1. Hat ein Leistungsträger bereits vorläufig geleistet, kann er nicht erneut zur Leistung verurteilt werden, das Begehren ist in der Hauptsache mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen.
2. Bei einer Schulbegleitung hat die Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfe und (Behandlungs-) Sicherungspflege nach Zielrichtung und Zweck der Leistung zu erfolgen. Dient die Begleitung der Bewältigung des Schulalltags, ist der Bedarf der Eingliederungshilfe zuzuordnen, handelt es sich allein um einen krankheitsbedingten Bedarf, gehört er zur Behandlungssicherungspflege.
- Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor zu 2 des Urteils des Sozialgerichts Potsdam vom 8. September 2022 wie folgt neu gefasst wird:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet war, für die Zeit vom 2. Januar 2020 bis zum 30. Juni 2020 für die Klägerin häusliche Krankenpflege in Form von spezieller Krankenbeobachtung während des Weges zu und von der Schule sowie während der Unterrichts- und Hortzeit zu erbringen.
- Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von spezieller Krankenbeobachtung als Leistung der häuslichen Krankenpflege während der Schulzeit im ersten Halbjahr 2020.
Die am 2010 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet u.a. an einer Nahrungsmittelunverträglichkeit. Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung von 40 anerkannt.
Am 24. September 2015 stellte der im streitigen Zeitraum alleinerziehende Vater der Klägerin bei dem später beigeladenen Landkreis als Träger der Sozialhilfe erstmals einen Antrag auf medizinische Fachbetreuung für den Schulalltag. Die Klägerin werde ab September 2016 die Schule besuchen. Sie leide u.a. an einer lebensbedrohlichen Anaphylaxie. Sie sei dauerhaft auf Notfallmedikamente und auch Dauermedikamente angewiesen. Sie sei erst fünf Jahre alt und mit Beginn der Schule nicht allein in der Lage, die Reaktion und auch die Tragweite eines Anfalls einzuschätzen. Sie könne sofort und nur durch äußere Einwirkung und auch durch ungewolltes Berühren der für sie lebensbedrohlichen Mittel, wie Kuhmilcheiweiß und Ei-Eiweiß, in einen Schock verfallen.
Mit Schreiben vom 29. September 2015 übersandte der Beigeladene den Antrag an die Beklagte. Nach seinen Feststellungen handele es sich bei der beantragten medizinischen Fachbetreuung um eine Behandlungspflege gemäß § 37 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), für welche die Beklagte zuständig sei.
Die Beklagte zog verschiedene Unterlagen bei, so eine fachärztlich-gutachtliche Stellungnahme der Ärztin im Kinder- und Jugendgesundheitsdienst Frau B vom 17. Juli 2012, eine Stellungnahme des Helios Klinikums E vom 9. März 2016, eine Stellungnahme der sonderpädagogischen Förder- und Beratungsstelle vom 13. April 2016 und ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung [MDK] vom 4. Juli 2016. Der Oberarzt Dr. K des H Klinikums hielt, sofern die Schule die von der Klägerin stets mitzuführenden Notfallmedikamente nicht verabreichen könne, als letzte Maßnahme die Einstellung einer Pflegekraft für den Zeitraum des Unterrichts/Hortbesuches für notwendig, um der Klägerin den Schulbesuch überhaupt ermöglichen zu können.
Der Beigeladene teilte der Beklagten mit Schreiben vom 26. April 2016 mit, dass in der Förderausschusssitzung mit dem staatlichen Schulamt deutlich geworden sei, dass die Klägerin keiner Leistungen der Eingliederungshilfe bedürfe. Sie sei in fast allen Bereichen (Ausdauer und Konzentration, Bereitschaft zur Aufgabenerfüllung, Selbständigkeit und emotional-soziale Fähigkeiten) altersentsprechend entwickelt. Sie leide jedoch u.a. an einer schweren Nahrungsmittelallergie, wobei allergische Reaktionen bereits bei bloßem Hautkontakt aufträten. Aus fachärztlicher Sicht sollten die Medikamente im Notfall vom Schulpersonal verabreicht werden, wozu sich die wohnortnahe Grundschule jedoch nicht in der Lage sehe. Die Grundschule habe erklärt, dass die Klägerin nur aufgenommen werden könne, wenn sie von einer medizinischen Fachkraft begleitet werde. Eine alternative Beschulung käme nur in der 86 km entfernten Oschule in P in Frage.
In einem sozialmedizinischen Gutachten vom 4. Juli 2016 kam der MDK in dem nach Aktenlage erstellten Gutachten zu dem Ergebnis, dass in der Gesamtschau der vorliegenden Unterlagen und unter Beachtung der Definition der speziellen Krankenbeobachtung im Falle der Klägerin das Erfordernis einer speziellen Krankenbeobachtung medizinisch nicht erkennbar sei. Auch wenn eine sofortige pflegerisch/ärztliche Intervention bei täglichen Situationen nicht nachvollziehbar sei, sei unstrittig, dass im Falle der Klägerin neben den erforderlichen behandlungspflegerischen Maßnahmen eine kontinuierliche Betreuung/Beaufsichtigung durch eine qualifizierte Pflegeperson zur Vorbeugung und Vermeidung eines anaphylaktischen Schocks unabdingbar sei. Die beantragte spezielle Krankenbeobachtung sei allerdings nicht begründbar.
