Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 24. August 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.
G r ü n d e :
I
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Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung eines der Klägerin von ihrer Mutter zugewandten Geldbetrags als Einkommen.
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Die Klägerin bewohnt ein in ihrem Eigentum stehendes Einfamilienhaus. Sie bezog laufend Alg II vom beklagten Jobcenter. Das Dach des Hauses bedurfte im Jahr 2017 wegen erheblicher Defekte der aus Wellasbestplatten bestehenden Eindeckung einer vollständigen Neueindeckung, nachdem es an mehreren Stellen gleichzeitig zu einem massiven Wassereinbruch gekommen war. Für die Dachreparatur wurden 7125,98 Euro in Rechnung gestellt mit der Zahlungsbestimmung: "Zahlbar bis zum 26. Mai 2017 unter Abzug von 142,52 Euro oder ohne Abzug bis zum 31. Mai 2017". Am 24.5.2017 erhielt die Klägerin von ihrer Mutter 7130 Euro in bar als Geschenk zur "Verwendung für den Dachdecker". Auf der Rechnung des Dachdeckers ist handschriftlich vermerkt "bar erhalten 25. Mai 2017 …". Von den Dachdeckerarbeiten erfuhr der Beklagte im Rahmen eines Ortstermins Anfang Mai 2017.
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Der Beklagte bewilligte der Klägerin Alg II ua für August bis November 2017 (Änderungsbescheid vom 23.6.2017). Er formulierte: "Die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheide vom 07.11.16, 26.11.16, 06.12.16, 22.12.16, 28.02.17, 10.03.17, 22.05.17 werden insoweit aufgehoben. Leistungen … werden für die Zeit vom 01.12.2016 bis 30.11.2017 in folgender Höhe bewilligt: …". Der Beklagte listete die Leistungen für den gesamten Bewilligungszeitraum tabellarisch auf und stellte in der Anlage vollständig die Berechnungen dar. Aufwendungen für die Dachreparatur berücksichtigte er dabei in der Folgezeit nicht.
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Der Beklagte gelangte nach Prüfung der ihm vorliegenden Unterlagen zu dem Ergebnis, dass die Klägerin über keine Vermögenswerte verfüge, die belegten, dass sie die Arbeiten selbst finanzieren könne. Auf die Frage, wer die Dachdeckerarbeiten finanziert habe, habe die Klägerin nicht geantwortet. Er hob mit dieser Begründung die für August bis November 2017 ergangenen Bewilligungsbescheide (unter anderem den Bescheid vom 23.6.2017), gestützt auf § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X, wegen "Wegfall der Hilfebedürftigkeit" ab dem 1.8.2017 auf (Bescheid vom 18.7.2017; Widerspruchsbescheid vom 18.10.2017). Die Klägerin beantragte am 11.9.2017 Alg II als Zuschuss und später als Darlehen. Der Beklagte bewilligte ihr für September bis November 2017 darlehensweise Leistungen (Bescheid vom 5.10.2017).
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Das SG hat die gegen den Bescheid vom 18.7.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2017 gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.9.2019). Das LSG hat den Gerichtsbescheid des SG und den angefochtenen Bescheid aufgehoben (Urteil vom 24.8.2022). Rechtsgrundlage für die Aufhebung seien § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 3 SGB X. Die Aufhebung sei rechtswidrig. Wegen grober Unbilligkeit sei die Zuwendung der Mutter nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Auch habe die Zahlung die Lage der Klägerin nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt seien.
