrachtung bezweifelt das Gericht deshalb, dass die Klägerin zwischen 01.04.2022 und 31.12.2023 nicht über zumindest ein weiteres Konto im (z. B. syrischen oder schwedischen) Ausland verfügte, auf das sie auch von Deutschland aus zugreifen konnte, wenn ihre Angehörigen (zum Beispiel aus Schweden oder Syrien) dorthin Geld überwiesen, um den Lebensunterhalt der Klägerin in Deutschland sicherzustellen.

 

Überdies spricht gegen das Vorliegen von mit Rechtsbindungswillen geschlossenen Darlehensverträgen unter Angehörigen, dass es bereits zum Zeitpunkt der in der mündlichen Verhandlung zugestandenen Zuwendungen aus dem In- und Ausland, unwahrscheinlich war, dass die Klägerin die ihr überlassenen Summen würde zurückzahlen können, weil der Beklagte bereits mit den Versagungsbescheiden vom 13.01.2021, 30.01.06.2022 bzw. 01.09.2022 die Leistungen ab 01.11.2020, ab 01.04.2022 bzw. ab 01.06.2022 versagt hatte und auch das um Rechtsschutz ersuchte Sozialgericht Karlsruhe mit zwei Beschlüssen vom 10.06.2022 den Erlass einstweiliger Anordnungen zugunsten der Klägerin unter den Aktenzeichen S 13 AS 1457/22 ER und S 13 AS 1458/22 ER abgelehnt hatte und auch die Rechtsbehelfe in den Hauptsachen S 13 AS 1471/22 sowie S 13 AS 1472/22 erfolglos geblieben waren.

 

Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Klägerin verbleiben für den Bewilligungszeitraum April 2022 bis Dezember 2023 indes nicht nur wegen der nicht aufklärbaren Einkommensverhältnisse der Klägerin aufgrund der von ihr zugestandenen, aber für das Gericht nicht nachvollziehbaren Zuwendungen aus dem In- und Ausland. Denn nach dem Ergebnis der eingehenden Beweisaufnahme kann sich das Gericht auch nicht davon überzeugen, dass auf der Ausgabenseite die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für Unterkunft und Heizung rechtstatsächlich wirksam entstanden sind.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden bei der Bemessung der hier streitbefangenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts die Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Nach der Rechtsprechung des BSG (14.04.2011, B 8 SO 18/09 R; 25.08.2011, B 8 SO 29/10 R; 20.08.2009, B 14 AS 34/08 R) setzt der Anspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung bei der anspruchstellenden Person grundsätzlich einen entsprechenden tatsächlichen Bedarf – im Sinne einer wirksamen (zivil-) rechtlichen Verpflichtung gegenüber Dritten – voraus (BSG, 25.08.2011, B 8 SO 29/10 R).

 

Gemessen hieran bestand im vorliegenden Fall nicht nachweislich ein Anspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung. Es bestehen gewichtige Zweifel daran, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum zivilrechtlich wirksamen (Unter-) Mietzins- bzw. Heiz- und Nebenkostenforderungen ausgesetzt war. Sie kann trotz ihrer unzweifelhaften Unterbringung in der CCCCC (in 76137 Karlsruhe) bzw. im DDDDD (in 76149 Karlsruhe) daher für die Zeit vom 01.04.2022 bis zum 31.12.2023 die anspruchsbegründende Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II nicht beanspruchen.

 

Erstens war die Klägerin nach dem Dafürhalten des Gerichts wahrscheinlich nicht einer rechtsverbindlichen Verpflichtung zur Zahlung von monatlich 500,- € ausgesetzt aufgrund des nicht datierten „Untermietvertrages“ auf Seite 490f. der zum Verfahren S 12 AS 1592/23 beigezogenen Verwaltungsakte, der ihre Unterbringung in der CCCCC im Bewilligungszeitraum ab April 2022 bis April 2023 betrifft.

