Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Oktober 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1966 geborene Kläger hat eine abgeschlossene Berufsausbildung als Landwirt und Winzer, war zuletzt als Radladerfahrer versicherungspflichtig beschäftigt und anschließend als Hausmeister in geringfügigem Umfang tätig. Seit dem 19.03.2018 ist der Kläger arbeitslos. Ab dem 06.05.2018 lag Arbeitsunfähigkeit infolge einer Schenkelhalsfraktur vor. Aus der daran anschließenden medizinischen Rehabilitation vom 24.05. bis 21.06.2018 im T1 Gesundheitszentrum B1 wurde er ausweislich des Reha-Entlassungsberichts vom 27.06.2018 mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr sowohl für die letzte Tätigkeit als Radladerfahrer (bzw. nebenerwerblich als Landwirt) als auch für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entlassen.
Ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 06.11.2018 gelangte ebenfalls zu dem Ergebnis, es liege ein positives Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten überwiegend im Stehen und Gehen sowie ständig im Sitzen in allen Arbeitsorganisationen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden und mehr täglich vor. Ein negatives Leistungsbild bestehe für bewegungsbezogene Funktionen: Keine ausschließlichen Geh- und Stehbelastungen, kein tiefes Sitzen, kein Gehen auf unebenem Gelände, Besteigen von Leitern und Gerüsten, häufiges Treppensteigen. Es liege auch keine Gefährdung der Erwerbsfähigkeit vor.
Am 08.11.2019 beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Auf Veranlassung der Beklagten wurde er orthopädisch durch M1 begutachtet. Ausgehend von den Diagnosen rezidivierende Lumboischialgien beidseits, Status nach Wirbelkörperfrakturen LWK 1/2 mit deutlichen degenerativen LWS-Veränderungen, Status nach Schenkelhalsfraktur links, osteosynthetisch versorgt mit befriedigender Hüftgelenksfunktion sowie chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren gelangte M1 im Gutachten vom 16.01.2020 zu der Einschätzung, die letzte Tätigkeit als Radlagerfahrer sei nicht mehr leidensgerecht, jedoch seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne sehr schweres Heben und Tragen, ohne lang dauernde Wirbelsäulenzwangshaltungen, im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen noch vollschichtig zumutbar. Eine Wegstrecke von 1-2 km am Stück sei zumutbar.
Mit Bescheid vom 30.01.2020 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers ab. Hiergegen legte dieser am 20.02.2020 Widerspruch ein mit der Begründung, er sei nicht mehr in der Lage, wenige 100 Meter zu gehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 09.07.2020 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Am 23.07.2020 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt.
Das SG hat zunächst die behandelnden Ärzte des Klägers, den B2, die D1 und den H1 als sachverständige Zeugen befragt. Wegen der Einzelheiten der Befragung wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Anschließend hat das SG von Amts wegen ein orthopädisches Gutachten bei S1 eingeholt. Dieser hat im Gutachten vom 15.02.2021 ausgeführt, bei Beachtung qualitativer Einschränkungen könne der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes, mit Heben und Tragen von Lasten, von fünf kg bis maximal 12 kg mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten. Allerdings bestehe eine deutliche Einschränkung der freien Wegstrecke. Der Kläger könne nicht viermal täglich eine Wegstrecke von 500 Metern bei einem Zeitaufwand von jeweils 20 Minuten zurücklegen. Er könnte zweimal täglich zur Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit fahren, wenn diese in der Entfernung von 100 maximal 200 Metern erreichbar sind. Er könnte auch zur Arbeitsstelle fahren, wenn er sein Kfz benutzen könne.