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Mit seiner vom BSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte ua die Verletzung von § 11a Abs 5 SGB II. Zutreffend habe das LSG die Aufhebung nicht auf § 45 SGB X gestützt, weil es sich bei dem Änderungsbescheid vom 23.6.2017 für August bis November 2017 (lediglich) um eine wiederholende Verfügung handele. Der Aufhebungsbescheid sei formell rechtmäßig. Er habe nach § 24 Abs 2 Nr 3 und 5 SGB X von einer Anhörung absehen können, die er ohnehin im Verlauf des Verfahrens nachgeholt habe. Der Bescheid sei auch materiell rechtmäßig. Mit Erhalt von 7130 Euro im Mai 2017 sei eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten. Bei der Zuwendung handele es sich um zu berücksichtigendes Einkommen. Sie sei als einmalige Einnahme iS des § 11 Abs 3 SGB II zu werten, die auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen sei, mithin bis November 2017. Die Zuwendung bleibe auch nicht nach § 11a Abs 5 SGB II unberücksichtigt. Eine sittliche Pflicht der Mutter sei nicht auszuschließen. Eine Anrechnung bei der Klägerin sei nicht grob unbillig, da die Zuwendung denselben Zweck verfolge wie das Alg II bzw zur Deckung des physischen Existenzminimums verwendet werden sollte. Er werde prüfen, in welcher Höhe Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Mai 2017 noch zu bewilligen seien. Im August 2017 sei der Klägerin mehr gezahlt worden als ihr tatsächlich zustehe.
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 24. August 2022 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 26. September 2019 zurückzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
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Die Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Einkommen der Klägerin aus der Zahlung der Mutter ist jedenfalls ab August 2017 nicht zu berücksichtigen.
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1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid des Beklagten vom 18.7.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.10.2017. Mit dem angegriffenen Verwaltungsakt hat der Beklagte die Leistungsbewilligung für August bis November 2017 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.
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Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass der Darlehensbescheid vom 5.10.2017 nicht Gegenstand des Vorverfahrens geworden ist (§ 86 SGG). Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen (§ 24 Abs 4 Satz 2 SGB II idF des Neuntes Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016, BGBl I 1824) sind gegenüber dem Alg II als Zuschuss eine andere Leistung - aliud (vgl LSG Niedersachsen-Bremen vom 25.4.2023 - L 15 AS 19/23 - RdNr 19; zum SGB XII BSG vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R RdNr 11 mwN; BSG vom 11.9.2020 - B 8 SO 3/19 R - SozR 43500 § 102 Nr 4 RdNr 18). Denn ihre Bewilligung ändert den Regelungsgehalt des Aufhebungsbescheids nicht ab, der sich auf den Wegfall der Voraussetzungen des Anspruchs auf Alg II (hier wegen der einmaligen Zahlung) bezieht. Vielmehr ist Gegenstand der Prüfung der Darlehensgewährung, ob die einmalige Einnahme iS von § 24 Abs 4 Satz 2 SGB II vorzeitig verbraucht worden ist und der Bedarf nicht anderweitig iS von § 42a Abs 1 Satz 1 SGB II gedeckt werden kann.
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In zeitlicher Hinsicht sind die Monate August bis November 2017 streitgegenständlich. Der Antrag auf Alg II vom 11.9.2017 begrenzt diesen Zeitraum nicht. Die für eine zeitliche Zäsur maßgeblichen Überlegungen zur Rechtsklarheit und Rechtssicherheit beruhen auf der notwendigen Abgrenzung streitbefangener Zeiträume bei aufeinanderfolgenden Leistungsanträgen. In diesem Fall kann es - abhängig vom Regelungsgehalt der Ablehnungsentscheidungen - erforderlich werden, die zeitlichen Wirkungen eines ersten Antrags unabhängig von der Beendigung des auf diesen Antrag eingeleiteten Verwaltungsverfahrens zu beschränken und dafür an den zweiten Leistungsantrag anzuknüpfen (vgl dazu BSG vom 6.6.2023 - B 4 AS 4/22 R - vorgesehen für BSGE und SozR 44200 § 37 Nr 11, RdNr 37 mwN). Für den auf konkrete Monate einer vorangegangenen Bewilligung bezogenen Aufhebungsbescheid steht indes nicht zu befürchten, dass sich der Streitgegenstand im Verhältnis zu einem verfahrensgegenständlichen Zeitraum eines zweiten Leistungsverfahrens nicht rechtssicher feststellen ließe.
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2. Die im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfenden Sachentscheidungsvoraussetzungen liegen vor. Hinsichtlich der von der Klägerin beantragten Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsakts ist die reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 SGG) statthafte Klageart. Die Berufung war nach § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG zulässig.