 

Dem missverständlich ausgefüllten Vertragsvordruck zufolge war der dort ebenfalls wohnhafte Zeuge dort einerseits „Untermieter“ und andererseits „Vermieter“ während die Klägerin dortige(r) „Mieter“ und zugleich Eigentümerin desjenigen Hauses (in der CCCCC in Karlsruhe) gewesen sei, in dem die untervermietete(n) „Räume/Wohnung“ gelegen waren. Aus dem ebenfalls (auf Seite 477 ff. der Verwaltungsakte) aktenkundigen „Mietvertrag über eine unmöblierte Wohnung“ bezüglich derselben Wohnung in der CCCCC in Karlsruhe vom 13.12.2021 und dem übrigen Vorbringen der Klägerin und der Vernehmung des Zeugen durch das Gericht ergibt sich zwar letztlich unzweifelhaft, dass der Zeuge dieselbe Wohnung für sich angemietet hatte und die Urkunde über den „Untermietvertrag“ so ausgelegt werden sollte, dass die Klägerin als Untermieterin in Erscheinung treten sollte.

 

Die Unterzeichnung eben dieser Untermietvertragsurkunde begründete zur Überzeugung des Gerichts indes aber nicht nachweislich das Zustandekommen eines wirksamen Wohnraumuntermietvertrages nach § 535 ff. BGB. Die Abgabe der Willenserklärungen erfolgte nach dem Dafürhalten der Kammer seitens der Klägerin und seitens ihres damaligen Mitbewohners – dem Zeugen – nämlich eher im Wege eines unwirksamen Scheingeschäfts nach § 117 Abs. 1 BGB, um die tatsächlich allseits gewollte und nach § 117 Abs. 2 BGB rechtswirksame unentgeltliche Wohnraumüberlassung an die Klägerin zu dissimulieren, die seit ihrem Bezug des Wohnhauses Anfang 2022 bis zu ihrem dortigen Auszug Mitte 2023 ununterbrochen praktiziert und wahrscheinlich nur gegenüber dem Beklagten in der Absicht verdunkelt worden ist, von ihm zu Unrecht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu beziehen, welche die Klägerin (auch) aufgrund ihrer kostenfreien Unterbringungen dort (sowie wegen der geldwerten Zuwendungen durch Angehörige im In- und Ausland, s. o.) nicht benötigte.

 

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die Begründung einer rechtlichen Verbindlichkeit zur Zahlung von Unterkunfts- und Heizkosten in Fällen des Zusammenlebens von miteinander freundschaftlich verbundenen Personen grundsätzlich eine naheliegende und nicht beanstandungswürdige Gestaltungsmöglichkeit bzw. Reaktion auf die bereits zitierte Rechtsprechung des BSG darstellt. Gerade im hier vorliegenden Fall (sich – zugunsten einer im fremdsprachigen Ausland alleinstehenden, erwerbslosen und damit schutzbedürftigen Frau in ihren Fünfzigern – aufopfernder Mitbürger eines vom Bürgerkrieg betroffenen Herkunftslandes) haftet der Wahrnehmung einer mietvertraglichen Rechtsgestaltungsmöglichkeit nichts Anstößiges oder Verbotenes an.

 

Nichtsdestotrotz vermag sich die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im vorliegenden Fall nicht darüber hinwegzusetzen, dass der Mitbewohner im Rahmen seiner Zeugenvernehmung detailliert, widerspruchslos, plausibel und übereinstimmend mit der Klägerin ausgeführt hat, dass und warum für ihn entgegen seiner schriftlichen Kündigungserklärung vom 28.10.2022 (vgl. Seite 624 der Verwaltungsvorgänge des Beklagten) aufgrund seiner herausragenden Mitmenschlichkeit unter keinen Umständen eine Beendigung der Wohnraumüberlassung an die Klägerin ernstlich in Betracht gekommen wäre, weil er sich verantwortlich dafür fühlte, dass die Klägerin nicht obdachlos wird und ihr ggfs. eben diese Obdachlosigkeit gedroht hätte, falls die für das Jobcenter mit ihm aufgesetzte Untermietervertragsurkunde ohne Datum (vgl. Seite 280 der Verwaltungsakte des Beklagten) tatsächlich praktiziert worden wäre.

