Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 24. Mai 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger sind Rechtsnachfolger des 1969 geborenen und 2023 verstorbenen Versicherten (nachfolgend: V), der bis zu seinem Tod ein auf Zahlung von Erwerbsminderungsrente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) gerichtetes Verfahren gegen die Beklagte betrieben hatte.
V war zuletzt bis Februar 2020 in einer Metallfabrik als Arbeiter beschäftigt und seit März 2020 arbeitslos. Am 06.05.2021 beantragte er bei der Beklagten die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte zog Befundberichte beim behandelnden K1 bei. In einem Befundbericht für die Deutsche Rentenversicherung vom 04.10.2021 stellte dieser die Diagnosen koronare Dreigefäßerkrankung, alter Myokardinfarkt 1 Jahr und länger zurückliegend (2013), Herzinsuffizienz links und schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome. In einem Attest vom 06.09.2022 diagnostizierte K1 eine koronare Herzkrankheit (KHK), Herzinsuffizienz, arterielle Hypertonie, Depression und Leistungseinschränkung und führte hierzu aus, aufgrund der Erkrankungen sei der Kläger nicht mehr belastbar und könne nicht mehr als drei Stunden täglich arbeiten. Ein GdB von 50 % liege vor. Er habe ihm zu einem Rentenantrag geraten. In den beigezogenen Befundberichten des M1 (Kardiologisches Zentrum) vom 13.01.2020, 08.02.2021, 23.08.2021 und 07.03.2022 werdem im Wesentlich gleichlautend von einem kompensierten Stadium der chronischen Herzinsuffizienz berichtet, bei welchem eine Therapieänderung nicht erforderlich sei.
Die Beklagte ließ V durch die S1 sozialmedizinisch begutachten. S1 stellte im Gutachten vom 08.04.2022 eine koronare Dreigefäßerkrankung, Vorderwandinfarkt, Stentimplantation 2013 und eine mittelgradig eingeschränkte Herzfunktion, dazu Bluthochdruck und eine Fettstoffwechselstörung fest. Zum Begutachtungszeitpunkt liege allenfalls eine leichte depressive Verstimmung vor. Anamnestisch sei zu eruieren, dass der Kläger immer wieder Ängste habe, vor allem wenn die Brust- und Rückenschmerzen auftreten würden. Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Metallbieger in einer Metallfabrik bestehe ein unter dreistündiges Leistungsvermögen, für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr.
Durch Bescheid vom 12.05.2022 lehnte die Beklagte den Rentenantrag unter Hinweis auf das Gutachten von S1 mit der Begründung ab, es bestehe keine teilweise oder volle Erwerbsminderung. Der Widerspruch des V wurde mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2022 zurückgewiesen.
Am 19.12.2022 hat V Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erheben lassen. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Er sei nicht mehr zu irgendeiner körperlich unter Wettbewerbsbedingungen zu verrichtenden beruflichen Tätigkeit in der Lage. Sein Leistungsvermögen sei vorwiegend durch Befunde des internistischen Fachgebietes vollständig aufgehoben. Seit vielen Jahren bestehe eine koronare Dreigefäßerkrankung mit Zustand nach PTCA und mehrfacher Stent-Implantation. Hinzu komme ein Zustand nach Myokard-Vorderwandinfarkt. Es bestehe eine ischämische dilatative Kardiomyopathie. Aufgrund dieser chronischen Erkrankungen bestehe ein seit vielen Jahren anhaltendes Stadium der chronischen Herzinsuffizienz. Aufgrund der schweren Herzerkrankung mit Herzinfarkten habe V massive Ängste entwickelt, erneut einen Herzinfarkt zu erleiden. Die Ängste stellten sich ein, sobald die Brust- und Rückenschmerzen einsetzten.
Das SG hat weitere Behandlungsunterlagen beim S2 Klinikum, bei M1 und bei K1 für die Zeit ab 01.04.2022 angefordert.
Das S2 Klinikum hat mitgeteilt, V habe sich zuletzt 2019 in der dortigen kardiologischen Behandlung befunden.
