L 2 BA 44/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 13 BA 2367/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 2 BA 44/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Dezember 2023 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 30.941,40 € festgesetzt.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist nach einer Betriebsprüfung streitig, ob die Klägerin verpflichtet ist, im Hinblick auf die Beschäftigung des Beigeladenen als Fremdgeschäftsführer in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Umlagen in Höhe von insgesamt 30.941,40 € nachzubezahlen.

Der Beigeladene ist seit Gründung der Klägerin mit notariellem Vertrag vom 20. Januar 2009 deren einzelvertretungsberechtigter und von der Beschränkung des § 181 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) befreiter Geschäftsführer der Klägerin. Seit dem 1. Juli 1996 bezieht er eine Vollrente wegen Alters.

Das Stammkapital der Klägerin beträgt 200.000,00 €. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung werden nach § 6 Abs. 1 der Satzung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. In § 4 Abs. 4 der Satzung heißt es:

„Solange Herr Dr. A. Geschäftsführer der Gesellschaft ist, kann er nur aus wichtigem Grund abberufen werden. Herr Dr. A. ist stets einzelvertretungsberechtigt und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit. Gesellschaftsvertragliche oder im Einzelfall beschlossene Zustimmungsvorbehalte und solche, die in einer Geschäftsordnung enthalten sind, gelten für ihn nicht (Sonderrecht). Für Geschäftsführungsmaßnahmen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, bedarf Herr Dr. A. der Zustimmung oder Genehmigung der Gesellschafterversammlung“.

Die Geschäftsanteile der Klägerin werden seit der Gründung von der M1 eG (M1) gehalten. Seitens dieses Unternehmens ist dem Beigeladenen Prokura in der Weise erteilt, dass er die Genossenschaft allein vertritt.

Grundlage der Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen der „F1 W1 (...) - nachstehend Dr. A1 genannt - (Dr. A.) und der Klägerin (M2) vom 20. Januar 2009. Darin heißt es:

§ 1 Tätigkeitsfeld
„(1) Herr Dr. A. wird als freier Mitarbeiter für die M2 tätig; er unterliegt keinem Weisungsrecht; da die M2 keinen eigenen Betrieb unterhält, ist Herr Dr.  A. auch nicht in den Betrieb der M2 eingegliedert; Herr Dr. A. ist der Betrieb. Er unterhält eigene Geschäftsräume; die M2 verfügt über keine Geschäftsräume.
(2) Herr Dr. A. führt das Milchgeschäft der M2 umfassend und eigenverantwortlich, ohne dass er Beschränkungen unterliegt. Seine Aufgaben bestimmt Herr Dr. A. allein.
(3) Damit Herr Dr. A. seine selbstständige Tätigkeit entfalten kann, verpflichtet sich die M1 mit ihrer Zustimmung zu diesem Vertrag dazu, Herr Dr. A. als Nicht-Gesellschafter die Rechte einzuräumen, die ein Mehrheitsgesellschafter oder Alleingesellschafter bezogen auf die Geschäftsführertätigkeit hat. Dies bedeutet, dass ihm ein statuarisches Sonderrecht als Geschäftsführer einzuräumen ist, er nicht abberufen werden kann und er keinen Weisungen unterliegt, insbesondere sollen für ihn keine Geschäftsordnung oder Zustimmungsvorbehalte, weder allgemein noch im konkreten Einzelfall gelten. Sofern die M1 ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, kann Herr Dr. A. diesen Vertrag fristlos kündigen.
(4) Herr Dr. A. ist berechtigt, zur Erfüllung dieser Aufgaben Geschäftsbesorgungsaufträge an Dritte zu erteilen und alle sonstigen erforderlichen Rechtsgeschäfte abzuschließen.

