Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 27.06.2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Fortführung des Klageverfahrens S 6 R 371/24 beim Sozialgericht Ulm (SG).
Der 1958 geborene Kläger steht unter rechtlicher Betreuung durch O1 (s. Betreuerausweis vom 27.09.2022, S. 27 Senatsakte). Der Aufgabenkreis des Betreuers umfasst die Aufenthaltsbestimmung, die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post sowie die Gesundheitsfür- und Vermögenssorge. Ein Einwilligungsvorbehalt gemäß § 1825 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) besteht nicht.
Mit Bescheid vom 08.12.2023 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag hin ab dem 01.01.2024 eine Regelaltersrente in Höhe von 746,16 € monatlich (Anteil am Beitrag zur Krankenversicherung 54,47 €, Anteil am Zusatzbeitrag 5,97 €, Beitrag zur Pflegeversicherung 29,85 €, monatlicher Zahlbetrag 655,87 €). Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und begehrte eine höhere Rente.
Am 13.02.2024 erhob der Kläger Untätigkeitsklage beim SG (S 6 R 371/24). Mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2024 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Daraufhin erklärte der Betreuer den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 12.05.2024 für erledigt (S. 34 SG-Akte S 6 R 371/24).
Mit Schreiben vom 17.05.2024 - beim SG am 21.05.2024 eingegangen - hat der Kläger persönlich beim SG beantragt, dass seine Klage (S 6 R 371/24) „entgegen dem Willen“ seines Betreuers aufrechterhalten werde.
Nach Vergabe eines neuen Aktenzeichens (S 6 R 1233/24) und Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 27.06.2024 festgestellt, dass der Rechtsstreit S 6 R 371/24 durch Klagerücknahme vom 12.05.2024 beendet worden sei. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass der Betreuer des Klägers mit seiner Erklärung, dass der Rechtsstreit erledigt sei, unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht habe, dass er die Untätigkeitsklage nicht weiterverfolge, was eine Klagerücknahme gemäß § 102 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darstelle. Der Betreuer sei auch im Rahmen seines Aufgabenkreises (Vermögenssorge) tätig geworden, weshalb die Rücknahmeerklärung wirksam sei. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass der Kläger nunmehr das Klageverfahren aufrechterhalten möchte, da der Widerruf oder die Anfechtung von Prozesshandlungen grundsätzlich nicht möglich sei. Ein Widerruf einer Prozesshandlung komme allenfalls dann in Betracht, wenn die Erklärung noch nicht bei Gericht eingegangen sei, also spätestens zeitgleich bei Gericht eingehe bzw. in Bezug auf Prozesshandlungen zur Beendigung des Verfahrens nur dann, wenn Restitutionsgründe (vgl. § 179 SGG, § 580 Zivilprozessordnung [ZPO]) vorlägen, da die Rechtslage dann nicht anders sein könne als bei Verfahrensbeendigung durch Urteil. Außerdem könne in eng begrenzten Ausnahmefällen geltend gemacht werden, dass die Prozesshandlung für das Gericht und den Gegner im Zeitpunkt des Zugangs als Versehen offensichtlich gewesen sei und es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar wäre, ihn an der Prozesshandlung festzuhalten. Diese Gründe lägen nicht vor. Insbesondere sei die Erklärung des Betreuers nicht als Versehen zu werten gewesen.
Gegen den Gerichtsbescheid vom 27.06.2024 hat der Kläger - wiederum persönlich - am 03.07.2024 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 27.06.2024 aufzuheben und das Klageverfahren S 6 R 371/24 dort fortzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Mit gerichtlicher Verfügung vom 14.10.2024 ist der Betreuer des Klägers darüber informiert worden, dass der Kläger das vorliegende Berufungsverfahren führt.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Prozessakten des Verfahrens S 6 R 371/24 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG statthafte und auch ansonsten zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet. Insbesondere ist die vom Kläger selbst eingelegte Berufung auch nicht deshalb unzulässig, weil er unter rechtlicher Betreuung steht. Da weder ein Einwilligungsvorbehalt gemäß § 1825 BGB besteht, noch eine Ausschließlichkeitserklärung seitens des Betreuers gemäß § 71 Abs. 6 SGG i.V.m. § 53 Abs. 2 ZPO in der seit dem 01.01.2023 geltenden Fassung abgegeben worden ist, ist der voll geschäftsfähige (§ 71 Abs. 1 SGG) Kläger nicht in seiner Prozessfähigkeit beschränkt (vgl. statt vieler nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 71 Rn. 4).
Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids vom 27.06.2024 zu Recht und mit zutreffender Begründung festgestellt, dass der Rechtsstreit S 6 R 371/24 durch Klagerücknahme des Betreuers vom 12.05.2024 beendet ist, sodass eine „Aufrechterhaltung der Klage“ bzw. - genauer - eine Fortsetzung des Klageverfahrens S 6 R 371/24 nicht in Betracht kommt. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück.
Lediglich noch am Rande und ergänzend merkt der Senat an, dass die Prozesserklärung in Gestalt der unmissverständlich, völlig eindeutig und unzweifelhaft (einseitig) erklärten „Erledigung des Rechtsstreits“ - bei der es sich in gerichtskostenfreien SGG-Verfahren der Sache nach um eine Klagerücknahme handelt (statt vieler dazu nur Bundessozialgericht [BSG] 29.12.2005, B 7a AL 192/05 B, in juris, Rn. 6; Senatsbeschluss vom 15.07.2019, L 10 SF 1298/19 E-B, in juris, Rn. 15; Burkiczak in jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 102 Rn. 34, Stand 21.10.2024, alle m.w.N.) - durch den Betreuer in Ausübung seiner gerichtlichen Vertretungsbefugnis (§ 1823 Alt. 1 BGB) im Rahmen der betreuungsgerichtlich angeordneten Vermögenssorge unmittelbar mit Eingang beim SG am 12.05.2024 als Prozesshandlung wirksam wurde (vgl. nur BSG 27.10.2016, B 13 R 337/15 B, in juris, Rn. 8 m.w.N.) und die Rechtshängigkeit der Klage S 6 R 371/24 (ex nunc) beseitigte (vgl. § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG und BSG 30.04.1979, 8b/3 RK 36/77, in juris, Rn. 20 m.w.N.). An dieser Wirkung konnte die nachgehende Erklärung des Klägers, er wolle die (Untätigkeits-)Klage entgegen seinem Betreuer „aufrechterhalten“ - unabhängig davon, dass diese Klage mit Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids vom 11.03.2024 mangels Rechtsschutzbedürfnis ohnehin unzulässig geworden war (s. dazu statt vieler nur BSG 17.09.2020, B 4 AS 13/20 R, in juris, Rn. 21 m.w.N.) - nichts mehr ändern, eben weil die Klage in Ansehung der vorangegangenen wirksamen Erledigungserklärung des Betreuers (arg. ex § 71 Abs. 1 und 6 SGG i.V.m. § 53 Abs. 1 ZPO in der seit dem 01.01.2023 geltenden Fassung; zur sog. prozessualen Doppelkompetenz und dem daraus erwachsenen „Prioritätsprinzip“ s. nur Jacoby in Stein, ZPO, 24. Aufl. 2024, § 53 Rn. 4; Gottwald, FamRZ 2022, S. 331, 333; vgl. auch BT-Drs. 19/27287, S. 28) nicht mehr rechtshängig war. Dass und warum die Wirksamkeit der Erledigungserklärung vom Kläger (nachträglich) nicht beseitigt werden kann, hat das SG zutreffend dargelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 6 R 1233/24
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2045/24
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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