Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Anerkennung eines Ereignisses am 28. Mai 2018 als Arbeitsunfall.
Der 1989 geborene Kläger war Pflegeperson und Lebensgefährte des Zeugen C E und bewohnte mit diesem gemeinsam eine Wohnung in der D in der 3. Etage. Bei Herrn E war ausweislich eines MDK Gutachtens vom 31. Mai 2017 ein Pflegegrad 3 unter anderem aufgrund eines (insulinpflichtigen) Diabetes mellitus mit Polyneuropathien festgestellt.
Am 28. Mai 2018 wurde der Kläger im Flur des Wohnhauses nach Verlassen der Wohnung von zwei Jugendlichen angegriffen. Er wurde vom 28. Mai 2018 bis zum 30. Mai 2018 unter den Diagnosen Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefer links, Schädelhirntrauma I.°, Handprellung rechts, OSG- Distorsion links sowie einer Abschürfung Knie rechts im Unfallkrankenhaus Berlin stationär behandelt.
Am 4. Juni 2018 meldete der Kläger das Ereignis telefonisch bei der Beklagten als Unfall. Zudem meldete die Krankenkasse des Klägers einen Erstattungsanspruch an und verwies auf eine Telefonnotiz. Der Kläger habe mitgeteilt, dass er sich auf dem Weg zum Auto befunden habe, um dort das Blutzuckergerät für Herrn E zu holen. Dabei sei er von Nachbarn angegriffen worden.
Die Beklagte bat den Kläger mit Schreiben vom 20. Juli 2018 mitzuteilen, wann üblicherweise die (Insulin)Injektionen erfolgen, ob dies nachts der Fall sei und warum diese am Unfalltag erst um 01.30 Uhr stattfand. Zudem wurde gebeten mitzuteilen, ob dem Überfall eine Meinungsstreitigkeit vorausging und um Angabe der Namen der Täter gebeten. Zudem beantragte die Beklagte Akteneinsicht in die polizeiliche Ermittlungsakte.
Mit Schreiben vom 25. Juli 2018 ließ der Kläger die Fragen der Beklagten beantworten. Üblicherweise gehe Herr E zwischen 23.00 und 01.00 Uhr ins Bett. Gehe er früher ins Bett, so werde eben dann das Insulin gespritzt. An diesem Tag sei es später geworden. Bei der (durchgeführten) Insulingabe sei aufgefallen, dass das Blutzuckermessgerät sowie auch der PEN sich noch im Auto befanden. Daher habe der Kläger sich entschlossen, noch die Sachen aus dem Auto zu holen.
Während er zum Auto gehen wollte, sollte das Schlafzimmer gelüftet werden. Deswegen sei er zum Fenster getreten und habe gesehen, dass sich Jugendliche der Sozialeinrichtung C, die in der zweiten Etage eine betreute Wohngemeinschaft betreibe, sich auffällig am Fahrstuhl der 2. Etage verhielten. Er habe Herrn E dazu gezogen und beide hätten das ungewöhnliche Verhalten der Jugendlichen vom Fenster aus beobachtet. Zwei Jugendliche hätten dann den Fahrstuhl betreten und sich in die 3. Etage begeben.
Da der Kläger sich sowieso auf den Weg zum Auto habe begeben wollen, habe er die Wohnung verlassen. Damit habe sich zugleich die Möglichkeit eröffnet, bei der Gelegenheit zu schauen, was die Jugendlichen auf dem Flur der dritten Etage machten. Der Anlass, die Wohnung zu verlassen, sei aber die vergessene „Diabetes-Tasche" gewesen. Sofern die Beklagte danach frage, ob es bereits Meinungsverschiedenheiten gegeben habe, so erschließe sich der Hintergrund dieser Frage nicht. Auch dann habe der Täter ihn nicht „krankenhausreif" schlagen dürfen.
Die Beklagte zog die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft (264 Js 7431/18) bei. Aus diesen ergibt sich Folgendes: Bei Aufnahme der Strafanzeige (A 65-180528-0130-027573) gab der PHK B folgenden Sachverhalt wieder:
„Im vorliegenden Sachverhalt sind die Beteiligten, Herr K und Herr E (gemeinsame Lebensgemeinschaft) Mieter im Mehrfamilienhaus und die beiden Beteiligten Herr B und Herr W wohnen dort im Rahmen einer betreuten Wohngemeinschaft im dortigen Haus. Zwischen den Personen kommt es schon seit längerer Zeit zu unterschiedlichen Streitigkeiten. Herr B führte aus, dass der Fahrstuhl am heutigen Tag stark verschmutzt war und er vermutete, dass dieses durch die beiden Herrn K und Herrn E verursacht wurde. Daraufhin wollte er an der Wohnungstür nachschauen ob er irgendwelche Spuren erkennen kann, um einen Beweis für seine Vermutung zu haben. Daraufhin hätte Herr K die Wohnungstür geöffnet wäre sofort auf ihn zugestürmt und hätte ihn an seiner Jacke gezogen und geschubst…. Herr K bestritt soweit den Vorfall in der Form, dass nachdem er die Tür geöffnet hätte, Herr B sofort auf ihn eingeschlagen hat und er sich nur wehren wollte und deshalb ihn in den Schwitzkasten nahm.“
Der als Zeuge vernommene Nachbar des Klägers, S R, erklärte schriftlich unter dem 12. Juni 2018: „… Ich öffnete die Wohnungstür einen Spalt, sah die offen stehende Tür meines Nachbarn. Ich wendete meinen Blick um die Ecke um richtig in den Hausflur zu schauen. Dabei sah ich meinen Nachbarn Herrn T K und L B im Hausflur stehen und sah nach einem kurzen Wortgefecht, wie L B dem Herrn T K einen brutalen Kopfstoß versetzte. Herr K schrie um Hilfe. Dann schlug ihm Herr B mit einer Fanta-Flasche ins Gesicht.“
Im Rahmen der polizeilichen Aussage gab Herr E unter dem 18. Juni 2018 folgende schriftliche Äußerung ab:
„Ich war bereits ‚bettfertig‘ und wollte das Schlafzimmer nochmal lüften, als mich T K darauf hinwies, dass auf der zweiten Etage irgendwas komisch/ungewöhnlich war. Ich trat ans Balkonfenster und sah mehrere Jugendliche von C mit einem Erzieher von C vor dem Fahrstuhl stehen. Sie zögerten in den Fahrstuhl zu treten und guckten sehr auffällig, so dass deutlich wurde, irgendwas ist da komisch. Da es den ganzen Abend und die anbrechende Nacht zu laut war und zwei Jugendliche dann auch noch zu uns ins Dachgeschoss kamen und dort vor dem Fahrstuhl sich ebenfalls auffällig verhielten, wollte Herr K die Jugendlichen zur Rede stellen und verließ die Wohnung. Da ich gesundheitlich deutlich langsamer bin, kam ich gerade erst um die Ecke vom Schlafzimmer/Wohnzimmer, wo die Küche beginnt, als T K am Ende des Flures bei LB stand. Beide ‚diskutierten‘. … Als ich dann sah, wie B völlig unerwartet Herrn K, aus dem zunächst nur Wortgefecht, mit dem Kopf stieß und dann unmittelbar noch mit einem gelben Gegenstand ins Gesicht schlug, …“.