Dem ist die Beklagte unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme von S2 vom 15.03.2021 entgegengetreten. S1 bestätige, dass weiterhin ein sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten bestehe. Allerdings stelle er eine spinale Enge (Spinalkanalstenose) in den Vordergrund und führe aus, dass der Versicherte deshalb keine längeren Strecken von über 500 Metern zurücklegen könne. Diesbezüglich stelle er sich gegen den Vorgutachter M1, der keinen Befund feststellen habe feststellen können, welcher die Gehstrecken auf weniger als 1 km einschränke. Allerdings folge die Einschränkung bezüglich der maximal zumutbaren Gehstrecke einzig und allein aus der Aussage des Versicherten, dass er lediglich 100 Meter am Stück gehen könne und dann das Hohlkreuz entlasten (beugen) müsse. Der Gutachter postuliere eine spinale Enge und entnehme dies einer LWS-Standard-Röntgenaufnahme in zwei Ebenen, die er selbst angefertigt habe. Er meine, darauf eine Einengung des Spinalkanals durch die Unter-/Hinterkante von L3 zu sehen. Gleichzeitig zitiere er eine ganz aktuelle Kernspinuntersuchung vom 10.12.2020 dahingehend, dass sich gegenüber der Vorbefundung 07/2019 keine Änderung ergeben habe. Was er nicht aufführe sei, dass in diesem Befund explizit mehrfach ausgeführt wurde, dass sich „keine Enge im Spinalkanal" darstelle. Vor diesem Hintergrund sei die Ableitung, der Versicherte könne nur Wegstrecken von 100 bis 200 Meter zumutbar zurücklegen, alles andere als nachvollziehbar.
S1 hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 26.04.2021 an seiner Einschätzung festgehalten unter anderem unter Hinweis auf die fehlende Fußsohlenbeschwielung des Klägers. Dem ist wiederum S2 mit Stellungnahme vom 14.06.2021 entgegengetreten. Die Fußsohlenbeschwielung besage nichts über die zumutbare Gehstrecke, sondern allenfalls etwas darüber, wie viel und mit welchem Schuhwerk der Versicherte in der Vergangenheit gestanden oder auch gegangen sei. Nach alledem könne nicht mit der nötigen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die zumutbare Gehstrecke (mehrfaches Stehenbleiben sei dabei nicht ausgeschlossen) auf weniger als 500 Meter eingeschränkt sei. Immerhin stünden knapp 20 Minuten dafür zur Verfügung. Auch habe S1 selbst bei seiner Untersuchung kein verlangsamtes Gangbild festgestellt. Aus den Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule folge ebenfalls kein Nachweis einer Einschränkung der Wegefähigkeit.
Der Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG vom 18.05. 2022 ist vertagt worden wegen eines Hinweises des Prozessbevollmächtigten auf eine akut-stationäre Behandlung des Klägers wegen Herzinsuffizienz. Die diesbezüglichen Befundunterlagen sind vom SG beigezogen worden (Bericht O1 Klinikum vom 18.10.2021, wonach sich beim Kläger eine Herzleistungsfunktion von 28 Prozent [LV-Funktion[ ergab, Bericht über eine Kontrolluntersuchung durch den W1 vom 01.04.2022, woraus sich wieder eine komplette Normalisierung der LV-Funktion ergab, Bericht des M2 Herzzentrums L1 vom 14.04.2022).
Beim Kläger sind mit Bescheid vom 12.05.2022 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und B (Begleitperson) zuerkannt worden. Ferner ist bei ihm - auf der Grundlage eines ambulanten Pflegegutachtens des Medizinischen Dienstes Baden-Württemberg (MD BW) vom 02.03.2023 - der Pflegegrad 2 zuerkannt worden.
Im Hinblick auf die unklare Befundlage sowohl hinsichtlich des Leistungsvermögens als auch hinsichtlich der Besserungswahrscheinlichkeit durch medizinische Rehabilitation hat die Beklagte eine weitere allgemeine medizinische Untersuchung des Klägers veranlasst (Schriftsatz vom 14.06.2023). Der S3 (Ärztliche Untersuchungsstelle O2) hat aufgrund einer Untersuchung des Klägers - unter Berücksichtigung weiterer ärztlicher Unterlagen (insbesondere Bericht des Neurozentrums des Universitätsklinikums F1 vom 03.07.2023 - unter dem 04.08.2023 (Diagnosen: Ataxie, kognitive Störung, Wesensänderung und orthostatische Störung ungeklärter Ätiologie) ausgeführt, nach der jetzigen Befundkonstellation sehe er keine Reha-Erfolgsaussicht bei fehlender Compliance und Bagatellisierung der Alkoholsuchtkrankheit. Der Versicherte habe bereits deutliche Spätveränderungen durch die nicht eingestandene vieljährige Alkoholproblematik erlitten. Bereits im September 2022 hätten sich in der Gemeinschaftspraxis Neurologie in H2 (B2) Hinweise auf eine Polyneuropathie ergeben, daneben Hinweise für eine damals noch leichtgradige kognitive Defizitsituation. Auch eine Stand- und Gangataxie sei vorhanden. Nachdem eine arterielle Verschlusskrankheit bisher ausgeschlossen wurde, hätten auch die orthopädischen Befunde nicht für diese Symptornatik mit herangezogen werden können. Im MRT des Schädels hätte sich dann eine umfassende, besonders zerebro-medullär ausgeprägte Hirnatrophie gezeigt, die am ehesten äthyltoxisch interpretiert worden sei. Der Kläger sei nicht rehawillig; im Übrigen stehe für ihn, auch nach Aussage seiner Lebensgefährtin, eindeutig der Rentenwunsch im Vordergrund.
