Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 29. Januar 2024 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen der sozialen Pflegeversicherung mindestens nach Pflegegrad 2 ab 11. Februar 2022.
Am 15. August 2022 erhob der Kläger rechtsanwaltlich vertreten Klage beim Sozialgericht Ulm (SG) gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. April 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2022 mit dem Begehren, ihm Leistungen der sozialen Pflegeversicherung mindestens nach Pflegegrad 2 zu gewähren. Mit den angefochtenen Bescheiden habe die Beklagte seinen Höherstufungsantrag vom 11. Februar 2022 zu Unrecht abgelehnt. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung liege wegen chronifizierter Angststörung, schwerer Alkoholerkrankung, erheblichen Funktionsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet sowie einer deutlich ausgeprägten Gangstörung bei chronifiziertem Schmerzsyndrom und Polyneuropathie über den bereits zuerkannten Pflegegrad 1 hinaus ein höherer Hilfebedarf mindestens nach Pflegegrad 2 vor.
Nach Anhörung der behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens wies das SG nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2024 ab. Die zulässige Klage sei nicht begründet. Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 2 oder einem höheren Pflegegrad zu. Die Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheids belehrte über die Berufung als statthaftes Rechtsmittel. Diese sei innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim – genau bezeichneten – Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Weiter wurde ausgeführt: „Eine Einlegung per E-Mail ist nicht zulässig. Wie Sie bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de beschrieben.“ Die Berufungsfrist sei auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist beim SG schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt werde. Die Berufungsschrift müsse innerhalb der Monatsfrist bei einem der genannten Gerichte eingehen. Der Gerichtsbescheid wurde dem in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29. Januar 2024 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellt.
Mit einfacher, an die E-Mail-Adresse der Poststelle des LSG Baden-Württemberg gerichteter E-Mail vom 28. Februar 2024, 19:45 Uhr, hat der Kläger als Anlage Foto-jpeg-Dateien einer unterschriebenen Berufungsschrift vom 28. Februar 2024 sowie des Gerichtsbescheides vom 29. Januar 2024 übersandt. Mit der Ablehnung des Pflegegrads 2 durch das SG sei er nicht einverstanden. Seit seiner letzten Antragstellung habe sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtert, so dass er mittlerweile nicht mehr in der Lage sei zu laufen. Im November habe er aufgrund seiner finanziellen Situation nach Ungarn umziehen müssen.
Hierauf ist dem Kläger gerichtlicherseits per E-Mail vom 29. Februar 2024, 08:55 Uhr, mitgeteilt worden: „Der Übermittlungsweg per E-Mail dient ausschließlich dazu, informelle Mitteilungen außerhalb von anhängigen Verfahren zu übersenden. In Rechtssachen können daher auf diesem Wege insbesondere keine Schriftsätze, Mitteilungen oder sonstige Einsendungen zu Verfahren rechtswirksam übersandt werden. Seit 01.01.2018 können Dokumente zwar auch in elektronischer Form eingereicht werden, aber nicht wirksam per einfacher E-Mail. Wie Sie rechtswirksam bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de <http://www.ejustice-bw.de> beschrieben.“ Mit Schreiben vom 1. März 2024 hat der Berichterstatter auf die Unzulässigkeit der Berufung wegen Formmangels und die Möglichkeit der Einlegung einer formgerechten Berufung innerhalb der Berufungsfrist hingewiesen, die aber zumindest nach dem vorgelegten Gerichtsbescheid am 29. Februar 2024 geendet haben dürfte.
