L 20 AS 1051/23 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 128 AS 5181/23
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 1051/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozial-gerichts Berlin vom 26. Oktober 2023 aufgehoben und der Antrag auf Er-lass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

 

Kosten sind für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

 

 

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hilfsweise nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für den im Rahmen des Beschwerdeverfahrens streitbefangenen Zeitraum vom 2. Oktober 2023 bis 31. Dezember 2023.

 

Die 1996 geborene Antragstellerin zu 1. (im weiteren Antragstellerin) und der 1990 geborene Antragsteller zu 2. sind die - unverheirateten - Eltern des am  2022 geborenen Antragstellers zu 3. Sie sind rumänische Staatsangehörige und bewohnen unter der im Rubrum genannten Anschrift eine Wohnung mit monatlichen Unterkunftskosten von 347,92 € (Bruttokaltmiete) sowie laufenden Heizkosten von
86 €.

 

Der Antragsteller zu 2. hält sich – nach eigenen Angaben – seit 2016 in Deutschland auf. Er ist seit dem 1. Oktober  2022 als „Lager- und Transportarbeiter (ungelernt)“ bei der „Brigade Leipzig GmbH“ in „Teilzeit“ beschäftigt und erzielt daraus ein monatliches Einkommen von brutto 528 €, netto 525,75 €. Die Antragsteller beziehen Kindergeld in Höhe von 250 € monatlich. Über weiteres Einkommen verfügen sie derzeit nicht. Die Antragstellerin hält sich – nach eigenen Angaben – seit August 2020 in Deutschland auf und war bisher hier nicht erwerbstätig. Amtlich gemeldet ist die Antragstellerin seit dem 13. Mai 2022. 

 

Im Zeitraum von Januar bis Juni 2023 bezogen die Antragsteller vom Antragsgegner vorläufige Leistungen nach dem SGB II, wobei die Antragstellerin lediglich bis 26. März 2023 berücksichtigt wurde.

 

Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 1. Juli 2023 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern zu 2. und 3. mit Bescheid vom 31. Juli 2023 vorläufig Leistungen für die Zeit von Juli bis Dezember 2023 in Höhe von insgesamt monatlich 466,27 €. Zugleich lehnte er den Antrag der Antragstellerin zu 1. mit der Begründung ab, sie verfüge nach ihrer Einreise im Mai 2022 nicht über ein Daueraufenthaltsrecht und auch über keinen Arbeitnehmerstatus. Für die Antragsteller zu 2. und 3. berücksichtigte der Antragsgegner neben den Regelbedarfen nur  je 1/3 der Unterkunfts- und Heizkosten. Darauf rechnete er das Einkommen des Antragstellers zu 2. sowie Kindergeld i.H.v. 250 € und Elterngeld i.H.v. 300 € an.

 

Der Bescheid wurde bestandskräftig.

 

Die Antragsteller beantragten am 25. September 2023 die Überprüfung des Bescheides gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Der Antragsgegner hat  hierüber bisher nicht entschieden.

 

Am 2. Oktober 2023 haben die Antragsteller die Gewährung einstweiligen Rechts-schutzes bei dem Sozialgericht (SG) Berlin beantragt. Unter Verweis auf die Rechtsprechung mehrerer Landessozialgerichte sowie des Bundesverfassungsgerichtes ergebe sich für die Antragstellerin zu 1. über Art. 18 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Art. 6 des Grundgesetzes (GG) und Art. 8 der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen aus § 11 Abs. 1 S. 11 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügigG/EU) i. V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG).

 

Mit Beschluss vom 26. Oktober 2023 hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für den Zeitraum vom 2. Oktober 2023 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2023, vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in Höhe von monatlich 1.063,76 € zu bewilligen und auszuzahlen.