K1 hat einen Laborbericht des L1 Laborzentrums B1 vom 06.04.2022 sowie einen Bericht über eine lungenfachärztliche Untersuchung des C1 vom 23.05.2022
vorgelegt. Danach ergab sich röntgenologisch kein richtungsweisender Befund. Eine obstruktive Ventilationsstörung konnte ausgeschlossen werden, ebenso eine bronchiale Hyperreagibilität (Übererregbarkeit). Es wurde der Verdacht auf einen gastroösophagealen Reflux geäußert. Weiter wurde ein Bericht des M1 vom 20.06.2022 über eine Langzeit-EKG-Auswertung über ca. 24 Stunden vom 20.06.2022 vorgelegt. Danach wurden im Zeitraum von 23 Stunden und 56 Minuten 40 SVES und ca. 160 polytope VES registriert, keine Pausen. Im Tagebuch wurden keine Herzbeschwerden angegeben. Zur weiteren Begründung hat V unter dem 29.03.2023 (nochmals) das Attest des K1 vom 06.09.2022 vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme von L2 vom 09.03.2023. Danach ergebe sich unter Auswertung des Langzeit-EKG und der lungenärztlichen Untersuchung keine Änderung gegenüber der bisherigen Leistungsbeurteilung.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24.05.2023 abgewiesen. Eine Erwerbsminderung sei aufgrund der bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht nachgewiesen. V sei nach wie vor dazu in der Lage, zumindest leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden und mehr täglich im Rahmen eine Fünf-Tage-Woche nachzugehen. Bei ihm ließen sich auf keinem medizinischen Fachgebiet, d.h. weder auf internistischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet Erkrankungen finden, die für sich betrachtet oder in der Gesamtschau relevante Leistungseinschränkungen in quantitativer Hinsicht begründen könnten. Das Gericht folge der Leistungseinschätzung der im Verwaltungsverfahren beauftragten Gutachterin S1 sowie der ärztlichen Stellungnahme des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten, welche das Gericht jeweils im Wege des Urkundenbeweises verwerte. Danach bestünden beim Kläger Beschwerden wie Brustschmerzen sowie Atemnot bei Belastung im Vordergrund, die im Zusammenhang stünden mit dem Herzinfarkt vor zehn Jahren. Die körperliche Untersuchung des Klägers habe aber keine wesentlichen Auffälligkeiten des medikamentös gut eingestellten Herz-Kreislauf-Systems mit Ausnahme eines etwas erhöhten Blutdrucks gezeigt. Allerdings habe der Kläger seine Medikamente vor der Untersuchung noch nicht eingenommen. Die erst bei stärkerer körperlicher Belastung auftretende Atemnot habe während der ärztlichen Untersuchung nicht bestanden. Wegen der hausärztlich attestierten Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis bestünden erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeiten, deren Abklärung bislang nicht erfolgt sei, zumal zum Zeitpunkt der Begutachtung allenfalls eine leichte depressive Verstimmung vorgelegen habe.
Eine quantitative Leistungseinschränkung sei nach alldem nicht feststellbar, auch wenn nicht verkannt werde, dass K1 eine solche annehme. Dieser begründe die genannte Einschränkung jedoch pauschal mit dem Verweis auf jene Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet und die Depression. Die hausärztliche Leistungsbeurteilung sei jedoch durch S1 und L2 widerlegt, sodass sich das Gericht dem anschließe. Aus den medizinischen Unterlagen ergebe sich ein klares und eindeutiges Bild der lediglich qualitativen Leistungseinschränkungen. Bei einer Gesamtbetrachtung seien dauerhafte gravierende Leistungseinschränkungen nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass bei V eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung vorliege, bestünden nicht.
Gegen den dem Prozessbevollmächtigten von V am 25.05.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 28.05.203 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Das SG hätte die behandelnden Ärzte, K1, und M1, sowie die Ärzte des S2-Klinikums als sachverständige Zeugen zum Leistungsvermögen des Klägers befragen müssen.
Der Senat hat am 01.08.2023 S3 mit der Erstellung eines Gutachtens auf internistischem Fachgebiet beauftragt. Der Bevollmächtigte des Klägers hat hiergegen eingewendet, die behandelnden Ärzte hätten vor Einholung eines Sachverständigengutachtens gehört werden müssen. Hierauf hat der Vorsitzende der Kläger-Seite unter dem 22.11.2023 mitgeteilt, dass keine Veranlassung gesehen wurde, nochmals bei den benannten behandelnden Ärzten nachzufragen. Das SG habe bereits im Februar 2023 Krankenunterlagen bei diesen Ärzten angefordert. Es seien bezogen auf M1 und K1 Arztbriefe mit den dort erhobenen Befunden vorgelegt worden und von der S2 Klinik sei mitgeteilt worden, dass der Kläger dort zuletzt 2019 in Behandlung gewesen sei und daher aktuelle Befunde (ab April 2022) nicht vorgelegt werden könnten.
