L 1 KR 456/20

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 984/20
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 456/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17. November 2020 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Im Streit steht ein Anspruch auf Kostenübernahme für eine begehrte Ganzkörper Positronen-Emissions-Tomographie-CT (PET-CT).

 

Die 1957 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet u.a. an Riesenzellarteriitis (ICD-10 M 31.6; RZA). Diese Erkrankung ist eine systemische Gefäßentzündung (Vaskulitis). Zu deren Behandlung erhält sie als Dreifachtherapie ein Kortikosteroid sowie Tocilizumab (Arzneimittel RoActemra) in Kombination mit Methotrexat.

 

Der die Klägerin behandelnde Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie Dr. P beantragte für sie bei der Beklagten mit Schreiben vom 29. Oktober 2018 die Bewilligung einer PET-CT zum Ausschluss akuter entzündlicher Befunde an den Arterien. Die lebensgefährliche RZA habe nur durch eine hochdosierte Kortikosteroidtherapie und die Gabe des IL-6-Antagonisten RoActemra stabilisiert werden können. Um sicher zu sein, dass eine weitere Intensivierung, vor allem eine Dosissteigerung der RoActemra-Therapie nicht notwendig sei, sei eine PET-CT indiziert.

 

Die Beklagte lehnte eine Kostenübernahme mit Bescheid vom 13. November 2018 ab: Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe für die PET-CT-Diagnostik den Nutzen nur bei bestimmten medizinischen Indikationen festgestellt, die hier nicht einschlägig seien.

 

Mit ihrem Widerspruch vom 1. Dezember 2018 machte die Klägerin geltend, es liege bei ihr der Ausnahmefall einer lebensbedrohlichen Krankheit vor. Bevor sie sich einer invasiven Diagnostikmethode wie einer Hirn- oder Hirnhautbiopsie sowie einer Lumbalpunktion unterziehe, sollten alle nichtinvasiven Diagnostikmöglichkeiten, ausgeschöpft sein. Dr. P führte in einer ergänzenden Stellungnahme vom 4. Dezember 2018 aus, es handle sich aufgrund der entzündlichen Veränderungen der großen und kleinen Gefäße um eine lebensgefährliche Veränderung, die sowohl zu Aorten-Aneurysmen mit der Gefahr einer Ruptur als auch zu Schlaganfällen und Herzinfarkten führen kann. Des Weiteren sei angesichts der Augengefäßbeteiligung auch ein Risiko der Erblindung gegeben. Die genaue Überprüfung durch eine PET-CT könne im günstigsten Fall mittelfristig zum Absetzen der teuren Therapie mit Tocilizumab führen. Dies sei angesichts der hohen Infarktgefährdung durch die Medikation ein Ziel, das zu verfolgen sei. Sollte sich eine bestehende Aktivität der RZA herausstellen, müsse die Therapie sogar ausgeweitet werden. Eine preisgünstigere Alternative zur Diagnosestellung des Gesamtbildes der Arterien im gesamten Körper sei ihm nicht bekannt.

 