Der Kläger schilderte den Vorfall bei der polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter am 18. Juni 2018 wie folgt:
„In der Nacht zum 28.05.2018 war es in der Wohnung unter mir sehr unruhig. Ich hörte Getrampel und laute Musik. Gegen 01.15 fiel mir auf, dass die Tasche meines Mitbewohners, C E, noch in dessen Auto lag. Daraufhin beschloss ich mein Schlafzimmer zu lüften und wollte die Balkontür öffnen. Noch bevor ich die Balkontür geöffnet hatte, sah ich zwei Jugendliche, welche direkt vor dem Aufzug standen. Kurz darauf kam noch der Erzieher mit einer weiteren Jugendlichen dazu. Alle vier verhielten sich merkwürdig. Alle vier sahen auf den Boden, was mir sehr komisch vorkam. Herr E war schon bettfertig. Ich sah dann, wie nur zwei Jugendliche in den Fahrstuhl stiegen und im Dachgeschoss, wo ich auch meine Wohnung habe, wieder ausstiegen. Noch in meiner Wohnung stellte ich mein Handy auf ‚Aufnahme‘ und ging ins Treppenhaus. Ich wollte die Jugendlichen zur Rede stellen. Im Hausflur kam mir Herr B entgegen. Ich fragte ihn, was sie hier machen würden. Er antwortete: ‚Wie, was machen wir hier?‘. Ich fragte ihn noch einmal, was er hier machen würde und warum sie so einen Krach machen würden. Er fragte mich, was die Scheiße hier sollte. Ich fragte zurück: ‚Was für eine Scheiße?.‘ Herr B fragte, was die Scheiße im Fahrstuhl sollte und zeigte mit seinem Finger auf den Fahrstuhl. Ich erschreckte mich über seine schnelle Armbewegung. Um einen Sicherheitsabstand einzuhalten, hob ich meinen linken Arm. Anschließend sagte er zu mir: ‚Komm mir nicht zu nah, sonst kriegst du eine. Verpiss Dich.‘ Im gleichen Moment gab er mir eine Kopfnuss, wovon ich irritiert war. Direkt am Anschluss schlug er mir mit einer vollen 1-Liter-Fanta-Flasche, welche er in der rechten Hand hielt, auf meine linke Gesichtshälfte. Ich schrie lauf um Hilfe…“
Weiter heißt es in der Aussage des Klägers auf Nachfrage der Polizei, dass die Probleme mit der Einrichtung C derzeit beim Amtsgericht Wedding geklärt würden. Seine Versuche, Probleme mit der Einrichtung sachlich zu klären, hätten keinen Erfolg gehabt. Der Kläger übergab dem vernehmenden Polizisten die 1-Liter-Fantaflasche „als Beweis“ sowie einen USB-Stick, „auf welchem sich der Tathergang befindet“.
Mit Bescheid vom 5. März 2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Den Zeugenaussagen in der Staatsanwaltsakte sei zu entnehmen, dass der Kläger, nachdem er vom Balkon die Jugendlichen beobachtet habe, die Wohnung verließ und diese zur Rede haben stellen wollen. Laut Akte der Staatsanwaltschaft hätte es bereits im Vorfeld Diskrepanzen mit den Jugendlichen gegeben. Das Holen des Gerätes aus dem Auto sei dort nur nebenbei erwähnt worden. Damit bestehe als finale Handlungstendenz nur die Konfrontation mit den Jugendlichen. Die versicherte pflegerische Tätigkeit sei nicht zweifelsfrei bewiesen. Ein Versicherungsfall gem. § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII liege daher nicht vor.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Die Handlungstendenz des Klägers sei ausschließlich auf das Holen der Tasche mit den Messgeräten gerichtet gewesen. Der anwaltlichen Widerspruchsbegründung vom 8. April 2019 war eine Schilderung der Abläufe am 25. Mai 2018 im Detail durch den Kläger beigefügt. In dieser gab er unter anderem an, dass er wenn möglich die Wohnung nur mit seinem Partner gemeinsam verlasse, daher sei klar gewesen, dass das Zur Rede-Stellen auch erst gemeinsam erfolgen sollte. Es sei die Entscheidung getroffen worden: T holt erst das Insulinzeug und das zur Rede-Stellen wird danach gemeinsam gemacht. Das Fehlen des Messgerätes sei erst nach der Insulingabe aufgefallen.