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3. Rechtsgrundlage der Aufhebungsentscheidung sind § 40 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Nr 3 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850), § 330 Abs 2 SGB III iVm § 45 Abs 1, Abs 2 bis 4 SGB X. Dies gilt unabhängig davon, ob der Beklagte aufgrund der regelhaft unklaren Bedarfslage im Hinblick auf die Aufwendungen für Unterkunft in einem Eigenheim Alg II hätte vorläufig bewilligen müssen (vgl zur vorläufigen Bewilligung bei ungeklärtem leistungsrelevanten Sachverhalt BSG vom 14.12.2021 - B 14 AS 73/20 R - SozR 44200 § 41a Nr 3 RdNr 15; zur vorläufigen Bewilligung bei schwankendem Einkommen BSG vom 24.6.2020 - B 4 AS 10/20 R - SozR 41300 § 45 Nr 23 RdNr 22).
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§ 48 SGB X kommt als Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Die für eine Aufhebung gemäß § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 SGB X vorausgesetzte nachträgliche wesentliche Änderung der Verhältnisse (vgl zum maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt BSG vom 13.12.2023 - B 7 AS 15/22 R - SozR 4 [vorgesehen] RdNr 12) liegt nicht vor. Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Maßgeblicher "Vergleichsbescheid“ (dazu BSG vom 10.10.2017 - B 12 KR 16/16 R - SozR 42500 § 240 Nr 32 RdNr 13) ist insoweit der Änderungsbescheid vom 23.6.2017.
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Die Zuwendung durch die Mutter im Mai 2017 erfolgte vor Erlass des Änderungsbescheids vom 23.6.2017. Dessen Regelungsgehalt ist anhand des objektiven Empfängerhorizonts auszulegen, wozu das BSG als Revisionsgericht befugt ist (vgl BSG vom 25.10.2017 - B 14 AS 9/17 R - SozR 41300 § 45 Nr 19 RdNr 24; BSG vom 15.2.2023 - B 4 AS 2/22 R - BSGE 135, 237 = SozR 43520 § 3 Nr 7, RdNr 16). Aufgrund des Verfügungssatzes ("Leistungen … werden für die Zeit vom 01.12.2016 bis 30.11.2017 in folgender Höhe bewilligt:"), der erneuten tabellarischen Auflistung aller Leistungen sowie der in der Anlage dargestellten vollständigen Berechnungen hat der Beklagte mit dem Änderungsbescheid vom 23.6.2017 bei verständiger Würdigung aus Sicht der Klägerin vollständig neu über deren Leistungsanspruch entschieden und den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 7.11.2016 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 26.11.2016, 6.12.2016, 22.12.2016, 28.2.2017, 10.3.2017 und 22.5.2017 auch für die Zeit von August bis November 2017 ersetzt (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl zuletzt BSG vom 15.2.2023 - B 4 AS 2/22 R - BSGE 135, 237 = SozR 43520 § 3 Nr 7, RdNr 17). Von diesem Regelungsinhalt ist im Übrigen auch der Beklagte ausgegangen. Sonst hätte es in dem Aufhebungsbescheid vom 18.7.2017 keiner Regelung zum Änderungsbescheid vom 23.6.2017 bedurft. Insoweit kann er nicht im Nachhinein geltend machen, er habe mit dem Änderungsbescheid vom 23.6.2017 lediglich für Juni 2017 entschieden.
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4. Der Aufhebungsbescheid vom 18.7.2017 ist formell rechtmäßig; insbesondere ist die grundsätzlich vor seinem Erlass erforderliche Anhörung nachgeholt worden.