Die Beklagte veranlasste ein sozialmedizinisches Gutachten durch den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK), welches unter dem 28. Dezember 2018 von Dr. V vorgelegt wurde und mit dem er feststellte, es seien nicht alle vertraglichen Diagnosemöglichkeiten ausgeschöpft. Dr. P nahm hierzu für die Klägerin mit Schreiben vom 16. Januar 2019 Stellung. Der MDK gab daraufhin erneut eine gutachterliche Stellungnahme ab (Prof. Dr. T, vom 28. Januar 2019). Die Klägerin unterzog sich am 28. Februar 2019 einer MRT-Angiografie der thorakalen Aorta, am 12. April 2019 einem MRT des Schädels und der Schädelbasis sowie am 16. Mai 2019 einer Ultraschalldiagnostik der hirnversorgenden Arterien (Farb-Duplex-Sonografie). Dr. L erstellte für den MDK unter dem 15. Juli 2019 eine weitere Stellungnahme. Ein weiteres sozialmedizinisches Gutachten des MDK durch Dr. J datiert vom 18. Oktober 2019. Keiner der Sachverständigen des MDK gab eine Empfehlung für eine Kostenübernahme der PET-CT ab.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2020 zurück. Zur Begründung führte sie u. a. aus, nach Anlage II der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (MVV-RL) Nr. 39 dürfe die PET nicht als vertragsärztliche Leistung zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Dies gelte auch für die PET-CT, die eine Kombination aus PET und CT darstelle. Auch die Voraussetzungen einer Leistungsgewährung nach § 2 Abs. 1 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor. Es bestünde keine akut lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Eine ambulante Diagnostik sei möglich und ausreichend. Die ambulante Leistung sei auch nicht unter dem Aspekt ersparter Aufwendungen für eine vertragliche Behandlung zu übernehmen.

 

Die Klägerin hat hiergegen am 18. Juni 2020 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie ihr vorgerichtliches Vorbringen wiederholt. Die begehrte Leistung sei bislang nicht durchgeführt worden. Ihre aktuelle sehr kostenintensive und gesundheitsschädigende medikamentöse Behandlung könnte bei konkreten Angaben zur Entzündungssituation der betroffenen Gefäße angepasst und ggf. reduziert werden, womit eine geringere Infektionsgefahr und geringere Nebenwirkungen verbunden seien. Die Richtlinie des GBA hinke der aktuellen Entwicklung hinterher. Sie hat sich ergänzend auf einen Fachartikel „Gefäßbildgebung zur Kontrolle bei Entzündung großer Gefäße“ bezogen. Dr. P hat eine Stellungnahme vom 19. September 2020 sowie auf Anforderung des SG den Befundbericht vom 23. September 2020 eingereicht.

 

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. November 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es auf den Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt, die PET dürfe nach Anlage II Nr. 39 der MVV-RL nur für die in Anlage I Nr. 14 anerkannten Indikationen durchgeführt werden. Diese lägen bei der Klägerin nicht vor. Es bestünden auch keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Seltenheitsfalls oder für eine gebotene grundrechtsorientierte Auslegung aufgrund des Vorliegens einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden oder einer damit zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung. Gemeint sei eine extreme Situation, eine notstandsähnliche Lage mit einer sehr begrenzten Lebensdauer. Wertungsmäßig damit vergleichbar sei der wahrscheinlich drohende Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen körperlichen Funktion innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums. Bei der RZA drohe als mögliche Komplikation u. a. ein permanenter Visusverlust. Es lägen jedoch bei der Klägerin bisher keine Symptome vor, die auf eine akute oder absehbar drohende Erblindung hindeuteten. Der Gerichtsbescheid ist mit der Rechtsmittelbelehrung versehen, dass wahlweise mündliche Verhandlung beantragt oder Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt werden könne.

 

Die Klägerin hat hiergegen am 14. Dezember 2020 einen Antrag auf Überprüfung und Aufhebung des Gerichtsbescheides gestellt. Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2020 hat sie klargestellt, dass damit das Rechtsmittel der Berufung eingelegt sein solle.

 

