Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Februar 2022 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2020 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger die bei Einlösung von Arzneimittelverordnungen durch in der Schweiz niedergelassene Ärzte in inländischen Apotheken entstandenen Kosten für Arzneimittel, soweit diese notwendig sind, ohne Abzug eines Abschlags für Verwaltungskosten zu erstatten hat.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Erstattung von Kosten für Arzneimittel streitig.
Der 1955 geborene Kläger ist schweizer Staatsangehöriger und bei der H1 AG mit Sitz in der Schweiz krankenversichert. Seit 2016 ist er in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wohnhaft. Er wird im Wege der Sachleistungsaushilfe durch die Beklagte betreut.
Nach seinem Zuzug in die BRD stand der Kläger weiterhin in Behandlung von niedergelassenen Ärzten in der Schweiz, die auch Verordnungen für Arzneimittel ausstellten. Bei Einlösung dieser Verordnungen in inländischen deutschen Apotheken trug der Kläger die Kosten für die Arzneimittel zunächst selbst. Nachfolgend erstattete die Beklagte auf seinen Antrag die jeweils aufgewendeten Kosten in voller Höhe abzüglich etwaiger Zuzahlungen.
Im März 2020 teilte die Beklagte dem Kläger zunächst telefonisch und nachfolgend schriftlich (Schreiben vom 16. März 2020) mit, dass sie zukünftig keine entsprechenden Erstattungen mehr vornehmen werde. In Deutschland lebende Betreute seien nach dem bilateralen Abkommen über soziale Sicherheit regulär im Besitz einer elektronischen Gesundheitskarte und hätten darüber einen Anspruch auf Leistungen nach dem Sachleistungsprinzip. Leistungsansprüche außerhalb des Wohnstaates richteten sich nach der EG-Verordnung 883/2004 und Abkommensrecht. Versicherte aus Mitglieds- oder Abkommensstaaten, die im Rahmen eines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland betreut würden, hätten auch während eines vorübergehenden Aufenthalts in ihrem zuständigen Staat grundsätzlich einen vollen Leistungsanspruch. Der ausländische zuständige Träger erbringe Leistungen in eigener Zuständigkeit. In dieser Situation bestehe somit kein Erstattungsanspruch gegenüber der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung und damit ihr gegenüber.
Hiergegen wandte sich der Kläger im Rahmen eines mit der Beklagten am 18. März 2020 geführten Telefonats, anlässlich dessen sich die Beklagte bereit erklärte, auf Rezepte, die aktuell eingereicht würden, noch eine Erstattung vorzunehmen. Entsprechend erstattete sie mit Bescheid vom 20. März 2020 auf die am 20. Februar 2020 und 17. März 2020 eingelösten Verordnungen (56,70 € bzw. 377,13 €, insgesamt 433,83 €) 28,30 bzw. € 352,13 €, mithin insgesamt 380,43 €. Zur Begründung seines Widerspruchs führte der Kläger mit Schreiben vom 19. März 2020 u.a. aus, bisher seien die Kosten der von schweizer Ärzten verordneten Medikamente problemlos erstattet worden, da die Beklagte den inländischen Apotheken nicht erlaube, die ärztlichen Verordnungen im Sinne des Sachleistungsprinzips direkt mit ihr abzurechnen. Dies stehe im Widerspruch zu § 2 Abs. 1a Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (Arzneimittelverschreibungsverordnung – AMVV), wonach den aus Deutschland stammenden ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibungen die entsprechenden Verschreibungen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aus den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und aus der Schweiz gleichgestellt seien. Das Sachleistungsprinzip schließe eine Rückerstattung mangels Abrechnungsmöglichkeit der Apotheke nicht aus, vielmehr sehe § 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) diese Möglichkeit ausdrücklich vor, ebenso § 15 Ziff. 1 und 4 der Satzung der Beklagten. Die Erstattungskosten würden der Beklagten durch die schweizerische Versicherung im Übrigen voll erstattet. Das Abkommen zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und der europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit garantiere in Art. 2 die Nichtdiskriminierung von Staatsangehörigen einer Vertragspartei aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit und Art. 8 regele die Gleichbehandlung der sozialen Sicherheit. Durch die Verweigerung der zukünftigen Kostenerstattung würden diese Rechte missachtet. Die Beklagte hielt an ihrer bisherigen Auffassung fest und teilte dem Kläger mit, dass eine Kostenerstattung nach Wahl der Kostenerstattung möglich sei und übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 22. Juli 2020 das Formblatt „Erklärung über die Wahl der Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V“. Eine entsprechende Erklärung gab der Kläger nicht ab.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2020 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück. Er wiederholte und vertiefte die bisherigen Ausführungen, wonach die Beklagte leistungsaushelfender Träger sei und sich die Kostenerstattung für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung daher nach deutschen Rechtsvorschriften richte. Danach erhielten Versicherte nach § 2 Abs. 3 SGB V die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen soweit das SGB V oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) nichts Abweichendes vorsähen. Versicherte könnten abweichend hiervon gemäß § 13 Abs. 2 SGB V Kostenerstattung wählen. Dieses Verfahren werde durch die Satzung geregelt und Kosten bis zu der Höhe erstattet, die bei Inanspruchnahme als Sach- oder Dienstleistung entstanden wären, wobei die Erstattung um die Zuzahlung und einen Verwaltungskostenabschlag zu mindern sei. Hierüber sei der Kläger in Kenntnis gesetzt worden. Da er die Kostenerstattung nicht wählen wolle und die Leistung nicht als Sachleistung erbracht werden könne, weil die deutschen Apotheken die Verordnungen von schweizer Ärzten nicht direkt mit ihr abrechnen könnten, sei die Erstattung von selbstbezahlten Kosten für Medikamente zu Recht abgelehnt worden.
Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 26. Oktober 2020 (einem Montag) beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage mit dem Begehren festzustellen, dass die Beklagte bei Einlösung von Arzneimittelverordnungen von schweizer Ärzten in Apotheken in Deutschland die Kosten ohne Abzug eines Verwaltungskostenabschlages zu erstatten habe. Zur Begründung führte er aus, die fehlende direkte Abrechnungsmöglichkeit von Apotheken mit der Beklagten schließe das Sachleistungsprinzip und die Erstattung von verauslagten Kosten nicht aus. Die Beklagte habe bestätigt, dass von ihr erbrachte Leistungen von seiner schweizer Krankenkasse über die Clearingstelle erstattet würden. Sofern keine direkte Abrechnung zwischen Apotheken und der Beklagten möglich sei, könne nur der Weg der Erstattung an ihn gewählt werden. Andernfalls liege eine nicht hinnehmbare Benachteiligung vor. Dies führe dazu, dass er, der dauerhaft im Inland lebe, notwendige Medikamente im Inland nicht erwerben könne, diese vielmehr in der Schweiz erworben und nach Deutschland importiert werden müssten. Die Beklagte übersehe, dass er einen dauerhaften Wohnsitz im Inland habe, mithin das Aufsuchen inländischer Apotheken keinen vorübergehenden Aufenthalt im Ausland darstelle. Er habe einen Sachleistungsanspruch bei Krankheit durch den Wohnmitgliedstaat. Zu berücksichtigen sei, dass schweizer Rezepte den deutschen Rezepten gemäß § 2 Abs. 1a AMVV gleichgestellt seien. Es sei lediglich keine Direktabrechnung zwischen deutschen Apotheken und Krankenkassen möglich, da bei Abgabe von Arzneimitteln nach der Arzneimittelabrechnungsvereinbarung gemäß § 300 Abs. 3 SGB V (AAV) zwingend die Verwendung des Arzneimittelverordnungsblatts (Muster 16) erforderlich sei und dieses von einem in der Schweiz niedergelassenen Arzt nicht verwendet werden könne. Dieser habe keinen Zugriff auf diese Formulare und könne bspw. auch die lebenslange Arztnummer oder Betriebsstättennummer nicht beibringen. Die Rezeptausstellung eines in der Schweiz niedergelassenen Arztes richte sich nach schweizerischem Recht. In der mündlichen Verhandlung beantragte der Kläger über sein bisheriges Begehren hinaus, ihm seit dem 16. März 2020 angefallene Kosten in Höhe von 76,77 € aus der Einlösung von Arzneimittelverordnungen von schweizer Ärzten in deutschen Apotheken ohne Abzug eines Verwaltungskostenabschlages zu erstatten.
Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid entgegen und führte weiter aus, die Inanspruchnahme von Sachleistungen sei nicht möglich, wenn der Kläger Rezepte aus der Schweiz bei seiner Apotheke in Deutschland einreiche. Die in der AAV aufgeführten Einzelheiten zur Abrechnung der Arzneimittel mit den Krankenkassen erfüllten Verordnungen aus der Schweiz nicht, weshalb die Apotheken Arzneimittel nicht abrechnen könnten. Gleichwohl bestehe der Anspruch auf Abgabe der Arzneimittel, da ärztliche Verordnungen aus dem europäischen Ausland und der Schweiz in Deutschland anerkannt würden. Daraus resultiere auch ein Anspruch auf Erstattung der Kosten dieser Arzneimittel. Weitere Voraussetzung hierfür sei jedoch die Wahl der Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V, bei der ein Verwaltungskostenabschlag erhoben werde. Dies lehne der Kläger jedoch ab.
Mit Urteil vom 9. Februar 2022 wies das SG die Klage ab. Entgegen der Auffassung des Klägers stelle die Erstattung von Kosten für Arzneimittel, die aufgrund von Verordnungen von schweizer Ärzten in deutschen Apotheken bezogen würden, keine Inanspruchnahme von Sachleistungen dar. Der Kläger habe aufgrund seines Wohnsitzes in Deutschland gemäß Art. 17 und 22 ff. VO (EG) 883/2004 sowie dem Abkommen zwischen der EG und der Schweiz gegenüber der Beklagten als aushelfender Krankenkasse des Wohnortstaates einen Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung wie ein gesetzlich in Deutschland Krankenversicherter. Die Anspruchsvoraussetzungen und die Rechtsfolgen, welche Leistung in welchem Umfang beansprucht werden könnten, richte sich allein nach dem Leistungsrecht des Trägers des Wohnortes. Entgegen seiner Auffassung könne der Kläger Arzneimittel, die er aufgrund von in der Schweiz ausgestellten ärztlichen Verordnungen in deutschen Apotheken beziehe, nicht im Wege einer Sachleistung in Anspruch nehmen. Der Erhalt von Arzneimitteln, die durch einen in der Schweiz niedergelassenen Arzt verordnet worden seien, sei zwar möglich, da § 2 Abs. 1a der AMVV eine Gleichstellung mit den aus Deutschland stammenden ärztlichen Verschreibungen vorsehe. Damit sei allerdings lediglich geregelt, dass ein Krankenversicherter überhaupt Arzneimittel aufgrund einer ausländischen Verschreibung erhalten könne. Ob dies im Wege einer Sachleistung oder einer Kostenerstattung erfolge, sei in der AMVV nicht geregelt. Für die Einlösung von ärztlichen Verordnungen in Deutschland gelte die zwischen dem Spitzenverband der Krankenkassen und dem deutschen Apothekerverband auf der Grundlage des § 300 Abs. 3 SGB V vereinbarte AAV. Diese enthalte nähere Anforderungen insbesondere bezüglich des für die vertragsärztliche Versorgung verbindlich zu verwendenden Arzneiverordnungsblattes (Muster 16), das von den in der Schweiz praktizierenden Ärzten mangels Innehabung einer lebenslangen deutschen Arztnummer sowie einer Betriebsstättennummer in Deutschland nicht verwendet werden könne. Aufgrund dessen sei eine Direktabrechnung zwischen den Apotheken und den Krankenkassen in Deutschland bei der Einlösung einer Verschreibung über Arzneimittel, die von einem in der Schweiz niedergelassenen Arzt ausgestellt wurde, nicht möglich. Maßgebend für die Vorgabe der Verwendung eines bestimmten Arzneiverordnungsblattes für die Verschreibung von Arzneimitteln in Deutschland sei die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots gemäß § 12 SGB V. Die Landesverbände der Krankenkassen und Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich und die Kassenärztliche Vereinigung träfen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für das jeweils folgende Kalenderjahr eine Arzneimittelvereinbarung, die unter anderem das Ausgabevolumen für die insgesamt von den Vertragsärzten nach § 31 veranlassten Leistungen und Kriterien für Sofortmaßnahmen zur Einhaltung dieses Ausgabenvolumens umfasse (§ 84 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB V). Durch diese gesetzlichen Regelungen solle die Wirtschaftlichkeit unter anderem von ärztlichen Arzneimittelverordnungen und damit letztlich das System einer funktionierenden solidarischen Krankenversicherung in Deutschland gewährleistet werden. Vor diesem Hintergrund sei es zwingend notwendig, dass eine Direktabrechnung einer Arzneimittelverordnung von deutschen Apotheken gegenüber deutschen Krankenkassen nur möglich sei, wenn das entsprechende ärztliche Arzneiverordnungsblatt vorgelegt werde. Entgegen der Auffassung des Klägers verstoße die Vorgabe zur Verwendung des vorgegebenen Arzneiverordnungsblattes, um eine