Auf Mitteilung von S3, dass er nach Eintritt in den Ruhestand nur noch Gutachten nach Aktenlage anfertige, hat der Senat unter dem 16.01.2024 den Gutachtensauftrag aufgehoben mit der Begründung, dass im Klage- und auch im Berufungsverfahren bislang keine Begutachtung auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung erfolgt sei. Am 16.01.2024 ist stattdessen der G1 mit der Erstellung eines Gutachtens nach einer ambulanten Untersuchung des V beauftragt worden.
Am 23.01.2024 hat die Witwe des V mitgeteilt, dass V am 23.10.2023 verstorben ist. Auf Nachfrage des Gerichts hat der Prozessbevollmächtigte unter dem 27.02.2024 mitgeteilt, dass das Verfahren von seiner Witwe (Klägerin zu 1.), der Tochter (Klägerin zu 2.) und dem Sohn (Kläger zu 3.) fortgeführt werde.
Der Senat hat K1 und M1 (Kardiologisches Zentrum P1) als sachverständige Zeugen dazu befragt, wann der Kläger zuletzt bei ihnen in Behandlung gewesen sei und welche Befunde zuletzt erhoben worden waren.
K1 hat mitgeteilt, dass der Kläger letztmals am 18.10.2023 bei ihm gewesen sei. Er habe Ferrlicit wegen Eisenmangel bekommen.
M1 hat einen Arztbrief (an K1) vom 13.10.2023 vorgelegt. Darin hat er folgende Diagnosen gestellt: Koronare Dreigefäßerkrankung, Zustand nach PTCA und Stentimplantation der LAD mit 2fach-Stentimplantation sowie LCX, DE-Stentimplantation, Z. n. Myokardvorderwandinfarkt mit Vorderwandnarbe und umschriebener Aneurysmabildung (2013), ischämische dilatative Kardiomyopathie. Gutes Langzeitergebnis Koro Siloah 5/2014, CVRF: Zustand nach Nikotin, Hypercholesterinämie, arterielle Hypertonie. Zur Epikrise wird ausgeführt, es finde sich weiterhin ein kompensiertes Stadium der chronischen Herzinsuffizienz. Aus prognostischen Gründen könne Forxiga 10 mg zusätzlich eingenommen werden. Ein Rezept sei ausgestellt worden. Eine Verlaufskontrolle könne im kommenden Jahr erfolgen.
Der Senat hat sodann G1 mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt.
Im sozialmedizinischen Gutachten vom 20.05.2024 hat G1 ausgeführt, V habe an einer ischämischen dilatativen Kardiomyopathie gelitten. Die koronare Dreigefäßerkrankung sei mittels zahlreicher Stents weitgehend behoben worden. Alle Formen der dilatativen Kardiomyopathie neigten dazu, Herzrhythmusstörungen zu entwickeln. Würden diese nicht erkannt, könnten diese zum unerwarteten und plötzlichen Herztod infolge Kammerflimmern führen. M1 habe unter dem 20.06.2022 über das Ergebnis des Langzeit-EKG mit 160 polytopen VES (also ventrikuläre Extraschläge, die von verschiedenen Stellen der linken Herzkammer ausgingen) und von 3er und 5er Salven berichtet. Diese komplexen Rhythmusstörungen seien eine Indikation für eine ICD-Implantation. Der Defibrillator führe zu einer raschen Entladung dieser Extraschläge (Elektroschock), so dass das Kammerflimmern ausbleibe. Diese Entladung werde vom Patienten selbstverständlich gespürt und sei sehr unangenehm, rette ihm aber das Leben. Insgesamt könne man davon ausgehen, dass der 54-jährige V an einem Kammerflimmern plötzlich und unerwartet gestorben sei. Inwieweit der M1 eine ICD-Implantation ins Auge gefasst hatte, sei nicht bekannt, die Gefahrenlage dürfte ihm als Fachmann bekannt gewesen sein. Zwar sei die koronare Dreigefäßerkrankung (wohl erfolgreich) behoben worden, insoweit habe also kein Anlass zur Besorgnis bestanden. Gleichwohl habe es sich bei V um einen Hochrisikopatienten gehandelt. S1 habe vermutlich den Befund des Langzeit-EKG nicht gekannt. Eine Folge unglücklicher Umstände habe zum plötzlichen Herztod von V beigetragen.