Zur Berufungsbegründung trägt die Klägerin vor, § 2 Abs. 1 a SGB V fordere keine akut lebensbedrohliche Erkrankung, sondern allgemein eine lebensbedrohliche Erkrankung, die bei ihr vorliege. Sie leide unter einer RZA in einer sehr seltenen Form, weil bei ihr Arterien im Gehirn befallen seien. Sie werde im Moment mit Prednisolon, Methotrexat und Tocilizumab behandelt, einer nebenwirkungsreichen Therapie mit der Folge der Verkürzung der Lebensdauer. Sie zähle zur Hochrisikogruppe für eine Covid-19-Erkrankung. Unter der Therapie sei eine Impfung nicht angezeigt. Ob diese beendet, unterbrochen oder reduziert werden könne, könne nur mit Hilfe der PET-CT festgelegt werden. Durch die immunsuppressive Dreifachtherapie komme es bei ihr zu diversen Nebenwirkungen: Infektanfälligkeit, erhöhte Leber- und Blutfettwerte, Übergewicht, behandlungsbedürftigem Diabetes mellitus, Herzrhythmusstörungen, Mykosen, Aphten, Warzen der Haut, Beinödeme, Divertikulitiden, Sonnenallergie usw. Bei ihr lägen ferner die bekannten Nebenwirkungen von Tocilizumab, nämlich einer Fettstoffwechselstörung vor, die eine Verkalkung der Halsschlagadern zur Folge gehabt habe, die nun auch medikamentös behandelt werden müsse. Im Februar 2022 habe sie eine hochakute Divertikulitis erlitten, die den Einsatz von RoActemra eingeschränkt habe. Aufgrund der Immunsuppression sei es im Rahmen einer Virusinfektion im April 2022 zu einer eitrigen Mittelohrentzündung mit Trommelfellperforation und zur Schädigung des Innenohrs gekommen. Eine weitere mögliche Nebenwirkung sei eine schwere Leberschädigung, gerade wenn die Therapie in Kombination mit Methotrexat erfolge. Aufgrund der dreifach immunsuppressiven Therapie sei sie im Mai 2023 mit erheblichen Beschwerden an Covid-19 erkrankt. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) habe sich vor dem GBA bei Großgefäßvaskulitis für die PET eingesetzt. Die S2k-Leitlinie Großgefäßvaskulitis empfehle explizit das PET-CT als Diagnostikmethode. Die Klägerin hat Atteste ihrer Augenärztin Dr. O vom 12. September 2019 und den Bericht einer erneuten Ultraschalldiagnostik der hirnversorgenden Arterien vom 20. Mai 2020 durch Dr. S eingereicht. Dr. P hat seine ergänzende Stellungnahme vom 10. Mai 2023 übersandt.

 

Auf Veranlassung des Senats haben die Hausärztin der Klägerin Dr. S, ihr Gynäkologe Dr. S, der Radiologe Dr. D, der Neurologe Dr. S, der Facharzt für Innere Medizin/Gastroenterologie Dr. S, die Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dr. H, die Fachärztin für Innere Medizin und Angiologie T, die Internistin/Kardiologin Dr. P, der Hautarzt Dr. L, die Fachärztin für Augenheilkunde Dr. O, dass MVZ-D , der Chefarzt Rheumatologie Dr. L- der M Klinik BL, die HNO-Fachärztin Dr. F und der behandelnde Rheumatologe Dr. P Befundberichte eingereicht. Dr. S, Dr. S, Dr. P, Dr. S, Dr. H, Dr. S sowie Dr. F haben ergänzend Fragen der Klägerin beantwortet. Hierauf wird sämtlich verwiesen.

 

Der Senat hat ein Sachverständigengutachten des Facharztes für Innere Medizin/Rheumatologie Dr. S in Auftrag gegeben. Dieser hat die Klägerin am 29. Januar 2024 untersucht. In seinem medizinischen Gutachten vom 15. April 2024 ist er zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin an folgenden Erkrankungen leidet:

  • Atypische intrakranielle Riesenzellarteriitis ohne Beteiligung der Schläfenarterien in anhaltender Remission unter kombinierter immunsuppressiver Therapie (Erstdiagnose =ED: 10 / 2017)
  • HLA-B27-negative Spondylorarthritis mit pheripherer Gelenkbeteiligung, lt. Anamnese (ED 08 / 2015)
  • Gonarthrose lt. Anamnese
  • Haglund-Exostose lt. Anamnese
  • Migräne-Syndrom lt. Anamnese (ED 1987)
  • Diabetes mellitus Typ 2 b OAD-pflichtig (ED 2017)
  • Zustand nach Sinusitis der Kieferhöhlen (ED 2018)
  • Cholezystolithiasis (ED 2023)
  • Verdacht auf Divertikulitis (ED 2022)
  • Hypercholesterinämie und Hypertriglyceridämie (ED 2022)
  • Zustand nach Otitis media und Hörsturz (ED 2022)
  • Zustand nach Corona-Infektionen 2022 / 2023

