L 20 AS 1438/21

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 1597/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 1438/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Nutzen zwei Mieteigentümer eines Wohnhauses die Räume des Hauses getrennt und bilden sie keine Bedarfsgemeinschaft i. S. v. § 7 Abs. 3 SGB II bzw. Haushaltsgemeinschaft i. S. v. § 9 Abs. 5 SGB II, so ist bei der Prüfung der Angemessenheit des Hauses i. S. v. § 12 Abs. 3 Nr. 4 SGB II (a. F.) grundsätzlich nur die dem jeweiligen Miteigentumsanteil entsprechende Wohnfläche zu berücksichtigen.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

 

Das beklagte Jobcenter wendet sich mit der Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 5. Oktober 2021, mit welchem das Jobcenter verpflichtet worden ist, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. November 2019 bis 30. April 2020 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in gesetzlicher Höhe zuschussweise zu erbringen.

 

Der 1958 geborene Kläger ist Miteigentümer zu ½ einer Doppelhaushälfte in G (Gemarkung G, Flur 2, Flurstück 30). Der weitere Miteigentumsanteil gehört Frau H ME, seiner ehemaligen Lebensgefährtin. Seit Juli 2016 ist das Haus abbezahlt.

 

Der Beklagte bewilligte dem Kläger laufend Leistungen nach dem SGB II bis Ende April 2018 zuschussweise, zuletzt durch Bescheid vom 8. März 2018. Mit Schreiben vom 8. März 2018 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. Oktober 2016 (B 4 AS 4/16 R) ein selbst genutztes Hausgrundstück von unangemessener Größe nicht dem Schutz des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II unterfalle und damit geeignet sei, die Hilfebedürftigkeit entfallen zu lassen. Die Angemessenheit der Wohnfläche eines Hausgrundstückes richte sich nach dem außer Kraft getretenen 2. Wohnungsbaugesetz. Hiernach sei in der Regel bei Familienheimen mit einer Wohnung eine Größe von 90 qm und eine Grundstücksfläche bis zu 800 qm als angemessen anzusehen. Der Kläger verfüge über ein unangemessen großes selbstgenutztes Hausgrundstück. Es sei beabsichtigt, entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei der Fortzahlung der Leistungen ab dem 1. Mai 2018 das selbstgenutzte Hausgrundstück in die Vermögensberechnung einzubeziehen. Dies könne zum Entfallen des Leistungsanspruchs führen. Solle es zur Ablehnung des Antrags kommen, käme für eine Übergangszeit die Gewährung der Leistungen nach § 24 Abs. 5 SGB II als Darlehen in Betracht. Mit dem Schreiben übermittelte der Beklagte dem Kläger einen „Fragebogen für bebaute Grundstücke“. Der Kläger sendete den Fragebogen an den Beklagten zurück. Nach den Angaben des Klägers wurde das Haus 1970 errichtet, die durchschnittliche Raumhöhe betrage in den Wohngeschossen 2,40 m, im Keller 2,20 m. Die Wohnfläche betrage 110 qm. Es bestünden keine Nutzungseinschränkungen wie Wohnrechte oder Nießbrauch, die Ausstattung des Gebäudes ordnete der Kläger in die Kategorie „mittel“ ein. Zwischen 1995 und 2005 seien vereinzelt Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt worden.

 

Mit Bescheid vom 21. März 2018 lehnte der Beklagte Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2018 ab. Der Kläger verfüge über Vermögen i. H. v. 21.727,80 EUR, vor allem in Form des Miteigentumsanteils am selbstgenutzten Hausgrundstück. Dieses unterfalle nicht dem Schutz des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II, da es von unangemessener Größe sei. Die Gesamtwohnfläche von 110 qm liege über dem Grenzwert von 90 qm für zwei Personen. Ein Grundstück gelte als verwertbar, wenn die Verwertung innerhalb einer feststehenden Zeitspanne durch eigenes Handeln herbeigeführt werden könne. Neben dem Verkauf des Hauses komme auch eine Beleihung in Betracht. Die Verwertung sei nach Aktenlage weder offensichtlich unwirtschaftlich noch eine besondere Härte. Soweit die sofortige Verwertung nicht möglich sei, könnten Leistungen darlehensweise gewährt werden. Unter Umständen werde dies von einer dinglichen Absicherung des Darlehens abhängig gemacht. Dem Bescheid war ein Vermögensberechnungsbogen beigefügt, hiernach betrug der Wert des Hauses 40.000,- EUR und des Grundstücks 2.772,- EUR. Außerdem verfügte der Kläger über ein Guthaben i. H. v. 341,80 EUR auf seinem Girokonto. Abzüglich des Grundfreibetrags i. H. v. 9.000,- EUR betrage das einzusetzende Vermögen 12.727,80 EUR.

 

Gegen den Bescheid erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 4. April 2018 Widerspruch. Der Kläger habe zwar eine Wohnfläche von 110 qm angegeben, allerdings entfielen hiervon 60 qm auf die Kellerräume und seien daher bei der Ermittlung der Wohnfläche nicht zu berücksichtigen. Die Gesamtwohnfläche betrage so unter 90 qm. Im Übrigen sei der Kläger nur Miteigentümer. Die andere Miteigentümerin sei Frau E, die keine Bedarfsgemeinschaft mit dem Kläger bilde. Der Kläger habe daher weiterhin Anspruch auf Leistungen als Zuschuss.

