L 15 U 374/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 16 U 316/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 374/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

 

Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 02.08.2022 geändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 17.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2020 verurteilt, das Ereignis vom 29.01.2020 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 

Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

 

Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

 

Der im Jahre 00.00.0000 geborene Kläger war als Fräser bei einem Unternehmen in D. beschäftigt. Am 29.01.2020 musste er während seiner Arbeitstätigkeit einen ca. 34 kg schweren Magneten in einen Kran einhängen, was der Kläger seinen Angaben nach schon mehrfach durchgeführt hatte. Hierzu musste der Magnet zum Kran bewegt und daher angehoben werden. Der Kläger hob den Magneten zunächst mit beiden Händen an. Dann musste er die rechte Hand lösen, um die Sicherheitsvorrichtung an dem Kran-Haken zu bedienen. Dabei verspürte er ein Reißen und einen starken Schmerz im linken Arm und im Anschluss eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung.

 

Der Durchgangsarzt Y. im Krankenhaus H. diagnostizierte noch am Unfalltag eine Ruptur der distalen Bizepssehne. Diese Diagnose wurde ausweislich des Durchgangsarztberichtes aus dem V. in Ü. vom 30.01.2020 durch J. am Folgetag nach Durchführung einer Sonographie bestätigt. Beide Durchgangsärzte sahen jedoch die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls als nicht erfüllt an und gaben an, es erfolge eine Heilbehandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Bizepssehnenruptur wurde am 05.02.2020 operativ versorgt. Laut des histologischen Befundes vom 07.02.2020 zeigte sich ein Zustand nach frischer distaler Bizepssehnenruptur mit Ödem und frischen Einblutungen sowie beginnenden frischen Nekrosen der randlich mitgefassten und frisch eingebluteten Skelettmuskulatur.

 

Am 12.03.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung des Ereignisses vom 29.01.2020 als Arbeitsunfall. Auf Nachfrage der Beklagten machte der Kläger im Rahmen eines Fragebogens am 04.04.2020 weitere Angaben. Hier bestätigte der Kläger nochmals, dass er mit dem betroffenen Arm einen Gegenstand mit einem Gewicht von etwa 25-30 kg gehoben habe. Der Magnet habe etwa 3 m zu einem Kran gebracht werden sollen, da der Kran nicht bis über den Magneten gefahren werden könne.

 

Mit Bescheid vom 17.04.2020 lehnte es die Beklagte ab, das Ereignis vom 29.01.2020 als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anzuerkennen. Definitionsgemäß sei ein Unfall ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis. Schon daran fehle es im Falle des Klägers. Vielmehr habe es sich um einen arbeitsüblichen Vorgang gehandelt.

 

Binnen Monatsfrist legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2020 zurückwies.

 

Am 07.09.2020 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Köln erhoben. Er hat darauf hingewiesen, dass er sich den Gesundheitsschaden unmittelbar bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit zugezogen habe. Hinzu komme, dass der Magnet ein nicht unerhebliches Gewicht von 25-30 kg gehabt habe. Der Sehnenriss stünde auch nicht in einem Zusammenhang mit altersbedingtem Verschleiß.

 

Der Kläger hat beantragt,   

 

1. den Bescheid der Beklagten vom 17.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.08.2020 aufzuheben,

 

2. festzustellen, dass der Sehnenriss am linken Arm des Klägers vom 29.01.2020 beim Anheben eines schweren Magneten, um diesen in einen Kran einzuhängen, in der Werkstatt H., E.-straße als Arbeitsunfall anzusehen ist,

 

3. die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die medizinische Behandlung des Klägers aufgrund dieses Arbeitsunfalls vom 29.01.2020 zu übernehmen sowie dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 % zu gewähren.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Sie hat die von ihr getroffenen Entscheidungen für rechtmäßig gehalten.