Der Widerspruchsbegründung des Klägers vom 11. März 2019 beigefügt war ein Schreiben des Herrn E vom selben Tag, in dem dieser angab, dass er bei der Polizei den Grund des Verlassens der Wohnung durch den Kläger nicht weiter angegeben habe, da diese Details für die Polizei unwichtig gewesen seien. Dazu sei er auch nicht befragt worden. Er habe auch vermeiden wollen, dass die Jugendlichen durch eine Akteneinsicht von seiner Erkrankung erfahren. Er versichere ausdrücklich, dass der Kläger nur die Wohnung verlassen habe, um das Messgerät zu holen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 2019 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger gehöre als Pflegeperson grundsätzlich nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII zum Kreis der versicherten Personen. Es fehle jedoch der Nachweis eines Arbeitsunfalls. Nach Auswertung der Ermittlungsprotokolle von der Polizei und den Aussagen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hätten sich Widersprüche hinsichtlich der Handlungstendenz und des Geschehensablaufes ergeben. Bei der Polizei habe der Kläger sowie Herr E jeweils angegeben, dass sie die Wohnung verlassen hatten, um die Jugendlichen wegen des bereits andauernden Lärmes und des nicht erforderlichen Aufenthaltes auf dem Flur des Dachgeschosses zur Rede zu stellen. Diese Aussage sei insbesondere in Anbetracht der anhaltenden Konflikte mit den Jugendlichen auch glaubhaft. Auch der Beschuldigte Herr B habe angegeben, dass es bereits seit längerer Zeit zu Streitigkeiten zwischen den Beteiligten gekommen war und hierüber auch gerichtliche Verfahren anhängig gewesen seien.
Sofern der Kläger und Herr E nachfolgend angaben, es sei unwichtig gewesen, der Polizei als Grund des Verlassens Ihrer Wohnung das Holen der Tasche aus dem Auto zu nennen, halte die Beklagte dies hingegen nicht für glaubhaft. Der Kläger sei einer Straftat verdächtigt worden, so dass es nicht plausibel erscheine, den eigentlichen Grund des Verlassens der Wohnung nicht zu benennen, obwohl dieser unverfänglich erscheine. Der Zusammenhang mit der Pflegetätigkeit sei daher nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis nachgewiesen. Zudem seien auch nicht alle Tätigkeiten einer Pflegeperson versichert, die dem Pflegenden zugutekommen, sondern nur solche, die unter die sechs Module der Pflegetätigkeit im Sinne der §§ 14 Abs.2, 18 Abs. 5a Satz 3 Nr. 2 SGB XI fallen.
Hiergegen hat der Kläger am 6. Oktober 2019 Klage zum SG erhoben, mit der er sein Ziel unter Vertiefung seines Vortrags weiterverfolgt hat. Ein Zusammenhang zwischen dem unabweisbaren, kurzfristig erforderlich gewordenen Pflegebedarf und der unfallbringenden Tätigkeit (Weg zu unverzichtbaren Pflegeutensilien) bestehe selbst bei der Annahme einer gemischten Handlungstendenz. Sofern die Beklagte darauf verweise, das Holen der Tasche sei bereits keine versicherte Tätigkeit, so überzeuge dies nicht. Die Beklagte betone selbst, dass zur Pflege die Unterstützung des zu Pflegenden bei der konkreten Einnahme der Medikamente gehöre. Erst während der abendlichen Pflegeroutine zur Verabreichung von Langzeitinsulin und Blutzuckermessung sei aufgefallen, dass die Tasche mit den Messgeräten und dem Insulin fehlte, da sie zuvor im Auto vergessen worden war. Mangels Ersatzgerät sei der Weg zum Holen der (in einer Tasche befindlichen) Pflegeutensilien und Medikamente dann aber eine alternativlose Bedingung zur Fortsetzung der bereits begonnenen Pflegemaßnahmen. Der Weg zum Auto sei zwingender Bestandteil des versicherten Pflegevorganges. Es liege damit ein Betriebsweg vor.
Der Kläger hat vor dem SG beantragt,
den Bescheid vom 05. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2019 aufzuheben und das Ereignis von 28. Mai 2019 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf den Inhalt der Verwaltungsakte und die Ausführungen in den Bescheiden berufen. Die zum Unfall führende Tätigkeit könne nicht dem Bereich Mobilität (z die Mobilität der Pflegeperson selber), dem Bereich der Selbstversorgung oder der Bewältigung von krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen zugeordnet werden. Sie habe sich beim Holen einer Tasche aus dem Auto ereignet. Das etwaige „Tasche holen" stelle auch nur eine unversicherte Vor- bzw. Nachbereitungshandlung dar, da der Kläger der Pflegeperson bereits das Insulin verabreicht habe. Der Versicherungsschutz bestehe nur im Rahmen der konkreten Pflegetätigkeiten, die in § 14 SGB XI aufgezählt seien. Selbst bei der Annahme einer versicherten Tätigkeit mit einer gemischten Handlungstendenz habe sich das Ereignis in dem nicht geschützten Bereich im Hausflur des Mehrfamilienhauses zugetragen. Für Wegeunfälle beginne und ende der Versicherungsschutz mit dem Durchschreiten der Außenhaustür des bewohnten Gebäudes. Was innerhalb liege, gehöre zum unversicherten häuslichen Wirkungskreis. Das Treppenhaus sei kein öffentlicher Raum.
Das Amtsgericht Tiergarten hat mit Urteil vom 6. November 2019 – Az. 0431 Ds 264 Js 7431/18 (53/19) Jug - die Angeklagten B und W der gefährlichen Körperlverletzung bzw. der Körperverletzung schuldig gesprochen. In dem Urteil heißt es unter anderem, dass es zwischen dem Zeugen K und dem Angeklagten B zu einem heftigen Streit gekommen sei, „welcher in die Tätigkeit mündete“. Dies ergebe sich unter anderem auch aus dem in Augenschein genommenen Video, welches der Zeuge K auf seinem Mobiltelefon beim Verlassen der Wohnung aktiviert hatte.