 

Nach einem Vermerk führten Mitarbeiter am 23. April 2018 einen Hausbesuch beim Kläger durch. Nach dem Vermerk bewohnt der Kläger die Räume im Untergeschoss und ein Zimmer im Dachgeschoss. Frau E bewohnt die Räume im Erdgeschoss und zwei weitere Zimmer im Dachgeschoss. Ausweislich des Vermerks hatten die Mitarbeiter des Beklagten das Haus vermessen, hiernach ergaben sich folgende Werte:

Etage

Raum

Größe in qm

Deckenhöhe in m

Keller

Terrasse

26,16

 

 

Flur

2,54

1,88

 

Bad/WC

4,20

1,89

 

Küche

10,57

 

 

Wohnzimmer

15,67

 

 

Schlafzimmer

14,88

 

 

 

 

 

Erdgeschoss

Veranda

7,77

 

 

Flur

8,19

 

 

Gästetoilette

1,79

 

 

Küche

8,70

 

 

Wohnzimmer

31,63

 

 

 

 

 

Dachgeschoss

Flur

2,74

 

 

Schlafzimmer

11,86

 

 

Gästezimmer

11,44

 

 

Nähzimmer

5,49

 

 

Bad

6,90

 

 

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2018 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21. März 2018 als unbegründet zurück. Beim Hausbesuch am 23. April 2018 sei das Haus vermessen worden, die Gesamtwohnfläche betrage 147,52 qm. Dabei seien die Flächen von Bad und Flur im Keller aufgrund der niedrigen Deckenhöhe nur zur Hälfte berücksichtigt worden, die Fläche der überdachten und geschlossenen Terrasse sei zu einem Viertel berücksichtigt. Die Ablehnung der Leistungen sei so rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Hilfebedürftig sei nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern könne. Als Vermögen seien nach § 12 SGB II alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu verwerten. Das Vermögen sei nach seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Hierzu zähle auch ein selbstgenutztes Hausgrundstück von unangemessener Größe. Für die Berechnung des verwertbaren Vermögens sei nicht nur das Guthaben auf dem Girokonto i. H. v. 341,80 EUR, sondern auch das selbst genutzte Hausgrundstück mit einem Wert von 21.386,00 EUR zu berücksichtigen, da es nicht von angemessener Größe sei. Maßgeblich für die Bestimmung der angemessenen Wohnfläche sei die Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft i. S. v. § 7 Abs. 3 SGB II sowie der mit der Leistungen beanspruchenden Person für längere Zeit in einer Haushaltsgemeinschaft i. S. d. § 9 Abs. 5 SGB II lebenden weiteren Personen. Die Angemessenheit der Wohnfläche eines Hausgrundstücks richte sich nach dem außer Kraft getretenen 2. Wohnungsbaugesetz. Hiernach betrage die angemessene Größe eines Familienheims mit einer Wohnung 90 qm. Bei dem Hausbesuch des Bedarfsermittlungsdienstes sei festgestellt worden, dass der Kläger das Untergeschoss sowie ein Zimmer im Dachgeschoss bewohne. Die Miteigentümerin, Frau E, bewohne augenscheinlich das Obergeschoss sowie zwei weitere Zimmer im Dachgeschoss. Das Untergeschoss werde vom Kläger bewohnt und sei daher in die Berechnung der Wohnfläche mit aufzunehmen. Zudem verfüge das Haus nicht über zwei abgetrennte Wohnungen, so dass bei der Überprüfung die gesamte Wohnfläche Berücksichtigung finde. Die tatsächliche Gesamtwohnfläche des Hauses betrage 147,54 qm und liege über der Angemessenheitsgrenze von 90 qm für zwei Personen. Unerheblich sei, ob die Wohnfläche vollständig genutzt werden könne. Das vom Kläger selbst zu Wohnzwecken genutzte Hausgrundstück sei als verwertbar anzusehen. Es bestünden keine rechtlichen Hindernisse, welche eine Verwertung des Wohneigentums durch Verkauf, Beleihung, Vermietung oder Verpachtung unmöglich machten. Es liege auch keine besondere Härte i. S. v. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 1. Alt. SGB II vor. Die Verwertung eines unangemessen großen Hausgrundstücks sei der Regelfall, auch wenn dieses dem „Grundbedürfnis“ Wohnen diene. Den Verkehrswert des ganzen Hauses habe der Kläger selbst mit 40.000,- EUR angegeben. Hinzuzurechnen sei der Wert des Grundstücks, dieser betrage 2.772,- EUR (entsprechend der Fläche von 462 qm und einem Bodenrichtwert von 6,- EUR / qm). Abzüglich des individuellen Vermögensfreibetrags von 9.000,- EUR zuzüglich des Freibetrags für notwendige Anschaffungen i. H. v. 750,- EUR verbleibe ein zu berücksichtigendes Vermögen i. H. v. 11.977,80 EUR. Gegen den Bescheid erhob der Kläger im Verfahren S 37 AS 798/18 Klage vor dem Sozialgericht Neuruppin. Gegen das stattgebende Urteil vom 5. Oktober 2021 erhob die Beklagte im Verfahren L 27 AS 1410/21 Berufung. Auf die Berufung hob das Landesozialgericht das Urteil des Sozialgerichts auf und wies die Klage ab.

 

Der Beklagte veranlasste mit Zustimmung des Klägers die Eintragung einer Si-cherungshypothek.

 

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2018 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für Zeitraum von November 2018 bis April 2019 als Darlehen. Mit Schreiben vom 1. April 2019 forderte der Beklagte den Kläger auf, Nachweise über dessen Verwertungsbemühungen hinsichtlich des von ihm bewohnten Hausgrundstücks vorzulegen. Mit Schreiben vom 6. Mai 2019 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dass die Miteigentümerin mit einer Verwertung der Immobilie nicht einverstanden sei.

