L 13 AS 726/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 1625/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 726/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 2. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Versagung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 1. Januar 2021.

Der im Jahr 1959 geborene Kläger stand (in Bedarfsgemeinschaft mit seiner im Jahr 2007 geborenen Tochter) im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mit Bescheiden vom 20. Januar 2021 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 1. Oktober – 31. Dezember 2020 i.H.v. insg. 536,- € monatlich.

Am 4. Januar 2021 beantragte er die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Er gab u.a. an, dass er zurzeit keine Kosten für Unterkunft und Heizung zu zahlen habe.

Mit Schreiben vom 20. Januar 2021 forderte der Beklagte den Kläger zur Vorlage zahlreicher Unterlagen sowie zu verschiedenen, ergänzenden Angaben betreffend die Bedarfe für Unterkunft und Heizung, die Krankenversicherung, den Kindesunterhalt u. a. auf und setzte ihm insoweit eine Frist bis 06. Februar 2021. Der Beklagte wies den Kläger auf § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) hin, wonach, wer Sozialleistungen beantrage oder erhalte, alle Tatsachen anzugeben habe, die für die Leistung erheblich seien, und Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen habe. Habe der Kläger bis zum genannten Termin nicht reagiert oder die erforderlichen Unterlagen nicht eingereicht, könnten die Geldleistungen ganz versagt werden, bis er die Mitwirkung nachhole (§§ 60, 66, 67 SGB I). Dies bedeute, dass er keine Leistungen erhalte.

Nachdem der Kläger daraufhin weitere Angaben gemacht und eine Reihe von Unterlagen eingereicht hatte, erinnerte der Beklagte den Kläger unter dem 12. Februar und unter dem 8. März 2021 jeweils unter neuerlicher Fristsetzung und Rechtsfolgenbelehrung an weiterhin fehlende Angaben und Unterlagen.

Mit Änderungsbescheiden vom 30. März 2021 bewilligte der Beklagte im Hinblick auf zwischenzeitlich eingereichte Unterlagen zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II u.a. für den Zeitraum vom 1. Oktober – 31. Dezember 2020 i.H.v. insg. 538,- € monatlich. Er berücksichtigte hierbei Heizkosten i.H.v. 47,- € monatlich.

Gleichfalls unter dem 30. März 2021 teilte der Beklagte dem Kläger mit, die zwischenzeitlich eingereichten Unterlagen seien noch nicht ausreichend, um über seinen Antrag für den Zeitraum ab Januar 2021 entscheiden zu können. Hier bedürfe es dringend der Nachweise, wie der Kläger seinen Lebensunterhalt bestritten habe (Bescheinigungen der Leihgaben zur Deckung des Lebensunterhalts durch Verwandtschaft bzw. Freunde). Außerdem würden verschiedene weitere Unterlagen bzw. Angaben u. a. betreffend die Unterkunft und Heizung, Krankenversicherung sowie den Kindesunterhalt benötigt. Der Beklagte setzte erneut Frist bis 16. April 2021 unter erneutem Hinweis auf §§ 60 ff. SGB I. Auch diesem Schreiben war – wie bereits bei den vorangegangenen Aufforderungen - ein Abdruck des Gesetzestextes der §§ 60, 66 und 67 SGB I beigefügt.

Nachdem der Kläger auf das Schreiben nicht reagiert hatte, versagte der Beklagte mit Bescheid vom 21. April 2021 die Gewährung von
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 01. Januar 2021. Die Versagung betreffe die Leistungen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Der Kläger habe bis zum 16. April 2021 keine bzw. nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Es fehlten die Unterlagen laut Checkliste vom 13. Januar 2021. Dadurch sei der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen. Die Anspruchsvoraussetzungen hätten deshalb nicht geprüft werden können. Wer Sozialleistungen beantrage, habe alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich seien (§ 60 Abs. 1 SGB I). Komme derjenige, der Sozialleistungen beantrage, seinen Mitwirkungspflichten nicht nach und werde hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, könnten die Leistungen bis zur Nachholung ganz oder teilweise versagt werden (§ 66 SGB I). Bei seiner Entscheidung habe der Beklagte von seinem Ermessen Gebrauch gemacht. Der Kläger habe keine Gründe mitgeteilt, die im Rahmen der Ermessensentscheidung zu seinen Gunsten hätten berücksichtigt werden können. Nach Abwägung des Sinns und Zwecks der Mitwirkungsvorschriften mit seinem Interesse an Leistungen sowie dem öffentlichen Interesse an Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei die Entscheidung somit in dieser Form zu treffen und der Antrag zu versagen gewesen. Falls der Kläger die Mitwirkung noch nachhole, werde man prüfen, ob die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt seien und die Leistungen ganz oder teilweise nachträglich erbracht werden könnten.