Das SG hat Herrn E sowie den Nachbarn Herrn R schriftlich zeugenschaftlich zum Hergang befragt. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf die Schreiben vom 9. November 2020 (Gerichtsakte - GA – Blatt 70 ff.) und 29. Dezember 2020 (GA Blatt 92) verwiesen.
Herr R gab an, er „habe dann Herrn K mit dem Rücken zu mir gesehen und einen C Jugendlichen namens L B. Sie standen beide in der Ecke des Flurs und diskutierten, als Herr B Herrn K plötzlich und unvermittelt eins gegen die Rübe gab (eine Kopfnuss) und dann noch einen Schlag mit einer Fanta-Flasche ins Gesicht.“
Herr E bestätigte die Angaben des Klägers, dass alleinige Motivation des Klägers zum Verlassen der Wohnung gewesen sei, das Insulin zurückzuholen. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 9. November 2020 verwiesen. Hierbei gab Herr E unter anderem an, dass er den Kläger und den Jugendlichen L B im Flur gesehen habe. „Beide standen am Ende des Flures in der Ecke und tauschten sich in Worten aus. Worum es ging konnte ich auf die Entfernung nicht verstehen. Als ich dann noch sah, dass mein Nachbar R ebenfalls aus seiner Tür und zu T und L B blickte, verharrte ich.… Als ich dann aber sah, wie Herr B aus heiterem Himmel T plötzlich mit dem Kopf stieß und ihm mit einem gelben Gegenstand direkt ins Gesicht schlug, …“.
Das SG hat die Klage – im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung - mit Urteil vom 11. Mai 2021 abgewiesen.
Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten.
Zwar hätte sich der Kläger zum Zeitpunkt der Tat auf einem sog. Betriebsweg befunden haben können. Denn nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII in der ab 01.01.2017 geltenden Fassung seien Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches versichert.
Die versicherte Tätigkeit umfasse pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 SGB XI genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 SGB XI. Hierzu gehörten u. a. nach § 14 Abs. 2 Nr. 5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: a) in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel.
Die Kammer gehe nach Auswertung des Akteninhalts und den Schilderungen zwar davon aus, dass es sich bei dem Weg des Klägers nach draußen - entgegen der Ansicht der Beklagten - durchaus um einen Betriebsweg hätte handeln können. Sofern dieser Weg die Messung des Zuckerwertes ermöglichen sollte, würde diese Tätigkeit nicht lediglich eine vorbereitende Handlung darstellen, sondern nach Überzeugung der Kammer von dem in § 14 Abs. 2 Nr. 5 SGB XI beschriebenen Bereich umfasst sein.
Ein Betriebsweg unterscheide sich von anderen Wegen dadurch, dass er im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt wird und nicht - wie Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit im Sinne von S 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII - der versicherten Tätigkeit lediglich vorausgeht oder sich ihr anschließt. Entscheidend für die Beurteilung, ob ein Weg im unmittelbaren Betriebsinteresse zurückgelegt werde und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe, sei die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, ob also der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt werde.
Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Handlungstendenz tatsächlich auf das Holen der Tasche gerichtet war. Dem stünden die Aussagen bei der Polizei ersichtlich entgegen.
Dort habe Herr E die Tasche gar nicht erwähnte, der Kläger hat sie in einem Nebensatz benannt. Ein Zusammenhang mit dem späteren Verlassen der Wohnung sei zu keiner Zeit dort geschildert worden. Die Kammer verkenne dabei nicht die im Klageverfahren erfolgten schriftlichen Einlassungen, dass letztlich die Tasche bzw. die Medikamente nicht erwähnt werden sollten, damit durch eine Akteneinsicht die Täter nicht von dem Gesundheitszustand des Herrn E erfahren. Dies erschließe sich der Kammer insofern nicht, als dass die Tasche selbst (ohne einen Bezug zu dem Messgerät) durchaus kurz erwähnt worden sei. Der Kammer erscheine es nicht schlüssig, dass ausgerechnet im Rahmen der strafrechtlichen Verfolgung der Umstand, sich mit den Jugendlichen auseinandersetzen zu wollen, als einzig dominierender Grund für das Aufeinandertreffen geschildert werde. Sofern es noch andere dominierende oder gleichwertige Motive für das Verlassen der Wohnung nach Mitternacht gegeben habe, so dürften diese doch erst Recht im Rahmen der strafrechtlichen Beurteilung von Bedeutung für den Kläger und Herrn E gewesen sein zur Abwehr einer Strafverfolgung des Klägers. Unter Auswertung des gesamten Aktenmaterials habe sich die Kammer daher nicht davon überzeugen können, dass hier tatsächlich eine gemischte Motivationslage/gespaltene Handlungstendenz zum Zeitpunkt des Angriffs vorgelegen habe.
Sofern unter anderem darauf verwiesen werde, dass die Jugendlichen letztlich erst dann zu Rede gestellt werden sollten, wenn auch Herr E angezogen gewesen und dann hätte mitkommen können, so stehe dieser Vortrag im unmittelbaren Widerspruch zur Schilderung bei der Polizei. Dort werde als einziger Grund in beiden Aussagen jeweils angegeben, dass der Kläger die Jugendlichen habe „zur Rede stellen" wollen. Eine geplante gemeinsame Konfrontation erst nach dem Holen der Tasche aus dem Auto wird zu keinem Zeitpunkt dort erwähnt. Damit könne aber für die Kammer das Betreten des Flures zur Konfrontation mit den späteren Angreifern nicht hinweggedacht werden, sie sei vielmehr die dominierende Handlungstendenz für den Weg. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger sich tatsächlich in den Hausflur begeben hätte zu diesem Zeitpunkt, wohlwissend, dass die Jugendlichen sich dort befanden. Dagegen spräche auch die Tatsache, dass zunächst noch Zeit für Filmaufnahmen geblieben und die Tasche nicht etwa bereits zu dem Zeitpunkt geholt worden sei, als deren Fehlen auffiel. Die Dringlichkeit, die nunmehr im Verfahren geschildert werde, das Messgerät zu diesem Zeitpunkt trotz der bevorstehenden Konfrontation zu holen, lasse sich für die Kammer so nicht objektivieren.
Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 19. Mai 2021 zugestellte Urteil am 2. Juni 2021 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Er vertieft und wiederholt umfangreich, dass allein das Holen der Insulintasche und nicht etwa eine Konfrontation mit den Jugendlichen Motivation für sein Verlassen der Wohnung gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 2. Juni 2021 (GA Blatt 130 bis 142) Bezug genommen.
Er führt hier unter anderem aus, dass er niemals den Träger C oder einen seiner gewalttätigen Jugendlichen allein zur Rede stellen würde. Diese Annahme widerspräche jedweden Erfahrungen des Klägers mit den Tätern, genauer dem sozialen Träger, zu dem der spätere Täter auch gehörte, seit dessen Einzug. Bereits die erste Woche nach Zuzug des sozialen Trägers habe den Kläger zur Vorsicht walten lassen. So sei wenige Tage nach Einzug einem Bewohner des Trägers aufgelauert und dieser fast totgeschlagen worden. Als sich der Kläger über Ruhestörungen des sozialen Trägers beschwert habe, sei ihm vorgeworfen worden, er hätte diesen Vorfall verhindern können und sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht. Seine Klage auf Unterlassung dieser Behauptung vor dem Amtsgericht Wedding, sei allerdings erfolglos geblieben, da die Äußerungen des Trägers durch die Meinungsfreiheit gedeckt gewesen seien. Dass die Notwendigkeit zum Selbstschutz begründet gewesen sei, habe sich auch später in Anzeigen gegen Dritte gezeigt. So sei sein Nachbar R unberechtigt der Sachbeschädigung beschuldigt worden. Er selbst sei unrechtmäßig der Körperverletzung gegenüber einer Erzieherin und des angeblichen Hausfriedensbruchs in seinem eigenen Hausflur beschuldigt worden. Die Anzeigen durch den sozialen Träger seien haltlos und falsch gewesen. Um derartigen falschen Behauptungen vorbeugen zu können, sei ihm das Anfertigen von Videoaufnahmen zum Selbstschutz geboten gewesen. Zudem hätten diese Aufnahme der Beweisführung gedient. So sei dem Kläger von einem anderen Jugendlichen mit seiner Ermordung gedroht worden. Nur dank einer Videoaufnahme sei es zur Anklage dieses Jugendlichen gekommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Berlin vom 11. Mai 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 05. März 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 2019 aufzuheben und das Ereignis von 28. Mai 2019 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es seien keine Gründe ersichtlich, vom erstinstanzlichen Urteil abzuweichen.
Auf den Hinweis des Senats vom 15. März 2022, dass eine Zeugenbefragung des Herrn E entbehrlich sein dürfte, da einiges dafür sprechen dürfte, dass der streitige Weg nach unten, um die Tasche mit Medikamenten zu holen, als sogenannter Betriebsweg anzuerkennen sein dürfte, jedoch nicht jeder Überfall auf einem Betriebsweg unter den Schutz der Unfallversicherung falle; nämlich dann nicht, wenn der Angreifer durch persönliche Feindschaft gegen den Beschäftigten oder durch aus betriebsfremden Beziehungen stammende Beweggründe zum Überfall veranlasst worden sei und keine besonderen der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Verhältnisse beim Zurücklegen des Weges den Überfall wesentlich begünstigt haben, teilte der Kläger mit Schreiben vom 24. Juni 2022 mit, dass es keine persönliche Feindschaft zwischen ihm und dem Angreifer gegeben habe. Eine persönliche Feindschaft setze eine interpersonelle Beziehung zwischen den beteiligten Personen voraus. Diese habe zwischen ihm und den beiden beteiligten Jugendlichen aus der Jugendwohngemeinschaft des Vereins C nicht bestanden. Für ihn seien es „die Jugendlichen von C“ gewesen und nicht Herr L B und Herr L W. Eine persönliche Feindschaft habe definitiv nicht bestanden. Hierzu hätte man die Jugendlichen vorab kennen müssen. Auch aus den gegen ihn erhobenen haltlosen Anzeigen sei nicht auf eine persönliche Feindschaft zu den Tätern zu schließen. Die Anzeigen seien zudem von den Erziehern von C gefertigt worden. Die vom Senat ihm mitgeteilten Urteile des BSG könnten nicht auf seinen Fall übertragen werden. Es sei zwar richtig, dass es im Vorfeld eine Art von „Problemen“ gegeben habe. Jedoch hätten diese nicht gegenüber den Jugendlichen und nicht nur zwischen Herrn E als Mieter und dem Verein, sondern auch zwischen den anderen Mietern des Mehrfamilienhauses und dem Verein, bestanden. Im Übrigen habe die Unfallkasse die Beweislast zu tragen, welche Motive der Täter gehabt habe und ob eine persönliche Feindschaft bestanden habe. Die Unfallkasse habe hier den Vollbeweis zu erbringen. Es müsse auch betont werden, dass es unzählige weitere Male Begegnungen mit den Jugendlichen, darunter mit Sicherheit auch den Tätern, gegeben habe, was jedoch nie zuvor zu Anfeindungen geführt habe. Der Kläger hat ferner diverse sozialgerichtliche Urteile zum Unfallversicherungsschutz bei Überfällen während einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit bzw. auf dem Arbeitsweg sowie den Mietvertrag des Herrn E über die Wohnung in der Dstraße zur Akte gereicht.