Als Folge der hochdosierten Kortison-Therapie seien aus gutachterlicher Sicht folgende Erkrankungen manifest: Diabetes mellitus Typ 2 b, Adipositas, Infektanfälligkeit mit Corona-Infektionen, Kieferhöhlenentzündung, Pilzerkrankungen, Hautentzündungen aufgetreten sowie unter der Tocilizumab-Therapie Divertikulitis. Unter der laufenden Arzneimitteltherapie lägen keine lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten vor. Die Folgeerkrankungen seien erfolgreich behandelt oder medikamentös gut eingestellt. Damit unterscheide sich die Lebenserwartung der Klägerin nicht gegenüber der Allgemeinbevölkerung. Aus Sicht des Gutachters bestehe konform zur S2k-Leitlinie die Möglichkeit des Abbaus bzw. des Beendens der medikamentösen immunsuppressiven Therapie unter engmaschiger klinischer und laborchemischer Kontrolle, zunächst des Prednisolon, dann über Dosisreduktion das MTX und einer ggf. Verlängerung der Injektionsintervalle der Tocilizu-mab-Therapie.

 

Zum Sachverständigengutachten macht die Klägerin unter Bezugnahme auf eine Stellungnahme ihres behandelnden Rheumatologen Dr. P vom 31. Mai 2024 geltend, ohne den aktuellen Nachweis der Entzündungsaktivität mittels PET-CT sei das Risiko für eine Reduktion der Therapie mit Tocilizumab zu hoch. Eine der wichtigsten Nebenwirkungen, die im Gutachten nicht erwähnt worden sei, sei die Fettstoffwechselstörung (Hypercholesterianämie und Hypertriglyzeridämie) und die daraus resultierende Arteriosklerose der Halsgefäße. Ein Behandlungsversuch mit dem mittlerweile vierten Medikament zur Senkung der Fettstoffwechselwerte habe auf Grund der gravierenden Nebenwirkungen abgebrochen werden müssen. Ihre Leberwerte hätten sich unter der Behandlung der RZA zwischenzeitlich weiter stark erhöht. Es solle noch das Risiko eines Schlaganfalls aus diesem Grunde geklärt werden. Auch solle eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme eines Nuklearmediziners eingeholt werdenEs gehe ihr hier um eine Einzelfallentscheidung, um den aktuellen Status der Krankheitsaktivität der RZA unter Einschluss der schweren Folgeerkrankungen zu ermitteln, ohne Präzedenzwirkung für spätere Entscheidungen. Die PET-CT leiste nach wissenschaftlicher Einschätzung auch aus Sicht ihres ärztlichen Behandlers Dr. P gute Ergebnisse bei der Ermittlung der Entzündungsaktivität. Die EULAR habe sich gerade seit 2023 auch zur Verlaufskontrolle im Hinblick auf mögliche Rezidive, insbesondere unter der Therapie mit Tocilizumab, positiv geäußert.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 17. November 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2020 zu verpflichten, die Kosten für eine Ganzkörper-PET-CT-Untersuchung zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie sieht sich durch die Feststellungen der Sachverständigen in ihrer Rechtsauffassung bestätigt.

 

Auf die erwähnten Gutachten, Befundberichte und ärztlichen Stellungnahmen wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag zur Verhandlung vor und war Gegenstand der Erörterung.

