Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Januar 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten streitig ist ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
Der 1971 geborene alleinstehende Kläger ist auf Dauer voll erwerbsgemindert. Er bezieht vom Beklagten ergänzend zu seiner Erwerbsminderungsrente Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII). Diese wurden mit Bescheiden vom 10.07.2019 für die Zeit vom 01.08.2019 bis 31.07.2020 und mit Bescheid vom 03.06.2020 für die Zeit vom 01.08.2020 bis zum 31.07.2021 bewilligt.
Am 05.06.2020 erhielt der Beklagte vom Betreuer des Klägers per E-Mail die Information, dass der Kläger seit 27.05.2020 aufgrund eines richterlichen Unterbringungsbefehls gemäß § 126a Strafprozessordnung (StPO) einstweilig vollstationär im Zentrum für Psychiatrie E1 (ZfP) untergebracht sei. Zu diesem Zeitpunkt waren die bewilligten Leistungen für die Monate Mai und Juni 2020 bereits ausgezahlt. Mit Schreiben vom 15.06.2020 und 24.06.2020 informierte der Beklagte den Betreuer des Klägers darüber, dass der Bewilligungsbescheid vom 03.06.2020 aufgrund der Unterbringung vermutlich geändert werden müsse und grundsätzlich die Gewährung eines Barbetrags sowie ggf. die Übernahme der Mietkosten zur Wohnungssicherung möglich sei. Der Betreuer teilte mit Schreiben vom 18.06.2021 mit, dass der Kläger die Wohnung beibehalten wolle, Miete und Stromkosten aus seiner Rente aufbringen könne und bat im Übrigen um die ergänzende Bewilligung eines Barbetrages. In der Folge korrespondierten Beklagter und Betreuer u.a. über Kosten der Krankenversicherung und Mietnebenkosten. Für Juli und August 2020 zahlte der Beklagte vorübergehend keine Leistungen aus, dann jedoch wieder von September 2020 bis Januar 2021 in ursprünglich bewilligter Höhe. Nachdem der Betreuer unter dem 01.02.2021 mitgeteilt hatte, dass der Kläger laut eines ihm nun vorliegenden Gerichtsurteils zeitlich unbegrenzt im ZfP untergebracht sei, hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 03.06.2020 mit bestandskräftigem Bescheid vom 03.02.2021 mit Wirkung für die Zukunft auf.
Mit Schreiben vom 02.02.2021 hörte der Beklagte den Betreuer zu der Absicht an, auch die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 01.05.2020 bis zum 31.01.2021 aufzuheben und die zu Unrecht erbrachten Leistungen zurückzufordern.
Mit Bescheid vom 18.05.2021 hob der Beklagte den Bescheid vom 10.07.2019 mit Wirkung vom 27.05.2020 bis 31.07.2020 sowie den Bescheid vom 03.06.2020 mit Wirkung vom 01.08.2020 bis 31.01.2021 unter Berufung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) teilweise auf und forderte in der Zeit vom 27.05.2020 bis 31.01.2021 zu Unrecht erbrachte Leistungen in Höhe von 1.934,07 € gemäß § 50 Absatz 1 SGB X zurück. Er führte aus, aufgrund der gerichtlich angeordneten Unterbringung habe für die Zeit ab 27.05.2020 nur noch ein Anspruch auf Gewährung eines Barbetrages bestanden. Dies hätte dem Kläger bzw. seinem Betreuer u.a. aufgrund der früheren Schreiben des Beklagten, wonach nur noch ein geringerer Grundsicherungsanspruch bestehe, bei Auszahlung bekannt sein müssen.