Auf Nachfrage des Senats hat G1 unter dem 15.07.2024 ergänzend ausgeführt, vor dem Tode des V habe eine hochgradige Gefährdung, aber noch keine bereits eingetretene Erwerbsminderung im engeren Sinne bestanden. Ein Kammerflimmern sei aufgrund des vorgelegten Langzeit-EKG und der Kardiomyopathie möglich bis sehr wahrscheinlich, sei aber noch nicht eingetreten. Ein kardiologisch versierter Arzt hätte V aufgrund des vorliegenden Langzeit-EKG mit hoher Gefährdungslage aus dem Erwerbsleben rausgenommen und ihn einer ICD-Implantation zugeführt oder dies als Bedingung für den Wiedereintritt in das Erwerbsleben gestellt. Dies sei nicht geschehen.
Der Bevollmächtigte des V hat mitgeteilt, dass V ausweislich eines Schreibens des P2 M2 vom 14.06.2024 in die Warteliste für eine Herztransplantation eingetragen gewesen sei.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Mai 2023 und den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen als Sonderrechtsnachfolger des V eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 6. Mai 2021 bis 23. Oktober 2023 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend und hat ergänzend eine ärztliche Stellungnahme des L2 vom 23.08.2024 vorgelegt. Danach werde im kardiologischen Befundbericht vom 20.06.2022 mitgeteilt, dass seitens des V keine Herzbeschwerden angegeben worden waren. Es seien Herzrhythmusstörungen als SVES und polytope VES registriert worden. Eine Empfehlung für eine ICD-Implantation finde sich im kardiologischen Befundbericht nicht. Eine ICD-Implantation wäre ggf. für einige Tage mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit verbunden gewesen, in der Regel jedoch nicht mit einer überdauernden Limitierung des quantitativen Leistungsvermögens für angepasste Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des V, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>), ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gerichtete Klage des V zu Recht abgewiesen.
Der Tod des ursprünglichen Klägers V hat das Verfahren vor dem LSG nicht nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 239 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) unterbrochen. Denn V war i.S. von § 246 Abs. 1 Halbs. 1 ZPO vertreten. Auch haben weder der Prozessbevollmächtigte des V noch die Beklagte einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens i.S. von § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO gestellt. Der Tod des V hat ebenso wenig zur Erledigung des Rechtsstreits geführt. Denn streitgegenständlich waren vererbliche und keine höchstpersönlichen Rechte oder Verpflichtungen (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 12.03.2019 - B 13 R 35/17 R -, juris Rn. 10; Urteil vom 17.12.1965 - 8 RV 749/64 -, BSGE 24, 190, 192 f = SozR Nr. 18 zu § 47 VerwVG, juris Rn. 15; vgl. Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 16.03.2006 - 7 C 3/05 -, BVerwGE 125, 325 - juris Rn. 27).
Rentenansprüchen als Ansprüchen auf Geldleistungen kommt grundsätzlich keine höchstpersönliche Natur zu; sie können mit dem Tod des Berechtigten auf andere übergehen (§ 59 Satz 2 SGB I). § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I normiert die Sonderrechtsnachfolge im Hinblick auf fällige Ansprüche auf laufende Sozialleistungen und setzt für alle in Betracht kommenden Sonderrechtsnachfolger alternativ voraus, dass zum Zeitpunkt des Todes des Berechtigten entweder ein gemeinsamer Haushalt mit ihm bestanden oder dieser den Sonderrechtsnachfolger wesentlich unterhalten hat. Unter einem gemeinsamen Haushalt ist das Zusammenleben unter einem Dach mit gemeinschaftlicher Lebens- und Wirtschaftsführung für eine gewisse Dauer zu verstehen (Siefert in: BeckOGK SGB I, § 56 Rn. 19). Hat kein gemeinsamer Haushalt mit dem Berechtigten bestanden - wovon aufgrund der unterschiedlichen Anschrift jedenfalls bei der Klägerin zu 2. auszugehen ist -, kommt eine Sonderrechtsnachfolge nur für Personen in Betracht, die vom Berechtigten wesentlich unterhalten worden sind.
Gesetzliche Renten sind grundsätzlich laufende Geldleistungen im Sinne des § 56 SGB I (Groth in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 4. Aufl., § 56 SGB I Rn. 16). Ob die Ehefrau und die Kinder des V als Erben nach den genannten Grundsätzen die weiteren Voraussetzungen für eine Sonderrechtsnachfolge gemäß § 56 SGB I oder eine sonstige Rechtsnachfolge in die von V geltend gemachten Rentenansprüche erfüllen, bedarf indessen keiner Entscheidung. Denn der Senat vermag sich nicht davon zu überzeugen, dass dem V eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung (06.05.2021) bis zu seinem Tod zustand.