Direktabrechnung vornehmen zu können, nicht gegen die VO (EG) 883/2004 bzw. gegen das Abkommen zwischen der Schweiz und der EG. Dem Kläger stehe zwar ein Anspruch darauf zu, Leistungen der Krankenversicherung in Deutschland wie ein in Deutschland Versicherter in Anspruch nehmen zu können. Er könne aufgrund dieser Gleichstellung aber nicht mehr erhalten, als ein bei einer deutschen Krankenversicherung Versicherter. Denn auch bei einem in Deutschland Krankenversicherten gelte für die Möglichkeit einer Direktabrechnung die Vorgabe, dass das entsprechende Musterformular bei einer ärztlichen Verordnung zu verwenden sei. Damit könne auch im Falle des Klägers nichts Anderes gelten. Dementsprechend habe der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln im Wege eines Sachleistungsanspruchs, wenn er schweizer Verordnungen in deutschen Apotheken einlöse. Der Bezug der Medikamente sei für ihn unter diesen Umständen nur im Wege der Kostenerstattung möglich, die er wählen könne. Bei einer Wahl der Kostenerstattung sei die Beklagte gemäß § 13 Abs. 1, Abs. 2 Sätze 8 bis 10 SGB V i.V.m. § 15 ihrer Satzung berechtigt, neben den gesetzlichen Zuzahlungen einen Verwaltungskostenabschlag zu erheben.
Am 8. März 2022 hat der Kläger dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, dass eine Verletzung von Gemeinschaftsrecht vorliege, wenn das SG davon ausgehe, dass das Sachleistungsprinzip keine Anwendung finde, wenn er in der Schweiz ausgestellte ärztliche Verordnungen in deutschen Apotheken einlöse. Denn damit werde ihm die freie Arztwahl untersagt, soweit er finanzielle Einbußen vermeiden wolle. Es sei ihm nicht zuzumuten, das über Jahre bzw. Jahrzehnte gewachsene Vertrauensverhältnis zu den ihn behandelnden Ärzten in der Schweiz aufzugeben, lediglich um ärztliche Verordnungen im Wege des Sachleistungsprinzips einlösen zu können. Die Tatsache, dass das Arzneimittelverordnungsblatt (Muster 16) von in der Schweiz praktizierenden Ärzten nicht verwendet werden könne, dürfe nicht zu seinem Nachteil gereichen. Letztlich regele die AMVV explizit, dass die schweizerischen Rezepte deutschen Rezepten gleichgestellt seien. Die Interpretation des SG, wonach es in § 2 Abs. 1 a AMVV um „den Erhalt der verordneten Arzneimittel“ gehe, sei fehlerhaft und soweit es auf die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes verweise, verkenne es, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot bzw. eine Wirtschaftlichkeitsprüfung sowohl im Rahmen des Sachleistungsprinzips, also auch im Rahmen des Kostenerstattungsprinzips bei einer ausländischen Arzneimittelverordnung überhaupt nicht möglich sei, da die der Arzneimittelverordnung zugrunde liegende medizinische Behandlung im Ausland erfolge. Zudem werde auch bei einer Kostenerstattung mit Abschlag von 5 % keine Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgenommen. Aus zollrechtlichen Gründen sei es im Übrigen (mit Ausnahmen) nicht erlaubt, Arzneimittel aus der Schweiz nach Deutschland zu importieren. Es gelte das Verbringungsverbot nach § 73 Abs. 1 AMG. In der Konstellation wie der vorliegenden bestehe mithin ein grundsätzlicher Zwang zum Bezug von Arzneimittel in Deutschland. Nicht nachvollziehbar sei die Auffassung des SG, wonach die Vorgabe zur Verwendung des vorgegebenen Arzneiverordnungsblatts nicht gegen die VO (EG) 88/2004 bzw. gegen das Abkommen zwischen der Schweiz und der EG verstoße.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 9. Februar 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. März 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die ihm seit dem 16. März 2020 angefallenen Kosten in Höhe vom 76,77 € aus der Einlösung von durch schweizer Ärzte erstellte Verordnungen für Arzneimittel in deutschen Apotheken ohne Abzug eines Verwaltungskostenabschlages zu erstatten sowie festzustellen, dass ihm künftig bei der Einlösung von Arzneimittelverordnungen durch schweizer Ärzte in Apotheken in Deutschland die Kosten ohne Abzug eines Verwaltungskostenabschlages erstattet werden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Bei Bezug von Arzneimitteln mit ausländischem Rezept, welches aufgrund fehlender Daten nicht zur Direktabrechnung mit den Krankenkassen geeignet sei, handele es sich nicht um einen Sachleistungsanspruch. Dem Kläger stehe es frei, Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V zu wählen. Ein Systemversagen liege nicht vor, da der Kläger sich Arzneimittel in Deutschland verordnen lassen und als Sachleistung beziehen könne, Arzneimittel mit schweizer Verordnung in der Schweiz beziehen oder Kostenerstattung nach § 13 Abs. 2 SGB V wählen könne.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligte wird Bezug genommen auf die Verfahrensakten des SG und des Senats sowie die Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe
1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß § 143 SGG statthaft und zulässig. Sie bedurfte nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs. 1 SGG. Zwar übersteigt das auf Erstattung von 76,77 € gerichtete Begehren des Klägers nicht den Betrag von 750 € (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG), jedoch betrifft das damit in Zusammenhang stehende Feststellungsbegehren wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2020 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte es ablehnte, dem Kläger zukünftig bei der Einlösung von Arzneimittelverordnungen durch in der Schweiz niedergelassene Ärzte in inländischen Apotheken verauslagte Kosten zu erstatten. Insoweit begehrt der Kläger die Feststellung, dass ihm bei der Einlösung von Arzneimittelverordnungen durch schweizer Ärzte in inländischen Apotheken verauslagte Kosten ohne Abschlag von Verwaltungskosten zu erstatten sind. Gegenstand des Verfahrens ist darüber hinaus das Begehren des Klägers auf Erstattung von Kosten für Arzneimittelverordnungen durch in der Schweiz niedergelassene Ärzte in inländischen Apotheken seit 16. März 2020 in Höhe vom 76,77 €.
3. Die Berufung des Klägers ist im Hinblick auf das Feststellungsbegehren begründet. Insoweit hätte das SG die Klage nicht abweisen dürfen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 16. März 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. September 2020 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte ist nicht berechtigt, dem Kläger Kostenerstattung zu versagen, soweit ihm anlässlich der Einlösung von Verordnungen durch in der Schweiz niedergelassene Ärzte in deutschen Apotheken Kosten entstehen. Der Kläger hat vielmehr Anspruch auf Erstattung der ihm durch die Einlösung in inländischen Apotheken entstandenen Kosten für notwendige Arzneimittel ohne Abschläge für Verwaltungskosten (hierzu b). Insoweit ist die zulässige Klage (hierzu a) begründet. Im Übrigen ist die Klage bereits unzulässig.
a. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Mit der streitbefangenen Berechtigung des Klägers, bei der Einlösung von Verordnungen schweizer Ärzte in deutschen Apotheken für entstehende Aufwendungen Kostenerstattung zu erhalten, liegt ein konkretes und feststellungsfähiges Rechtsverhältnis in diesem Sinne vor. Da das Begehren aus dem das Gegenteil regelnden Bescheid vom 16. März 2020, also einem bereits ergangenen Verwaltungsakt geltend gemacht wird, handelt es sich um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, da die Beklagte die Kostenerstattung unter Fortführung der bisher erfolgten Verfahrensweise ablehnt. Auch die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage – hier gegenüber der Anfechtungs- und Leistungsklage gegen einzelne Ablehnungsbescheide – steht der Zulässigkeit vorliegend nicht entgegen. Denn es ist zu erwarten, dass die Beklagte als juristische Person des öffentlich-rechtlichen Rechts eine gerichtliche Feststellung auch bei zukünftigen Kostenerstattungsanträgen beachten und umsetzen wird, so dass Anfechtungs- und Leistungsklagen gegen spätere Bescheide vermieden werden können (vgl. hierzu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 55 Rn. 19c).
Demgegenüber ist die in der mündlichen Verhandlung vor dem SG als isolierte Leistungsklage erhobene, auf Erstattung von 76,77 € gerichtete Klage unzulässig. Die isolierte Leistungsklage ist im Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Leistungsträger und Bürger nur ausnahmsweise statthaft und nur dann zulässig, wenn ein Verwaltungsakt bezüglich der begehrten Leistung nicht zu ergehen hat. Gegenteiliges ist hier der Fall. Die besonderen Voraussetzungen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und 4 SGG dürfen durch die Erhebung einer isolierten Leistungsklage nicht umgangen und auf die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens kann nicht verzichtet werden. Hinsichtlich der geltend gemachten Kosten liegt weder ein Antrag des Klägers noch eine Entscheidung der Beklagten vor. Ein Verwaltungsverfahren wurde nicht durchgeführt.
b. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von Kosten für im Inland aufgrund Verordnungen durch schweizer Ärzte erworbene Arzneimittel richtet sich nach europäischem Koordinationsrecht und deutschen Rechtsvorschriften.