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Anders als der Beklagte meint, konnte von der bei belastenden Verwaltungsakten im SGB II gesetzlich grundsätzlich vorgeschriebenen Anhörung (§ 40 Abs 1 Satz 1 SGB II, § 24 Abs 1 SGB X) der Klägerin nicht von vornherein abgesehen werden. Das gilt auch, wenn der Frage, ob ein Anhörungsfehler vorliegt, seine eigene Rechtsansicht zur Anwendbarkeit des § 48 SGB X als Ermächtigungsgrundlage einer Aufhebungsentscheidung zugrunde gelegt wird (vgl BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 41300 § 45 Nr 12, RdNr 21). Die Klägerin hat erst im Nachhinein ihre Mutter als Geldgeberin benannt und deren Zahlung als Geschenk bezeichnet. Damit lag kein Fall des § 24 Abs 2 Nr 3 SGB X vor, aufgrund dessen die Behörde von den tatsächlichen Angaben der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vom 18.7.2017 nicht abgewichen wäre. Auch die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 24 Abs 2 Nr 5 SGB X waren im Verwaltungsverfahren über die Aufhebung des Bescheids vom 23.6.2017 nicht gegeben. Der Beklagte hat den Aufhebungsbescheid nicht auf eine Anpassung von einkommensabhängigen Leistungen an geänderte Verhältnisse gestützt. Er ist nach der Begründung des Bescheids lediglich davon ausgegangen, die Hilfebedürftigkeit der Klägerin sei entfallen, weil die Finanzierung der Dachdeckerarbeiten nicht habe geklärt werden können (zur Entziehung von Leistungen siehe §§ 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 66 Abs 1 SGB I).
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Wegen dieser vage bleibenden Begründung liegt auch kein Fall vor, in dem die Behörde dem durch einen Verwaltungsakt belasteten Widerspruchsführer während des Widerspruchsverfahrens die Gelegenheit gegeben hat, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern, weil in dem Ausgangsbescheid und den beigefügten Anlagen alle entscheidungserheblichen Tatsachen mitgeteilt worden sind (dazu BSG vom 13.2.2019 - B 6 KA 56/17 R - SozR 45531 Nr 30790 Nr 1 RdNr 15). Letztlich hat der Beklagte aber jedenfalls im Laufe des Verfahrens vor dem SG eine Anhörung nachgeholt, die den Anforderungen der Rechtsprechung des BSG noch genügt (BSG vom 9.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - SozR 41300 § 41 Nr 2 RdNr 17; BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 144/10 R - RdNr 21; BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - BSGE 122, 25 = SozR 41500 § 114 Nr 2, RdNr 19).
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5. Der Aufhebungsbescheid vom 18.7.2017 ist materiell rechtswidrig, weil der Beklagte seinen Bescheid vom 23.6.2017 für August bis November 2017 nicht zurücknehmen durfte. Die Zuwendung war von August bis November 2017 nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Der Änderungsbescheid vom 23.6.2017 hat die Klägerin insoweit nicht rechtswidrig begünstigt, was Voraussetzung einer Rücknahme nach § 45 Abs 1 und 2 SGB X ist.
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Die Klägerin hat durch den zugewendeten Betrag iHv 7130 Euro zwar eine Einnahme in Geld erzielt (dazu 6.). Diese ist in Höhe des dem Dachdecker geschuldeten Betrags nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Der Beklagte hatte die Aufwendungen für den Dachdecker dem Grunde nach als Bedarf für Unterkunft und Heizung zu übernehmen. Leistungen hierfür hat er im Mai 2017 nicht bewilligt, weshalb die Zahlung der Mutter die Lage der Klägerin nicht iS von § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II günstig beeinflusst hat (dazu 7.). Lediglich der die Dachdeckerkosten übersteigende Betrag iHv 146,54 Euro ist als Einkommen zu berücksichtigen. Deshalb durfte eine Anrechnung nur in dieser Höhe und auch nur im Juni 2017 erfolgen (dazu 8.).
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6. Bei dem Geldgeschenk handelt es sich um eine Einnahme iS des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II.
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Als Einkommen zu berücksichtigen sind gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II (idF Gesetzes vom 26.7.2016) Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen. Einkommen ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält (stRspr; vgl BSG vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 44200 § 11 Nr 17 RdNr 23).
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Als Einkommen sind nur solche Einnahmen in Geld anzusehen, die eine Veränderung des Vermögensstandes dessen bewirken, der solche Einnahmen hat. Der Zuwachs muss dem Leistungsberechtigten zur endgültigen Verwendung verbleiben, denn nur dann lässt er seine Hilfebedürftigkeit in Höhe der Zuwendungen dauerhaft entfallen. Insoweit hat das BSG Zuwendungen Dritter aus einem Darlehen, das mit einer Rückzahlungsverpflichtung im Sinne des BGB gegenüber dem Darlehensgeber belastet ist und Zuwendungen Dritter, die eine rechtswidrig vom Grundsicherungsträger abgelehnte Leistung eben wegen der Ablehnung bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes substituieren sollen (BSG vom 16.2.2012 - B 4 AS 94/11 R - SozR 44200 § 11 Nr 48 RdNr 18 mwN), von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen. Die Voraussetzungen der im ersten Fall erforderlichen darlehensweisen Leistungsgewährung und des im zweiten Fall geforderten Zusammenhangs zwischen der Nichtzahlung des Jobcenters und (vorläufig) substituierender Zahlung liegen hier nicht vor.