 

Entscheidungsgründe

 

Der ohne Zulassung statthaften Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage mit Recht abgewiesen. Der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid vom 13. November 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

 

Welche Leistungen Versicherte von ihrer Krankenkasse beanspruchen können, richtet sich nach einem Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringerrecht. Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst unter anderem ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V). Die ärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist (§ 28 Abs. 1 S. 1 SGB V). Welche Tätigkeiten des Arztes im Sinne von § 28 Abs. 1 S. 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisieren Richtlinien des GBA auf der Grundlage des § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB V (vgl. BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 14/19 R – Rdnr. 17 m. w. N.). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der GBA in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat unter anderem über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit – auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden – nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung (§ 135 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB V).

Eine Behandlungs- oder eine Untersuchungsmethode ist „neu“ im Sinne des § 92 Abs. 1 S. 2 i. V. m. § 135 SGB V, wenn sie bisher nicht als abrechnungsfähige Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) aufgeführt ist oder, wenn sie zwar im EBM-Ä aufgeführt ist, deren Indikation aber wesentliche Änderungen oder Erweiterungen erfahren hat. Sinn und Zweck der Methodenbewertung nach § 135 Abs. 1 SGB V bestehen vor allem darin, Wirksamkeit und Qualität der vertragsärztlichen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen vor ihrer Anwendung sicherzustellen und dadurch die Gesundheit der Patienten und die Beiträge der Versicherten zu schützen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2023 –
B 1 KR 16/22 R – Rdnr. 25 m. w. N.).

 

Die PET-CT zur Ermittlung des aktuellen Gefäßentzündungszustandes bei Vaskulitis bzw. RZA ist danach eine neue Untersuchungsmethode, obwohl die PET-CT ganz allgemein eine bereits seit vielen Jahren verwendete Diagnosemethode ist.

 

Soweit der EBM Ziffern zu einer PET des Körperstammes mit technischer Bildfusion einer diagnostischen Computertomografie enthält, sind die Gebührenordnungspositionen an das Vorliegen einer der einschlägigen Nummern der Anlage 1 „anerkannte Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden“ der MVV-RL gekoppelt (vgl. Nr. 34700), oder an die Durchführung im Rahmen einer Erprobungsrichtlinie des GBA (Nr. 61070). Diese Voraussetzung liegen hier sämtlich nicht vor. Als Untersuchungsmethode ist die PET-CT für die hier im Raum stehende Diagnostik nach Anlage 2 Nr. 39 MVV-RL nicht zugelassen.

 

Dahinstehen kann, dass die PET-CT seit dem Beschluss des GBA vom 15. Dezember 2016 im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) für die Fragestellung M31.5 Riesenzellarteriitis bei Polymyalgia rheumatica als durchführbare diagnostische Leistung anerkannt wurde, und zwar auch soweit sie bislang nicht Bestandteil des EBM ist. Denn dies gilt nur im Rahmen einer Erstdiagnose bei Personen mit Verdacht auf Großgefäßvaskulitiden bei unklarer Befundkonstellation („z.B. trotz komplexer Diagnostik inkl. konventioneller Bildgebung, Liquordiagnostik oder histologischer Befunde, Gefäßsonografie“) mit dem Ziel einer therapeutischen Konsequenz. Solches ist bei der Klägerin, wie sie selbst nicht geltend macht, ebenso wenig der Fall.

 

Die Voraussetzungen für eine Leistungserbringung auch ohne positive Empfehlung des GBA und Aufnahme der Methode in den EBM-Ä liegen nicht vor. Solches kommt  nur in Ausnahmefällen eines sogenannten Seltenheitsfalles oder aufgrund einer gebotenen grundrechtsorientierten Auslegung sowie bei einem Systemversagen in Betracht (BSG, Urt. vom 27. August 2019 – B 1 KR 14/19 R – Rdnr. 18 m. w. N.).