Hiergegen erhob der Kläger am 18. Mai 2021 Widerspruch, mit dem geltend gemacht worden ist, die getroffene Entscheidung sei ermessensfehlerhaft.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2021 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Trotz eindeutiger Aufforderung habe der Kläger die geforderten Nachweise nicht vorgelegt. Hinderungsgründe hierfür seien nicht mitgeteilt worden. Grenzen der Mitwirkungspflicht im Sinne des § 65 SGB I seien nicht überschritten worden, insb. habe er, der Beklagte, sich nicht durch einen geringeren Aufwand als der Kläger die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen können. Anhaltspunkte dafür, dass die Interessen des Klägers an der Gewährung von Leistungen die Interessen der Allgemeinheit überwögen, lägen nicht vor.

Am 29. Juni 2021 hat der Kläger hiergegen Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Mit unter dem 2. September 2021 eingegangenem Schriftsatz hat er weitere Unterlagen vorgelegt. Auch bilde er, so der Kläger weiter, mit seiner Tochter eine sogenannte temporäre Bedarfsgemeinschaft. Er wende sich, so der Kläger, gegen alle bis dato ergangenen Ablehnungsentscheidungen des Beklagten, des Sozialgerichts oder seiner Prozessbevollmächtigten, er sehe seinerseits kein rechtswidriges Verhalten, vom Beklagten verhängte Sanktionen seien unbegründet. Er habe von Anfang an ordnungsgemäß die notwendigen Unterlagen vorgelegt. Mehrmals habe er schriftliche Erklärungen beim Beklagten abgeben müssen, die überhaupt nichts mit dem Leistungsanspruch zu tun gehabt hätten.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Auch die vom Kläger mit der Klagebegründung vorgelegten Unterlagen seien nicht ausreichend.

Mit Urteil vom 2. Februar 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es unter Verweis auf den Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2021 (§ 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ausgeführt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte habe zu Recht die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab 1. Januar 2021 wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers versagt. Ergänzend hat es ausgeführt, der Kläger sei bereits in vorangegangenen gerichtlichen Verfahren darauf hingewiesen worden, dass gegen einen Versagungsbescheid nach Maßgabe des § 66 SGB I nur eine isolierte Anfechtungsklage statthaft sei, woraufhin der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 2. Februar 2022 seinen Antrag auch eingeschränkt und keine Verurteilung des Beklagten zur Leistung mehr geltend gemacht habe. Der Klage wäre nur stattzugeben gewesen, wenn sich die Versagung der Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2021 zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, hier des Widerspruchsbescheides von 23. Juni 2021, als rechtswidrig erwiesen hätte. Der Beklagte habe vom Kläger wiederholt unter Fristsetzung und Rechtsfolgenbelehrung eine Reihe von Unterlagen und Angaben gefordert. Der Kläger habe selbst eingeräumt, dieser Aufforderung bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides nicht vollumfänglich nachgekommen zu sein. Er habe vielmehr im Klageverfahren ausdrücklich „noch fehlende Unterlagen“ übersandt. Die wiederholte Aufforderung des Beklagten zur Mitteilung von Tatsachen und zur Vorlage von Beweisurkunden habe sich auch auf für die beantragte Leistung erhebliche Tatsachen bezogen. Ohne vollständige Angaben und Unterlagen zum Unterkunfts- und Heizbedarf könne der Träger der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende die insoweit zustehenden Leistungen gemäß § 22 SGB II nicht ermitteln. Gleiches gelte für die Frage der Kranken- und Pflegeversicherung, des Schulbesuchs und des Aufenthalts bzw. der unterhaltsrechtlichen Situation der Tochter des Klägers. Hierzu hätten bei Erlass des Widerspruchsbescheides nur marginale Informationen und Unterlagen vorgelegen. Angesichts dessen erweise sich auch die vollständige Versagung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als ermessensfehlerfrei und damit rechtmäßig. Insb. sei der Beklagte nicht verpflichtet gewesen, die Versagungsentscheidung nur auf einen Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, etwa die Leistungen für Unterkunft und Heizung, zu beschränken. Er habe vielmehr u.a. „dringend“ Nachweise dazu gefordert, wie der Kläger seinen Lebensunterhalt zwischenzeitlich bestritten habe („Bescheinigungen der Leihgaben zur Deckung des Lebensunterhalts durch Verwandtschaft bzw. Freunde“). Diese Fragestellung beziehe sich auf die grundlegende Voraussetzung der Hilfebedürftigkeit für die gesamten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Wer wie der Kläger die zur Entscheidung benötigten Informationen und Unterlagen trotz eindeutiger wiederholter Hinweise und Aufforderungen des Beklagten über Monate hinweg nicht zur Verfügung stelle, trage selbst dazu bei, bestehende Zweifel an seiner Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung der beantragten Leistungen zu nähren. Es erweise sich daher auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zur Sicherstellung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Sinne der Art. 1 und 2 Grundgesetz als verhältnismäßig, von der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit der Versagung gemäß § 66 SGB I Gebrauch zu machen, zumal die Möglichkeit der nachträglichen rückwirkenden Bewilligung von Leistungen nach Maßgabe des § 67 SGB I bestehe.