 

In Anbetracht dessen hat die Kammer erheblich Zweifel daran, dass die Aufsetzung der Mietvertragsurkunde nicht maßgeblich durch die gemeinsame Annahme beider Urheber motiviert war, dass eben dieser rechtsförmliche Akt in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Beklagten von beiden syrischen Mitbewohnern simuliert werden musste, um die begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Klägerin von der deutschen Sozialleistungsverwaltung zu erhalten. Wesentlicher Zweck der Beurkundung war nach der Beweiswürdigung des Gerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung hierbei gerade nicht, tatsächlich Geld bzw. Mietzins- und Heiz- bzw. Nebenkostenzahlungen von der Klägerin zu erhalten, sondern, dass der Beklagte an die Klägerin diesbezügliche Leistungen auszahlt. Etwaigen Einkünften aus der Untervermietung der von ihm angemieteten Unterkunft in der CCCCC maß der Mitbewohner bzw. Zeuge erklärtermaßen weniger Bedeutung als der Vermeidung der Obdachlosigkeit der Klägerin, für die er sich seinen Angaben gegenüber dem Gericht zufolge verantwortlich fühlte.

 

Auch nach den gleichermaßen anschaulichen Schilderungen der Klägerin erfolgte die Fortsetzung der Wohnraumüberlassung nicht nur aus eigensinnigen wirtschaftlichen Motiven des Zeugen, sondern aus einem respektablen Verantwortungsgefühl, welches selbst dann andauerte, als die Klägerin während der gesamten Dauer des dortigen Zusammenlebens keinerlei Zahlungen an den Zeugen leistete, obwohl währenddessen angeblich 7.500,- € an ihn zu zahlen gewesen wären, derentwegen er aber bis zur mündlichen Verhandlung keine Zahlungsklage erhoben (und nie die Räumung des Zimmers der Klägerin in der CCCCC ernstlich betrieben) hat.

 

Tatsächlich bedurfte es zum Zeitpunkt des angeblichen Untermietvertragsschlusses Anfang 2022 nicht der Begründung eines dauerhaften Rechts auf alleinige Nutzung eines Zimmers durch die Klägerin bzw. zur gemeinschaftlichen Nutzung sonstiger Räume der vom Zeugen bzw. Mitbewohner angemieteten Wohnung. Ein – auch ohne Einhaltung der Schriftform nach § 133, 157 BGB in rechtswirksamer Weise – in mündlicher oder stillschweigender Form geschlossener Vertrag über die unentgeltliche Überlassung dieser Mitbenutzungsmöglichkeit bestand zugunsten der Klägerin auch ohne eine Beurkundung.

 