Nachdem eine auf den 31. August 2023 terminierte mündliche Verhandlung wegen Verhinderung des Klägers aufgehoben und auf den 9. November 2023 umgeladen werden musste, bestellte sich mit Schreiben vom 17. Oktober 2023 Rechtsanwalt G zum Prozessbevollmächtigten des Klägers und beantragte, ihm und dem Kläger zu gestatten, sich während der mündlichen Verhandlung in der Kanzlei des Bevollmächtigten aufzuhalten und von dort per Videokonferenz an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2023 teilte er u.a. mit, dass kein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe und er zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung um weitere Hinweise des Senats bitte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der vorliegt und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 und 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerechte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Zulässiger Gegenstand des vorliegenden Klage- und Berufungsverfahrens ist ausschließlich die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Soweit die Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG auf die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls gerichtet ist, ist sie zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Ereignis vom 28. Mai 2018 ist nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - SGB VII - ist es erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und dass diese Tätigkeit den Unfall herbeigeführt hat. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog. innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung müssen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (stRspr.; z.B. BSG Urteil vom 28.6.2022 - B 2 U 8/20 R - juris Rn. 13 m.w.N.). Maßgeblich ist die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (BSG, Urteil vom 30. März 2023 – B 2 U 1/21 R –, juris Rn. 19).
Vorliegend kommt, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, eine Versicherung des Klägers nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII in der ab 1. Januar 2017 geltenden Fassung in Betracht, danach sind Pflegepersonen im Sinne des § 19 S. 1 und 2 des Sozialgesetzbuches Elftes Buch (SGB XI) – hier der Kläger – bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Abs. 3 SGB XI – hier der Zeuge E – versichert. Die versicherten Tätigkeiten umfassen pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Abs. 2 SGB XI genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Abs. 5 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI. Die Norm soll Pflegenden Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung gewähren, die dieses Schutzes deshalb bedürfen, weil sie Pflegebedürftige in deren häuslicher Umgebung pflegen, mangels Beschäftigung nicht anderweitig in der gesetzlichen Unfallversicherung abgesichert sind und die Pflege nicht im Rahmen einer ggf. versicherten selbstständigen Erwerbstätigkeit erbringen (Bieresborn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 2 SGB VII (Stand: 30.06.2023), Rn. 530).
Vorliegend folgt der Senat den Ausführungen des Sozialgerichts zur grundsätzlichen Einstufung des Gangs des Klägers aus der Wohnung zum Auto, um das Blutzuckermessgerät und das Kurzzeitinsulin für den Zeugen E nach oben in die Wohnung zu holen, als sogenannter „Betriebsweg“ im pflegerischen Bereich „Bewältigung von unselbstständigem Umgang mit kankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöse Zugänge, absaugen und Sauerstoffgabe, ein Reibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen…“ (§ 14 Abs. 2 Nr. 5 a). Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Vom Vorliegen eines solchen Betriebsweges geht der Senat auch aus, obwohl erhebliche Zweifel bestehen, dass der Kläger die Wohnung am Tattag tatsächlich ausschließlich deswegen verlassen hatte, um die vergessenen Utensilien für die Insulingabe an Herrn E aus dem Auto zu holen; sein Verhalten daher der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist.
Denn der Kläger selbst hat bei seiner polizeilichen Vernehmung am 18. Juli 2018 ausgesagt, dass er noch in seiner Wohnung sein Handy auf „Aufnahme“ gestellt habe, weil ihm zuvor Jugendliche aus der unter seiner Wohnung liegenden betreuten Wohngemeinschaft durch ihr merkwürdiges Verhalten am Fahrstuhl im zweiten OG aufgefallen waren, von denen zwei sodann mit dem Fahrstuhl in das von ihm bewohnte dritte Obergeschoss gefahren waren. Mit dem auf „Aufnahme“ gestellten Handy sei er ins Treppenhaus gegangen und „wollte die Jugendlichen zur Rede stellen“. Diese Videoaufnahme übergab der Kläger anschließend dem vernehmenden Polizisten, abgespeichert auf einem Stick. Die spätere Einlassung, Anlass für das Verlassen der Wohnung sei allein das vergessene „Insulinzeug“ gewesen und wenn er eh zum Auto habe gehen müssen, er „auch gleich mit gucken könne, was da am Fahrstuhl los war“, ist vor diesem Hintergrund nicht glaubhaft. Denn hierbei hätte es für den Kläger keine Veranlassung gegeben, bereits vor Verlassen der Wohnung eine Videoaufnahme zu starten, die offensichtlich zur Dokumentation des Verhaltens der Jugendlichen bestimmt war.