 

Mit Antrag vom 18. / 27. März 2019 beantragte der Kläger die Fortzahlung der Leistungen. In dem Antrag gab der Kläger erneut an, dass er mit Frau E Mit-eigentümer eines 462 qm großen Hausgrundstücks sei. Die von ihm bewohnte Fläche gab er mit 53 qm, die von Frau E bewohnte Fläche mit 57 qm an. Mit Bescheid vom 8. Mai 2019 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2019 als Darlehen und lehnte unter Verweis auf das vorhandene Vermögen, insbesondere das selbst genutzte Hausgrundstück die Gewährung der Leistungen als Zuschuss ab. Gegen die darlehensweise Bewilligung erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 16. Mai 2019 Widerspruch. Diesen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2019 als unbegründet zurück und forderte den Kläger auf, weiterhin seine Verwertungsbemühungen nachzuweisen. Hiergegen erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Neuruppin Klage (S 37 AS 1096/19), der mit Urteil vom 5. Oktober 2021 stattgegeben wurde. Die Berufung ist beim Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 20 AS 1415/21 anhängig.

 

Mit Antrag vom 26. September / 10. Oktober 2019 beantragte der Kläger die Fortzahlung der Leistungen ab dem 1. November 2019. In dem Antrag gab der Kläger an, eine Tätigkeit als Zeitungsausträger aufgenommen zu haben und voraussichtlich ca. 100,- EUR zu verdienen. Ferner gab er erneut an, Miteigentümer des Hausgrundstücks zu sein. Die von ihm bewohnte Fläche betrage 53 qm, die von Frau Ermler bewohnte Fläche 57 qm.

 

Der Beklagte holte beim Gutachterausschuss für Grundstückswerte im Landkreis Ostprignitz-Ruppin eine überschlägige Wertangabe ein. Nach der überschlägigen Wertangabe des Gutachterausschusses vom 14. Oktober 2019 betrug der Wert der Doppelhaushälfte ca. 85.000,- EUR. Wegen der Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

 

Mit Bescheid vom 22. Oktober 2019 lehnte der Beklagte die Zahlung von Leistungen im Zeitraum vom 1. November 2019 bis zum 31. Oktober 2020 nach dem SGB II sowohl zuschuss- wie darlehensweise ab. Mit den vom Kläger nachgewiesenen Vermögensverhältnissen i. S. v. § 12 SGB II sei er nicht hilfebedürftig i. S. v. § 9 Abs. 1 SGB II, da er über verwertbares, über den Schonbetrag liegendes Vermögen verfüge. Ein Grundstück gelte als verwertbar, wenn die Verwertung innerhalb einer feststehenden Zeitspanne durch eigenes Handeln herbeigeführt werden könne. Das selbstgenutzte Hausgrundstück sei von unangemessener Größe und unterfalle so nicht dem Schutz des § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 SGB II. Gemäß der überschlägigen Wertangabe des Gutachterausschusses betrage der Wert des Grundstücks 85.000,- EUR. Der Einsatz oder die Verwertung des nicht nach § 12 Abs. 3 SGB II geschützten Vermögens sei nicht unwirtschaftlich. Anhaltspunkte, wonach der Einsatz oder die Verwertung des nicht geschützten Vermögens für den Kläger eine besondere Härte i. S. v. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 SGB II bedeuten könnte, seien nicht erkennbar. Dementsprechend habe er keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Zuschuss. Hilfebedürftig sei zwar auch derjenige, dem die sofortige Verwertung nicht möglich sei. In diesem Fall könnten die Leistungen nach § 9 Abs. 4 i. V. m. § 24 Abs. 5 SGB II als Darlehen erbracht werden. Das als Überbrückungshilfe konzipierte Darlehen setze aber voraus, dass Verwertungsbemühungen unternommen würden. Der Kläger habe am 3. September und am 10. Oktober 2019 Ablehnungen der Anfrage zum Verkauf der Doppelhaushälfte der Sparkasse und der Berliner Volksbank eingereicht. Weitere Nachweise zu Verwertungsbemühungen, etwa durch Beleihung oder Teilungsversteigerung, habe der Kläger nicht erbracht. Für ein Darlehen als Überbrückung der Wartezeit bis zur Verwertung des Vermögens verbleibe daher kein Raum.

 

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2019 erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers Widerspruch „gegen die Ablehnung eines Darlehens nach § 24 Abs. 5 SGB II“. Mit Schreiben vom 19. November 2019 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass sich der Widerspruch auch gegen die Ablehnung der Leistungen als Zuschuss richte.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2019 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid zurück. Die Ablehnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II wegen übersteigenden Vermögens sowie die Ablehnung eines Darlehens aufgrund fehlender Verwertungsbemühungen seien rechtmäßig und nicht zu beanstanden. Der Kläger verfüge über verwertbares Vermögen, das Hausgrundstück sei nach den überschlägigen Wertangaben 85.000,- EUR wert. Der Wert des hälftigen Miteigentumsanteils übersteige den ihm zustehenden Freibetrag von 9.900,- EUR. Daher habe der Kläger keinen Anspruch auf die Bewilligung „regulärer Leistungen nach dem SGB II“ für den Zeitraum von November 2019 bis Oktober 2020. Der Kläger sei mit Bescheid vom 8. Mai 2019 aufgefordert worden, konkrete Verwertungsbemühungen beizubringen. Mit den von ihm dargelegten Verwertungsbemühungen sei der Kläger nicht hinreichend der ihm obliegenden Selbsthilfeobliegenheit nachgekommen. Aus diesem Grunde scheide auch die weitere darlehensweise Bewilligung von Leistungen nach § 24 Abs. 5 SGB II aus. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.