 

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Chirurgie und Unfallchirurgie F.. Dieser hat ausgeführt, die zweifelsfrei eingetretene Ruptur der körperfernen Bizepssehne sei bei einer Belastung von ca. 30 kg durch die physiologische Belastung des willentlichen Zugspannungsaufbaus der Muskulatur erfolgt. Der Muskel passe sich prinzipiell der geforderten Belastung an und die Ursache des Sehnenrisses sei somit bedingt durch eine innere Gewebefügestörung. Eine unphysiologische Belastung als Voraussetzung einer Sehnenruptur hätte nicht vorgelegen. Die im vorliegenden Fall durch eine fehlende histologische Untersuchung nicht zu bestätigende vorbestehende Texturstörung der Sehnenmatrix müsse nicht histologisch bewiesen werden und stelle somit nicht eine Krankheit im Rechtssinne dar. Das Anheben eines schweren Gegenstandes und plötzlicher Schmerz sei der lehrbuchmäßige nicht geeignete Unfallmechanismus für die distale Bizepssehnenruptur. Die Ruptur hätte beim Kläger auch bei üblichen Verrichtungen des täglichen Lebens ohne einen besonderen Anlass etwa zur selben Zeit eintreten können.

 

Gegen das Gutachten hat der Kläger eingewandt, dass eine Vorschädigung der konkreten Sehne als Schadensanlage vom Sachverständigen nicht explizit festgestellt worden sei. Das Anheben einer geringen Last, etwa einer Wasser- oder Bierkiste, sei nicht vergleichbar mit dem von ihm getragenen schweren Magneten.

 

Der Sachverständige F. ist in einer ergänzenden Stellungnahme vom 19.03.2021 bei seiner Einschätzung verblieben.

 

Das Sozialgericht hat mit Gerichtsbescheid vom 02.08.2022 die Klage gestützt auf das Gutachten von F. abgewiesen. Das vom Kläger geschilderte Ereignis sei bereits nicht geeignet gewesen, eine nicht ohnehin bereits maßgeblich vorgeschädigte Bizepssehne im Sinne einer wesentlichen Bedingung zum Zerreißen zu bringen. Zwar habe der Gutachter nicht explizit eine Vorschädigung der linken distalen Bizepssehne festgestellt, doch gehöre der Kläger vom Lebensalter her zur Gruppe der Personen, die grundsätzlich am häufigsten von entsprechenden Rupturen betroffen seien. Auch die Rupturstelle sei typisch für verschleißbedingte Rupturen. Das Ereignis sei auch im konkreten Fall des Klägers grundsätzlich beliebig austauschbar. Das Gewicht des Magneten sei in keiner Weise herausragend.

 

Der Kläger hat gegen den seiner Bevollmächtigten am 08.08.2022 zugestellten Gerichtsbescheid am 08.09.2022 Berufung eingelegt. Im Berufungsverfahren hat er sein Begehren auf die Anerkennung des Ereignisses vom 29.01.2020 als Arbeitsunfall begrenzt, nachdem die Beklagte zugesagt hatte, im Falle eines Erfolgs des Klägers im Berufungsverfahren den vom Kläger für die verordnete Krankengymnastik geleisteten Eigenanteil diesem zu erstatten. Zur Begründung seiner Berufung weist der Kläger im Wesentlichen nochmals darauf hin, dass anlagebedingte Vorschäden der Bizepssehne bei ihm nicht belegt seien.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 02.08.2022 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2020 zu verurteilen, das Ereignis vom 29.01.2020 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte hält das Urteil des Sozialgerichts Köln für zutreffend.

 