Auf den dagegen mit Schreiben des Bevollmächtigten vom 14.06.2021 erhobenen Widerspruch hörte der Beklagte den Kläger zunächst mit Schreiben vom 26.08.2021 zu der Absicht an, den Bescheid vom 03.06.2020 anstatt auf § 48 Abs. 1 Nr. 4 SGB X auf die Regelungen des § 45 SGB X zu stützen. Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2021 wurde der Widerspruch sodann als unbegründet zurückgewiesen. Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bescheids vom 03.06.2020 sei § 45 SGB X und nicht, wie im Ausgangsbescheid genannt, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X. Der Betreuer habe erst nach Erlass des Bescheides vom 03.06.2020 mitgeteilt, dass der Kläger seit dem 27.05.2020 im ZfP untergebracht worden sei. Da ab diesem Zeitpunkt nur noch ein reduzierter Anspruch auf Grundsicherungsleistungen bestanden habe, sei der Bescheid vom 03.06.2020 im Hinblick auf die Höhe der Grundsicherungsleistungen von Anfang an rechtswidrig. Vertrauensschutz bestehe insoweit u.a. nicht, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Der Kläger bzw. sein Betreuer hätten gewusst, dass die Leistungsvoraussetzungen durch die Aufnahme im ZfP teilweise entfallen seien. Es bestehe grundsätzlich ein allgemeines fiskalisches Interesse an der Vermeidung nicht gerechtfertigter Sozialleistungen. Da der Kläger durch seine Rente die Mittel für Miete und Nebenkosten aufbringen könne und während seines Aufenthalts im ZfP auch der Bedarf an Nahrung, medizinischer Behandlung etc. ausreichend gedeckt werde, stelle die teilweise Rücknahme des Bescheids vom 03.06.2020 und die damit verbundene Erstattung für den Kläger keine besondere Belastung dar, die über dasjenige hinausgehe, was von jedem anderen in einer vergleichbaren Situation geschuldet werde. Daher überwiege das allgemeine fiskalische Interesse an einer teilweisen Rücknahme des Bescheids vom 03.06.2020 und der zu Unrecht erbrachten Leistungen das Interesse des Klägers.
Am 11.10.2021 hat der Bevollmächtigte des Klägers Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und dazu vorgetragen, der Bescheid vom 18.05.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.09.2021 sei rechtswidrig, soweit mit ihm der Bescheid vom 03.06.2020 für die Zeit vom 01.08.2020 bis 31.01.2021 aufgehoben werde und die Leistungen für die Zeit vom 01.09.2020 bis 31.01.2021 zurückgefordert würden. Im Ausgangsbescheid vom 18.05.2021 sei die Rücknahme des Bescheides vom 03.06.2020 auf § 48 SGB X gestützt worden. Ermessen sei hierbei ausdrücklich nicht ausgeübt worden, weil der Beklagte von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen sei. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 13.09.2021 sei die Rücknahme erstmals auf § 45 SGB X gestützt worden. Eine Umdeutung sei aber nach § 43 Abs. 3 SGB X ausgeschlossen, weil eine Aufhebungsentscheidung nach § 48 SGB X (gebundene Entscheidung ohne Ermessen) und eine Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X (mit Ermessen) nicht auf das gleiche Ziel gerichtet seien. Anderslautende Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Recht der Arbeitslosenhilfe und der Arbeitsförderung seien nicht auf die Rücknahme von Sozialhilfebescheiden übertragbar, denn im Bereich der Arbeitslosenhilfe und der Arbeitsförderung sei gemäß § 330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ein Ermessen bei der Rücknahmeentscheidung ausgeschlossen. Daher handele es sich sowohl bei der Aufhebung nach § 48 SGB X als auch bei einer Rücknahmeentscheidung nach § 45 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 3 SGB X um keine Ermessensentscheidung. Im Bereich der Sozialhilfe fehle aber eine § 330 SGB III entsprechende Vorschrift. Daher sei auch in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X Ermessen auszuüben, es sei denn, es liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor. Hiervon sei der Beklagte aber nicht ausgegangen, und es gebe hierfür auch keine Anhaltspunkte. An der Überzahlung treffe den Beklagten auch ein erhebliches Mitverschulden, weil die Leistungen trotz der Kenntnis von der Unterbringung am 10.06.2020 nicht angepasst, sondern (versehentlich) in den Monaten September 2020 bis Januar 2021 wieder ausgezahlt worden seien. Auch hätte für die Rücknahme des Bescheides vom 03.06.2020, der die Leistungen ab August 2020 bewilligt habe, nach dem 10.06.2020 noch ausreichend Zeit bestanden.