Am 26. März 2024 hat der Kläger telefonisch mitgeteilt, er habe keine andere Möglichkeit zur Berufungseinlegung gehabt als per E-Mail. Er habe von der SG-Entscheidung erst zwei Tage zuvor durch seinen damaligen Rechtsanwalt erfahren. Er besitze kein Fax-Gerät und die nächste Möglichkeit, etwas zu faxen, sei 60 km entfernt. Auf seine Frage, ob er trotz des Ablaufs der Berufungsfrist noch schriftlich Berufung einlegen könne, hat der Berichterstatter unter dem 27. März 2024 darauf hingewiesen, dass eine nun schriftlich oder per Fax eingelegte Berufung zwar formgerecht, aber nicht mehr fristgerecht sei. Auch dann sei die Berufung nicht zulässig. Unter Berücksichtigung seines Vorbringens, von der Entscheidung des SG erst zwei Tage zuvor durch seinen früheren Rechtsanwalt erfahren zu haben, seien keine Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – also die Unbeachtlichkeit der Fristversäumung – ersichtlich. Mit Schreiben vom 9. April 2024, Eingang bei Gericht am 15. April 2024, hat der Kläger erklärt, die Berufung nicht zurückzunehmen.
Zuletzt trug der Kläger mit Schreiben vom 25. Juni 2024, Eingang bei Gericht am 28. Juni 2024, vor, seine Erwerbsunfähigkeit sei sowohl in Deutschland als auch in Ungarn und den USA anerkannt. Auf einen im Jahr 2020 bei der Beklagten gestellten Antrag sei ein pflegerischer Gesamthilfebedarf von 25 gewichteten Punkten ermittelt worden, auf seinen Höherstufungsantrag hingegen nur 21,5 gewichtete Punkte. Diese Diskrepanz sei nicht nachvollziehbar.
Der Kläger beantragt schriftlich (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 29. Januar 2024 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 5. April 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2022 zu verurteilen, ihm ab dem 11. Februar 2022 Leistungen der sozialen Pflegeversicherung mindestens nach Pflegegrad 2 zu gewähren.
Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt und sich zur Sache nicht geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist nicht zulässig.
a) Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2024 ist statthaft gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143 SGG. Insbesondere bedurfte sie nicht der Zulassung. Denn der Kläger begehrt die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegegrad 2 für die Zeit ab dem Höherstufungsantrag vom 11. Februar 2022 und damit laufende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Eine zeitliche Begrenzung des streitbefangenen Zeitraums wurde durch den – in erster Instanz rechtskundig vertretenen – Kläger zu keinem Zeitpunkt erklärt. Auch das SG hat in dem vom Kläger erkennbar (§§ 153 Abs. 1, 123 SGG) vollumfänglich angefochtenen Gerichtsbescheid über den gesamten Zeitraum ab dem Höherstufungsantrag entschieden.
b) Die Berufung ist jedoch unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt wurde.
aa) Nach § 151 SGG ist die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen (Abs. 1). Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (Abs. 2). Die Berufung des Klägers ist nicht zu Protokoll des Urkundsbeamten eingelegt worden. Auch eine schriftliche Einlegung ist nicht erfolgt. Für die Schriftform kommt es jedenfalls auf eine auf Veranlassung des Rechtsschutzsuchenden am Empfangsort, dem Gericht, eingehende körperliche Urkunde an. Nicht maßgeblich ist eine vom Absender erstellte „Urschrift“ (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 5. April 2000 – GmS-OGB 1/98 – juris, Rn. 16). Eine solche Urkunde ist durch die E-Mail des Klägers vom 28. Februar 2024 beim LSG Baden-Württemberg nicht eingegangen. Eingegangen sind allein elektronische jpeg-Dateien von Fotos, die der Kläger von seinem Schreiben und dem Gerichtsbescheid gemacht hatte. Eine Rechtmitteleinlegung per E-Mail genügt den Anforderungen an die Schriftform daher nicht. Selbst bei – hier nicht erfolgtem – Ausdruck durch das Gericht wird die Schriftform nicht gewahrt, unabhängig davon, ob diese Datei eine Unterschrift enthält oder auf welche Weise diese Unterschrift generiert wurde (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12. Oktober 2016 – B 4 AS 1/16 R – juris, Rn. 16). Die zulässige Einreichung elektronischer Dokumente bestimmt sich allein nach den Regelungen des § 65a SGG. Es handelt sich dabei um eine eigenständige, zusätzliche und gleichberechtigte Kommunikationsform neben der herkömmlichen papiergebundenen Schriftform, die von dieser strikt zu trennen ist (BSG, a.a.O., Rn. 11; Binder, in: HK-SGG, 6. Aufl. 2021, § 151 Rn. 17 f. m.w.N.). Auch wenn das abfotografierte Originalschreiben eine handschriftliche Unterschrift des Klägers trägt, ist die Schriftform mithin nicht gewahrt. Denn nicht dieses Originalschreiben wurde an das Gericht übermittelt, sondern nur eine elektronische Datei eines Fotos hiervon. Ob die bei Gericht eingegangenen Schreiben des Klägers vom 9. April und 25. Juni 2024 nach ihrem Inhalt eine Berufungseinlegung enthalten, kann der Senat offenlassen. Eine solche Berufung wäre jedenfalls wegen Verfristung ebenfalls unzulässig (dazu unten).