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Soweit eine echte Zweckschenkung vereinbart gewesen ist, hätte sich die Klägerin zwar bei anderweitiger Verwendung der Mittel unter Umständen einem bereicherungsrechtlichen Anspruch wegen Zweckverfehlung ausgesetzt gesehen (vgl Linsler in jurisPKBGB, 10. Aufl 2023, § 516 RdNr 54, Stand 1.2.2023; zur Abgrenzung gegenüber verwendungsfreien Mitteln BSG vom 11.11.2021 - B 14 AS 41/20 R - SozR 44200 § 11b Nr 14 RdNr 20). § 11a Abs 3 SGB II (idF der Neubekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) belegt jedoch, dass ab dem 1.4.2011 im Hinblick auf zweckgerichtete Einnahmen - unter weiteren Voraussetzungen - eine generelle Freistellung allein für Zweckbestimmungen aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften geregelt werden sollte (Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BTDrucks 17/3404, S 94). Seither können Leistungen Dritter, die nicht nach solchen Vorschriften erbracht werden, insbesondere solche von Privatpersonen oder privaten Institutionen, nur noch nach § 11a Abs 4 oder 5 SGB II von der Berücksichtigung ausgenommen sein (Söhngen in jurisPKSGB II, 5. Aufl 2020, § 11a 1. Überarbeitung RdNr 56 mwN, Stand 14.2.2024).
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7. Die Einnahme ist nach § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit die Kosten der Dachreparatur als Bedarfe iS des § 22 Abs 2 SGB II berücksichtigungsfähig gewesen sind.
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Nach § 11a Abs 5 SGB II (idF vom 13.5.2011) sind Zuwendungen, die ein anderer erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre (Nr 1) oder sie die Lage der Leistungsberechtigten nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären (Nr 2).
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Zutreffend ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, dass die Mutter die Zuwendung erbracht hat, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben.
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Soweit der Beklagte auf eine sittliche Pflicht der Mutter der Klägerin hingewiesen hat, die aus dem Prinzip familiärer Solidarität entspringe, führte die Annahme einer solchen Verpflichtung nicht zur Schenkung in Erfüllung einer sittlichen Pflicht iS des § 11a Abs 5 SGB II. Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine sittliche Verpflichtung nur dann bejaht werden, wenn innerhalb der Beziehung des Zuwendenden zum Zuwendungsempfänger selbst besondere Umstände gegeben sind, die die Zuwendung oder Unterstützung als zwingend geboten erscheinen lassen (BSG vom 13.7.2022 - B 7/14 AS 75/20 R - BSGE 134, 247 = SozR 44200 § 11a Nr 7, RdNr 23). Indes ist eine Unterstützung nicht zwingend geboten, wenn das Kind auf die Unterstützungsleistung der Eltern nicht angewiesen ist, weil es Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat.
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Eine Berücksichtigung der Zuwendung als Einkommen scheidet aus, weil und soweit diese die Lage der Klägerin nicht so günstig beeinflusst, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht mehr gerechtfertigt wären (§ 11a Abs 5 Nr 2 SGB II). Auf das Vorliegen der Voraussetzungen der groben Unbilligkeit (nach § 11a Abs 5 Nr 1 SGB II) kommt es daher nicht an.