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Entgegen dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers sei keine Umdeutung erfolgt. Der Beklagte habe vielmehr im Widerspruchsbescheid lediglich die Begründung für die Rücknahme des Bescheids vom 03.06.2020 ausgewechselt und Gründe nachgeschoben. Nach der Rechtsprechung des BSG sei dies zulässig, sofern der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert werde (Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 18/05 R -). Der Bescheid vom 18.05.2021 habe sich in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt nicht wesentlich verändert, denn eine wesentliche Änderung der Tatsachengrundlage oder wesentliche Änderung des Inhalts des Bescheids liege nicht vor. Der Beklagte habe weder neue Ermittlungen angestellt oder dem Kläger dabei gewonnene neue Ermittlungsergebnisse vorenthalten noch sei die Entscheidung auf einen anderen Sachverhalt gestützt oder inhaltlich abgeändert worden. Durch ein erneutes Anhörungsschreiben vom 26.08.2021 sei der Kläger über die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen hinreichend informiert worden, so dass er Gelegenheit gehabt habe, hierzu nochmals sachgerecht Stellung zu nehmen. Die in § 45 SGB X vorgesehene Ermessensentscheidung sei im Widerspruchsverfahren zulässigerweise nachgeholt worden. Die Widerspruchsbehörde sei befugt und bei einem Ermessensausfall oder -fehlgebrauch im Ausgangsbescheid auch gehalten, selbst Ermessenserwägungen anzustellen und sich ggf. an die Stelle der Ausgangsbehörde zu setzen (BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R -).
Die Ermessenserwägungen im Widerspruchsbescheid seien auch nicht fehlerhaft. Der Prozessbevollmächtigte rüge, dass ein vermeintliches Mitverschulden des Beklagten an der Überzahlung nicht bei der Ermessensausübung berücksichtigt worden sei. In der Tatsache, dass der Beklagte für die Monate September 2020 bis Januar 2021 Leistungen ausbezahlt habe, die mit dem zu diesem Zeitpunkt noch wirksamen Bescheid vom 03.06.2020 bewilligt worden seien, liege jedoch kein Mitverschulden des Beklagten. Solange der Sachverhalt nicht abschließend geklärt gewesen und der Bewilligungsbescheid vom 18.05.2021 nicht aufgehoben worden sei, habe auch ein Anspruch des Klägers auf Auszahlung der bewilligten Leistungen bestanden. Die Leistungen hätten daher nicht einfach einbehalten werden dürfen. Für den Kläger sei bereits erkennbar gewesen, dass die auf dem Bescheid vom 03.06.2020 beruhenden Auszahlungen in dieser Höhe nicht berechtigt waren. Er habe daher mit einer Rückforderung rechnen müssen. Soweit dennoch ein Mitverschulden gesehen werde, führe dies nicht dazu, dass eine Ermessensabwägung zugunsten des Klägers hätte erfolgen müssen. Nach der Rechtsprechung des BSG sei der Verwaltungsträger im Rahmen seiner Ermessensabwägung nicht verpflichtet, eigene Fehler in das Ermessen zugunsten des Betroffenen einzustellen. Selbst unter Berücksichtigung eines solchen Mitverschuldens führe die Abwägung der gegenseitigen Interessen dazu, dass das allgemeine fiskalische Interesse an einer teilweisen Rücknahme des Bescheides vom 03.06.2020 und der Erstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen das Interesse des Klägers am Behaltendürfen der Leistungen überwiege.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 15.01.2024 abgewiesen. Die form- und fristgerecht erhobene Klage sei auch im Übrigen zulässig und als Anfechtungsklage statthaft (§ 54 Abs. 1 Var. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie sei aber nicht begründet. Der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 18.05.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.09.2021 sei rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Rücknahme des Bewilligungsbescheids vom 03.06.2020 sei § 45 SGB X. Bestandskräftige begünstigende Verwaltungsakte wie dieser dürften danach nur dann mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wenn a) der Bewilligungsbescheid von Anfang an rechtswidrig war (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X), b) der Bescheidadressat gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X einen der Tatbestände des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X oder des § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB X erfüllt, c) die Behörde die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten, d) ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt (§ 45 Abs. 1 Satz 1: „darf“) und schließlich e) den Bescheidadressaten zu den für die Aufhebungsentscheidung erheblichen Tatsachen angehört habe (§ 24 Abs. 1 SGB X).
