L 3 SB 139/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 1 SB 677/18
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 139/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Nach den Ausführungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in seiner Stellungnahme vom 21.02.2024 handelt es sich bei „anhaltenden Reizerscheinungen“ im Sinne der VG, Teil B, Nr. 18.14 um mit einem ausgeprägten Knorpelschaden des Kniegelenks verbundene (Kapsel-) Schwellungen und Schmerzen (Hinweis auf die Tagung der Sektion „Versorgungsmedizin“ des Ärztlichen Sachverständigenbeirates beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung am 25./26.11.1998, Punkt 1.10.10) sowie sichtbare Veränderungen in Form von Überwärmungen oder Ergüssen, die zumindest längerfristig vorhanden sind und über Jahre ständig wiederkehren beziehungsweise immer wieder auftreten (Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.08.2011 – L 13 SB 161/10, juris Rn. 28).
2. Auch eine Baker-Zyste ist Ausdruck einer anhaltenden Reizerscheinung.

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.12.2022 insoweit abgeändert, als der Beklagte verpflichtet wird, den Grad der Behinderung ab dem 01.01.2012 mit 30, ab dem 15.02.2016 mit 40 und ab dem 26.01.2018 mit 50 festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen wird.

Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt vier Fünftel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.



Tatbestand


Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers streitig.

Der 1965 geborene Kläger beantragte am 10.08.2011 die Feststellung seines GdB. Er gab dabei an, seit einem am 08.05.2008 erlittenen Verkehrsunfall an einem chronischen Tinnitus, chronischen Schmerzen, einer Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule und einem partiell auftretenden Schwindel zu leiden. Der Beklagte zog über den Facharzt W1 einen ohrenärztlichen Befund bei, nahm vom Kläger vorgelegte Arztbriefe zur Akte, zog über den Facharzt P1 diverse Arztbriefe bei und ließ sich vom Kläger die bei seinem Arbeitgeber, Land Baden-Württemberg – P2 F1, angefallenen Unterlagen vorlegen. Z1 berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 05.01.2012 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 sowie Ohrgeräusche (Tinnitus) mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 10. Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 11.01.2012 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab. Auf den Hinweis des Klägers im Schreiben vom 26.07.2012, er habe eine neue Adresse und noch keinen Bescheid erhalten, teilte der Beklagte mit Schreiben vom 02.08.2012, abgesandt an die neue Adresse des Klägers am 03.08.2012, mit, der Ablehnungsbescheid sei ursprünglich an die alte Adresse des Klägers versandt worden. Auf die beigefügte Kopie werde hingewiesen.

Der Kläger beantragte zunächst am 18.10.2016 und sodann am 15.11.2017 erneut die Feststellung seines GdB. Er gab dabei zunächst Bewegungseinschränkungen und Arthrosen an beiden Kniegelenken und einen Tinnitus und im weiteren Verlauf auch im rechten Sprunggelenk an. Der Beklagte zog über P1 diverse Arztbriefe, über die Gemeinschaftspraxis der Fachärzte A1 und H1 ohrenärztliche Befunde, über die M1-klinik in F1 ärztliche Unterlagen, über den Q1 diverse Arztbriefe und über das Zentrum für Strahlentherapie W2 weitere Befunde bei. Die Ärztin K1 berücksichtigte in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 09.01.2018 eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10, Ohrgeräusche (Tinnitus) rechtseitig und Schwindel mit einem Einzel-GdB von 10 sowie Knorpelschäden an beiden Kniegelenken und eine Funktionsbehinderung des rechten Sprunggelenks mit einem Einzel-GdB von 10 und bewertete den Gesamt-GdB mit 10.

Bereits mit Schreiben vom 29.01.2017 hatte der Kläger um Beantwortung seines Schreibens vom 26.07.2012 gebeten, woraufhin der Beklagte mit Schreiben vom 31.01.2017 sein Schreiben vom 02.08.2012 samt Ablehnungsbescheid vom 11.01.2012 übersandte und der Kläger sodann am 23.02.2017 Widerspruch gegen diesen Bescheid einlegte. Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2018 den Widerspruch des Klägers als unzulässig zurück. Da der Ablehnungsbescheid am 03.08.2012 der Post zur Beförderung an den Kläger übergeben und deshalb mit dem 06.08.2012 als bekannt gegeben gelte, sei der am 01.03.2017 eingegangene Widerspruch verspätet.

Ferner lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 01.02.2018 die Anträge des Klägers vom 18.10.2016 und 15.11.2017 ab.

Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 11.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2018 am 05.02.2018 Klage beim Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben. Der Bescheid vom 11.01.2012 sei ihm erstmals mit Schreiben vom 31.01.2017 am 03.02.2017 zugestellt worden. Er habe einen Anspruch auf Feststellung der Schwerbehinderung. Der Kläger hat diverse ärztliche Unterlagen, insbesondere den Arztbrief des Arztes S1 vom 21.06.2018 mit darin festgestellter arterieller Hypertonie sowie die Operationsberichte des E1 über die am 02.03.2006 am rechten Kniegelenk durchgeführte Operation und des Q1 über die am 08.01.2013 am linken Kniegelenk durchgeführte Operation, vorgelegt. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Falls der Kläger davon ausgegangen sein sollte, dass das ursprüngliche Verfahren noch nicht abgeschlossen sei, hätte es sicherlich näher gelegen, an ihn eine erneute Sachstandsanfrage zu richten statt mehr als 4 Jahre nach der nochmaligen Übersendung des Ablehnungsbescheides einen weiteren Antrag zu stellen.

Das SG Freiburg hat zunächst die Arztauskünfte des S1 vom 21.06.2018, des P1 vom 09.07.2018, des A1 vom 20.07.2018 und des Q1 vom 30.07.2018 samt Ergänzung vom 12.09.2018 eingeholt und diverse ärztliche Unterlagen beigezogen.

Das SG Freiburg hat sodann von Amts wegen das Gutachten des Facharztes S2 vom 10.10.2018 samt ergänzender gutachtlicher Stellungnahmen vom 29.10.2018 und 23.11.2018 eingeholt. Der Sachverständige hat in der Halswirbelsäule eine Einschränkung der Seitneigung nach rechts und links und eine diskrete Einschränkung der Rotationsfähigkeit, in den Kniegelenken eine Streckhemmung und endgradige Beugeeinschränkung links, bei vermehrter körperliche Belastung Schmerzen hinter den Kniescheiben rechts und links sowie innenseitig im linken Kniegelenk und im Bereich der Füße eine belastungsabhängige Schmerzsymptomatik rechts und sporadisch auftretend links beschrieben und für die Halswirbelsäule den GdB mit 10, für das rechte Kniegelenk den GdB mit 10, für das linke Kniegelenk den GdB mit 20, für den rechten Fuß den GdB mit 0 sowie für den linken Fuß den GdB mit 0 und den Gesamt-GdB mit 20 beurteilt.

Daraufhin hat das SG Freiburg die Arztauskunft des E2, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum F1, vom 14.03.2019, in der dieser über ab dem 16.01.2018 begonnene ambulante Untersuchungen berichtet und ein depressives Syndrom schwergradiger Ausprägung beschrieben hat, eingeholt.