Laut Angaben der Beteiligten im Rahmen der (fortgesetzten) mündlichen Verhandlung vor dem SG am 19.10.2023 ist dem Kläger erneut eine medizinische Rehabilitationsbehandlung durch den Beklagten bewilligt worden.
Durch Urteil vom 19.10.2023 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 30.01.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.07.2020 verpflichtet, dem Kläger eine auf drei Jahre befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, ausgehend von einem Leistungsfall im März 2023 zu bewilligen. Der Kläger sei seit März 2023 nicht mehr in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Auch liege seit diesem Zeitpunkt eine aufgehobene Wegefähigkeit vor.
Diese Überzeugung werde auf das Gutachten des MD BW vom 02.03.2023 gestützt. Bei dieser Begutachtung des Klägers in seinem häuslichen Wohnumfeld am 02.03.2023 sei dokumentiert, dass dieser „zunehmend in seiner Mobilität eingeschränkt“ sei und eine „Stand- und Gangataxie“ bestehe. Innerhalb des Wohnbereichs gehe der Versicherte langsam mit dem Rollator, das Treppensteigen sei nicht möglich. Für längere Strecken werde der Kläger „im Rollstuhl mobilisiert“. Der Kläger sei - wohl infolge einer Hirnatrophie 2022 und nach einem stationären Krankenhausaufenthalt im Februar 2023 auf Grund einer Synkope - bei Alltagsverrichtungen auf personelle Unterstützung angewiesen. Dies sei insbesondere anhand der Ausführungen auf Seite 5 des Gutachtens nachvollziehbar; so konnte der Kläger danach das aktuelle Jahr nicht angeben. Auch werde beschrieben, dass er zwar einfache Sachverhalte erfassen und umsetzten könne, jedoch ein nochmaliges Erklären bei komplexen Sachverhalten notwendig sei. Schlüssig und nachvollziehbar würden sowohl motorische als auch kognitive Funktionsstörungen diagnostiziert. Insoweit sei hier ausreichend nachgewiesen, dass der Kläger - wenn er bereits Unterstützung im Alltag benötige - nicht in der Lage sei, eine leichte Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Auch sei hier - im Hinblick auf die Notwendigkeit der Rollstuhlverwendung außerhalb der eigenen Wohnung - von einer aufgehobenen Wegefähigkeit auszugehen. Maßnahmen zur Wiederherstellung der Wegefähigkeit (etwa Übernahme von Taxitransportkosten oder Ähnliches) habe die Beklagte bislang nicht vorbehaltlos bewilligt.
Diese Überzeugung werde durch die ärztliche Stellungnahme des S3 vom ärztlichen Dienstes der Beklagten vom 04.08.2023 gestützt. Auch dieser habe zum damaligen Zeitpunkt das Leistungsvermögen „als aufgehoben“ angesehen wegen der bereits „weit fortgeschrittenen Spätveränderungen“ durch die vieljährige Alkoholproblematik. Insoweit könne das Gericht auch nicht erkennen, wie eine rein neurologische Reha-Maßnahme ohne Entwöhnungsbehandlung zu einer Wiederherstellung des Leistungsvermögens innerhalb eines halben Jahres führen sollte. Die Spätveränderungen seien auch bereits im MRT des Schädels sichtbar, dort hätte sich bereits eine umfassende, besonders zerebro-medullär ausgeprägte Hirnatrophie gezeigt. Dazu kongruent sei auch der Befundbericht des Neurozentrums der Universitätsklinik F1 vom 03.07.2023, wo ebenfalls eine „deutliche Stand- und Gangataxie sowie Ataxie der unteren Extremität in den Zeigeversuchen [und eine] Kurzzeitgedächtnisstörung“ dokumentiert sei. Mithin sei seit der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst BW im März 2023 - bestätigt durch die nachfolgenden Befundunterlagen und der Einschätzung des ärztlichen Dienstes der Beklagten - von einem verminderten quantitativen Leistungsvermögen sowie einem aufgehobenen Leistungsvermögen auszugehen, sodass ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bestehe.