 

Gegen die Ablehnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes durch den Bescheid vom 22. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. November 2019 hat der Kläger am 17. Dezember 2019 vor dem Sozialgericht Neuruppin Klage erhoben. Die Wohnfläche nach Wohnflächenverordnung des von ihm bewohnten Hauses betrage 78,09 qm. Er nutze zwar den größten Teil des Kellergeschosses, dadurch werde hieraus jedoch keine Wohnfläche im Sinne der Wohnflächenverordnung. Diese Räume seien Kellerräume und dürften nicht mitberücksichtigt werden, auch wenn der Hausermittlungsdienst diese Räume als Untergeschoss bezeichne. Dementsprechend sei der Wohnbereich des Klägers geschütztes Vermögen. Er hat ferner einen Grundriss des Hauses eingereicht und mitgeteilt, dass die beiden im Keller gelegenen Fenster ein lichtes Maß von 90 x 90 cm und das Fensterglas eine Größe von 70 x 70 cm hätten.

 

Der Kläger hat (erstinstanzlich) beantragt,

Der Ablehnungsbescheid vom 22.10.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2019 wird abgeändert und der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum November 2019 bis Oktober 2020 zuschussweise hilfsweise als Darlehen zu gewähren.

 

Der Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Zuschuss, da er über nicht geschütztes Vermögen verfüge. Er irre, wenn er die von ihm bewohnte Doppelhaushälfte als geschütztes Wohneigentum betrachte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei ein Familienheim mit einer Fläche von bis zu 90 qm als angemessen i. S. v. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II zu betrachten. Dieser Wert werde jedoch erheblich überschritten. Bei der Ermittlung der Fläche seien auch die vom Kläger im Untergeschoss des Hauses bewohnten Räumlichkeiten mit einzubeziehen. Zwar lägen die Räume im Untergeschoss. Gleichwohl handele es sich gerade nicht um klassische Kellerräume im Sinne von 3 2 Abs. 3 Nr. 1 a) WoFlV. Die Raumhöhe betrage 2 m und mehr. Zudem verfügten diese Räume über oberirdische Fenster und Heizkörper. Der Umstand, dass diese Räumlichkeiten einst als Kellerräume errichtet wurden, könne angesichts der tatsächlichen Nutzung nicht relevant sein. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die darlehensweise Gewährung von Leistungen. Der Kläger habe nicht alle vom Beklagten aufgezeigten Verwertungsmöglichkeiten (verschiedenen Kreditinstitute und Privatbanken, öffentlich-rechtlichen Banken, Genossenschaftsbanken die Beleihung seines Miteigentumsanteils anzubieten, seinen Miteigentumsanteil der Miteigentümerin zum Kauf anbieten, Auflösung der Miteigentumsgemeinschaft durch Einleitung einer Teilungsversteigerung) unternommen. Er habe vielmehr auf von vornherein nicht erfolgversprechende Aushänge in Supermärkten gesetzt. Die Einleitung der mehrfach geforderten Teilungsversteigerung sei gar nicht erst versucht worden. Im Eilverfahren S 37 AS 1392/19 ER habe er ausdrücklich vorgetragen, dass er keinen Antrag auf Teilungsversteigerung beim Amtsgericht einleiten werde. Auch wenn sich die Prognose hinsichtlich der Verwertbarkeit im Nachhinein als falsch herausstelle, könne dies nicht grundsätzlich dazu führen, dass ein Grundstück nunmehr als nicht verwertbar zu betrachten sei. Dies gelte umso mehr, wenn nur halbherzige Verkaufsbemühungen unternommen worden seien.

 

Mit Beschluss vom 19. Dezember 2019 im Eilverfahren S 37 AS 1392/19 ER verpflichtete das Sozialgericht Neuruppin den Beklagten, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II im Zeitraum vom 1. November bis 31. Dezember 2019 i. H. v. monatlich 424,- EUR und im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. April 2020 i. H. v. monatlich 432,- EUR zu gewähren.

 