Betroffen ist der sachliche Anwendungsbereich von Art. 17 VO (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, welche seit dem 1. April 2012 auch für die Schweiz anwendbar ist (Anhang II des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit). Danach erhalten Versicherte oder ihre Familienangehörigen, die in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen, Sachleistungen, die vom Träger des Wohnortes nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften für Rechnung des zuständigen Trägers erbracht werden, als ob sie nach diesen Rechtsvorschriften versichert wären.
Diese Regelung ordnet beim Auseinanderfallen von Wohnmitgliedstaat und zuständigem Staat im Falle der Inanspruchnahme von Leistungen bei Krankheit, Mutterschaft oder Vaterschaft im Wohnmitgliedstaat die Sachleistungsaushilfe an. In diesem Sinne geht es vorliegend um die Inanspruchnahme einer Leistung bei Krankheit (Arzneimittel) in Deutschland (Wohnmitgliedstaat) durch den im Inland wohnhaften und in der Schweiz (zuständiger Staat) bei der H1 AG krankenversicherten Kläger. Durch die Sachleistungsaushilfe werden die Leistungen unter den gleichen Bedingungen und Modalitäten gewährt wie den Personen, die dem System sozialer Sicherung am Wohn- oder Aufenthaltsstaat angeschlossen sind. Hierdurch erfolgt eine punktuelle Integration versicherter Personen und ihrer Familienangehörigen in das Versicherungssystem des Wohn- bzw. Aufenthaltsstaates. Art. 17 VO (EG) Nr. 883/2004 fingiert die Zugehörigkeit des nach dem nationalen Recht des zuständigen Staats Versicherten zum sozialen Sicherungssystem des Wohnstaates und statuiert insofern einen umfassenden Gleichbehandlungsanspruch. Er ist so zu behandeln, als wäre er dort versichert (Leopold, in: Hauck/Nofz, EU-Sozialrecht, 13. Ergänzungslieferung, Art. 17 EGV 883/2004, Rn. 42; Hahn, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, Stand Juni 2024, Art. 22 VO (EG) 883/2004, Rn. 44). Damit entscheidet ausschließlich das Recht des Wohnortstaates über die Definition und das Vorliegen eines Leistungsfalls. Ebenso werden die Anspruchsvoraussetzungen durch das Recht des Wohnstaates festgelegt. Welcher Leistungstypus zu gewähren ist, auf welche Art und Weise und nach welchen Modalitäten dies erfolgt, richtet sich nach dieser Rechtsordnung (Leopold, a.a.O., Rn. 57). Die Person ist mithin so zu behandeln, als ob sie nach den Rechtsvorschriften des Wohnortträgers versichert wäre. Ausgehend hiervon hat der Kläger aufgrund seines Anspruchs auf Sachleistungsaushilfe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Sachleistungen, als ob er Versicherter der Beklagten wäre.
Für Fallkonstellationen einer ausbleibenden Sachleistungserbringung im Wohnortstaat (sog. Systemversagen) – wie vorliegend – enthält das Koordinierungsrecht keine ausdrückliche Regelung. Insoweit wird jedoch überwiegend vertreten, dass sich die daraus resultierenden Ansprüche nach der Rechtsordnung des Wohnortstaates richten, da dessen Träger für ein Systemversagen oder eine sonstige fehlerhafte Leistungserbringung verantwortlich sind. Diese Zuordnung erscheint interessengerecht, weil die betroffene Person ihre Rechte in ihrem Wohnstaat regelmäßig leichter wird durchsetzen können und den zuständigen Träger ersatzweise keine Leistungspflicht trifft (vgl. BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 22/08 R – juris, Rn. 17 f.; Leopold, a.a.O., Rn. 65 m.w.N.; Schreiber, in: Schreiber/Wunder/Dern, VO (EG) Nr. 883/2004, 2012, Art. 17 Rn. 20). Dem schließt sich der Senat an. Entsprechend sind im Falle eines Systemversagens Kostenerstattungsansprüche aufgrund selbstbeschaffter Leistungen prinzipiell anhand der Rechtsvorschriften des Wohnortstaates zu prüfen. Das Koordinierungsrecht setzt die Existenz solcher sachleistungsersetzenden Kostenerstattungsansprüche im mitgliedstaatlichen Recht voraus (Leopold, a.a.O.; Schreiber, a.a.O.). Die gegenüber dem Versicherten durchgeführte Kostenerstattung durch den Träger der Krankenversicherung im Wohnsitzstaat führt dazu, dass der zuständige Träger dem aushelfenden Träger die von letzterem erbrachten (sachleistungsersetzende Kostenerstattungs-)Leistungen gemäß Art. 35 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 zu erstatten hat.