Sodann hat das SG Freiburg von Amts wegen das Gutachten der S3 vom 08.07.2019 samt ergänzender gutachterlicher Stellungnahme vom 31.10.2019 eingeholt. Die Sachverständige hat eine depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger depressiver Episode beschrieben, hierfür den GdB mit 30 und den Gesamt-GdB mit 40 beurteilt.

Ferner hat das SG Freiburg von Amts wegen das Gutachten des Arztes F2 vom 02.07.2020 eingeholt. Der Sachverständige hat eine mittelschwere arterielle Hypertonie beschrieben, den GdB hierfür mit 20 und den Gesamt-GdB (unter Zugrundelegung eines Einzel-GdB von 10 auf orthopädischem Fachgebiet) mit 30 beurteilt.

Des Weiteren hat das SG Freiburg auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten des H2 vom 05.10.2020 eingeholt. Der Sachverständige hat im Bereich der Halswirbelsäule ein Zervikalsyndrom mit Tinnitus rechts, im Bereich der Kniegelenke rechts einen Knorpelschaden medial und retropatellar bis Grad 3, eine Innenmeniskusläsion und einen Außenmeniskusschaden sowie links eine Panarthrose bis Grad 4 femoropatellar und eine Innenmeniskusläsion und im Bereich der Füße eine Arthrose des oberen Sprunggelenks rechts, einen Senkspreizfuß beidseits und eine Insertionsendopathie der Achillessehne rechts bei dorsalem Fersensporn beschrieben und für die Halswirbelsäule den GdB mit 20, für beide Kniegelenke den GdB mit 30 sowie für das rechte Sprunggelenk und die rechte Ferse den GdB mit 0 und den Gesamt-GdB (gemeint wohl nur auf orthopädischem Fachgebiet) mit 30 eingeschätzt.

Schließlich hat das SG Freiburg auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers das Gutachten des H3 vom 22.04.2022 eingeholt. Der Sachverständige hat einen dekompensierten chronischen Tinnitus Grad 4 mit zusätzlicher depressiver Verstimmung sowie eine chronifizierte mittelgradige depressive Episode beschrieben und für den Tinnitus mit depressiver Verstimmung den GdB mit 40 sowie für das depressive Syndrom den GdB mit 30 und den Gesamt-GdB mit 60 eingeschätzt.

B1 hat in ihrer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.09.2022 einen Tinnitus mit einem Einzel-GdB von 20, eine seelische Störung mit einem Einzel-GdB von 20, einen Bluthochdruck mit einem Einzel-GdB von 20, eine Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks mit einem Einzel-GdB von 10 sowie eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 10 berücksichtigt und den Gesamt-GdB mit 30 beurteilt.

Das SG Freiburg hat mit Gerichtsbescheid vom 07.12.2022 den Bescheid des Beklagten vom 11.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2018 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, beim Kläger den GdB mit 50 seit dem 01.01.2012 festzustellen. Entgegen der Annahme des Beklagten sei der Bescheid vom 11.01.2012 nicht bestandskräftig geworden. Dieser Bescheid sei dem Kläger erst am 03.02.2017 bekannt gegeben worden. Den Nachweis einer früheren Bekanntgabe dieses Bescheides habe der Beklagte nicht führen können. Der Widerspruch des Klägers sei daher fristgemäß. Nach Auswertung der im Klageverfahren eingeholten Sachverständigengutachten stehe fest, dass beim Kläger ab dem 01.01.2012 ein GdB von 50 nachgewiesen und damit festzustellen sei. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe eine depressive Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Dies ergebe sich aus den Befunderhebungen der S3. Für die psychische Störung im Zusammenhang mit dem Tinnitus werde ein Einzel-GdB von 40 angenommen. Auf orthopädischem Fachgebiet bestünden am linken und am rechten Kniegelenk ausgeprägte Knorpelschäden vom Grad 2 bis 3. Nach dem Gutachten des S2 liege am rechten Kniegelenk keine Bewegungseinschränkung vor. Auch die Befunderhebungen des H2 hätten insoweit keine neuen Erkenntnisse gebracht. Nach dem Gutachten des S2 liege am linken Kniegelenk eine Streckhemmung von 10 Grad bei zusätzlich endgradig eingeschränkter Beugung bis maximal 125 Grad vor. Hieraus resultiere eine eingeschränkte körperliche Belastbarkeit bei auftretender Knieschmerzsymptomatik beidseits. In der von S2 festgestellten Knieschmerzsymptomatik seien anhaltende Reizerscheinungen zu sehen. Da beim Kläger beide Kniegelenke betroffen seien, sei für das Funktionssystem „Beine“ ein Einzel-GdB von 30 angemessen. Ferner bestehe beim Kläger ein Schaden an der Halswirbelsäule mit geringen funktionellen Auswirkungen. Dies hätten die Befunderhebungen des S2 erbracht. Auch H2 habe keine objektiven Befunde erhoben, die über geringe funktionelle Auswirkungen hinausgingen. Für diesen Wirbelsäulenschaden sei ein Einzel-GdB von 10 anzunehmen. Die hiervon abweichende Einschätzung des H2 werde durch die objektiv erhobenen Befunde nicht gedeckt. Auf internistisch-kardiologischem Fachgebiet bestehe nach den Befunderhebungen des F2 eine mittelschwere arterielle Hypertonie. Hierfür sei ein Einzel-GdB von 20 anzunehmen. Unter Zugrundlegung dieser Einzel-GdB-Werte ergebe sich ab dem 01.01.2012 ein Gesamt-GdB von 50.

Hiergegen hat der Beklagte am 13.01.2022 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.

Der Beklagte hat zur Begründung die versorgungsärztliche Stellungnahme des H4 vom 03.01.2023 vorgelegt. Die GdB-Werte im Funktionssystem „Psyche“ mit 30 und für den Tinnitus mit 10 erschienen vertretbar. Die Bewertung der Knorpelschäden an beiden Kniegelenken mit einem GdB von 30 erscheine überhöht, da anhaltende Reizerscheinungen nicht dokumentiert seien. Für das linke Kniegelenk sei ein GdB von 10 vertretbar. Der GdB von 20 für den Bluthochdruck sei formal zutreffend. Ohne eine Einbuße der kardialen Leistungsfähigkeit sei ein solcher GdB aber in der Regel nicht Gesamt-GdB-erhöhend zu werten. Ein Gesamt-GdB von 40 sei noch vertretbar.


Der Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.12.2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

            die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Das SG Freiburg habe der Klage zurecht stattgegeben. Der Kläger hat diverse ärztliche Unterlagen, insbesondere die Entlassungsbriefe der Strandklinik P2 vom 05.02.2020 über eine dort vom 20.11.2019 bis zum 18.12.2019 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme und der Gesundheits-Klinik „Stadt H5“ P2 vom 19.10.2022 über eine dort vom 09.03.2022 bis zum 06.04.2022 durchgeführte stationäre Rehabilitationsmaßnahme, vorgelegt.

Das Gericht hat zunächst am 12.07.2023 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.