Ein Anordnungsanspruch sei für die Antragstellerin glaubhaft gemacht worden. Insbesondere sei die Antragstellerin nicht vom Leistungsbezug ausgeschlossen nach
§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Denn als Mutter des Antragstellers zu 3. verfüge sie über ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen nach § 11 Abs. 14 Freizügigkeitsgesetz EU und § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG im Lichte von Art. 18 Abs. 1 AEUV und Art. 6 GG. Das Gericht schließe sich dabei der Auffassung an, wonach wegen des Gleichbehandlungsgebots von Art. 18 Abs. 1 AEUV neben den Eltern von minderjährigen ledigen Deutschen auch die Eltern von minderjährigen ledigen Unionsbürgern ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung der Personensorge zustehe. Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen an den nichtehelichen, das Sorgerecht wahrnehmenden Elternteil eines im Inland leistungsberechtigten Kindes wäre im Übrigen mit dem grundrechtlich statuierten Schutz der Familie aus Art. 6 GG nicht vereinbar (Anschluss an Landessozialgericht, LSG, Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Mai 2023, L 1 AS 35/21 unter Verweis auf Bundesverfassungsgericht, 4. Oktober 2019,1 BvR 1710/18). Der Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht zuzuerkennen und damit ihren Anspruch auf existenzsichernden Leistungen abzulehnen, würde die Familie zur Trennung drängen und beeinträchtige so das von Art. 6 GG geschützte Familienleben, insbesondere das Recht des Antragstellers zu 3. auf Aufrechterhaltung der tatsächlichen familiären Beziehung zu beiden Elternteilen. Das SG folge nicht der vom Antragsgegner genannten Rechtsauffassung, wonach kein entsprechendes Aufenthaltsrecht bestehe, weil das familiäre Zusammenleben durch zumutbare Ausreise in das Heimatland fortgesetzt werden könne (so aber LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. April 2022, L 18 AS 312/22 B ER - juris, Rn. 11). Dagegen spreche, dass verfassungsrechtlich auch auf die Gefährdung von Art. 6 GG abgestellt werden müsse, die aus einer alleinigen Rückkehr in den EU-Herkunftsstaat durch den nicht aufenthaltsberechtigten Elternteil erwachsen würde. Im Fall der Antragsteller liege dabei nahe, dass die Ausreise allein der Antragstellerin dazu führen würde, dass dem unter 2-jährigen Antragsteller zu 3. der Erziehungsbeitrag desjenigen Elternteils fehlen würde, der auch mangels Erwerbstätigkeit einen maßgeblichen Teil der Betreuungsleistung erbringen könne. Dass es dem Antragsteller zu 2. zuzumuten wäre, trotz seines über ein Jahr bestehenden Arbeitnehmerstatus ein Aufenthaltsrecht aufzugeben, sei aus gerichtlicher Sicht nicht näher erläutert worden oder sonst ersichtlich.

 

Gegen den ihm am 30. Oktober 2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 9. November 2023 Beschwerde eingelegt. Den zugleich gestellten Vollstreckungsaussetzungsantrag hat der Senat mit Beschluss vom 24. November 2023 abgelehnt (L 20 AS 1052/23 ER). Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass die Antragstellerin von Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2a SGB II ausgeschlossen sei, weil ihr ein Aufenthaltsrecht lediglich zur Arbeitssuche zustehe und sie sich nicht seit mindestens 5 Jahren im Bundesgebiet aufhalte. Weder komme ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige noch als nahestehende Person in Betracht. Ein Aufenthaltsrecht ergebe sich auch nicht als Mutter und Sorgeberechtigter des Antragstellers zu 3. (mit Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. April 2022, L 18 AS 312/22 B ER und Urteil vom 9. Juni 2021, L 34 AS 850/17). Zudem könne sich der Antragsteller zu 2. nicht auf ein echtes Arbeitsverhältnis berufen, da der vorgelegte Arbeitsvertrag nicht alle notwendigen Elemente der Arbeitsverhältnisses wiederspiegele, ein Urlaubsanspruch fehle und der Vertrag nicht unterschrieben sei. Im Übrigen sei von einem rechtsmissbräuchlichen Berufen auf den Arbeitnehmerstatus auszugehen, da der Antragsteller zu 2. zumindest nach der Geburt des Antragstellers zu 3. keine ernsthaften und nachweisbaren Versuche unternommen und ihm seitens des Antragsgegners unterbreitete Vermittlungsangebote nicht angenommen habe, um seine Erwerbstätigkeit zu erhöhen um aus eigenen Kräften mehr Unterhalt für seiner Familie zu erarbeiten. Da der Antragsteller zu 2. gut deutsch spreche hätte es angesichts der Arbeitsmarktlage gute Vermittlungschancen gegeben.