 

Bei der Klägerin liegt kein Seltenheitsfall vor. Ein solcher besteht, wenn das festgestellte Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar ist. Darunter fällt nicht der individuelle gesundheitliche Zustand im Zusammenspiel mit anderen Erkrankungen oder Unverträglichkeiten (vgl. BSG; Urteil vom 20. März 2024 – B 1 KR 36/22 R – Rdnr. 22 m. w. N.).

 

Die Behandlung der RZA entzieht sich nicht der medizinischen Forschung. Zur Häufigkeit dieser Vaskulitis hat der vom Senat beauftragte Gutachter ausgeführt, deren Häufigkeit werde für Deutschland altersabhängig ab dem 50. Lebensjahr mit 40 bis 50 pro 100.000 der Bevölkerung und die Inzidenz (Anzahl der Neuerkrankungen) mit 3,5 pro 100.000 der Bevölkerung angegeben. Für die bei der Klägerin bestehende Betroffenheit der Hirnarterien (intrakranielle Manifestation) wird die Häufigkeit mit 0,4 bis unter 1 % der RZA beschrieben. Der Gutachter schätzt, dass es in Deutschland derzeit ca. 330 Fälle wie der der Klägerin gebe. Aus der von ihm zu Grunde gelegten und im Gutachten angeführten Literatur ergibt sich, dass die RZA eine erforschbare Krankheit ist, die auch erforscht wird. Dass die bestehenden Erkenntnisse und Leitlinien-Empfehlungen zur Therapie einer RZA bei einer intrakraniellen Manifestation nicht herangezogen werden können, weil es sich um eine eigene Krankheit handelt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

 

Die Klägerin leidet ferner nicht an einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung im Sinne der oben dargestellten Grundsätze für einen Ausnahmefall. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sowie des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist eine Erkrankung lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich, wenn sie in überschaubarer Zeit das Leben beenden kann und dies eine notstandsähnliche Situation herbeiführt, in der Versicherte nach allen verfügbaren medizinischen Hilfen greifen müssen. Nach den konkreten Umständen des Falles muss bereits drohen, dass sich mit großer, also hoher Wahrscheinlichkeit der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums verwirklichen wird. Es genügt für eine durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage dagegen nicht, dass die Erkrankung unbehandelt zum Tode führt. Dies trifft auf nahezu jede schwere Erkrankung ohne therapeutische Einwirkung zu. Die Erkrankung muss trotz des Behandlungsangebots mit vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung regulär umfassten Mitteln lebensbedrohlich sein. Die notstandsähnliche Situation muss sich nach den konkreten Umständen des einzelnen Falles ergeben. Ein nur allgemeines mit einer Erkrankung verbundenes Risiko eines lebensgefährlichen Verlaufs genügt hierfür nicht (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2024 – 1 BvR 1552/23 – Rdnr. 8 ff.; BSG, Urteil vom 20. März 2024 – B 1 KR 36/22 R – Rdnr. 27 m. w. N.).

 

Nach diesen Kriterien sind hier die Voraussetzungen von § 2 Abs. 1a SGB V nicht gegeben. Wie der Sachverständige zur Überzeugen des Senats widerspruchsfrei ausgeführt hat, befindet sich die bei der Klägerin vorliegenden atypischen RZA seit Jahren in einer anhaltenden Remission. Zu betrachten sind nicht die Risiken einer nicht oder zu spät diagnostizierten RZA. Auch die Folgeerkrankungen der Therapie mit Kortison, Methotrexat und Tocilizumab stellen keine Krankheiten im vorgenannten Sinne dar. Diese sind indes nach den sachverständigen Aussagen erfolgreich behandelt bzw. medikamentös gut eingestellt. Die Hypercholesterinämie und Hypertriglyceridämie führt der Gutachter bei den Krankheiten der Klägerin auf, ohne zu einer abweichenden Einschätzung zu gelangen. Auch eine gegenüber der Allgemeinbevölkerung niedrigere Lebenserwartung hat der Gutachter verneint. Soweit die Klägerin einwendet, die Gabe von Tocilizumab könne noch andere gravierende Nebenwirkungen hervorrufen, verfängt dies aus vorstehenden Gründen nicht.