Nach Klageerhebung bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 6. April 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2020 als Zuschuss. Aufgrund der Pandemie-bedingten Sonderregelungen seien ihm Leistungen zu bewilligen. Die Vermögensprüfung sei ausgesetzt. Nur wenn erhebliches, d. h. 60.000,- EUR übersteigendes Vermögen vorhanden sei, was im Fall des Klägers nicht der Fall sei, gelte dies nicht. Im Erörterungstermin vom 15. Dezember 2020 hat der Kläger daraufhin seinen Antrag hinsichtlich des Zeitraums vom Mai bis Oktober 2020 für erledigt erklärt. Der Kläger hat sich mit Schreiben vom 3. August 2021 und der Beklagte mit Schreiben vom 3. September 2021 mit einer Entscheidung durch das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Mit Urteil vom 5. Oktober 2021 ohne mündliche Verhandlung hat das Sozialgericht den Bescheid vom 22. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. November 2019 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. November 2019 bis zum 30. April 2020 zuschussweise Leistungen nach dem SGB II zu gewähren, sowie dem Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Kläger habe einen Anspruch auf Leistungen im Zeitraum vom 1. November 2019 bis zum 30. April 2020 gemäß §§ 19 ff. i. V. m. §§ 7 ff. SGB II. Hiernach erhielten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II, welches den Regelbedarf, die Mehrbedarfe und den Bedarf der Unterkunft und Heizung umfasse. Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II seien erfüllt, der im streitgegenständlichen Zeitraum 61-jährige, erwerbsfähige Kläger habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er sei auch im streitgegenständlichen Zeitraum hilfebedürftig gewesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe er nicht über die Freibeträge übersteigendes Vermögen verfügt. Insbesondere sei das von ihm genutzte Hausgrundstück von angemessener Größe. Für eine Person sei nach der Rechtsprechung eine Größe von bis zu 90 qm als angemessen zu betrachte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gelte mit Rücksicht auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Überschreitung von nicht mehr als 10 v. H. noch als angemessen. Die Wohnfläche des vom Kläger genutzten Hauses betrage weniger als 99 qm. Bei der Ermittlung seien die Räume im Keller des Hauses nicht als Wohnfläche zu berücksichtigen. Dies ergebe sich aus den weitgehend aufgehobenen Bestimmungen der zweiten Berechnungsverordnung (2. BV) bzw. der Wohnflächenverordnung (WoFlV). Gemäß § 42 Abs. 4 Nr. 1 2. BV bzw. § 2 Abs. 3 Nr. 1a WoFlV gehörten zur Wohnfläche weder die Grundflächen von Zubehörräumen wie z. B. Kellerräumen noch die Grundfläche von Räumen, die den nach ihrer Nutzung zu stellenden Anforderungen des (brandenburgischen) Bauordnungsrechts nicht genügten. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten handele es sich bei den Räumen um Kellerräume. Diese entsprächen zudem nicht den Anforderungen der Brandenburgischen Bauordnung. Schlaf- und Wohnzimmer verfügten jeweils nur über ein Fenster mit einer Größe von 0,81 qm. Nach § 47 Abs. 2 BbgBO müssten Aufenthaltsräume ausreichend belüftet und mit Tageslicht beleuchtet werden. Ausgehend von den vom Beklagten ermittelten Raumgrößen von 15,67 qm und 14,88 qm ergebe dies ein Mindestfenstermaß von 1,96 qm bzw. 1,86 qm, welches nicht erreicht werde. Entgegen der Auffassung des Beklagten komme es angesichts der typisierend geltenden Regelungen der 2. BV bzw. der WoFlV nicht auf die tatsächliche Nutzung an. Da der Kläger so Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes als Zuschuss habe, müsse über den auf darlehensweise gewährte Leistungen gerichtete Hilfsantrag nicht entschieden werden.

 

Gegen das ihr am 4. November 2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 3. Dezember 2021 Berufung erhoben. Der Kläger sei entgegen der Auffassung des Sozialgerichtes im hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht bedürftig, sondern habe über zu verwertendes Vermögen verfügt. Das Sozialgericht gehe zu Unrecht von einem Grenzwert von 99 qm aus. Das Bundessozialgericht habe in seiner Rechtsprechung keine generelle Überschreitung des Grenzwerts um 10 v. H. aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes befürwortet, sondern nur beim Vorliegen besonderer Umstände. Eine einzelfallbezogene Prüfung habe das Sozialgericht unterlassen. Zudem gehe das Sozialgericht fehl in der Annahme, dass die im Keller gelegenen Wohnräume nicht zur tatsächlichen Wohnfläche hinzuzurechnen seien. Bei richtiger Betrachtung sei von einer Wohnfläche von 147,54 qm auszugehen. Eine „sklavische“ Heranziehung der Wohnflächenverordnung verbiete sich schon deshalb, weil diese sich dezidiert auf Mietwohnraum in Zusammenhang mit dem Wohnungsraumförderungsgesetz beziehe. Die Wohnräume des Klägers lägen jedoch in einer unterkellerten Doppelhaushälfte, welche im hälftigen Miteigentum des Klägers stünde. Im Gegensatz zu einer Mietwohnung bestehe keine räumliche Trennung zwischen den übrigen Räumen und den Kellerräumen. Es sei auch unstreitig, dass die Kellerräume zu Wohnzwecken genutzt würden. Bei der Berechnung der Wohnfläche gemäß DIN 277 würden drei Arten von Flächen unterschieden, welche alle zur Netto-Grundfläche zählten, nämlich Wohn-/Nutzfläche, Verkehrsfläche und Funktionsflächen. Bei alledem komme es auf die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit nicht an. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei nicht zu entnehmen, dass die Wohnfläche eines Hauses zwingend nach der Wohnflächenverordnung zu berechnen sei. Angesichts des Umstandes, dass der Keller unmittelbar an den Rest des Hauses anschließe, sei es angemessener, die DIN 277 heranzuziehen. Allerdings führte auch eine Berechnung nach der Wohnflächenverordnung zu keinem anderen Ergebnis. In Anbetracht des vorliegend als Wohnraum tatsächlich genutzten und vom übrigen Wohnraum nicht abgegrenzten vermeintlichen „Kellers“ erscheine dessen Nichtberücksichtigung nicht als angemessen.

 

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichtes Neuruppin vom 5. Oktober 2021 zum Az. S 37 AS 1597/19 aufzuheben,

die Klage insgesamt abzuweisen.

 

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Entgegen der Auffassung des Beklagten sei das Haus von angemessener Größe und daher nicht als Vermögen vom Kläger zu verwerten. Die Kellerräume seien nicht zur Wohnfläche hinzuzurechnen, er verweise auf das von der Beklagten angefochtene Urteil.

 

Der gescannte Verwaltungsvorgang des Beklagten (Bl. 1210 - 1987) sowie die Gerichtsakten S 37 AS 1096/19 / L 20 AS 1415/21 und S 37 AS 798/18 / L 27 AS 1410/21 haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Auf diese sowie die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird ergänzend verwiesen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

Die Berufung des Beklagten ist zwar gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhoben. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung darf gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung ergehen, nachdem sich der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 18. Juni 2024 und der Beklagte mit Schriftsatz vom 17. Juni 2024 hiermit einverstanden erklärt haben.