Der Senat hat Befundberichte sowie nach § 106 SGG ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie G. eingeholt. G. hat ausgeführt, es sei mit einem sehr hohen Grad der Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das Ereignis für die Ruptur der Bizepssehne wirkursächlich gewesen sei, dies zeige auch der histologische Befund mit frischen Schädigungszeichen der Sehne. Hinsichtlich der Frage, ob es sich bei dem in Frage stehenden Ereignis um eine wesentliche Teilursache gehandelt habe, hat G. darauf hingewiesen, dass zwar der Operateur degenerative Veränderungen des die Sehnen umgebenden Gewebes und des körperfernen Sehnenstumpfes beschrieben habe, der sehr viel spezifischere histologische Befund jedoch keine degenerativen Veränderungen gezeigt habe. Für die Wesentlichkeit des Ereignisses spreche, dass es bei diesem zu einer Belastung der Sehne gekommen wäre und schwerwiegende konkurrierende Ursachen nicht festgestellt worden seien. Demnach ließe sich nicht nachweisen, dass der Sehnenschaden soweit fortgeschritten gewesen sei, dass es in etwa zur gleichen Zeit aufgrund anderer alltäglicher Einwirkungen ebenfalls zu einer Sehnenruptur gekommen wäre. Gegen die Wesentlichkeit spreche allerdings, dass es zu einer unphysiologischen Belastung der Sehne bei dem vom Kläger beschriebenen Vorgang nicht gekommen sei, da es an einer überraschenden, die Sehne gefährdenden Besonderheit, also einem Störfaktor, der die physiologischen Schutzmechanismen habe außer Kraft setzen können, fehlte. Aus medizinisch-sachverständiger Sicht lasse sich die gedeckte Zusammenhangstrennung ohne die Annahme schwerwiegender körpereigener Ursachen nicht erklären. Dies spreche schwerwiegend dafür, dass die Schädigungsbereitschaft der Sehne bereits so weit fortgeschritten gewesen sei, dass auch das Anheben einer anderen Last ohne besondere Umstände zu einer Sehnenruptur geführt hätte.

 

Der Präventionsdienst der Beklagten hat auf Anforderung des Senates Ermittlungen zum Gewicht des vom Kläger angehobenen Magneten durchgeführt und für einen baugleichen Magneten ein Gewicht von 34,2 kg ermittelt.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

 

Das Sozialgericht hat zu Unrecht die auf die Anerkennung des Ereignisses vom 29.01.2020 als Arbeitsunfall gerichtete Klage abgewiesen. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, auf die der Kläger sein Begehren im Berufungsverfahren in Übereinstimmung mit § 153 Abs. 1 i. V. m. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG umgestellt hat, ohne dass eine Klageänderung vorliegt, ist zulässig und begründet.

 

Soweit der Kläger mit seiner Klage im erstinstanzlichen Verfahren auch die Gewährung von Kosten der Heilbehandlung und eine Verletztenrente geltend gemacht hat, verfolgt er diese Begehren im Berufungsverfahren nicht mehr weiter.

Der Kläger ist durch den Bescheid vom 17.04.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.08.2020 im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, da diese Bescheide rechtswidrig sind. Der Kläger kann von der Beklagten beanspruchen, dass das Ereignis vom 29.01.2020 als Arbeitsunfall anerkannt wird.

 

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2020 - B 2 U 2/18 R -, juris m.w.N.). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale „versicherte Tätigkeit", „Verrichtung zur Zeit des Unfalls", „Unfallereignis" sowie „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden" im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Möglichkeit (vgl. BSG, Urt. v. 02.04.2009 - B 2 U 30/07 R -, juris Rn. 16 m.w.N.).

 

Bei dem Ereignis vom 29.01.2020 handelt es sich um einen Unfall im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII.

 

Der Kläger ging am 29.01.2020 beim Anheben eines 34 kg schweren Magneten im Rahmen seiner Beschäftigung einer versicherten Tätigkeit gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII nach, bei der es zu einer Einwirkung von außen auf seinen Körper kam.

 

Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesundheitsschäden zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aus inneren Ursachen sowie zu absichtlichen Selbstschädigungen (vgl. BSG, Urt. v. 15.05.2012 - B 2 U 16/11 -, juris Rn. 16). Eines außergewöhnlichen Vorgangs bedarf es insoweit nicht. Vielmehr genügt jedes Ereignis, bei dem ein Teil der Außenwelt auf den Körper einwirkt (vgl. BSG, Beschl. v. 06.10.2020 - B 2 U 127/20 B -, juris Rn. 9).

 

Demnach kam es bei dem hier zu beurteilenden Ereignis zu einer Einwirkung von außen auf den Körper des Klägers durch das Gewicht des Magneten, das unter anderem zu einer Belastung der Bizepssehne geführt hat. Dass der Kläger eine willentlich gesteuerte Bewegung ausgeführt hat, ist insoweit unerheblich.

 

Da die Belastung der Bizepssehne unzweifelhaft durch die versicherte Tätigkeit verursacht wurde, ist auch das Erfordernis der Unfallkausalität zwischen der versicherten Tätigkeit und der äußeren Einwirkung erfüllt.