Nachfolgend lehnte die Beklagte die Bewilligung der speziellen Krankenbeobachtung unter Bezugnahme auf die Einschätzung des MDK ab. Sie führte aus, sie habe auch zu prüfen, ob der erstangegangene Leistungsträger (der hiesige Beigeladene) im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die spezielle Krankenbeobachtung zu erbringen habe. Im Ergebnis teile sie mit, dass der Beigeladene ebenfalls seine Leistungszuständigkeit verneine, in dessen Namen lehne sie den Antrag auf Krankenbeobachtung ebenfalls ab.
Auf einen von der Klägerin gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verpflichtete das Sozialgericht Potsdam die Beklagte mit Beschluss vom 30. August 2016 (Aktenzeichen S 35 KR 280/16 ER) vorläufig, bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, maximal bis zum 31. Dezember 2016, Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form der speziellen Krankenbeobachtung im Umfang von 35 Stunden wöchentlich zu gewähren. Es könne dahinstehen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung der häuslichen Krankenpflege erfüllt seien, wofür einiges spreche, da der Antrag durch die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V genehmigt sein dürfte. Eilbedürftigkeit sei gegeben, da die Klägerin ohne Begleitung nicht in ihrer Grundschule aufgenommen werden könne. Die Beschulung in Potsdam mit Unterbringung im Internat sei für die Klägerin unzumutbar.
Nachdem auf eine Folgeverordnung von Krankenpflege für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2017 wegen eines Zuständigkeitsstreits zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen zunächst keine Entscheidung ergangen war, verpflichtete das Sozialgericht Potsdam die Beklagte mit weiterem Beschluss vom 30. Dezember 2016 (Aktenzeichen S 35 KR 406/16 ER) vorläufig, längstens bis zum 31. März 2017, zur Leistungserbringung in Form der speziellen Krankenbeobachtung für den Hin- und Rückweg zur Schule und während der Hortzeiten, nicht aber während der Schulstunden. Es sei keine dauernde Beobachtung während des Unterrichts notwendig. Für die Klägerin dürfte ein Anspruch auf Gewährung der Krankenbeobachtung im Sinne der Behandlungspflege gegen die (hiesige) Beklagte bestehen, da eine Folgeverordnung vorliege und die Beklagte bereits aus Anlass der ersten Verordnung für eine Entscheidung als zweitangegangener Träger zuständig sei. Darüber hinaus sei sie für die Übernahme einer Behandlungspflege zuständig.
Nach Beschwerden der Klägerin und der Beklagten änderte das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 24. Februar 2017 (Aktenzeichen L 1 KR 21/17 B ER) den Beschluss des Sozialgerichts und bewilligte häusliche Krankenpflege in Form der speziellen Krankenbeobachtung für die gesamte Unterrichtszeit, als Begleitung für den Hin- und Rückweg zur Schule sowie auch während der Hortzeiten. Zur Begründung führte es aus, es sei hinreichend wahrscheinlich, dass die Klägerin nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V Anspruch auf Leistungen der Behandlungspflege gegen die Beklagte habe. Die Notwendigkeit einer ständigen Überwachung ergebe sich daraus, dass sie jederzeit einen anaphylaktischen Schock erleiden könne und schon wegen ihres Lebensalters die Gefahren nicht selbst einschätzen könne. Während des Schulbesuchs könne die Überwachung nicht durch den Vater sichergestellt werden. Der Klägerin könne auch nicht angesonnen werden, auf Dauer vom Unterricht fernzubleiben. Zu Unrecht meine das Sozialgericht, dass während des eigentlichen Unterrichts keine Überwachung notwendig sei. Nach einem Schreiben der Grundschule vom 9. Januar 2017 sei hinreichend glaubhaft, dass die Schule sich mit ihren Lehrkräften und sonstigen Mitarbeitern nicht in der Lage sehe, während des Unterrichts die Überwachung vorzunehmen und gegebenenfalls Medikamente zu verabreichen. Angesichts des Umstands, dass eine anderweitige Überwachung während der Unterrichtszeiten damit gerade nicht sichergestellt sei, vermöge der Senat nicht zu erkennen, dass das Risiko des Eintritts eines anaphylaktischen Schocks während des Unterrichts auch ohne eine ständige Überwachung durch Krankenpflegekräfte ausgeschlossen werden könne. Daraufhin leistete die Beklagte für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis zum 30. Juni 2017 vorläufig und machte über einen Betrag von 27.195,00 Euro einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen geltend.
Einen weiteren Antrag der Klägerin für die Zeit von Juli bis Dezember 2017 (Folgeverordnung der Fachärztin für Kinderheilkunde H vom 11. Mai 2017) übersandte die Beklagte an den Beigeladenen, der ihn umgehend mit der Begründung zurückgab, es handele sich lediglich um eine Folge-Verordnung zum Antrag auf medizinische Fachbetreuung, welchen die Beklagte als zweitangegangener Leistungsträger abgelehnt habe. Da ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Potsdam anhängig sei, sei eine Weiterleitung nach § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) unzulässig. Aufgrund eines weiteren Beschlusses des Sozialgerichts Potsdam vom 10. Juli 2017 im einstweiligen Anordnungsverfahren (Aktenzeichen S 7 KR 308/17 ER) leistete die Beklagte vorläufig unter Rückforderungsvorbehalt häusliche Krankenpflege für 35 Wochenstunden an Schul- bzw. Horttagen für die Zeit vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Dezember 2017.