Die Angabe, er habe die Jugendlichen zur Rede stellen wollen, wird im Übrigen auch durch die schriftliche Aussage seines damaligen Lebensgefährten, des Herrn E, gestützt. Auch dieser hat unter dem 18. Juni 2018 gegenüber der Polizei schriftlich angegeben, dass Herr K die Jugendlichen zur Rede habe stellen wollen und deswegen die Wohnung verlassen habe. Soweit der Zeuge E in einer anschließenden schriftlichen Erklärung vom 11. März 2019 gegenüber der Beklagten angegeben hat, er habe absichtlich in seiner Aussage gegenüber der Polizei zum Hintergrund, warum Herr K die Wohnung verlassen habe, nichts weiter ausgeführt, weil er seinen Krankheitszustand nicht gegenüber den von C betreuten Jugendlichen bei etwaigen Akteneinsichten durch deren Verteidigern habe offenbaren wollen, ist dies nicht überzeugend. Zum einen hat der Zeuge ja gerade nicht den Hintergrund, warum Herr K die Wohnung verlassen hat, offengelassen. Sondern stattdessen ausdrücklich einen Beweggrund angegeben. Nämlich das „zur Rede stellen“ der Jugendlichen. Wäre tatsächlich ausschließlich der Gang zum Auto, um von dort vergessene Utensilien zu holen, Grund für das Verlassen der Wohnung gewesen, hätte dies ohne weiteres so ausgedrückt werden können, ohne hierbei seinen eigenen Krankheitszustand auch nur einmal erwähnen zu müssen. Es spricht daher viel dafür, dass die in Kenntnis der Begründung des ablehnenden Bescheides mit Schreiben vom 11. März 2019 abgegebene Erklärung, die Motivation, warum sich Herr K angezogen und die Wohnung verlassen habe, sei ausschließlich seine Pflege und das Holen des Blutzuckermessgerät sowie des Insulin-Pens gewesen, eine zugunsten seines damaligen Lebensgefährten angepasste Erklärung war.
Dies kann der Senat letztlich aber alles dahinstehen lassen. Einer Vernehmung des Herrn E als Zeugen dafür, dass der Kläger die Wohnung ausschließlich aus pflegerischen Gründen verlassen habe, bedurfte es nicht. Dieser Vortrag wird vom Senat insoweit trotz der oben dargestellten Zweifel als wahr unterstellt. Denn selbst wenn der Kläger sich ausschließlich wegen des Gangs zum Heraufholen der für die Pflege erforderlichen Utensilien in den Hausflur begeben hätte, der streitige Weg nach unten, um die Tasche aus dem Auto zu holen, daher als sog. Betriebsweg im Rahmen seiner versicherten Tätigkeit als Pflegeperson anzuerkennen wäre, wovon der Senat hier zugunsten des Klägers ausgeht, wäre das nachfolgende Geschehen, die Körperverletzung durch L B. nicht mehr vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst.
Denn nicht jeder körperliche Angriff auf einem Betriebsweg fällt unter den Schutz der Unfallversicherung. Wird der Beschäftigte während der Zurücklegung eines Betriebsweges - oder der Zurücklegung des Weges nach oder von der Arbeitsstätte - überfallen und hierbei verletzt, so ist der Versicherungsschutz dann ausgeschlossen, wenn der Angreifer durch persönliche Feindschaft gegen den Beschäftigten oder ähnliche, aus betriebsfremden Beziehungen stammende Beweggründe zum Überfall veranlasst worden ist und keine besonderen, der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Verhältnisse, beim Zurücklegen des Weges den Überfall wesentlich begünstigt haben (ständige Rspr. BSG, seit Urteil vom 29. Mai 1962 – 2 RU 170/59 –, BSGE 17, 75; BSG, Urteil vom 18. November 2008 - B 2 U 27/07 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 30 und juris Rn. 27 m.w.N.).
Für die Beantwortung der Frage, ob ein Überfall bzw. hier körperlicher Angriff (Unfallereignis), welchen ein Versicherter während einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit erlitten hatte, objektiv (1. Prüfungsstufe) und rechtlich wesentlich (2. Prüfungsstufe) "infolge" der versicherten Tätigkeit eingetreten ist, ist insbesondere auf den Schutzzweck der Norm, d.h. den Schutzzweck des jeweils verwirklichten Unfallversicherungstatbestandes abzustellen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 10/12 R -, juris; im konkreten Fall ging es um den Schutzzweck der Wegeunfallversicherung). Denn die Einstandspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung besteht nur dann, wenn sich durch eine Handlung des Geschädigten, die den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt, ein Risiko verwirklicht hat, gegen dessen Eintritt nicht die Unfallversicherung "allgemein", sondern der jeweils durch die Handlung erfüllte Versicherungstatbestand schützen soll. Die Zurechnung des Schadens eines Versicherten zum Versicherungsträger erfordert zweistufig die Erfüllung 1. tatsächlicher und 2. darauf aufbauender rechtlicher Voraussetzungen (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 10/12 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47 und juris Rn. 15 ff. m.w.N.). Andere unversicherte Mitursachen können die rechtliche Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass sie die versicherte Wirkursache verdrängen, so dass der Schaden "im Wesentlichen" rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des jeweiligen Versicherungstatbestandes unterfällt. Die versicherten und die auf der ersten Zurechnungsstufe festgestellten unversicherten Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile sind in einer rechtlichen Gesamtbeurteilung anhand des zuvor festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 10/12 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47 und juris Rn. 18).
Bezogen auf die Wegeunfallversicherung (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII) hat das BSG insoweit ausgeführt, dass in deren Schutzbereich grundsätzlich auch Überfälle auf dem Weg zur Arbeit fallen, soweit sie rechtlich wesentlich durch das Zurücklegen des Weges bedingt sind. Dagegen wird die Gefahr, aufgrund eigener privater Beziehungen, Kontakte oder sonstiger aus dem persönlichen Bereich stammender Umstände Opfer eines Überfalls (unabhängig vom Ort der Tat und dessen besonderen Verhältnissen) zu werden, nicht von deren Schutzbereich erfasst (BSG, Urteil vom 18. Juni 2013 - B 2 U 10/12 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 47 und juris Rn. 20).
In Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall stellt der Senat im Rahmen einer Gesamtabwägung fest, dass auch hier besondere, aus dem persönlichen Bereich stammende Umstände, die nicht vom Versicherungsschutz der Unfallversicherung umfasst sind, zu dem Streit des Klägers mit dem Täter L B. und letztlich zum Eintritt des Körperschadens beim Kläger durch die Gewalttat des L B. geführt haben.