 

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,

           

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 26. Oktober 2023 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

 

Die Antragsteller beantragen,

 

            die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Sie verweisen auf die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes vom 4. Oktober 2019 - 1 BvR 1710/18 - vom 8. Juli 2020 - 1 BvR 932/20 ,1 BvR 1094/20 - vom 12.  Mai 1987 - 2 BvR 1226/83 und vom 1. Dezember 2008, 2 BvR 1830/08. Danach habe die Antragstellerin im vorliegenden Fall ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen. Zu berücksichtigen sei hier insbesondere, dass das gemeinsame Kind erst 18 Monate alt sei und die Antragstellerin sowie der Antragsteller zu 2. seit der Geburt die elterliche Sorge gemeinsam ausübten. Würde man der Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht versagen, hätte dies zur Folge, dass sie entweder allein oder gemeinsam mit dem Antragsteller zu 3., der über ein Aufenthaltsrecht verfüge, Deutschland verlassen müsse. Die Betreuungsleistung des Antragstellers zu 2. wäre dann gefährdet. Soweit der Antragsgegner darauf verweise, dem Antragsteller zu 2. sei es zuzumuten, seine geringfügige Beschäftigung aufzugeben und mit seiner Familie in das Heimatland zurückzukehren, so berücksichtige er nicht, dass das Freizügigkeitsrecht des Antragstellers zu 2. an den Arbeitnehmerstatus als solchen anknüpfe, unabhängig davon, ob dieser eine geringfügige oder eine Vollzeitbeschäftigung ausübe. Eine vollständige Sicherung des Lebensunterhaltes werde gerade nicht vorausgesetzt. Eine Aufforderung des Antragsgegners zur Ausreise des freizügigkeitsberechtigten Antragstellers zu 2. mit der Begründung, die Integration in den Arbeitsmarkt sei gescheitert, sei diskriminierend. Die Antragsteller seien nach Deutschland gekommen, um eine Familie zu gründen und in Deutschland zu arbeiten.

 

Der Senat hat mit Beschluss vom 4. Dezember 2023 den SGB XII-Leistungsträger beigeladen und am 19. Dezember 2023 einen Erörterungstermin durchgeführt, in diesem wurden die Antragstellerin sowie der Antragsteller zu 2. gehört.

 

Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, welche dem Senat im Rahmen seiner Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

 

 

II.

 

1. Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nach § 172 Abs. 1, 3 Nr. 1 SGG statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt den in § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG genannten Wert von 750,00 €. Dabei berücksichtigt der Senat, dass die – hier maßgebliche – Beschwer des Antragsgegners sich nicht bereits aus der erstinstanzlich titulierten Verpflichtung zur Zahlung von Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 1.063,76 € (ohne Anrechnung von Elterngeld) für die Zeit vom 2. Oktober 2023 bis längstens zum 31. Dezember 2023 ergibt, sondern nur unter Anrechnung der vom Antragsgegner den Antragstellern zu 2. und 3. bereits für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 31. Juli 2023 vorläufig bewilligten Leistungen in Höhe von monatlich 466,27 € (unter Anrechnung von Elterngeld) zu bestimmen ist. Der sich daraus ergebende monatliche Differenzbetrag i.H.v. 597,49 € übersteigt in dem mit der Beschwerde streitbefangenen Zeitraum (ca. 3 Monate) die Wertgrenze von 750,00 €.

 

Der Antrag ist auch statthaft. Das für die Statthaftigkeit des Antrages erforderliche streitige Rechtsverhältnis liegt vor, obwohl der – gegenüber der Antragstellerin – mit  richtiger Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ablehnungsbescheid vom 31. Juli 2023  bestandskräftig geworden ist. Zwar ist grundsätzlich die in § 77 SGG konstatierte Bestandskraft dieses Bescheides zu beachten Die Antragstellerin hat jedoch über ihre Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 25. September 2023 die Überprüfung des Bescheides vom 31. Juli 2023  nach § 44 SGB X beantragt. Damit ist das Überprüfungsverfahren nach §§ 40 SGB II, 44 SGB X eingeleitet und bisher vom Antragsgegner nicht beschieden worden, so dass trotz der inzwischen eingetretenen Bestandskraft des Bescheids vom 31. Juli 2023 wieder ein streitiges Rechtsverhältnis vorliegt (dazu Burkiczak in: Schle-gel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG Rn. 396 m.w.N.).

 

2. Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Unrecht zur vorläufigen Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an die Antragsteller verpflichtet.

 

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens eines Anordnungsgrundes (die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) und eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs). Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründeten Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt.