Am 21. Juli 2017 erstellte Dr. Sch für den MDK ein sozialmedizinisches Gutachten. Hierfür hatte der MDK eine ärztliche Stellungnahme eingeholt, die eine hohe Anaphylaxiegefährdung bei nur geringer Berührung mit Milch sowie rohem Hühnerei attestiert. Im Gutachten führt Dr. Sch aus, dass bei Gesamtbetrachtung der vorliegenden Unterlagen und in Beachtung des bestehenden Krankheitsbildes nachvollziehbar sei, dass die Klägerin einer Betreuung/Beaufsichtigung beim Schulbesuch bedürfe. Es könne jedoch nicht erkannt werden, auf welcher Grundlage eine spezielle Krankenbeobachtung im Rahmen des Schulbesuchs begründet werden könne. Die Definition des Leistungsverzeichnisses (unklar bleibt, ob Nr. 24 – spezielle Krankenbeobachtung – gemeint ist) werde auch durch die Darlegungen des verordnenden Arztes nach gezielter Anfrage nicht erfüllt. Im Leistungsverzeichnis der Häuslichen-Krankenpflege-Richtlinie (HKP-Richtlinie) werde unter Nr. 26 die Medikamentengabe aufgeführt. Sofern eine im Haushalt lebende qualifizierte Person „die vorgenannte, ärztlicherseits verordnete behandlungspflegerische Maßnahme“ im Rahmen des Schulbesuchs nicht durchführen könne, sei die Anwesenheit einer geeigneten Pflegekraft eines Leistungserbringers „zur Gewährleistung der Durchführung der verordneten behandlungspflegerischen Maßnahme (Medikamentengabe) medizinisch begründbar“.
Einen Folgeantrag für die Zeit von Januar bis Juni 2018 nebst Verordnung von der Fachärztin für Kinderheilkunde H leitete die Beklagte an den Beigeladenen weiter. Die Zuständigkeitsprüfung nach § 14 SGB IX sei bei der Beklagten erfolgt und habe eine (Teil-) Weiterleitung des Antrages an den Beigeladenen zur Folge. Ausweislich des Gutachtens des MDK vom 21. Juli 2017 erfülle die Klägerin nicht die medizinischen Voraussetzungen für eine spezielle Krankenbeobachtung im Sinne der HKP-Richtlinie. Der Beigeladene hielt auch diese Weiterleitung für unzulässig und sandte den Antrag zurück. Aufgrund eines Beschlusses des Sozialgerichts Potsdam vom 21. Dezember 2017 (Aktenzeichen S 7 KR 569/17 ER) leistete die Beklagte vorläufig auch für den Zeitraum 2. Januar 2018 bis zum 30. Juni 2018.
Für die Zeit vom 1. Juli 2018 bis Dezember 2019 leistete die Beklagte teils wegen Ablaufs der Bearbeitungsfrist in der Annahme einer Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V, teils vorläufig zur Vermeidung eines erneuten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens unter Rückforderungsvorbehalt in Anlehnung an die gerichtlichen Entscheidungen.
Am 3. Dezember 2019 verordnete der Facharzt für Kinderheilkunde Dipl.-Med. B in einer Folgeverordnung für häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 2. Januar 2020 bis zum 30. Juni 2020 als sonstige Maßnahmen der Behandlungspflege „Medgabe bei Bedarf; b. Bedarf Inhalation, Notfallmanagement, Vorbeugung und Vermeidung Anaphylaktischen Schock“ im Umfang von 40 Stunden wöchentlich. Die Verordnung ging am 19. Dezember 2019 bei der Beklagten ein. Den darin liegenden Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Januar 2020 mit der Begründung ab, die beratende Ärztin des MDK sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen einer speziellen Krankenbeobachtung nicht vorlägen. Eine Weiterleitung dieses Antrags ist den Akten nicht zu entnehmen. Gegen die Ablehnungsentscheidung erhob die Klägerin Widerspruch.
Zugleich beantragte die Klägerin erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht. Beigefügt war eine Stellungnahme der M&M Intensivpflegedienst GmbH vom 15. Januar 2020, in dem der die spezielle Krankenbeobachtung ausführende Pflegedienst mitteilte, dass eine fachliche Begleitung während des Schulbesuchs weiterhin notwendig sei, unter anderem, weil die Klägerin auch nach ihrer eigenen Aussage sich in Notfallsituationen nicht selbständig versorgen könne und die zuständigen Lehrer in diesen Notfallsituationen nicht angemessen reagieren könnten, da sie keine entsprechende Fachausbildung besäßen. Weiter wurde das Pflegetagebuch für die Zeit vom 8. Mai 2019 bis zum 15. Januar 2020 eingereicht sowie ein Attest des Facharztes für Innere Medizin, Gastroenterologie, Diabetologie und Notfallmedizin und Leitenden Notarztes sowie Ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes des Landkreises Teltow-Fläming, Herrn Dr. Sch, Ev. Krankenhaus L, vom 21. Juli 2017, in dem dieser bescheinigte, dass aus notfallmedizinischer Sicht bei Vorliegen einer schweren Anaphylaxie eine sofortige notfallmäßige Behandlung erfolgen müsse. Außerdem wurden die Dauermedikationsliste, verordnet von Dipl. Med. B, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, sowie sein Notfallmaßnahmeplan vom 12. April 2018 eingereicht.