Ausgehend hiervon kommt als Rechtsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers einzig § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB in Betracht. Andere gesetzliche Erstattungsregelungen, die einen entsprechenden Zahlungsanspruch des Klägers begründen könnten (vgl. § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I), sind im Streitfall nicht gegeben. Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach § 13 Abs. 2 SGB V scheidet schon deshalb aus, weil der Kläger für die Inanspruchnahme der streitigen Leistungen im betreffenden Versorgungsbereich nicht anstelle von Sach- und Dienstleistungen Kostenerstattung gewählt hat. Er hat eine solche Wahl vielmehr ausdrücklich abgelehnt. Ein Kostenerstattungsanspruch gemäß § 13 Abs. 4 SGB V kommt nicht in Betracht, weil der Kläger bei der Einlösung von Arzneimittelverordnungen durch schweizer Ärzte nicht beabsichtigt, einen Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union in Anspruch zu nehmen, sondern eine inländische Apotheke.
Gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse dem Versicherten die Aufwendungen für eine notwendige, selbstbeschaffte Leistung in entstandener Höhe zu erstatten, soweit sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Der Kostenerstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein Naturalleistungsanspruch; er setzt deshalb voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung: vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2020 – B 1 KR 19/20 R – juris, Rn. 7 m.w.N.; Urteil vom 8. September 2015 – B 1 KR 14/14 R – juris, Rn. 17; Senatsurteil vom 26. März 2021 – L 4 KR 640/19 – juris, Rn. 24; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2018 – L 11 KR 2695/16 – juris, Rn. 28).
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, wobei die Krankenbehandlung auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 SGB V) umfasst. Hieraus resultiert für Versicherte nicht lediglich ein bloßes subjektiv-öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder ein bloßer Anspruch dem Grunde nach, sondern ein konkreter Individualanspruch, dessen Reichweite und Gestalt sich aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen ergibt. Für den Anspruch aus § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V genügt es, dass der Versicherte zwar keinen Natural- oder Sachleistungsanspruch nach Maßgabe des Leistungserbringungsrechts hat, wohl aber einen sachleistungsersetzenden Kostenerstattungs- oder Freistellungsanspruch wegen Systemversagens (BSG, Urteil vom 2. September 2014 – B 1 KR 11/13 R – juris, Rn. 8). Dieser Anspruch sichert, dass Versicherte ihren Individualanspruch trotz der Mängel im System der Leistungserbringung verwirklichen können (BSG, a.a.O., Rn. 19). So liegt der Fall hier.
Im Rahmen der Sachleistungsaushilfe hat der Kläger gemäß § 31 Abs. 1 SGB V zwar dem Grunde nach einen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 oder den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Im Hinblick auf Arzneimittelverordnungen durch in der Schweiz zugelassene Ärzte kann der Kläger bei Einlösung der entsprechenden Verordnungen in einer inländischen Apotheke nach Maßgabe des Leistungserbringerrechts jedoch nicht die kostenfreie Abgabe als Sachleistung zu Lasten der Beklagten verlangen (hierzu aa). Dem Kläger steht gegen die Beklagte wegen Systemversagens daher ein sachleistungsersetzender Kostenerstattungsanspruch zu (hierzu bb).