 

Selbst wenn der Senat zugrunde legte, dass die Klägerin als Folge der Therapie mit Tocilizumab an einer Arteriosklerose der Halsgefäße leidet und diese nicht adäquat therapierbar ist, erlaubt dies nicht den Schluss, dass die Therapieentscheidung, die Gabe von Tocilizumab einzuschränken oder einzustellen, unabdingbar von der Einholung einer PET-CT abhängig ist. Denn die Klägerin begehrt auch nach ausführlicher Erörterung im Verhandlungstermin vor dem Senat keine Behandlungsalternative, sondern die Durchführung der PET-CT-Diagnostik als Verlaufskontrolle mit dem Ziel zu klären, ob eine Reduzierung oder gar ein Absetzen der bereits angewendeten Medikamente erfolgen kann. Wie seitens des Gerichtssachverständigen auch unter Berufung auf die S2k-Leitlinie schlüssig ausgeführt worden ist, besteht die Alternative für das begehrte Ganzkörper-PET-CT im Abbau bzw. in der Beendigung der medikamentösen immunsupressiven Therapie unter engmaschiger klinischer und laborchemischer Kontrolle. Als bildgebende Verfahren seien für die Klägerin die bislang verwendete farbkodierte Duplexsonografie (FKDS) auch im Bedarfsfall für die Verlaufs- und Therapiekontrolle im Rahmen der Deeskalation einsetzbar, weil diese bereits in der Primärdiagnostik und bei der Erkennung des Krankheitsrezidivs brauchbare und mit dem klinischen Bild korrelierende Befunde gezeigt haben. Wie der Gutachter aus Sicht des Senats darüber hinaus überzeugend weiter ausgeführt hat, gebe es keine (Leitlinien-)Empfehlungen, das Absetzen einer remissionserhaltenden Therapie von Befunden der Bildgebung abhängig zu machen. Für alle bildgebenden Verfahren gelte vielmehr, dass die Zeichen der Gefäßentzündung nach einer erfolgreichen Kortisonbehandlung schwächer würden und falsch-negative Befunde zunähmen. Unter diesen Aspekt seien solcherart bildgebenden Verfahren in der Primär- bzw. Frühdiagnostik anzusiedeln. Hiermit im Einklang steht, dass auch im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) bei Großgefäßvaskulitis die PET-CT maßgeblich insofern nur für die Erstdiagnose eine zugelassene Diagnosemethode (siehe dazu sogleich) ist.

 

Die von der Klägerin angeregte Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens ist nicht angezeigt. Insbesondere steht nicht im Streit, dass die PET-CT diagnostische Vorteile auch und gerade bei Entzündungen der Hirnarterien mit sich brächte, welches indes weder weitere Ermittlungen von Amts wegen rechtfertigt, noch die begehrte Kostenübernahme.

 

Zuletzt ist hier auch nicht von einem sogenannten Systemversagen auszugehen. Eine Leistungspflicht der Krankenkasse wegen Systemversagens kann nach der Rechtsprechung des BSG ausnahmsweise ungeachtet des in § 135 Abs. 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer Methoden bestehen. Zu einem solchen Systemversagen kann es kommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung zurückzuführen ist. Dazu gehören auch Fälle, in denen die Entscheidung des GBA trotz Erfüllung der für die Überprüfung einer neuen Behandlungsmethode notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen unterblieben oder verzögert wurde. In derartigen Fällen widersprechen die einschlägigen Richtlinien einer den Anforderungen des Qualitätsgebots (§ 2 Abs. 1 S 3 SGB V) genügenden Krankenbehandlung. Es fordert, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen haben, welche sich wiederum in zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen niedergeschlagen haben, und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen (vgl. BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 14/19 R – Rdnr. 18 m. w. N.).