Mit Beschluss vom 10. Februar 2020 verpflichtete das Sozialgericht Potsdam die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung, für die Zeit bis zum 30. Juni 2020 Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form der speziellen Krankenbeobachtung für die gesamte Unterrichtszeit, als Begleitung für den Hin- und Rückweg zur Schule sowie auch während der Hortzeiten zu gewähren. Nach summarischer Prüfung sei davon auszugehen, dass ein Anspruch nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V gegeben sei. Die Kammer halte die Einschätzung der Pflegeperson in den Protokollen, dass die Klägerin gerade noch kein hinreichendes Problembewusstsein habe und die Gefahren nicht genau einschätzen könne, für glaubhaft und auch anhand des Alters für nachvollziehbar. Unerheblich sei, ob die Notwendigkeit der ständigen Krankenbeobachtung den Voraussetzungen in Nr. 24 des Leistungsverzeichnisses der HKP-Richtlinie entspreche, da hiermit gerade nicht rechtsverbindlich der Umfang der Ansprüche der Versicherten festgelegt werde, da der Ausschluss einer medizinisch gebotenen Maßnahme gegen höherrangiges Recht verstieße.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2020 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Ablehnungsbescheid vom 8. Januar 2020 zurück. Unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten vom 21. Juli 2017 sei nicht erkennbar, warum die notwendige Betreuung bzw. Beaufsichtigung der Klägerin im Rahmen der Behandlungspflege durch eine Pflegefachkraft zu Lasten der Krankenversicherung erfolgen müsse. Es sei eine Betreuung/Beaufsichtigung durch eine Integrationsfachkraft angezeigt. Die Klägerin habe bislang keinen Antrag auf Eingliederungshilfe beim Beigeladenen gestellt und ignoriere die Hinweise von ihr, der Beklagten, dass die begehrte Leistung trägerübergreifend als Komplexleistung gewährt werden müsse.
Am 9. Oktober 2020 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Potsdam erhoben. Sie sei noch nicht dazu in der Lage, adäquat in einer akuten Gefährdungssituation und nach einem drohenden anaphylaktischen Schock zu reagieren und könne die verordnete spezielle Krankenbeobachtung daher beanspruchen. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Ansicht vertreten, dass sich aus der HKP-Richtlinie kein Anspruch der Klägerin ergebe. Die Klägerin habe immer noch keinen Antrag auf Eingliederungshilfe gestellt und im Jahr 2018 eine von der Rentenversicherung bewilligte Reha-Maßnahme nicht angetreten. Mit Beschluss vom 7. Dezember 2021 hat das Sozialgericht den Träger der Eingliederungshilfe zum Verfahren beigeladen, der die Ansicht vertreten hat, die Klägerin habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Behandlungssicherungspflege, wofür keine Zuständigkeit im Rahmen der Eingliederungshilfe bestehe.
Mit Urteil vom 8. September 2022 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 2. Januar 2020 bis zum 30. Juni 2020 während des Schulwegs und während der Unterrichts- und Hortzeiten häusliche Krankenpflege in Form von spezieller Krankenbeobachtung zu gewähren. Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V seien erfüllt. Spezielle Krankenbeobachtung sei erforderlich, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen erforderlich sei und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden könnten. Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass die Klägerin infolge ihrer multiplen Allergien, die auch durch einen bloßen Hautkontakt zu schweren allergischen Reaktionen bis hin zu einem anaphylaktischen Schock führen könnten, unter Berücksichtigung ihres Alters ohne eine ständige Überwachung und ggf. eine dem ärztlich aufgestellten Notfallplan entsprechende medikamentöse Intervention während des Schulalltags einer ständig präsenten lebensbedrohlichen Gefahr ausgesetzt wäre und dass vor diesem Hintergrund eine Begleitung/Überwachung und gegebenenfalls medikamentöse Intervention erforderlich sei. Eine Leistungspflicht des Beigeladenen bestehe nicht. Eingliederungshilfe und Leistungen der Behandlungspflege verfolgten unterschiedliche Ziele. Zur Behandlungspflege gehörten alle Pflegemaßnahmen, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich würden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet seien und dazu beitrügen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht würden. Aufgabe der Eingliederungshilfe sei es hingegen, Leistungsberechtigten eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen und die volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Abgrenzung habe nach der Zielrichtung der Leistung zu erfolgen. Diene die Leistung der Bewältigung von Anforderungen des Schulalltags, sei der Bedarf der Eingliederungshilfe zuzuordnen. Handele es sich – wie vorliegend – um die Notwendigkeit, die körperliche Situation zu beobachten und gegebenenfalls in medizinisch-pflegerischer Hinsicht zu intervenieren, so handele es sich um Behandlungspflege. Vor diesem Hintergrund ergebe sich auch für die von der Beklagten begehrte trägerübergreifende Lösung kein Ansatz. Der Nichtantritt einer Rehabilitationsmaßnahme außerhalb des Verwaltungsverfahrens des Beklagten könne keine Mitwirkungspflichtverletzung darstellen. Zudem habe die Beklagte auf eine mögliche Entziehung nicht hingewiesen und eine solche nicht entschieden.