Gegenstand des Rechtsstreits sind der Gerichtsbescheid des SG vom 24.05.2023 und der Bescheid der Beklagten vom 12.05.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.12.2022, mit dem die Beklagte den Antrag des V auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Diese Entscheidungen sind nicht zu beanstanden.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des BSG auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (BeckOGK/Gürtner, 01.07.2020, SGB VI § 43 Rn. 58 und 30 ff.).
V war, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats in dem streitigen Zeitraum nicht voll erwerbsgemindert. Ihm stand daher im streitigen Zeitraum keine Rente wegen voller Erwerbsminderung zu.
Eine Erwerbsminderung des V, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht nachweisen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere dem vom Senat eingeholten Gutachten nach Aktenlage des G1 und dessen ergänzender Stellungnahme, dem urkundsbeweislich verwertbaren Gutachten der S1 sowie den beratungsärztlichen Stellungnahmen des L2, die als qualifiziertes Parteivorbringen verwertbar sind. Soweit der behandelnde K1 eine andere Leistungsbeurteilung vertreten hat, vermochte sich der Senat dieser nicht anzuschließen. Der Senat sieht es nicht für nachgewiesen an, dass V aufgrund der bestehenden Einschränkungen nicht mehr zumutbar sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünftagewoche im streitigen Zeitraum beschäftigt werden konnte.
Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente setzt beweisrechtlich voraus, dass die Anspruchsvoraussetzungen im Sinne des „Vollbeweises“, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 07.09.2004 - B 2 U 25/03 R -, juris Rn. 13), feststehen. Ob Tatsachen, vorliegend also das Vorliegen und der Schweregrad von Erkrankungen des V sowie das Bestehen einer rentenanspruchsauslösenden quantitativen Minderung des Leistungsvermögens für die Durchführung von Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts, nachgewiesen sind oder nicht, entscheidet der Senat als sog. „Tatsachengericht“ in freier richterlicher Beweiswürdigung (BSG, Urteil vom 07.09.2004, a. a. O., Rn. 15). Da es sich bei der Voraussetzung der „Erwerbsminderung“ um ein positives, den Anspruch begründendes Element handelt, für das der Versicherte die objektive Feststellungslast trägt, geht es zu dessen Lasten, wenn trotz gerichtlicher Ermittlungen nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass eine quantitative Leistungsreduzierung besteht (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R -, juris Rn. 30).
Nach diesen Grundsätzen war eine relevante zeitliche Erwerbsminderungsrente zur Überzeugung des Senats schon im Zeitraum bis zur Entscheidung des SG nach den bis dahin vorliegenden medizinischen Stellungnahmen und Gutachten nicht nachgewiesen. So wurden im Gutachten der S1 vom 08.04.2022 eine koronare Dreigefäßerkrankung, Vorderwandinfarkt, Stentimplantation 2013 und mittelgradig eingeschränkte Herzfunktion, dazu Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörung diagnostiziert, und das Leistungsvermögen des V von ihr nachvollziehbar und schlüssig mit sechs Stunden und mehr für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes beurteilt. Auch den Befundberichten des M1, in denen von einer Herzinsuffizienz bei einem weiterhin kompensierten Stadium der Herzinsuffizienz berichtet wird, lassen sich keine relevanten Leistungseinschränkungen entnehmen. Gleiches gilt für die lungenfachärztliche Untersuchung des C1 vom 23.05.2022 und den Bericht des M1 vom 20.06.2022 über eine Langzeit-EKG-Auswertung über ca. 24 Stunden vom 20.06.2022. Darin ist vermerkt, dass seitens des V keine Herzbeschwerden angegeben wurden. Es wurden Herzrhythmusstörungen als SVES und polytope VES registriert, ohne dass eine Empfehlung für eine ICD-Implantation ausgesprochen wurde.