Die Klägerin und der Zeuge hatten nämlich bereits beim Erstbezug des Wohnhauses in der CCCCC miteinander zumindest stillschweigend vereinbart, dass die Klägerin bei Bedarf ein Zimmer in der Wohnung für sich zum Schlafen bzw. Wohnen nutzen kann und eben diese Vereinbarung auch praktisch in Vollzug gesetzt, ohne, dass der Zeuge hierfür jemals eine monetäre Gegenleistung faktisch verlangt hätte, weil der Beklagte ihr bereits mit Bescheid vom 13.01.2021 Leistungen versagt hatte und damit zu rechnen war, dass der Beklagte an seiner Rechtsauffassung festhalten würde. Dies ist auch daraus zu schlussfolgern, dass der Zeuge bzw. Mitbewohner einen faktischen Vollzug der Untermietvertragsurkunde über die CCCCC nicht ernsthaft verlangte, nachdem der Beklagte wegen seiner Annahme, zwischen der Klägerin und dem Zeugen bestehe eine Verantwortungs- und Einstehungsgemeinschaft, mit Bescheid vom 09.03.2022 die vormalige Leistungsbewilligung an die Klägerin zu ihren Lasten förmlich aufgehoben hatte. Und selbst nach dem 2022 durchgeführten Hausbesuch beendete der Zeuge bzw. Mitbewohner die Wohnraumüberlassung an die Klägerin trotz der monatelang ausbleibenden Untermietzinszahlungen nicht, obwohl mit Mietzinszahlungen der Klägerin nicht mehr ernstlich zu rechnen war, nachdem der Außendienst dokumentiert hatte, aufgrund welcher Ungereimtheiten die Angaben der Klägerin gegenüber dem Beklagten nicht nachweislich wahr erschienen, etwa, weil das angeblich ausschließlich vom Zeugen genutzte Wohnzimmer der CCCCC tatsächlich von beiden für die Verwahrung persönlichen Schriftguts und überdies während seiner Abwesenheit von der Klägerin auch allein zum Fernsehen genutzt wurde, wobei das Fernsehgerät nach den widersprüchlichen (schriftlichen) Angaben der Klägerin der Klägerin (vom 13.10.2022) dem Zeugen, nach den mündlichen Angaben des Zeugen (in der Verhandlung vom 29.10.2024) aber der Klägerin gehörte, und, weil sich im angeblich nur von der Klägerin genutzten Schlafzimmer im Kleiderschrank auch Herrenkleidung sowie ein Doppelbett nebst Bettwäsche für zwei Personen befand.

 

Vor diesem Hintergrund entpuppen sich die vermeintlichen Zahlungserinnerungen bzw. („Letzte“) Mahnungen des Zeugen an die Klägerin (vgl. S. 514 bis 516 der im Verfahren S 12 AS 1592/23 beigezogenen Verwaltungsakte) wahrscheinlich als bloße Scheingeschäfte ohne Rechtsbindungswillen. Ein Vertrauen der Klägerin, wegen der Aufsetzung einer Schein-Untermietvertragsurkunde und weiterer geschriebener Schein-Erklärungen durch den Zeugen Sozialleistungen vom Beklagten zu erhalten, ist aber nicht schutzwürdig, zumal die fehlende Ernstlichkeit der Erklärungen des Zeugen sich daran zeigt, dass er bis zur mündlichen Verhandlung am 29.10.2024 bzw. binnen 30 Monaten wegen der für April 2022 vermeintlich geschuldeten Untermiete untätig geblieben ist in Bezug auf die gerichtliche Geltendmachung seiner vermeintlichen Zahlungsansprüche gegenüber der Klägerin in einer vermeintlichen Gesamthöhe von 7.500,- €.

 

Die vom Zeugen bzw. Mitbewohner aufgesetzten Erklärungen vom 29.04.2022, 20.05.2022, 09.09.2022 und 15.09.2022 (vgl. Seite 513 ff. der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten) dienten nach dem Dafürhalten der Kammer wahrscheinlich nur der Erzeugung des Rechtsscheins eines praktizierten Mietrechtsverhältnisses, sind aber gerade nicht nachweislich Ausdruck der Ernsthaftigkeit des Rechtsbindungswillens der Klägerin und ihres Mitbewohners in Bezug auf ein angebliches Untermietvertragsverhältnis in der CCCCC.