Gegen das der Beklagten am 26. September 2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Oktober 2022 Berufung zum LSG Berlin-Brandenburg eingelegt. Die Klägerin bedürfe als Behinderte der Leistungen der Eingliederungshilfe und nicht der Behandlungssicherungspflege. Die Sicherstellung der Bedürfnisse der Eingliederung einer zum damaligen Zeitpunkt zehnjährigen Schülerin in den Klassenverband stehe bei weitem im Vordergrund gegenüber einer rein behandlungspflegerischen Absicherung vor Allergie auslösenden Kontakten. Die begehrten Leistungen würden primär dem Ziel dienen, die Klägerin als behinderten Menschen in die Gesellschaft zu integrieren und ihr den Besuch der Schule zu ermöglichen. Die Leistung sei nicht primär darauf ausgerichtet, eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. Die begehrte Integrationshilfe solle die Klägerin befähigen, eigenständig körperliche- und Nahrungsmittelkontakte sicher einschätzen und verlässlich vermeiden und im Notfall eigenständig reagieren zu können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. September 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Für sie wird vorgetragen: Die Krankenbeobachtung habe nicht behinderungsbedingte Nachteile bei ihr ausgleichen sollen, sondern habe dem Schutz ihrer Gesundheit gedient. Sie habe als damals 10jähriges Kind noch nicht erkennen können, welche Folgen die Aufnahme oder der bloße Körperkontakt mit allergieauslösenden Stoffen haben könne. Es habe aufgrund der Vielzahl und der Schwere der Allergien der Eintritt eines anaphylaktischen Schocks gedroht. Notfallsituationen seien in der Vergangenheit mehrfach aufgetreten.
Der Beigeladene beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die vom Sozialgericht vorgenommene Abgrenzung von Eingliederungshilfe und Behandlungspflege sei zutreffend. Aufgrund der schwerwiegenden Erkrankungen und Allergien der Klägerin bedürfe sie ständiger Überwachung und im Notfall einer medikamentösen Intervention. Es gehe daher nicht um die Bewältigung des Schulalltages, um der Klägerin die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakten der Beklagten sowie des Beigeladenen. Ergänzend wird auf die Gerichtsakten der Verfahren des Sozialgerichts Potsdam zu den Aktenzeichen S 7 KR 569/17 ER, S 7 KR 10/20 ER und S 35 KR 406/16 ER, L 1 KR 21/17 B ER verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist jedoch – abgesehen von der Neufassung des Tenors zu 2 der erstinstanzlichen Entscheidung – nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 8. September 2022 ist im Ergebnis rechtmäßig.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem erstinstanzlichen Urteil der Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020. Zu Recht hat das Sozialgericht mit dem Tenor zu 1 die Ablehnungsentscheidung der Beklagten aufgehoben. Zu Unrecht – oder jedenfalls missverständlich – hat das Sozialgericht jedoch die Beklagte mit dem Tenor zu 2 (nochmals) verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 2. Januar 2020 bis zum 30. Juni 2020 während des Schulwegs und während der Unterrichts- und Hortzeiten häusliche Krankenpflege in Form von spezieller Krankenbeobachtung zu gewähren, anstatt insoweit die endgültige Leistungspflicht der Beklagten nur festzustellen. Diesbezüglich war der Tenor der Entscheidung zu ändern, was im Ergebnis jedoch nicht zu einem Obsiegen der Beklagten führt.
1.
Die der Berufung zugrunde liegende Klage der Klägerin ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach §§ 54 Abs. 1 Satz 1, 55 SGG zulässig. Zwar ist der erstinstanzlich gestellte Antrag auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gerichtet. Bei sachdienlicher Auslegung des klägerischen Begehrens ist jedoch von einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage auszugehen. Denn das Ziel der Klägerin ist es – neben der Aufhebung der entgegenstehenden Entscheidung der Beklagten –, den Rechtsgrund für das „Behaltendürfen“ der in der Vergangenheit vorläufig erbrachten Leistungen feststellen zu lassen. Hat ein Leistungsträger bereits vorläufig geleistet, kann er nicht erneut zur Leistung, auch nicht im Sinne einer Kostenfreistellung, verurteilt werden; es bedarf lediglich der Feststellung, dass die Leistung nicht nur vorläufig zu Recht erbracht wurde. Richtige Klageart für ein solches Begehren ist daher die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris Rn. 8 und B 1 KR 10/16 R – juris Rn. 9; Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 31/13 R – juris Rn. 11 f.). Dies gilt mit Blick auf die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auch dann, wenn ein anderer als der beklagte Leistungsträger vorläufig geleistet und einen Erstattungsanspruch angemeldet hat (Sächsisches LSG, Urteil vom 21. April 2021 – L 1 KR 539/17 –, juris Rn. 27).