Sodann hat das Gericht die Arztauskünfte des Q1 vom 08.08.2023 und des P1 vom 10.08.2023 eingeholt sowie weitere ärztliche Unterlagen beigezogen.

Daraufhin hat der Beklagte mit Schreiben vom 02.11.2023 ein Vergleichsangebot dahingehend abgegeben, dass der GdB mit 20 ab dem 15.02.2016 und mit 50 ab dem 09.03.2022 festgestellt werde.
Der Beklagte hat zur Begründung die versorgungsärztliche Stellungnahme der B1 vom 27.10.2023 vorgelegt. Der Tinnitus und die seelische Störung seien jeweils mit einem GdB von 20 zu bewerten. Ein resultierender Einzel-GdB für beide Störungen zusammen liege bei 30, auch angesichts der Tatsache, dass für die seelische Störung weder eine Medikation eingenommen noch eine regelmäßige fachärztliche Therapie durchgeführt werde, der Tinnitus jedoch deutlich beeinträchtigend geschildert werde. Da Q1 über eine mittlerweile eingetretene Bewegungseinschränkung beidseits mit einem Streckdefizit von 10 Grad und einer Beugung bis 115 Grad berichtet habe, sei nunmehr zumindest in Zusammenschau mit den wiederholten (nicht anhaltenden) Reizerscheinungen für das Knieleiden ab dem Zeitpunkt der am 09.03.2022 durchgeführten Rehabilitation ein Einzel-GdB von 30 zu rechtfertigen. In der Zusammenschau ergebe sich ein Gesamt-GdB von 50 ab dem 09.03.2022. Die Einzel-GdB-Werte von 10 für das Funktionssystem „Rumpf“ und 20 für das Funktionssystem „Herz-Kreislauf“ wirkten sich nicht Gesamt-GdB-erhöhend aus. Der Kläger hat diesen Vergleichsvorschlag in seinem Schreiben vom 03.12.2023 nicht angenommen.

Sodann hat das Gericht die Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 21.02.2024 zu der Frage,
mit welchen Befunden Reizerscheinungen im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze dokumentiert werden, eingeholt und Niederschriften der Sektion „Versorgungsmedizin“ des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung beigezogen.

Dem sodann vom Gericht unterbreiteten Vergleichsvorschlag vom 13.03.2024 dahingehend, dass sich der Beklagte verpflichte, den GdB mit 20 ab dem 30.08.2011, mit 30 ab dem 15.02.2016, mit 40 ab dem 01.01.2018 und mit 50 ab dem 14.01.2022 festzustellen, hat der Beklagte mit Schreiben vom 03.04.2024 unter Beifügung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des H4 vom 28.03.2024 zugestimmt, allerdings der Kläger mit Schreiben vom 21.04.2024 widersprochen.

Daraufhin hat das Gericht auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers die ergänzende gutachtliche Stellungnahme des H2 vom 22.05.2024 und von Amts wegen die weitere ergänzende gutachtliche Stellungnahme des H2 vom 02.07.2024 eingeholt.
Der Sachverständige hat für das Funktionssystem „Arme“ den GdB mit 0, für das Funktionssystem „Beine“ den GdB mit 30 ab dem 08.01.2013 sowie für das Funktionssystem „Rumpf“ den GdB mit 10 ab dem 30.08.2011 und den Gesamt-GdB mit 20 ab dem 30.08.2011, mit 40 ab dem 08.01.2013 und mit 50 ab dem 01.01.2018 eingeschätzt und in Bezug auf das Funktionssystem „Beine“ zur Begründung ausgeführt, die fortgeschrittenen degenerativen Veränderungen seien durch die am 02.03.2006 rechts und am 08.01.2013 links erfolgten Operationen an den Kniegelenken objektiviert worden.

Dem sodann vom Gericht unter Zugrundelegung der Beurteilung des H2 unterbreiteten Vergleichsvorschlag vom 05.08.2024 dahingehend, dass sich der Beklagte verpflichte, den GdB mit 20 ab dem 30.08.2011, mit 40 ab dem 08.01.2013 und mit 50 ab dem 01.01.2018 festzustellen, hat der Beklagte mit Schreiben vom 21.08.2024 unter Beifügung der versorgungsärztlichen Stellungnahme des H4 vom 16.08.2024 widersprochen.

Schließlich hat das Gericht auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers die ergänzende gutachtliche Stellungnahme des H3 vom 28.10.2024 eingeholt. Der Sachverständige hat für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, also auch den Tinnitus, den GdB mit 50 ab dem 30.08.2011 und den Gesamt-GdB mit 50 ab dem 30.08.2011 und mit 60 ab Hinzutreten der weiteren Behinderungen eingeschätzt und zur Begründung in Bezug auf das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ausgeführt, der Tinnitus bestehe seit dem Jahr 2008 und die depressive Erkrankung bestehe seit dem Jahr 2014.

Die daraufhin vom Gericht unter Zugrundelegung der Ausführungen des H3 erfolgte Anfrage, ob der Beklagte seine Berufung zurücknehme, hat dieser mit Schreiben vom 19.11.2024 verneint und dabei ausgeführt, nach erneuter Rücksprache mit dem versorgungsärztlichen Dienst sei ein Einzel-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ nicht auf aktenkundige Befunde gestützt. Für die seelische Störung werde weder eine Medikation eingenommen noch eine regelmäßige fachärztliche Therapie durchgeführt. Eine schon mehrfach angeratene tinnitusspezifische Psychotherapie sei bislang nicht aufgenommen worden.


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist teilweise begründet.

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG ergangenen Gerichtsbescheides des SG Freiburg vom 07.12.2022, mit dem der Beklagte verpflichtet worden ist, seinen Bescheid vom 11.01.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2018 aufzuheben und den GdB mit 50 seit dem 01.01.2012 festzustellen. Da gegen diesen Gerichtsbescheid nur der Beklagte Berufung eingelegt hat, ist die Höhe des GdB nicht bereits ab der am 30.08.2011 erfolgten Antragstellung, sondern erst ab dem 01.01.2012 streitgegenständlich.

3. Die Berufung des Beklagten ist teilweise begründet.

3.1 Die auf die Feststellung des GdB mit 50 gerichtete Klage ist zulässig.

Die Klage ist nicht deswegen unzulässig, weil der Beklagte den Widerspruch als unzulässig verworfen hat. Denn auch in einem solchen Fall ist das nach § 78 SGG erforderliche Widerspruchsverfahren durchgeführt worden (BSG, Urteil vom 09.06.2017 – B 11 AL 6/16 R, juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 24.11.2011 – B 14 AS 151/10 R, juris Rn. 9; Sächsisches LSG, Urteil vom 03.11.2016 – L 3 AL 111/14, juris Rn. 26; Söhngen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, § 54 SGG [Stand: 15.06.2022] Rn. 67; anderer Ansicht Burkiczak in SGb 2016, S. 189-194).