 

An einen im Rahmen eines laufenden Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind besonders strenge Anforderungen hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes und des Anordnungsanspruches zu stellen (ebenso: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 4. April 2023 – L 7 AY 335/23 ER B). Soll ein bestandskräftiger Bescheid in einem solchen Verfahren zurückgenommen werden, so ist es dem Antragsteller im Regelfall zuzumuten, die Entscheidung im Verwaltungsverfahren und erforderlichenfalls in einem anschießenden gerichtlichen Hauptsachverfahren abzuwarten (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 5. April 2011 - L 5 AS 342/10 B ER – juris Rn. 19; LSG NRW, Beschluss vom 27. Mai 2013 - L 19 AS 638/13 B ER – juris Rn. 12; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. August 2021 – L 23 AY 10/21 B ER – juris Rn. 5; LSG BaWü, Beschluss vom 4. April 2023 - L 7 AY 335/23 ER B – juris Rn. 24).

 

Zur Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist es in diesem Fall erforderlich, dass massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden (Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 14. September 2011 – L 10 AL 434/10 ER – juris Rn. 33). Darüber hinaus kann eine einstweilige Anordnung in derartigen Fällen nur ergehen, wenn die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Bescheids offensichtlich ist (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 8. November 2019 - L 20 KR 479/19 B ER – juris Rn. 32; Beschluss vom 11. September 2015 - L 16 AS 510/15 B ER – juris Rn. 21; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. November 2013 - L 9 KR 254/13 B ER – juris Rn. 4). Der Überprüfungsantrag muss somit offenkundige Erfolgsaussichten haben (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 25. Februar 2020 - L 8 AS 1422/19 B ER – juris Rn. 32; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - L 20 KR 479/19 B ER – juris Rn. 35).

 

Hiernach ist bereits ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, da die Antragstellerin weder einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in der für den streitigen Leistungszeitraum geltenden Fassung bis 31. Dezember 2023 = aF) (dazu 1.) noch nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII hat (dazu 2.), da sie von diesen Leistungen ausgeschlossen ist.

 

1. Die Antragstellerin erfüllt grundsätzlich die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung (SGB II aF), weil sie das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II aF für den Bezug der Regelaltersrente noch nicht erreicht hat. In Ermangelung entgegenstehender Anhaltspunkt steht für den Senat fest, dass die Antragstellerin auch erwerbsfähig ist, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat und auch hilfebedürftig ist.

 

Allerdings ist sie gemäß § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aF von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des BSG erfordert die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in Umsetzung des gesetzgeberischen Willens bei Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw. der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert damit die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (vgl. BSG - Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R – juris Rn. 23; Urteil vom 25. Januar 2012 - B 14 AS 138/11 R – juris Rn. 20).

 

Soweit die Antragstellerin überhaupt nicht über ein Aufenthaltsrecht verfügt, ist sie nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 a) SGB II ebenfalls von den Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Beides stellt keinen Verstoß gegen europäisches Recht dar (ausdrücklich EuGH, Urteil vom 15. September 2015, Rechtssache C-67/14 - Alimanovic -, Rdnr. 48 ff.).

 

Soweit für die Antragstellerin ausschließlich ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) in Betracht kommt, ist sie nach
§ 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 b) SGB II aF von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen.

 

Ein hier in Betracht zu ziehendes abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehörige bzw. nahestehende Person scheidet aus. Zwar geht der Senat aufgrund des den Antragstellern zu 2. und 3. SGB-II-Leistungen bewilligenden Bescheides des Antragsgegners vom 31. Juli 2023 im Rahmen des vorliegenden Verfahrens davon aus, dass dem Lebenspartner der Antragstellerin – dem Antragsteller zu 2. - als Arbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zusteht. Davon war offensichtlich auch der Antragsgegner bei der Leistungsbewilligung ausgegangen und wird er im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X diesbezüglich auch keine verschlechternde  Entscheidung treffen können (sog. „Zugunstenverfahren“ vgl. Schütze, in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 44 Rn. 2). Aus diesem Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 2. kann die mit ihm nicht verheiratete Antragstellerin nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU – anders als das gemeinsame Kind, der Antragsteller zu 3. – kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige (vgl § 1 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU) ableiten.

 

Als nahestehende Person iSv § 1 Abs. 2 Nr. 4c FreizügG/EU könnte ihr zwar nach
§ 3a Nr. 3 FreizügG/EU auf Antrag das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet verliehen werden, wenn der Antragsteller zu 2. mit ihr im Bundesgebiet nicht nur vorübergehend zusammenlebt, wovon derzeit mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auszugehen ist. Denn es fehlt an den Voraussetzungen nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die nach § 11 Abs. 5 FreizügG/EU in den Fällen des § 3a FreizügG/EU entsprechend anzuwenden sind. Denn der Lebensunterhalt der Antragstellerin ist ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gerade nicht gesichert (vgl § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG).

