S 12 R 1179/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1179/23
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei der Entscheidung über eine sog. „Grundrente“ für langjährige Versicherung kommt es auf das Eheeinkommen auch dann noch an, wenn die Ehegatten bereits getrennt leben.

Auch ein bereits geschiedener Ehegatte ist in Bezug auf die sog. „Grundrente“ rentenrechtlich noch als „Ehegatte“ im Sinne des § 97a Abs. 1 anzusehen, bis frühestens im übernächsten Jahr nach § 97a Abs. 2 S. 2 oder 3 SGB VI das Jahr der Scheidung bei der Einkommensanrechnung heranzuziehen ist.

 

Tenor:

  1. Die Klagen werden abgewiesen.

 

  1. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

 

 

Tatbestand

Im Streit steht die Bewilligung eines Grundrentenzuschlags gemäß § 307e bzw. § 76g Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI).

Die am XX.XX.1957 geborene Klägerin schloss am XX.XX.2012 die Ehe mit Herrn AAAA AAAA.

Ab 2018 gewährte die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem SGB VI der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Am 01.08.2018 trennten sich die Klägerin und ihr Ehegatte. Seither wirtschafteten sie nicht mehr gemeinsam. Insbesondere konnte die Klägerin seither nicht mehr über das Einkommen Ihres Ehemannes disponieren. Ihr stand stattdessen ein von ihm geleisteter Trennungsunterhalt zur Verfügung. Dieser fiel entsprechend höher aus, weil die Klägerin und ihr Ehegatte gegenüber dem zuständigen Finanzamt förmlich beantragten, steuerrechtlich das sog. „Realsplitting“ durchzuführen, und den hieraus resultierenden Steuervorteil untereinander aufteilten. Dergestalt machte der Ehegatte den von ihm an die Klägerin familienrechtlich gezahlten Unterhalt steuerrechtlich als „Sonderausgabe“ geltend, weshalb er insofern nicht den für ihn vergleichsweise hohen Einkommensteuersatz zahlte. Zugleich versteuerte die Klägerin den vom Ehegatten an sie gezahlten Unterhalt zu einem vergleichsweise niedrigeren Einkommensteuersatz und erhielt als Ausgleich hierfür vom Ehegatten mehr Trennungsunterhalt als sie ohne das sog. „Realsplitting“ erhalten hätte.

Weil sich das bereits 2018 eingeleitete Scheidungsverfahren hinzog, zahlte der Ehegatte der Klägerin auch noch 2020 Trennungsunterhalt, der laut automatisierter Meldung der Finanzverwaltung insgesamt 16.000,- € im gesamten Kalenderjahr betrug. Ausweislich der übrigen Meldung der Finanzverwaltung an die Beklagte betrug das Gesamteinkommen der Klägerin in 2020 unter Berücksichtigung weiterer Einkünfte insgesamt 28.258 €. Für den Ehegatten der Klägerin meldete die Finanzverwaltung der Beklagten ein Jahreseinkommen von 158.918,- €.

Unter Berücksichtigung dieser Einkommensverhältnisse prüfte die Beklagten von Amts wegen, ob der Klägerin ab dem 01.01.2023 ein Grundrentenzuschlag nach § 307e SGB VI zu bewilligen sei. Mit Bescheid vom 16.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.05.2023 lehnte sie es aber ab, die der Klägerin seit 2018 bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung mit Wirkung zum 01.01.2023 zu erhöhen unter Berücksichtigung eines Zuschlags für langjährige Versicherung gemäß § 307e SGB VI (sog. „Grundrente“). Zur Begründung verwies die Beklagte auf das ihr von der Finanzverwaltung für die Klägerin und ihren Ehemann gemeldete Eheeinkommen des Kalenderjahres 2020. Dieses habe insgesamt 192.523 € im Jahr bzw. monatlich 16.043,58 € betragen. Es sei auch unter Berücksichtigung der einschlägigen Freibeträge mit monatlich 13.619,58 € noch zu hoch, um die sog. „Grundrente“ beanspruchen zu können. Indes sei es für die Bewilligung der Grundrente dem Wortlaut von § 97 a SGB VI zufolge unbeachtlich, ob seit 2018 ein Getrenntleben der Ehegatten vorliege, weil das Gesetz allein an das Vorliegen einer bislang nicht geschiedenen „Ehe“ anknüpfe.

Parallel hierzu hob die Beklagte mit Bescheid vom 26.01.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2023 mit Wirkung zum 01.02.2023 die vormalige Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf und gewährte ihr stattdessen ab dem 01.02.2023 eine Regelaltersrente. Auch hierbei bewilligte die Beklagte der Klägerin nicht den rentenerhöhenden Zuschlag für langjährige Versicherung (sog. „Grundrente“), der ihr gemäß § 76g i. V. m. § 97a SGB VI auch insofern nicht zustehe wegen des hohen Eheeinkommens in 2020, welches die automatisierte Meldung der Finanzverwaltung an die Beklagte ergeben habe.

Unterdessen hatte bereits am 02.02.2023 das Familiengericht am Amtsgericht XXXXXXX unter dem Aktenzeichen XXXXXXX/18 die Ehe geschieden.

Unter Hinweis auch hierauf hat die Klägerin am 12.05.2023 das Sozialgericht Karlsruhe zunächst um Rechtsschutz wegen der Ablehnung des Grundrentenzuschlags zu ihrer Erwerbsminderungsrente (durch die Bescheide vom 16.12.2022 und 02.05.2023) angerufen. Diese Klage hat sie am 25.05.2023 in Bezug auf die Ablehnung des Grundrentenzuschlags zu ihrer Regelaltersrente (durch die Bescheide vom 26.01.2023 und 10.05.2023) erweitert. Die Klägerin meint zur Begründung beider Klagen, die Beklagte könne das Einkommen ihres vormaligen Ehegatten spätestens nicht mehr als Einkommen im Sinne des § 97a SGB VI ansehen, seit ihre Ehe durch das Familiengericht am 02.02.2023 geschieden worden sei. Richtigerweise habe ihr die Beklagte das Einkommen ihres Ehegatten aber schon während der Trennung nicht rentenleistungsrelevant anrechnen können, da sie seither keinen Zugriff mehr auf das Einkommen ihres Ehegatten habe. Überdies sei es unbillig, wenn die Beklagte Einkommen doppelt anrechne, indem sie nicht nur das gesamte Einkommen des Ehegatten einmalig berücksichtige, sondern ein weiteres Mal dessen Unterhaltszahlungen an die Klägerin, obwohl der Ehegatte diese aus seinem bereits rentenrechtlich berücksichtigten Einkommen finanziert habe.

Die Klägerin beantragt:

  1. Die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 16.12.2022 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 02.05.2023 zu verurteilen, bei der Berechnung der vollen Rente wegen Erwerbsminderung das Einkommen von AAAA AAAA nicht zu berücksichtigen und der Klägerin eine höhere Rente unter Berücksichtigung des Grundrentenzuschlags für Januar 2023 zu gewähren.

 

  1. Die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 26.01.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2023 sowie in der Fassung sämtlicher etwaiger Folgebescheide zu verurteilen, bei der Berechnung der Regelaltersrente das Einkommen von AAAA AAAA nicht zu berücksichtigen und der Klägerin eine höhere Rente unter Berücksichtigung des Grundrentenzuschlags ab dem 01. Februar 2023 zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Sie meint, auf den sich aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung ergebenden Rentenanteil sei auch bei dauernd getrenntlebenden Ehegatten das von den Finanzbehörden festgestellte Einkommen der rentenberechtigten Person und des Ehegattens anzurechnen. Das anzurechnende Einkommen werde von der Beklagten bei der Finanzverwaltung angefordert. Falls von der Finanzverwaltung für einen oder sogar beide Ehegatten kein Einkommen übermittelt werden kann, werde hilfsweise das Einkommen nach § 97a Abs. 2 Satz 4 SGB VI des vorvergangenen Kalenderjahres der Einkommensanrechnung zu Grunde gelegt. Diese Grundsätze gelten so lange, wie die bestehende Ehe noch nicht durch Scheidung, Tod oder auf andere Weise aufgelöst worden sei.

Der Gesetzgeber habe die Berücksichtigung des Ehegatten-Einkommens mit der Erhöhung der Zielgenauigkeit der Grundrente begründet. Damit werde dem durch die Ehe ausgedrückten Willen, dauerhaft eine Wirtschaftseinheit zu bilden und der damit einhergehenden gegenseitigen Unterhaltspflicht nach § 1360 BGB angemessen Rechnung getragen. Durch das „bloße“ Getrenntleben beider Ehegatten werde die Ehe nicht aufgelöst; die gegenseitigen Unterhaltspflichten bestünden weiterhin fort.

Auch die Scheidung der Klägerin am 02.02.2023 sei für die streitbefangene Grundrente im Jahr 2023 rechtlich noch rentenrechtlich unerheblich. Denn eine Überprüfung der Einkommensanrechnung beim Grundrentenzuschlag erfolge nur einmal jährlich.

Einkommensänderungen, die im automatisierten Abrufverfahren jeweils bis zum 31. Oktober dem Träger der Rentenversicherung vorliegen, seien nach § 97a Abs. 5 S. 2 SGB VI erst vom darauffolgenden 1. Januar an zu berücksichtigen. Der unterjährige Wegfall von Einkommen oder der Wechsel der Einkommensart stelle demnach keine Änderung im oben genannten Sinne dar. Eine Änderung im anzurechnenden Einkommen könne sich nämlich nur aus dem automatisierten Abrufverfahren aufgrund einer Mitteilung der Finanzverwaltung ergeben, die aber nur einmalig für jedes Kalenderjahr erfolge.

Wegen des weiteren Sachverhalts und Vorbringens wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und den der Prozessakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Klägerin kann beide Klagen gemäß § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zusammen geltend machen, weil ihre Klageerweiterung vom 25.05.2023 sachdienlich war und die Beklagte überdies in der mündlichen Verhandlung in die Klageänderung eingewilligt hat.

2. Die zulässigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage sind aber unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Renten unter Berücksichtigung des Grundrentenzuschlags. Bei der Berechnung ihrer Rente wegen voller Erwerbsminderung und bei der Berechnung ihrer Regelaltersrente ist noch das Einkommen ihres seit dem 01.08.2018 getrennt und am 02.02.2023 geschiedenen Ehemannes anzurechnen gewesen. Die angefochtenen Rentenbescheide vom 16.12.2022 (in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 02.05.2023) bzw. 26.01.2023 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2023) sind deshalb rechtmäßig und verletzen keine Rechte der Klägerin.

Indes kann hier dahinstehen, ob die Klägerin dem Grunde nach Anspruch auf einen Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nach § 76g SGB VI bzw. § 307 e SGB VI hat. Die Beklagte durfte ihn nämlich jedenfalls nicht rentenerhöhend berücksichtigen und auszahlen. Seiner Bewilligung stand hinsichtlich beider Klagen jedenfalls § 97a Abs. 1 SGB VI entgegen. Denn der für 2023 errechnete Zuschlag für langjährige Versicherung in Höhe von 39,44 EUR war im Fall der Klägerin nicht höher als das auf die sog. „Grundrente“ anzurechnende Einkommen.

Gemäß § 97a Abs. 1 SGB VI wird auf den Rentenanteil aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung Einkommen des Berechtigten und seines Ehegatten angerechnet. Anrechenbar ist § 97a Abs. 4 SGB VI zufolge dasjenige Einkommen des Berechtigten und seines Ehegatten, welches monatlich die in § 97a Abs. 4 Satz 2 bis 4 genannten, jeweils auf einen vollen Eurobetrag aufgerundeten Beträge, übersteigt. In den hier jeweils angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte diese Anrechnungsgrenzen richtig berechnet und angewandt. Das anrechenbare Einkommen übersteigt danach jedenfalls den streitbefangenen Zuschlag für die sog. „Grundrente“.

Die hiergegen von der Klägerin vorgebrachten Argumenten vermögen das Gericht nicht zu überzeugen. Die Klägerin kann im Ergebnis nicht mit Erfolg einwenden, das bei der Grundrentenberechnung anrechenbare Einkommen sei niedriger als die Beklagte angenommen habe.

Insofern kann die Klägerin zuvörderst nicht mit Erfolg auf das Getrenntleben seit 2018 verweisen. Der Gesetzgeber hat in § 97a Abs. 1 SGB VI nicht zwischen Ehegatten und getrenntlebenden Ehegatten unterschieden. Der Wortlaut der Norm ist eindeutig. Er lässt die von der Klägerin gewünschte Auslegung nicht zu. Bei der Entscheidung über eine sog. „Grundrente“ für langjährige Versicherung kommt es auf das Eheeinkommen auch dann noch an, wenn die Ehegatten bereits getrennt leben. Etwas anderes wäre auch nicht recht und billig. Denn auch während des Getrenntlebens sind die wirtschaftlichen Verflechtungen einer auf Dauer geschlossenen Ehe noch nicht aufgelöst. Dies zeigt sich exemplarisch am vorliegenden Einzelfall daran, dass die Klägerin hier nach der Trennung von ihrem Ehegatten bis 2023 Trennungsunterhalt erhielt und beide zum gemeinsamen wirtschaftlichen Vorteil steuerrechtlich das sog. „Realsplitting“ wählten.

Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass ihre Ehe am 02.02.2023 geschieden worden sei. Auch ein bereits geschiedener Ehegatte ist in Bezug auf die sog. „Grundrente“ rentenrechtlich noch als „Ehegatte“ im Sinne des § 97a Abs. 1 anzusehen, bis frühestens im übernächsten Jahr nach § 97a Abs. 2 S. 2 oder 3 SGB VI das Jahr der Scheidung bei der Einkommensanrechnung heranzuziehen ist.

Insoweit verweist die Beklagte zu Recht auf die gesetzliche Ausschlussregelung in § 97a Abs. 5 SGB VI. Nach dieser (der Reduzierung des Verwaltungsaufwands dienlichen) Regelung sind allein die Meldungen der Finanzverwaltung maßgeblich. Eine Ehescheidung, die erst nach dem Stichtag der Meldung gegenüber der Beklagten erfolgt, ist daher aus Rechtsgründen für die sog. „Grundrente“ unbeachtlich. § 97a Abs. 5 Satz 2 SGB VI ist nämlich der Grundsatz zu entnehmen, dass eine Überprüfung der Einkommensanrechnung beim Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nur einmal jährlich sowie allein nach Maßgabe der Mitteilungen der Finanzverwaltung für das vergangene (oder sogar vorvergangene) Kalenderjahr erfolgt. Hierdurch hat die aktuelle Situation des Berechtigten keine Auswirkung auf die Höhe des anzurechnenden Einkommens im laufenden oder unmittelbar folgenden Kalenderjahr. Ein Wegfall des zu berücksichtigenden Einkommens wird frühestens berücksichtigt, wenn das Kalenderjahr der Scheidung nach § 97a Abs. 2 S. 2 oder 3 SGB VI bei der Einkommensanrechnung als bereits vergangenes Kalenderjahr heranzuziehen ist zur Berechnung der Rentenhöhe für die Zukunft (im übernächsten Jahr nach der Scheidung). Insbesondere bei Neurentnern, deren Einkommensbescheid häufig noch das höhere Einkommen aus der vorher ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit beinhaltet, kann dies dazu führen, dass zu Rentenbeginn kein Anspruch auf einen Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung besteht (Kreikebohm/Roßbach SGB VI/Westphal, 6. Aufl. 2021, SGB VI § 97a Rn. 17, beck-online).

Die Klägerin geht auch fehl in der Annahme, die Beklagte habe Einkommen doppelt berücksichtigt. Denn wegen der Übernahme der von der Finanzverwaltung übermittelten Daten ist das bei ihr rentenrechtlich für den Ehegatten berücksichtigte Einkommen bereits um diejenigen Unterhaltszahlungen an die Klägerin bereinigt, die der Ehegatte als Sonderausgaben steuerrechtlich gegenüber der Finanzverwaltung in Abzug bringen konnte aufgrund des sog. „Realsplittings“ mit der Klägerin.

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4.) Über die Zulassung der kraft Gesetzes zulässigen Berufung hatte das angerufene Gericht nicht zu entscheiden, weil sich die vorliegenden Klagen solche Verwaltungsakte richten, die laufende Leistungen in der Gestalt des Grundrentenzuschlags für mehr als ein Jahr betreffen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, 30.1.2024, L 18 R 707/22, beck-online, Rn. 18).

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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