Der Klage steht auch nicht eine etwaige Bestandskraft im Sinne des § 77 SGG des den Antrag auf Feststellung des GdB mit 50 ablehnenden Bescheides vom 11.01.2012 entgegen. Zu Unrecht hat der Beklagte den gegen den Bescheid vom 11.01.2012 erhobenen Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2018 als unzulässig verworfen. Zwar ergibt sich aus den aktenkundigen Absendevermerken, dass der Bescheid vom 11.01.2012 abgesandt worden ist und hat der Kläger hiergegen erst am 23.07.2017 Widerspruch eingelegt, obwohl der Widerspruch nach § 84 Abs. 1 SGG binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, einzureichen ist und nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gilt. Allerdings gilt dies nach § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist, wobei im Zweifel die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat. Vorliegend hat der Kläger den Zugang dieses Bescheides bestritten. Da der betroffenen Person in einem solchen Fall regelmäßig eine Substantiierung des Vortrags, ein Schriftstück sei ihr nicht zugegangen, überhaupt nicht möglich ist, wird sie im sozialgerichtlichen Verfahren nicht für erforderlich erachtet, so dass die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB X vorliegend nicht greift (vergleiche Pattar in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage, § 37 SGB X, Stand: 21.12.2020, Rn. 105; Littmann in Hauck/Noftz SGB X, § 37 Rn. 31; BSG, Urteil vom 26.07.2007 – B 13 R 4/06 R, juris Rn. 22). Mithin ist der vom Kläger eingelegte Widerspruch nicht verfristet und damit dieser Bescheid gerade nicht bestandskräftig geworden. Das SG Freiburg hat daher den, den Widerspruch als unzulässig verwerfenden Widerspruchsbescheid vom 19.01.2018 zu Recht aufgehoben.

3.2 Die auf die Feststellung des GdB mit 50 gerichtete Klage ist aber teilweise unbegründet. Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung des GdB mit 50 bereits seit dem 01.01.2012.


3.2.1 Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB ist § 2 Abs. 1 SGB IX in den bis zum 31.12.2017 und ab dem 01.01.2018 geltenden Fassungen in Verbindung mit § 69 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise in Verbindung mit § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung. Im Hinblick auf die den vorliegend zu beurteilenden Zeitraum betreffenden unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind diese – da Übergangsregelungen fehlen – nach dem Grundsatz anzuwenden, dass die Entstehung und der Fortbestand des sozialrechtlichen Anspruchs auf Leistungen nach dem Recht zu beurteilen ist, welches zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände jeweils gegolten hat (BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 9 SB 2/13 R, juris; BSG, Urteil vom 04.09.2013, B 10 EG 6/12 R, juris; vergleiche Stölting/Greiser in SGb 2015, 135-143).

Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. 

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen stellen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen in einem besonderen Verfahren das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt ergänzend, dass der GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung festgestellt wird. Als GdB werden dabei nach § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX in den bis zum 14.01.2015 und 29.12.2016 geltenden Fassungen, nach § 69 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 152 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, wobei eine Feststellung hierbei nur dann zu treffen ist, wenn ein GdB von wenigstens 20 vorliegt.

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) und 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122) sowie die Gesetze vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) und 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652) sowie die Verordnung vom 19.06.2023 (BGBl. I S. 158) geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG, Teil A, Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in den bis zum 14.01.2015, 29.12.2016 und 31.12.2017 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris). Nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. c ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d, von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. b bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.

Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris).

3.2.2 Unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze hat der Kläger lediglich einen Anspruch auf die Feststellung eines GdB von 30 ab dem 01.01.2012, von 40 ab dem 15.02.2016 und von 50 ab dem 26.01.2018.

a. Die Behinderungen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ bedingen einen Einzel-GdB von 30 mindestens ab dem 01.01.2012 und von 40 ab dem 26.01.2018.

Nach dem Gutachten der S3 vom 08.07.2019 und dem Gutachten des H3 vom 22.04.2022 die im Wege des Sachverständigenbeweises nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 ff. ZPO verwertet werden, liegen beim Kläger ein Tinnitus und eine depressive Störung vor.

Nach den VG, Teil B, Nr. 5.3 beträgt für Ohrgeräusche (Tinnitus) ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen der GdB 0 bis 10, mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen der GdB 20, mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägte depressive Störungen) der GdB 30 bis 40 und mit schweren psychischen Störungen und sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mindestens 50.

Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 beträgt bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen für leichtere psychovegetative oder psychische Störungen der GdB 0 bis 20, für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB 30 bis 40 und für schwere Störungen (zum Beispiel schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB 80 bis 100.

Ferner ist zu beachten, dass in dem Beiratsprotokoll des Sachverständigenbeirats „Versorgungsmedizin“ vom 18./19.03.1998 (vergleiche Wendler/Schillings in Schwerbehindertenrecht, VdK-Kommentar, 10. Auflage, zu VG Nr. 3.6, S. 166 und 167, Nr. 3.7, S. 173) die verschiedenen Grade der Anpassungsschwierigkeiten im Sinne der VG, Teil B, Nr. 3.7 wie folgt definiert werden: 1. Leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten: zum Beispiel Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich. Wesentliche Beeinträchtigung nur in besonderen Berufen, zum Beispiel Lehrer, Manager. Keine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften, das heißt zum Beispiel keine krankheitsbedingten wesentlichen Eheprobleme. 2. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten: In den meisten Berufen sich auswirkende psychische Veränderung, die zwar weitere Tätigkeit grundsätzlich noch erlaubt, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingt, die auch eine berufliche Gefährdung einschließt. Erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung, aber noch keine Isolierung und noch kein sozialer Rückzug in einem Umfang, der zum Beispiel eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. 3. Schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten: Weitere berufliche Tätigkeit sehr stark gefährdet oder ausgeschlossen. Schwerwiegende Probleme in der Familie oder im Freundes-beziehungsweise Bekanntenkreis, bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis.