 

Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats am 29.01.2020 einen Gesundheitsschaden in Form der Ruptur der distalen Bizepssehne links erlitten. Diese Verletzung wurde aufgrund der klinischen Untersuchung bereits am Unfalltag durch den Durchgangsarzt diagnostiziert, zeigte sich am Folgetag in der Sonographie und wurde intraoperativ bestätigt.

 

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts und der Beklagten ist auch die haftungsbegründende Kausalität bzw. der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Ruptur der distalen Bizepssehne gegeben. 

 

Für die erforderliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs (haftungsbegründende und/oder haftungsausfüllende Kausalität) zwischen dem Unfallereignis und den festgestellten Gesundheitsstörungen gilt die Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. u. a. BSG, Urt. v. 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R -, juris Rn. 12 m.w.N.).

 

Diese Kausalitätsprüfung erfordert zunächst die Ermittlung der objektiven - naturwissen-schaftlichen - Verursachung, bei der es darauf ankommt, ob die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden eine Ursache war (BSG, Urt. v. 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - juris Rn. 33 ff.). Ursachen in diesem Sinne sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Ursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (grundlegend BSG, Urt. v. 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, juris Rn. 55 ff.; BSG, Urt. v. 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R -, juris Rn. 33 ff.). Dies schließt die Prüfung mit ein, ob ein Ereignis nach medizinisch-wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen und welche Vorerkrankungen/Schadensanlagen ggfls. bestanden haben, die nach den genannten wissenschaftlichen Kriterien ebenfalls geeignet sind, die geltend gemachte Gesundheitsstörung zu bewirken (BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 17). Die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit eines naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs zwischen Gesundheitsschaden und einem Unfall ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernstliche Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden (vgl. BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 20).

 

Steht fest, dass neben der versicherten auch eine konkurrierende, nicht versicherte Ursache das Unfallereignis objektiv kausal (mit-)bewirkt hat, ist auf der 2. Stufe juristisch zu entscheiden, welche der Ursachen rechtserheblich nach der Theorie der wesentlichen Bedingung gewesen sind. Selbst wenn eine versicherte Verrichtung als Ursache für einen Gesundheitsschaden feststeht, muss auf der 2. Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der 1. Stufe festgestellten weiteren mitwirkenden nicht versicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr sein. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der „Wesentlichkeit“ der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch die Verrichtung ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Andere nicht versicherte Mitursachen können die rechtliche Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die nicht versicherten (Mit-)Ursachen das Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass sie die versicherte Ursache verdrängen, weil sie überragende Bedeutung haben, so dass der Schaden „im Wesentlichen“ rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des jeweiligen Versicherungstatbestandes unterfällt. Die versicherten und die auf der 1. Zurechnungsstufe festgestellten nicht versicherten Ursachen und ihre Mitwirkungsanteile sind in einer rechtlichen Gesamtbeurteilung anhand des zuvor festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten (vgl. zum Ganzen BSG, Urt. v. 06.05.2021 - B 2 U 15/19 R -, juris Rn. 21 m.w.N.). Kriterien zur Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache bei medizinischen Sachverhalten sind die versicherte Ursache als solche hinsichtlich Art und Stärke, einschließlich des zeitlichen Ablaufs, die konkurrierende(n) Ursache(n) hinsichtlich Art und Stärke, Krankheitsbild und Krankengeschichte, also die weitere Entwicklung und mögliche Vorgeschichte (siehe hierzu statt vieler BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 15 f. m.w.N.). Für die zur Beurteilung der Wesentlichkeit der versicherten Ursache erforderliche Abwägung zwischen der versicherten Ursache und der nichtversicherten Ursache ist zu beachten, dass „wesentlich" nicht gleichzusetzen ist mit „gleichwertig" oder „annähend gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat und als rechtlich allein wesentliche Ursache anzusehen ist. Eine naturwissenschaftliche Ursache, die nicht als wesentlich anzusehen ist und damit keine Ursache im Sinn der Theorie der wesentlichen Bedingung ist, kann als Gelegenheitsursache bezeichnet werden (vgl. BSG, Urt. v. 30.01.2007 - B 2 U 23/05 R -, juris Rn. 18). Dies ist namentlich dann der Fall, wenn eine Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte (vgl. BSG, Urt. v. 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 15 m.w.N.). Die objektive Beweis- und Feststellungslast für das Vorliegen einer konkurrierenden Ursache, die die versicherte Ursache verdrängt, trägt dabei die Beklagte, weil es für diese günstig ist, wenn die nicht versicherte Ursache gegenüber der versicherten Ursache von überragender Bedeutung ist und kein Arbeitsunfall vorliegt (BSG, Urt. v. 30.01. 2007 - B 2 U 23/05 R -, juris Rn. 26). Dies gilt auch für das Ausmaß einer konkurrierenden Ursache als Voraussetzung für die Beurteilung einer überragenden Bedeutung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 23.04.2015 - L 10 U 5600/13 -, juris Rn. 31, 36 m.w.N).