 

Das Sozialgericht Neuruppin hat den Beklagten zu Recht dem Grunde nach dazu verpflichtet, dem Kläger in dem Zeitraum vom 1. November 2019 bis zum 30. April 2020 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II als Zuschuss zu erbringen und die angefochtenen Bescheide, mit welchen der Beklagte die Gewährung von Leistungen als Zuschuss oder Darlehen ablehnte, aufgehoben.

 

Materiell-rechtlich beurteilt sich der Anspruch des Klägers nach §§ 19 ff. i. V. m. §§ 7 ff., §§ 20 ff. SGB II in der Fassung, die das SGB II durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG vom 23. Dezember 2016, BGBl I 3234) ab 1. Januar 2018 bzw. ab dem 1. Januar 2019 durch das Teilhabechancengesetz (10. SGB II-ÄndG vom 17. Dezember 2018, BGBl I 2583) und das Qualifizierungschancengesetz (QualChancenG vom 18. Dezember 2018, BGBl I 2651) erhalten hat (Geltungszeitraumprinzip, vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2016 - B 14 AS 53/15 R, juris Rn. 15 ff.).

 

Der Kläger erfüllte im streitgegenständlichen Zeitraum die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II, insbesondere war er 61 Jahre alt und damit innerhalb der Altersgrenze des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II, erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II) und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II). Der Kläger war auch hilfebedürftig i. S. v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II. Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht (oder nicht ausreichend) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann.

 

Der Kläger erzielte im hier interessierenden Zeitraum kein Einkommen in einer Höhe, welche seine Hilfebedürftigkeit beseitigt. Er verfügte neben einem geringen Guthaben auf seinem Girokonto im Wesentlichen über das hälftige Miteigentum an dem von ihm und Frau E bewohnten Hausgrundstück mit einer Fläche von 462 qm und einer Wohnfläche von 147,54 qm nach den von dem Beklagten durchgeführten Messungen. Gemäß § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II (in der damals geltenden Fassung) waren ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Dass der Kläger das Haus bzw. bestimmte Zimmer selbst zu Wohnzwecken nutzte, ist unbestritten. Umstritten ist lediglich, ob das Hausgrundstück als angemessen zu beurteilen ist. In der damaligen Fassung des SGB II fanden sich – anders als in der seit dem 1. Januar 2023 geltenden Fassung in § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB II (in der Fassung des Bürgergeld-Gesetzes vom 16. Dezember 2022, BGBl. I 2328), welche vorliegend wegen des Geltungszeitraumprinzips nicht anzuwenden ist – keine weiteren Kriterien zur Bestimmung der Angemessenheit eines Hausgrundstücks.

 

Nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des Bundessozialgerichts ist der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt, in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Arbeitslosenhilfe, die ihrerseits auf das Sozialhilferecht nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Bezug nahm (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 17. Dezember 2002 - B 7 AL 126/01 R, juris Rn. 24 ff) - dahin konkretisiert worden, dass die angemessene Größe eines Hausgrundstücks mit Blick auf seine Gesamtwohnfläche und insoweit bundeseinheitlich nach den Wohnflächengrenzen des zum 1.1.2002 außer Kraft getretenen Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WobauG), differenziert nach der Anzahl der Personen, zu bestimmen ist (vgl. hierzu und im Folgenden nur Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 14 AS 90/12 R, juris Rn. 30 ff. mit weiteren Nachweisen). Für Familienheime mit nur einer Wohnung und bis zu vier Personen sah das II. WobauG eine Wohnflächengrenze von 130 qm vor (§ 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 II. WobauG). Auf diese Grenze ist auch vorliegend abzustellen. Die danach maßgebliche Wohnflächengrenze von 130 qm ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bei einer Belegung mit weniger als vier Personen um jeweils 20 qm pro Person zu reduzieren; typisierend ist diese Reduzierung jedoch auf eine Belegung mit bis zu zwei Personen zu begrenzen (vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 2/05 Rn. 22). Hieraus ergibt sich für das Haus ein Grenzwert von 90 qm und zwar gleichermaßen, ob man von einem Ein- oder Zwei-Personen-Haushalt ausgeht.

 

Anders als der Beklagte (und wohl auch das Sozialgericht) meinen, ist jedoch im vorliegenden Einzelfall zur Beurteilung der Frage, ob das Haus für den Kläger angemessen i. S. v. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II ist, nicht die gesamte Fläche des Hauses heranzuziehen. Zwar trifft es zu, dass das Haus – eine Doppelhaushälfte - insgesamt von zwei Personen - dem Kläger und der nach den Feststellungen des Beklagten aufgrund des Hausbesuchs vom 23. April 2018 von ihm getrennt lebenden Frau E – bewohnt wird. Beide sind Miteigentümer zu 1/2.