 

Dahinstehen kann hier, ob der Zeuge der Klägerin zwischen April 2022 und April 2023 Unterhalt rechtsverbindlich gewähren musste. Denn weil eben dies wohl jedenfalls seiner sehr ehrbaren Vorstellung von Sittlichkeit entsprach, gewährte er der Klägerin wahrscheinlich ungeachtet einer etwaigen Rechtspflicht ohnehin die Möglichkeit zum kostenfreien Wohnen (in ggfs. überobligatorischem Umfang). Eine derartige Fürsorglichkeit ist kein Verbrechen, wie er selbst in der mündlichen Verhandlung zutreffend bemerkt hat. Das geradezu kulturfremde Ausmaß an Verantwortungsgefühl und Mitmenschlichkeit syrischer Flüchtlinge untereinander honoriert das deutsche Grundsicherungsrecht aber nicht. Die deutsche Sozialverwaltung und die deutschen Sozialgerichte sind an die Wertentscheidungen des deutschen Sozialgesetzgebers in § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II i.V.m. §§ 9, 11-13 SGB II gebunden. Sie dürfen Leistungsantragsteller jedweder Herkunft solange nicht als „hilfebedürftig“ erachten, wie besonders anständige, außerordentlich großzügige Mitmenschen den Lebensunterhalt durch freiwillige Zuwendungen sichern. Verfassungsrechtlich begegnet dies gemäß Art. 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes keinen Bedenken. Denn danach verpflichtet Eigentum und sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Es dient indes dem Wohle der Allgemeinheit, wenn besonders solidarische Mitmenschen syrischer Staatangehörigkeit die deutschen Sozialkassen schonen, indem sie die Obdachlosigkeit anderer schutzbedürftiger Menschen aus Syrien jahrelang fast nahtlos dadurch abwenden, dass sie diese kostenfrei bei sich zuhause wohnen lassen und sie mit lebensnotwendigen Gütern versorgen, obwohl der deutsche Gesetzgeber keine derartigen Unterhaltspflichten normiert und die Unterstützer sogar die eigene Obdachlosigkeit vorübergehend in Kauf nehmen.

 

Dass im hier vorliegenden Fall der syrischen Klägerin ein unter Deutschen unübliches Ausmaß zwischenmenschlicher Nächstenliebe und Fürsorge anderer syrischer Menschen mit Fluchthintergrund der Hilfebedürftigkeit der alleinstehenden Klägerin abgeholfen und Sozialleistungen des Jobcenters entbehrlich gemacht hat, kann durch das angerufene Gericht nach dem Ergebnis seiner Beweisaufnahme nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

 

Für das Gericht bestehen indes nicht nur gewichtige Zweifel daran, dass die Klägerin im Zeitraum April 2022 bis April 2023 zivilrechtlich wirksamen (Unter-) Mietzins- bzw. Heiz- und Nebenkostenforderungen ausgesetzt war. Aus Mangel an Beweisen kann sie ebenso wenig für die Zeit vom 01.05.2023 bis zum 31.12.2023 die anspruchsbegründende Berücksichtigung von Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II beanspruchen, obgleich sie sodann bereits unzweifelhaft im DDDDD (in 76149 Karlsruhe) untergebracht war. Auch insofern hält das Gericht es im Ergebnis für nicht ausgeschlossen, dass die diesbezüglichen Urkunden lediglich Geschäfte simulieren, die nie rechtsverbindlich geschlossen, geschweige denn lebenspraktisch vollzogen wurden.

 

Die Klägerin war nach dem richterlichen Dafürhalten nämlich wahrscheinlich auch nicht einer rechtsverbindlichen Verpflichtung zur Zahlung von monatlich 500,- € ausgesetzt aufgrund des wohl am 02.05.2023 unterzeichneten „Mietvertrages“ mit Herrn AAAAAA, der auf Seite 754 ff. der zum Verfahren S 12 AS 1592/23 beigezogenen Verwaltungsakte hinterlegt ist und ihre Unterbringung im DDDDD vom 03.06.2023 bis 31.12.2023 (und darüber hinaus) betrifft.