aa. Die Beklagte ist im Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringungsrecht nicht in der Lage, dem Kläger auf Verordnungen durch in der Schweiz zugelassene Ärzte Arzneimittel über inländische Apotheken als Sachleistung zu verschaffen. Hiervon ist das SG zutreffend ausgegangen. So gewährt § 2 Abs. 1a AMVV zwar den grenzüberschreitenden Bezug von in der Schweiz verordneten Arzneimitteln, indem es aus Deutschland stammenden ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibungen entsprechende Verschreibungen aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aus den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und aus der Schweiz gleichgestellt, sofern diese die Angaben nach § 2 Abs. 1 AMVV aufweisen und dadurch ihre Authentizität und ihre Ausstellung durch eine dazu berechtigte ärztliche oder zahnärztliche Person nachweisen. Eine Abgabe der verordneten Arzneimittel durch die inländische Apotheke zulasten der Beklagten ist jedoch ausgeschlossen. Denn diese sind durch die abgebende Apotheke mit der Beklagten nicht abrechnungsfähig. Die zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband e.V insoweit geschlossene AAV sieht als Grundlage für die Abrechnung in Anlage 2 die Verwendung des Arzneimittelverordnungsblatts (Muster 16) vor sowie u.a. Informationen der verschreibenden Person, wie die „Lebenslange Arztnummer“ und die „Betriebsstättennummer bzw. Standort-ID“, zu deren Verwendung die im Inland zugelassenen Vertragsärzte verpflichtet sind. Demgegenüber richtet sich die Arzneimittelverordnung der in der Schweiz niedergelassene Ärzte nach schweizerischen Rechtsvorschriften. Im Rahmen der Sachleistungsaushilfe hat der Kläger mithin keinen Anspruch auf Versorgung mit Arzneimittel durch inländische Apotheken als Sachleistung aufgrund Verordnungen durch in der Schweiz zugelassene Ärzte.
bb. Aus diesem Systemversagen im Rahmen der Sachleistungsaushilfe resultiert ein sachleistungsersetzender Anspruch des Klägers auf Erstattung der ihm wegen der erforderlichen Selbstbeschaffung der Arzneimittel entstehenden Kosten, soweit die Leistung notwendig war.
Diesem Kostenerstattungsanspruch steht – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht entgegen, dass der Kläger sich erforderliche Arzneimittel als Sachleistung alternativ auch durch Einlösung der durch einen schweizer Arzt ausgestellten Verordnung in der Schweiz beschaffen könnte oder mittels Arzneimittelverordnung eines im Inland zugelassenen Arztes. Denn die insoweit aufgezeigten Beschaffungsmöglichkeiten ändern nichts an dem Unvermögen der Beklagten, den Anspruch des Klägers auf Versorgung mit Arzneimitteln im Wege der Sachleistungsaushilfe zu erfüllen, soweit er nach dem Recht des zuständigen Staates (Schweiz) ärztliche Behandlung in Anspruch nimmt und hierbei ausgestellte Arzneimittelverordnungen im Rahmen der Freizügigkeit grenzüberschreitend einlöst.
Dem sachleistungsersetzenden Kostenerstattungsanspruch kann die Beklagte auch nicht die Möglichkeit der Wahl von Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 2 SGB V entgegenhalten. Hierauf braucht sich der Kläger nicht verweisen zu lassen. Gemäß § 13 Abs. 2 SGB V können Versicherte anstelle der Sach- oder Dienstleistungen Kostenerstattung wählen (Satz 1). Dabei ist eine Einschränkung der Wahl auf den Bereich der ärztlichen Versorgung, der zahnärztlichen Versorgung, den stationären Bereich oder auf veranlasste Leistungen möglich (Satz 4). Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung zu tragen hätte (Satz 8). Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln, wobei sie dabei Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten in Höhe von höchstens 5 % in Abzug bringen kann (Satz 9, 10).
Hiernach kann die Kostenerstattung schon nicht auf die vorliegend allein in Rede stehenden Arzneimittelverordnungen durch in der Schweiz zugelassene Ärzte beschränkt werden. Das Kostenerstattungsverfahren kann zwar auf den Bereich „veranlasste Leistungen“, d.h. verordnete Leistungen beschränkt werden, dieser Bereich umfasst jedoch sämtliche im Rahmen der Verordnung veranlasste Leistungen und gehen damit weit über die vorliegend im Streit stehende Arzneimittelverordnung durch in der Schweiz zugelassene Ärzten hinaus. Im Übrigen ist sie mit dem Anspruch des Klägers auf Versorgung im Wege der Sachleistungsaushilfe auch nicht gleichwertig. Denn sie ist mit einer im Rahmen der Sachleistungsaushilfe nicht vorgesehenen Kostenbelastung in Form eines Abschlags für Verwaltungskosten in Höhe von bis zu 5 % verbunden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Der Kläger war im Hinblick auf sein teilweises Unterliegen nicht mit Kosten zu belasten, da dieser Anteil im Verhältnis zu seinem Obsiegen angesichts der erfolgreichen Feststellungsklage nur von untergeordneter Bedeutung ist.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 14 KR 3743/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 709/22
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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