bb) Die Anforderungen an die elektronische Form hat der Kläger ebenfalls nicht gewahrt.
Nach § 65a Abs. 1 SGG können u.a. schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen der Beteiligten nach Maßgabe der Absätze 2 bis 6 als elektronische Dokumente bei Gericht eingereicht werden. Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (Abs. 3 Satz 1).
Sichere Übermittlungswege sind nach Abs. 4 Satz 1:
der Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt,
der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten Postfach einer Behörde oder einer juristischen Person des öffentlichen Rechts und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichteten elektronischen Postfach einer natürlichen oder juristischen Person oder einer sonstigen Vereinigung und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
der Übermittlungsweg zwischen einem nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens genutzten Postfach- und Versanddienst eines Nutzerkontos im Sinne des § 2 Absatz 5 des Onlinezugangsgesetzes und der elektronischen Poststelle des Gerichts,
sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, bei denen die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.
Das Nähere zu den Übermittlungswegen gemäß Satz 1 Nummer 3 bis 5 regelt die Rechtsverordnung nach Absatz 2 Satz 2.
Die (einfache) E-Mail des Klägers vom 28. Februar 2024 war weder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen noch wurde sie auf einem der genannten sicheren Übermittlungswege des § 65a Abs. 4 Satz 1 SGG an das Gericht übermittelt. Dies ergibt sich aus dem vorliegenden Akteninhalt und wird auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt. Eine solche einfache
E-Mail genügt nicht (BSG, Beschluss vom 9. März 2023 – B 4 AS 104/22 BH – juris, Rn. 8 m.w.N.). Das Gericht kann vom Formerfordernis einer qualifizierten elektronischen Signatur sowie eines sicheren Übermittlungswegs auch nicht ausnahmsweise absehen, selbst wenn sich aus den E-Mails oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das elektronische Dokument in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergibt (BSG, Beschluss vom 4. Juli 2018 – B 8 SO 44/18 B – juris, Rn. 5).
c) Der Kläger hat die Berufungseinlegung auch nicht zulässig nachgeholt.
aa) Eine formgerechte ausdrückliche Einlegung der Berufung ist nicht erfolgt. Auch in den Schreiben vom 9. April und 25. Juni 2024 hat der Kläger nicht ausdrücklich die Einlegung der Berufung erklärt. Selbst wenn man diese dennoch als Berufung wertet, ist die Berufung jedenfalls wegen Versäumung der Berufungsfrist nicht zulässig.
bb) Die Berufungsfrist wurde weder durch das am 15. April 2024 bei Gericht eingegangene Schreiben des Klägers vom 9. April 2024 noch durch das Schreiben vom 25. Juni 2024 (Eingang bei Gericht am 28. Juni 2024) gewahrt.
