L 2 SO 3118/24 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 1228/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 3118/24 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Landessozialgericht Baden-Württemberg

L 2 SO 3118/24 ER-B

S 3 SO 1228/24 ER


Beschluss

Der 2. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart hat durch Beschluss vom 02.12.2024 für Recht erkannt:



Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 21. Oktober 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.



Gründe


Die am 28. Oktober 2024 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingegangene Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Konstanz vom 21. Oktober 2024 ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 173 SGG insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.


Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 02.05.2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 14.03.2019 - 1 BvR 169/19 - juris Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - <beide juris> jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Das SG hat den Antrag der Antragstellerin im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Die Antragstellerin begehrt im Beschwerdeverfahren, den Antragsgegner dazu verpflichten zu lassen, ihr bis zur rechtskräftigen Entscheidung über ihren Antrag vom 16. Januar 2024, mit welchem sie Eingliederungshilfeleistungen in Form von Leistungen zur sozialen Teilhabe als persönlichen Budgets beantragt hat, vorläufig einen monatlichen Betrag in Höhe von 7.500,00 € zu gewähren. Den vorgenannten Antrag hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. Juni 2024 abgelehnt, wogegen seit 8. Juli 2024 ein Widerspruch beim Antragsgegner anhängig ist. Weiterhin hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 20. August 2024 den Antrag der Antragstellerin vom 14. August 2024 auf Gewährung eines persönlichen Budgets im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach § 63 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) abgelehnt. Auch hiergegen ist ein Widerspruch beim Antragsgegner anhängig.

Der Senat kann es dabei letztlich offenlassen, ob - nach Auffassung der Antragstellerin - ihr gemäß §§ 99, 102 Abs. 1 Nr. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) Leistungen der Eingliederungshilfe als Leistungen zur sozialen Teilhabe und gemäß § 103 Abs. 2 SGB IX Leistungen der häuslichen Pflege nach den §§ 64a bis 64f, 64i und § 66 des SGB XII im Wege der „Komplexleistung“ zu gewähren sind oder ob - so wohl die Auffassung des Antragsgegners - der Antragstellerin grundsätzlich allein gemäß §§  61, 63 Abs. 1 Nr.1 Buchst. b, 64b SGB XII Leistungen der Hilfe zur Pflege als häusliche Pflege zu gewähren sind. Dabei erhält die Antragstellerin (derzeit) die erforderliche häusliche Pflege als auch ihrem Vorbringen zufolge „Assistenzleistungen“ zur sozialen Teilhabe durch zwei slowenische sie „betreuende“ Frauen, die in ihrem Haus wohnen und die sie über die Firma „A1“ vermittelt erhalten hat. Denn gemäß § 123 Abs. 1 SGB IX darf der Träger der Eingliederungshilfe Leistungen der Eingliederungshilfe mit Ausnahme der Leistungen nach § 113 Abs. 2 Nr.2 i.V.m. § 78 Abs. 5 und § 116 Abs.1 durch Dritte (Leistungserbringer) nur bewilligen, soweit eine schriftliche Vereinbarung zwischen dem Träger des Leistungsberechtigten und dem für den Ort der Leistungserbringung zuständigen Träger der Eingliederungshilfe besteht. Im Rahmen des § 64b SGB XII setzt eine Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger voraus, dass er mit den Pflegekräften oder Pflegediensten entsprechende Vereinbarungen über Inhalt, Umfang, Qualität und Vergütung abschließt (§§ 75, 76 SGB XII). Dass hier entsprechend den vorgenannten Regelungen solche Vereinbarungen zwischen dem Antragsgegner und den Pflegekräften der Antragstellerin abgeschlossen wurden, ist nicht ersichtlich. Ohne diese Vereinbarungen dürfen Leistungen der Eingliederungshilfe wie der häuslichen Pflegehilfe nur unter den Voraussetzungen der §§ 123 Abs. 5 SGB IX bzw. § 75 Abs. 5 SGB XII erbracht werden. Auch ein jeweils verpflichtendes Leistungsangebot nach § 123 Abs. 5 Nr. 2 SGB IX bzw. § 75 Abs. 5 Nr. 2 SGB XII liegt aber nicht vor.