Der Bewilligungsbescheid vom 03.06.2020 sei von Anfang an objektiv rechtswidrig gewesen. Denn infolge seiner vollstationären Unterbringung im ZfP bereits seit 27.05.2020 habe der Kläger bei Erlass des Bescheides lediglich Anspruch auf Gewährung des Barbetrags gehabt, nicht jedoch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in der bewilligten Höhe, insbesondere nicht auf den Regelbedarf für das soziokulturelle Existenzminimum gemäß § 42 Nr. 1 SGB XII i.V.m. der Anlage zu § 28 SGB XII. Der Kläger - oder vielmehr sein insoweit als gesetzlicher Vertreter maßgeblicher Betreuer (vgl. Schütze in Schütze, SGB X, 9.Aufl. 2020, § 45 Rn. 71; Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl. Stand: 05.02.2024, § 45 Rn. 97) - hätten auch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gekannt und so den Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Var. 1 SGB X erfüllt. Der Beklagte habe u.a. im Bewilligungsbescheid vom 03.06.2020 unter „sonstige Hinweise“ darauf aufmerksam gemacht, dass „bei stationären Aufenthalten in Krankenhäusern, Kureinrichtungen oder ähnlichen Einrichtungen (…) der Regelsatz um den für die Ernährung enthaltenen Anteil zu kürzen“ sei sowie gebeten „uns über jeden stationären Aufenthalt“ zu informieren, „da sich auch bei kurzzeitigen stationären Aufenthalten (...) Änderungen bei der Verbuchung der Leistungen ergeben können.“ Ob aufgrund dieser (eher unspezifischen) Hinweise oder unabhängig davon, jedenfalls sei dem Betreuer bekannt, dass die - ihm ausweislich des Eingangsstempels auf dem Unterbringungsbefehl am 29.05.2020 bekannt gegebene (vgl. Verwaltungsakte S. 329) - Unterbringung des Klägers im ZfP dessen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen verringere. Denn bereits am 05.06.2020 habe er sich beim Beklagten nach dem weiteren Vorgehen erkundigt und mit Schreiben vom 18.06.2020 sinngemäß die Bewilligung eines Barbetrages beantragt. Die Rechtswidrigkeit der Bewilligung und die Kenntnis des Betreuers hiervon seien im Übrigen unstreitig, ebenso wie die hier offensichtliche Wahrung der Jahresfrist aus § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.
Der Beklagte habe schließlich auch das ihr von § 45 Abs. 1 SGB X eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Er habe erkannt, dass ihm ein Rücknahmeermessen zugestanden habe und dieses auch ausdrücklich betätigt. Diese Ermessensbetätigung sei gerichtlich (nur) auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren, insbesondere zu prüfen, ob der Beklagte für die zur Ausschöpfung seines Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange vollständig ermittelt, in die Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt habe. Dabei stehe es der Behörde in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (BSG, Urteil vom 30.10.2013 - B 12 R 14/11 R -, Rn. 30 nach <juris>). Der Beklagte habe hier, wie der Begründung des Widerspruchsbescheids zu entnehmen, neben dem Grad des Vertrauensschutzes die persönlichen Verhältnisse des Klägers im Rücknahmezeitraum in seine Ermessenerwägungen einbezogen und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Rückforderung der Überzahlung zu keiner besonderen Härte führe, sodass er die Verpflichtung zur gesetzestreuen Ausführung der rechtlichen Vorschriften und damit den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandels als den Vertrauensschutz überwiegend eingeschätzt habe. Der Beklagte habe damit alle abwägungsrelevanten Punkte bei der Ermessensausübung in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt.