 

Ausgehend von diesen Grundsätzen war das Anheben des Magneten durch den Kläger wesentlich ursächlich für die Ruptur der distalen Bizepssehne am linken Arm.

 

Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass das Anheben des Magneten eine Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne für die Ruptur der distalen Bizepssehne war. Diese Belastung kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der in diesem Zeitpunkt eingetretene Gesundheitsschaden entfiele. Wie der Sachverständige G. überzeugend ausführt, ist hochwahrscheinlich, dass die Ruptur beim Anheben des Magneten eingetreten ist. Hierfür spricht das Verhalten des Klägers, der vor dem Ereignis seiner Arbeitstätigkeit nachgehen konnte und danach sofort die Arbeit einstellen musste, und belegt auch der histologische Befund, der frische Schädigungszeichen der Sehne im Sinne einer traumatischen Verletzung beschreibt. Im Übrigen zeigten sich unmittelbar nach dem Ereignis die klinischen Zeichen einer Ruptur der distalen Bizepssehne.

 

Das Heben des Magneten ist auch wesentlich kausal für den eingetretenen Gesundheitsschaden. Dabei geht der Senat zwar davon aus, dass degenerative Veränderungen der Sehne mitursächlich für die eingetretene Ruptur waren, jedoch ist diesen keine überragende Bedeutung zuzumessen. Bei den gegebenen Umständen ist das Unfallereignis nicht als bloße Gelegenheitsursache zu bewerten.

 

Zur Überzeugung des Senats bestanden zum Zeitpunkt des Unfallereignisses degenerative Veränderungen der distalen Bizepssehne des Klägers, die die Ruptur der Sehne begünstigt und damit im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne mitverursacht haben. Dies ergibt sich für den Senat aus den intraoperativ erhobenen Befunden sowie dem Unfallhergang.

 

Ein Beleg für anlagebedingte Texturstörungen ergibt sich zunächst aus dem Bericht zur operativen Refixation der Sehne am 05.02.2020, in dem der Operateur degenerative Veränderungen, unter anderem am Sehnenstumpf beschreibt. Für die Annahme, dass Texturstörungen der Sehne die Ruptur begünstigt haben, spricht weiterhin, dass nach gängiger medizinischer Lehrmeinung das willentlich gesteuerte Anheben einer Last keinen „geeigneten Unfallmechanismus“ für eine Zusammenhangstrennung der distalen Bizepssehne darstellt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 429). Diese Auffassung beruht auf der Überlegung, dass körpereigene Schutzmechanismen verhindern, dass bei willentlicher bewusster Kraftanstrengung Kräfte aufgewendet werden, die die Sehne zerreißen. Ausgehend hiervon werden als geeignete Unfallmechanismen überraschende, unphysiologische Belastungen der Sehne, die zu einer passiven Dehnungsbelastung führen, angesehen (zu Beispielen geeigneter Unfallmechanismen: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 429). Solche Belastungen sind geeignet, auch eine „gesunde“ Sehne zum Zerreißen zu bringen. Bei Vorliegen eines solchen Unfallmechanismus ist nach der dargestellten medizinischen Lehrmeinung daher im Regelfall davon auszugehen, dass unabhängig von etwaigen Texturstörungen das Unfallereignis die wesentliche Ursache darstellt, da auch eine nicht degenerativ veränderte Sehne unter dieser Belastung gerissen wäre. Eine insoweit vergleichbare Belastung der Sehne lässt sich bei dem vorliegenden Unfallereignis jedoch nicht feststellen, wie der Sachverständige G. schlüssig ausgeführt hat. Da somit kein Mechanismus nachgewiesen ist, der auch eine „gesunde“ Sehne zum Zerreißen bringen würde, ist davon auszugehen, dass bestehende Texturstörungen die Rissbereitschaft der Sehne erhöht haben, zumal der Kläger mit 00 Jahren den Sehnenriss in einem Alter erlitten hat, in dem Texturstörungen der Sehnenmatrix mit zunehmender Häufigkeit festgestellt werden (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 428).