Ungeachtet dessen kommt die Hilfegewährung durch einen nicht vereinbarungsgebundenen Leistungserbringer nur in Betracht, wenn der Bedarf nicht durch einen vereinbarungsgebundenen Leistungserbringer gedeckt werden kann (objektive Unmöglichkeit) oder die Inanspruchnahme der Leistungen eines vereinbarungsgebundenen Leistungserbringers
dem bedürftigen Hilfeempfänger nicht zumutbar ist (subjektive Unmöglichkeit), wobei das Wunsch- und Wahlrecht des Hilfeempfängers keine Besonderheit des Einzelfalls begründet (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.04.2014 - L 7 SO 3423/10 -, juris Rn. 39; Sächsisches LSG, Beschluss vom 15.03.2021 - L 8 SO 29/20 B ER -, in juris). Vorliegend ist nicht glaubhaft gemacht, dass der Bedarf der Antragstellerin (wie geltend gemacht an Eingliederungshilfeleistungen und an Leistungen der häuslichen Pflegehilfe) nicht durch einen vereinbarungsgebundenen Leistungserbringer gedeckt werden kann. Diesbezüglich hat M1 von der D1 e.V. mit einer eidesstattlichen Versicherung vom 27. Oktober 2024 erklärt, dass er als Patientenbeauftragter der D1 e.V. für die Antragstellerin versucht habe, zertifizierte Pflegedienste zu finden. Dies sei nicht möglich gewesen. Er habe über eine Liste beim Pflegestützpunkt in K1 bei sieben Dienstleistern nach der Betreuungs- und Teilhabeleistung in einem sogenannten 24-Stunden-Modell telefonisch angefragt, wobei aktuell über Nacht nur eine Rufbereitschaft im Haus vorhanden sein sollte. Leider seien nur zwei, maximal vier Stunden über diese Dienste aktuell möglich gewesen. Dieses gemäß § 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) vorgesehene Mittel der Glaubhaftmachung genügt jedoch vorliegend bei freier Beweiswürdigung des Senats (vgl. § 286 ZPO) nicht zur Glaubhaftmachung der Tatsache, dass keine andere Möglichkeit der ausreichenden „Betreuung“ der Antragstellerin gegeben ist. Diesbezüglich ist die „eidesstattliche Versicherung“ vom 27. Oktober 2024 zu oberflächlich und unsubstantiiert. In ihr ist lediglich die Rede von “sieben Dienstleistern“ nach einer Liste des Pflegestützpunktes in K1. Kein einziger der Dienstleister wird konkret mit Firmennamen und Adresse benannt. Es wird nicht darauf eingegangen, in welchem Zeitraum die behauptete Nachfrage bei den sieben Dienstleistern erfolgt sein soll. Auch angesichts der Anzahl von vertragsgebundenen und damit grundsätzlich in Betracht zu ziehenden Leistungsanbietern (vgl. Schreiben des Antragsgegners vom 26. November 2024) erscheint der Umfang der Nachfrage bei nur sieben Leistungsanbietern nicht ausreichend, um glaubhaft zu machen, dass aktuell keine andere Möglichkeit für die „Betreuung“ der Antragstellerin als die praktizierte gegeben ist. In die freie Beweiswürdigung des Senats bezüglich der eidesstattlichen Versicherung vom 27. Oktober 2024 geht auch der Umstand ein, dass der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit einer E-Mail am 25. September 2024 mitgeteilt hat, dass „die Tochter meiner Mandantin aufgrund inzwischen gestellter entsprechender Anfragen telefonisch ein Angebot eines entsprechenden zertifizierten Dienstes in Aussicht gestellt bekommen habe. Schriftlich liege dieses allerdings noch nicht vor, sodass auch das Zertifikat noch nicht habe überprüft werden können“. Außer diesem Hinweis ist jedoch Weiteres dazu nicht mehr vorgebracht worden. Deshalb kann auch insoweit nicht nachvollzogen werden, wie weit die entsprechenden Bemühungen der Antragstellerin (bzw. ihrer Tochter oder durch M1) reichen und ob sie im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als ausreichend zu bewerten wären.  

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.


Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).


 

Rechtskraft
Aus
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