§ 2 Freiberufliche Tätigkeit
(1) Herr Dr. A. ist in der Wahl des Leistungsortes frei.
(2) Herr Dr. A. ist in der Einteilung seiner Zeit frei, d.h. er entscheidet allein, ob er tätig wird und wenn ja, in welchem Umfang und mit welchem Inhalt er tätig wird.
(3) Herr Dr. A. unterliegt keinem Weisungsrecht der M1.
(4) Herr Dr. A. ist bekannt, dass die freie Mitarbeit nicht sozialversicherungspflichtig ist, sodass Herr Dr. A. selbst für einen ausreichenden Versicherungsschutz für die Alters-, Pflege- und Krankheitsvorsorge verantwortlich ist.
(5) Herr Dr. A. verpflichtet sich, eingenommene Umsatzsteuer ordnungsgemäß an das Finanzamt abzuführen sowie die eingenommenen Honorare eigenständig und ordnungsgemäß zu versteuern.“

Dem Beigeladenen ist während des streitgegenständlichen Zeitraumes für seine Tätigkeit für die Klägerin eine monatliche Vergütung von 7.700,00 € gezahlt worden. Hinsichtlich des sonstigen Inhalts des Vertrages wird auf Bl. 72 bis 69 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

In der Zeit vom 23. Juni bis 27. Oktober 2020 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Nach Anhörung vom 4. November 2020 forderte die Klägerin mit Bescheid vom 9. Dezember 2020 Beiträge in Höhe von 30.941,40 € für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 nach. Dabei forderte sie den Arbeitgeberanteil zur Rentenversicherung, für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2016 den Arbeitgeberbeitrag nach dem Recht der Arbeitsförderung sowie ab dem 1. Januar 2018 Umlagebeiträge nach. Der Beigeladene sei für die Klägerin im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig gewesen. Als beitragspflichtiges Einkommen legte sie die auf Grundlage des Geschäftsbesorgungsvertrages an den Beigeladenen geleisteten Zahlungen zugrunde. Dies waren für das Jahr 2016 74.400,00 €, für das Jahr 2017 76.200,00 €, für das Jahr 2018 78.000,00 € und für das Jahr 2019 80.400,00 €.

Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 7. Januar 2021 am 11. Januar 2021 (Montag) Widerspruch. Fehlerhaft sei bereits, dass die Beiträge aus dem Arbeitsentgelt des Geschäftsführers nachberechnet worden seien. Der Beigeladene habe überhaupt kein Gehalt als Geschäftsführer bezogen. Grundlage für seine Tätigkeit sei vielmehr der Geschäftsbesorgungsvertrag vom 20.  Januar 2009, nach welchem er eine Pauschalvergütung zuzüglich Umsatzsteuer erhalten habe. Es sei auch nicht so, dass der Beigeladene seine Tätigkeit in den Geschäftsräumen der Klägerin ausgeübt habe. Hierbei nutze die Klägerin die Anschrift der Firma F1 W1, ohne jedoch dort selbst einen eigenen Betrieb zu unterhalten. Festzuhalten sei, dass der Beigeladene die Geschäfte eigenverantwortlich führe, ohne hierbei irgendwelchen Beschränkungen zu unterliegen. Um ihm diese selbstständige Tätigkeit zu ermöglichen, seien ihm umfassende Freiheiten eingeräumt worden. Im Übrigen habe es seit der Gründung im Jahr 2009 keine Einmischung der Gesellschafterin gegeben, die von dem Beigeladenen hätte zurückgewiesen werden müssen. Eine umfassende Sperrminorität liege schon allein dadurch vor, dass er eine umfassende Einzelprokura für die M1, die alleinige Gesellschafterin, besitze. Für Geschäftsführungsmaßnahmen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgegangen seien, habe er zwar der Zustimmung oder Genehmigung der Gesellschafterversammlung bedurft, als Einzelprokurist der alleinigen Gesellschafterin hätte er jedoch die Rechtsmacht besessen, solche Geschäftsführungsmaßnahmen selbst genehmigen zu können. Aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag ergebe sich, dass der Beigeladene selbstständig tätig sei. Die dem Prüfbescheid zugrundeliegende Annahme, dass das Arbeitsentgelt des Geschäftsführers beitragspflichtig sei, sei daher nicht richtig. Er hätte aufgrund seiner tatsächlichen Rechtsmacht jeden Gesellschafterbeschluss auf Ebene der Klägerin in beliebiger Form herbeiführen können, da er sich die unter Umständen notwendige Zustimmung durch die M1 als Gesellschafterin aufgrund seiner Prokura selbst habe erteilen können.

Mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2021 wies die Beklagte unter Beibehaltung und Vertiefung ihrer Begründung den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 1. Oktober 2021 beim Sozialgericht (SG) Mannheim Klage erhoben. Der Beigeladene verfüge mit der Regelung in § 4 Abs. 4 der Satzung über genau das statuarische und in der Satzung festgeschriebene Sonderrecht, welches das Bundessozialgericht (BSG) in der Entscheidung vom 14. März 2018 (B 12 KR 13/17) fordere. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid, der Geschäftsbesorgungsvertrag verstoße gegen § 6 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), könnten schon von daher nicht richtig sein, als das BSG in der eben genannten Entscheidung ja ausdrücklich ausgeführt habe, dass ein Geschäftsführer, der  kein Mehrheitsgesellschafter sei und auch nicht 50% der Anteile halte, kraft ausdrücklicher Regelung im Gesellschaftsvertrag über eine umfassende Sperrminorität verfügen müsse, um selbstständig zu sein, sodass es ihm möglich sei, ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Genau dies sei vorliegend geschehen. Der Beigeladene habe zudem die Rechtsmacht gehabt, jeden Gesellschafterbeschluss in beliebiger Form herbeizuführen und zwar unabhängig davon, ob es sich um Geschäftsführungsmaßnahmen handelte, die den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb betrafen, oder um solche, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgingen. Die Zustimmung oder Genehmigung der Gesellschafterversammlung, die unter Umständen aus der Satzung erforderlich gewesen wäre, hätte er sich jederzeit selbst geben können, da er im Hinblick auf die M1 alleinvertretungsberechtigt sei.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Mit Gerichtsbescheid vom 8. Dezember 2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die zulässige Anfechtungsklage sei unbegründet. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides vom 9. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2021 sei § 28p Abs. 1 Satz 1 und Satz 5 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Ausgangspunkt für die Entscheidung der Beklagten sei das Vorliegen einer Beschäftigung, denn im streitigen Zeitraum unterlägen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt gewesen seien grundsätzlich und in den von der Beklagten berücksichtigten Grenzen der Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Allgemeiner gesetzlicher Ausgangspunkt für die Beurteilung des Vorliegens einer Beschäftigung sei § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach sei Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sei eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setze eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig sei. Die hierfür entwickelten Grundsätze würden grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH gelten. Ob bei einem Geschäftsführer einer GmbH ein Beschäftigungsverhältnis vorliege, richte sich aber in erster Linie danach, ob er nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen könne, die sein Anstellungsverhältnis beträfen. Bei einem Fremdgeschäftsführer, d.h. einem Geschäftsführer ohne Anteil am Stammkapital scheide eine selbstständige Tätigkeit generell aus. Sei ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sei der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer sei nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern müsse, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht sei bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 v.H. der Anteile am Stammkapital halte. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfüge und damit als Mehrheitsgesellschafter ausscheide, sei grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er sei ausnahmsweise nur dann als Selbstständiger anzusehen, wenn er exakt 50 v.H. der Anteile am Stammkapital halte oder ihm bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende (echte oder qualifizierte), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt sei.  Denn der selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müsse eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber sei eine „unechte“, auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln. Die notwendige Rechtsmacht, die ihn in die Lage versetze, die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen oder zumindest nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können, müsse gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Außerhalb des Gesellschaftsvertrags (Satzung) bestehende wirtschaftliche Verflechtungen, Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte zwischen einem Gesellschafter-Geschäftsführer sowie anderen Gesellschaftern und/oder der GmbH seien nicht zu berücksichtigen.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze habe der Beigeladene im streitigen Zeitraum in einem Beschäftigungsverhältnis zu der Klägerin gestanden, weil er mangels Gesellschafterstellung jedenfalls nicht in seinem eigenen Unternehmen tätig gewesen sei und nach der Rechtsprechung des BSG eine selbstständige Tätigkeit eines Fremdgeschäftsführers generell ausscheide. Der Beigeladene sei auch nicht mit einem Mehrheits- oder zumindest Minderheitsgesellschafter vergleichbar. Dazu sei eine im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht erforderlich, die ihn in die Lage versetze, eine Einflussnahme auf seine Tätigkeit, insbesondere durch ihm unangenehme Weisungen, jederzeit zu verhindern. Insoweit sei in § 4 Abs. 4 der Satzung der Klägerin geregelt, dass der Beigeladene für Geschäftsführungsmaßnahmen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgingen, der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfe. Soweit ihm durch den Geschäftsbesorgungsvertrag vom 20. Januar 2009 die Stellung eines Alleingesellschafters eingeräumt worden sei, wirke diese Regelung lediglich schuldrechtlich und schließe eine Beschäftigung daher nicht aus. Dass er im Regelfall Weisungen über seine Stellung als Prokurist der Alleingesellschafterin verhindern könne, dürfte im Konfliktfall nicht mehr gelten. Dies sei mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren. Eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“ lediglich in harmonischen Zeiten, während im Falle eines Zerwürfnisses die rechtlich bestehende Weisungsgebundenheit zum Tragen käme, sei nicht anzuerkennen.
Die Beklagte habe zutreffend die nachgeforderten Beiträge auf Grundlage der im Geschäftsbesorgungsvertrag vom 20. Januar 2009 bezogenen Vergütung berechnet. Denn dieser stelle die Grundlage für die Tätigkeit des Beigeladenen für die Klägerin als Geschäftsführer dar. Die Vergütung sei erkennbar für diese Tätigkeit geleistet. Fehler der Berechnung der Nachforderung der Beiträge seien im Übrigen weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere sei die Beklagte weitgehend von einer Versicherungsfreiheit ausgegangen und habe lediglich die wegen des Bezugs einer vorgezogenen Vollrente wegen Alters durch den Beigeladenen anwendbaren Vorschriften der §§ 230 Abs. 9, 276a Abs. 1a und 172 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) sowie die Vorschrift des § 346 Abs.3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) berücksichtigt.