Insbesondere stelle die fehlende Berücksichtigung eines behördlichen Mitverschuldens hier keinen Ermessensfehler dar. Zwar habe der Beklagte bereits seit Juni 2020 Kenntnis von der Unterbringung des Klägers gehabt. Er hätte daher noch vor der Auszahlung der mit Bescheid vom 03.06.2020 für die Monate September 2020 bis Januar 2021 bewilligten Beträge eine Rücknahme dieses Bescheids hinsichtlich des Regelbedarfs prüfen und ggf. vornehmen können. Hiervon habe der Beklagte abgesehen, weil er zunächst den Sachverhalt vollumfänglich, auch hinsichtlich der Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Krankenversicherung, vollständig aufklären wollte, um einen einheitlichen kassatorischen Bescheid für den gesamten Bewilligungszeitraum zu erlassen. Ob dies dem Beklagten überhaupt vorzuwerfen sei, erscheine fraglich. Das Vorgehen sei aus verwaltungsökonomischer Sicht durchaus sinnvoll gewesen, und der Beklagte habe gegenüber dem Betreuer des Klägers schon seit dem Schreiben vom 24.06.2020 klar kommuniziert, dass während der Unterbringung anstelle des Regelbedarfs lediglich noch Anspruch auf den Barbetrag bestehe. Demgegenüber stelle die Auszahlung der Leistungen in den Monaten September 2020 bis Januar 2021 schon deshalb kein Fehlverhalten des Beklagten dar, weil er hierzu aufgrund des bei jeweiliger Fälligkeit noch nicht zurückgenommenen und daher wirksamen Bewilligungsbescheids vom 03.06.2020 rechtlich verpflichtet war.
Jedenfalls aber würde ein etwaiges Mitverschulden des Beklagten in Form der erst später erfolgten Rücknahme auch nicht dazu führen, dass das Ermessen im Sinne eines (ggf. teilweisen) Absehens von der Aufhebung der Bewilligung ausgeübt werden müsste. Denn nach der Rechtsprechung des BSG seien lediglich grobe Fehler der Verwaltung und diese nur dann zu berücksichtigen, wenn sie das Vertrauen des Begünstigten im Sinne einer Fehlerperpetuierung nachhaltig und zusätzlich gestärkt haben (BSG a.a.O. Rn. 32ff. nach <juris> m.w.N.). Hier könne schon nicht von einem groben Fehler ausgegangen werden. Es handele sich allenfalls um ein Versehen und keinen eklatanten Verstoß gegen Sorgfaltspflichten, wenn die früher mögliche Rücknahme eines Bewilligungsbescheids aus nachvollziehbaren Gründen zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen werde und infolgedessen Leistungen noch ausbezahlt würden. Auch sei dadurch ein Vertrauen des Klägers in die Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung weder begründet noch perpetuiert worden. Denn der Beklagte habe aufgrund der mit dem Betreuer des Klägers bereits seit Juni 2020 geführten Korrespondenz davon ausgehen dürfen, dass diesem bekannt sei, dass dem Kläger Leistungen in der bewilligten Höhe für die Dauer der Unterbringung nicht mehr zustehen.
Der Beklagte habe ferner in zulässiger Weise die ursprünglich im Ausgangsbescheid genannte Rechtsgrundlage § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X durch § 45 SGB X ersetzen dürfen. Dem stehe nicht etwa § 43 Abs. 3 SGB X entgegen, der die Umdeutung einer gebundenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung verbiete. Denn der Beklagte habe entgegen der klägerischen Auffassung den Ausgangsbescheid durch den Widerspruchsbescheid nicht umgedeutet, sondern lediglich die zunächst unzutreffende Begründung durch die zutreffende ersetzt. Da die durch den Verfügungssatz des Ausgangsbescheids getroffene Regelung unangetastet bleibe, werde mit dem Rückgriff auf eine andere Grundlage für die ausgesprochene Rücknahme nicht ein auf das gleiche Ziel gerichteter anderer Verwaltungsakt begründet, sondern nur die rechtliche Begründung der im angefochtenen Bescheid getroffenen Regelung richtiggestellt. Dieses „Nachschieben von Gründen“ (richtigerweise: Stützen der Entscheidung auf eine andere Rechtsgrundlage) sei zulässig, soweit ein Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert werde (BSG, Urteil vom 21.06.2011 - B 4 AS 22/10 R -, Rn. 26 nach <juris> m.w.N.). Hier ändere die neue Rechtsgrundlage weder Regelungsumfang noch Wesensgehalt des Ausgangsbescheids. Sowohl § 45 Abs. 1 SGB X als auch § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X hätten insgesamt die Aufhebung des Verwaltungsakts zum Ziel (Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl. Stand: 15.01.2024, § 45 Rn. 135). Dem Austausch der Rechtsgrundlage stehe auch keine unzulässige Beeinträchtigung oder Erschwerung der Rechtsverteidigung des Klägers entgegen. Eine solche sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte die Ermessensausübung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens durch eine erneute Anhörung nach § 24 SGB X mit Schreiben vom 26.08.2021 vorbereitet habe.