2.
Die Berufung der Beklagten ist im Ergebnis nicht begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung der Ablehnungsentscheidung und Feststellung der endgültigen Pflicht der Beklagten, spezielle Krankenbeobachtung in der Zeit vom 2. Januar 2020 bis 30. Juni 2020 zu gewähren.
a.
Rechtsgrundlage für diesen Anspruch ist § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der vom 1. Januar 2019 bis 28. Oktober 2020 geltenden Fassung. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.
Gemäß § 37 Abs. 6 SGB V legt der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. Dies ist in der HKP-Richtlinie geschehen. Nach § 2b Abs. 1 Satz 1 der HKP-Richtlinie (in der ab 6. Dezember 2019 geltenden Fassung; BAnz AT 05.12.2019 B4) ist die Sicherungspflege Bestandteil des ärztlichen Behandlungsplans und kann verordnet werden, wenn sich der oder die Versicherte wegen einer Krankheit in ambulanter vertragsärztlicher Versorgung befindet und diese nur mit Unterstützung durch Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege durchgeführt werden kann. Zur Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden (vgl. Padé in jurisPK-SGB V, § 37 SGB V (Stand: 15.01.2024), Rn. 72 m.w.N.).
Die Klägerin ist als familienversichertes Kind Mitglied der Beklagten. Sie befand sich u.a. wegen einer lebensbedrohlichen Nahrungsmittelunverträglichkeit in vertragsärztlicher Behandlung. Es bestand bei ihr das Risiko eines lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schocks. Dies machte im ersten Halbjahr 2020 zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung der Klägerin eine kontinuierliche Beobachtung und im Bedarfsfall eine Intervention mit den notwendigen medizinisch-pflegerischen Maßnahmen erforderlich. Denn die Klägerin war aufgrund ihres Alters und ihrer individuellen Entwicklung nicht in der Lage, allein die Gesundheitsgefahren zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und ergibt sich aus dem sozialmedizinischen Gutachten des MDK vom 4. Juli 2016, aus den verschiedenen ärztlichen Verordnungen betreffend die spezielle Krankenbeobachtung während der Schulzeit, aus dem sozialmedizinischen Gutachten des Dr. Sch vom 21. Juli 2017 sowie aus dem Attest des Ärztlichen Leiters des Rettungsdienstes Dr. Sch vom 21. Juli 2017. Auch wenn sich nach den im Gutachten des MDK vom 21. Juli 2017 wiedergegebenen ärztlichen Angaben das Risiko eines lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schocks zwischen 2016 und Juli 2017 nicht realisiert hat, bestand ein unverändertes Risiko, wovon auch die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Die Krankenbeobachtung diente hier auch zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung, da die konkreten Einzelmaßnahmen der beobachtenden Pflegekraft die ambulante ärztliche Behandlung der Klägerin ergänzten und diese einheitlich ihrer Gesunderhaltung dienten.
Die verordnete Leistung war in der Schule und im Hort erforderlich, wobei es sich jeweils um einen geeigneten Ort i.S. v. § 37 Abs. 2 Satz 1 SGBV handelt. Der Schulträger bzw. die Schule der Klägerin konnte die Beobachtung und medizinische Notfallintervention nicht leistungsgerecht erbringen, was ebenfalls zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Die Leistung war auch auf dem Hinweg zur Schule und auf dem Rückweg vom Hort medizinisch notwendig, es handelt sich bei der Wegstrecke jeweils auch um einen „geeigneten Ort“ im Sinne der Vorschrift (a.A. Sächsisches LSG, Urteil vom 21. April 2021 – L 1 KR 539/17 –, juris Rn. 32, jedoch unter Bezugnahme auf Krankentransportleistungen). Da das Gesetz keine Definition des „geeigneten Ortes“ enthält, hat die Rechtsprechung des BSG den Begriff dahin konkretisiert, dass ein Anspruch an allen geeigneten Orten besteht, an denen sich der Versicherte regelmäßig wiederkehrend aufhält, wenn die Leistung aus medizinisch-pflegerischen Gründen während des Aufenthalts an diesem Ort notwendig ist (BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 4/19 R –, juris Rn. 19; BSG, Urteil vom 30. November 2017 – B 3 KR 11/16 R –, juris Rn. 24). Die Klägerin nutzte die stets gleiche Wegstrecke regelmäßig wiederkehrend, die Krankenbeobachtung war (gerade) auf diesen Wegstrecken notwendig.
Der Anspruch ist nicht nach § 37 Abs. 3 SGB V ausgeschlossen. Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht danach nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Auf den Wegen von und zur Schule, in der Schule sowie während der Hortzeiten konnte der Vater der Klägerin wegen eigener Erwerbstätigkeit und der Betreuung der Geschwister der Klägerin nicht selbst die Krankenpflege übernehmen.