Am 3. Januar 2024 hat die Klägerin Berufung gegen den ihrem Bevollmächtigten am 11. Dezember 2023 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellten Gerichtsbescheid zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Der Bevollmächtigte der Klägerin wiederholt die bisherige, im Widerspruchsverfahren und Klageverfahren vorgebrachte Begründung. Der Beigeladene habe nicht und stehe nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu der Klägerin. Unstreitig sei der Beigeladene zwar kein Gesellschafter der Klägerin, er sei jedoch aufgrund einer im Gesellschaftsrecht wurzelnden Rechtsmacht mit einem Mehrheitsgesellschafter vergleichbar. Es sei unstreitig, dass der Beigeladene im Regelfall Weisungen über seine Stellung als Prokurist der Alleingesellschafterin verhindern könne. Die Annahme des SG, dass dies aber im Konfliktfall nicht mehr gelten würde, sei eine bloße Unterstellung. Es habe in den vergangenen Jahren nicht ein einziges Mal einen Konfliktfall gegeben; käme es zu einem Konfliktfall, könne der Beigeladene vor dem Hintergrund seiner umfassenden Einflussnahmemacht auf die Klägerin nur außergewöhnliche, über den normalen Geschäftsbetrieb hinausgehende Maßnahmen nicht beeinflussen. Gemäß § 4 Abs. 4 der Satzung der Klägerin verfüge der Beigeladene über das statuarische und in der Satzung festgeschriebene Sonderrecht, welches das BSG in seiner Rechtsprechung fordere, um für den Fall einer fehlenden Beteiligung eine selbstständige Beschäftigung des Geschäftsführers anzunehmen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 8. Dezember 2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das SG Mannheim habe zu Recht entschieden, dass die Tätigkeit des Beigeladenen als Geschäftsführer als abhängige Beschäftigung ausgeübt worden sei.