Nach den unter Zugrundelegung der aktenkundigen Befundberichte und Arztauskünfte, der Gutachten der S3 und des H3 sowie den Angaben des Klägers erfolgten Feststellungen des Senats leidet der Kläger seit dem Verkehrsunfall vom 08.05.2008 an einem Tinnitus und später hinzukommend an einer depressiven Störung. Ferner ergibt sich aus den Gutachten und den Angaben des Klägers im Erörterungstermin, dass der verheiratete sowie kinderlose und als P2 im gehobenen Dienst berufstätige und dabei inzwischen vom Schichtdienst befreite Kläger tagsüber zunächst im Streifendienst gearbeitet und zusätzlich für die Veranstaltungssicherung und Sondereinsätze zuständig gewesen ist und nun im Wesentlichen im Innendienst bei der Aufnahme von Unfallfluchten und elektronisch eingereichten Anzeigen tätig ist, mit seiner Ehegattin, die im Jahr 2012 an Hautkrebs mit Metastasen erkrankt ist, eine Mietwohnung bewohnt, mit seiner Ehegattin Reisen unternimmt und soziale Kontakte über Freunde aus der Rehabilitationsbehandlung und Kollegen hat, wobei er nun keine Hobbies mehr hat und keinen Sport mehr ausübt. In dem im Gutachten der S3 enthaltenen psychischen Befund ist der Kläger als sorgenvoll, grübelnd, hoffnungslos, pessimistisch, besonders belastet durch Tinnitus und Schmerzen mit resultierenden Insuffizienzgefühlen, latent erhöht reizbar und frustriert, im Antrieb leicht gemindert und gehemmt sowie erhöht erschöpfbar beschrieben worden. Ferner hat der Kläger ihr gegenüber angegeben, wegen des Tinnitus unter Schlaf- und Konzentrationsstörungen zu leiden. Testpsychologisch hat das Beck-Depressions-Inventar eine mittelgradige depressive Symptomatik ergeben. Die Sachverständige hat eine depressive Störung mit gegenwärtig mittelgradiger depressiver Episode angenommen und den GdB hierfür mit 30 eingeschätzt. In dem im Gutachten des H3 enthaltenen psychischen Befund ist der Kläger als depressiv herabgestimmt, passiv und adynam, resigniert hinsichtlich des Tinnitus und des aus seiner Sicht fehlenden Verständnisses der Umgebung, affektiv wenig schwingungsfähig, mit Hinweisen auf Interessenverlust und Freudlosigkeit, im Selbstwertgefühl etwas fragil wirkend, mit eher negativen Zukunftsperspektiven hinsichtlich des eigenen Krankheitsbildes, besorgt bezüglich der Krebserkrankung seiner Ehegattin, mit wechselnden Durchschlafstörungen und im Antrieb gemindert beschrieben worden. Der Kläger hat den Tinnitus als in allen Alltagsbereichen, privat und vor allem auch beruflich, belastend beschrieben und angegeben, es komme zu vorzeitiger Tagesmüdigkeit, nachts könne er nicht abschalten, es bestünden dann Durchschlafstörungen mit anhaltender Erschöpfung. Testpsychologisch hat sich im F3 Persönlichkeitsinventar ergeben, dass sich der Kläger als bedrückt, depressiv, mit negativer Lebenseinstellung, gleichzeitig gehemmt, introvertiert, aber auch erregbar, empfindlich und angespannt beschrieben hat, im Brief-Symptom-Inventory hat sich ergeben, dass ein hoher Wert für Depressivität und ein authentisches Verhalten in der Selbstbeurteilung vorgelegen haben, und im Strukturierten Fragebogen simulierter Symptome hat sich keinerlei Hinweis auf ein nicht-authentisches Verhalten ergeben. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten den Tinnitus als dekompensiert chronisch mit Grad 4 mit zusätzlicher depressiver Verstimmung von Krankheitswert und erheblicher Einschränkung der persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten beurteilt und den GdB hierfür mit 40 eingeschätzt, die depressive Störung als mindestens mittelgradig angenommen und den GdB hierfür mit 30 eingeschätzt und ausgeführt, beides überschneide sich deutlich.
Hinsichtlich der Frage, ab wann die jeweiligen GdB-Werte zu berücksichtigen seien, hat der Sachverständige in Bezug auf den Tinnitus unter Hinweis auf den erlittenen Verkehrsunfall ausgeführt, dieser bestehe seit dem Jahr 2008, und in Bezug auf die depressive Störung noch in seinem Gutachten unter Hinweis auf die Vorstellungen bei E2 ausgeführt, diese bestehe ab dem Jahr 2019, und sodann – ausdrücklich hierzu befragt – in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme unter Hinweis auf die Erkrankung der Ehegattin des Klägers an einem Melanom mit Metastasen mit erfolgter Chemotherapie ausgeführt, die depressive Störung bestehe ab dem Jahr 2014. Er hat ferner in seiner ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme den Einzel-GdB für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, also auch den Tinnitus, mit 50 seit dem 30.08.2011 eingeschätzt.

In Auswertung all dessen ist der Senat der Überzeugung, dass es sich bei dem Tinnitus des Klägers noch um nach den VG, Teil B, Nr. 5.3 mit einem GdB von 30 bis 40 zu beurteilende Ohrgeräusche mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (zum Beispiel ausgeprägte depressive Störungen), aber noch nicht um danach mit einem GdB von mindestens 50 zu beurteilende Ohrgeräusche mit schweren psychischen Störungen und sozialen Anpassungsschwierigkeiten und bei der depressiven Störung des Klägers noch um eine nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 mit einem GdB von 30 bis 40 zu beurteilende stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit und noch nicht um eine danach mit einem GdB von 50 bis 70 zu beurteilende schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten handelt.

Gegen die Annahme mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten und damit einer schweren Störung im Sinne der VG, Teil B, Nr. 5.3 und 3.7 spricht schon, dass erhebliche oder gar schwerwiegende familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung nicht ersichtlich sind. Auch Probleme im Freundes- beziehungsweise Bekanntenkreis sind nicht aktenkundig. Ferner spricht gegen die Annahme einer schweren Störung, dass der Kläger sowohl wegen des Tinnitus als auch wegen der depressiven Erkrankung nur niederfrequente Behandlungen in Anspruch genommen hat. Hinsichtlich dieser Erkrankungen sind lediglich folgende Behandlungen aktenkundig: Nach den Arztbriefen der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde des Universitätsklinikums F1 vom 15.05.2008 und vom 20.06.2008 eine Infusionstherapie und hyperbare Sauerstofftherapie, nach dem Arztbrief des Druckkammerzentrums F1 vom „31“.06.2008 eine Sauerstofftherapie, nach dem Arztbrief des A1 vom 05.09.2016 eine Infusionstherapie mit Cortison, nach der Arztauskunft des E2 vom 14.03.2019 samt Arztbrief vom 05.02.2019 vier ambulante Vorstellungen zur diagnostischen Abklärung, nach dem Entlassungsbrief der Strandklinik P2 vom 05.02.2020 eine stationäre psychosomatische Rehabilitationsmaßnahme sowie nach dem Entlassungsbrief der Gesundheits-Klinik „Stadt H5“ P2 vom 19.12.2022 eine weitere stationäre Rehabilitationsmaßnahme. In Bezug auf die depressive Erkrankung ist weder eine regelmäßige fachpsychiatrische und psychotherapeutische Betreuung noch eine medikamentöse Behandlung aktenkundig. Mithin ist die in den Gutachten vorgenommene Einschätzung der beiden Sachverständigen, für den Tinnitus und die depressive Störung jeweils den GdB mit unter 50 einzuschätzen, zutreffend. Angesichts der niedrigfrequenten bis gar nicht durchgeführten fachgerechten ärztlichen und psychologischen Behandlungen bestehen auch keine Anhaltspunkte, den von den VG, Teil B, Nr. 5.3 und 3.7 vorgegebene GdB-Rahmen von 30 bis 40 nach oben auszuschöpfen.

