L 8 BA 139/24 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 49 BA 93/24 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 8 BA 139/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.09.2024 wird zurückgewiesen.

 

Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 973.794,25 Euro festgesetzt.

 

 

 

Gründe

 

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Düsseldorf vom 30.09.2024 ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 10.01.2024 gegen den Bescheid vom 08.01.2024 zu Recht abgelehnt.

 

Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen. Widerspruch und Anfechtungsklage gegen eine – wie hier erfolgte – Entscheidung über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten haben gem. § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG keine aufschiebende Wirkung.

 

Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gem. § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits (st. Rspr., vgl. z.B. Senatsbeschl. v. 15.05.2023 – L 8 BA 32/23 B ER – juris Rn. 3 m.w.N.). Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (hierzu unter 1.) oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (hierzu unter 2.).

 

1. Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 15.05.2023 – L 8 BA 32/23 B ER – juris Rn. 4 m.w.N.).

 

Nach diesen Maßstäben ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs nicht anzuordnen, da dessen Erfolg nicht wahrscheinlich ist. Es spricht nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung derzeit nicht mehr dafür als dagegen, dass sich der von der Antragsgegnerin erlassene Bescheid vom 08.01.2024, mit dem sie von der Antragstellerin für den Zeitraum vom 01.12.2017 bis 31.10.2022 Sozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschlägen in Höhe von 3.895.177,00 Euro nachfordert, als rechtswidrig erweisen wird.

 

Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Bezug, denen er sich nach eigener Prüfung anschließt (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

 

Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.

 

a) Soweit sie die Auffassung vertritt, es liege „in der Natur der Sache“, dass die Reinigung der Toiletten in den von der Antragstellerin gepachteten Toilettenräumen erfolgt sei, hindert dies die Berücksichtigung der örtlichen Gebundenheit als Indiz einer abhängigen Beschäftigung der Reinigungskräfte nicht. Auch Umstände, die typisch sind oder „in der Natur der Sache“ liegen, sind bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung zu beachten (vgl. z.B. BSG Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 9/22 R – juris Rn. 25; Urt. v. 19.10.2021 – B 12 KR 29/19 R – juris Rn. 25; Senatsurt. v. 07.10.2024 – L 8 BA 23/20 – juris Rn. 87; Urt. v. 12.07.2023 – L 8 R 1089/16 – juris Rn. 76, 88).

 

Dass die Arbeitsmittel, wie dies die Antragstellerin vorträgt, „keineswegs immer“ von ihr, „sondern überwiegend“ von ihren Verpächtern gestellt worden seien, vermag nicht als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit zu dienen. Vielmehr belegt die Antragstellerin mit ihrer Angabe im Gegenteil selbst, dass die Reinigungskräfte nur mit fremden Betriebsmitteln gearbeitet, nicht aber eigenes Material mit einem hiermit verbundenen – für Selbstständigkeit sprechenden – Investitionsrisiko eingesetzt haben (vgl. z.B. BSG Urt. v. 18.11.2015 – B 12 KR 16/13 R – juris Rn. 36 m.w.N.; Urt. v. 11.03.2009 – B 12 KR 21/07 R – juris Rn. 20; Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 98). Allein die Gestellung von Materialien durch die Kaufhäuser vermag im Übrigen auch entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine Eingliederung in die Arbeitsorganisation dieser dritten Unternehmen zu bewirken. Vielmehr ist die Materialbeschaffung allein Ausfluss der konkreten Pachtkonditionen, die die Antragstellerin selbst vertraglich mit den Kaufhäusern ausgehandelt und in ihren Verträgen mit den Reinigungskräften berücksichtigt hat. Gesonderte Vereinbarungen der Reinigungskräfte mit den Kaufhausfilialen sind nicht aktenkundig und auch nicht vorgetragen. Ausweislich eines Vermerks des O. B. hat nach der zeugenschaftlichen Vernehmung aller Filialleiter der Firma E. keiner dieser Leiter gegenüber den Reinigungskräften das Direktionsrecht des Arbeitgebers ausgeübt. Nach dem aktenkundigen Sachstand war es entsprechend allein die Antragstellerin, die sich der Reinigungskräfte bediente, um die eigenen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den Kaufhäusern zu erfüllen. Die Reinigungskräfte waren eingliederungstypisch Teil ihres Personaltableaus (vgl. hierzu z.B. Senatsurt. v. 19.06.2024 – L 8 BA 179/18 – juris Rn. 54).

 

b) Soweit die Antragstellerin die Haftungsverteilung sowie den Umstand, dass die Verpächter sich bei Reklamationen an sie selbst gewendet hätten, entgegen den Darlegungen des SG als „neutral“ betrachten will, ist ihr Vortrag ohne maßgebliche Relevanz, da ein „neutraler“ Umstand jedenfalls (auch) kein Indiz für eine Selbstständigkeit darstellt. Im Übrigen spricht es (aber) gegen eine Eingliederung der Reinigungskräfte in den Betrieb der Kaufhäuser, wenn letztere Reklamationen bei der Antragstellerin (und nicht bei den Reinigungskräften) geltend machen.