Der Beigeladene hat sich der Begründung der Klägerin angeschlossen. Er sei von Anbeginn an selbstständig bei der Klägerin tätig gewesen und habe keine Weisungen erhalten. Er sei nicht weisungsgebunden und auch nicht in einen Betrieb eingegliedert gewesen. Die Klägerin firmiere unter seiner Heimadresse.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte (zwei Bände) der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Berufung ist jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Rechtsgrundlage für die angefochtene Nacherhebung ist § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV. Nach dieser Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern.

Der angefochtene Bescheid ist zunächst formell rechtmäßig. Die erforderliche Anhörung nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist erfolgt (vgl. Schreiben der Beklagten vom 4. November 2020).

Der Bescheid ist hinsichtlich der Nachforderung von Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträgen für den Beigeladenen in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Nach § 28e Abs. 1 SGB IV hat der Arbeitgeber für die bei ihm Beschäftigten die für eine versicherungspflichtige Beschäftigung zu zahlenden Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung (§ 28d Sätze 1 und 2 SGB IV), zu entrichten. Der Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs.1 Satz 1 SGB III). Die Beklagte war als Rentenversicherungsträgerin auch zur Überwachung des Insolvenzgeldumlageverfahrens (sogenannte UI-Umlage) und zum Erlass eines entsprechenden Umlagebescheides befugt. Nach § 359 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in der ab dem 1. Januar 2009 geltenden Fassung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversicherung vom 30.  Oktober 2008 (BGBl. I S. 2130) ist die Umlage zusammen mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Einzugsstelle zu zahlen. Nach Satz 2 finden die für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag geltenden Vorschriften des SGB IV entsprechende Anwendung, damit wiederum § 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV mit seiner die Zuständigkeit der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung begründenden Wirkung.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer solchen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 24.01.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7, BSG vom 4.07.2007, B 11 AL 5/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 8) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeiten über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (ständige Rechtsprechung; vgl. zum Ganzen etwa BSG, Urteil vom 29.08.2012, B 12 KR 25/10 R, SozR 4-2400 § 7 Nr 17 mwN).

Ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zur ursprünglich getroffenen Vereinbarung stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine - formlose - Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (ständige Rechtsprechung des BSG seit mindestens 2008, vgl. auch hierzu BSG, Urteil vom 29.08.2012, a.a.O.).