Ein früherer Leistungsfall sei durch den insoweit beweisbelasteten Kläger jedoch nicht nachgewiesen. Insbesondere könne eine frühere quantitative Leistungsminderung beziehungsweise eine Aufhebung der Wegefähigkeit nicht auf das Gutachten von S1 vom 15.02.2021 gestützt werden. Zwar gehe S1 von einer eingeschränkten Wegefähigkeit aus, jedoch stütze er diese Einschätzung allein auf das Vorliegen einer Spinalkanalstenose, welche aber gerade durch das zeitlich nachfolgende MRT vom 10.02.2021 ausgeschlossen worden sei. Auch gebe S1 selbst an, dass „das Gangbild auf dem langen Flur zum Untersuchungszimmer […] unauffällig“ war (vgl. Seite 5 seines Gutachtens). Ebenso habe keine Schwäche der hüftumspannenden Muskulatur vorgelegen und der Einbeinstand werde als beidseits sicher beschrieben (vgl. Seite 6 des Gutachtens). Auch habe der Langsitz vom Kläger frei erreicht, gehalten und abgelassen werden können (vgl. Seite 7 des Gutachtens). Zudem sei bei der Untersuchung durch S1 der neurologische Status unauffällig gewesen. Aus den im Gutachten tatsächlich erhobenen Funktionseinschränkungen ergebe sich auch keine Einschränkung der Wegefähigkeit. Auch aus der zeitlich später eingetretenen Herzerkrankung ergebe sich kein dauerhaftes, das heißt mindestens sechs Monate andauerndes, quantitativ vermindertes Leistungsvermögen. Bei der Kontrolluntersuchung im April 2022 habe wieder eine komplette Normalisierung der LV-Funktion vorgelegen (vgl. Befundbericht W1 vom 01.04.2022, sowie Bericht des M2 Herzzentrums L1 vom 14.04.2022).
Die Rente sei - entsprechend dem gesetzlichen Regelfall und im Hinblick darauf, dass eine Besserung nicht gänzlich ausgeschlossen ist - zu befristen. Es seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, weshalb von der regelmäßigen Befristungsdauer von drei Jahren (vgl. § 102 Abs. 2 SGB VI) abgewichen werden sollte.
Gegen das seinem Bevollmächtigten am 10.11.2023 zugestellte Urteil hat dieser am 08.12.2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zunächst die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Januar 2022 begehrt unter Hinweis darauf, dass bereits im Bericht über die Schädel-MRT vom 06.10.2022 (Gemeinschaftspraxis B2 u.a.) eine fortgeschrittene supratentorielle Hirnathrophie mit deutlicher Vergröberung des kortikalen Faltenreliefs diagnostiziert worden sei. Es werde davon ausgegangen, dass die Hirnatrophie mindestens seit Januar 2022 bereits so stark gewesen sei, dass sie ab diesem Zeitpunkt dazu geführt habe, dass eine Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht mehr gegeben war.
Nach dem Pflegegutachten des MDK vom 02.03.2023 (Seite 1) bestehe der Pflegegrad 2 seit dem 01.02.2023. Es sei nicht ersichtlich, warum erst eine Erwerbsunfähigkeit für März 2023 angenommen worden sei, obwohl im Gutachten der Pflegegrad 2 bereits für Februar 2023 festgestellt worden sei. Es sei daher von einem früheren Leistungsfall auszugehen.