 

Auch die Unterzeichnung eben dieser Mietvertragsurkunde begründete nicht nachweislich das Zustandekommen eines wirksamen Wohnraummietvertrages. Die Abgabe der Willenserklärungen erfolgte nach dem Dafürhalten der Kammer seitens der Klägerin und seitens ihres Vermieters nämlich möglicher Weise ebenfalls im Wege eines unwirksamen Scheingeschäfts nach § 117 Abs. 1 BGB, um die tatsächlich beiderseits gewollte und nach § 117 Abs. 2 BGB rechtswirksame unentgeltliche Wohnraumüberlassung an die Klägerin zu dissimulieren, die seit ihrem Bezug der Wohnung im Juni 2023 bis Ende desselben Jahres 2023 ununterbrochen praktiziert und wahrscheinlich nur gegenüber dem Beklagten in der Absicht verdunkelt worden ist, von ihm zu Unrecht Leistungen zu beziehen, welche die Klägerin auch in diesem Leistungszeitraum aufgrund der kostenfreien Unterbringungen und geldwerten Zuwendungen durch Angehörige im In- und Ausland (s. o.) nicht benötigte.

 

Auch insofern vermag sich die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im vorliegenden Fall nicht darüber hinwegzusetzen, dass Herr AAAAAA am 18.04.2024 schriftlich ausgeführt hat, dass er seit dem Bezug der von ihm angeblich angemieteten Wohnung im DDDDD während der vorangegangenen zehn Monate keine (Miet-) Zahlung erhalten habe und inzwischen Nachforderungen in Höhe von 5.000,- € gegen die Klägerin erhebe. Seine diesbezügliche Mahnung auf Seite 149 des vom Beklagten (erst während der um 09:00 Uhr eröffneten und um 13:28 Uhr geschlossenen mündlichen Verhandlung um 10:32 Uhr vom Beklagten zur Verfügung gestellten) weiteren Bandes der Verwaltungsakten wurde wahrscheinlich ebenso nur zum Schein abgegeben wie die Mahnungen des Zeugen bzw. (vormaligen „Untervermieters“ bzw.) Mitbewohners wegen der Unterbringung der Klägerin in der CCCCC (vergleiche oben).

 

Die Wohnraumüberlassung an die Klägerin dürfte auch im DDDDD jedenfalls bis 31.12.2023 im Wesentlichen deshalb geschehen sein, weil sich auch der dortige Vermieter verantwortlich dafür fühlte, dass die Klägerin nicht obdachlos wird, und, weil ihr ggfs. eben eine Obdachlosigkeit weiterhin gedroht hätte, falls die für das Jobcenter aufgesetzte Mietervertragsurkunde vom 03.05.2023 tatsächlich praktiziert worden und der Klägerin aufgrund der dauerhaft ausbleibenden Mietzinszahlungen gekündigt worden wäre.

 