Diese Maßstäbe gelten auch für Geschäftsführer einer GmbH (vgl. BSG, Urteil vom 14.03.2018, a.a.O.; Urteil vom 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 28; Urteil vom 29.07.2015, B 12 KR 23/13 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 24), und zwar ungeachtet der konkreten Bezeichnung des der Geschäftsführertätigkeit zugrundeliegenden Vertrages. Eine abhängige Beschäftigung von Geschäftsführern ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrags allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans zur Vertretung einer juristischen Person berufen sind, nicht als Arbeitnehmer gelten. Diese Regelung beschränkt sich auf das ArbGG und hat keine Bedeutung für das Sozialversicherungsrecht. Der Zugehörigkeit zu den Beschäftigten der juristischen Person steht auch nicht entgegen, dass Geschäftsführer im Verhältnis zu sonstigen Arbeitnehmern Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen (vgl. BSG, Urteil vom 14.03.2018, a.a.O.; Urteil vom 18.12.2001, B 12 KR 10/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 20). Für die Statusbeurteilung eines GmbH-Geschäftsführer ist der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Selbstständig ist nur derjenige Geschäftsführer, der über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzt, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Bei einem nicht am Stammkapital beteiligten Fremdgeschäftsführer scheidet demzufolge eine selbstständige Tätigkeit generell aus (vgl. BSG, Urteil vom 14.03.2018, a.a.O.; Urteil vom 18.12.2001, a.a.O.). Da die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein muss, sind außerhalb des Gesellschaftsvertrags bestehende Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten, wirtschaftliche Verflechtungen (z.B. durch Darlehens- oder Bürgschaftsübernahmen) sowie tatsächliche Einflüsse kraft familiärer Verbundenheit oder überlegenen Wissens ("Kopf und Seele") nicht zu berücksichtigen. Sie vermögen die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse nicht mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben, weil sie nicht dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände genügen (vgl. BSG, Urteil vom 14.3.2018, a.a.O. mit umfangreichen weiteren Nachweisen).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist das SG zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beigeladene im Streitzeitraum für die Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden ist. Insbesondere hat das SG hier zu Recht ausgeführt, dass der Beigeladene, der über keinerlei Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft verfügt, mangels einer in der Gesellschaft wurzelnden Rechtsmacht keine Möglichkeit hatte (und wohl nach wie vor auch nicht hat), unliebsame Gesellschafterbeschlüsse zu verhindern und somit einem Weisungsrecht unterlag. Der Umstand, dass der Beigeladene eine umfassende Einzelprokura für die M1, Alleingesellschafterin der Klägerin, im streitgegenständlichen Zeitraum besaß, ändert hieran nichts. Die für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht, als Geschäftsführer der Klägerin die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen und zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlungen verhindern zu können, muss gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein (vgl. BSG, Urteil vom 14. März 2018, a.a.O.). Dies war vorliegend gerade nicht gegeben, denn insoweit ist in § 4 Abs. 4 der Satzung der Klägerin geregelt, dass der Beigeladene für Geschäftsführungsmaßnahmen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgingen, der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedurfte. Damit fehlte dem Beigeladenen gerade die Rechtsmacht und rechtliche Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung, um die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Außerdem war die seitens der Gesellschafterin dem Beigeladenen gem. § 42 Abs. 1 Genossenschaftsgesetz (GenG) nach Maßgabe der §§ 48 bis 53 Handelsgesetzbuch (HGB) erteilte Prokura nach § 52 Abs. 1 HGB jederzeit ohne Rücksicht auf das der Erteilung zugrunde liegende Rechtsverhältnis widerruflich. Somit konnte die Gesellschafterin jederzeit (im Konfliktfall) dem Beigeladenen mit unmittelbarer Wirksamkeit jede rechtliche Einflussnahme in Vertretung der Gesellschafterin auf die Geschicke der Klägerin nehmen. Soweit ihm durch den Geschäftsbesorgungsvertrag vom 20. Januar 2009 die Rechte eines Mehrheits- oder Alleingesellschafters bei der M1 eingeräumt worden ist, wirkt auch diese Regelung lediglich schuldrechtlich und schließt eine Beschäftigung daher nicht aus (BSG, Urteil vom 19.09.2019 - B 12 KR 21/19 R -, in Juris).

Bedenken bestehen weiter auch nicht hinsichtlich der im Bescheid geltend gemachten Nachforderung. Maßgeblich ist dabei das dem Beigeladenen zugewandte Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IV. Insoweit hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid in nicht zu beanstandender Weise die Beiträge aus dem an den Beigeladenen gezahlten Arbeitsentgelt errechnet. Hiergegen hat die Klägerin auch keine Einwände erhoben.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Der Beigeladene trägt gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 162 Abs.3 VwGO seine außergerichtlichen Kosten selbst. Der Senat sieht keine Veranlassung, diese Kosten aus Billigkeit der unterliegenden Klägerin aufzuerlegen, weil der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, § 197a Rdnr. 29 m.w.N.).

Die Festsetzung des Streitwerts erfolgt nach § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 47 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz und entspricht der streitigen Nachforderung.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  



 

Rechtskraft
Aus
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