Auch für die nachfolgende Zeit bis zum Tod des V ist eine rentenbegründende Erwerbsminderung nicht nachgewiesen. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Gutachten nach Aktenlage des G1 vom 20.05.2024. Danach könne man davon ausgehen, dass der V an einem Kammerflimmern plötzlich und unerwartet gestorben sei. Zwar sei die koronare Dreigefäßkrankheit (wohl erfolgreich) behoben worden, insoweit habe also kein Anlass zur Besorgnis bestanden. Gleichwohl habe es sich bei V um einen Hochrisikopatienten gehandelt. Vor seinem Tod habe eine hochgradige Gefährdung bestanden, aber noch keine bereits eingetretene Erwerbsminderung im engeren Sinne. Ein Kammerflimmern sei aufgrund des vorgelegten Langzeit-EKG und der Kardiomyopathie möglich bis sehr wahrscheinlich gewesen, sei aber noch nicht eingetreten. Auch der letzte Befundbericht von M1 vom 13.10.2023, wonach weiterhin ein kompensiertes Stadium der chronischen Herzinsuffizienz vorlag und eine Verlaufskontrolle im kommenden Jahr erfolgen sollte, gab keine Anhaltspunkte hierfür.
Nach der gutachterlichen Einschätzung des G1, der der Senat folgt, ist eine rentenberechtigende Leistungsminderung bei V auch bis zu seinem Tod nicht nachweisbar. Sein auch vom Sachverständigen G1 so genannter plötzlicher Herztod, den dieser als Folge unglücklicher Umstände bezeichnet, begründet nicht ohne Weiteres den Nachweis einer bis dahin eingetretenen quantitativen Minderung seiner Erwerbsfähigkeit – und nicht einer bloßen Gefährdung der Erwerbsfähigkeit – bzw. sonstiger rentenrelevanter Leistungseinschränkungen. Dass sich im kardiologischen Befundbericht vom 20.06.2022 trotz festgestellter Herzrhythmusstörungen eine Empfehlung für eine ICD-Implantation nicht findet, führt zu keiner anderen Beurteilung. Wie L2 vom ärztlichen Dienst der Beklagten unter dem 23.08.2024 nachvollziehbar ausgeführt hat, wäre eine ICD-Implantation ggf. für einige Tage mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit verbunden gewesen, in der Regel jedoch nicht mit einer überdauernden Limitierung des quantitativen Leistungsvermögens für angepasste Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Eine andere Beurteilung lässt sich auch nicht durch Einschränkungen auf anderen Fachgebieten begründen. Soweit K1 im Befundbericht vom 04.10.2021 eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome diagnostiziert hat, ließ sich diese bereits im Rahmen der Begutachtung durch S1 am 06.04.2022 nicht objektivieren, die allenfalls eine leichte depressive Verstimmung feststellen konnte, bei Ängsten bei auftretenden Brust- und Rückenschmerzen. Auch im weiteren Verlauf finden sich keine Anhaltspunkte für leistungsmindernde Einschränkungen auf psychiatrischem oder einem anderen Fachgebiet.
Ausgehend von einem bis zuletzt erhaltenen sechsstündigen Leistungsvermögen muss auch keine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit dann vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie den Kläger mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 -, juris). Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen daher entscheidend von deren Anzahl, Art und Umfang ab, wobei zweckmäßigerweise in zwei Schritten - einerseits unter Beachtung der beim Restleistungsvermögen noch vorhandenen Tätigkeitsfelder, andererseits unter Prüfung der "Qualität" der Einschränkungen (Anzahl, Art und Umfang) - zu klären ist, ob hieraus eine deutliche Verengung des Arbeitsmarktes resultiert (vgl. BSG a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über fünf kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG, Urteil vom 27.04.1982 - 1 RJ 132/80 -, SozR 2200 § 1246 Nr. 90). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände, einfache Prüfarbeiten oder die leichte Bedienung von Maschinen noch uneingeschränkt möglich ist.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der vorliegenden Gesundheitsstörungen konnte den Einschränkungen des V in dem hier streitigen Zeitraum nach Überzeugung des Senats bereits im Wesentlichen durch die Ausübung nur leichter Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Rechnung getragen werden, wie sie auch S1 in ihrem Gutachten für möglich und zumutbar erachtet hat. Noch möglich waren danach leichte Tätigkeiten, die hauptsächlich in geschlossenen Räumen mit der Möglichkeit des Wechsels der Körperhaltung verrichtet werden, Bildschirmarbeit und Tätigkeiten unter durchschnittlichem Druck. Unzumutbar waren Arbeiten mit Temperaturschwankungen, hoher oder niedriger Luftfeuchtigkeit, starken Veränderungen des Klimas, Nässe, Feuchtigkeit, Hitze oder Kälte. Einschränkungen der Wegefähigkeit lagen nach den Feststellungen von S1 ebenfalls nicht vor. Danach war V noch in der Lage, viermal am Tag mindestens 500 Meter in weniger als 20 Minuten zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu nutzen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 3200/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 1534/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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