 

Unbeachtlich ist nach der Rechtsprechung an sich auch, welche Fläche eines Hauses von einem Eigentümer tatsächlich bewohnt wird. So hat das Bundessozialgericht die Rechtfertigung einer Abweichung von den Wohnflächengrenzen nach dem II. WoBauG bei einer vermieteten Einliegerwohnung (117 / 50 qm der Gesamtwohnfläche von 167 qm) für einen Vier-Personen-Haushalt ebenso verneint (Urteil vom 22. März 2012 - B 4 AS 99/11 R, juris Rn. 17) wie bei einem Hausgrundstück mit einer Wohnfläche von 129 qm, von denen die Eigentümerin nur 59 qm als eigene Wohnung nutzte, während die übrige Wohnfläche von nicht im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Familienmitgliedern mit getrenntem Haushalt bewohnt wurde (Urteil vom 12. Dezember 2013 - B 14 AS 90/12 R, juris Rn. 25). Dies hat das Bundessozialgericht jeweils damit begründet, dass der Eigentümer kraft seines Eigentums, dessen Verwertbarkeit als Vermögen im Streit stehe, keinen rechtlichen Beschränkungen hinsichtlich dessen tatsächlicher Nutzung unterliege (so auch mit weiteren Nachweisen Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 4/16 R, juris Rn. 32 f.). Dies leuchtet ein, wenn der Alleineigentümer zwar Teile des Hauses anderen Personen - auf welcher rechtlichen Grundlage sei dahingestellt – zur Nutzung überlassen hat, bei der Verfügung über das Eigentum als Alleineigentümer jedoch nicht eingeschränkt ist. Ebenso überzeugend ist dies, wenn die Miteigentümer eine Bedarfsgemeinschaft bilden und ihre Bedürftigkeit daher einheitlich zu beurteilen ist.

 

Vorliegend ist neben dem Kläger jedoch seine von ihm getrennt im Haus lebende Ex-Partnerin Miteigentümerin zu 1/2. Namentlich aus den Feststellungen des Bedarfsermittlungsdienstes des Beklagten bei dem Hausbesuch am 23. April 2018 ergeben sich zur Überzeugung des Senats keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger und Frau E sich gegenseitig dauerhaft wirtschaftlich unterstützen, so dass von einer Bedarfsgemeinschaft i. S. v. § 7 Abs. 3 SGB II oder einer Haushaltsgemeinschaft i. S. v. § 9 Abs. 5 SGB II auszugehen wäre. Da der Beklagte dem Kläger in der Vergangenheit Leistungen ohne Berücksichtigung von Frau E gewährte, geht und ging auch der Beklagte nicht davon aus. Ebenso ergibt sich aus dem Protokoll des Hausbesuchs, dass der Kläger und Frau Edie einzelnen Räume des Hauses jeweils für sich nutzen, wenngleich keine über Zimmertüren hinausgehenden räumliche Trennung zwischen den Räumen besteht.

 

Hieraus ergeben sich zwar keine dinglichen Einschränkungen hinsichtlich der Verfügbarkeit des (ideellen) Miteigentumsanteils. Ebenso wenig hat der Kläger vorgetragen oder ist es sonst wie ersichtlich, dass eine wirksame rechtliche Vereinbarung hinsichtlich der tatsächlichen Nutzung des Hauses getroffen wurde. Allein auf die derzeitige tatsächliche Nutzung abzustellen ist zwar nach dem oben Gesagten nicht zulässig. Gleichwohl kann in der vorliegenden Konstellation nicht ignoriert werden, dass die beiden Miteigentümer die gesamte Fläche des Hauses nicht gemeinsam nutzen und der Kläger (über die tatsächliche derzeitige unterhälftige Nutzung hinaus) aufgrund seines ideellen Miteigentumsanteils von 1/2 rechtlich allenfalls einen Anspruch auf alleinige Nutzung der Hälfte des Hauses hätte. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Arbeitslosenhilferecht und des Bundesverwaltungsgerichts zum Sozialhilferecht ist anerkannt, dass für die Bewertung, ob das im Miteigentum stehende Hausgrundstück angemessen ist, nur auf den vom Leistungsempfänger als Wohnung genutzten Teil des gesamten Hausgrundstücks abgestellt werden kann, wenn das Wohneigentum des Miteigentümers durch die ihren Anteilen entsprechende Nutzung der anderen Miteigentümer auf einen seinem ideellen Miteigentumsanteil entsprechenden realen Grundstücks- und Gebäudeteil beschränkt ist (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 22. März 2012 – B 4 AS 99/11 R, juris Rn. 17; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 30. Juli 2011, juris Rn. 34 ff.; Bundesverwaltungsgericht, BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1992 – 5 C 19/89, juris Rn. 10 ff.). Ist der Leistungsberechtigte durch die Nutzung der anderen Miteigentümer entsprechend § 1008 BGB auf einen seinem Bruchteil entsprechenden Grundstücks- und Gebäudeteil beschränkt, ist nur dieser Teil zu berücksichtigen (Lange in: Eicher/Luik/Harich, SGB II Kommentar, 5. Aufl. 2021, § 12 SGB II Rn. 89).

 

So liegt der Fall hier. Vorliegend ist daher für die Prüfung der Angemessenheit maximal 73,77 qm, entsprechend der Hälfte der von dem Beklagten gemessenen Wohnfläche des Hauses zugrunde zu legen. Dies sind deutlich weniger als der vom Bundessozialgericht für eine Person angenommene Grenzwert von 90 qm. Zwar betont das Bundessozialgericht, dass die Wohnflächengrenzen nicht als quasi normative Größen herangezogen werden können, sondern beim Vorliegen besonderer Umstände einer Anpassung bedürften, da Entscheidungsspielraum für außergewöhnliche, vom Regelfall abweichende Bedarfslagen bestehen müsse (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 24.05.2017 - B 14 AS 16/16 R, Rn. 24 f.). Ob eine Abweichung auch nach unten möglich ist, kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall liegen jedenfalls keine besonderen Umstände vor, welche eine solche Abweichung gebieten. So ergeben sich aus den Feststellungen des Beklagten insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass etwa das Gebäude besonders günstige räumliche Verhältnisse aufweist. Da der Kläger auch einen Raum im Dachgeschoss nutzt, wäre allenfalls noch von einer gemeinsamen Nutzung der Flure auszugehen. Die Fläche der Flure beträgt im Erdgeschoss 8,19 qm, im Dachgeschoss 2,74 qm und im Keller 2,54 qm (allerdings mit einer Deckenhöhe von 1,88 m). Selbst wenn man die gesamte Fläche zu der vom Kläger allein genutzten hinzurechnete, bliebe die Gesamtfläche noch unterhalb des Grenzwerts von 90 qm.