 

Eine solche Situation liegt für die Prüfung der Untersuchungsmethode der PET-CT zur Verlaufskontrolle einer RZA nicht vor.

 

Ein Systemversagen auf Grund des Umstandes, dass ein Verfahren vor dem GBA überhaupt nicht, nicht zeitgerecht oder nicht ordnungsgemäß betrieben worden ist, besteht nicht. Ausweislich der Tragenden Gründe zum Beschluss des GBA „über eine Einstellung der Methodenbewährung gemäß § 135 Abs. 1 Satz 1 und § 137 c des 5. Buches Sozialgesetzbuch zu Methoden der Positronenemissionstomografie (PET); PET/Computertomografie (CT)“ vom 20. November 2020 (nachfolgend nur noch: „Tragende Gründe“) hatte sich der GBA (bzw. dessen Vorgängerinstitution) aufgrund eines entsprechenden Antrages bereits 1998 mit der PET befasst und diese zunächst gänzlich von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen. Seit dem Jahr 2003 gab es ein neues Bewertungsverfahren vor dem GBA, und zwar auch zur PET-CT-Diagnostik. Zum weiteren Verfahrensablauf vor dem GBA insoweit wird auf Nr. 4 der Tragenden Gründe verwiesen. Abgeschlossen worden ist die Bewertung hiernach (erst) mit dem ins vorliegende Verfahren eingeführten Beschluss vom 20. November 2020. Im Rahmen der abschließenden Beratungen hierzu wurde auch auf den Änderungsvorschlag der DGRh auf Zulassung der PET-CT „bei Verdacht auf Großgefäßvaskulitiden bei unklarer Befundkonstellation (z.B. trotz komplexe Diagnostik inkl. konventioneller Bildgebung, Liquordiagnostik oder histologische Befunde, Gefäßsonografie) mit dem Ziel einer therapeutischen Konsequenz“ eingegangen. Der Antrag der DGRh bezog sich auf die ASV-Richtlinie des GBA, wonach seit dem Beschluss vom 15. Dezember 2016 die PET-CT-Untersuchung auch im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) für die Diagnose M31.5 Riesenzellarteriitis bei Polymyalgia rheumatica als durchführbare diagnostische Leistung anerkannt worden war, ausweislich der Tragenden Gründen zu diesem Beschluss (dort Seite 6) indes allein dahingehend, als sie, wie bereits oben ausgeführt, die konventionelle Diagnostik in seltenen Fällen ergänzen kann, nicht jedoch generell, insbesondere nicht, wie ebenfalls ausgeführt, bei der von der Klägerin begehrten Verlaufskontrolle. Der GBA ist dem Antrag der DGRh schlussendlich nicht gefolgt (vgl. Abschlussbericht zum genannten Beschluss Seite 76, von der Klägerin eingeführt).

 

Zureichende Anhaltspunkte dafür, dass der GBA gehalten sein könnte, seinen Beschluss im Hinblick auf einen Einsatz der PET-CT-Diagnostik zur Verlaufskontrolle einer RZA bereits erneut zu überdenken, liegen nicht vor. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, insbesondere nicht aus einer von ihr angeführten Dissertation aus dem Jahr 2021, wonach die PET-CT in den letzten Jahren in diversen wissenschaftlichen Schriften zunehmend zu einer empfohlenen Untersuchungsmethode bei Gefäßentzündungen herangereift sei. Ausreichend validierte und evidenzbasierte Daten ergeben sich hieraus ebenso wenig wie nach dem Dafürhalten des Sachverständigen Dr. S im Gutachten vom 15. April 2024, der die maßgebliche Dissertation im Übrigen ausweislich des beigefügten Literaturverzeichnisses seinerseits gewürdigt hat.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

 

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
Saved