 

Die Tatsache, dass eine Vorschädigung der Bizepssehne den Gesundheitsschaden mitverursacht hat, führt auf der 2. Stufe der Kausalitätsprüfung jedoch nicht dazu, die Wesentlichkeit des Unfallereignisses zu verneinen. Der Vorschädigung kommt gegenüber dem Unfallereignis keine überragende Bedeutung zu, da sich beim Kläger eine altersvorauseilende Schädigung der ruptierten Bizepssehne im Zeitpunkt des Unfallereignisses nicht mit Sicherheit feststellen lässt. Entsprechend lässt sich auch eine Rissbereitschaft der Sehne in einem Ausmaß, dass auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit den Gesundheitsschaden ausgelöst hätte, nicht belegen. 

 

Ausgehend von dem im Unfallversicherungsschutz geltenden Grundsatz, wonach der Versicherte jeweils in seinem individuellen gesundheitlichen Zustand im Zeitpunkt des Unfallereignisses geschützt ist, kann eine vorbestehende altersentsprechende Degeneration nicht zur Verneinung der wesentlichen Mitursächlichkeit des Unfallereignisses führen, sondern allenfalls eine altersvorauseilende Schädigung (vgl. Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, 3. Ergänzungslieferung 2024, § 8 SGB 7, Rn. 298; dies andeutend BSG, Beschl. v. 06.10.2020 - B 2 U 127/20 B -, juris Rn. 9; unter Verweis auf § 2 AGG Jubel/Mülheims, Altersdiskriminierung in der gesetzlichen Unfallversicherung: Problematik der Schadensanlage bei älteren Menschen, Med Sach 02/2017, S. 57 ff.). Würde andernfalls bereits in altersentsprechenden Texturstörungen eine Konkurrenzursache gesehen werden, die die Kausalität der versicherten Einwirkung ausschließt, würde der Unfallversicherungsschutz mit zunehmendem Lebensalter allein aufgrund des üblichen altersbedingten Verschleißes eingeschränkt werden, was Sinn und Zweck des Unfallversicherungsschutzes widerspricht. Der beim Kläger bestehenden Vorschädigung der Sehne könnte demnach gegenüber der versicherten Einwirkung von vornherein nur dann überragende Bedeutung zu kommen, wenn das Ausmaß der Texturstörung im Sinne einer altersvorauseilenden Degeneration vollbeweislich gesichert wäre. Der Maßstab des Vollbeweises gilt nicht nur für die Krankheitsanlage selbst, sondern auch hinsichtlich ihres Ausmaßes (BSG, Urt. v. 06. 12.1989 - 2 RU 7/89 -, juris Rn. 14).

 

Eine altersvorauseilende Schädigung der gerissenen Bizepssehne im Zeitpunkt des Unfallereignisses bzw. eine Rissbereitschaft der Sehne in einem Ausmaß, dass auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit den Gesundheitsschaden ausgelöst hätte, steht für den Senat jedoch nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest. Aufgrund des unauffälligen histologischen Befundes verbleiben erhebliche Zweifel an einem entsprechenden Vorschaden, so dass auch unter Berücksichtigung des Unfallhergangs die Wesentlichkeit der versicherten Einwirkung bzw. des Unfallereignisses und damit der erforderliche Ursachenzusammenhang zu bejahen ist.