 

Die Antragstellerin verfügt auch nicht über ein Daueraufenthaltsrecht nach fünfjährigem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (§ 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU; vgl. Rückausnahme in § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II aF), da sie erst seit dem 13. Mai 2022.  amtlich gemeldet ist.

 

Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union aus (vgl. hierzu Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 6. Oktober 2020 – C-181/19 – juris) scheidet hier aus, da der im März 2022 geborene Sohn der Antragstellerin noch nicht schulpflichtig ist.

 

Ein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet folgt für die Antragstellerin auch nicht aus den für Nicht-EU-Ausländer geltenden Regelungen zum berechtigten Aufenthalt, d.h. dem AufenthG. Gemäß § 11 Abs. 14 Satz 1 FreizügG/EU finden die Vorschriften des AufenthG Anwendung, wenn sie eine günstigere Rechtsstellung als das FreizügG/EU vermitteln. Denn eine Unionsbürgerin kann sich darauf berufen, nicht schlechter behandelt werden zu dürfen als andere Ausländer. Dies folgt aus Art. 18 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), wonach unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist. Allerdings enthält das AufenthG im Vergleich zum FreizügG/EU keine (günstigeren) Regelungen, die zu einem Aufenthalt berechtigen würden.

 

Soweit es die Herstellung oder Beibehaltung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit dem Antragsteller zu 2. und Vater des gemeinsamen Kindes angeht, würde dies auch nach dem AufenthG kein Recht zum Aufenthalt begründen. Nach § 27 Abs. 1 AufenthG wird zwar eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung und Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet für ausländische Familienangehörige (Familiennachzug) erteilt, um den Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG zu gewährleisten. Gleiches gilt nur für die Lebenspartnerschaft (§ 27 Abs. 2 AufenthG). Mithin begründet die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Antragsteller kein Recht auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.

 

Die Beibehaltung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft stellt keinen begründeten Fall im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG dar, in dem eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden könnte. Denn der Familiennachzug ist in §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt. Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind von den ausdrücklichen Regelungen für den Familiennachzug gerade nicht erfasst, so dass die Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt ist (vgl BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R – juris Rn. 33).

Auch das Zusammenleben mit ihrem Kind vermittelt der Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht nach § 27 AufenthG, da die Vorschrift nur als Generalklausel zu verstehen ist, die durch die nachfolgenden Normen spezifiziert wird (vgl Tewocht in: Kluth/Heusch, BeckOK-Ausländerrecht, 30. Edition, Stand: 1. Juli 2021, § 27 Auf-enthG Rn 10). Insoweit gewährt das AufenthG den Familiennachzug von Elternteilen zu ihren minderjährigen ledigen Kindern nur Eltern deutscher Kinder -  § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Der Sohn der Antragstellerin hat jedoch die rumänische Staatsbürgerschaft.

 

Soweit hierbei an die Staatsangehörigkeit angeknüpft wird, ist in diesem Zusammenhang indes streitig, ob die Nichtgewährung einer Aufenthaltserlaubnis für einen sorgeberechtigten Unionsbürger für ein minderjähriges freizügigkeitsberechtigtes Kind mit Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats, welches im Bundesgebiet lebt, eine Diskriminierung darstellt (vgl. Beschluss des Senates vom 24. November 2023, L 20 AS 1052/23 ER m.w.N.). Für eine umfassende Gleichstellung mit einem deutschen Kind: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. August 2017 – L 19 AS 1131/17 B ER – juris Rn. 42 ff., Beschluss vom 26. September 2017 – L 6 AS 380/17 B ER - juris Rn. 42, Beschluss vom 30. Oktober 2018 – L 19 AS 1472/18 B ER - juris Rn. 28 ff., Urteil vom 23. November 2022 – L 12 AS 452/20 - juris Rn. 72 ff.; LSG BaWü, Urteil vom 25. Januar 2023 – L 3 AS 3922/20 - juris Rn. 69 ff.; LSG Saarland, Urteil vom 7. September 2021 – L 4 AS 23/20 WA - juris Rn. 34 ff.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. Juni 2016 – L 25 AS 1331/16 B ER - juris Rn. 5, Urteil vom 16. Mai – L 1 AS 35/21 – juris; SG Kasser, Beschluss vom 20. April 2021 – S 6 AS 30/21 ER - juris Rn. 44; SG Frankfurt, Urteil vom 20. September  2022 – S 16 AS 1321/20 – juris Rn. 27 ff.; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 FreizügG/EU Rn. 33, 37; Oberhäuser in NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 11 FreizügG/EU, Rn. 57 f..