In Bezug auf die zeitliche Dimension hat sich der Senat davon überzeugt, dass der Einzel-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ seit dem am 08.05.2008 erlittenen und dadurch aufgetretenen Tinnitus mit 30 und seit der erstmals im Rahmen der am 26.01.2018 aufgenommenen fachärztlichen Behandlung durch E2 dokumentierten depressiven Erkrankung mit 40 zu beurteilen ist. Obwohl die in den VG vorgeschlagenen GdB-Werte für den Tinnitus unter der Überschrift „Hör- und Gleichgewichtsorgan“ und für die depressive Störung unter der Überschrift „Nervensystem und Psyche“ verortet sind, subsumiert der Senat beide Behinderungen nicht getrennt in den Funktionssystemen „Ohren“ einerseits und „Gehirn einschließlich Psyche“ andererseits, sondern gemeinsam in dem Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, da eine neben dem Tinnitus bestehende weitere eigenständige Behinderung der Ohren nicht vorliegt und es sich bei der depressiven Störung um eine neben dem Tinnitus samt psychischen Begleiterscheinungen bestehende eigenständige psychische Erkrankung handelt (vergleiche Wendler/Schillings in Schwerbehindertenrecht, VdK-Kommentar, 10. Auflage, zu VG Nr. 5, S. 210). Wegen der erheblichen Überschneidung der Auswirkungen beider Behinderungen hält der Senat eine Erhöhung des mindestens seit dem 01.01.2012 für den Tinnitus zu berücksichtigenden Einzel-GdB von 30 ab der erstmals am 26.01.2018 dokumentierten depressiven Erkrankung auf 40 für sachgerecht.

b. Die Behinderungen im Funktionssystem „Beine“ bedingen einen Einzel-GdB von 20 mindestens ab dem 01.01.2012 und von 30 ab dem 14.01.2022.

Der Senat legt bei seiner Beurteilung die in dem Gutachten des S2
vom 10.10.2018 und in dem Gutachten des H2 vom 05.10.2020, die im Wege des Sachverständigenbeweises nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 ff. ZPO verwertet werden, beschriebenen Gesundheitsstörungen zu Grunde. Während S2 in den Kniegelenken eine Streckhemmung und endgradige Beugeeinschränkung links, bei vermehrter körperliche Belastung Schmerzen hinter den Kniescheiben rechts und links sowie innenseitig im linken Kniegelenk beschrieben hat, hat H2 nach Auswertung der inzwischen angefallenen radiologischen Befunde im Bereich der Kniegelenke rechts einen Knorpelschaden medial und retropatellar bis Grad 3, eine Innenmeniskusläsion und einen Außenmeniskusschaden sowie links eine Panarthrose bis Grad 4 femoropatellar und eine Innenmeniskusläsion sowie eine Bewegungseinschränkung und Schmerzhaftigkeit links mehr als rechts beschrieben.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.14 beträgt bei einer einseitigen Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung bis 0/0/90 Grad) der GdB 0 bis 10, mittleren Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung 0/10/90 Grad) der GdB 20 und stärkeren Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung 0/30/90 Grad) der GdB 30 sowie beträgt bei einseitigen ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke (zum Beispiel Chondromalacia patellae Stadium 2 bis 4) mit anhaltenden Reizerscheinungen ohne Bewegungseinschränkung der GdB 10 bis 30 und mit Bewegungseinschränkung der GdB 20 bis 40.

Nach den Ausführungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 21.02.2024 handelt es sich bei „anhaltenden Reizerscheinungen“ im Sinne der VG, Teil B, Nr. 18.14 um mit einem ausgeprägten Knorpelschaden des Kniegelenks verbundene (Kapsel-)Schwellungen, Schmerzen, sichtbare Veränderungen in Form von Überwärmungen oder Ergüssen, die zumindest längerfristig vorhanden sind und über Jahre ständig wiederkehren beziehungsweise immer wieder auftreten. Ferner ist der Senat der Überzeugung, dass auch eine Baker-Zyste Ausdruck einer anhaltenden Reizerscheinung ist, da sich bei einer Baker-Zyste Flüssigkeit aus der Gelenkhöhle des Kniegelenks in der Kniekehle sammelt und eine solche Zyste meist als Folge einer Schädigung im Kniegelenk, etwa durch eine Arthrose oder eine Verletzung, entsteht.

Aus den gutachtlich erhobenen Befunden ergeben sich nach dem Gutachten des S2 für das rechte Kniegelenk ein Bewegungsmaß von 0/0/140 Grad, ein Knorpelschaden Grad 2 bis 3, keine Übererwärmung, keine Rötung, keine Ergussbildung sowie eine erhaltene Stabilität und für das linke Kniegelenk ein Bewegungsmaß von 0/10/125 Grad, ein Knorpelschaden Grad 4, keine Übererwärmung, keine Rötung, keine Ergussbildung sowie eine erhaltene Stabilität beziehungsweise nach dem Gutachten des H2 vom 04.08.2020 für das rechte Kniegelenk ein Bewegungsmaß von 0/0/130 Grad, ein Knorpelschaden Grad 3, keine Ergussbildung, keine lokalen Entzündungszeichen sowie ein stabiler Kapselbandapparat und für das linke Kniegelenk ein Bewegungsmaß von 0/5/125 Grad, eine Panarthrose Grad 4, keine Ergussbildung, keine lokalen Entzündungszeichen sowie ein stabiler Kapselbandapparat.

Da die VG, Teil B, Nr. 18.14 – wie oben dargelegt – in Bezug auf das Bewegungsmaß für einen GdB von mindestens 10 eine Bewegungseinschränkung geringen Grades (zum Beispiel Streckung/Beugung bis 0/0/90 Grad) voraussetzen, sich aber – wie in den Gutachten dokumentiert – eine solche Bewegungseinschränkung nicht ableiten lässt, ist allein für die Bewegungseinschränkung kein GdB zu vergeben.

Da die VG, Teil B, Nr. 18.14 bei ausgeprägten Knorpelschäden der Kniegelenke (zum Beispiel Chondromalacia patellae Stadium 2 bis 4), die beim Kläger ausweislich der in den Gutachten unter anderem unter Hinweis auf die durch die am
02.03.2006 rechts und am 08.01.2013 links durchgeführten Operationen an den Kniegelenken dokumentierten Knorpelschäden rechts Grad 2 bis 3 und links Grad 4, vorliegen, für einen GdB von 10 bis 30 ohne Bewegungseinschränkung beziehungsweise für einen GdB von 20 bis 40 mit Bewegungseinschränkung zusätzlich anhaltende Reizerscheinungen voraussetzen, solche aber erstmals am 03.08.2004 links und am 14.01.2022 rechts dokumentiert sind, ist allein für die Auswirkungen der Knorpelschäden ein GdB von 20 mindestens ab dem 01.01.2012 und von 30 ab dem 14.01.2022 zu vergeben.