Der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeverfügung stehe schließlich nicht entgegen, dass eine Ermessensausübung sich erstmals aus dem Widerspruchsbescheid ergebe. Die Rechtmäßigkeit ihrer Nachholung im und durch das Widerspruchsverfahren beruhe auf § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG, wonach auch die Zweckmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen sei. Die Widerspruchsbehörde sei daher im Widerspruchsverfahren befugt und bei einem Ermessensausfall im Ausgangsbescheid wie hier auch gehalten, selbst Ermessenserwägungen anzustellen und sich ggf. an die Stelle der Ausgangsbehörde zu setzen (vgl. BSG, Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 1/15 R -, Rn. 38 nach <juris>).
Rechtsgrundlage für die Erstattung der aufgrund des Bewilligungsbescheids vom 03.06.2020 erbrachten Leistungen in Höhe von 1.934,07 € sei § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach seien bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit der zugrundeliegende Verwaltungsakt aufgehoben wurde. Der Beklagte habe ferner, § 50 Abs. 3 Satz 2 SGB X folgend, die Festsetzung des Erstattungsanspruchs mit der Aufhebung verbunden.
Gegen das dem Bevollmächtigten des Klägers am 07.02.2024 zugestellte Urteil richtet sich die am 08.02.204 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung, mit der der sein Begehren weiterverfolgt. Die Aufhebungsentscheidung verstoße gegen § 43 Abs. 3 SGB X und sei daher rechtswidrig. Dass im Widerspruchsverfahren eine Umdeutung einer gebundenen Entscheidung in eine Ermessenentscheidung zulässig wäre, finde weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung sowie der Literatur eine Stütze. Eine Umdeutung wäre daher vorliegend nur dann zulässig, wenn es sich um eine gebundene Rücknahmeentscheidung handeln würde. Der Beklagte sei hiervon aber nicht ausgegangen, weil er im Widerspruchsbescheid ja tatsächlich Ermessen ausgeübt hat. Es sei nicht nachvollziehen, warum es für zulässig erachtet werde, eine gebundene Entscheidung nach § 48 SGB X in eine Entscheidung nach § 45 SGB X umzudeuten.
Der Kläger beantragt sinngemäß
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Januar 2024 und den Bescheid des Beklagten vom 18. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2021 insoweit aufzuheben, als mit ihm die Aufhebung des Bescheides vom 3. Juni 2020 und die Erstattung von Leistungen für die Zeit vom 1. August 2020 bis 31. Januar 2021 verfügt wurde.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Mit Beschluss vom 15.05.2024 hat der erkennende Senat den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Berufungsverfahren abgelehnt.
Mit Schreiben vom 04.06.2024 und 12.11.2024 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen. Die Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Berufungsausschließungsgründe liegen nicht vor (§ 144 SGG). Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 153 Abs. 4 SGG kann das LSG - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Im vorliegenden Fall sind die Berufsrichter des Senats einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass die Berufung unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich ist. Die Beteiligten sind auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 153 Abs. 4 SGG hingewiesen und ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Eine Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich.
Das angefochtene Urteil des SG Freiburg vom 15.01.2024und der Bescheid des Beklagten vom Bescheid vom 18.05.2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13.09.2021 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
In dem im PKH-Verfahren ergangenen Beschluss vom 15.05.2024 hat der Senat hierzu ausgeführt:
„Das Urteil des SG wird aller Voraussicht nach Bestand behalten. Denn der Beklagte dürfte im Rahmen des Widerspruchsverfahrens in nicht zu beanstandender Weise den dort angefochtenen Bescheid vom 18. Mai 2021, soweit mit ihm die Aufhebung des Bescheides vom 3. Juni 2020 bezüglich des Zeitraumes 1. August 2020 bis 31. Januar 2021 verfügt und dort auf § 48 SGB X gestützt worden war, nach der erfolgten Anhörung vom 26. August 2021 dahingehend abgeändert haben, dass dieser nunmehr auf § 45 SGB X gestützt wird und die damit notwendige Ermessensentscheidung wie bereits vom SG ausgeführt ermessensfehlerfrei nachgeholt und ausgeübt haben dürfte.
Ein Verwaltungsakt ändert einen anderen Verwaltungsakt im Sinne des § 86 HS. 1 SGG ab, wenn sich die Regelungsbereiche der Verwaltungsakte zumindest teilweise überschneiden, d.h. die Verwaltungsakte müssen zumindest teilweise denselben Streitgegenstand betreffen. Ob eine teilweise Überschneidung des Regelungsbereiches vorliegt, ist durch einen Vergleich der Verfügungssätze zu ermitteln. Der abändernde Bescheid muss den Verfügungssatz des ursprünglichen Bescheids modifizieren. Maßgeblich ist, ob die von dem angefochtenen Verwaltungsakt ausgehende belastende Wirkung verstärkt oder verringert wird (Senger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86 SGG [Stand 3. April 2024] Rn. 18). So ist es hier der Fall. Denn der Beklagte hat nach Einschätzung des Senates den Bescheid vom 18. Mai 2021 bezüglich des hier streitigen Zeitraumes nach vorheriger Anhörung und einer fehlerfreien Ermessensentscheidung gem. § 86 1.HS SGG abgeändert und nunmehr ist Gegenstand des Verfahrens dieser Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2021 als auf § 45 SGB X gestützter Aufhebungsbescheid.
Die von der Klägerseite angesprochene Rechtsprechung des BSG (BSG, Urteil vom 7. April 2016 - B 5 R 26/15 R - und Urteil vom 25. Mai 2018 - B 13 R 33/15 R - jeweils in juris zum Nachschieben von Gründen und zur Umdeutung) dürfte hier aus Sicht des Senates nicht einschlägig sein, da in den dort entschiedenen Fällen die jeweilige Beklagte (dort die DRV) sowohl im Ausgangsbescheid als auch im Widerspruchsbescheid ihre Entscheidung auf § 48 SGB X gestützt hatte, den Ausgangsbescheid damit gerade nicht noch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nach § 86 1. HS SGG abgeändert und infolgedessen auch keinerlei Ermessensausübung noch vorgenommen hatte.
Zu berücksichtigen wäre hier ferner, dass dies keine Schlechterstellung des Klägers bedeutet, denn der Beklagte hätte ohne weiteres noch (die Jahresfrist war seit der Anhörung mit Schreiben vom 2. Februar 2021 noch nicht abgelaufen) den Bescheid vom 18. Mai 2021 auch ausdrücklich insoweit aufheben und einen neuen Aufhebungsbescheid gestützt auf § 45 SGB X erlassen können.“
An dieser rechtlichen Beurteilung hält der erkennende Senat nach nochmaliger Prüfung und unter Würdigung des Berufungsvorbringens fest und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf sowie auf die zutreffenden Entscheidungsgründe im Urteil des SG (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend mit Blick auf das Vorbringen der Kläger-Seite ist lediglich Folgendes zu ergänzen:
Die Behörde hat grundsätzlich die Möglichkeit, ihre Entscheidung im Widerspruchsverfahren korrigierend auf eine andere Rechtsgrundlage zu stützen, d.h. mit einer anderen Rechtsgrundlage zu begründen. Das ist zulässig, soweit der Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des Betroffenen in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert wird (BSG, Urteile vom 15.06.2016 - B 4 AS 41/15 R -; vom 10.09.2013 - B 4 AS 89/12 R -, vom 21.06.2011 - B 4 AS 22/10 R - und vom 24.02.2011 - B 14 AS 87/09 R -). Sind - hierauf hat der Beklagte vorliegend seine Entscheidung gestützt - auch die subjektiven Voraussetzungen des § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erfüllt, ist der "Austausch" der Rechtsgrundlage unschädlich (BSG, Urteile vom 15.06.2016 - B 4 AS 41/15 R - juris Rn. 15, vom 10.09.2013 - B 4 AS 89/12 R - BSGE 114, 188 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 62, juris Rn. 29; vom 29.06.2000 - B 11 AL 85/99 R - BSGE 87, 8, 10 = SozR 3-4100 § 152 Nr. 9 Seite 28 f).