Dagegen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. Mai 2017 – L 31 AS 1000/17 B ER – juris Rn. 2 ff, Beschluss vom 7. April 2022 – L 18 AS 312/22 B ER – juris Rn. 5 ff.; Urteil vom 9. Juni 2021 – L 34 AS 850/17 – juris Rn. 49 ff.; Hessisches LSG, Beschluss vom 21. August 2019 – L 7 AS 285/19 B ER – juris Rn. 45 ff., Beschluss vom 29. Juli 2021 – L 6 AS 209/21 B ER – juris Rn. 140, Urteil vom 26. April 2023 – L 6 AS 600/20 – juris Rn. 82 ff.; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Juli 2019 – L 4 AS 246/19 B ER – juris Rn. 32, Beschluss vom 16. November 2021 – L 2 AS 438/21 B ER – juris Rn. 50 f.; LSG NRW, Beschluss vom 27. Juli 2017 – L 21 AS 782/17 B ER – juris Rn. 44 ff.; SG Berlin, Urteil vom 9. Juli 2018 – S 135 AS 23938/16 – juris Rn. 47; SG Duisburg, Urteil vom 9. August 2019 – S 41 AS 2408/18 – juris Rn. 12) Das SG Detmold hat die Rechtsfrage zur Auslegung des Unionsrechts im Verhältnis zum nationalen Recht mit Beschluss vom 22. Juni 2023 – S 35 AS 718/21 - (juris) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) vorgelegt.

 

Der erkennende Senat ist angesichts des Vorlagebeschlusses des SG Detmold (s. o.) nach Art. 267 Abs. 1, Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht gehindert, das vorliegenden Verfahren instanzbeendend zu entscheiden. Im Hinblick auf eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV kann vom Gericht gemäß § 114 SGG eine Aussetzung des Verfahrens erfolgen, ohne dass eine Verpflichtung dazu besteht, wenn mit der Entscheidung des EuGH in absehbarer Zeit zu rechnen ist (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 114 Rn. 5d). Danach erachtet der Senat eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens nicht vereinbar mit dem „Eilcharakter“ des hiermit erstrebten einstweiligen Rechtsschutzes, zumal bei dem recht „jungen“ Vorlagebeschluss derzeit mit einer  Entscheidung des EuGH in absehbarer Zeit noch nicht zu rechnen ist.

 

Ist der Senat somit nicht an der Entscheidung gehindert und hat Rechtsfragen ab-schließend auch im Eilverfahren zu prüfen, so sieht er vorliegend keine unzulässige Diskriminierung der Antragstellerin durch die deutschen Vorschriften. Denn das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV gilt nicht absolut und ohne Ausnahmen, sondern lediglich „unbeschadet der besonderen Bestimmungen der Verträge“. Das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit wurde von den Mitgliedstaaten nur unter dem Vorbehalt der besonderen Bestimmungen in das Primärrecht aufgenommen. Würde es über diese Beschränkung hinaus auf sämtliche Fälle angewendet, würde die differenzierte Ausgestaltung, die die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge an anderen Stellen vorgenommen haben, missachtet werden. Das allgemeine Diskriminierungsverbot ist danach mit einem Vorbehalt ausgestattet, wonach abweichende primär- und sekundärrechtliche Bestimmungen über die unterschiedliche Behandlung wegen der Staatsangehörigkeit möglich sind (Rossi in: Kluth/Heusch, BeckOK-Ausländerrecht, 30. Edition Stand: 1. April 2021, Art. 18 AEUV Rn 22).

 

Hierzu hat der 18. Senat - L 18 AS 312/22 B ER -  juris Rn. 9 ff., dem sich der 20. Senat nach eigener Prüfung anschließt,  zutreffend ausgeführt:

„Zu diesen besonderen Bestimmungen gehören unter anderem Art. 21 AEUV über die Freizügigkeit und den Aufenthalt der Unionsbürger im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten – vorbehaltlich abweichender Regelungen – und die Art. 45, 49 und 56 AEUV, also die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit. Insbesondere auf der Einräumung der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV (ehemals Art. 18 EGV) beruhen die Regelungen der Unionsbürgerrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004, Abl L 158, S 123). Die Unionsbürgerrichtlinie regelt im Einzelnen die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten wahrnehmen können, das Recht dieser Personen auf Daueraufenthalt sowie die Beschränkungen dieser Rechte (vgl insbesondere Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie, der eine ausdrückliche Ausnahme vom Diskriminierungsverbot enthält). Insofern bilden die Regelungen in Art. 7 der Unionsbürgerrichtlinie zum Daueraufenthaltsrecht auch für Familienangehörige – wozu die Antragstellerin gemäß Art. 2 Nr. 2 der Unionsbürgerrichtlinie nicht gehört – die Grundlage für die gleichwirkende deutsche Regelung in § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU. Insofern enthält schon das Unionsrecht eine Begrenzung der Freizügigkeit. Auch das sonstige ausdifferenzierte Normprogramm der Unionsbürgerrichtlinie zu den Freizügigkeitsbegünstigten und das sie umsetzende nationale Recht würde durch eine Anwendung des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auf den Elternteil eines minderjährigen Unionsbürgers umgangen (vgl LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2021 – L 34 AS 850/17 – juris - Rn 51). Im Übrigen finden die Nachzugsregelungen in § 28 Abs. 1 und 2 AufenthG ihre besondere Rechtfertigung gerade in dem Umstand, dass der Nachzug zu einem in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen erfolgt. Das Ziel ist daher die Familienzusammenführung in dem Heimatstaat, nicht in einem ausländischen Staat. Auf den Status eines deutschen Staatsangehörigen kann sich ein Unionsbürger daher jedenfalls insoweit nicht berufen. Eine Verletzung des Diskriminierungsverbots aus Gründen der Staatsangehörigkeit ist darin gerade nicht gegeben (Rossi in: Kluth/Heusch Ausländerrecht, 30. Edition Stand: 1. April 2021, Art. 18 AEUV Rn. 22).

 

Aus § 36 AufenthG folgt ebenfalls kein Anspruch auf einen Aufenthalt der Antragstellerin im Bundesgebiet. Denn es hält sich, anders als von § 36 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzt, bereits ein weiterer personensorgeberechtigter Elternteil im Bundesgebiet auf. Sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers kann gemäß § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Allerdings gelten auch insoweit die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln, insbesondere das Erfordernis eines gesicherten Lebensunterhalts, § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG. Dies ist, wie bereits ausgeführt, nicht der Fall.“

 

Ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin folgt schließlich nicht aus Art. 6 GG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 1987 – 2 BvR 1226/83 u. a. –, BVerfGE 76, 1; BVerfG, Beschluss vom 18. April 1989 – 2 BvR 1169/84 –, BVerfGE 80, 81). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Ausländerbehörde, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen. Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalls geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalls (BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 26; BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 2009 – 2 BvR 1064/08 –, juris Rn. 14).

 

Die Schutzwirkungen, die von der familiären Bindung der Antragstellerin zu ihrem Kind, dem Antragsteller zu 3., und ihrem Lebensgefährten, dem Antragsteller zu 2., ausgehen, sind somit zwar bei der Auslegung der Normen des AufenthG zu berücksichtigen, erlauben es dem Senat aber nicht, sich über einzelne Tatbestandsmerkmale dieser Vorschriften hinwegzusetzen, weshalb sich ein Aufenthaltsrecht der Antragstellerin  nicht begründen lässt. Die Umstände des Einzelfalls, auf die nach der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abzustellen ist, sind hier im Übrigen dadurch geprägt, dass die Lebensgemeinschaft zwischen der Antragstellerin, ihrem Lebensgefährten und ihrem Kind im streitbefangenen Zeitraum keineswegs nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden konnte, sondern auch in deren Heimatland Rumänien (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BVerfG, Beschluss vom 1. Dezember 2008 – 2 BvR 1830/08 –, juris Rn. 27), weshalb eine Trennung der Familie nicht zu befürchten war.