Die Aufsetzung der Mietvertragsurkunde vom 03.05.2023 dürfte ebenso maßgeblich durch die Annahme motiviert gewesen sein, durch ihre Vorlage beim Beklagten könnten Tatsachen simuliert werden, die den Beklagten zur Gewährung der von ihm begehrten Leistungen veranlassen würden. Wesentlicher Zweck der Beurkundung vom 03.05.2023 war nach der Beweiswürdigung des Gerichts auch hierbei gerade nicht, tatsächlich Geld bzw. Mietzins- und Heiz- bzw. Nebenkostenzahlungen von der Klägerin zu erhalten, sondern, dass der Beklagte an die Klägerin diesbezügliche Leistungen auszahlt. Etwaigen Einkünften aus der Vermietung der Unterkunft im DDDDD maß auch Herr AAAAAA als dortiger Wohnungsgeber nach richterlichem Ermessen weniger Bedeutung zu als der Vermeidung der Obdachlosigkeit der Klägerin. Dass auch er sich den Angaben der Klägerin gegenüber dem Gericht zufolge besonders verantwortlich fühlte, schlussfolgert das Gericht daraus, dass es sich bei ihm um denselben vermeintlichen Gläubiger handelte, der ihr den Schuldanerkenntnissen der Klägerin vom 15.05.2022 bzw.  13.07.2022 zufolge bereits mehrfach dreistellige Geldbeträge in einer Gesamtsumme von 1.350,- € zugewandt hatte, ohne, dass die Klägerin diese Summen bis zum angeblichen Mietvertragsbeginn im Juni 2023 auch nur teilweise zurückerstattet hätte (vgl. S. 611 des ersten Bandes der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte). Die spätere Wohnraumüberlassung erfolgte auch seinerseits erkennbar nicht aus eigensinnigen wirtschaftlichen Motiven, sondern aus einem respektablen Verantwortungsgefühl, welches selbst dann andauerte, als die Klägerin von Beginn der Nutzung an keinerlei Zahlungen an ihn leisten konnte während ihres dortigen Wohnaufenthaltes, da ihr erst aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 16.04.2024 vom Beklagten erstmalig Leistungen für den Lebensunterhalt unter Berücksichtigung der Unterkunftskosten im DDDDD mit Rückwirkung zum 01.04.2024 gewährt wurden (vgl. Seite 141 des nachgereichten Bandes der Verwaltungsakten des Beklagten). Die Kammer hält es daher für überwiegend wahrscheinlich, dass es jedenfalls ab dem angeblichen Mietvertragsschluss im Mai 2023 bis Ende desselben Kalenderjahres nicht der Begründung eines dauerhaften Rechts auf alleinige Nutzung der Wohnung im DDDDD durch die Klägerin bedurfte. Ein – auch ohne Einhaltung der Schriftform nach § 133, 157 BGB in wirksamer Weise in mündlicher oder stillschweigender Form – geschlossener Vertrag über die unentgeltliche Überlassung von Wohnraum im DDDDD bestand zugunsten der Klägerin von Juni 2023 bis Dezember 2023 auch ohne eine Beurkundung.

 

Nach alldem war die Klägerin im gesamten, hier streitbefangenen Zeitraum vom 01.04.2022 bis zum 31.12.2023 keinen rechtswirksamen (Unter-) Mietvertragsforderungen ausgesetzt und kann die Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II nicht beanspruchen. Da sie überdies Zuwendungen für die Sicherung ihres Lebensunterhalts durch Angehörige im In- und Ausland sowie durch den Zeugen erhielt, deren Höhe in Ermangelung ausnahmslos offengelegter Kontoverbindungen nicht ermittelbar sind, war ihr Lebensunterhalt nicht nachweislich ungedeckt.

 

Ohne in diesem Sinne nachweislich hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II zu sein, konnte die Klägerin insgesamt keine Leistungen vom Beklagten beanspruchen. Dieser durfte ihre Leistungsanträge vom 06.04.2022 bzw. 31.05.2023 im Ergebnis mit den angefochtenen Bescheiden nach §§ 7 ff. SGB II für April 2022 bis Dezember 2023 ablehnen.

 

Für die Entscheidung des Rechtsstreits S 12 AS 1592/22 kommt es daher aus Rechtsgründen nicht auf die Rechtmäßigkeit der vom Beklagten unterdessen erlassenen (drei) Versagungsbescheide (vom 13.01.2021, 30.06.2022 und 01.09.2022) an, sodass hier dahinstehen kann, dass die drei Versagungsbescheide eklatant rechtswidrig waren, weil sie jeweils ohne mündliche Anhörung der (nicht einmal deutschsprachigen) Klägerin erfolgten, jeweils in die Vorvergangenheit zurückwirkten und jeweils keine Ermessenserwägungen zur Auswahl der (hier jeweils maximalen) Versagungsreichweite erkennen lassen (vgl. Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 9. Mai 2023 – S 12 AS 2046/22 –, juris).

 

Die Entscheidung zu den außergerichtlichen Kosten der gerichtskostenfreien Verfahren S 12 AS 1592/22 und S 12 AS 2683/23 folgt aus § 193 SGG und dem Unterliegen der Klägerin.

 

 

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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