In Bezug auf Reizerscheinungen sind folgende ärztliche Beschreibungen aktenkundig: Arztbrief des H6 vom 03.08.2004 (Linkes Kniegelenk: Baker-Zyste), Arztbrief des Universitätsklinikums F1 vom 23.02.2012 (Rechtes Kniegelenk: keine Schwellung, keine Rötung, keine Überwärmung, kein Erguss), Arztbriefe des Q1 vom 26.07.2012 (Kniegelenk beidseits: reizlos, kein Erguss) und vom 28.09.2012 (Linkes Kniegelenk: kein Erguss), Arztbrief des D1 vom 02.10.2012 (Linkes Kniegelenk: geringer Gelenkerguss, Flüssigkeit), infolge der am 08.01.2013 durchgeführten Operation: Arztbriefe des Q1 vom 09.01.2013 (Linkes Kniegelenk: intraarticulärer Erguss), vom 29.01.2013 (Linkes Kniegelenk: geschwollen), vom 12.02.2013 (Linkes Kniegelenk: intraarticulärer Erguss), vom 26.02.2013 (Linkes Kniegelenk: intraarticulärer Erguss, punktiert), vom 10.04.2013 (Kniegelenk: noch diskret geschwollen, diskreter intraarticulärer Erguss), vom 16.05.2013 (Kniegelenk: reizlos), vom 24.06.2013 (Kniegelenk: reizlos, kein Erguss), vom 28.01.2014 (Linkes Kniegelenk: noch diskrete Schwellung), vom 02.12.2014 (Kniegelenk: reizlos), vom 28.09.2015 (Linkes Kniegelenk: reizlos), vom 27.01.2016 (Linkes Kniegelenk: reizlos), vom 09.05.2016 (Linkes Kniegelenk: intraarticulärer Erguss, punktiert), vom 16.11.2016 (Linkes Kniegelenk: diskreter intraarticulärer Erguss) und vom 04.07.2017 (Linkes Kniegelenk: äußerlich unauffällig), laut Arztbrief des Universitätsklinikums F1 vom 04.03.2019 im Magnetresonanztomogramm vom 05.02.2018 (Linkes Kniegelenk: Baker-Zyste), Arztbrief des Q1 vom 26.03.2018 (Kniegelenk: reizlos, kein Erguss), Arztbrief des K2 vom 02.05.2018 (Kniegelenk: reizlos, kein Erguss), Gutachten des S2 vom 27.09.2018 (Kniegelenk beidseits: weder überwärmt noch errötet, keine Ergussbildung), Arztbrief des L1-Krankenhauses F1 vom 04.12.2018 (im Röntgenbefund keine Reizerscheinung beschrieben), Arztbrief des K3 vom 05.12.2018 (Linkes Kniegelenk: kein relevanter Gelenkerguss, kleine, nicht gefüllte Baker-Zyste, vermehrte Flüssigkeitsansammlung in der Bursa präpatellans), Arztbrief des Q1 vom 13.12.2018 (Linkes Kniegelenk: Baker-Zyste), Arztbrief des L1-Krankenhauses F1 vom 05.02.2019 (Linkes Kniegelenk: Ödem), Arztbrief des Universitätsklinikums F1 vom 04.03.2019 (Linkes Kniegelenk: keine Rötung, keine Schwellung, kein Erguss), Gutachten des H2 vom 05.10.2020 (Kniegelenk beidseits: keine Ergussbildung oder lokale Entzündungszeichen), Arztbrief des H6 vom 14.01.2022 (Rechtes Kniegelenk: ergiebiger Erguss, große Baker-Zyste) sowie Arztbrief des S4 vom 31.07.2023 (Rechtes Kniegelenk: Baker-Zyste).


Lässt man die operationsbedingten Reizerscheinungen im Jahr 2013 unberücksichtigt, bleiben im streitrelevanten Zeitraum seit dem 01.01.2012 nur noch dokumentierte Reizerscheinungen im linken Kniegelenk im Oktober 2012 (danach zweimal im Jahr 2013 keine Reizerscheinungen), im Januar 2014 (danach jeweils einmal in den Jahren 2014, 2015 und 2016 keine Reizerscheinungen), im Mai 2016 und im November 2016 (danach einmal im Jahr 2017 und viermal im Jahr 2018 keine Reizerscheinungen), im Februar 2018 und im Dezember 2018 sowie im Februar 2019 (danach jeweils einmal in den Jahren 2019 und 2020 keine Reizerscheinungen) und im rechten Kniegelenk im Januar 2022 und im Juli 2023. Zwar hat Q1 in seiner sachverständigen Zeugenauskunft ausgeführt, es handele sich seit Jahren um anhaltende Reizerscheinungen mit Schwellung und Erguss, einen Zustand nach Röntgentiefenbestrahlung und nach durchgeführten Kniegelenkspunktionen. Ferner ist anzunehmen, dass der Kläger nicht bei jeder aufgetretenen Reizerscheinung einen Arzt aufgesucht hat. Andererseits trifft letztlich im Bestreitensfall den Kläger die Beweislast für die für ihn günstigen Tatsachen. Nach alledem sind für das linke Kniegelenk eine Bewegungseinschränkung und aufgrund der am 03.08.2004 festgestellten Baker-Zyste und den nachfolgenden aktenkundigen Befunden im streitgegenständlichen Zeitraum anhaltende Reizerscheinungen mindestens seit dem 01.01.2012 dokumentiert und ist damit ein GdB-Bewertungsrahmen von 20 bis 40 eröffnet und für das rechte Kniegelenk keine Bewegungseinschränkung und aufgrund der am 14.01.2022 dokumentierten Baker-Zyste und dem nachfolgenden aktenkundigen Befund anhaltende Reizerscheinungen ab dem 14.01.2022 dokumentiert und damit ein GdB-Bewertungsrahmen von 10 bis 30 eröffnet. Insbesondere unter Berücksichtigung der geringen Bewegungseinschränkung im linken Kniegelenk hält es der Senat für gerechtfertigt, den GdB des Klägers hierfür am unteren Rand des eröffneten GdB-Bewertungsrahmens von 20 bis 40 anzusiedeln, so dass entsprechend der zutreffenden Beurteilung des Sachverständigen S2 für das Funktionssystem „Beine“ ein Einzel-GdB von 20 seit dem 01.01.2012 zu berücksichtigen ist. Die von H2 vorgenommene höhere Bewertung ist demgegenüber nicht sachgerecht. Für das rechte Kniegelenk hält es der Senat für angemessen, den GdB des Klägers hierfür zwar auf den unteren Rand des eröffneten GdB-Bewertungsrahmens von 10 bis 30 zu setzen, allerdings für sachgerecht, für das Funktionssystem „Beine“ ab dem 14.01.2022 den Einzel-GdB auf 30 heraufzustufen.

Die weiteren in den Gutachten beschriebenen Gesundheitsstörungen im Bereich der Füße nach S2 in Form einer belastungsabhängigen Schmerzsymptomatik rechts und sporadisch auftretend links beziehungsweise nach H2 in Form einer Arthrose des oberen Sprunggelenks rechts, eines Senkspreizfußes beidseits und einer Insertionsendopathie der Achillessehne rechts bei dorsalem Fersensporn rechtfertigen keine Heraufsetzung des Einzel-GdB von 30 im Funktionssystem „Beine“. Insoweit haben beide Sachverständigen zutreffend keinen GdB vergeben. Dem schließt sich der Senat an.


c. Für die Behinderungen im Funktionssystem „Herz-Kreislauf“ beträgt der Einzel-GdB 20 ab dem 15.02.2016.

Nach dem Gutachten des F2 vom 02.07.2020,
das im Wege des Sachverständigenbeweises nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 402 ff. ZPO verwertet wird, liegt beim Kläger eine arterielle Hypertonie vor.