 

Mit dem hier gefundenen Ergebnis weicht der Senat nicht von dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2013 (B 4 AS 54/12 R) ab. Der vorliegende Fall liegt gänzlich anders als derjenige, über den das Bundessozialgericht zu entscheiden hatte. Dort ging es um die aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen, die der bevorstehenden Geburt eines Kindes für den Aufenthaltsstatus eines Elternteils im Hinblick auf den Schutz der Familie gemäß Art. 6 GG zukommen können. Soweit das Bundessozialgericht solche Vorwirkungen zugunsten einer schwangeren Unionsbürgerin in dem konkreten Einzelfall bejaht hat, mag dies aufgrund der besonders gelagerten Sachverhaltskonstellation sachgerecht gewesen sein. Diese war dadurch gekennzeichnet, dass der Kindsvater – ein griechischer Staatsangehöriger – bereits einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt hatte. Durch die Geburt im Inland erwirbt ein Kind ausländischer Eltern gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Insofern war – auch wenn das Bundessozialgericht dies nicht ausdrücklich hervorgehoben hat – im dortigen Fall zu erwarten, dass das Kind mit seiner Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben würde – mit der Folge, dass sich die Mutter auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG (in unmittelbarer Anwendung) würde berufen können. Der vorliegende Fall liegt anders, weil der Lebensgefährte der Antragstellerin sich zum Zeitpunkt der Geburt des gemeinsamen Sohnes erst höchstens sechs Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte.

 

Der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a. F. stehen keine europa-rechtlichen Bestimmungen entgegen. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Regelungen eines Mitgliedstaats, nach denen Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Zugang zu beitragsunabhängigen Sozialleistungen ausgeschlossen werden, wenn ihnen gar kein Aufenthaltsrecht zusteht (Rechtssache „D“, Urteil vom 11. November 2014 – C-333/13) oder wenn sich ihr Aufenthaltsrecht nur aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (Rechtssache „Alimanovic“, Urteil vom 15. September 2015 – C-67/14), mit Unionsrecht vereinbar (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 2017 – B 14 AS 31/16 R – juris Rn. 29 ff. m. w. N.). Vor diesem Hintergrund besteht kein Zweifel daran, dass der Leistungsausschluss europarechtskonform ist.

 

Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) steht dem Leistungsausschluss der Antragstellerin als rumänische Staatsangehörige ebenfalls nicht entgegen. Das EFA ist schon nach seinem persönlichen Anwendungsbereich nicht einschlägig, weil Rumänien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

 

Nach allem hat die Antragstellerin gegen den Antragsgegner keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Den Antragstellern zu 2. und 3. stehen deshalb auch keine höheren Ansprüche als im Bescheid vom 31. Juli 2023 vorläufig bewilligt zu. 

 

2. Die Antragstellerin hat auch keinen - hilfsweisen - Anspruch auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß § 23 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 27 ff. SGB XII. Einem solchen Anspruch steht jedenfalls entgegen, dass Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII (in der ab dem 29. Dezember 2016 gültigen Fassung) in demselben Umfang ausgeschlossen sind wie die Leistungen nach dem SGB II. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erhalten Ausländer keine Leistungen nach Abs. 1 des § 23 SGB XII oder nach dem Vierten Kapitel, wenn sie

1. weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, 3. sie ihr Aufenthaltsrecht allein oder neben einem Aufenthaltsrecht nach Nummer 2 aus Artikel 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. L 141 vom 27.5.2011, S. 1), die durch die Verordnung (EU) 2016/589 (ABl. L 107 vom 22.4.2016, S. 1) geändert worden ist, ableiten [...].

 

Leistungsansprüche für diese Personengruppe sind nach der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Rechtslage nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern lediglich auf solche Hilfen beschränkt, die erforderlich sind, um die Betroffenen in die Lage zu versetzen, existenzsichernde Leistungen ihres Heimatlandes in Anspruch zu nehmen. So räumt § 23 SGB XII nunmehr einen Anspruch auf eingeschränkte Hilfen bis zur Ausreise - Überbrückungsleistungen - ein (Abs. 3 Satz 3) und verpflichtet die Behörde darüber hinaus zur Übernahme der Kosten der Rückreise (Abs. 3a). Durch eine Härtefallregelung (Abs. 3 Satz 6) wird zudem jetzt sichergestellt, dass im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte Leistungen erbracht werden, die nach Art, Umfang und/oder Dauer noch über die "normalen" Überbrückungsleistungen hinausgehen. Der Gesetzgeber bewegt sich mit dieser Regelung innerhalb des Spielraums, welcher ihm bei der Ausgestaltung des Anspruchs auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG eingeräumt ist.

 

Hilfsweise Überbrückungsleistungen nach § 23 SGB XII  begehrt die Antragstellerin jedoch nicht. Sie hat - ebenso wie der Antragsteller zu 2. - im Erörterungstermin auf Befragen ausdrücklich erklärt, die Rückreise in ihr Heimatland nicht zu beabsichtigen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Der Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Rechtskraft
Aus
Saved