Gegen das ihm am 11. Februar 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 9. März 2022 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, er habe sowohl mit seinem Erstantrag, als auch mit den weiteren Anträgen die gesamten erforderlichen Unterlagen, die für die Feststellung der Leistungsberechtigung und zur Berechnung der Leistungen erforderlich gewesen seien, vorgelegt. Dies zeige sich bereits daran, dass der Beklagte mit Bescheid vom 21. Januar 2021 und vom 30. März 2021 Leistungen bewilligt habe. Es werde versucht, ihn einzuschüchtern. Zuletzt hat der Kläger ausgeführt, er sei seit Jahren sanktioniert, weswegen sich sein Gesundheitszustand drastisch verschlechtert hat. Er werde u.a. auch in seiner Menschenwürde, seinem Recht auf soziale Teilhabe verletzt.

Der Kläger beantragt (zweckdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 2. Februar 2022 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. April 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2021 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist auf die Begründung der angefochtenen Bescheide. Im Übrigen habe der Kläger auch mit der Klagebegründung noch immer nicht alle benötigten und angeforderten Unterlagen vorgelegt.


Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insb. dem Beteiligtenvorbringen wird auf die elektronisch geführten Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakten des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2024 geworden sind, sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24. September 2024 verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft (vgl. § 143 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig.

Der Senat konnte den Rechtsstreit entscheiden, obschon der Kläger zur mündlichen Verhandlung am 24. September 2024 nicht erschienen ist. Der Kläger, dessen persönliches Erscheinen nicht angeordnet gewesen ist, ist in der Ladung zur mündlichen Verhandlung, die ihm am 6. August 2024 zugestellt worden ist, darauf hingewiesen worden, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden werden kann (§§ 153 Abs. 1, 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Berufung führt für den Kläger inhaltlich nicht zum Erfolg; das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.


Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 21. April 2021 (Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2021), mit dem dieser die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 1. Januar 2021 wegen mangelnder Mitwirkung des Klägers versagt hat. Diese Entscheidung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Statthafte Klageart ist die isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGG (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 26. November 2020 - B 14 AS 13/19 R – in juris, dort Rn. 12).

Rechtsgrundlage für die Versagung der Leistungen ist § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I. Dort ist bestimmt, dass wenn derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 SGB I nicht nachkommt und hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert wird, der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen kann, soweit die Voraussetzungen der Leistung nicht nachgewiesen sind. Nach § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Das SG ist anhand dieser Voraussetzungen zu der nicht zu beanstandenden Einschätzung gelangt, dass die Versagungsentscheidung nicht zu beanstanden ist. Der Senat weist die Berufung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht von einer Begründung seiner Entscheidung nach § 153 Abs. 2 SGG ab.

Die Berufung des Klägers ist hiernach zurückzuweisen.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
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