(1) Nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG muss die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils – hier des Gerichtsbescheides – formgerecht beim LSG oder SG eingehen. Gemäß § 66 Abs. 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.
Im angefochtenen Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2024 hat das SG den Kläger zutreffend über die statthafte (siehe oben unter 1a) Berufung, die einzuhaltende Frist und möglichen Formen sowie die Gerichte belehrt, bei denen die Berufung eingelegt werden kann. Diese Rechtsmittelbelehrung war zutreffend. Da die Zustellung des Gerichtsbescheides zutreffend (§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. § 172 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]) an den damaligen, im Inland ansässigen Prozessbevollmächtigten des Klägers erfolgte, gilt nicht die längere Dreimonatsfrist bei Auslandszustellung (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 87 Abs. 1 Satz SGG). Das statthafte Rechtsmittel – Berufung – war zutreffend benannt. Ausdrücklich enthielt die Rechtsmittelbelehrung den Hinweis, dass eine Einlegung per E-Mail nicht zulässig ist, sowie wegen der Möglichkeit einer elektronischen Einreichung den Verweis auf die genau bezeichnete Internetseite, die die erforderlichen Hinweise enthält, was für eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung ausreicht (BSG, Beschluss vom 9. März 2023 – B 4 AS 104/22 BH – juris, Rn. 18). Maßgeblich war daher die Monatsfrist des § 151 Abs. 1 SGG.
Da der Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2024 dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29. Januar 2024 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis (Bl. 183 der SG-Akte) zugestellt (§ 63 Abs. 2 SGG i.V.m. §§ 172, 173 ZPO) wurde, begann die einmonatige Berufungsfrist somit am 30. Januar 2024 (§ 64 Abs. 1 SGG) und endete am 29. Februar 2024, einem Donnerstag (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die erst am 15. April 2024 bzw. 28. Juni 2024 bei Gericht eingegangenen Schreiben vom 9. April und 25. Juni 2024 haben diese Frist nicht mehr gewahrt.
(2) Dem Kläger war keine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Nach §§ 153 Abs. 1, 67 Abs. 1 SGG ist, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist nach Abs. 2 binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sollen glaubhaft gemacht werden. Unabhängig davon, dass der Kläger eine Wiedereinsetzung nicht beantragt hat, liegen auch die Voraussetzungen für eine solche nicht vor.
(a) Ein Fristversäumnis ist nicht verschuldet, wenn der Beteiligte diejenige Sorgfalt gewahrt hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist. Das Versäumnis der Frist muss bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgerecht Prozessführenden nicht vermeidbar gewesen sein. Für die Vorwerfbarkeit des Fristversäumnisses kommt es auf die persönlichen Verhältnisse, insbesondere den Bildungsgrad und die Rechtserfahrung, an. Ursächlich ist jedes Verschulden, bei dessen Fehlen die Frist nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge nicht versäumt worden wäre; den Beteiligten darf grundsätzlich kein auch nur mitursächliches Verschulden treffen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 67 Rn. 3 m.w.N.). Auch eine juristisch nicht geschulte Privatperson hat eine Sorgfaltspflicht (Keller, a.a.O., Rn. 3d).