Nach den VG, Teil B, Nr. 9.3 beträgt für einen Bluthochdruck in leichter Form (keine oder geringe Leistungsbeeinträchtigung; höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen) der GdB 0 bis 10, in mittelschwerer Form (mit Organbeteiligung leichten bis mittleren Grades; Augenhintergrundveränderungen – Fundus hypertonicus 1 bis 2 – und/oder Linkshypertrophie des Herzens und/oder Proteinurie, diastolischer Blutdruck mehrfach über 100 mmHg trotz Behandlung) je nach Leistungsbeeinträchtigung der GdB 20 bis 40, in schwerer Form (mit Beteiligung mehrerer Organe; schwere Augenhintergrundveränderungen und Beeinträchtigung der Herzfunktion, der Nierenfunktion und/oder der Hirndurchblutung) je nach Art und Ausmaß der Leistungsbeeinträchtigung der GdB 50 bis 100 und in maligner Form (diastolischer Blutdruck konstant über 130 mmHg; Fundus hypertonicus 3 bis 4; Papillenödem, Venenstauung, Exsudate, Blutungen, schwerste arterielle Gefäßveränderungen; unter Einschluss der Organbeteiligung [Herz, Nieren, Gehirn]) der GdB 100.

Überzeugend hat F2 in seinem Gutachten vom 02.07.2020 die Hypertonie aufgrund der festgestellten Linksherzhypertrophie, der diastolischen Funktionsstörung des linken Ventrikels sowie der leichten Aortenektasie zwar als mittelschwer eingeschätzt, aber aufgrund der von ihm als leichtgradig beurteilten Funktionsstörung und Organbeteiligung noch am unteren Rand des GdB-Rahmens von 20 bis 40 eingestuft.


Da der Bluthochdruck erstmals im Arztbrief des S1 vom 15.02.2016 dokumentiert worden ist, berücksichtigt der Senat diese Behinderung ab diesem Zeitpunkt.

d. Für die Behinderungen im Funktionssystem „Rumpf“ beträgt der Einzel-GdB 10 mindestens ab dem 01.01.2012.

Nach dem Gutachten des S2 vom 10.10.2018 samt ergänzender gutachtlicher Stellungnahmen vom 29.10.2018 und 23.11.2010 und dem Gutachten des H2 vom 05.10.2020 samt ergänzender gutachtlicher Stellungnahmen vom 22.05.2024 und vom 02.07.2024 liegt beim Kläger in der Halswirbelsäule eine Einschränkung der Seitneigung nach rechts und links und eine diskrete Einschränkung der Rotationsfähigkeit vor.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 beträgt bei Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität der GdB 0, mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) der GdB 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) der GdB 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten der GdB 30 bis 40.

Unter Zugrundelegung der von S2 beschriebenen Bewegungsmaße in der Halswirbelsäule mit einem Vorneigen/Rückneigen von 40/0/50 Grad (Normalmaß 45-70/0/35-45 Grad), Seitneigen von 30/0/20 Grad (Normalmaß 45/0/45 Grad) und Drehen von 60/0/55 Grad (Normalmaß 60-80/0/60-80 Grad) handelt es sich um nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 um einen mit einem GdB von 10 zu beurteilenden Wirbelsäulenschaden mit geringen funktionellen Auswirkungen. Die von S2 entsprechend vorgenommene Beurteilung des GdB mit 10 ist mithin überzeugend.

Die von H2 vorgenommene Beurteilung des GdB mit 20 ist demgegenüber nicht schlüssig. Zum einen rechtfertigen auch die von ihm beschriebenen Bewegungsmaße in der Halswirbelsäule mit einem Rückneigen von 25 Grad (Normalmaß 35-45 Grad), Seitneigen von 20/0/35 Grad (Normalmaß 45/0/45 Grad) und Drehen von 50/0/50 Grad (Normalmaß 60-80/0/60-80 Grad) nur die Annahme geringer funktioneller Auswirkungen. Zum anderen hat H2 bei seiner Beurteilung des GdB für die Behinderung in der Halswirbelsäule insbesondere den Tinnitus mitberücksichtigt. Dieser findet aber bereits Eingang in die Beurteilung des Einzel-GdB für die Behinderungen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“.


3.2.3 Für die Gesamt-GdB-Bildung gilt unter Berücksichtigung der dargelegten Einzel-GdB-Werte Folgendes: Mindestens ab dem 01.01.2012 ist wegen des Einzel-GdB von 30 für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ aufgrund des Tinnitus, des Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem „Beine“ aufgrund des Knorpelschadens samt anhaltenden Reizerscheinungen im linken Kniegelenk und wegen des Einzel-GdB von 10 für das Funktionssystem „Rumpf“ aufgrund des Halswirbelsäulensyndroms der Gesamt-GdB mit 30 zu beurteilen. Bei dieser Beurteilung hat der Senat beachtet, dass – wie oben bereits dargelegt – nach den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d ee von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen, führen und es auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 vielfach nicht gerechtfertigt ist, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Ab dem 15.02.2016 ist wegen des zusätzlichen Einzel-GdB von 20 für das Funktionssystem „Herz-Kreislauf“ aufgrund des Bluthochdrucks der Gesamt-GdB mit 40 zu beurteilen. Trotz den VG, Teil A, Nr. 3 Buchst. d ee hält es der Senat für sachgerecht, bei GdB-Werten von einmal 30, zweimal 20 und einmal 10 einen Gesamt-GdB von 40 anzunehmen. Ab dem 26.01.2018 ist wegen der Heraufsetzung des Einzel-GdB von 30 auf nunmehr 40 für das Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ aufgrund der hinzugetretenen depressiven Störung der Gesamt-GdB mit 50 zu beurteilen. Ab dem 14.01.2022 kommt zwar wegen der Heraufsetzung des Einzel-GdB von 20 auf nunmehr 30 für das Funktionssystem „Beine“ aufgrund den hinzugetretenen anhaltenden Reizerscheinungen im rechten Kniegelenk eine Beurteilung des Gesamt-GdB mit 60 in Betracht. Da es sich allerdings um eine reine Beklagtenberufung handelt, ist vom Senat nur darüber zu entscheiden, ob das SG Freiburg den Beklagten zu Recht verpflichtet hat, den GdB mit 50 ab dem 01.01.2012 festzustellen, so dass vorliegend die Frage, ob für den Kläger auch ein GdB von 60 in Betracht kommt, nicht streitgegenständlich ist.

4. Nach alledem ist auf die Berufung des Beklagten der Gerichtsbescheid des SG Freiburg vom 07.12.2022 insoweit abzuändern, als der Beklagte verpflichtet wird, den GdB mit 30 ab dem 01.01.2012, mit 40 ab dem 15.02.2016 und mit 50 ab dem 26.01.2018 festzustellen, und im Übrigen die Klage abgewiesen wird.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass der Beklagte mit seiner Berufung für die Zeit vom 01.01.2012 bis zum 25.01.2018 teilweise (GdB 30 statt 50 – wie vom SG Freiburg entschieden – bis zum 14.02.2016 und GdB 40 statt 50 – wie vom SG Freiburg entschieden – ab dem 15.02.2016) und ab dem 26.01.2018 vollständig (GdB 50 – wie vom SG Freiburg entschieden) unterlegen ist.

6. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.

 

Rechtskraft
Aus
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