Zutreffend verweist die Beklagte zwar darauf, dass sich die medizinisch notwendige Behandlung der Klägerin nicht vollständig unter die Voraussetzungen von Nr. 24 – spezielle Krankenbeobachtung – des Leistungsverzeichnisses der HKP-Richtlinie subsumieren lässt, da danach „mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen täglich erforderlich“ sein muss. Bei der begehrten Leistung für die Klägerin ging es jedoch gerade darum, das Risiko eines anaphylaktischen Schocks und damit die Wahrscheinlichkeit der Interventionsnotwendigkeit zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Ferner bestand keine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin täglich den für sie gefährlichen Kontaminationsrisiken ausgesetzt sein würde. Ein Ausschluss der im Einzelfall gebotenen Krankenbeobachtung aus dem Katalog der verordnungsfähigen Leistungen verstößt aber gegen höherrangiges Recht. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege auszunehmen (BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R –, juris, Rn. 19).
Die hier medizinisch unstreitig erforderliche Beobachtung und medizinische Interventionsbereitschaft gehört nach Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 37 Abs. 2 SGB V. Denn der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege umfasst auch die ständige Beobachtung des Versicherten durch eine medizinische Fachkraft, wenn diese – wie hier – wegen der Gefahr lebensbedrohlicher Komplikationen von Erkrankungen jederzeit einsatzbereit sein muss, um die nach Lage der Dinge jeweils erforderlichen medizinischen Maßnahmen durchzuführen (BSG, Urteil vom 10. November 2005 – B 3 KR 38/04 R). Dies ergibt sich aus der Abgrenzung der Leistungsbereiche.
Gegenüber dem Beigeladenen bestand kein Anspruch der Klägerin auf Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe gemäß § 112 i.V.m. §§ 90 Abs. 4, 75 SGB IX.
Zwar werden nach den allgemeinen Bestimmungen in Teil 1 des SGB IX – hier gemäß § 75 Abs. 1 SGB IX für die Teilhabe an Bildung – unterstützende Leistungen erbracht, die erforderlich sind, damit Menschen mit Behinderungen Bildungsangebote gleichberechtigt wahrnehmen können. Es ist nach den besonderen Bestimmungen des Teil 2 des SGB IX gemäß § 90 Abs. 4 SGB IX die Aufgabe der Teilhabe an Bildung, Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung und schulische und hochschulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zur Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen. Gemäß § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SBG IX umfassen die Leistungen zur Teilhabe an Bildung Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, einschließlich Leistungen zur Unterstützung schulischer Ganztagsangebote in der offenen Form, die im Einklang mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule stehen und unter deren Aufsicht und Verantwortung ausgeführt werden, an den stundenplanmäßigen Unterricht anknüpfen und in der Regel in den Räumlichkeiten der Schule oder in deren Umfeld durchgeführt werden. Nach § 112 Abs. 1 Satz 3 SGB IX umfassen die Leistungen zur Teilhabe an Bildung auch heilpädagogische und sonstige Maßnahmen, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, der leistungsberechtigten Person den Schulbesuch zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Die Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfe einerseits und (Behandlungs-) Sicherungspflege andererseits hat nach der Zielrichtung der Leistung bzw. dem Leistungszweck zu erfolgen (vgl. zu Hilfsmitteln BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R, juris Rn. 17, und Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R, juris Rn. 21). Die Leistungszwecke können sich im Einzelfall zwar überschneiden, die Leistungen der Eingliederungshilfe verfolgen jedoch mit der Erleichterung des Schulbesuchs über die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehende Ziele (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R –, juris Rn. 21).
Dient die Hilfeleistung der Bewältigung von Anforderungen des Schulalltags, ist der Bedarf der Eingliederungshilfe zuzuordnen; handelt es sich dagegen allein um einen krankheitsbedingten Bedarf, der auf die Beobachtung der körperlichen Situation und eine ggf. notwendige Intervention durch die Verabreichung eines Notfallmedikaments gerichtet ist, ist er der Behandlungssicherungspflege nach § 37 Abs. 2 S. 1 SGB V zuzuordnen (LSG Hamburg, Beschluss vom 11. Oktober 2019 – L 4 SO 49/19 B ER –, Rn. 6, juris; m.w.N.; ferner Hessisches LSG, Beschluss vom 15. März 2017 – L 4 SO 23/17 B ER, juris Rn. 8; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.3.2017 – L 18 SO 99/17 B ER, juris Rn. 20; Thüringer LSG, Beschluss vom 16. Mai 2017 – L 6 KR 1571/15 B ER, juris Rn. 25ff.; a.A. wohl LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. Dezember 2017 – L 7 SO 3798/17 ER-B, juris Rn. 12ff.).
Vorliegend stand bei der Klägerin im streitigen Zeitraum zur Überzeugung des Senats nicht die Bewältigung von Anforderungen des Schulalltages im Vordergrund, also die Verbesserung oder Erleichterung des Schulbesuchs der Klägerin. Vielmehr ging es schwerpunktmäßig um die gebotene Beobachtung der körperlichen Situation der Klägerin, deren Notwendigkeit auch durch die Beklagte anerkannt ist, und um eine ggf. notwendige Intervention durch die Verabreichung von Notfallmedikamenten und Gewährung sonstiger medizinischer Hilfe. Die bei der Klägerin erforderlichen Maßnahmen waren unabhängig vom Schulbesuch während des gesamtes Tages medizinisch notwendig, daher fehlt es an der unmittelbaren Verknüpfung mit dem Schulbesuch.