Ein Nachschieben von Gründen in diesem Sinne ist bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens möglich (Öndül in jurisPK-SGB I § 33 Rn. 83), sofern der Verwaltungsakt nicht in seinem Wesen verändert wird oder mit anderweitigen Nachteilen für den Kläger verbunden ist, was im vorliegenden Fall aus den vom SG zutreffend dargestellten Gründen nicht der Fall ist. Keine Wesensänderung bedeutet es dabei, wenn die Behörde allein die Rechtsgrundlage eines Verwaltungsakts austauscht, denn hierdurch wird grundsätzlich nicht dessen Regelung berührt (BSG, Urteil vom 15.08.2002 - B 7 AL 38/01 R - juris Rn. 26 - SozR 3-1300 § 24 Nr. 21), unabhängig davon, ob die (ausgewechselte) Rechtsgrundlage gewissermaßen als vorgezogenes Begründungselement in den Verfügungssatz des Widerspruchsbescheids eingestellt oder erst in der Begründung genannt und geprüft wird. Denn die Rücknahme wird in diesem Fall nur mit einer anderen Rechtsgrundlage begründet, die Regelung bleibt aber dieselbe. Aufhebung nach § 48 SGB X und Rücknahme nach § 45 SGB X sind letztlich auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet; die unterschiedliche Terminologie ändert nichts an der Rechtsfolge, die in einer Aufhebung (in einem weiten Sinn) der Bewilligung besteht (Eicher in: jurisPR-SozR 6/2023 Anm. 4; Eicher in: Eicher/Spellbrink, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 40 Rn. 13 f.).
Die Möglichkeit des Auswechselns der Rechtsgrundlage bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahren rechtfertigt sich auch aus dem Wesen des zweigliedrigen Verwaltungsverfahrens im Bereich der Anfechtungsklage, wonach Klagegegenstand der Ausgangsbescheid in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 95 SGG). Dies schließt die grundsätzliche Möglichkeit des Nachschiebens von Gründen bis zu diesem Zeitpunkt mit ein.
Inwieweit die Auswechselung der Rechtsgrundlage im gerichtlichen Verfahren - ggf. nur nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 43 SGB X - möglich ist, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls betreffen, wie der Senat bereits im Beschluss vom 15.05.2024 dargelegt hat, die von der Klägerseite herangezogenen Entscheidungen (BSG, Urteile vom 07.04.2016 - B 5 R 26/15 R - und vom 25.05.2018 - B 13 R 33/15 R -) eine von der vorliegenden abweichende Konstellation, indem die behördliche Aufhebungsentscheidung sowohl im Ausgangsbescheid als auch im Widerspruchsbescheid auf § 48 SGB X gestützt worden war, und der Ausgangsbescheid damit gerade nicht noch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nach § 86 1. HS SGG abgeändert worden und infolgedessen auch keinerlei Ermessensausübung vorgenommen worden war (vgl. zum Nachschieben von Gründen im gerichtlichen Verfahren BSG, Urteile vom 11.07.2024 - B 4 AS 14/23 R - juris Rn. 10, vom 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R - BSGE 108, 258 = SozR 4-4200 § 11 Nr. 39, juris Rn. 34 und vom 08.12.2020 - B 4 AS 46/20 R - BSGE 131, 128 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 24, juris Rn. 21 m.w.N.).
Beabsichtigt die Behörde einen Austausch der Rechtsgrundlage im Widerspruchsverfahren, verpflichtet sie § 24 Abs. 1 SGB X vor Erlass des Widerspruchsbescheides zu einer erneuten Anhörung, wenn sie Voraussetzungen einer anderen Rechtsgrundlage für gegeben hält, die von der vorherigen abweichen und zu denen der Beteiligte noch nicht angehört wurde (BSG, Urteile vom 26.07.2016 - B 4 AS 47/15 R - juris Rn. 13 und vom 09.11.2010 - B 4 AS 37/09 R - juris Rn. 13; Apel in: jurisPK-SGB X § 24 Rn. 34). Auch diesen Anforderungen hat der Beklagte vorliegend Rechnung getragen.
Die angefochtenen Bescheide sind auch im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 3026/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 442/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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