(b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt eine unverschuldete Versäumung der Berufungsfrist nicht vor. Die Fristversäumung beruht maßgeblich darauf, dass der Kläger die Berufung nicht sofort in einer zulässigen Form eingelegt hat. Dass er hierbei die einem gewissenhaften Prozessführenden obliegende Sorgfalt verletzt hat, ergibt sich ohne Weiteres aus der Nichtbeachtung des ausdrücklichen Hinweises in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Gerichtsbescheides, dass eine Berufung nicht durch E-Mail eingelegt werden kann. Wenn der Kläger ausdrückliche Hinweise des Gerichts nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht beachtet, liegt ein unverschuldetes Handeln nicht mehr vor. Auch auf den Hinweis des Gerichts per E-Mail vom 29. Februar 2024 – und damit am letzten Tag der Berufungsfrist – hat der Kläger nicht reagiert. Er hat auch dann nicht versucht, die Berufung über die zulässigen Wege dem Gericht elektronisch zu übermitteln. Ein solcher ist den vorliegenden Akten nicht zu entnehmen und wird vom Kläger auch nicht vorgetragen. Ein Computer mit Internetzugang stand ihm erkennbar zur Verfügung. Andernfalls wäre eine Übermittlung der – formwidrigen - E-Mail mit elektronischen Anhängen nicht möglich gewesen. Das Gericht hat auch im Übrigen seine prozessuale Fürsorgepflicht nicht verletzt. Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken. Ein Prozessbeteiligter kann aber erwarten, dass offenkundige Versehen, wie z.B. die Einlegung eines Rechtsmittels bei einem unzuständigen Gericht, in angemessener Zeit bemerkt werden und dass die notwendigen Maßnahmen innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs getroffen werden, um eine drohende Fristversäumnis zu vermeiden (BSG, Beschluss vom 18. November 2020 – B 1 KR 1/20 B – juris, Rn. 21). Eine die Wiedereinsetzung gebietende Fürsorgepflichtverletzung des Gerichts ist anzunehmen, wenn Schriftsätze weit vor Ablauf der Rechtsmittelfrist übersandt werden und es dem Gericht ohne Weiteres möglich gewesen wäre, auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung unter dem Gesichtspunkt des Schriftformerfordernisses hinzuweisen (BSG, Beschluss vom 6. Juli 2016 – B 9 SB 1/16 R – juris, Rn. 8). Es entspricht grundsätzlich aber dem üblichen Geschäftsgang, wenn die richterliche Erstbearbeitung eines Dokuments wegen der regelmäßig erforderlichen verwaltungstechnischen Vorarbeiten (Zuordnung des Dokuments zu einer Akte oder Anlegen der Akte; Zuständigkeitsbestimmung; Zutrag) nicht sofort oder unmittelbar am ersten Tag erfolgt (BSG, Beschluss vom 18. November 2020 – B 1 KR 1/20 B – juris, Rn. 17). Vorliegend wurde die erst am Abend des 28. Februar 2024 übersandte E-Mail dem Senat am 29. Februar 2024 als Eingang übermittelt. Die auf die Formwidrigkeit hinweisende Verfügung des Berichterstatters vom selben Tag wurde am Folgetag abgesandt. Da eine Faxnummer des Klägers nicht bekannt und der Hinweis auf die fehlende Möglichkeit einer Berufungseinlegung mit der eingegangenen E-Mail bereits am 29. Februar 2024 durch eine E-Mail des Gerichts an den Kläger erfolgt war, stand kein schnellerer Weg zur Verfügung, den Kläger zu erreichen.
Soweit der Kläger darauf hingewiesen hat, ihm sei der angefochtene Gerichtsbescheid erst „zwei Tage zuvor“ von seinem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten übermittelt worden, rechtfertigt auch dies nicht die Annahme einer unverschuldeten Fristversäumung. Zum einen hat der Kläger bereits nicht vorgetragen, dass er selbst an der späten Übermittlung kein Verschulden trägt. Zum anderen wäre ein dann gegebenenfalls vorliegendes Verschulden seines Prozessbevollmächtigten dem Kläger zuzurechnen. Denn das Verschulden des Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gleich (§ 73 Abs. 6 S. 6 SGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Dass der Kläger krankheitsbedingt nicht zur fristgerechten Berufungseinlegung in der Lage gewesen wäre, hat er selbst nicht behauptet. Andere Anhaltspunkte hierfür sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Der Gerichtsbescheid vom 29. Januar 2024 ist somit rechtskräftig (§ 141 Abs. 1 SGG) geworden. Die gegen diesen gerichtete Berufung war als unzulässig zu verwerfen (§ 158 Satz 1 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 4 P 1887/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 674/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
Saved