Denn nach den Einlassungen des Zeugen E und auch den Angaben des weiteren Nachbarn, Herrn R, der von einem kurzen Wortgefecht zwischen dem Kläger und dem L B berichtet hat, bevor es zum tätlichen Angriff kam, hat nicht ein – grundsätzlich vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung umfasster – Überfall stattgefunden, der den Kläger ausschließlich und rein zufällig deswegen getroffen hätte, weil er sich zu diesem Zeitpunkt auf einem Betriebsweg zum Holen der im Auto vergessenen „Diabetes-Tasche“ befand, sondern es hat vor dem Hintergrund, dass bereits zuvor erhebliche Konflikte des Klägers und seines Lebensgefährten mit der C psychosoziale Praxis gGmbH bzw. der von dieser im Rahmen einer Wohngemeinschaft betreuten Jugendlichen und Heranwachsenden bestanden, ein Streit zwischen dem Kläger und dem späteren Täter stattgefunden.
Gegenstand dieses, zunächst auch nur verbal ausgetragenen Streites war nach dem Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten die Verschmutzung des Fahrstuhls. Nach den Feststellungen in der polizeilichen Ermittlungsakte hatten die Jugendlichen den Verdacht, dass eine Verschmutzung des Fahrstuhls mit weißer Farbe durch den Kläger und dessen Lebensgefährten verursacht worden war, und wollten hierzu Beweise im Hausflur vor deren Wohnungstür finden.
Dies ergibt sich aus den Feststellungen zum Sachverhalt in der Strafanzeige zum Aktenzeichen (S. 67 Rückseite des Verwaltungsvorgangs). Dort gab der Kläger bei der Vernehmung am 18. Juli 2018 auf den Vorhalt: „gemäß Zeugenaussage soll weiße Farbe im Fahrstuhl ausgekippt worden sein, die Jugendlichen hätten nur überprüfen wollen, von wo die Farbe kam“, zur Antwort: „Seitdem die Jugendlichen im September 2017 eingezogen sind, gibt es nur Probleme mit Ihnen. Diverse Sachbeschädigungen, Graffiti usw.“ Später führte er aus: „die Probleme mit dieser Einrichtung (gemeint ist CgGmbH) werden derzeit beim Gericht Wedding geklärt, meine Versuche, Probleme mit der Einrichtung sachlich zu klären, hatten keinen Erfolg.“
Zum anderen ergibt sich dies aus den Angaben des Klägers bei seiner eigenen Beschuldigtenvernehmung am 18. Juni 2018 im polizeilichen Ermittlungsverfahren (Bl. 78 ff. der Verwaltungsakte). Der Kläger hat hierbei angegeben: „Im Hausflur kam mir Herr B entgegen. Ich fragte ihn, was sie hier machen würden. Er antwortete: ‚Wie, was machen wir hier?‘. Ich fragte ihn noch einmal was er hier machen würde, und warum sie so einen Krach machen würden. Er fragte mich, was die Scheiße hier sollte. Ich fragte zurück: ‚Was für eine Scheiße?‘. Herr B fragte, was die Scheiße im Fahrstuhl sollte und zeigte mit seinem Finger auf den Fahrstuhl. Ich erschreckte mich über seine schnelle Armbewegung. Um einen Sicherheitsabstand einzuhalten, hob ich meinen linken Arm. Anschließend sagte er zu mir: ‚Komm nicht zu nah, sonst kriegst du direkt eine. Verpiss dich.‘ Im gleichen Moment gab er mir eine Kopfnuss …“
Auch der Zeuge E berichtete gegenüber der Polizei, er habe den Kläger und Herrn B am Ende des Flures in einer verbalen Auseinandersetzung stehen sehen: „Beide diskutierten". Der B habe dann völlig unerwartet Herrn K, „aus dem zunächst nur Wortgefecht“, mit dem Kopf gestoßen und mit der Flasche geschlagen.
Unter Berücksichtigung der Maßgabe, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit die Einwirkung (und in gleicher Weise die Einwirkung den Gesundheitserstschaden oder den Tod) sowohl objektiv (1. Stufe) als auch rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht haben muss (vgl. BSG Urteile vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R – juris Rn 30 ff, 18. Juni 2013 – B 2 U 10/12 R –, juris Rn. 15), liegt hier ein Arbeitsunfall schon deswegen nicht vor, weil die Verrichtung der versicherten Tätigkeit die Einwirkung nicht - und zwar weder objektiv noch rechtlich wesentlich – verursacht hat. Vielmehr hat durch den Streit über den Zustand des Fahrstuhls und den Aufenthalt der Jugendlichen in bzw. vor diesem im 3. OG für den Kläger eine Zäsur auf dem Weg zum Heraufholen der vergessenen Pflegeutensilien stattgefunden. Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben und den übereinstimmenden Zeugenaussagen auf dem Weg nach unten nicht allein deshalb Opfer der Körperverletzung geworden, weil er sich gerade auf diesem Weg befand und befinden musste, sondern weil er diesen Weg für eine verbale Auseinandersetzung mit dem ihm zuvor bekannten Täter unterbrochen hat. Hierbei ist nicht erforderlich, dass zuvor eine besondere oder gar innige Beziehung zwischen Täter und Opfer bestand. Es reicht aus, dass nach dem Gesamtbild der Umstände der Kläger Opfer des Angriffs aufgrund von Umständen geworden ist, die aus dem persönlichen Bereich - hier den Nachbarschaftsstreitigkeiten mit der Einrichtung C gGmbH und den von dieser betreuten Jugendlichen - stammen. Diese unversicherten Wirkursachen haben das Unfallgeschehen derart geprägt, dass sie die versicherte Wirkursache (Betriebsweg zum Heraufholen der Pflegeutensilien) verdrängen, so dass der Schaden "im Wesentlichen" rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des Versicherungstatbestandes unterfällt.
Nach alledem erweist sich das angefochtene Urteil im Ergebnis als zutreffend und ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegen.