1. Die Befreiung von der Versicherungspflicht als Studierender nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V wirkt fort, wenn sich an ein abgeschlossenes Bachelorstudium unmittelbar ein Masterstudium anschließt.
2. Die Befreiung wirkt demgegenüber nicht fort, wenn zwischen dem Bachelorstudium und dem Masterstudium eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen wird.
Der Bescheid der Beklagten vom 15.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.8.2020 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, für die Klägerin für den Zeitraum 1.10.2019 bis 22.9.2021 eine Pflichtversicherung für Studenten herzustellen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um das Bestehen einer Pflichtversicherung.
Die Klägerin studierte vom 1.10.2014 bis zum 3.6.2019 an der staatlichen Hochschule in C-Stadt sowie an der Deutschen Sporthochschule D-Stadt. Die Beklagte befreite die Klägerin auf ihren Antrag hin mit Bescheid vom 23.9.2014 von der Versicherungspflicht als Studentin. In dieser Zeit war die Klägerin privat versichert.
Vom 5.6.2019 bis 30.9.2019 arbeitete die Klägerin wöchentlich 12 Stunden in der H.-Klinik E-Stadt. Im diesem Zeitraum war die Klägerin bei der Beklagten als Arbeitnehmerin pflichtversichert.
Mit Schreiben vom 23.9.2019 übersandte die Beklagte an die Klägerin einen Fragebogen zur Klärung der Versicherungsverhältnisse und bat um Rücksendung des ausgefüllten Fragebogens.
Am 30.9.2019 übersandte die Klägerin den ausgefüllten Fragebogen. Dort gab sie an, dass sie ab dem 1.10.2019 an der B.-Universität B-Stadt als Studierende eingeschrieben sei.
Auf Nachfrage der Beklagten übersandte die Klägerin eine Exmatrikulationsbescheinigung, die eine Exmatrikulation zum 3.6.2019 bescheinigt und als Grund der Exmatrikulation die bestandene Abschlussprüfung am 3.6.2019 nennt. Ferner übersandte sie eine Immatrikulationsbescheinigung, die den Semesterbeginn am 1.10.2019 vorsieht.
Die Beklagte stellte zum 1.10.2019 eine freiwillige Krankenversicherung sowie eine Pflichtversicherung in der Pflegeversicherung her. Mit Bescheid vom 15.10.2019 setzte die Beklagte ab dem 1.10.2019 die Beiträge anhand der jeweils geltenden gesetzlichen Mindesteinnahmen für freiwillig Versicherte fest.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruchsschreiben vom 27.10.2019. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen darauf, dass sie bereits am 3.6.2019 mit sofortiger Wirkung exmatrikuliert worden sei, nicht erst zum Semesterende. Die Versicherung sei nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 oder nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 durchzuführen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.8.2020 als unbegründet zurück. Bei der Klägerin lebe die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht wieder auf, da der Befreiungstatbestand selbst, nämlich die Einschreibung an der Hochschule, durchgehend bestanden habe. Die Exmatrikulation sei nach § 190 Abs. 9 SGB V erst zum Ende des Semesters erfolgt. Der angegriffene Bescheid sei daher rechtmäßig.
Die Klägerin hat am 8.9.2020 Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben. Die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V. Sie sei zwar während des Bachelorstudienganges von der Versicherungspflicht befreit gewesen, die Befreiung entfalte aber keine Wirkung für ein späteres Studium, sofern sich dieses nicht nahtlos anschließe. Die Exmatrikulation wirke sofort und nicht erst fiktiv zum Ende des Ablaufs des regulären Semesters. § 190 Abs. 9 SGB gelte nur für versicherungspflichtige Studierende, die Klägerin sei aber privat versichert gewesen. Hinzu käme, dass die Klägerin in der Zwischenzeit eine Teilzeitbeschäftigung aufgenommen hatte und bei der Beklagten pflichtversichert gewesen wäre.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 15.10.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.8.2020 aufzuheben und die Klägerin antragsgemäß als Studentin in der Krankenversicherung für Studenten ab dem 1.10.2019 zu versichern.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Maßgebend sei, dass nach § 190 Abs. 9 SGB V die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Studierender dem Grunde nach mit Ablauf des Semesters ende.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die mit übersandte Leistungsakte der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sind Studenten, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, grundsätzlich krankenversicherungspflichtig. Dies gilt auch für die Klägerin, die zunächst einen Bachelorstudiengang und dann einen Masterstudiengang an staatlich anerkannten Hochschulen absolviert hat.
Auf Antrag wird von der Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig durch die Einschreibung als Student oder durch berufspraktische Tätigkeit wird (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 9 oder 10 SGB V). Diese Befreiung kann gemäß § 8 Abs. 2 SGB V nicht widerrufen werden. Die Klägerin hat sich vorliegend unstreitig zu Beginn ihres Bachelorstudiums von der Versicherungspflicht befreien lassen.
Das Bundessozialgericht hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass die Versicherungspflicht sowohl bei einem Erststudium, aber auch bei einem Zweit-, Aufbau- oder Erweiterungsstudium und auch bei einem Masterstudiengang besteht. Dies gelte jedenfalls für ein ununterbrochenes Studium. Eine semesterweise Trennung der Versicherungspflicht sei vom Gesetzgeber nicht gewollt, um einen lückenlosen Versicherungsschutz zu gewährleisten (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 – 12 RK 25/93 – juris Rn. 16).
Die Befreiung von dieser Versicherungspflicht wiederum bezieht sich auf den Versicherungspflichttatbestand und gilt deshalb grundsätzlich so lange wie auch Versicherungspflichttatbestand durchgängig erfüllt ist. So würde die Befreiung beispielsweise fortgelten, wenn sich ein konsekutiver Master direkt an ein Bachelorstudium anschließt. Dafür spricht insbesondere, dass der Wortlaut an die Einordnung der versicherten Person als Studentin anknüpft (so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Februar 2013 – L 1 KR 10/13 B ER –, juris).
Die Klägerin war vorliegend aber nicht durchgängig Studentin. Sie wurde ausweislich ihrer Exmatrikulationsbescheinigung bereits zum 3.6.2019 exmatrikuliert. In der Folgezeit war sie über einen nicht unerheblichen Zeitraum von ungefähr vier Monaten versicherungspflichtig beschäftigt und in diesem Zeitraum auch bei der Beklagten pflichtversichert. Aus der Aufnahme einer mehrmonatigen versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem damit verbundenen zwischenzeitlichen Statuswechsel der Klägerin folgert die Kammer, dass mit dem Masterstudium die Versicherungspflicht erneut beginnt und damit auch ein neues Befreiungsrecht entsteht (ähnlich auch Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann/ Berchtold, 7. Aufl. 2021, SGB V § 8 Rn. 13).
Dies gilt nach Auffassung der Kammer auch vor dem Hintergrund der Gefahren des Gestaltungsmissbrauchs (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Februar 2013 – L 1 KR 10/13 B ER –, juris). Zwar kann es auch nach Auffassung der Kammer zu missbräuchlichen Situationen kommen, wenn Studierende durch einen Wechsel des Studiums oder einer Hochschule ein neues Befreiungsrecht erzwingen könnten und dadurch die gesetzlich geregelte Unwiderruflichkeit umgehen (so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Februar 2013 – L 1 KR 10/13 B ER –, juris). Dies ist nach Auffassung der Kammer aufgrund des Statuswechsels der Klägerin aber zu vernachlässigen. Die Klägerin hat vorliegend nicht schlicht einen Studiengang oder die Hochschule gewechselt, sondern nach ihrer Exmatrikulation eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus § 190 Abs. 9 SGB V. Denn dort ist lediglich das Ende der Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Studierender geregelt. Die Klägerin war in dem relevanten Zeitraum aber gerade nicht versicherungspflichtiges Mitglied bei der Beklagten, sondern privat versichert. Die Klägerin wurde zum 3.6.2023 exmatrikuliert. Eine Fiktion der Versicherungspflicht und des Befreiungstatbestandes zum Semesterende, also für einen Zeitraum, in dem die Klägerin tatsächlich bei der Beklagten aufgrund der aufgenommenen Beschäftigung pflichtversichert war, hält die Kammer auch nicht für überzeugend.
Der Klage war daher vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.