 

Wie der Sachverständige G. schlüssig ausführt, ergibt sich aus den medizinischen Befunden kein Nachweis für schwerwiegende bzw. altersvorauseilende Texturstörungen. Aus den Angaben im Operationsbericht zu degenerativen Veränderungen können keine Rückschlüsse auf das genaue Ausmaß der Texturstörung gezogen werden und in dem spezifischeren histologischen Befund haben sich nach Beurteilung durch den Sachverständigen G. keine die Altersnorm übersteigenden degenerativen Veränderungen gezeigt. Aus der allgemeinen Erkenntnis, dass die beim Kläger bestehende Blutzuckererhöhung sich auf den Sehnenstoffwechsel auswirken kann, folgt ebenfalls nicht, dass dies tatsächlich zu einer schwerwiegenden Schädigung der Sehne geführt hat.

 

Weiterhin kann der Senat auch aus dem Unfallhergang nicht die Überzeugung gewinnen, dass altersvorauseilende, die Rissbereitschaft der Sehne auch bei alltäglichen Verrichtungen begründende Texturstörungen vorhanden waren. Zwar ist in dem vom Kläger beschriebenen Bewegungsablauf keine überraschende, unphysiologische Belastung der distalen Bizepssehne erkennbar, die auch unabhängig von einer Vorschädigung zum Zerreißen der Sehne geführt hätte. Doch ergibt sich für den Senat hieraus nicht zwingend im Umkehrschluss, dass bei dennoch eingetretener Ruptur bereits altersvorauseilende Texturstörungen bestanden haben müssen. Der Sachverständige G. führt zwar aus, aus medizinisch-sachverständiger Sicht lasse sich mangels unphysiologischer Belastung der Sehne die gedeckte Zusammenhangstrennung ohne die Annahme schwerwiegender körpereigener Ursachen nicht erklären, doch lässt sich den medizinischen Erkenntnissen eine gesicherte Korrelation zwischen Bewegungsablauf und Ausmaß der Sehnenschädigung bei Ruptur der Sehne ohne „geeigneten Unfallmechanismus“ nicht entnehmen. Dies würde voraussetzen, dass der Ruptur der Sehne bei bestimmten Belastungen ein bestimmtes Ausmaß der Degeneration zugeordnet werden könnte. Hierfür bestehen aber keine belastbaren Anhaltspunkte, darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass nach den dokumentierten Angaben des Klägers, an denen der Senat keine Zweifel hat, die Sehne des Klägers gerissen ist, als der Kläger den ca. 34 kg schweren Magneten allein mit der linken Hand gehoben bzw. gehalten hat. Das Heben oder auch Halten eines solchen Gewichtes mit einer Hand übersteigt deutlich alltägliche Belastungen, wenn berücksichtigt wird, dass ein Kasten Wasser mit gefüllten Glasflaschen (0,7 l) ein Gewicht von ca. 17 kg hat. Es ist nicht davon auszugehen, dass es zu den alltäglichen Verrichtungen eines Durchschnittsversicherten gehört, zwei gefüllte Wasserkästen mit einer Hand zu tragen. Demnach ergibt sich insoweit aus dem Unfallhergang kein Indiz dafür, dass die Bizepssehne des Klägers auch bei alltäglichen Verrichtungen etwa zu gleicher Zeit gerissen wäre. Dass der Kläger nach eigenen Angaben vor dem Unfallereignis bereits mehrfach den Magneten mit einer Hand angehoben hat, ohne sich zu verletzen, führt nicht dazu, diesen Vorgang als alltägliche Verrichtung im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung zu behandeln. Hinsichtlich der Alltäglichkeit sind die Umstände bei einem Durchschnittsversicherten und nicht die bei dem betroffenen Versicherten maßgebend, weil es um ein Indiz für die Beurteilung des Schweregrads der vorbestehenden Vorschädigung geht, für den die Häufigkeit derartiger Betätigungen gerade bei dem betroffenen Versicherten unwesentlich ist (vgl. Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, 3. Ergänzungslieferung 2024, § 8 SGB 7, Rn. 300; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 03.04.2015 - L 10 U 5600/13 -, juris Rn 40).  

 

Die Kostenentscheidung folgt aus §§193, 183 SGG.

 

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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