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§ 11a Abs 5 Nr 2 SGB II stellt maßgeblich für die Frage, ob die Zuwendung als Einnahme bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu berücksichtigen ist, auf die Höhe der Zuwendung ab. Zu prüfen ist mithin, ob sich Zuwendung und Alg II gegenseitig - im Sinne einer Überkompensation der bestehenden Notlage - so verstärken, dass nach der Lebenssituation zumindest ein Teil des Alg II nicht mehr benötigt wird, Leistungen nach dem SGB II also neben der Zuwendung zumindest zum Teil "nicht gerechtfertigt sind". Erforderlich für diese Beurteilung ist eine wertende Entscheidung, ausgehend von der Höhe der Zuwendung und der für die Sicherung des Lebensunterhalts im Übrigen zur Verfügung stehenden bereiten Mittel. Diese hat sich daran zu orientieren, ob die Nichtberücksichtigung der Zuwendung angesichts ihrer Höhe dem Nachranggrundsatz der SGB IILeistungen (§ 2 Abs 2 SGB II) zuwiderlaufen würde (vgl BSG vom 13.7.2022 - B 7/14 AS 75/20 R - BSGE 134, 247 = SozR 44200 § 11a Nr 7, RdNr 30 ff).
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Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung des § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II zwar Situationen vor Augen, in denen gelegentliche oder regelmäßige Zuwendungen Anderer, die üblich und auch gesellschaftlich akzeptiert sind, ohne Berücksichtigung bei der Feststellung des bedarfsmindernden Einkommens bleiben sollen, wie zB ein monatliches Taschengeld der Großeltern (vgl BTDrucks 17/3404 S 95). Dies schließt aber weder nach dem Wortlaut des § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II, der nicht auf laufende Zahlungen Dritter oder eine bestimmte Höhe solcher Zahlungen abstellt, noch nach seinem Sinn und Zweck (Sicherung des Nachranggrundsatzes) die Wertung aus, dass die Berücksichtigung einer einmaligen Einnahme als Einkommen, der - hypothetisch - ein durch Leistungen nach dem SGB II zu deckender Bedarf in gleicher Höhe gegenüber gestanden hätte, nicht gerechtfertigt ist. So liegt der Fall hier.
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Die Kosten der Dachreparatur haben im Grundsatz einen durch den Beklagten zu deckenden Bedarf der Klägerin nach § 22 Abs 2 SGB II (idF vom 13.5.2011) ausgelöst. Diese zum 1.1.2011 in Kraft getretene Regelung soll eine spezielle Ausformung des Regelfalls der Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft nach § 22 Abs 1 SGB II normieren. Zu berücksichtigen sind Bedarfe von Eigentümern, die mit dem Erhalt der selbstbewohnten Immobilie durch Instandhaltungs- oder Reparaturarbeiten verbunden sind. Dem Grunde nach anerkannt werden als Bedarfe unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum (iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II; dazu ausführlich BSG vom 21.6.2023 - B 7 AS 14/22 R - vorgesehen für BSGE und SozR 44200 § 22 Nr 120, RdNr 25 ff). Wegen der Berücksichtigung der Bedarfe der Höhe nach kommen Leistungen als Zuschuss oder als Darlehen in Betracht.
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Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ist sowohl im Hinblick auf den Grund der Reparatur als auch auf die mit der Ausführung der Reparatur verbundene Höhe der Kosten von unabweisbaren Aufwendungen auszugehen. Das mit Wellasbestplatten belegte Dach des von der Klägerin selbst bewohnten Eigenheims war erheblich beschädigt. Es musste durch Neueindeckung repariert werden. Diese Arbeiten sind in schlichter Ausführung durch einen Dachdecker erfolgt.
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Die einmalige Zahlung der Mutter diente im Wesentlichen der Begleichung der Rechnung des Dachdeckers und insoweit der Deckung eines einmaligen Bedarfs iS des § 22 Abs 2 SGB II, wie die festgestellte Zweckbindung und verwendung belegen. Der Klägerin hätten gegen den Beklagten aus den in dieser Vorschrift geregelten Voraussetzungen Zahlungen in (fast) gleicher Höhe zugestanden. Der Beklagte selbst hat den Bedarf der Klägerin nicht zeitgerecht gedeckt. Die Qualifizierung des Geldgeschenks als Zuwendung und ihre Nichtberücksichtigung nach § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II führt damit nicht zu einer Überkompensation des bei der Klägerin bestehenden Bedarfs, sondern nur zur Bedarfsdeckung im Sinne einer Kompensation. Durch die Nichtberücksichtigung des Geldgeschenks wird die Klägerin zudem nicht anders gestellt als bei Zahlungen Dritter, die wegen einer rechtswidrigen Ablehnung von Grundsicherungsleistungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung erbracht werden und Grundsicherungsleistungen bis zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes vorübergehend substituieren.