Der Kläger beantragt (zuletzt),
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19. Oktober 2023 und den Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Juli 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger zusätzlich zu der ab März 2023 ausgeurteilten Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Rente wegen Erwerbsminderung ab 1. Februar 2023 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Nach dem sozialmedizinischen Vermerk des H3 vom 05.04.2024 seien die fortschreitende Gangstörung und die kognitiven Einschränkungen nicht nur der im MRT festgestellten Hirnatrophie (Gehirnschwund) zuzuschreiben, sondern auch einem Vitamin B 12-Mangel, welcher behandelbar sei. Bei langsam fortschreitenden Erkrankungen sei es schwierig, einen Leistungsfall zu bestimmen. Erst mit der Begutachtung im März 2023 und dem Bericht der neurologischen Tagesklinik der Universität F1 von 07/23 könne vom vollen Nachweis der Erwerbsminderung ausgegangen werden.
Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 23.07.2024 und 15.10.2024 darauf hingewiesen worden, dass die Möglichkeit besteht, dass der Senat die Berufung auch ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss zurückweist, wenn er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs.1 und Abs. 3 SGG) eingelegte zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten, die für den Senat keinen Anlass zu einem anderen Verfahren gegeben hat, gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Streitgegenstand ist bei sachdienlicher Auslegung des (zuletzt) gestellten Berufungsantrages die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, ausgehend von einem Leistungsfall am 01.02.2023. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bereits ab diesem Zeitpunkt zusteht und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen wegen der weiteren Begründung auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist (lediglich) auszuführen, dass die Kläger-seite das Vorliegen eines früheren Leistungsfalles als im März 2023 nicht nachgewiesen hat. Es liegen keine eindeutigen Befundunterlagen vor, denen bereits für die Zeit davor so gravierende Einschränkungen aufgrund der beim Kläger bestehenden Hirnatrophie oder sonstiger Erkrankungen zu entnehmen sind, aufgrund derer sich das Gericht vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits zu diesem Zeitpunkt überzeugen könnte. Dies geht insoweit zulasten des Klägers, der für die anspruchsbegründenden Tatsachen die objektive Beweislast trägt. Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente setzt beweisrechtlich voraus, dass die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des „Vollbeweises“, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 07.09.2004 - B 2 U 25/03 R -, juris, Rn. 13), feststehen. Ob Tatsachen, vorliegend also das Vorliegen und der Schweregrad von Erkrankungen des Klägers sowie das Bestehen einer rentenanspruchsauslösenden quantitativen Minderung des Leistungsvermögens für die Durchführung von Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts, nachgewiesen sind oder nicht, entscheidet der Senat als sog. „Tatsachengericht“ in freier richterlicher Beweiswürdigung (BSG, Urteil vom 07.09.2004, a.a.O., Rn. 15).
Hiervon ausgehend vermochte sich der Senat nicht vom Vorliegen einer quantitativen Leistungsminderung oder sonstiger rentenbegründender Leistungseinschränkungen für die Zeit vor März 2023 zu überzeugen. Entgegen der Auffassung des Klägers belegt auch das Pflegegutachten des MD BW vom 02.03.2023 den Nachweis einer früheren quantitativen Leistungsminderung oder das Vorliegen sonstiger rentenbegründender Leistungseinschränkungen nicht. Die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit nach §§ 14, 15 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) folgt bereits grundsätzlich anderen Kriterien als die Feststellung der Erwerbsminderung nach dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Zudem bauen derartige Gutachten wesentlich auf einer modulbezogenen Anamnese auf, die gerade (nur) an den spezifischen Belangen des Pflegeversicherungsrechts ausgerichtet ist (vgl. §§ 14 Abs. 2, 15 Abs. 2 i.V.m. Anlage 1 SGB XI). Hinzu tritt, dass die Begutachtungen häufig - wie auch vorliegend - ohne ärztliche Beteiligung durch Pflegefachkräfte durchgeführt werden und sich weitgehend auf anamnestische Angaben stützen, so dass sie als solche regelmäßig nicht den Vollbeweis für eine Erwerbsminderung zu erbringen vermögen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.02.2024 - L 8 R 13/22 - juris Rn. 35; LSG Bayern, Urteil vom 22.07.2020 - L 13 R 102/18 - juris Rn. 78).
Aus den vorgenannten Gründen ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2549/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3404/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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