 

c) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin halten die Erwägungen des SG, wonach die Reinigungskräfte deren Weisungsrecht bezüglich Ort, Zeit sowie Art und Weise der Tätigkeit unterlegen hätten, einer Überprüfung durchaus stand. Unerheblich ist dabei, dass Ort und zeitlicher Rahmen der Tätigkeit durch die verpachtenden Kaufhäuser vorgegeben waren. Wird eine vermeintlich selbstständige Tätigkeit im Rahmen weiterer Vertragsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber und Dritten erbracht, sind im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens auch diese Vertragsbeziehungen zu berücksichtigen (vgl. z.B. BSG Urt. v. 12.12.2023 – B 12 R 12/21 R – juris Rn. 14; Urt. v. 20.07.2023 – B 12 BA 1/23 R – juris Rn. 29; Senatsurt. v. 22.05.2024 – L 8 BA 219/19 – juris Rn. 75). Gibt der Auftraggeber (hier die Antragstellerin) eigene Pflichten zu Ort und Zeit der Tätigkeit an ihren Auftragnehmer (hier die Reinigungskräfte) weiter, liegt eine diesbezügliche Weisung vor, die im Rahmen der Statusbeurteilung des Auftragnehmers zu berücksichtigen ist.

 

Dass die (einzelnen) Reinigungskräfte – wie von der Antragstellerin weiter behauptet – hinsichtlich ihres Einsatzes in relevantem Umfang zeitlich flexibel waren, lässt sich der Akte nicht entnehmen und ist bei praxisnaher Betrachtung auch kaum vorstellbar. Freiheiten bei Ort und Zeit der Tätigkeit greifen in der modernen Arbeitswelt im Übrigen zunehmend Raum und sprechen daher (ohnehin) nicht zwingend für Selbstständigkeit (vgl. z.B. BSG Urt. v. 27.04.2021 – B 12 KR 27/19 R – juris Rn. 15; Senatsurt. v. 24.04.2024 – L 8 BA 109/19 – juris Rn. 72).

 

Der Senat teilt auch die weitere Auffassung des SG, dass die Reinigungskräfte – trotz anderslautenden Formulierungen in den mit ihnen geschlossenen Verträgen – Weisungen der Antragstellerin zu Art und Weise der Tätigkeit und nicht nur bloßen Vorgaben zur Sicherstellung eines „ordnungsgemäßen Reinigungsergebnisses“ unterlagen.

 

Dies ergibt sich bereits daraus, dass die vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Antragstellerin und den Kaufhäusern Konkretisierungen zur Bewirtschaftung der sanitären Anlagen (z.B. zur ausreichenden Belüftung, Bereitstellung von Papier und Handtüchern sowie der Leerung der Papierkörbe) und unterschiedliche weitere Vorgaben (z.B. zur Hausordnung, Sicherheit, sparsamen Verwendung der Betriebsmittel) enthalten, die (zwangsläufig) durch inhaltliche Weisungen an die Reinigungskräfte weiterzugeben waren. Eine entsprechende ausdrückliche Verpflichtung der Antragstellerin findet sich z.B. in § 2 Abs. 1 des Rahmen-Pachtvertrags mit der Firma Y. („Die Pächterin wird dies durch entsprechende Weisungen gegenüber dem Personal sicherstellen.“). Diese Vorgaben wurden noch durch verschiedene Verhaltensmaßregeln (z.B. der Verpflichtung zu höflichem und zuvorkommenden Verhalten und einem gepflegten und seriösen Outfit) ergänzt und in den Verträgen mit den Reinigungskräften durch die Möglichkeit, im Falle der Pflichtverletzung das Objekt zu entziehen und eine Vertragsstrafe zu verhängen, abgesichert.

 

d) Anders als die Antragstellerin meint, kann es für die Frage des unternehmerischen Risikos durchaus auf einen Kapitaleinsatz ankommen. Läge ein solcher – anders als dies hier der Fall war – vor, könnte dieser Umstand indiziell für die von der Antragstellerin im Hinblick auf die Reinigungskräfte proklamierte Selbstständigkeit sprechen. Wie die Antragstellerin selbst eingeräumt hat, waren für die Ausübung der Reinigungstätigkeiten durchaus Investitionen zumindest in Reinigungs- und Pflegemittel erforderlich. Die Kosten hierfür haben aber gerade nicht die Reinigungskräfte selbst aufgewendet.

 

In der Gesamtschau überwiegen eindeutig die Gesichtspunkte, die für eine versicherungspflichtige Beschäftigung sprechen.

 

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin ist im Eilverfahren auch nicht vor dem Hintergrund anzuordnen, dass von der Antragsgegnerin im Widerspruchsverfahren zu namentlich bekannten bzw. ohne unverhältnismäßig großen Aufwand zu ermittelnden Reinigungskräften ggf. personenbezogene Feststellungen zu treffen sind. Bei summarischer Prüfung ist nicht ersichtlich, dass sich die festgestellte streitige Nachforderung hierdurch relevant zugunsten der Antragstellerin ändern würde.

 

2. Etwaige Voraussetzungen einer unbilligen Härte sind von der Antragstellerin nicht substantiiert dargelegt worden.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

 

Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 4, 52 GKG und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur ein Viertel des Wertes der Hauptsache einschließlich etwaiger Säumniszuschläge als Streitwert anzusetzen ist (st. Rspr. des Senats, z.B. Beschl. v. 15.05.2023 – L 8 BA 32/23 B ER – juris Rn. 23 m.w.N.).

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).

 

 

Rechtskraft
Aus
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