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Im Rahmen der nach § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II vorzunehmenden Gerechtfertigkeitsprüfung ist es ohne Bedeutung, ob der Beklagte nach § 22 Abs 2 Satz 1 SGB II den Bedarf zuschussweise oder - weil die unabweisbaren Aufwendungen unter Berücksichtigung der im laufenden und den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen überstiegen hätten - ggf nur durch darlehensweise Leistungen hätte decken müssen. Darauf kann es bei der vorliegend gebotenen retrospektiven Betrachtung nach einem im Wege der Selbsthilfe gedeckten Bedarf nicht ankommen.
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Aus der erstmals in der mündlichen Verhandlung aufgestellten Behauptung des Beklagten, er prüfe von Amts wegen seit Bekanntwerden möglicher Bedarfe für die Dachreparatur deren Berücksichtigung, weshalb eine Entscheidung des Senats zugunsten der Klägerin zu seiner Doppelbelastung führe, ergibt sich nichts anderes. Die Bedarfe der Klägerin sind durch die Zahlung der Mutter im Monat der Fälligkeit der Forderung des Dachdeckers gedeckt worden (vgl BSG vom 18.2.2010 - B 14 AS 74/08 R - SozR 44200 § 22 Nr 31 RdNr 17). Insoweit liegt keine Hilfebedürftigkeit vor (vgl § 9 Abs 1 2. Halbsatz SGB II). Im Übrigen folgt aus der bloßen Prüfung noch keine Bedarfsdeckung und aus der der Klage stattgebenden Entscheidung des Senats auch keine Doppelbelastung.
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8. Soweit die Zahlung der Mutter die Aufwendungen für die Reparatur des Daches übersteigt, unterliegt sie nicht der Privilegierung des § 11a Abs 5 Nr 2 SGB II. Das betrifft den Differenzbetrag zwischen der Forderung des Dachdeckers (bei Zahlung - wie hier - bis zum 26.5.2017: 6983,46 Euro) und dem geschenkten Betrag iHv 7130 Euro, mithin 146,54 Euro. Diese einmalige Einnahme wäre aufgrund § 11 Abs 3 Satz 3 SGB II (idF des Gesetzes vom 26.7.2016, BGBl I 1824) - allein - im Folgemonat des Zuflusses, also im nicht verfahrensgegenständlichen Monat Juni 2017 zu berücksichtigen. Ausgehend von bislang für diesen Monat bewilligten 681,95 Euro spricht nichts dafür, dass eine Aufteilung auf einen Zeitraum von sechs Monaten (§ 11a Abs 3 Satz 4 SGB II idF des Gesetzes vom 26.7.2016, BGBl I 1824) vorzunehmen gewesen ist.
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9. Dass der Beklagte im Revisionsverfahren vorgebracht hat, im August 2017 habe die Klägerin über andere Einnahmen verfügt, macht eine Aufhebung und Zurückverweisung des Rechtsstreits zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts nicht erforderlich. Die Rüge der Verletzung von § 103 SGG genügt nicht den Anforderungen an eine Sachaufklärungsrüge. Notwendig hierfür wäre eine Darlegung gewesen, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann. Der Revisionskläger muss dafür nicht nur im Einzelnen die zu ermittelnden Tatsachen bezeichnen, sondern darüber hinaus darlegen, wann und in welcher Form er diese Tatsachen in der Berufungsinstanz so vorgebracht hat, dass sich das LSG aufgrund des Berufungsvorbringens zu einer weiteren Tatsachenermittlung hätte gedrängt fühlen müssen. Zu den erforderlichen Darlegungen der Rüge gehört es auch, konkrete Beweismittel zu benennen, deren Erhebung sich dem LSG hätte aufdrängen müssen (BSG vom 12.9.2019 - 9 V 2/18 R - BSGE 129, 87 = SozR 47190 § 4 Nr 1, RdNr 32). Daran fehlt es hier.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.