 

Soweit der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 3. Mai 2024 darauf hinweist, dass das Bundessozialgericht in dem Urteil vom 22. März 2012 (B 4 AS 99/11 R, juris Rn. 17) darauf abgestellt hat, ob eine Teilung des Wohneigentums vorlag, übersieht er, dass der dortige Fall in entscheidenden Punkten anders liegt. So handelte es sich dort um ein Ehepaar, welches als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem SGB II bezog und in dem Haus gemeinsam mit ihren zwei Kindern lebte. In deren gemeinsamen Eigentum befand sich das Hausgrundstück, in dem es neben der von den Klägern bewohnten Wohnung mit einer Größe von 117 qm noch eine Einliegerwohnung mit einer Fläche von 50 qm gab, für welche zwar eine Abgeschlossenheitserklärung vorlag, die jedoch nicht dinglich durch Teilung von dem übrigen Haus getrennt war. Hier hat das Bundessozialgericht überzeugend auf die gesamte Fläche des Hauses für den Vier-Personen-Haushalt abgestellt, da die Kläger aufgrund ihres Eigentums ohne Einschränkungen über die gesamte Fläche verfügen konnten. Ferner heißt es dort:

„Anders als bei einem Miteigentumsanteil bestehen keine eigentumsrechtlichen Einschränkungen in dem Sinne, dass jeder Miteigentümer durch die Rechte der anderen Miteigentümer in seinem Nutzungsrecht, auch dem Wohnnutzungsrecht, eingeschränkt ist. Entsprechend ist bereits von der Rechtsprechung des BSG zum Arbeitslosenhilferecht und des BVerwG zum Sozialhilferecht nur für diese Konstellation anerkannt worden, dass für die Bewertung, ob das im Miteigentum stehende Hausgrundstück angemessen ist, nur auf den vom Leistungsempfänger als Wohnung genutzten Teil des gesamten Hausgrundstücks abgestellt werden kann, wenn das Wohneigentum des Miteigentümers durch die ihren Anteilen entsprechende Nutzung der anderen Miteigentümer auf einen seinem ideellen Miteigentumsanteil entsprechenden realen Grundstücks- und Gebäudeteil beschränkt ist.“

Der sich anschließende Satz, dass das Hausgrundstück in seiner Gesamtheit zu beurteilen sei, solange eine Teilung nicht vorliege, bezieht sich aber grade nicht auf den zuvor erörterten Sonderfall, sondern auf die zunächst erörterte Konstellation, dass die dortigen Kläger kraft ihres Eigentums keinen Beschränkungen hinsichtlich dessen Nutzung unterliegen.

 

Ob der Sachverhalt anders zu entscheiden ist, wenn ein Miteigentümer eine größere Fläche tatsächlich dauerhaft nutzt, als es seinem Miteigentumsanteil entspricht (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 2. Dezember 2008 - L 5 B 335/08 AS ER, juris Rn. 30 ff.: von dem 157 qm großen Haus, wovon dem Antragsteller ein Miteigentumsanteil von ½ gehörte, nutzte dieser 105 qm, die übrige Fläche war eine Einliegerwohnung), kann dahinstehen. Denn der Senat ist aufgrund der Feststellungen des Beklagten, wie sie sich aus dem Vermerk vom 23. April 2018 ergeben, der Überzeugung, dass der Kläger maximal eine Fläche von 62,47 qm tatsächlich bewohnt.

 

Da selbst nach den Werten der vom Beklagten vorgenommenen Messung das Hausgrundstück nicht unangemessen groß ist, kann dahinstehen, nach welchen rechtlichen Maßstäben die Wohnfläche eines Hauses zu bestimmen ist und welche Räume in die Berechnung einbezogen werden müssen. Ebenso muss nicht geklärt werden, ob die Verwertung des hälftigen Miteigentumsanteils des Klägers in angemessener Zeit möglich ist (vgl. dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 4/16 R, juris Rn. 26).

 

Das Sozialgericht hat daher den Beklagten zu Recht gemäß durch Grundurteil i. S. v. § 130 Abs. 1 S. 1 SGG verpflichtet, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu gewähren. Über die genaue Höhe, insbesondere über die Höhe des Bedarfs für Unterkunft und Heizung wird der Beklagte noch zu entscheiden haben.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Insbesondere liegt keine grundsätzliche Bedeutung vor, da die hier für die Beurteilung der Angemessenheit des Hausgrundstücks im Jahr 2019 maßgebliche Vorschrift des § 12 SGB II durch das Bürgergeld-Gesetz grundlegend überarbeitet wurde und nicht zu ersehen ist, dass noch eine Vielzahl von Verfahren mit einer vergleichbaren Problematik bei den Gerichten anhängig sind (so genanntes ausgelaufenes Recht, vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Dezember 2023 – B 7 AS 51/23 B, juris Rn. 6 ff.). Namentlich das Parallelverfahren L 27 AS 1410/21 ist rechtskräftig abgeschlossen. Das Urteil weicht auch nicht von der Rechtsprechung eines der in § 160 Abs. 2 genannten Gerichte ab. Entgegen der Auffassung des Beklagten weicht das Urteil nicht von dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 22. März 2012 (B 4 AS 99/11 R) ab, auf die obigen Ausführungen wird verwiesen.

Rechtskraft
Aus
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