Dagegen kann nicht angeführt werden, dass ohne die entsprechende Beobachtung und Notfallunterstützung die Teilnahme der Klägerin am Schulunterricht krankheitsbedingt nicht gesichert sei, weshalb es eben doch um eine Leistung der Eingliederungshilfe gehe. Denn die Leistung diente nicht allein der Schulausbildung der Klägerin, sondern vielmehr im Kern dem Schutz ihrer Gesundheit. Diesen Schutz gewährleistet die Krankenversicherung. Die Notwendigkeit der Leistungserbringung in der Schule, im Hort und auf den Wegen dorthin sowie nach Hause ergibt sich nicht aus einem schulspezifischen Bedarf, sondern aus dem Umstand, dass der Gesundheitsschutz der Klägerin den gesamten Tag über sichergestellt werden musste, der Vater diesen Schutz aber nur in der häuslichen Umgebung und der familiären Freizeitgestaltung sicherstellen konnten. Der pflegerische Bedarf entstand bei der Klägerin nicht wegen des Schulbesuchs, sondern wegen der Erkrankung. Die Notwendigkeit der Sozialleistungsgewährung lag nicht in einem pädagogisch geprägten Hilfebedarf, sondern im fehlenden Gesundheitsschutz durch Beobachtungsleistungen des Vaters während der Zeiten außerhalb der häuslichen Umgebung.
Der zu entscheidende Fall stellt sich daher anders dar als derjenige, in dem einem an Diabetes erkrankten Kind allein zur Sicherstellung der Teilnahme am Sportunterricht ein Anspruch auf Hilfen zur angemessenen Schulbildung in Gestalt eines Einzelfallhelfers im unmittelbaren zeitlichen Umfeld der jeweiligen Sportstunde zuerkannt wurde (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Januar 2017 – L 15 SO 355/16 B ER, juris Rn. 4ff.). Diese Entscheidung prüft den Anspruch nach § 37 Abs. 2 SGB V nicht.
b.
Es kann dahinstehen, ob sich die Zuständigkeit der Beklagten auch aus § 14 Abs. 1 SGB IX ergibt. Es ist in der Rechtsprechung umstritten, ob die Anwendbarkeit des § 14 SGB IX objektiv eine Teilhabeleistung voraussetzt, woran es hier wegen des klaren kurativen Bezuges der Krankenbeobachtung fehlen könnte (dagegen Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 9. Januar 2019 – L 9 SO 219/18 B ER –, juris Rn. 6; dafür Hessisches LSG, Beschluss vom 15. März 2017 – L 4 SO 23/17 B ER; weitere Nachweise bei Ulrich in jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 14 SGB IX (Stand: 01.10.2023), Rn. 47). Auch bei Anwendbarkeit des SGB IX ergibt sich allein eine Zuständigkeit der Beklagten. Diese folgt entweder daraus, dass die Beklagte den bei ihr eingereichten Antrag in der Form der Verordnung vom 3. Dezember 2019 für das hier streitgegenständliche erste Halbjahr 2020 nicht weitergeleitet hat, sondern – formell zutreffend – hierüber selbst entschieden hat. Oder ihre Zuständigkeit folgt aus dem Umstand, dass der Beigeladene den Erstantrag der Klägerin vom 24. September 2015 an die Beklagte weitergeleitet hat und keine Zäsur zwischen Erst- und hier streitiger Folgeverordnung eingetreten ist (zur zeitlich unbeschränkten Zuständigkeit für Verlängerungsanträge Ulrich, in jurisPK-SGB IX, 4. Aufl., § 14 SGB IX (Stand: 01.10.2023), Rn. 58 m.w.N.).
Lediglich ergänzend verweist der Senat auf den Nachrang der Eingliederungshilfeleistungen, § 91 SGB IX, der das hiesige Ergebnis ebenso stützt.
c.
Einer Abgrenzung zu Leistungen der medizinischen Rehabilitation nach § 42 SGB IX bedarf es nicht. Diese Vorschrift ist nach einem ganzheitlichen Therapieansatz gefasst worden und enthält ein komplexes Angebot nicht nur hinsichtlich der Minderung oder Ausgleichung der Behinderung, sondern auch hinsichtlich der psychischen Bewältigung der Krankheit und der sozialen Krankheitsfolgenbewältigung. Der Rehabilitation liegt dementsprechend ein biopsychosoziales Modell von Krankheit und Behinderung zugrunde, das Gesundheit und Krankheit als Ineinandergreifen physiologischer, psychischer und sozialer Vorgänge beschreibt (Oppermann in Hauck/Noftz SGB IX, 3. EL 2024, § 42 SGB IX 2018, Rn. 18). Für Leistungen der medizinischen Rehabilitation wäre die Beklagte nach § 5 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX ebenso zuständig.
d.
Ergänzend verweist der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung, denen zu folgen ist, § 153 Abs. 2 SGG.
2.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens. Kosten des Beigeladenen waren nicht zu erstatten.
3.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nicht vorliegen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).